Stammtafel im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 1289
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KOMNENEN
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Byzantinische Adelsfamilie und Kaiserdynastie, benannt
nach dem Dorf Komne, dessen Lokalisierung umstritten ist; wahrscheinlicher
in Kleinasien als in Thrakien, im mittleren 11. Jh. lagen ihre Güter
jedenfalls im Gebiet von Kastamon(u).
Seit der Regierungszeit Basileios
II. (976-1025)
sind die KOMNENEN als Großgrundbesitzer,
Statthalter und Militärbefehlshaber namhaft.
Isaak
I. Komnenos errang durch einen militärischen Staatsstreich
den Kaiserthron (1057-1059); doch wurden die KOMNENEN
zunächst wieder von den rivalisierenden DUKAIverdrängt.
Nach 1078 konnten sich die KOMNENEN,
die sich mit den DUKAI verbanden (Heirat
Alexios',
des
Neffen von Isaak I., mitIrene,
einer
Enkelin von Johannes
Dukas), erfolgreich durchsetzen und mehr als ein Jahrhundert
den Kaiserthron behaupten (1081-1185). Nach der Etablierung ihrer
dynastischen Herrschaft übten Mitglieder des Kaiserhauses und der
verschwägerten Familien nahezu alle hohen militärischen Ämter
aus, zum Teil verbunden mit neugeschaffenen Ehrentiteln. Sie stellten nach
einer Schätzung zwischen 1118 und 1180 90% der ranghöchsten Elite
des Reiches, waren im Zivildienst und in der kirchlichen Hierarchie dagegen
wenig vertreten. Ihre Rolle im kulturellen Leben war, abgesehen von Anna
Komnene und dem SebastokratorIsaak
(Porphyrogennetos),
bescheiden; stärker treten KOMNENEN
als
Stifter und Patrone von Klöstern hervor.
Alexios I. bestieg
den Thron in einer bedrängten Lage des Reiches, das von drei Seiten
angegriffen wurde: von Normannen, Pecenegen und Selguqen. Die ersten drei
Herrscher der KOMNENEN-Dynastie,
Alexios
I.,Johannes
II. und Manuel
I., verstanden es jedoch, dieser Gefahren Herr zu werden
und eine unangefochtene Herrschaft zu errichten, die der Kontrolle über
Gebiete Bulgariens, eine Oberhoheit über Serbien und Ungarn, Beherrschung
des kimmerischen Bosporus und vasallitischer Abhängigkeit der neuen
Kreuzfahrer-Herrschaften einschloß. Diese Machtstellung erlaubte
Byzanz eine aktive Außenpolitik gegenüber Unteritalien, Ägypten
und der Kiever Rus'.
Die Gründe für den Wiederaufstieg des Byzantinischen
Reiches unter den KOMNENEN liegen nicht
offen zutage. Neben der geschickten byzantinischen Diplomatie und der Bedeutung
der Kreuzfahrer im Kampf gegen die Selguqen sind als tiefergehende Ursachen
zu nennen: die städtische Entwicklung des 11. und 12. Jh., die zu
einem Aufblühen der Provinzstädte führte; die Ausbildung
halbfeudaler Strukturen, die eine starke grundbesitzende Schicht als Kern
des "nationalen" Heeres entstehen ließ; die "Westbindung" des Byzantinischen
Reiches, die Heiratsverbindungen mit abenländischen Herrscherhäusern,
Einsatz westlicher Militttechniker, Aktivierung der Handelsverbindungen
(Ansiedlung westlicher Kaufleute) sowie der geistig-kulturellen Beziehungen
(theologische Disputationen) einschloß. Neben der Tätigkeit
westlicher Ratgeber am byzantinischen Hof ist zum Beispiel das Auftreten
deutscher Söldner (Alaman) auf Zypern, von denen einige sogar
zu Heiligen erklärt wurden, bemerkenswert. Militärische Tüchtigkeit
wurde im Zeitalter der KOMNENEN allenthalben
hochgeschätzt, während die "verweichlichten" Eunuchen aus Staats-
und Hofdienst verdrängt wurden.
Doch blieben die Reformen der KOMNENEN
Stückwerk. Andronikos
I. Komnenos, der Onkel des letzten legitimen KOMNENENS,
des jungen Alexios
II. (1180-1183),
riß die Macht ansich, ermordete den Neffen und errichtete
eine gegen die komnenische Aristokratie
gerichtete Terrorherrschaft, die trotz ihrer kurzen Dauer (1183-1185) das
von den Vorgängern geschaffene System zerrütete. Mit der neuen
Dynastie, den ANGELOI,
kehrte die alte Zivilbürokratie, die sich wieder auf Eunuchen und
fremde Generäle stützte, an die Macht zurück. Das neue Regime
führte das Reich in die Katastrophe von 1204.
Die Familie der KOMNENEN
hat sich vom Terror Andronikos' I.
nicht mehr erholt. Trotz des relativ bescheidenen Ranges einiger KOMNENEN
des 13. Jh. war der Glanz ihres Namens jedoch keienswegs verblaßt.
Zahlreiche Dynastien der byzantinischen Spätzeit (ANGELOI
in Konstantinopel und Epiros, VATATZES
in Nikaia, 'GROSS-KOMNENEN' in Trapezunt)
haben den KOMNENEN-Namen als eine Art
Königstitel geführt.
Das Urteil der byzantinischen Forschung über die
Leistung der KOMNENEN ist gegensätzlich:
Nach der Auffassung von V. Vasil'evskij, die von G. Ostrogorsky ausgebaut,
von P. Lemerle modifiziert wurde, haben die KOMNENEN
durch
Übernahme des westlichen Feudalismus die überkommenen byzantinischen
Institutionen zerstört und damit den Niedergang des Reiches eingeleitet.
Demgegenüber betonen A. Kazhdan und R.-J. Lilie die positive Wirkung
der KOMNENEN-Herrschaft. Unbestritten
bleibt, daß das 12. Jh. eine Blütezeit der byzantinischen Kultur
(Kunst, Literatur, Recht) war, mag man diese Epoche nun als 'Renaissance'
oder 'Proto-Renaissance' bezeichnen. Aus der Sicht westlicher Zeitgenossen
war Byzanz damals das wohlhabendste Land Europas.
Kaisergeschlecht in Byzanz 1057-1059 und 1081-1185. Eine
Nebenlinie des in Byzanz entthronten Geschlechts begründete 1204 das
Kaiserreich
Trapezunt, das 1461 von den Osamenen erobert wurde.