FRANKENREICH
 

Lexikon des Mittelalters: Band IV Spalte 693
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Franken, Frankenreich
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A. Archäologie
Die archäologioschen Quellen zur Geschichte der Franken und des Franken-Reiches bestehen für die Zeit vom 4.-8. Jh. in weit überwiegendem Maße aus Grabfunden (Grabbeigaben). Siedlungsfunde (Behausungsspuren und Reste des materiellen Siedlungsinventars) sind demgegenüber selten und gewinnen erst für die karolingische Zeit (8.-9. Jh.) größere Bedeutung. Ihrer Natur entsprechend können die archäologischen Quellen nur zu ihnen angemessenen Themen sinnvoll befragt werden. Dies sind im vorliegenden Fall im wesentlichen die folgenden:

I. Siedlungswesen:
In der Rheinzone trat infolge der fränkischen Landnahme im ländlichen Bereich ein völliger Bruch gegenüber dem römischen Siedlungswesen ein. Statt der römischen Landsiedlungen vom Typ »vicus« oder »villa« entstanden an anderer Stelle fränkische Gehöfte, die ihren Platz in der Nähe eines reichlichen natürlichen Wasservorkommens wählten (Bach, Quelle). Alle Bauten wurden in Abkehr von römischen Gepflogenheiten in Holzbauweise errichtet (zum Beispiel Gladbach). Es handelt sich einmal um ebenerdige, in Pfostenbauweise errichtete Häuser, die vor allem als Wohnbauten und Scheunen dienten. Von Ställen ist nichts bekannt. Daneben gab es halb in die Erde eingetiefte Grubenhütten als Werkräume und Vorratskeller. Selbst Kirchen wurden in Pfostenbauweise errichtet. Die Siedlung erfaßte in der Regel nur anbaugünstige Gebiete, also Tal- und Beckenlagen, unter Aussparung der Mittelgebirgslandschaften. Dieses Siedlungsmuster hat sich im Zuge der fränkischen Eroberungen weit nach Westen in den nordgallischen Raum ausgebreitet (zum Beispiel Brebières); das Ausmaß des Fortlebens römischer Siedlungstraditionen ist noch zu ermitteln. - Für den Bereich des städtischen Siedlungswesens gilt generell, daß die spätrömischen Städte und Kastellorte mit ihren festen Mauerringen auch im frühen Mittelalter weiterbestanden, zwar mit baulichen Veränderungen, aber unter Wahrung ihrer zentralörtlichen Funktion. Im rechtsrheinischen Gebiet wurden solche Funktionen seit spät-merowingischer Zeit von befestigten Höhensiedlungen wahrgenommen (zum Beispiel Christenberg, Büraburg), die ab der 2. Hälfte des 7. Jh. die Epoche des karolingischen Burgenbaus einleiteten. Hinzu kamen die Pfalzen, die Zwecke eines Wirtschaftshofes, einer Residenz und einer Befestigung miteinander verbanden (archäologisch untersucht besonders Aachen, Frankfurt am Main und Ingelheim). - Als ein Aspekt archäologischer Siedlungsforschung kann die Beschäftigung mit der frühmittelalterlichhen Keramik gelten, der weithin die Rolle eines chronologischen Leitfossils zukommt. Die vor allem in Form von Grabbeigaben überlieferte Keramik der MEROWINGER-Zeit setzt in Technik und Formenkanon römischen Traditionen in breiter Front fort. Die Keramik der karolingischen Zeit, besonders Badorfer und Pingsdorfer Ware, ist bei guten technischen Eigenschaften einförmiger in Form und Verzierung.

II. Bestattungssitten:
Charakteristisch für den Beisetzungsbrauch der Franken im Früh-Mittelalter ist der über mehrere Generationen hinweg belegte, insofern ständig anwachsende sogenannte Reihengräberfriedhof (Grab, -formen). Die Toten wurden unverbrannt und nach Osten ausgerichtet beerdigt, durchweg in ihrer im Leben getragenen Tracht und mit weiteren Beigaben versehen. Dieser Brauch hat sich unter Einfluß der spätrömischen Grabsitten in einem längeren, bereits im 4. Jh. einsetzenden Prozeß herausgebildet; in Nord-Gallien im römischen Heer dienende fränkische Söldner hatten wesentlichen Anteil an seiner Entwicklung. Vom späten 5. Jh. an konnte die sogenannte Reihengräbersitte allgemeine Gültigkeit beanspruchen, ohne uniform zu sein. Besonders im Osten und Norden des fränkischen Stammesgebietes lassen sich immer wieder und vermehrt in der jüngeren MEROWINGER-Zeit Besonderheiten des Grabbrauches beobachten: Pferde- und andere Tierbestattungen, Brandbestattungen, Abweichungen von der kanonischen Ostung der Gräber. Überall wurden einzelne Gräber durch besonders aufwendige Grabbauten hervorgehoben: große holzverkleidete Grabkammern, Grabhügel, Kreisgräben, hölzerne Bauten über dem Grab. Im ehemals römischen Gebiet westlich des Rheins lebten antike Beisetzungsbräuche weiter bzw. wieder auf, so die Beisetzung »ad sanctos« in oder bei einer Kirche oder die Verwendung von Sarkophagen und Grabsteinen, zum Teil mit lateinischen Inschriften. Im Laufe des 7. Jh. unterlag die Reihengräbersitte einem fortschreitenden Auflösungsprozeß; die Beigabensitte wurde schrittweise, im Westen beginnend, aufgegeben; schließlich wurde der Reihengräberfriedhof überhaupt verlassen, meist wohl zugunsten einer Sepultur bei einer Kirche.

III. Tracht und Bewaffnung:
Dank der ausgiebig geübten Beigabensitte verfügen wir über ein recht deutliches Bild vom äußeren Habitus der Franken. Dabei lassen sich für Männer und Frauen zeitbedingte Moden ebenso wie regionaltypische Eigenarten beobachten. So zeigt die Bewaffnung der frühen MEROWINGER-Zeit ein breites Spektrum mit zweischneidigem Langschwert (Spatha), einschneidigem Kurzschwert (Sax), Lanze, dem pilumartigen Ango, Pfeil und Bogen sowie verschiedene Formen von Streitäxten, darunter die Franziska genannte Wurfaxt. Hinzu kommen Defensivwaffen wie Schild, Helm und Panzer. Ango und Franziska, ferner die selten belegte hellebardenartige Glefe sind, nach ihrem Verbreitungsbild zu urteilen, typisch fränkische Waffen und dürften als fränkische Innovationen ihren Teil zu den Kriegserfolgen der Franken beigetragen haben. In der jüngeren MEROWINGER-Zeit trat der nun recht schwer gewordene Sax stärker in den Vordergrund. Im Übergang zu karolischen Zeit nahm er die Form eines schlanken Reitersäbels an, wohl im Zusammenhang mit einer verstärkten Bedeutung des Reiterkampfes. In der Frauentracht läßt sich der allmähliche Wechsel von der herkömmlichen germanischen Mehrfibeltracht mit zwei Fibelpaaren zur Einfibeltracht nach mediterranröm. Art beobachten. Auch anhand von Ohrringen, Fingerringen und Nadeln lassen sich mediterrane Einflüsse auf die fränkische Frauentracht nachweisen. Weitgehend unberührt von solchen blieb ein am Gürtel getragenes Gehänge, das zwar mediterrane Elemente (zum Beispiel runde durchbrochene Bronzezierscheiben) aufnahm, seinen ursprünglich Amulettcharakter aber offensichtlich stets bewahrte.

IV. Zur Sozialstruktur:
Ein Reihengräberfeld, insofern es einen Personenverband (Siedlungsgemeinschaft) repräsentiert, kann in der unterschiedlichen Anlage der Gräber und ihrer stark differierenden Ausstattung mit Beigaben etwas von der Sozialstruktur der betreffenden Gemeinschaft widerspiegeln. Vor allem die Häupter der (Siedlungs-) Gemeinschaften heben sich oft deutlich ab. Fast auf jedem Reihengräberfeld finden sich Gräber, die sich durch Beigabenreichtum bzw. aufwendigen Grabbau von der Masse der übrigen abheben und demzufolge der jeweiligen Führungsgruppe zugeschrieben werden müssen. Miteinander verglichen, dürften die Angehörigen solcher Eliten auf durchaus unterschiedl. sozialem Niveau angesiedelt gewesen sein. Unter den solcherart hervorgehobenen Gräbern finden wir an der Spitze die von Angehörigen des merowingischen Königshauses, das Childerich-Grab und das Grab der Königin Arnegundis, vermutlich auch die Gräber der beiden unter dem Kölner Dom beigesetzten Personen. Die zahlreichen anderen im Laufe der Zeit bekannt und berühmt gewordenen »Fürstengräber« erreichen nicht das Ausstattungsniveau der königlicher Bestattungen; die Gräber der Gruppe Flonheim-Gültlingen, das sogenannte Fürstengrab von Krefeld-Gellep, das Grab des Herren von Morken oder die Bestattungen der Krieger von Lavoye und Mézières - vermutlich also Bestattungen von Vertretern einer Personengruppe, die in den Schriftquellen als »nobiles« oder »maiores natu« erscheint. - Kombiniert man die archäologischen Feststellungen über Größe und Belegungsdauer eines Reihengräberfeldes mit den am Skelettmaterial mit den Methoden oder Anthropologie zu erhebenden Daten, so lassen sich weitergehende Angaben zur Demographie machen (zum Beispiel Frénouville).

V. Zur Ethnographie:
Manche Eigenarten im äußeren Habitus der Franken, bestimmte Waffenformen und Trachteigentümlichkeiten, scheinen ethnisch signifikant gewesen zu sein, was auch zeitgenössische Schriftquellen bestätigen. Dabei fällt eine Unterscheidung innerhalb des germanischen Milieus, also etwa eine Abgrenzung von Franken und Alamannen, schwerer als die Kontrastierung mit der romanischen Bevölkerung. Denn diese hat, wo immer sie im nachantiken Europa mit germanischen Gruppen zusammenlebte, niemals den Brauch der Waffenbeigabe und der Mehrfibeltracht übernommen. Anhand dieser Kriterien lassen sich im fränkischen Stammesgebiet rein romanisch, womöglich auch gemischte (romanisch-fränkische) Gräberfelder nachweisen, was Rückschlüsse auf die Siedlungsverhältnisse erlaubt. Im überörtlichen Rahmen läßt sich anhand des Vorkommens von Waffen- und Mehrfibelbeigabe auch das fränkische Siedlungsgebiet - etwa bis zu Seine - ungefähr abgrenzen. In der französischen Forschung wird freilich die ethnische Signifikanz der genannten Erscheinungen stark eingeschränkt beurteilt und werden die daraus abgeleiteten Folgerungen energisch bestritten.

VI. Zu Geistesleben und Kunst:
Mit christlichen Symbolen oder Bildmotiven geschmückte Kleinfunde, namentlich Schmuck und Trachtzubehör, deuten auf die Ausbreitung christlichen Gedankengutes auch im Alltagsleben hin. Besonders in der jüngeren MEROWINGER-Zeit (7. Jh.) häufen sich Funde dieser Art. Entsprechende Zeugnisse des Heidentums sind daneben außerordentlich selten. Aus archäologischen Quellen stammen ferner auch die weitaus meisten Zeugnisse fränkischer Kunstübung des frühen Mittelalters. Wie die Funde aus dem Childerich-Grab zeigen, haben sich die Franken donauländische Anregungen zu eigen gemacht und den polychromen Stil für Cloisonné-Arbeiten übernommen. Das Vorbild fränkischer Cloisonné-Arbeiten hat bis nach Skandinavien gewirkt. Auch an Ausbildung und Weiterentwicklung der germanischen Tierornamentik haben die Franken aktiven Anteil genommen.

B. Allgemeine und politische Geschichte. Verfassungs- und Institutionsgeschichte

I. Fränkische Frühzeit, Merowingerzeit:

[1] Frühgeschichte und Stammesbildung:

a) Erstes Auftreten und erste Ansiedlung fränkischer Gruppen auf römischem Boden:
Der Name 'Franken' wird erstmals beim Vordringen von Germanen gegen den Rhein bald nach der Mitte des 3. Jh. genannt. Der - in seiner Deutung schwierige - Name knüpft nach neuerem Forschungsstand an die Begriffe 'mutig, kühn, ungestüm, frech' an, während die Synonymsetzung Franke-Freier wohl erst sekundär, nach der Etablierung der fränkischen Herrschaft im Norden Galliens, erfolgte. Wichtige Grundlage der frühen fränkischen Geschichte war in der römischen Kaiserzeit die Existenz einer Reihe germanischer Völkerschaften im Bereich des niedergermanischen Limes. Diese konnten ihre Unabhängigkeit bewahren und bildeten ein politisches Gemeinsamkeitsbewußtsein aus, gefestigt durch eheliche Verbindungen der Herzogs- bzw. Königsfamilien. Konkret wurden so in römischen Quellen seit dem 3. Jh. Kleinstämme der Istwäonengruppe, Chamaven, Brukterer (Chatten?), Chattuarier und die ursprglich ingwäonischen Amsivarier unter der Bezeichnung 'Franken' zusammengefaßt. Gleichzeitig mit den Alamannen griffen diese Kleinstämme von ihren Wohngebieten am Nieder- und Mittelrhein her im 3. Viertel des 3. Jh. auf rechtsrhein. 'Civitates' über (Tubanten; Usipier; Chasuarier und wohl auch Tenkterer). In der Forschung ist kontrovers, ob auch diese in Klientelverhältnissen zum römischen Reich stehenden Gruppen den Franken zuzurechnen sind, doch spricht manches dafür. Das Fortbestehen der Namen der Einzelstämme neben der gemeinsamen Bezeichnung 'Franken', das Fehlen einer einheitlichen monarchischen Verfaßtheit bis zum Ende des 5. Jh. und die auch schon für die Frühzeit erschließbare Unterschiedlichkeit der Stammesrechte deuten den langsamen Vorgang der Konzentration und Vereinigung an, so daß die Forschung für die Frühzeit nicht einen einheitlich organisierten Stammesverband annimmt, sondern Termini wie 'Stammesschwarm' (Wenskus), allenfalls noch solche wie 'Stammesbund' (Zöllner) verwendet.
Seit der Mitte des 3. Jh. gingen Franken offensiv gegen das römische Reich vor, nach Ausweis der Münzdepotfunde insbesonders gegen den belgisch-moselländ. Raum (275: Maasgebiet, Einnahme von Trier). Fränkische Piraten bedrohten weite Teile der nordgallischen und südostbritischen Küstengebiete. Ende der 80er Jahre drangen fränkische Verbände in das Bataverland an der unteren Maas, andere an der Rheinlinie auf Reichsgebiet vor. Auf diese Vorstöße reagierten römische Kaiser und Usurpatoren (Postumus, Probus, Carausius) mit Aufnahme in das Heer und Einsatz gegen innere Gegner. Die römische Politik gegenüber den Franken wurde seit dem letzten Jahrzehnt des 3. Jh. aktiver (Vertragsschluß des siegreichen Kaisers Maximinian mit dem fränkischen König Gennobaudes, Ansiedlung fränkischer Gruppen um Trier; nach dem Sieg des Constantius Chlorus 294/295 Ansiedlung gefangener Franken als Laeten in Nordgallien). Unter Konstantin dem Großen scheint den Römern noch einmal eine Stabilisierung der Rheingrenze gelungen zu sein. Im wesentlichen verlautet nichts mehr über fränkische Vorstöße bis zur Mitte des 4. Jh. in den Quellen. Eine entscheidende Zäsur brachte die von Konstantin inaugurierte Politik der Integration fränkischer Stammeskontingente in das römische Heer. Dem korrespondieren neueste archäologische Forschungsergebnisse, nach denen ab der Mitte des 4. Jh. mit einem starken Einsickern fränkisch-barbarischer Volkselemente in den gallorömischen Raum zu rechnen ist. In Zusammenhang mit der Erhebung der Usurpatoren Magnentius und Silvanus gegen Kaiser Constantius kam es ab 350 wieder zu gewaltigen Germanen-Invasionen, in deren Verlauf die nördliche Rheinlinie zusammenbrach (Fall von Köln, Spätherbst 355). Eine Wende trat erst mit der Entsendung des Caesars Julian nach Gallien Ende 355 ein. Er bereinigte bis 358 in mehreren Zügen die Lage am Niederrhein, dabei scheint er fränkische Gruppen in einigen linksrheinischen Gebieten belassen zu haben.
Weiterem germanischen Druck weichend, zog die Teilgruppe der Salier von der Bataverinsel in die weiträumigen Siedlungsgebiete von Toxandrien (etwa den heutigen Provinzen Nord-Brabant/Niederlande und Antwerpen/Belgien entsprechend). Julian unterwarf sie, beließ sie aber in ihrem Siedlungsraum. Neuerdings ist die Form ihrer rechtlichen Zuordnung in der Forschung umstritten (Historiker: dediticii - Archäologen: foederati). Wesentlich ist, daß im Gegensatz zu den bisherigen lokalen Ansiedlungen sich damit erstmals ein ganzer Teilstamm im römischen Gallien festsetzen konnte. Wichtig für die innere Struktur der F. ist, daß mit diesen Vorgängen zwei sich klar voneinander abhebende Gruppen sichtbar werden, die Verbände, denen ihr bedeutendster Teilstamm, die Salier, den Namen gab, und die rheinischen Franken, welche die anfangs erwähnten Kleinstämme umfaßten. Bedingt durch die Assimilationspolitik Konstantins und Julians begegnen jetzt germanische Führer im römischen Heer (rheinfränkischer König Mallobaudes, der als comes domesticorum römische Heere gegen die Alamannen führte). Ende der 80er Jahre kam es jedoch wieder zu großen fränkischen Einbrüchen (Limesdurchbruch der fränkischen duces Gennobaudes, Markomer und Sunno, Verwüstung der Kölner Gegend). Nach wirksamem Gegenschlag regelten die magistri militum Arbogast und Stilicho (396) das Verhältnis zu den Franken um Köln in Bündnisverträgen. Wegen der immens gewordenen Germanengefahr verlegte die römische Regierung nun die Präfektur von Trier nach Arles.
Als mit dem Übergang der Vandalen, Alanen und Sueben bei Mainz (406-407) ein neues Kapitel inden Beziehungen zwischen Romania und Germania eröffnet wurde, stellten sich am Main siedelnde, offenbar in Vertragsbindungen einbezogene Franken den Invasoren entgegen. Damals wurde die reguläre Grenzverteidigung im Norden der Germania I und in der Germania II von den Römern aufgegeben, doch verlor die Rheingrenze ihre Bedeutung noch nicht völlig. In der Folgezeit bedienten sich nach eingespieltem Muster auch die Usurpatoren Konstantin (III.) und Jovinus der Hilfe ganzer Franken-Verbände. Diese Vorgänge können zu einem engeren Zusammenschluß der östlich des Mittelrheins wohnenden Franken-Gruppen beigetragen haben. Zusammen mit den Franken um Köln und am Niederrhein werden sie heute als 'rheinische Franken' bezeichnet, was richtiger ist als die frühere Benennung 'Ripuarier'.
Viel spricht dafür, daß drei Vorstöße gegen Trier (410-420), das noch militärische Bedeutung behalten hatte, von am Mittelrhein (Lahn, Neckar) wohnenden Franken ausging. Eine vierte Verwüstung der Stadt (428/435) könnte durch niederrheinische Franken erfolgt sein. Eine Prüfung der schwierigen Quellenlage ergibt, daß der römische magister militum Aëtius diese Franken nach ihrer Unterwerfung als dediticii am Niederrhein siedeln ließ. Aëtius gab Mitte der 30er Jahre dem römisch-germanischen Verhältnis neue Grundlagen. Weitere Ausgriffe der salischen Gruppe (Maasbecken) dämmte er wieder ein, die Beziehungen zu den Franken am Niederrhein hat er wohl jetzt auf der Basis des foedus (Foederaten) neu geordnet. Die salischen Franken entfalteten um diese Zeit große expansive Kraft. Mitte der 40er Jahre stieß der Teilverband unter dem historisch kaum faßbaren König Chlodio/Chlojo in den Norden der Belgica II (Cambrai, Tournai, Arras) vor. Nach Ausweis der archäologischen Zeugnisse wurde ihm die Ansiedlung um Tournai gestattet. Spätestens zu dieser Zeit wurden diese Franken als römische Foederaten anerkannt. Auch kann man von dieser Zeit an von einer deutlichen Absonderung der Salfranken sprechen. Aufgrund der Zeugnisse des Geschichtsschreibers Priskos und des Dichters Sidonius Apollinaris lassen sich für die Zeit um 450 vier Gruppen von Franken erkennen:
die Chlojo-Franken,
die foederierten Franken am Niederrhein,
weiterhin zwei Gruppen östlich des Rheins, einmal am Neckar siedelnde Franken, dann etwas nördlich davon die Teilgruppe der Brukterer.
Aus den genannten Quellen sind auch annäherungsweise die Geschehnisse nach der Ermordung des Aëtius (454) und des Kaisers Valentinian III. (455), als die Franken in ihrer Gesamtheit den Rhein überquerten, zu rekonstruieren. Eindeutig gingen die territorialen Ausgriffe nun von den rheinischen Gruppen aus. Die neue Interpretation eines der beiden Zeugnisse läßt deutlich werden, daß die erwähnten Franken aus dem Gebiet des mittleren/oberen Rheins nun in die Germania I vorstießen, dabei Ende der 50er Jahre Mainz nahmen und Trier zeitweise belagerten. Anscheinend parallel dazu haben die Franken am Niederrhein Köln, das sie schon zw. 440 und 450 besetzt hatten, definitiv genommen. Diese Kölner Franken erlangten nun faktisch politische Selbständigkeit: 469 erscheinen sie in dynastischen Beziehungen zu den Burgunden (Burgunder). - In einer ersten Eroberung scheinen die Kölner Franken die mittelrheinischen Teilgruppen unterworfen zu haben, so daß ihre Grenze zu den Alamannen ab den 80er Jahren zwischen Mainz und Worms verlief. Damit waren die Anfänge jenes politischen Gebildes gelegt, das bei dem Geographus Ravennas als Francia Rinensis erscheint. Um Trier als Kristallisationspunkt behauptete sich in den 60er und 70er Jahren eine römisch geprägte Herrschaft unter dem romanisierten Franken Arbogast, dessen Gebiet allerdings schon stark von Franken durchsetzt war. Mitte der 80er Jahre erweiterten die Kölner Franken ihre Machtsphäre in den Bereich der Mosel, nahmen Trier, dann Toul und damit wohl die ganze ehemalige Belgica I. Im Westen grenzten sie vor Besançon und Langres an die Alamannen, die ihrerseits Nachbarn der Salfranken waren.
Diese salischen Franken begründeten das fränkische Reich, wesentliche Schritte dazu taten sie nach 455. Spätestens jetzt besetzten sie mit Cambrai und Arras das Land bis zur Somme. Als Verbündeter des magister militum Aegidius kämpfte König Childerich gegen die aufstrebende Macht der Westgoten an der Loire (463). Beträchtlich war wohl auch sein Anteil an der Errichtung einer Machtbasis des Aegidius in Nord-Gallien, die ihm Widerstand gegen Ricimer, den nun beherrschenden Mann der Zentralgewalt, erlaubte. Auch im Abwehrkampf der Römer unter comes Paulus halfen die Salfranken das Vordringen der Westgoten über die Loire und nach Orléans zu verhindern (469). Die oft diskutierte Frage, ob Childerich noch Foederat des weströmischen Reiches war, erweist sich angesichts der unabhängigen Machtstellung des fränkischen Königs als ein akademiisches Problem der juristischen Nomenklatur. Die von Gregor von Tours behauptete zeitweise Absetzung Childerichs zugunsten des Heermeisters Aegidius als 'rex' wird im überwiegenden Teil der Forschung angezweifelt. Angriffe Childerichs in der 1. Hälfte der 70er Jahre gegen kleinere germanische Reichsbildungen im belgisch-niederländischen Küstengebiet wurden von den Westgoten zum Stillstand gebracht. Die große Auseinandersetzung zwischen Salfranken und Westgoten folgte erst unter Childerichs Sohn Chlodwig, der dem Vater 482 als Teil-König von Tournai folgte.

b) Stammesbildung, Siedlung, Verfassung, Sozialverhältnisse:
Wie dargelegt, wurde der fränkische Stammesschwarm von verschiedenen Kleinstämmen der Istwäonengruppe gebildet. Die Zusammenfassung dieser Stämme unter dem Begriff 'Franken' erfolgte von außen und im Zuge einer langsamen Entwicklung. Explizite Zeugnisse für die foederative Struktur und den Landesnamen 'Francia' liegen aus dem beginnenden 4. Jh. vor. Noch bis in das späte 5. Jh. erscheinen die taciteischen Kleinstämme als Glieder des fränkischen Volkes, doch im letzten Drittel des Jahrhunderts verschwinden sie aus den Quellen. Selbst der Name der Salier ist nur noch in der Bezeichnung des ältesten fränkischen Volksrechts erhalten. Der Grund für diesen Wandel liegt wohl darin, daß Regionalverbände an die Stelle der Kleinstämme getreten waren, wobei die Civitates Nord- und Ost-Galliens den Rahmen für die Kleinreiche boten. - Die namentlich in Stammessagen begegnenden Verbindungen mit verschiedenen Herkunftsbereichen (Hugen; Sugambrer; Trojaner; Pannonien) sind größtenteils spätere Reprojizierungen und gehören zu der auch anderwärts zu beobachtenden Eigentümlichkeit gentilen Selbstverständnisses, die eigene Frühgeschichte in die universale Geschichte durch gelehrte Kombinationen einzufügen.
Von jeher im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion, an der auch zahlreiche Komplementärdisziplinen der Geschichte (Archäologie, Epigraphik, Sprachwissenschaft, Namenkunde, Siedlungskunde, Patrozinienkunde) beteiligt waren, standen die grundlegenden Probleme der fränkischen Landnahme und Siedlung in Gallien. Drei Hauptpositionen sind in der Diskussion erkennbar: Nach der älteren (Kurth, Gamillscheg) ist die germanisch-romaniische Sprachgrenze die maßgebende fränkische Siedlungsgrenze. Demgegenüber formulierten Steinbach und Petri die These, daß ein großräumiger Sprach- und Kulturausgleich im Frankenreich stattgefunden habe und die Sprachgrenze eine Ausgleichslinie aus spätfränkischer Zeit darstelle. Abgelöst sind diese Positionen durch die neuere Debatte über Art und Umfang der germanisch-romanischen Symbiose im Franken-Reich. - Die klassische Eroberungstheorie, nach der der von den Franken ausgehende Druck zu einem nicht genau rekonstruierbaren Zeitpunkt zu einem intensivierten Eindringen in den nordgallischen Raum führte, ist neuestens durch die auf geographisch breit gestreutem archäologischen Fundmaterial fußenden Ergebnisse von Böhme präzisiert und korrigiert worden. Danach ist mit einem mehr oder weniger breiten Einsickern von Germanen ab der Mitte des 4. Jh. und im 5. Jh. zu rechnen. Zunächst seien diese Gruppen als dediticii und laeti von der römischen Gewalt angesiedelt worden. Wie die Mehrheit der Archäologen deutet Böhme einen großen Teil germanischer Gräber schon ab dem 4. Jh. als Foederatengräber. Es ist sehr fraglich, ob diese weitgehende Folgerung aufrechtzuerhalten ist. Vielleicht sollte besser von Vorstufen des Foederatentums gesprochen werden Die Ablösung der taciteischen Kleinstämme durch die an den civitates orientierten Regionalverbände ist als eine wesentl. Stufe zu polit. Konzentration zu sehen. Diese hat auch entscheidende Begleitumstände und Konsequenzen verfassungsmäßiger Art. Offenbar entwickelte sich eine Vielzahl von Königen, die über die Regionalverbände der civitates herrschten. Aporien über die Genese des Königtums bei den Franken gibt es nicht erst für die neuere Forschung, sie haben bereits Gregor von Tours zu einem breiten verfassungsgeschichtlichen Exkurs veranlaßt. Die Entstehung des merowingischen Königs-Geschlechts erklärt Gregor damit, die Franken hätten sich nach Erreichen des linksrheinischen Gebiets nach civitates und pagi 'reges criniti' gesetzt. Vielleicht steht dahinter der Aufstieg der bei Tacitus genannten 'principes' und 'nobiles' zu Heer- und Erbkönigen. Jedenfalls beobachtet Gregor wohl den relevanten Zug der Entwicklung, wenn er auf den Wandel in der Terminologie bei seinen spätantiken Gewährsleuten besonderes Gewicht legt. Die Entwicklung ist danach gekennzeichnet durch die Abfolge 'duces - regales/reguli - reges'. Nach oben ausgewerteten Quellenzeugnissen hatten die am Mittelrhein siedelnden Franken um 450 bereits die Institution des Königtums. Die foederierten Franken am Niederrhein unterstanden zu dieser Zeit noch duces (dux), vielleicht in einigen Fällen Gau- oder Civitaskönigen. Jedenfalls ist monarchische Verfaßtheit zwanzig Jahre später bei den Kölner Franken eindeutig bezeugt. Zur Zeit Chlodwigs begegnen hier die Könige Sigibert der Lahme und Chloderich. Möglicherweise führten diese Könige das römische Sprengelkommandanten- und Provinzstatthaltertum fort und herrschten über mehrere Teilverbände. Gregor von Tours nennt außer diesen Königen noch drei weitere mit Namen und als Sitze Tournai und Cambrai. Es scheint, als habe sich die Monarchie bei den Saliern ab der Mitte des 5. Jh. ausgeprägt. Von den verschiedenen merowingischen Familienverbänden hat sich das Teil-Königtum von Tournai mit Chlodwig durchgesetzt.
Problematisch sind Aussagen über die ständische Gliederung in der fränkischen Frühzeit. Unbestritten gab es wohl schon die in der Lex Salica bezeugte Dreiteilung in Freie (ingenui, Franci), Halbfreie (liti, leti, lidi) und Knechte (servi). Unbezweifelbar hat es bereits eine starke soziale Differenzierung gegeben. Trotz der Annahmen vieler Archäologen und Historiker muß es fraglich bleiben, ob es einen alten Volks- oder Geblütsadel gegeben hat. Klar erkennbar ist, daß die Königsnähe der königlichen Gefolgschaft zur rechtlichen Heraushebung führte.

[2] Merowingerzeit:
Indem Chlodwig die verschiedenen fränkischen Kleinreiche unter der Herrschaft der salischen Franken zusammenfaßte und die Relikte römischer Macht im Norden Galliens beseitigte, legte er wesentliche Grundlagen für das Einheitsreich der MEROWINGER. Von der zuerst geschaffenen Machtsphäre zwischen Rhein und Loire aus leitete er die Expansion in den Süden Galliens ein. Damit und namentlich auch mit seiner politisch relevanten Konversion zum Katholizismus ist er zum Begründer des großfränkischen Reiches geworden. Seine Nachfolger setzten die Ausdehnung nach Süden fort, gleichzeitig erweiterten sie mit ersten Gewinnen im rechtsrheinischen Germanien das Franken-Reich erheblich. Vordergründig ist das Ende des 6. Jh. durch die Bürgerkriege zwischen verschiedenen Reichsteilen geprägt. Dahinter stehen aber entscheidende Prozesse und Entwicklungen: die Ablösung der Reichsteile durch die Teilreiche Austrien/Austrasien, Neustrien und Burgund und der folgenreiche Aufstieg des fränkischen Adels. Nach der Zäsur von 613 gab es wie zur Zeit Chlodwigs wieder ein Einheitskönigtum. Es konnte noch wirksam regieren, doch war seine Machtstellung eingeschränkt. Auch ging der Außenbesitz schon deutlich zurück. Die Kämpfe heftig miteinander ringender Adelsgruppen endeten 687 mit dem Sieg der ARNULFINGER/PIPPINIDEN, der Vorläufer der KAROLINGER. Von da an waren sie die beherrschende Kraft im Franken-Reich, die merowingische Dynastie führte nur mehr ein Schattendasein. - Als deutlich voneinander abgehobene Phasen in der politischen Geschichte der MEROWINGER-Zeit ergeben sich: die Zeit der Gründung, Konsolidierung und ersten Krisen des Reiches bis zum neustrischen Einheitskönigtum (482-613) sowie die Zeitspanne von 613 bis 687, die durch die neue Einheitsmonarchie, den Niedergang des Königtums und die Kämpfe des Adels geprägt ist.

a) Begründung, Konsolidierung und Rückgang des fränkischen Reiches:
Chlodwig folgte 482 seinem Vater als salfränkischer Teilkönig von Tournai nach, wobei aus Gregor von Tours und späteren Quellen hervorzugehen scheint, daß seine Herrschaft auf fränkisches Geblütsrecht beruhte. Gegenüber dieser gentilen Herrschaftsgrundlage tritt seine von der romanischen Führungsschicht (Remigius von Reims) betonte römische Provinzstatthalterschaft der Belgica II zurück. Bald wandelte sich die Partnerschaft mit den römischen Machtträgern in Nord-Gallien in kriegerische Auseinandersetzung: Ermutigt wohl durch den Tod des Westgoten-Königs Eurich (484), zerschlug er 486/487 das Reich des Syagrius, des Sohnes von Aegidius. Chlodwig beseitigte mit seinem Sieg, der ihn zum unmittelbaren Nachbarn der Westgoten und Alamannen werden ließ, die Reste römischer Herrschaft und bekam die Gefolgsleute (bucellarii) des Besiegten und reiche Fiskalgüter in die Hand.
In planmäßigem Ausbau organisierte er die Herrschaft im eroberten Land (an der Seine und zwischen Seine und Loire). Die Frage, in welchem staatsrechtlichen Rahmen die fränkische Machtexpansion erfolgte, kann als abgetan gelten. Der MEROWINGER kümmerte sich nicht um das Imperium, der Ausbau des salischen Königtums ist das verfassungsgeschichtlich Bedeutungsvolle der Vorgänge.
Ein Jahrzehnt nach Chlodwigs Regierungsantritt trat das fränkische regnum in den Kreis der germanisch-romanischen Großreiche ein. Zunächst in das Bündnissystem des Königs der Ostgoten, Theoderich, eingebunden, wandte sich Chlodwig bald gegen enge Bündnispartner Theoderichs: die Westgoten und die Burgunden (496-500). Auch die nach einem Sieg über die Alamannen 498 oder 499 vollzogenen Konversion zum katholischen Christentum macht eine politische Option des fränkischen Königs deutlich, in deren Konsequenz Chlodwig 507 den Westgoten-König Alarich II., einen Schwiegersohn Theoderichs, besiegte und damit ganz Aquitanien seiner Herrschaft hinzufügte. Die Stellung Chlodwigs als mächtigster Herrscher in Gallien kommt sinnfällig zum Ausdruck in der Ehrung durch die Gesandten des Kaisers Anastasios I. mit Verleihung des Ehrenkonsulats und des akklamatorischen Zeremoniells (Tours 508), die den König der Franken neben Theoderich stellte. Doch konnte das ostgotische Heer den Franken zunächst den Zugang zum Mittelmeer (Provence, Septimanien) versperren. In den letzten Jahren seiner Regierung betrieb Chlodwig vorrangig die innere Konsolidierung seines Reiches. Auch vervollständigte er seine Herrschaftssphäre durch die Beseitigung des rheinfränkischen Königshauses in Köln und - wenn nicht schon 486/487 - durch die Inbesitznahme verbliebener Herrschaftsbereiche saliischen Kleinkg.e in Nord-Gallien.
In Anwendung des germanischen Teilungsprinzips wurde das Franken-Reich nach Chlodwigs Tod 511 unter seine vier Söhne Theuderich I., Chlodomer, Childebert I. und Chlothar I. geteilt. In Reichsteile, die an den Städten Reims, Orléans, Paris und Soissons als sedes regiae orientiert waren, aufgegliedert, blieb das Franken-Reich staatsrechtlich eine Einheit. Jeder der Teilkönige war rex Francorum und erhielt einen Anteil an der Francia, dem fränkischen Kernland zwischen Rhein und Loire, dazu einen gesonderten Anteil an Aquitanien. Beim Tod Chlodomers 524 wurden seine Söhne bei der Teilung übergangen, kraft Anwachsungsrechts folgten ihm zwei seiner Brüder. Wesentliche Verschiebungen in der Reichsstruktur brachte die zweite fränkische Expansion. Im rechtsrheinischen Germanien gelangte 531 Thüringen in fränkische Abhängigkeit. Im Süden konnte der ostgotische Einfluß erheblich eingeschränkt werden: 534 erlag das burgundische Reich (Burgunder) dem wiederholten Angriff der MEROWINGER; 536 sah sich der ostgotische König Witigis gezwungen, den Franken die Provence und ehemals alamannischen Gebiete zu zedieren. Theudebert I. von Reims (533-547) war in den beiden Generationen nach Chlodwig der bedeutendste Herrscher. In weitgreifender Politik verfolgte er die Eroberung Italiens, in seiner herrscherlichen Präsentation und in seiner Wendung gegen Byzanz zeigte er imperiale Aspirationen (siehe auch Byzantinisches Reich, F. I). Zu seiner Herrschaft über Alamannien fügte er die rätischen und große Teile der norischen Provinzen sowie Ober-Italien. Durch dynastischen Zufall war das fränkische Reich kurzzeitig unter Chlodwigs jüngstem Sohn Chlothar I. wiedervereinigt (558-561).
Mutatis mutandis wurde nun wie 511 verfahren, so daß wieder eine Aufgliederung in die Reichsteile Paris, Orléans, Reims und Soissons erfolgte, die an die erbberechtigten Söhne Charibert, Gunthram, Sigibert I. und Chilperich I. fielen. Nach dem frühen Tod Chariberts 567 setzte sich die für die künftige Struktur des Gesamtreichs bestimmende Dreiteilung durch. Im Verlauf der und im Anschluß an die Bürgerkriege, die vorrangig zwischen Sigibert I. († 575) und Chilperich I. († 584) geführt wurden, kam es nach dem Tod der beiden jeweils de facto zu adligen Regentschaften in ihren Reichsteilen. Als Senior der Familie konnte Gunthram durch die Vormundschaft über seine Neffen Childebert II. (Reims) und Chlothar II. (Soissons) nun einen Vorrang geltend machen und durchsetzen. Primär war seine Politik auf eine enge Verbindung mit Reims gerichtet. Die Einsetzung Childeberts II. zu seinem Erben und der 586 mit Sigiberts Witwe Brunichild geschlossene Vertrag von Andelot, der noch einmal auf Eindämmung des Adels zielte, veranschaulichen dies. In den Bürgerkriegen hatte sich die Dreiteilung verfestigt, aus den Reichsteilen wurden nun Teilreiche, und es bildete sich eine Ländertrias aus. Austrien/Austrasien, das Ostland an Rhein und Maas, ging in seinen Grundlagen auf den 511 konstituierten Reichsteil Reims zurück, die Residenz wurde von Reims nach Metz verlegt, Neustrien, mit dem Zentrum Paris, entstand aus der Verbindung der Reichsteile Soissons und Paris (567), Burgund aus derjenigen von Orléans mit dem früheren Burgundenreich, das Gunthram 561 zugefallen war. Hier wurde die Hauptstadt von Orléans nach Chalon-sur-Saône verlegt. In dieser Zeit wurde endgültig auf außenpolitische Aktivitäten verzichtet und wurden vorgeschobene Positionen aufgegeben (Italien).
Als 593 beim Tod Gunthrams Childebert II. vereinbarungsgemäß auch die Regierung Burgunds übernahm und die austrasische Linie damit das erdrückende Übergewicht erhielt, schien eine entscheidende Voraussetzung für die Wiederherstellung der Herrschaftseinheit und die Eindämmung der Aristokratie gegeben. Doch blieb die Union Austrasien-Burgung wegen des frühen Todes von Childebert II. († 596) Episode. Die beiden Teilreiche kamen an Childeberts Söhne Theudebert II. und Theuderich II. Als Vormund ihrer beiden Enkel versuchte die Königin Brunichild die Durchsetzung eines anachronistisch gewordenen Programms, die Macht der Monarchie zu stärken und die des Adels zu bändigen. Schließlich scheiterte sie an den burgundischen und den austrasischen Großen. Unter Arnulf von Metz und Pippin der Ältere, den Stammvätern der KAROLINGER, riefen die letzteren den Neustrier Chlothar II. herbei, um sich ihm zu unterstellen. Das neu errichtete Einheitskönigtum unter Chlothar II. (613-629) und seinem Sohn Dagobert I. (629-638/639) kam noch zu wirksamer Regierung, ohne jedoch eine Wiederherstellung der königlichen Machtfülle zu erreichen. In Anknüpfung an Chlodwig wurde Paris Reichsresidenz, dessen eigtlicher Aufstieg mit Dagobert begann. Noch mehr als bisher wurden außenpolitische Vorposten zurückgenommen. Die Machtkonstellation und die Verfassungssituation im Reich werden durch das bedeutsame Edictum Chlotharii (614) erhellt. Zwar konnten der Krone wichtige Befugnisse (Bischofseinsetzung) erhalten werden, doch war die Einführung des Indigenatsprinzips bei der Grafenbestellung eine klare Konzession an die Großen. Folgerichtig gestand der König den Teilreichen eigene Hausmeier zu. In deutlichem Gegensatz zu der Politik der 70er und 80er Jahre nahm Austrasien - 623 wurde hier Dagobert I. als Unter-König eingesetzt - eigenes Profil an, Neustrien und Burgund auf der anderen Seite wuchsen immer stärker zusammen. Beim Tod Chlothars II. war es dem Einfluß frankoburgundischer Großer zu verdanken, daß Dagobert I. im Gesamtreich nachfolgen konnte. Die scheinbar marginale Maßnahme, dem jüngeren Bruder Charibert ein Unterkönigreich Toulouse einzurichten, läßt offenbar eine neue Reichskonzeption erkennen, bei der erstmals von dem Grundsatz abgewichen wurde, daß jeder MEROWINGER ein rex Francorum sein und über einen Anteil an der Francia verfügen müsse. Das Unterkönigrrich Aquitanien erwies sich - zunächst - als kurzlebiges Gebilde, anders verhielt es sich bei dem Unterkönigreich Austrasien, das Dagobert unter Berücksichtigung einheimische Autonomiewünsche und außenpolitische Notwendigkeiten 633 für seinen Sohn Sigibert III. einrichtete. Als bald darauf ein zweiter Sohn, Chlodwig II., geboren wurde, traf Dagobert I. auf Drängen der Neustrier eine Erbverfügung im Sinn des alten Teilungsprinzips: Austrasien wurde für Sigibert III., Neustrien und Frankoburgund für Chlodwig II. vorgesehen.
Die neuen Könige führten keine eigene Regierung mehr, sondern waren völlig von ihren Hausmeiern abhängig. In Austrasien ließ Pippins des Älteren Sohn Grimoald, der wie sein Vater Hausmeier war, seinen Sohn von dem zunächst söhnelosen Sigibert III. adoptieren. Nach dem Tod des Königs (656) griff Grimoald nach der höchsten politischen Macht. Doch scheiterte er nach wenigen Jahren, der pippinidische Mannesstamm erlosch mit ihm, die ARNULFINGER wurden Erben der pippinidischen Hausgüter. In Neustrien-Burgund versuchte die energische Königin Balthild nach dem Vorbild Brunichilds und Dagoberts I., Elemente einer zentralen Monarchie durchzusetzen; der von ihr herangezogene Hausmeier Ebroin betrieb eine schroff gegen die Aristokratie gerichtete neustroburgundische Einheitspolitik. In einer nach der Ausschaltung Balthilds (um 665) bald einsetzenden völligen Anarchie waren die Könige nur noch Schachfiguren, zumal der Versuch Childerichs II., sich gegen Gewährung einer Freiheitscharta (673) im Gesamtreich durchzusetzen, scheiterte. Die eigtlich Handelnden waren Ebroin und der ARNULFINGER Pippin der Mittlere. Nachdem Ebroin 680/681 einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, konnte sich Pippin endgültig durchsetzen. Nach seinem Sieg über die Neustrier bei Tertry (687) gewann er mit König Theuderich III. faktisch die Herrschaft über das ganze Franken-Reich.

b) Reichsstruktur; Institutionen und Administration; soziale Gliederung:
Im ersten Abschnitt der Beziehungen zwischen Franken und Romanen grundgelegte Faktoren wurden in der MEROWINGER-Zeit voll ausgeprägt. Das Zusammenwirken zwischen fränkischem König und einheimiischer Oberschicht, dem romanischen Senatorenadel, wurde zum bestimmenden Strukturelement. Doch hatte sich das Franken-Reich über den ethnischen Dualismus hinaus durch seine Gebietserweiterungen zu einem Vielvölkerstaat gewandelt, zu dem außer dem fränkischen Reichsvolk und den Romani die germanischen Großgentes der Alamannen, Thüringer und Burgunden gehörten. Eine feste Sprachgrenze hatte sich noch nicht ausgebildet. Zwischen den vorwiegend germanischen (rechts des Rheins) und romanischen (Rätien, Gebiete südlich der Loire) bestimmten Bereichen gab es eine breite Mischungszone zwischen Rhein und Loire. In diesem Raum befindet sich das Siedlungsgebiet der Franken. Diese hatten sich kompakt zwar nur im Norden und Osten niedergelassen, doch ging schon früh der Name 'Francia' auf dieses Gebiet über. Politisches Kernland im 6. Jh. war das dieser Zone vorgelagerte Gebiet, hier befanden sich die sedes regiae, die Ausgangspunkte der Reichsteile. Offenbar sollte damit die ideelle und rechtliche Bindung der Königsherrschaft an die Francia dokumentiert und die Verwirklichung einer solchen Konzeption in einer Samtherrschaft (Brüdergemeinschaft) des merowingischen Hauses ermöglicht werden. Die Vorstellungen, das Reich gehöre dem merowingischen Haus, lassen sich im ganzen 6. Jh. verfolgen. Doch am Ende dieses Jh. erfolgte die Herausbildung der Teilreiche aus den Reichsteilen. Da durch die Teilungspraxis die schon lange bestehende Sonderung eines Galliens nördlich der Loire von dem Süden noch akzentuiert worden war, hatten zwei, in der Praxis alle drei Teilreiche ihren Schwerpunkt im Norden. - Zur Rechtsentwicklung Fränkisches Recht, ferner die Beiträge zu einzelnen Rechten (Leges) der fränkischen (zum Beispiel Lex Salica) wie der romananischen (zum Beispiel Lex Romana Burgundionum) Reichsbevölkerung.
Unter den Institutionen war das Königtum der zentrale Faktor. Die überkommene heidnische Herrschaftssymbolik wurde auch nach der Übernahme des Christentums nicht aufgegeben (Schilderhebung, feierliche Thronbesteigung und Umfahrt im Reich bei Herrschaftsantritt). Verbunden ist mit diesen Vorstellungskreisen das Königsheil. Mit diesem ist auch das Prinzip der Reichsteilung in Verbindung gebracht worden, das unter rechtsgeschichtlichem Gesichtspunkt als Ausfluß des Geblütsrechts gesehen wird. Innerhalb der Teilreiche sind sowohl das Recht der Sohnesfolge (Repräsentations-, Eintrittsrecht) als auch das der Brüdergemeinschaft (Anwachsungsrecht) praktiziert worden. Es wurde schon erwähnt, daß seit dem Beginn des 7. Jh. Tendenzen zur Brechung des Teilungsgrundsatzes festzustellen sind. Bei Balthild, Ebroin und den ARNULFINGERN sind sie fortgeführt worden. - Grundlage der königlichen Herrschaft war der Bann (Friedens-, Verwaltungs-, Verordnungsbann). Hohe Bedeutung hatten in diesem Zusammenhang der Königsfrieden (Frieden), der eo ipso für bestimmte Personen und Gemeinschaften bestand, sowie der auf Kommendation beruhende Königsschutz. Strukturelle Unterschiede konnte das Kgtm. nicht ausgleichen. In Austrasien behauptete sich das Märzfeld (Maifeld) mit eigenen rechtlichen und politischen Kompetenzen, in Neustrien und Burgund wurde es durch die Großenversammlung (placitum) ersetzt. Die von den civitates ausgehenden autonomen Bischofsherrschaften (Bischof, Bischofssitz) wurden, ausgehend von spätantiken Vorformen, in der späten MEROWINGER-Zeit zu einer mit der Königsherrschaft konkurrierenden Verfassungsinstitution, so daß - überspitzt - von einem parataktischen Herrschaftsgefüge im Reich (Prinz) gesprochen wurde. Im Bereich der Zentralverwaltung wirkten zunächst römische Taditionen fort. Im 6. Jh. hatten einflußreiche römische Minister faktisch die Stellung von magistri officiorum inne, in Frankoburgund sind sie bis zu Gunthram als zentrale patricii nachweisbar. Nach römischem Muster war die von den Referendaren geleitete Kanzlei organisiert, die Königsurkunde knüpfte formal an das spätantike Kaiserreskript an. Vorsteher des königlichen Hauses war der ebenfalls in der spätrömischen Tradition stehende Maiordomus (Hausmeier). Bei der Transformation von Hausherrschaft in Reichsherrschaft wurde der Hausmeier ab 600 zum mächtigsten Mann im Staat. Der Aufstieg in die Königsnähe ist klar zu verfolgen, bei den ARNULFINGERN findet er seinen Niederschlag in Titulatur und Urkunden. - In der Lokalverwaltung blieben in der Provence und in Rätien zunächst die römischen Institutionen intakt. Traditionell ist in der Forschung die Unterscheidung zwiischen süd- und westgallicher Civitaszone mit dem comes civitatis an der Spitze und der nord- und ostgallischen Paguszone (pagus). Auch wenn nach neueren Detailuntersuchungen stärker differenziert werden muß, kann wohl am Gesamtbefund festgehalten werden. Bisweilen waren mehrere civitates oder pagi zu einem Dukat zusammengefaßt. Die Kompetenzbereiche von comites und duces sind kaum zu unterscheiden. In der Paguszone begegnen neben den comites noch grafiones und centenarii. Ursprünglich wohl lokaler militärischer Befehlshaber, nahm der grafio die Ausführung der im Thing (Ding) vom thunginus gefällten Entscheidung in die Hand und erlangte ab Ende des 7. Jh. eine comes-gleiche Stellung. Abzuheben von den Dukaten (Dux, Dukat) des Franken-Reiches sind die als militärischen Statthalterschaften organisierten großen rechtsrheinischen Stammesgebiete der Alamannen, Bayern und Thüringer. Die Auffassung, die Grafschaftsverfassung sei schon im 6. Jh. in die rechtsrhein. Gebiete übertragen worden (Schulze), stößt auf verbreitete Skepsis (siehe auch Graf, -schaft).
Im Sozialwesen haben sich wieder im Süden die antiken Strukturen (Senatorenadel mit Großgrundbesitz, possessores mit mittlerem Besitz, bäuerl. Kolonen; Stadtkultur) ungebrochen gehalten. Zur Frage eines fränkischen »Uradels« ist die rechtliche Situation zu berücksichtigen. Die Lex Salica kennt als Normaltyp des vollberechtigten Franken den Freien (liber; ingenuus) und kein besonderes Adelswergeld. Dies mag die Wirklichkeit in den ersten Generationen des MEROWINGER-Reichs spiegeln. Doch durch die sich namentlich in der Heraushebung des Königsdienstes (Antrustionen; convivae regis) abzeichnende Mobilität ist es vielleicht schon Ende des 6. Jh. zu einer klarer faßbaren fränkische Adelsschicht gekommen. Im 7. Jh. jedenfalls waren germanisch-fränkischen und romanischen Aristokraten zu einer einheitlichen Oberschicht verschmolzen. Ihr galten die Konzessionen des Königtums. Wichtig sind die Verbindungen des Königtums und des Adels zur entscheidende Impulse vermittelnden Kraft des irofränkischen Mönchtums. Daß Gruppen der Bevölkerung durch ein besonderes Muntverhältnis zum König Königsfreie waren, war lange herrschende Lehre, wird aber immer stärker abgelehnt. Unter der Schicht der Freien erscheinen in der ständischen Gliederung die in [1] b angeführten Schichten. Die aus spätrömischen Formen der Grundherrschaft erwachsene merowingische Immunität wurde eine wesentliche Basis des neuen Adels. Hoch zu veranschlagen ist die Bedeutung, die der gesellungsrechtlichen Schwurfreundschaft zukam.

[3] Ausblick:
687 hat sich als Zäsur in der Geschichte des Franken-Reichs erwiesen. Als Hausmeier bestimmten die ARNULFINGER/PIPPINIDEN die Politik, hielten das Auseinanderfallen des Reiches auf, wehrten die arabische Bedrohung ab und fügten den Süden Galliens (wieder) voll dem Franken-Reich ein. Mit der Zerschlagung der Bischofsstaaten beseitigten sie Elemente eines parataktischen Herrschaftsgefüges. Erste Ansätze des Feudalwesens prägten sich aus. Das angelsächsische Benediktinertum trat an die Stelle der Irofranken (Angelsächsische Mission). An diesem historischen Ort ist die große Kirchenreform (Willibrord, Bonifatius) und ihr Werk, die romverbundene fränkische Landeskirche, zu sehen. Mit der Verbindung von Adel, Kloster und Eigenkirchen wurden spezifisch mittelalterliche Strukturelemente sichtbar. Im Verhältnis der Hausmeier zum Königtum zeigten sich ebenfalls in die Zukunft weisende Veränderungen. Die Hausmeier machten den Teilungen des Reiches unter mehrere Könige ein Ende. Doch bot sich die wiederhergestellte Einheit nur noch fiktiv im Königtum dar. 737 ließ Karl Martell den Thron schon unbesetzt. Aus politischer Opportunität setzten seine Söhne 743 noch einmal einen MEROWINGER ein. Mit der schließlichen Ablösung des merowingischen Königtums 751 durch Pippin den Jüngeren wurde legalisiert, was seit 687 Wirklichkeit war: Aufstieg, Macht und Herrschaft der neuen Dynastie der KAROLINGER.

H.H. Anton



II. Karolingerzeit:

[1] Die Zeit des Übergangs:
Der Übergang von den MEROWINGERN zu den KAROLINGERN geht über die Bedeutung eines Dynastiewechsels weit hinaus: er führt zur Erneuerung des Franken-Reichs, die seine Erweiterung zum großfränkischen Reich nach sich zieht, in dem Europa zum erstenmal Gestalt gewinnt. Er leitet damit politisch, religiös, sozial und kulturell eine neue Epoche der Weltgeschichte ein.
Der Übergang wurde vorbereitet durch den Aufstieg des karolingischen Hauses aus dem Maas-Mosel-Gebiet, das mit Arnulf von Metz und Pippin dem Älteren an die Spitze des austrasischen Adels trat. Arnulf und Pippin (der Ältere) bilden die Spitzenahnen der später KAROLINGER genannten ARNULFINGER bzw. PIPPINIDEN, die durch die Heirat von Arnulfs Sohn Ansegisel und Pippins Tochter Begga die Macht des Hauses begründeten. Als Führer des austrasischen Adels versuchten sie im Kampf gegen die zentralistischen Bestrebungen der Königin Brunichild die Eigenmacht des Adels zu behaupten: Es geht vor allem auf sie zurück, daß Brunichilds erfolgreicher Rivale, König Chlothar II. von Neustrien, sich die Anerkennung im Gesamtreich durch das Edictum Chlotarii von 614 erkaufen mußte, in dem er die Rechte der lokalen Gewalten bekräftigte. Seitdem stieg die Macht der KAROLINGER ständig an. Ansegisels und Beggas Sohn Pippin II., der Mittlere, der sich »dux Austrasiorum« und »princeps Francorum« nannte, setzte sich mit seinem Sieg bei Tertry (687) über den neustrischen Hausmeier im Gesamtreich durch, in dem er »singularem obtinuit principatum« (Ann. Mett.). 689 besiegte er den Friesen-Herzog Radbod in Wijk bei Duurstede und erweiterte damit den fränkischen Machtbereich bis zum Niederrhein. Er verlor aber auch den Westen nicht aus dem Blick und konnte seine Autorität im gesamten Reichsgebiet verstärken.
Da seine legitimen Söhne bereits vor ihm gestorben waren, brach bei seinem Tod im Jahre 714 eine schwere Krise aus (Aufstand der Neustrier im Bunde mit Friesen und Sachsen), die überraschend durch Pippins Friedelsohn Karl beendet wurde, der den von Pippin eingeschlagenen Weg als sein Erbe fortsetzte. Mit ihm tritt zum ersten Mal der Name 'Karl' in den Genealogien des nach ihm als 'KAROLINGER' bezeichneten Geschlechts auf. Karls große Stunde schlug, als die bedrängten Aquitanier und Neustrier ihn gegen einen neuen übermächtigen Feind zu Hilfe riefen: die von Spanien her vordringenden Araber. Sein Sieg bei Poitiers (Oktober 732), der die Araber zur Umkehr zwang, gehört zu den Ereignissen von weltgeschichtlichem Rang: Er brachte ihm mit dem Beinamen Martell ('der Hammer') über der Scheinherrschaft des MEROWINGER-Königs die tatsächliche Herrschaft im Franken-Reich ein und sicherte endgültig den Aufstieg der KAROLINGER.
Der Aufstieg wurde durch zwei Maßnahmen von grundlegender Bedeutung vorangetrieben. Die eine bezog sich auf die politischen und sozialen, die andere auf die kirchlichen Verhältnisse. Bereits unter Karl Martell zeichnen sich die Anfänge des Lehnswesens ab. Gegenüber der Königsgefolgschaft der Antrustionen waren der Adel und an seiner Spitze die Karolinger bemüht, sich mit Hilfe der aus der Unfreiheit aufsteigenden Vasallität eigene Klientelschaften zu bilden. Indem sie die Vasallität mit dem Treuegedanken verbanden und sie auf diese Weise in ein gegenseitiges Treueverhältnis verwandelten, hoben sie die Vasallität über die Sphäre der Unfreiheit hinaus und sicherten sich in ihr eine wachsende Anhängerschaft, die sie mit Lehen ausstatteten. Und da die KAROLINGER als Hausmeier dabei auch auf Königsgut und Kirchengut zurückgreifen konnten, gewannen sie einen wesentl. Vorsprung vor den übrigen Adelsherrschaften. Von besonderer Bedeutung war dabei der Rückgriff auf Kirchengut, das nach Kirchenrecht unveräußerbar war, weshalb es nur als Leihe (beneficium) ausgegeben werden konnte. Die Belehnung erfolgte formal auf königliche Anweisung unter dem Rechtstitel der 'precaria verbo regis' (Prekarie). Diese zukunftweisende Praxis, die jedoch auf eine Säkularisierung des Kirchenguts hinauslief und daher von kirchlicher Seite zum Teil verurteilt wurde, ermöglichte es Karl und seinen Nachfolgern, Kriegerschaft und Adel mit Lehen auszustatten und sie damit zugleich an sich zu binden. Vasallität und Lehnrecht wurden seitdem zu einem Mittel staatlicher Integration, das für das ganze Mittelalter bestimmend blieb.
Neben den Kriegern gewann Karl Martell wichtige neue Helfer in den angelsächsischen Missionaren (Angelsächsische Mission). an ihrer Spitze Willibrord und Bonifatius, zu denen sich aus dem westgotischen Spanien Pirmin hinzugesellte. Sie setzten ihr Werk unter Karls Nachfolgern, Karlmann und Pippin, fort - mit dem Ergebnis der Christianisierung Germaniens und dessen innerer Angleichung an das F. (vgl. C. 2). Und ein weiteres wichtiges Faktum: Sie vermittelten den KAROLINGERN die Verbindung mit dem Papsttum in Rom.

[2] Aufstieg zum Königtum und Bund mit dem Papsttum:
Seit 737, dem Tod Theuderichs IV., hatte Karl Martell ohne König, aber im Namen des verstorbenen Königs regiert, nach der Formel Papst Gregors III. als »vice regulus«. Die Erinnerung an den gescheiterten Staatsstreich Grimoalds von 656 mochte ihn davon abhalten, selbst nach der Krone zu greifen, doch teilte er das Reich vor seinem Tod (741) wie ein König unter seinen Söhnen Karlmann und Pippin (III., dem Jüngeren) auf. Empörung erst ihres Halbbruders Grifo, dann der Bayern, Alamannen und Aquitanier, die sie gemeinsam niederwarfen, offenbarten, daß sie der königlichen Autorität bedurften, um den widerspenstigen Adel im Zaum zu halten. Zu diesem Zweck setzten sie 743 in dem MEROWINGER Childerich III. einen neuen König ein. Sein Königtum gab ihrer eigenen Herrschaft die notwendige Festigkeit. Sie ermöglichte ihnen als ihre bedeutendste gemeinsame Leistung die Neuorganisation der fränkischen Reichskirche, die sie mit Hilfe der angelsächischen Missionare und insbesondere ihres Vorstreiters Bonifatius durchführten (vgl. C. 3). Bei diesen Bestrebungen traten zunehmend Franken neben die Angelsachsen, auch stellten sich Widerstände von seiten des fränkischen Adels ein, und zwischen den karolingischen Brüdern zeigten sich Zeichen aufkeimender Rivalität. Nach dem Rückzug Karlmanns ins Kloster auf dem Monte Soracte konnte Pippin, nun Hausmeier im gesamten Reich, die Früchte der gemeinsamen Bemühungen ernten.
Da Pippin die Kirche wie den Adel auf seiner Seite wußte, wagte er 751 den Griff nach dem Königtum. Voraussetzung dafür war die Absetzung der MEROWINGER. Für sie versicherte er sich auf einer Volksversammlung der Zustimmung des Volkes. Um den fehlenden erbrechtlichen Anspruch auszugleichen, holte Pippin die Unterstützung des durch die Wirksamkeit der angelsächsischen Missionare in seiner Autorität außerordentlich gestärkten Papsttums ein. Er ließ bei Papst Zacharias anfragen, ob es gut sei, daß bei den Franken ein König ohne Macht regiere oder nicht - worauf der Papst in Form eines päpstlichen Weistums antwortete, daß es besser sei, jener heiße König, der die Macht habe, als jener, der ohne königliche Macht sei (Ann. regni Franc. ad 749). Und mit der augustinischen Begründung »damit die Ordnung nicht gestört werde«, befahl er (iussit) kraft päpstlicher Autorität, daß Pippin König werde. Gemäß dieser päpstlichen Weisung wurde Pippin wohl noch Ende 751 auf einer Reichsversammlung in Soissons »secundum morem Francorum« zum König gewählt und anschließend als erster fränkischer Kg. von fränkischen Bischöfen gesalbt (Salbung). Die Neuerung war bedeutungsvoll: Ihr Sinn lag darin, den Mangel des fehlenden königlichen Geblüts auszugleichen, indem sie den König nach alttestamentarischem Vorbild eine kirchlich-sakrale Legitimation verlieh. Sie hob ihn als »Gesalbten des Herrn« über die Schar der Laien empor und wies ihn als »König von Gottes Gnaden« aus. Damit war das Gottesgnadentum (F. Kern) begründet, das die weitere Geschichte des Königtums bestimmt.
Es ist bedeutsam, daß der ersten Salbung durch die fränkische Bischöfe bald (754) eine zweite folgte, und zwar durch den Papst. Der von den Langobarden bedrängte Nachfolger des Zacharias, Stephan II., wandte sich, da byzantinische Hilfe ausblieb, an König Pippin, der ihn nach Verhandlungen durch fränkische Unterhändler in Rom in das Franken-Reich einlud. In der Pfalz Ponthion schlossen König und Papst am 6. Januar 754 Schwurfreundschaft mit der doppelten Folge, daß Pippin dem Papst die Restitution der von den Langobarden besetzten, vormals byzantinischen Gebiete zusagte (14. April 754 in Quierzy), während der Papst anschließend in St-Denis eine erneute Salbung vornahm (Clausula de unctione Pippini), in die er auch Pippins Söhne einbezog und die Großen verpflichtete, nie einen König aus einem anderen Geschlecht zu wählen. Das heißt, daß das Gottesgnadentum, dem die Vorstellung des Königtums als eines von Gott verliehenen Amtes zugrunde lag, sich mit dem alten Geblütsgedanken verband, eine Verbindung, die für das karolingische Königtum charakteristisch bleibt. Die Folge wird sein, daß die KAROLINGER trotz der Verchristlichung des Königtums am alten germanischen Prinzip der Herrschaftsteilung festhalten werden. - Das karolingische Bündnis mit dem Papsttum war noch in anderer Hinsicht folgenreich: Es führte mit der Einlösung des Restitutionsversprechens Pippins nach zwei Italienzügen (754 und 756) zur Unterwerfung des Langobarden-Reiches und zur Begründung des Kirchenstaates, als dessen Rechtsgrundlage die in diesem Zusammenhang wahrscheinlich Pippin vorgelegte berühmte Fälschung der »Konstantinischen Schenkung« diente.
Angeregt durch seine Verbindung mit Rom gab Pippin den Anstoß zur Liturgiereform im Franken-Reich (Liturgie); er knüpfte auch bereits Verbindungen zu Byzanz und zum Islam und sicherte schließlich mit der endgültigen Unterwerfung Aquitaniens dessen Zugehörigkeit zum Franken-Reich. Vor seinem Tod (24. September 768) teilte er sein Reich unter seine beiden Söhne Karl und Karlmann auf.

[3] Erweiterung des Frankenreichs durch Karl den Großen und Erneuerung des Kaisertums:
Nach kurzer gemeinsamer, doch wenig einträchtiger Regierung mit seinem Bruder Karlmann, dessen Tod (4. Dezember 771) dem Reich den Bruderkrieg ersparte, setzte KARL DER GROSSE mit der Herrschaftsübernahme im Gesamtreich sogleich das Werk seines Vaters in Italien fort. Da der Langobarden-König Desiderius seine Expansionspolitik erneut aufgenommen hatte, setzte KARL ihn auf seinem 1. Italienzug (773/774) kurzerhand ab, machte sich selbst zum König der Langobarden und erneuerte auf einem Zwischenbesuch in Rom das Schenkungsversprechen seines Vaters von Quierzy. Seitdem nannte er sich »rex Francorum et Langobardorum atque patricius Romanorum«. Wie der Titel zeigt, wollte er als König der Franken und Langobarden zugleich Schutzherr der römischen Kirche sein (Patricius Romanorum). Er hat dies 781 durch eine erneute Bestätigung der Pippinischen Schenkung verstärkt zum Ausdruck gebracht und seinen Sohn Pippin noch eigens zum Unter-König von Italien ernannt. Angehörige des Reichsadels halfen ihm bei der herrschaftlichen Erfassung des Landes, wobei ihm das Lehnrecht dank der Bindungen, die es ermöglichte, wirkungsvolle Hilfe leistete. Während er noch mit der Regelung der italienischen Verhältnisse beschäftigt war, schaltete er sich, von dort zu Hilfe gerufen, in Spanien ein: im Jahre 778 unternahm er einen Feldzug gegen den OMAYYADEN-Emir 'Abdarrahman I. von Córdoba, der jedoch, da die erwartete Unterstützung im Land ausblieb, bereits vor Zaragoza abgebrochen wurde. Auf dem Rückzug fiel der Führer der fränkischen Nachhut, Markgraf Hruodland von der bretonischen Mark, den die Sage als Paladin KARLS verherrlicht hat (Rolandslied). Es ist charakteristisch für KARL DEN GROSSEN, daß er das einmal gefaßte Ziel der fränkischen Machtausweitung gleichwohl nicht mehr aus dem Auge verlor und in der Folgezeit von Aquitanien aus die fränkische Grenzverteidigung ausbaute (Katalonien).
»Den langwierigsten, grausamsten und anstrengendsten aller Kriege« hat KARL jedoch nach den Worten Einhards gegen die benachbarten Sachsen geführt. Er hat - mit Unterbrechungen - über 33 Jahre gewährt und die tiefgreifendsten und folgenreichsten Wirkungen im Franken-Reich ausgelöst. Als er 772 mit einem Feldzug, der zur Eroberung der Eresburg führte, begann, glich dieser noch den Strafexpeditionen, wie sie seit Karl Martell üblich waren. Bald zeichnet sich jedoch eine deutliche Verschärfung ab. Nachdem die Sachsen während des Italienaufenthalts des Königs die fränkischen Eroberungen rückgängig gemacht hatten, stieß KARL 775, diesmal von Düren aus, erneut gegen die sogenannte Weserfestung vor und warf die sächsischen Gaue bis nach Engern nieder - mit dem Ergebnis, daß das alte Spiel sich wiederholte, wobei die Kämpfe immer härter wurden, allmählich aber auch weiterreichende Ziele zu erkennen sind. Seit 776 wird deutlich, daß es um die Unterwerfung und Christianisierung des ganzen Stammes und um seine Eingliederung in das Franken-Reich ging. Der Reichstag von Paderborn von 777, der erste Reichstag auf sächsischem Boden, setzte bereits die Zugehörigkeit der Sachsen zum Franken-Reich und zum christlichen Glauben voraus: sie mußten sich durch Eide zur Treue zum fränkischen König und zu Christus verpflichten; ihr Land wurde in kirchliche Missionssprengel eingeteilt. Doch stellte sich heraus, daß zunächst wohl Teile des sächsischen Adels, noch längst aber nicht der Großteil des Volkes gewonnen war. Dessen Widerstand nahm vielmehr zu, als der 777 zum erstenmal erwähnte westfälische Adlige Widukind an seine Spitze trat. Daran änderte auch wenig, daß KARL 782 auf dem Reichstag von Lippspringe sächsische Adlige als Grafen einsetzte. Im Gegenteil: als im gleichen Jahr der fränkische Heerbann, den ein sächsisches Aufgebot verstärken sollte, gegen die aufständischen Slaven ausrückte, rief Widukind die Sachsen erneut zum Aufstand auf. Statt den Franken zu helfen, überfielen sie ihr Heer am Süntel aus dem Hinterhalt. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Und während Widukind fliehen konnte, ließ KARL die Empörer, deren er habhaft werden konnte, seine erbarmungslose Rache spüren: Nach dem Bericht der Ann. regni Franc. verfielen 4.500 aufständische Sachsen auf seinen Befehl bei Verden an der Aller dem Blutgericht. Die folgenden erbitterten Kämpfe sind bestimmt durch die »Capitulatio de partibus Saxoniae« (782), die jegliche Empörung gegen die Reichsgewalt und den Abfall vom Christentum unter die härtesten Strafen stellte. In diesen Kämpfen setzte sich die fränkische Übermacht immer stärker durch - was zugleich als Überlegenheit des Christengottes über die heidnischen Götter gedeutet wurde. Angesichts dieser Situation gab Widukind im Jahre 785 den Kampf auf und empfing mit seinem Waffengefährten Abbio in der Pfalz Attigny die Taufe. KARL ging daran, sich durch den Ausbau der kirchlichen Organisation der Christianisierung Sachsens zu widmen. Aber die Gegensätze waren so tief, daß sie nach siebenjähriger Ruhe 792 erneut in einem, allerdings auf die nordelbischen Sachsen begrenzten Aufstand zum Ausbruch kamen. KARL reagierte in der letzten Kampfphase in doppelter Weise, indem er einerseits mit gewohnter Härte zurückschlug und den Druck durch Massendeportationen noch verschärfte, andererseits aber unter dem Einfluß Alkuins die harten Bestimmungen der »Capitulatio« durch das mildere »Capitulare Saxonicum« von 792 ersetzte. Inzwischen war eine neue Generation herangewachsen, die von den ewigen Kämpfen nichts mehr wissen wollte. So klang der Krieg nach einer Dauer von 33 Jahren mit dem bedeutungsvollen Ergebnis aus, daß die Sachsen nach den Worten Einhards, »den christlichen Glauben annahmen und mit den Franken ein Volk wurden« - was der Sachse Widukind von Corvey später mit der Formel bekräftigte, daß Sachsen und Franken »gleichsam ein Volk aus dem christlichen Glauben« geworden seien (I, 15). Die Formel darf als eine gültige Bestätigung dafür gelten, daß KARLS Bemühungen um Sachsen ein voller Erfolg beschieden war: noch zu seinen Lebzeiten war offenkundig, daß die Eingliederung Sachsens in das Reich kirchlich und politisch in der Tat gelungen war.
Noch während der Sachsenkriege, neben denen die Züge nach Italien und Spanien einhergingen, hat KARL auch in Bayern klare Verhältnisse geschaffen und vor allem die Avarengefahr im Südosten aus der Welt geschafft. In Bayern mußte der AGILOLFINGER Tassilo III. den Versuch, sich der fränkischen Abhängigkeit zu entziehen, 788 mit seiner Absetzung bezahlen. Bayern wurde anschließend durch die Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung voll in das Reich integriert. Die Veränderung in Bayern tangierte auch dessen östlichen Nachbarn, die Avaren, die plötzlich in den unmittelbaren Einflußbereich des mächtigen Franken-Reichs gekommen waren. Hatte Tassilo noch mit ihnen paktiert, so stieß KARL im Gegenschlag gegen ihre Einfälle in mehreren Feldzügen (791, 795) bis in das Zentrum ihres Reiches in der Pußta-Ebene vor und zerstörte ihre Ringe, in denen er staunenerregende Schätze erbeutete (Avarenschatz). Damit war die Entscheidung gefallen; erneute Empörungen führten 811 zu einem letzten Feldzug KARLS, den das Reich der Avaren nicht überlebte. Sein Gebiet wurde den Kirchen von Salzburg, Passau und Aquileia zur Mission anvertraut und politisch als avarische Mark organisiert. Mit ihr, die die Vorstufe der späteren Ostmark (Österreich) bildete, griff das großfränkische Reich bis zur Raab und zum Plattensee aus.
Das Franken-Reich war in der Tat ein Großreich geworden, dessen Erweiterung mit der Ausbreitung des Christentums Hand in Hand gegangen war. KARL hatte sich nicht nur als patricius Romanorum, sondern als Schutzherr der gesamten westlichen Christenheit bewährt. Wenn Alkuin seine Herrschaft schon seit 795 als »Imperium Christianum« hervorhob, so brachte er damit zum Ausdruck, daß sein Reich mehr als ein regnum, eben ein imperium war, das zudem mit der (westlichen) Christenheit in Deckung stand. Er sprach damit offenbar die Auffassung des Hofkreises aus, die auch der Papst geteilt zu haben scheint, nachdem Byzanz der römischen Kirche schon seit langem nicht mehr den notwendigen Schutz gewährte. Als Leo III. 799 von römischen Gegnern überfallen wurde, suchte er deshalb den Franken-König in Paderborn auf, um seine Hilfe zu erbitten. KARL gewährte ihm einen feierlichen Empfang, ließ ihn dann nach Rom zurückgeleiten und zog im folgenden Jahr selbst in die Hl. Stadt, um an Ort und Stelle seines Amtes als patricius Romanorum zu walten. Am 23. Dezember 800 trat der Papst vor das Gericht und leistete einen Reinigungseid. Bevor man daraufhin seinen Angreifern den Prozeß machte, feierte man das Weihnachtsfest. Dabei setzte der Papst während der Christmette KARL die Kaiserkrone auf, während das anwesende römische Volk dem Kaiser durch feierlichen Zuruf akklamierte und die Geistlichkeit die Laudes sang (Krönung). Mit dieser »Anerkennung KARLS DES GROSSEN als Kaiser« (Schramm) war das mittelalterliche Kaisertum begründet: KARL hatte zu der die Könige überragenden Macht, die er schon längst gewonnen hatte, das nomen imperatoris, die kaiserliche Würde, hinzugewonnen.
Nach dem Bericht Einhards soll KARL DRE GROSSE sich über die Kaiserkrönung unwillig geäußert haben: Er wäre der Messe ferngeblieben, wenn ihm die Absicht des Papstes bekannt gewesen wäre. Diese Äußerung ist, wie wir heute wissen, nicht wörtlich zu nehmen, denn KARL wurde zweifellos nicht ahnungslos vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch das kunstvolle Zeremoniell muß vorher eingeübt worden sein. Seine Reserve kann sich daher nicht gegen die Krönung, sondern nur gegen ihre Form gerichtet haben, wobei ihm möglicherweise die führende Rolle des Papstes und die Mitwirkung der Römer nicht behagten; denn nicht sie, sondern die Franken stellten in seinen Augen das eigtliche Reichsvolk dar. Auch die Rücksicht auf Byzanz hat zweifellos eine Rolle gespielt. Wie wichtig ihm diese Fragen waren, läßt die Sorgfalt bei der Wahl seines neuen, auffallend komplizierten Titels erkennen, der nach dem Vorbild ravennatischer Urkunden gewählt war: »Karolus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus et pacificus imperator Romanum gubernans imperium qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum«. Der Titel hebt deutlich drei Grundelemente der neuen Würde hervor: er betont ihre Gottunmittelbarkeit (a Deo coronatus), vermeidet mit Bedacht die Bezeichnung »römischer Kaiser« und wählt stattdessen die Umschreibung »Kaiser, der das römische Reich regiert«, und behält schließlich bewußt den alten Königstitel bei: ein Hinweis auf die Machtgrundlagen, auf denen die neue Würde beruht. Die Formulierung hat sich in der Tat als geeignet erwiesen, mit Byzanz, das das Kaisertum für sich in Anspruch nahm, zu einer Einigung zu gelangen, die auf der Anerkennung des westlichen neben dem östlichen Kaisertum beruhte.
KARL wollte, gleichberechtigt mit Byzanz, der Kaiser des Westens sein, dessen Herr er schon vor der Kaiserkrönung war und den er in dem Maße, wie er ihn in seine Herrschaft einbezogen, auch für das Christentum gewonnen hatte. In der Folgezeit betont er mit dem fränkischen besonders den christlichen Charakter seines Reiches. In seinen Erlassen wird immer häufiger vom 'imperium christianum' und vom 'imperator christianissimus' gesprochen. Sein Hof, in den letzten Jahren im wesentlichen in Aachen lokalisiert, war nicht nur politisch, sondern auch geistig der Mittelpunkt seines Reichs, das jetzt mit Europa identisch war.

[4] Hof- und Reichsverwaltung; der Hof als geistiges Zentrum:
Die Konzentration auf die Pfalz in Aachen mit ihrer einzigartigen Marienkapelle, dem stolzesten Denkmal Karls, hat dem Ausklang seiner Herrschaft ihren bes. Glanz verliehen. Sie war freilich rein faktischer, nicht grundsätzlicher Natur. De iure blieben alle Pfalzen (Palast, Pfalz) potentielle Heimstätten des Königs und seines Hofes, der aus einem wechselnden Personenkreis bestand. Seinen Kern bilden die alten germanischen Hausämter, von denen das Amt des Hausmeiers jetzt allerdings aus einsichtigen Gründen verschwand, während Marschall, Kämmerer, Truchseß und Schenk bleibende Geltung erhielten (Hof, -ämter). Ihre Aufgaben wurden vom Hof auf das Reich ausgedehnt, so daß die Reichsverwaltung als verlängerte Hofverwaltung erscheint. Ihre Organisation hat KARLS Vetter Adalhard in seiner verlorenen, aber von Hinkmar v. Reims benutzten Schrift »De ordine palatii« beschrieben, in der nachdrücklich die Verbindung von Hof- und Reichsverwaltung sowie die Zweiteilung in einen weltl. und einen geistl. Teil hervorgehoben werden; von ihnen sind die geistlichen Ämter besonders charakteristisch, da sie die Vergeistlichung der schriftl. Verwaltung anzeigen, die mit dem Übergang der Herrschaft von den MEROWINGERN zu den KAROLINGERN Hand in Hand ging. An ihrer Spitze steht seit Pippin der oberste Kapellan (später Erzkapellan), das Haupt der Hofkapelle, die auch die Kanzlei unter der Leitung des Kanzlers umschließt. Der geistliche Kanzler löst den weltlichen Referendarius der MEROWINGER-Zeit ab, ist verantwortlich für das Beurkundungsgeschäft, für das ihm in der Regel mehrere, ebenfalls geistliche Notare zur Hand gehen, wird aber, ebenso wie der oberste Kapellan, auch für politische Aufgaben herangezogen. Beide stellen nicht anders als die Inhaber der weltlichen Hofämter Verbindungsglieder zu den Großen in den verschiedenen Regionen dar.
Für die Lokalverwaltung ist kennzeichnend, daß die KAROLINGER die Grafschaftsverfassung im ganzen Reich durchzusetzen suchten (Graf, -schaft). Man wird daran festhalten dürfen, daß diese unter den MEROWINGERN i.w. auf den Westen, wo sie sich an die röm. civitas anschloß, beschränkt geblieben war und ihre Ausbreitung im Osten, wo sie sich an den pagus anlehnte, im großen und ganzen den Karolingern zuzuschreiben ist. Dabei bleibt zu berücksichtigen, daß die Grafschaftsverfassung der Absicht nach zwar das ganze Reich erfassen sollte, daß sie es in Wirklichkeit aber nicht als ein »lückenloses Netz direkt aneinander grenzender Grafschaften« (Mitteis) überzogen hat, sondern ein System von Schwerpunkten bildete, von denen aus der Graf (comes) seine Macht als Königsrichter und Wahrer der Interessen des Königtums ausdehnte. Fähigere Inhaber des Grafenamtes setzten sich in der Regel in der ganzen Grafschaft, gelegentl. sogar in mehreren Grafschaften durch, schwächere mußten sich mit einem Teil begnügen. So blieben oft machtfreie Zwischenräume übrig, die dem Adel Gelegenheit zur Bildung eigener, immuner Herrschaften (Immunität) boten.
Damit die Grafschaften ihre Funktion im Sinne des Königtums erfüllten, war es nötig, daß sie dem König und seinem Hof verbunden blieben. Dieser Verbindung diente neben den Hof- und Reichsversammlungen (placitum) die besondere Institution der sogenannten Königsboten  (missi dominici), deren Anfänge bereits auf die MEROWINGER zurückgehen, die aber erst KARL DER GROSSE zu einer ständigen Einrichtung ausgebaut hat. Er hat 802 das Reich in feste missatica eingeteilt und jeweils einen geistlichen und einen weltlichen Großen beauftragt, ihren Sprengel zu bereisen, um hier nach den eigens für sie erteilten Instruktionen der Capitula missorum die Durchführung der kaiserlichen Beschlüsse zu überwachen und dem Kaiser darüber Bericht zu erstatten. So liefen am Hof alle Fäden aus dem Reich zusammen, um im beständigen Wechsel den Kontakt zwischen Hof und Herrschaft zu erneuern.
Es gehört zur Besonderheit des Hofes KARLS DES GROSSEN, daß er nicht nur der Mittelpunkt von Macht und Herrschaft, sondern auch das geistige Zentrum des Reiches und damit des werdenden Europa war. Wenn wir bereits unter König Pippin von einer Hofschule hören, so wuchs sie unter KARL DEM GROSSEN in neue Dimensionen hinein. Wesentlich dafür ist, daß KARL die führenden Gelehrten seiner Zeit um sich versammelte, an ihrer Spitze, seit 786, den großen Angelsachsen Alkuin, neben dem aus Italien die Lehrer Petrus von Pisa und Paulinus, bald auch der Langobarde Paulus Diaconus, der Ire Dungal, der Westgote Theodulf und andere eine intensive Wirksamkeit entfalteten. Ihre Herkunft zeigt an, daß man am KARLS-Hof das christliche und das antike Bildungserbe überall dort aufsuchte, wo es noch lebendig war: nicht nur in Süd-Gallien, sondern vor allem in Irland und England, Italien und Spanien, um es im Franken-Reich zu konzentrieren. Der sammelnden Gelehrsamkeit der Hofgelehrten und der von ihnen angeleiteten Schüler verdanken wir fast alle antiken Texte, die uns überkommen sind - dies vor allem deshalb, weil KARL den fränkischen Klöstern zur Pflicht machte, diese Texte abzuschreiben. Zur Sammlung kamen eigene Leistungen hinzu: In den fränkischen Skriptorien entsteht die karolingische Minuskel als Grundform der mittelalterlichen Schrift. Wie die Schrift, so wird auch die lateinische Sprache gereinigt; die Texte werden emendiert, so der Bibeltext durch Alkuin und Theodulf und andere. Das Ergebnis dieser Bemühungen, an denen KARL DER GROSSE selbst intensiven Anteil nahm und die schon bald durch Franken wie Angilbert, Adalhard und Einhard wesentlich gefördert wurden, findet seinen Niederschlag in einer neuen Blüte der Bildung, die von der Theologie und Liturgie über die Geschichtsschreibung bis hin zur Dichtung reicht. Wir fassen alle diese Leistungen unter dem Begriff der Bildungsreform KARLS DES GROSSEN oder auch der karolingischen Renaissance zusammen. Das Wesentliche daran ist, daß diese Kenntnisse nicht auf den Hof beschränkt blieben, sondern die Texte auf Anweisung KARLS den Klöstern und Stiftskirchen als Muster zum Kopieren, zur Aufbewahrung und zur weiteren Pflege übersandt wurden, so daß sie im ganzen Reich Verbreitung fanden. Tatsächlich bilden sie den Fundus, aus dem sich die geistige Bildung des werdenden Europa speist.

[5] Reichseinheit und Reichsteilungen 814-843:
Nach seiner Kaiserkrönung hatte KARL DER GROSSE mit besonderem Nachdruck den christlichen Charakter seines Imperiums betont. Aus ihm leitete er höhere Pflichten für den Herrscher wie für die Untertanen ab, denen er 802 einen neuen allgemeinen Eid abforderte, der dem Vasalleneid entsprach. Er verstärkte seinen Anspruch auf Gleichrangigkeit seines Reiches mit Byzanz, den er 812 vertraglich sichern konnte - ein Faktum, das ihm so wichtig wie die Kaiserkrönung war; denn die Anerkennung durch Byzanz dokumentierte ebenso den Rang wie die Einheit des ksl. Imperiums, das als 'imperium occidentale' neben das 'imperium orientale' trat. Kein Zweifel, daß ihm an der Einheit des Reiches gelegen war. Dem widerspricht nur scheinbar, daß KARL, als er 806 eine divisio regnorum unter seinen drei Söhnen anordnete, das Kaisertum unberücksichtigt ließ; denn die Söhne wurden zunächst nur als Könige behandelt, und da nach germanischer Auffassung nicht der einzelne König, sondern das Königshaus regierte, blieben sie im corpus fratrum vereint. Die Verfügung über das Kaisertum wurde offenbar nur zurückgestellt. Die Teilung wurde jedoch nicht realisiert, da seit 811 nur noch KARLS jüngster Sohn LUDWIG (DER FROMME) am Leben war, der als einziger Erbe nun auch Kaisertum und Königtum wieder vereinigen konnte. So wurde er 813 zum Mitregenten erhoben. Auf Anweisung KARLS setzte er sich in der Marienkapelle in Aachen selbst die Kaiserkrone auf.
Obwohl damit beim Tode KARLS (814) die Nachfolge geregelt war, trat mit dem Herrscherwechsel sogleich eine veränderte Atmosphäre ein: Am Hof zogen neue Berater und strenge Sitten ein; Maßstäbe der kirchlichen Reform gewannen die Oberhand; sie kündigen eine Wandlung im Verhältnis von Reich und Kirche an, deren Einfluß zuzunehmen beginnt. Vor allem kirchlichen Interessen bewogen LUDWIG bereits 817 zum Erlaß einer neuen Thronfolgeordnung, der sogenannten ordinatio imperii, in der es letztlich um die Stärkung des Einheitsprinzips gegenüber dem Teilungsgedanken ging: die 'unitas imperii' sollte der 'unitas ecclesiae' entsprechen. Dementsprechend sollte die Kaiserwürde ungeteilt auf den ältesten Sohn LOTHAR übergehen; dessen beide jüngeren Brüder sollten sub seniore fratre Teilreiche erhalten, und zwar Pippin in Aquitanien, Ludwig in Bayern. LOTHAR wurde sofort zum Mit-Kaiser erhoben. Ihm sollte das alleinige Recht zustehen, das Reich nach außen zu vertreten. Damit schien das Einheitsprinzip gesichert, das Reich auf einer guten Bahn zu sein. Im Innern setzt eine neue Reformgesetzgebung mit einer Flut von Gesetzen ein, die aber bald wieder abflaute. Im Äußeren kündigten sich von mehreren Seiten Gefahren durch neue Feinde, vor allem die Normannen, an, auf die LUDWIG mit unverkennbarer Schwäche reagierte. So breitete sich selbst unter seinen Anhängern allmählich Unzufriedenheit aus.
Die Wende trat ein, als der Kaiser 829 auf Veranlassung seiner 2. Gemahlin, der WELFIN Judith, die ordinatio imperii von 817 selbst umstieß, um seinem nachgeborenen Sohn KARL (DEN KAHLEN) auf Kosten von dessen älteren Brüdern und ohne deren Zustimmung einen eigenen Reichsteil zuzuweisen. Die Verfügung löste die Empörung der betroffenen Kaisersöhne aus, an deren Spitze LOTHAR trat. Die folgenden Kämpfe führten mit mehrfach wechselnder Kombination 833 zur tiefen Demütigung LUDWIGS in der sogenannten Kirchenbuße in Soissons, die seine Herrschaftsunfähigkeit demonstrieren sollte und zunächst auch LOTHAR an seine Stelle treten ließ. LUDWIG gab den Kampf jedoch nicht auf, wechselte aber sein Ziel, das fortan allein darauf gerichtet war, KARL an der Herrschaft zu beteiligen, so daß der alte Kaiser statt für die Einheit des Reiches zuletzt für seine Teilung kämpft. Nach LUDWIGS DES FROMMEN Tod (840) trat LOTHAR zwar sofort für die Erhaltung der Reichseinheit ein, stieß aber auf das Mißtrauen seiner Brüder Ludwig und KARL (Pippin war bereits 838 verstorben). Bei dem Versuch, ihre Anerkennung zu erzwingen, wurde er 841 bei Fontenoy geschlagen. Seine Niederlage zeigt, daß der Einheitsgedanke an der Rivalität der Kaiser-Söhne im Grunde bereits gescheitert war. Ludwig und KARL verstärkten anschließend ihr Bündnis gegen den Kaiser durch die Straßburger Eide (842), die die beginnende nationale Absonderung von Osten und Westen dokumentieren. Bezeichnend dabei ist, daß Ludwig»der Deutsche« in altfranzösischer, KARL DER KAHLE in althochdeutsch Sprache schwor, damit die Gefolgsleute der Brüder sie jeweils verstehen konnten.
Die Bruderkämpfe fanden ihren vorläufigen Abschluß nicht durch einen weiteren Waffengang, sondern dank der Einschaltung des Adels, der in den Kämpfen zunehmend an Gewicht gewonnen hatte, durch den Vertrag von Verdun von 843. Vorbereitet durch eine Descriptio regni, brachte der Vertrag die rechtsgültige Teilung des Franken-Reichs in drei Teilreiche: ein West- und Ostreich sowie ein Mittelreich, das dem Kaiser vorbehalten blieb. Es zog sich als zentrale Achse von der Nordseeküste bis zum Golf von Gaëta in Süd-Italien und umschloß mit Aachen und Rom den Rheinlauf, die Alpenpässe und die Lombardei. Das erweiterte Westreich erhielt KARL DER KAHLE, das ebenfalls erweiterte Ostreich Ludwig der Deutsche. Obwohl man an der Idee der Reichseinheit noch festhielt, waren die neuen Reiche jetzt praktisch gleichberechtigt und auf sich gestellt. Der Kaiser besaß zwar einen höheren Rang, aber keine Obergewalt über die Brüder mehr. Immerhin: sie gehörten der gleichen Familie an, und die sogenannten Frankentage, auf denen sie sich in den nächsten Jahrzehnten zu gemeinsamen Beschlüssen trafen, konnten als eine freilich nur lose Klammer wirken. Tatsächlich setzte sich mehr und mehr die Eigenmacht der neuen Reiche durch.

[6] Die Auflösung des karolingischen Imperiums:
Der Vertrag von Verdun war unter maßgeblicher Beteiligung der fränkischen Großen zustandegekommen. Ihr Gewicht war während der Bruderkämpfe so sehr gewachsen, daß sie dem Kaiser und den Königen als gleichgewichtige Partner gegenübertraten. Im Westreich zwangen die fideles König KARL sogar noch im Jahre 843 in Coulaines zu einem besonderen Vertrag über die rechtlichen Grundlagen seiner Herrschaft. Der Vertrag lief darauf hinaus, daß der König das Recht der fideles auf Mitwirkung bei der Ausübung seiner Herrschaft anerkennen mußte. Dementsprechend hat er auch auf den »Frankentagen« von ihnen wiederholt als Mitträgern seiner Herrschaft gesprochen. Tatsächlich nahmen sie im Westreich eine wesentlich stärkere Stellung ein als in den beiden anderen Reichen, wenn freilich auch deren Herrscher mit der wachsenden Macht ihrer Großen zu rechnen hatten. Am günstigsten gestaltete sich die Situation zunächst noch für LOTHAR I., da die Kaiserkrone die Anhänger der Einheitspartei auf seine Seite zog. Doch war er glücklos im Kampf gegen Sarazenen (827 Besetzung von Sizilien, 841 Einnahme von Bari) und Normannen. Selbst im Innern blieb er tatenlos. Als verhängnisvoll erwies sich seine 855 kurz vor seinem Tod getroffene Entscheidung, das Mittelreich unter seine drei Söhne zu teilen und selbst die Herrschaft niederzulegen. Von seinen Söhnen erhielt der älteste, LUDWIG II., bereits 850 zum Mitkaiser gekrönt, Italien, der jüngste, Karl, die Provence mit dem südl. Burgund, Lothar II. das nach ihm als Lotharingien bezeichnete Gebiet an Maas, Mosel und Niederrhein.
Mit dieser Teilung von 855 war der Traum vom Mittelreich als Klammer des Gesamtreichs ausgeträumt: Das Kaisertum war in den Süden abgewandert. Nördlich der Alpen spielte es keine Rolle mehr. Hinkmar von Reims sprach mit Recht vom »imperator Italiae nominatus« (Ann. Bert. a. 864). Die Beschränkung des Kaisertums auf Italien zeigt symptomatisch an, wie rapid der Auflösungsprozeß des Franken-Reichs jetzt vor sich ging. Er spiegelt sich am deutlichsten im weiteren Verfall des Mittelreiches. Als Karl von der Provence 863 kinderlos starb, teilten sich seine Brüder LUDWIG II. und Lothar II. zwar in sein Erbteil, doch fiel die Stärkung für keinen mehr ins Gewicht. LUDWIG II. verzehrte sich im Kampf gegen die Sarazenen. Lothar II., im Grunde allein darauf bedacht, seine Ehescheidung durchzusetzen, rief gegen sich den mächtigen Papst Nikolaus I. auf den Plan, der ihn in seine Grenzen wies. So war das Ende des restlichen Mittelreichs 'Lotharingien' vorauszusehen: zwischen West- und Ostreich gelegen, sollte es zum Streitobjekt beider werden.
In der Tat hatten die beiden Außenreiche, das Westreich KARLS DES KAHLEN und das Ostreich Ludwigs des Deutschen, seit der Abwanderung des Kaisertums in den Süden das Gesetz des Handelns im alten Reichsgebiet an sich gezogen. Zwar waren beide von starken äußeren Feinden bedrängt, insbesondere von Normannen im Westen und Slaven (Böhmen, Mähren) im Osten. Aber obwohl ihre Abwehr eine Daueraufgabe blieb und obwohl der Adel die Bedrängnis der Kg.e nutzte, seine eigene Position zu stärken, konnten sowohl KARL DER KAHLE wie auch Ludwig der Deutsche die königliche Stellung festigen, zumal die Kirche treu zu ihnen hielt. Ihre Unterstützung kam vor allem KARL DEM KAHLEN zugute, dem dank der Hilfe des Erzbischofs Hinkmar von Reims, des bedeutendsten Kirchenmannes seiner Zeit, durch die Sakralisierung der Krone eine Stärkung der Königsgewalt gelang, die ein gewisses Gegengewicht gegen deren Schwächung durch die Großen bildete. An seinem Hof, an dem unter anderem der Ire Johannes Eriugena wirkte, nahm er die Bildungsbestrebungen seines Großvaters Karls d. Gr. wieder auf, dessen Vorbild er auch in seinen Urkunden beschwor. Auch Ludwig der Deutsche zehrte von seinem Erbe. Und wie KARL DER KAHLE in Hinkmar von Reims, so hatte er in Hrabanus Maurus, den er 847 zum Erzbischof von Mainz erhoben hatte, den einflußreichsten Kirchenfürsten seines Reichs auf seiner Seite, der als ehemaliger Schüler Alkuins ebenfalls noch in gesamtfränkischen Zusammenhängen dachte. Die alten Verbindungen wirkten auf beiden Seiten nach. So veranlaßten im Jahre 858 Schwierigkeiten KARLS auf Einladung mehrerer westfränkischer Großer Ludwig den Deutschen zu einem Einfall in das Westreich, der aber nicht zuletzt durch die Einschaltung Hinkmars scheiterte. Als Lothar II. 869 ohne rechtmäßige Erben starb, kam KARLDER KAHLE dem erkrankten Ludwig dem Deutschen zuvor und nahm seinerseits Lotharingien in Besitz, wurde aber von Ludwig nach dessen Genesung im Vertrag von Meerssen (870) zur Teilung des regnum Lotharii (entlang der Mass-Mosel-Linie) und zur Herausgabe der östlichen Hälfte gezwungen. Dafür gewann KARL nach dem Tode Kaiser LUDWIGSII. († 875) den Wettlauf um die Kaiserkrone, die er im Dezember 875 auf Einladung Papst Johannes' VIII. aus dessen Händen empfing. Ludwig d. Dt. sann auf Abhilfe, starb aber bereits im folgenden Jahr, nachdem er sein Reich wieder in der üblichen Weise unter seine drei Söhne geteilt hatte. Sie setzten den Widerstand ihres Vaters gegen den Kaiser fort. Als dieser den Tod Ludwigs des Deutschen zum Anlaß nahm, sich des Ostreichs zu bemächtigen, warf Ludwig III. (der Jüngere) ihn in den Westen zurück (Schlacht bei Andernach, 876). Auch in Italien, wo Karlmann, der älteste Sohn Ludwigs des Deutschen, ihm die Herrschaft streitig zu machen suchte, hatte Karl wenig Glück. Selbst in seinem eigenen Reich war seine Stellung gegenüber der Aristokratie durch die Kaiserkrone kaum gestärkt. Als er 877 zu einem zweiten Italienzug rüstete, konnte er die Großen dafür nur gewinnen, indem er ihnen die Erblichkeit der Lehen zugestand. Das berühmte Kapitular von Quierzy von 877, das dies dokumentiert, zeigt damit die fortschreitende Feudalisierung des Westreichs an, ein Prozeß, in dem es den übrigen Reichen freilich nur voranging (Lehnswesen). Auf dem gleichen Italienzug ist KARL DER KAHLE noch im Jahre 877 gestorben. Der frühe Tod seines Nachfolgers Ludwig des Stammlers bot dem ostfränkischen Ludwig III. Gelegenheit, in den Verträgen von Verdun (879) und Ribémont (880) den in Meerssen an das Westreich gekommenen Teil Lothringens zum Ostreich zu schlagen, so daß fortan ganz Lothringen zum Ostreich gehörte.
Zwischen beiden Reichen pendelten die Gewichte der Macht hin und her. Beide kristallisierten sich seit 843 mehr und mehr als Haupterben des großfränkischen Reiches heraus. Während sie bereits feste Gestalt gewannen, trat noch einmal eine unerwartete Wendung ein, verursacht durch dynastischen Zufall. Da von den Söhnen Ludwigs des Deutschen Karlmann und Ludwig III. früh starben, vereinigte der jüngste KARL III., DER DICKE, erst das ostfränkische Reich wieder in seiner Hand, und da um die gleiche Zeit auch die westfränkische Linie der KAROLINGER (bis auf den unmündigen Karl den Einfältigen) erlosch, bot der westfränkische Adel KARL III. auch die Krone des Westreiches an, nachdem Papst Johannes VIII. ihn 881 obendrein zum Kaiser erhoben hatte. Auf diese Weise war gleichsam durch ihn das großfränkische Reich wiederhergestellt und wie einst unter KARL DEM GROSSEN Reich und Kaisertum wieder zur Deckung gebracht. Aber KARL III. war alles andere als ein zweiter KARL DER GROSSE. Seine Herrschaft ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß in ihr die Verbindungen zu den karolingischen Einrichtungen abrissen. So ist symptomatisch, daß das letzte westfränkische Kapitular aus dem Jahre 884 stammt. Die schriftliche Verwaltung schrumpfte allgemein auf ein Minimum zusammen. Die Untätigkeit des Kaisers verband sich mit der Erblichkeit der großen Ämter und bewirkte, daß der Adel immer stärker als das bestimmende Element des Reiches in Erscheinung trat. Der Kaiser war nicht mehr in der Lage, ihn an sich zu binden. Und da er besonders im Westen und Süden auch kein rechtes Verhältnis zur Kirche gewann, hatte damit der Gedanke an die Reichseinheit seine alten Stützen verloren.
In dieser Lage gab den Ausschlag, daß der Kaiser sich als unfähig erwies, das Reich gegen die wachsende Bedrohung durch die Normannen zu schützen. Seit sie 881 in Elsloo an der Maas einen festen Stützpunkt gewonnen hatten, suchten sie vor allem Lothringen in immer neuen Beutezügen heim. Der hilflose Versuch des Kaisers, ihren Abzug durch Geldzahlungen zu erkaufen, löste 882 eine erste Empörung aus. Als KARL III. dann 886 vor Paris, das Graf Odo aus dem Haus der ROBERTINER tapfer verteidigt hatte, erneut der Entscheidung durch die Waffen auswich und den Abzug der Normannen wiederum durch hohe Geldzahlungen erkaufte und ihnen sogar Winterquartiere in Burgund anbot, kündigte der empörte Adel den Gehorsam auf: KARL III. wurde im November 887 abgesetzt, und sofort wurde deutlich, wie weit die innere Auflösung des Großreichs bereits fortgeschritten war. Mit der Absetzung des Kaisers, die ARNULF »VON KÄRNTEN« an der Spitze des ostfränkischen Adels bewirkt hatte, zerbrach das Großreich der KAROLINGER endgültig; es löste sich in seine Teile auf. Es waren fünf Königreiche, die an seine Stelle traten, wobei wesentlich ist, daß jetzt - mit Ausnahme ARNULFS VON KÄRNTEN - nicht mehr Mitglieder des karolingischen Herrscherhauses, sondern hohe Adlige, Angehörige der sogenannten Reichsaristokratie, an die Spitze der einzelnen Königtümer traten: allen voran 887 der KAROLINGER ARNULF in Ostfranken, dann 888 Graf Odo von Paris in Westfranken, der WELFE Rudolf in Hoch-Burgund, neben ihm (bereits seit 879) Graf Boso von Viennein Nieder-Burgund; in Italien setzte sich unter den beiden fränkischen Rivalen BERENGAR VON FRIAUL gegen WIDO VON SPOLETO durch.
So bilden die Jahre 887 und 888 einen Schluß- und Wendepunkt: das karolingische Großreich gehört endgültig der Vergangenheit an. Die neuen Reiche, die aus ihm hervorgehen, werden zum Teil von kurzer Dauer sein. Es ist gewiß kein Zufall, daß den beiden Reichen unter ihnen, die am stärksten aus einem Erbe zehren, die Zukunft gehören sollte, nämlich Westfranken als Vorstufe Frankreichs und Ostfranken als Vorstufe zum Reich der Deutschen (Deutschland).

J. Fleckenstein



Das Franken-Reich entstand aus der Eroberung Galliens durch den Stammesverband der salischen Franken unter Chlodwig I. Er und seine Nachfolger zerschlugen alle noch bestehenden Staaten auf gallischem Boden (Burgund, Teile des Westgotenreiches, Reich des Syagrius). Im Ergebnis der Reichsteilungen des 6. Jahrhunderts bildeten sich drei relativ homogene Teile heraus: Austrasien, Neustrien und Burgund. Infolge der Besonderheiten der fränkischen Landnahme hatte jeder Teil eine  andere Sozialstruktur. Allmählich verlagerte sich das ökonomische und politische Schwergewicht von Neustrien nach dem Nordosten (Austrasien). Mit dem Hausmeier Pippin dem Älteren trat hier zu Beginn des 7. Jahrhunderts das Geschlecht der KAROLINGER hervor. Sie stürzten schließlich die Hausmeier von Neustrien (687 Pippin der Mittlere) und eigneten sich 751 die Königskrone an (Pippin der Jüngere). Die KAROLINGER stützten sich auf die freie Bauernschaft des Nordostens und die von Karl Martell geschaffene Schicht kleinerer, berittener Feudalherren (Lehnswesen). Seinen Höhepunkt erlebte das Frankenreich unter KARL I. DEM GROSSEN. Der Prozeß der Überführung der freien Bauern in feudale Abhängigkeit machte rasche Fortschritte; besonderen Anteil an diesem Prozeß hatte die Kirche. Im Interesse der entstehenden Klasse der Feudalherren führten die KAROLINGER zahlreiche Eroberungskriege. Das Franken-Reich besaß keine einheitliche ökonomische Basis. Seit LUDWIG I. DEM FROMMEN verfiel es, 843 wurde es im Vertrag zu Verdun unter KARLS Enkel aufgeteilt. Aus diesen Teilen entwickelten sich Frankreich, Deutschland und Italien.
 

MEROWINGER
 
Merowech  448- 457
Childerich I. 457- 481
Chlodwig I. 481- 511
Theuderich I.       Reims  511- 533
Theudebert I.       Reims 533- 548
Theudebald         Reims 548- 555
Chlodomer          Orleans 511- 524
Childebert I.       Paris  511- 558
Chlothar I.          Soissons  511- 561
Sigibert I.           Austrasien 561- 575
Childebert II.     Austrasien 575- 596
Theudebert II.   Austrasien  596- 612
Theuderich II.   Austrasien 596- 613
Sigibert II.         Austrasien 613
Guntram           Burgund 561- 592
Charibert I.       Paris  561- 567
Chilperich I.     Neustrien 561- 584
Chlothar II. 584- 629
Dagobert I.  629- 639
Charibert II.    Aquitanien 630- 632
Sigibert III. 634- 656
Dagobert II.  656- 660
Childebert adoptivus  660- 662
Childerich II.  662- 675
Chlodwig II.      Neustrien 639- 657
Chlothar III.  657- 673
Theuderich III.  673- 691
Dagobert II.       Austrasien 676- 679
Chlodwig III.  690- 694
Childebert III. 694- 711
Dagobert III.  711- 715
Chilperich II.  715- 721
Chlothar IV.  717- 719
Theuderich IV.  721- 737
Interregnum  737- 743
Childerich III.  743- 751

KAROLINGER
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Pippin III. 751- 768
Karlmann 768- 771
KARL I. DER GROSSE 768- 814
LUDWIG I. DER FROMME 814- 840
LOTHAR I.  840- 855
LUDWIG II.                           Italien 855- 875
Lothar II.                                Lothringen 855- 869
Karl                                         Provence  855- 863
KARL II. DER KAHLE         Frankreich 840- 877
Ludwig II. der Stammler 877- 879
Ludwig III.  879- 882
Karlmann  882- 884
KARL III. DER DICKE 884- 887
Odo von Paris  888- 899
Karl III. der Einfältige  893- 929
Robert I.  922- 923
Rudolf von Burgund  923- 936
Ludwig IV.  936- 954
Lothar III.  954- 986
Ludwig V. Faineant  986- 987
Ludwig II. der Deutsche       Deutschland  840- 876
Karlmann  876- 879
Ludwig III. der Jüngere  876- 882
KARL III. DER DICKE 876- 887
ARNULF VON KÄRNTEN 887- 899
Ludwig IV. das Kind  900- 911