Lexikon des Mittelalters: Band IV Spalte 693
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Franken, Frankenreich
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A. Archäologie
Die archäologioschen Quellen zur Geschichte der
Franken und des Franken-Reiches bestehen für die Zeit vom 4.-8. Jh.
in weit überwiegendem Maße aus Grabfunden (Grabbeigaben). Siedlungsfunde
(Behausungsspuren und Reste des materiellen Siedlungsinventars) sind demgegenüber
selten und gewinnen erst für die karolingische
Zeit (8.-9. Jh.) größere Bedeutung. Ihrer Natur entsprechend
können die archäologischen Quellen nur zu ihnen angemessenen
Themen sinnvoll befragt werden. Dies sind im vorliegenden Fall im wesentlichen
die folgenden:
I. Siedlungswesen:
In der Rheinzone trat infolge der fränkischen Landnahme
im ländlichen Bereich ein völliger Bruch gegenüber dem römischen
Siedlungswesen ein. Statt der römischen Landsiedlungen vom Typ »vicus«
oder »villa« entstanden an anderer Stelle fränkische Gehöfte,
die ihren Platz in der Nähe eines reichlichen natürlichen Wasservorkommens
wählten (Bach, Quelle). Alle Bauten wurden in Abkehr von römischen
Gepflogenheiten in Holzbauweise errichtet (zum Beispiel Gladbach). Es handelt
sich einmal um ebenerdige, in Pfostenbauweise errichtete Häuser, die
vor allem als Wohnbauten und Scheunen dienten. Von Ställen ist nichts
bekannt. Daneben gab es halb in die Erde eingetiefte Grubenhütten
als Werkräume und Vorratskeller. Selbst Kirchen wurden in Pfostenbauweise
errichtet. Die Siedlung erfaßte in der Regel nur anbaugünstige
Gebiete, also Tal- und Beckenlagen, unter Aussparung der Mittelgebirgslandschaften.
Dieses Siedlungsmuster hat sich im Zuge der fränkischen Eroberungen
weit nach Westen in den nordgallischen Raum ausgebreitet (zum Beispiel
Brebières); das Ausmaß des Fortlebens römischer Siedlungstraditionen
ist noch zu ermitteln. - Für den Bereich des städtischen Siedlungswesens
gilt generell, daß die spätrömischen Städte und Kastellorte
mit ihren festen Mauerringen auch im frühen Mittelalter weiterbestanden,
zwar mit baulichen Veränderungen, aber unter Wahrung ihrer zentralörtlichen
Funktion. Im rechtsrheinischen Gebiet wurden solche Funktionen seit spät-merowingischer
Zeit
von befestigten Höhensiedlungen wahrgenommen (zum Beispiel Christenberg,
Büraburg), die ab der 2. Hälfte des 7. Jh. die Epoche des karolingischen
Burgenbaus einleiteten. Hinzu kamen die Pfalzen, die Zwecke eines Wirtschaftshofes,
einer Residenz und einer Befestigung miteinander verbanden (archäologisch
untersucht besonders Aachen, Frankfurt am Main und Ingelheim). - Als ein
Aspekt archäologischer Siedlungsforschung kann die Beschäftigung
mit der frühmittelalterlichhen Keramik gelten, der weithin die Rolle
eines chronologischen Leitfossils zukommt. Die vor allem in Form von Grabbeigaben
überlieferte Keramik der MEROWINGER-Zeit
setzt in Technik und Formenkanon römischen Traditionen in breiter
Front fort. Die Keramik der karolingischen Zeit,
besonders Badorfer und Pingsdorfer Ware, ist bei guten technischen Eigenschaften
einförmiger in Form und Verzierung.
II. Bestattungssitten:
Charakteristisch für den Beisetzungsbrauch der Franken
im Früh-Mittelalter ist der über mehrere Generationen hinweg
belegte, insofern ständig anwachsende sogenannte Reihengräberfriedhof
(Grab, -formen). Die Toten wurden unverbrannt und nach Osten ausgerichtet
beerdigt, durchweg in ihrer im Leben getragenen Tracht und mit weiteren
Beigaben versehen. Dieser Brauch hat sich unter Einfluß der spätrömischen
Grabsitten in einem längeren, bereits im 4. Jh. einsetzenden Prozeß
herausgebildet; in Nord-Gallien im römischen Heer dienende fränkische
Söldner hatten wesentlichen Anteil an seiner Entwicklung. Vom späten
5. Jh. an konnte die sogenannte Reihengräbersitte allgemeine Gültigkeit
beanspruchen, ohne uniform zu sein. Besonders im Osten und Norden des fränkischen
Stammesgebietes lassen sich immer wieder und vermehrt in der jüngeren
MEROWINGER-Zeit
Besonderheiten des Grabbrauches beobachten: Pferde- und andere Tierbestattungen,
Brandbestattungen, Abweichungen von der kanonischen Ostung der Gräber.
Überall wurden einzelne Gräber durch besonders aufwendige Grabbauten
hervorgehoben: große holzverkleidete Grabkammern, Grabhügel,
Kreisgräben, hölzerne Bauten über dem Grab. Im ehemals römischen
Gebiet westlich des Rheins lebten antike Beisetzungsbräuche weiter
bzw. wieder auf, so die Beisetzung »ad sanctos« in oder bei
einer Kirche oder die Verwendung von Sarkophagen und Grabsteinen, zum Teil
mit lateinischen Inschriften. Im Laufe des 7. Jh. unterlag die Reihengräbersitte
einem fortschreitenden Auflösungsprozeß; die Beigabensitte wurde
schrittweise, im Westen beginnend, aufgegeben; schließlich wurde
der Reihengräberfriedhof überhaupt verlassen, meist wohl zugunsten
einer Sepultur bei einer Kirche.
III. Tracht und Bewaffnung:
Dank der ausgiebig geübten Beigabensitte verfügen
wir über ein recht deutliches Bild vom äußeren Habitus
der Franken. Dabei lassen sich für Männer und Frauen zeitbedingte
Moden ebenso wie regionaltypische Eigenarten beobachten. So zeigt die Bewaffnung
der frühen MEROWINGER-Zeit ein
breites Spektrum mit zweischneidigem Langschwert (Spatha), einschneidigem
Kurzschwert (Sax), Lanze, dem pilumartigen Ango, Pfeil und Bogen sowie
verschiedene Formen von Streitäxten, darunter die Franziska genannte
Wurfaxt. Hinzu kommen Defensivwaffen wie Schild, Helm und Panzer. Ango
und Franziska, ferner die selten belegte hellebardenartige Glefe sind,
nach ihrem Verbreitungsbild zu urteilen, typisch fränkische Waffen
und dürften als fränkische Innovationen ihren Teil zu den Kriegserfolgen
der Franken beigetragen haben. In der jüngeren MEROWINGER-Zeit
trat der nun recht schwer gewordene Sax stärker in den Vordergrund.
Im Übergang zu karolischen Zeit
nahm er die Form eines schlanken Reitersäbels an, wohl im Zusammenhang
mit einer verstärkten Bedeutung des Reiterkampfes. In der Frauentracht
läßt sich der allmähliche Wechsel von der herkömmlichen
germanischen Mehrfibeltracht mit zwei Fibelpaaren zur Einfibeltracht nach
mediterranröm. Art beobachten. Auch anhand von Ohrringen, Fingerringen
und Nadeln lassen sich mediterrane Einflüsse auf die fränkische
Frauentracht nachweisen. Weitgehend unberührt von solchen blieb ein
am Gürtel getragenes Gehänge, das zwar mediterrane Elemente (zum
Beispiel runde durchbrochene Bronzezierscheiben) aufnahm, seinen ursprünglich
Amulettcharakter aber offensichtlich stets bewahrte.
IV. Zur Sozialstruktur:
Ein Reihengräberfeld, insofern es einen Personenverband
(Siedlungsgemeinschaft) repräsentiert, kann in der unterschiedlichen
Anlage der Gräber und ihrer stark differierenden Ausstattung mit Beigaben
etwas von der Sozialstruktur der betreffenden Gemeinschaft widerspiegeln.
Vor allem die Häupter der (Siedlungs-) Gemeinschaften heben sich oft
deutlich ab. Fast auf jedem Reihengräberfeld finden sich Gräber,
die sich durch Beigabenreichtum bzw. aufwendigen Grabbau von der Masse
der übrigen abheben und demzufolge der jeweiligen Führungsgruppe
zugeschrieben werden müssen. Miteinander verglichen, dürften
die Angehörigen solcher Eliten auf durchaus unterschiedl. sozialem
Niveau angesiedelt gewesen sein. Unter den solcherart hervorgehobenen Gräbern
finden wir an der Spitze die von Angehörigen des merowingischen
Königshauses,
das Childerich-Grab
und das Grab der Königin Arnegundis,
vermutlich auch die Gräber der beiden unter dem Kölner Dom beigesetzten
Personen. Die zahlreichen anderen im Laufe der Zeit bekannt und berühmt
gewordenen »Fürstengräber« erreichen nicht das Ausstattungsniveau
der königlicher Bestattungen; die Gräber der Gruppe Flonheim-Gültlingen,
das sogenannte Fürstengrab von Krefeld-Gellep, das Grab des Herren
von Morken oder die Bestattungen der Krieger von Lavoye und Mézières
- vermutlich also Bestattungen von Vertretern einer Personengruppe, die
in den Schriftquellen als »nobiles« oder »maiores natu«
erscheint. - Kombiniert man die archäologischen Feststellungen über
Größe und Belegungsdauer eines Reihengräberfeldes mit den
am Skelettmaterial mit den Methoden oder Anthropologie zu erhebenden Daten,
so lassen sich weitergehende Angaben zur Demographie machen (zum Beispiel
Frénouville).
V. Zur Ethnographie:
Manche Eigenarten im äußeren Habitus der Franken,
bestimmte Waffenformen und Trachteigentümlichkeiten, scheinen ethnisch
signifikant gewesen zu sein, was auch zeitgenössische Schriftquellen
bestätigen. Dabei fällt eine Unterscheidung innerhalb des germanischen
Milieus, also etwa eine Abgrenzung von Franken und Alamannen, schwerer
als die Kontrastierung mit der romanischen Bevölkerung. Denn diese
hat, wo immer sie im nachantiken Europa mit germanischen Gruppen zusammenlebte,
niemals den Brauch der Waffenbeigabe und der Mehrfibeltracht übernommen.
Anhand dieser Kriterien lassen sich im fränkischen Stammesgebiet rein
romanisch, womöglich auch gemischte (romanisch-fränkische) Gräberfelder
nachweisen, was Rückschlüsse auf die Siedlungsverhältnisse
erlaubt. Im überörtlichen Rahmen läßt sich anhand
des Vorkommens von Waffen- und Mehrfibelbeigabe auch das fränkische
Siedlungsgebiet - etwa bis zu Seine - ungefähr abgrenzen. In der französischen
Forschung wird freilich die ethnische Signifikanz der genannten Erscheinungen
stark eingeschränkt beurteilt und werden die daraus abgeleiteten Folgerungen
energisch bestritten.
VI. Zu Geistesleben und Kunst:
Mit christlichen Symbolen oder Bildmotiven geschmückte
Kleinfunde, namentlich Schmuck und Trachtzubehör, deuten auf die Ausbreitung
christlichen Gedankengutes auch im Alltagsleben hin. Besonders in der jüngeren
MEROWINGER-Zeit (7. Jh.) häufen sich Funde dieser Art.
Entsprechende Zeugnisse des Heidentums sind daneben außerordentlich
selten. Aus archäologischen Quellen stammen ferner auch die weitaus
meisten Zeugnisse fränkischer Kunstübung des frühen Mittelalters.
Wie die Funde aus dem Childerich-Grab
zeigen, haben sich die Franken donauländische Anregungen zu eigen
gemacht und den polychromen Stil für Cloisonné-Arbeiten übernommen.
Das Vorbild fränkischer Cloisonné-Arbeiten hat bis nach Skandinavien
gewirkt. Auch an Ausbildung und Weiterentwicklung der germanischen Tierornamentik
haben die Franken aktiven Anteil genommen.
B. Allgemeine und politische Geschichte. Verfassungs- und Institutionsgeschichte
I. Fränkische Frühzeit, Merowingerzeit:
[1] Frühgeschichte und Stammesbildung:
a) Erstes Auftreten und erste Ansiedlung fränkischer
Gruppen auf römischem Boden:
Der Name 'Franken' wird erstmals beim Vordringen von
Germanen gegen den Rhein bald nach der Mitte des 3. Jh. genannt. Der -
in seiner Deutung schwierige - Name knüpft nach neuerem Forschungsstand
an die Begriffe 'mutig, kühn, ungestüm, frech' an, während
die Synonymsetzung Franke-Freier wohl erst sekundär, nach der Etablierung
der fränkischen Herrschaft im Norden Galliens, erfolgte. Wichtige
Grundlage der frühen fränkischen Geschichte war in der römischen
Kaiserzeit die Existenz einer Reihe germanischer Völkerschaften im
Bereich des niedergermanischen Limes. Diese konnten ihre Unabhängigkeit
bewahren und bildeten ein politisches Gemeinsamkeitsbewußtsein aus,
gefestigt durch eheliche Verbindungen der Herzogs- bzw. Königsfamilien.
Konkret wurden so in römischen Quellen seit dem 3. Jh. Kleinstämme
der Istwäonengruppe, Chamaven, Brukterer (Chatten?), Chattuarier und
die ursprglich ingwäonischen Amsivarier unter der Bezeichnung 'Franken'
zusammengefaßt. Gleichzeitig mit den Alamannen griffen diese Kleinstämme
von ihren Wohngebieten am Nieder- und Mittelrhein her im 3. Viertel des
3. Jh. auf rechtsrhein. 'Civitates' über (Tubanten; Usipier; Chasuarier
und wohl auch Tenkterer). In der Forschung ist kontrovers, ob auch diese
in Klientelverhältnissen zum römischen Reich stehenden Gruppen
den Franken zuzurechnen sind, doch spricht manches dafür. Das Fortbestehen
der Namen der Einzelstämme neben der gemeinsamen Bezeichnung 'Franken',
das Fehlen einer einheitlichen monarchischen Verfaßtheit bis zum
Ende des 5. Jh. und die auch schon für die Frühzeit erschließbare
Unterschiedlichkeit der Stammesrechte deuten den langsamen Vorgang der
Konzentration und Vereinigung an, so daß die Forschung für die
Frühzeit nicht einen einheitlich organisierten Stammesverband annimmt,
sondern Termini wie 'Stammesschwarm' (Wenskus), allenfalls noch solche
wie 'Stammesbund' (Zöllner) verwendet.
Seit der Mitte des 3. Jh. gingen Franken offensiv gegen
das römische Reich vor, nach Ausweis der Münzdepotfunde insbesonders
gegen den belgisch-moselländ. Raum (275: Maasgebiet, Einnahme von
Trier). Fränkische Piraten bedrohten weite Teile der nordgallischen
und südostbritischen Küstengebiete. Ende der 80er Jahre drangen
fränkische Verbände in das Bataverland an der unteren Maas, andere
an der Rheinlinie auf Reichsgebiet vor. Auf diese Vorstöße reagierten
römische Kaiser und Usurpatoren (Postumus,
Probus,
Carausius)
mit Aufnahme in das Heer und Einsatz gegen innere Gegner. Die römische
Politik gegenüber den Franken wurde seit dem letzten Jahrzehnt des
3. Jh. aktiver (Vertragsschluß des siegreichen Kaisers Maximinian
mit dem fränkischen König Gennobaudes,
Ansiedlung fränkischer Gruppen um Trier; nach dem Sieg des Constantius
Chlorus 294/295 Ansiedlung gefangener Franken als Laeten in
Nordgallien). Unter Konstantin dem Großen
scheint
den Römern noch einmal eine Stabilisierung der Rheingrenze gelungen
zu sein. Im wesentlichen verlautet nichts mehr über fränkische
Vorstöße bis zur Mitte des 4. Jh. in den Quellen. Eine entscheidende
Zäsur brachte die von Konstantin
inaugurierte Politik der Integration fränkischer Stammeskontingente
in das römische Heer. Dem korrespondieren neueste archäologische
Forschungsergebnisse, nach denen ab der Mitte des 4. Jh. mit einem starken
Einsickern fränkisch-barbarischer Volkselemente in den gallorömischen
Raum zu rechnen ist. In Zusammenhang mit der Erhebung der Usurpatoren
Magnentius
und Silvanus gegen Kaiser Constantius
kam es ab 350 wieder zu gewaltigen Germanen-Invasionen, in deren Verlauf
die nördliche Rheinlinie zusammenbrach (Fall von Köln, Spätherbst
355). Eine Wende trat erst mit der Entsendung des Caesars Julian
nach Gallien Ende 355 ein. Er bereinigte bis 358 in mehreren Zügen
die Lage am Niederrhein, dabei scheint er fränkische Gruppen in einigen
linksrheinischen Gebieten belassen zu haben.
Weiterem germanischen Druck weichend, zog die Teilgruppe
der Salier von der Bataverinsel in die weiträumigen Siedlungsgebiete
von Toxandrien (etwa den heutigen Provinzen Nord-Brabant/Niederlande und
Antwerpen/Belgien entsprechend). Julian
unterwarf sie, beließ sie aber in ihrem Siedlungsraum. Neuerdings
ist die Form ihrer rechtlichen Zuordnung in der Forschung umstritten (Historiker:
dediticii - Archäologen: foederati). Wesentlich ist, daß im
Gegensatz zu den bisherigen lokalen Ansiedlungen sich damit erstmals ein
ganzer Teilstamm im römischen Gallien festsetzen konnte. Wichtig für
die innere Struktur der F. ist, daß mit diesen Vorgängen zwei
sich klar voneinander abhebende Gruppen sichtbar werden, die Verbände,
denen ihr bedeutendster Teilstamm, die Salier, den Namen gab, und
die rheinischen Franken, welche die anfangs erwähnten Kleinstämme
umfaßten. Bedingt durch die Assimilationspolitik Konstantins
und Julians begegnen jetzt germanische
Führer im römischen Heer (rheinfränkischer König
Mallobaudes,
der als comes domesticorum
römische Heere gegen die Alamannen
führte). Ende der 80er Jahre kam es jedoch wieder zu großen
fränkischen Einbrüchen (Limesdurchbruch der fränkischen
duces Gennobaudes, Markomer
und Sunno, Verwüstung
der Kölner Gegend). Nach wirksamem Gegenschlag regelten die magistri
militum Arbogast
und Stilicho
(396) das Verhältnis zu den Franken um Köln in Bündnisverträgen.
Wegen der immens gewordenen Germanengefahr verlegte die römische Regierung
nun die Präfektur von Trier nach Arles.
Als mit dem Übergang der Vandalen, Alanen und Sueben
bei Mainz (406-407) ein neues Kapitel inden Beziehungen zwischen Romania
und Germania eröffnet wurde, stellten sich am Main siedelnde, offenbar
in Vertragsbindungen einbezogene Franken den Invasoren entgegen. Damals
wurde die reguläre Grenzverteidigung im Norden der Germania I und
in der Germania II von den Römern aufgegeben, doch verlor die Rheingrenze
ihre Bedeutung noch nicht völlig. In der Folgezeit bedienten sich
nach eingespieltem Muster auch die Usurpatoren Konstantin
(III.) und Jovinus der
Hilfe ganzer Franken-Verbände. Diese Vorgänge können zu
einem engeren Zusammenschluß der östlich des Mittelrheins wohnenden
Franken-Gruppen beigetragen haben. Zusammen mit den Franken um Köln
und am Niederrhein werden sie heute als 'rheinische Franken' bezeichnet,
was richtiger ist als die frühere Benennung 'Ripuarier'.
Viel spricht dafür, daß drei Vorstöße
gegen Trier (410-420), das noch militärische Bedeutung behalten hatte,
von am Mittelrhein (Lahn, Neckar) wohnenden Franken ausging. Eine vierte
Verwüstung der Stadt (428/435) könnte durch niederrheinische
Franken erfolgt sein. Eine Prüfung der schwierigen Quellenlage ergibt,
daß der römische magister militum Aëtius
diese Franken nach ihrer Unterwerfung als dediticii am Niederrhein
siedeln ließ.
Aëtius gab Mitte der 30er Jahre dem römisch-germanischen
Verhältnis neue Grundlagen. Weitere Ausgriffe der salischen
Gruppe (Maasbecken) dämmte er wieder ein, die Beziehungen zu den Franken
am Niederrhein hat er wohl jetzt auf der Basis des foedus (Foederaten)
neu geordnet. Die
salischen Franken entfalteten um diese Zeit große
expansive Kraft. Mitte der 40er Jahre stieß der Teilverband unter
dem historisch kaum faßbaren
König
Chlodio/Chlojo
in den Norden der Belgica II (Cambrai, Tournai, Arras) vor. Nach Ausweis
der archäologischen Zeugnisse wurde ihm die Ansiedlung um Tournai
gestattet. Spätestens zu dieser Zeit wurden diese Franken als römische
Foederaten anerkannt. Auch kann man von dieser Zeit an von einer deutlichen
Absonderung der Salfranken sprechen. Aufgrund der Zeugnisse des
Geschichtsschreibers Priskos und des Dichters Sidonius Apollinaris lassen
sich für die Zeit um 450 vier Gruppen von Franken erkennen:
die Chlojo-Franken,
die foederierten Franken am Niederrhein,
weiterhin zwei Gruppen östlich des Rheins, einmal
am Neckar siedelnde Franken, dann etwas nördlich davon die Teilgruppe
der Brukterer.
Aus den genannten Quellen sind auch annäherungsweise
die Geschehnisse nach der Ermordung des Aëtius (454) und des
Kaisers Valentinian III. (455), als die
Franken in ihrer Gesamtheit den Rhein überquerten, zu rekonstruieren.
Eindeutig gingen die territorialen Ausgriffe nun von den rheinischen Gruppen
aus. Die neue Interpretation eines der beiden Zeugnisse läßt
deutlich werden, daß die erwähnten Franken aus dem Gebiet des
mittleren/oberen Rheins nun in die Germania I vorstießen, dabei Ende
der 50er Jahre Mainz nahmen und Trier zeitweise belagerten. Anscheinend
parallel dazu haben die Franken am Niederrhein Köln, das sie schon
zw. 440 und 450 besetzt hatten, definitiv genommen. Diese Kölner
Franken erlangten nun faktisch politische Selbständigkeit: 469
erscheinen sie in dynastischen Beziehungen zu den Burgunden (Burgunder).
- In einer ersten Eroberung scheinen die Kölner Franken die
mittelrheinischen Teilgruppen unterworfen zu haben, so daß ihre Grenze
zu den Alamannen ab den 80er Jahren zwischen Mainz und Worms verlief. Damit
waren die Anfänge jenes politischen Gebildes gelegt, das bei dem Geographus
Ravennas als Francia Rinensis erscheint. Um Trier als Kristallisationspunkt
behauptete sich in den 60er und 70er Jahren eine römisch geprägte
Herrschaft unter dem romanisierten Franken Arbogast, dessen Gebiet
allerdings schon stark von Franken durchsetzt war. Mitte der 80er Jahre
erweiterten die Kölner Franken ihre Machtsphäre in den
Bereich der Mosel, nahmen Trier, dann Toul und damit wohl die ganze ehemalige
Belgica I. Im Westen grenzten sie vor Besançon und Langres an die
Alamannen, die ihrerseits Nachbarn der Salfranken waren.
Diese salischen Franken begründeten das fränkische
Reich, wesentliche Schritte dazu taten sie nach 455. Spätestens jetzt
besetzten sie mit Cambrai und Arras das Land bis zur Somme. Als Verbündeter
des magister militum Aegidius
kämpfte König Childerich
gegen die aufstrebende Macht der Westgoten an der Loire (463). Beträchtlich
war wohl auch sein Anteil an der Errichtung einer Machtbasis des Aegidius
in
Nord-Gallien, die ihm Widerstand gegen Ricimer,
den nun beherrschenden Mann der Zentralgewalt, erlaubte. Auch im Abwehrkampf
der Römer unter
comes Paulus halfen die Salfranken das
Vordringen der Westgoten über die Loire und nach Orléans zu
verhindern (469). Die oft diskutierte Frage, ob
Childerich noch Foederat des weströmischen Reiches war,
erweist sich angesichts der unabhängigen Machtstellung des fränkischen
Königs als ein akademiisches Problem der juristischen Nomenklatur.
Die von Gregor von Tours behauptete zeitweise Absetzung Childerichs
zugunsten des
Heermeisters Aegidius als 'rex' wird im überwiegenden
Teil der Forschung angezweifelt. Angriffe Childerichs
in der 1. Hälfte der 70er Jahre gegen kleinere germanische Reichsbildungen
im belgisch-niederländischen Küstengebiet wurden von den Westgoten
zum Stillstand gebracht. Die große Auseinandersetzung zwischen
Salfranken und Westgoten folgte erst unter
Childerichs Sohn
Chlodwig,
der dem Vater 482 als Teil-König von Tournai folgte.
b) Stammesbildung, Siedlung, Verfassung, Sozialverhältnisse:
Wie dargelegt, wurde der fränkische Stammesschwarm
von verschiedenen Kleinstämmen der Istwäonengruppe gebildet.
Die Zusammenfassung dieser Stämme unter dem Begriff 'Franken' erfolgte
von außen und im Zuge einer langsamen Entwicklung. Explizite Zeugnisse
für die foederative Struktur und den Landesnamen 'Francia' liegen
aus dem beginnenden 4. Jh. vor. Noch bis in das späte 5. Jh. erscheinen
die taciteischen Kleinstämme als Glieder des fränkischen Volkes,
doch im letzten Drittel des Jahrhunderts verschwinden sie aus den Quellen.
Selbst der Name der Salier ist nur noch in der Bezeichnung des ältesten
fränkischen Volksrechts erhalten. Der Grund für diesen Wandel
liegt wohl darin, daß Regionalverbände an die Stelle der Kleinstämme
getreten waren, wobei die Civitates Nord- und Ost-Galliens den Rahmen für
die Kleinreiche boten. - Die namentlich in Stammessagen begegnenden Verbindungen
mit verschiedenen Herkunftsbereichen (Hugen; Sugambrer; Trojaner; Pannonien)
sind größtenteils spätere Reprojizierungen und gehören
zu der auch anderwärts zu beobachtenden Eigentümlichkeit gentilen
Selbstverständnisses, die eigene Frühgeschichte in die universale
Geschichte durch gelehrte Kombinationen einzufügen.
Von jeher im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion,
an der auch zahlreiche Komplementärdisziplinen der Geschichte (Archäologie,
Epigraphik, Sprachwissenschaft, Namenkunde, Siedlungskunde, Patrozinienkunde)
beteiligt waren, standen die grundlegenden Probleme der fränkischen
Landnahme und Siedlung in Gallien. Drei Hauptpositionen sind in der Diskussion
erkennbar: Nach der älteren (Kurth, Gamillscheg) ist die germanisch-romaniische
Sprachgrenze die maßgebende fränkische Siedlungsgrenze. Demgegenüber
formulierten Steinbach und Petri die These, daß ein großräumiger
Sprach- und Kulturausgleich im Frankenreich stattgefunden habe und die
Sprachgrenze eine Ausgleichslinie aus spätfränkischer Zeit darstelle.
Abgelöst sind diese Positionen durch die neuere Debatte über
Art und Umfang der germanisch-romanischen Symbiose im Franken-Reich. -
Die klassische Eroberungstheorie, nach der der von den Franken ausgehende
Druck zu einem nicht genau rekonstruierbaren Zeitpunkt zu einem intensivierten
Eindringen in den nordgallischen Raum führte, ist neuestens durch
die auf geographisch breit gestreutem archäologischen Fundmaterial
fußenden Ergebnisse von Böhme präzisiert und korrigiert
worden. Danach ist mit einem mehr oder weniger breiten Einsickern von Germanen
ab der Mitte des 4. Jh. und im 5. Jh. zu rechnen. Zunächst seien diese
Gruppen als dediticii und laeti von der römischen Gewalt angesiedelt
worden. Wie die Mehrheit der Archäologen deutet Böhme einen großen
Teil germanischer Gräber schon ab dem 4. Jh. als Foederatengräber.
Es ist sehr fraglich, ob diese weitgehende Folgerung aufrechtzuerhalten
ist. Vielleicht sollte besser von Vorstufen des Foederatentums gesprochen
werden Die Ablösung der taciteischen Kleinstämme durch die an
den civitates orientierten Regionalverbände ist als eine wesentl.
Stufe zu polit. Konzentration zu sehen. Diese hat auch entscheidende Begleitumstände
und Konsequenzen verfassungsmäßiger Art. Offenbar entwickelte
sich eine Vielzahl von Königen, die über die Regionalverbände
der civitates herrschten. Aporien über die Genese des Königtums
bei den Franken gibt es nicht erst für die neuere Forschung, sie haben
bereits Gregor von Tours zu einem breiten verfassungsgeschichtlichen Exkurs
veranlaßt. Die Entstehung des merowingischen
Königs-Geschlechts
erklärt Gregor damit, die Franken hätten sich nach Erreichen
des linksrheinischen Gebiets nach civitates und pagi 'reges criniti' gesetzt.
Vielleicht steht dahinter der Aufstieg der bei Tacitus genannten 'principes'
und 'nobiles' zu Heer- und Erbkönigen. Jedenfalls beobachtet Gregor
wohl den relevanten Zug der Entwicklung, wenn er auf den Wandel in der
Terminologie bei seinen spätantiken Gewährsleuten besonderes
Gewicht legt. Die Entwicklung ist danach gekennzeichnet durch die Abfolge
'duces - regales/reguli - reges'. Nach oben ausgewerteten Quellenzeugnissen
hatten die am Mittelrhein siedelnden Franken um 450 bereits die Institution
des Königtums. Die foederierten Franken am Niederrhein unterstanden
zu dieser Zeit noch duces (dux), vielleicht in einigen Fällen Gau-
oder Civitaskönigen. Jedenfalls ist monarchische Verfaßtheit
zwanzig Jahre später bei den Kölner Franken eindeutig
bezeugt. Zur Zeit Chlodwigs begegnen
hier die Könige Sigibert
der Lahme und Chloderich.
Möglicherweise führten diese Könige das römische Sprengelkommandanten-
und Provinzstatthaltertum fort und herrschten über mehrere Teilverbände.
Gregor von Tours nennt außer diesen Königen noch drei weitere
mit Namen und als Sitze Tournai und Cambrai. Es scheint, als habe sich
die Monarchie bei den Saliern ab der Mitte des 5. Jh. ausgeprägt.
Von den verschiedenen merowingischen
Familienverbänden hat sich das Teil-Königtum von Tournai mit
Chlodwig
durchgesetzt.
Problematisch sind Aussagen über die ständische
Gliederung in der fränkischen Frühzeit. Unbestritten gab es wohl
schon die in der Lex Salica bezeugte Dreiteilung in Freie (ingenui, Franci),
Halbfreie (liti, leti, lidi) und Knechte (servi). Unbezweifelbar hat es
bereits eine starke soziale Differenzierung gegeben. Trotz der Annahmen
vieler Archäologen und Historiker muß es fraglich bleiben, ob
es einen alten Volks- oder Geblütsadel gegeben hat. Klar erkennbar
ist, daß die Königsnähe der königlichen Gefolgschaft
zur rechtlichen Heraushebung führte.
[2] Merowingerzeit:
Indem Chlodwig die
verschiedenen fränkischen Kleinreiche unter der Herrschaft der salischen
Franken zusammenfaßte und die Relikte römischer Macht im
Norden Galliens beseitigte, legte er wesentliche Grundlagen für das
Einheitsreich der MEROWINGER. Von der
zuerst geschaffenen Machtsphäre zwischen Rhein und Loire aus leitete
er die Expansion in den Süden Galliens ein. Damit und namentlich auch
mit seiner politisch relevanten Konversion zum Katholizismus ist er zum
Begründer
des großfränkischen Reiches geworden. Seine Nachfolger setzten
die Ausdehnung nach Süden fort, gleichzeitig erweiterten sie mit ersten
Gewinnen im rechtsrheinischen Germanien das Franken-Reich erheblich. Vordergründig
ist das Ende des 6. Jh. durch die Bürgerkriege zwischen verschiedenen
Reichsteilen geprägt. Dahinter stehen aber entscheidende Prozesse
und Entwicklungen: die Ablösung der Reichsteile durch die Teilreiche
Austrien/Austrasien, Neustrien und Burgund und der folgenreiche Aufstieg
des fränkischen Adels. Nach der Zäsur von 613 gab es wie zur
Zeit Chlodwigs
wieder ein Einheitskönigtum.
Es konnte noch wirksam regieren, doch war seine Machtstellung eingeschränkt.
Auch ging der Außenbesitz schon deutlich zurück. Die Kämpfe
heftig miteinander ringender Adelsgruppen endeten 687 mit dem Sieg der
ARNULFINGER/PIPPINIDEN,
der Vorläufer der KAROLINGER.
Von da an waren sie die beherrschende Kraft im Franken-Reich, die merowingische
Dynastie führte nur mehr ein Schattendasein. - Als deutlich voneinander
abgehobene Phasen in der politischen Geschichte der MEROWINGER-Zeit
ergeben sich: die Zeit der Gründung, Konsolidierung und ersten Krisen
des Reiches bis zum neustrischen Einheitskönigtum (482-613) sowie
die Zeitspanne von 613 bis 687, die durch die neue Einheitsmonarchie, den
Niedergang des Königtums und die Kämpfe des Adels geprägt
ist.
a) Begründung, Konsolidierung und Rückgang
des fränkischen Reiches:
Chlodwig folgte 482
seinem Vater als salfränkischer Teilkönig von Tournai
nach, wobei aus Gregor von Tours und späteren Quellen hervorzugehen
scheint, daß seine Herrschaft auf fränkisches Geblütsrecht
beruhte. Gegenüber dieser gentilen Herrschaftsgrundlage tritt seine
von der romanischen Führungsschicht (Remigius von Reims) betonte römische
Provinzstatthalterschaft
der Belgica II zurück. Bald wandelte sich die Partnerschaft mit
den römischen Machtträgern in Nord-Gallien in kriegerische Auseinandersetzung:
Ermutigt wohl durch den Tod des Westgoten-Königs
Eurich
(484), zerschlug er 486/487 das Reich des Syagrius,
des Sohnes von
Aegidius.
Chlodwig
beseitigte mit seinem Sieg, der ihn zum unmittelbaren Nachbarn der Westgoten
und Alamannen werden ließ, die Reste römischer Herrschaft und
bekam die Gefolgsleute (bucellarii) des Besiegten und reiche Fiskalgüter
in die Hand.
In planmäßigem Ausbau organisierte er die
Herrschaft im eroberten Land (an der Seine und zwischen Seine und Loire).
Die Frage, in welchem staatsrechtlichen Rahmen die fränkische Machtexpansion
erfolgte, kann als abgetan gelten. Der MEROWINGER
kümmerte sich nicht um das Imperium, der Ausbau des salischen
Königtums ist das verfassungsgeschichtlich Bedeutungsvolle der Vorgänge.
Ein Jahrzehnt nach Chlodwigs
Regierungsantritt trat das fränkische regnum in den Kreis der germanisch-romanischen
Großreiche ein. Zunächst in das Bündnissystem des Königs
der Ostgoten, Theoderich,
eingebunden, wandte sich Chlodwig bald
gegen enge Bündnispartner Theoderichs:
die Westgoten und die Burgunden (496-500). Auch die nach einem Sieg über
die Alamannen 498 oder 499 vollzogenen Konversion zum katholischen Christentum
macht eine politische Option des fränkischen Königs deutlich,
in deren Konsequenz Chlodwig 507 den
Westgoten-König
Alarich
II., einen Schwiegersohn Theoderichs,
besiegte und damit ganz Aquitanien seiner Herrschaft hinzufügte. Die
Stellung Chlodwigs als mächtigster
Herrscher in Gallien kommt sinnfällig zum Ausdruck in der Ehrung durch
die Gesandten des Kaisers Anastasios I.
mit Verleihung des Ehrenkonsulats und des akklamatorischen Zeremoniells
(Tours 508), die den König der Franken neben Theoderich
stellte. Doch konnte das ostgotische Heer den Franken zunächst den
Zugang zum Mittelmeer (Provence, Septimanien) versperren. In den letzten
Jahren seiner Regierung betrieb Chlodwig
vorrangig die innere Konsolidierung seines Reiches. Auch vervollständigte
er seine Herrschaftssphäre durch die Beseitigung des rheinfränkischen
Königshauses in Köln und - wenn nicht schon 486/487 - durch
die Inbesitznahme verbliebener Herrschaftsbereiche saliischen Kleinkg.e
in Nord-Gallien.
In Anwendung des germanischen Teilungsprinzips wurde
das Franken-Reich nach Chlodwigs Tod
511 unter seine vier Söhne Theuderich
I.,
Chlodomer,
Childebert
I. und Chlothar
I. geteilt. In Reichsteile, die an den Städten Reims,
Orléans, Paris und Soissons als sedes regiae orientiert waren,
aufgegliedert, blieb das Franken-Reich staatsrechtlich eine Einheit. Jeder
der Teilkönige war rex Francorum und erhielt einen Anteil
an der Francia, dem fränkischen Kernland zwischen Rhein und Loire,
dazu einen gesonderten Anteil an Aquitanien. Beim Tod Chlodomers
524 wurden seine Söhne bei der Teilung übergangen, kraft Anwachsungsrechts
folgten ihm zwei seiner Brüder. Wesentliche Verschiebungen in der
Reichsstruktur brachte die zweite fränkische Expansion. Im rechtsrheinischen
Germanien gelangte 531 Thüringen in fränkische Abhängigkeit.
Im Süden konnte der ostgotische Einfluß erheblich eingeschränkt
werden: 534 erlag das burgundische Reich (Burgunder) dem wiederholten Angriff
der
MEROWINGER; 536 sah sich der ostgotische
König Witigis
gezwungen, den Franken die Provence und ehemals alamannischen Gebiete zu
zedieren.
Theudebert
I. von Reims (533-547) war in den beiden Generationen
nach Chlodwig der bedeutendste Herrscher.
In weitgreifender Politik verfolgte er die Eroberung Italiens, in seiner
herrscherlichen Präsentation und in seiner Wendung gegen Byzanz zeigte
er imperiale Aspirationen (siehe auch Byzantinisches Reich, F. I). Zu seiner
Herrschaft über Alamannien fügte er die rätischen und große
Teile der norischen Provinzen sowie Ober-Italien. Durch dynastischen Zufall
war das fränkische Reich kurzzeitig unter Chlodwigs
jüngstem
Sohn Chlothar I. wiedervereinigt (558-561).
Mutatis mutandis wurde nun wie 511 verfahren, so daß
wieder eine Aufgliederung in die Reichsteile Paris, Orléans, Reims
und Soissons erfolgte, die an die erbberechtigten Söhne Charibert,
Gunthram,
Sigibert
I. und Chilperich
I. fielen. Nach dem frühen Tod Chariberts
567 setzte sich die für die künftige Struktur des Gesamtreichs
bestimmende Dreiteilung durch. Im Verlauf der und im Anschluß an
die Bürgerkriege, die vorrangig zwischen Sigibert
I. († 575) und Chilperich I.
(† 584) geführt wurden, kam es nach dem Tod der beiden
jeweils de facto zu adligen Regentschaften in ihren Reichsteilen. Als Senior
der Familie konnte Gunthram durch
die Vormundschaft über seine Neffen Childebert
II. (Reims) und Chlothar
II. (Soissons) nun einen Vorrang geltend machen und durchsetzen.
Primär war seine Politik auf eine enge Verbindung mit Reims gerichtet.
Die Einsetzung
Childeberts II. zu seinem
Erben und der 586 mit Sigiberts Witwe
Brunichild
geschlossene Vertrag von Andelot, der noch einmal auf Eindämmung des
Adels zielte, veranschaulichen dies. In den Bürgerkriegen hatte sich
die Dreiteilung verfestigt, aus den Reichsteilen wurden nun Teilreiche,
und es bildete sich eine Ländertrias aus. Austrien/Austrasien, das
Ostland an Rhein und Maas, ging in seinen Grundlagen auf den 511 konstituierten
Reichsteil Reims zurück, die Residenz wurde von Reims nach Metz verlegt,
Neustrien, mit dem Zentrum Paris, entstand aus der Verbindung der Reichsteile
Soissons und Paris (567), Burgund aus derjenigen von Orléans mit
dem früheren Burgundenreich, das Gunthram 561 zugefallen war. Hier
wurde die Hauptstadt von Orléans nach Chalon-sur-Saône verlegt.
In dieser Zeit wurde endgültig auf außenpolitische Aktivitäten
verzichtet und wurden vorgeschobene Positionen aufgegeben (Italien).
Als 593 beim Tod Gunthrams Childebert
II. vereinbarungsgemäß auch die Regierung Burgunds
übernahm und die austrasische Linie damit das erdrückende
Übergewicht erhielt, schien eine entscheidende Voraussetzung für
die Wiederherstellung der Herrschaftseinheit und die Eindämmung der
Aristokratie gegeben. Doch blieb die Union Austrasien-Burgung wegen des
frühen Todes von Childebert II. (†
596) Episode. Die beiden Teilreiche kamen an Childeberts
Söhne Theudebert
II. und Theuderich
II. Als Vormund ihrer beiden Enkel versuchte die Königin
Brunichild
die Durchsetzung eines anachronistisch gewordenen Programms,
die Macht der Monarchie zu stärken und die des Adels zu bändigen.
Schließlich scheiterte sie an den burgundischen und den austrasischen
Großen. Unter Arnulf
von Metz und Pippin
der Ältere, den Stammvätern der KAROLINGER,
riefen die letzteren den Neustrier Chlothar II.
herbei, um sich ihm zu unterstellen. Das neu errichtete Einheitskönigtum
unter Chlothar II. (613-629)
und seinem Sohn Dagobert
I. (629-638/639) kam
noch zu wirksamer Regierung, ohne jedoch eine Wiederherstellung der königlichen
Machtfülle zu erreichen. In Anknüpfung an Chlodwig
wurde
Paris Reichsresidenz, dessen eigtlicher Aufstieg mit Dagobert
begann. Noch mehr als bisher wurden außenpolitische Vorposten zurückgenommen.
Die Machtkonstellation und die Verfassungssituation im Reich werden durch
das bedeutsame Edictum Chlotharii (614) erhellt. Zwar konnten der Krone
wichtige Befugnisse (Bischofseinsetzung) erhalten werden, doch war die
Einführung des Indigenatsprinzips bei der Grafenbestellung eine klare
Konzession an die Großen. Folgerichtig gestand der König den
Teilreichen eigene Hausmeier zu. In deutlichem Gegensatz zu der Politik
der 70er und 80er Jahre nahm Austrasien - 623 wurde hier Dagobert
I. als Unter-König eingesetzt - eigenes Profil an, Neustrien
und Burgund auf der anderen Seite wuchsen immer stärker zusammen.
Beim Tod Chlothars II. war es dem Einfluß
frankoburgundischer Großer zu verdanken, daß Dagobert
I. im Gesamtreich nachfolgen konnte. Die scheinbar marginale
Maßnahme, dem jüngeren Bruder Charibert
ein Unterkönigreich Toulouse einzurichten, läßt offenbar
eine neue Reichskonzeption erkennen, bei der erstmals von dem Grundsatz
abgewichen wurde, daß jeder MEROWINGER
ein rex Francorum sein und über einen Anteil an der Francia
verfügen müsse. Das Unterkönigrrich Aquitanien erwies sich
- zunächst - als kurzlebiges Gebilde, anders verhielt es sich bei
dem Unterkönigreich Austrasien, das Dagobert
unter Berücksichtigung einheimische Autonomiewünsche und außenpolitische
Notwendigkeiten 633 für seinen Sohn Sigibert
III. einrichtete. Als bald darauf ein zweiter Sohn, Chlodwig
II., geboren wurde, traf Dagobert
I. auf Drängen der Neustrier eine Erbverfügung im
Sinn des alten Teilungsprinzips: Austrasien wurde für
Sigibert III., Neustrien und Frankoburgund für
Chlodwig II. vorgesehen.
Die neuen Könige führten keine eigene Regierung
mehr, sondern waren völlig von ihren Hausmeiern abhängig. In
Austrasien ließ Pippins des Älteren Sohn Grimoald,
der wie sein Vater Hausmeier war, seinen Sohn von dem zunächst söhnelosen
Sigibert
III. adoptieren. Nach dem Tod des Königs (656) griff Grimoald
nach
der höchsten politischen Macht. Doch scheiterte er nach wenigen Jahren,
der pippinidische Mannesstamm erlosch mit ihm, die ARNULFINGER
wurden Erben der pippinidischen
Hausgüter. In Neustrien-Burgund
versuchte die energische Königin
Balthild
nach
dem Vorbild Brunichilds
und
Dagoberts
I., Elemente einer zentralen Monarchie durchzusetzen; der von
ihr herangezogene Hausmeier Ebroin
betrieb eine schroff gegen die Aristokratie gerichtete neustroburgundische
Einheitspolitik. In einer nach der Ausschaltung
Balthilds (um 665) bald einsetzenden völligen Anarchie
waren die Könige nur noch Schachfiguren, zumal der Versuch Childerichs
II., sich gegen Gewährung einer Freiheitscharta (673) im
Gesamtreich durchzusetzen, scheiterte. Die eigtlich Handelnden waren Ebroin
und
der ARNULFINGER Pippin
der Mittlere. Nachdem Ebroin
680/681 einem Mordanschlag
zum Opfer gefallen war, konnte sich Pippin
endgültig durchsetzen.
Nach seinem Sieg über die Neustrier bei Tertry (687) gewann er mit
König
Theuderich
III. faktisch die Herrschaft über das ganze Franken-Reich.
b) Reichsstruktur; Institutionen und Administration; soziale
Gliederung:
Im ersten Abschnitt der Beziehungen zwischen Franken
und Romanen grundgelegte Faktoren wurden in der MEROWINGER-Zeit
voll ausgeprägt. Das Zusammenwirken zwischen fränkischem König
und einheimiischer Oberschicht, dem romanischen Senatorenadel, wurde zum
bestimmenden Strukturelement. Doch hatte sich das Franken-Reich über
den ethnischen Dualismus hinaus durch seine Gebietserweiterungen zu einem
Vielvölkerstaat gewandelt, zu dem außer dem fränkischen
Reichsvolk und den Romani die germanischen Großgentes der Alamannen,
Thüringer und Burgunden gehörten. Eine feste Sprachgrenze hatte
sich noch nicht ausgebildet. Zwischen den vorwiegend germanischen (rechts
des Rheins) und romanischen (Rätien, Gebiete südlich der Loire)
bestimmten Bereichen gab es eine breite Mischungszone zwischen Rhein und
Loire. In diesem Raum befindet sich das Siedlungsgebiet der Franken. Diese
hatten sich kompakt zwar nur im Norden und Osten niedergelassen, doch ging
schon früh der Name 'Francia' auf dieses Gebiet über. Politisches
Kernland im 6. Jh. war das dieser Zone vorgelagerte Gebiet, hier befanden
sich die sedes regiae, die Ausgangspunkte der Reichsteile. Offenbar sollte
damit die ideelle und rechtliche Bindung der Königsherrschaft an die
Francia dokumentiert und die Verwirklichung einer solchen Konzeption in
einer Samtherrschaft (Brüdergemeinschaft) des merowingischen
Hauses
ermöglicht werden. Die Vorstellungen, das Reich gehöre dem
merowingischen Haus, lassen sich im ganzen 6. Jh. verfolgen.
Doch am Ende dieses Jh. erfolgte die Herausbildung der Teilreiche aus den
Reichsteilen. Da durch die Teilungspraxis die schon lange bestehende Sonderung
eines Galliens nördlich der Loire von dem Süden noch akzentuiert
worden war, hatten zwei, in der Praxis alle drei Teilreiche ihren Schwerpunkt
im Norden. - Zur Rechtsentwicklung Fränkisches Recht, ferner die Beiträge
zu einzelnen Rechten (Leges) der fränkischen (zum Beispiel Lex Salica)
wie der romananischen (zum Beispiel Lex Romana Burgundionum) Reichsbevölkerung.
Unter den Institutionen war das Königtum der zentrale
Faktor. Die überkommene heidnische Herrschaftssymbolik wurde auch
nach der Übernahme des Christentums nicht aufgegeben (Schilderhebung,
feierliche Thronbesteigung und Umfahrt im Reich bei Herrschaftsantritt).
Verbunden ist mit diesen Vorstellungskreisen das Königsheil. Mit diesem
ist auch das Prinzip der Reichsteilung in Verbindung gebracht worden, das
unter rechtsgeschichtlichem Gesichtspunkt als Ausfluß des Geblütsrechts
gesehen wird. Innerhalb der Teilreiche sind sowohl das Recht der Sohnesfolge
(Repräsentations-, Eintrittsrecht) als auch das der Brüdergemeinschaft
(Anwachsungsrecht) praktiziert worden. Es wurde schon erwähnt, daß
seit dem Beginn des 7. Jh. Tendenzen zur Brechung des Teilungsgrundsatzes
festzustellen sind. Bei Balthild, Ebroin
und den ARNULFINGERN sind sie fortgeführt worden. - Grundlage
der königlichen Herrschaft war der Bann (Friedens-, Verwaltungs-,
Verordnungsbann). Hohe Bedeutung hatten in diesem Zusammenhang der Königsfrieden
(Frieden), der eo ipso für bestimmte Personen und Gemeinschaften
bestand, sowie der auf Kommendation beruhende Königsschutz. Strukturelle
Unterschiede konnte das Kgtm. nicht ausgleichen. In Austrasien behauptete
sich das Märzfeld (Maifeld) mit eigenen rechtlichen und politischen
Kompetenzen, in Neustrien und Burgund wurde es durch die Großenversammlung
(placitum) ersetzt. Die von den civitates ausgehenden autonomen
Bischofsherrschaften (Bischof, Bischofssitz) wurden, ausgehend von spätantiken
Vorformen, in der späten MEROWINGER-Zeit
zu einer mit der Königsherrschaft konkurrierenden Verfassungsinstitution,
so daß - überspitzt - von einem parataktischen Herrschaftsgefüge
im Reich (Prinz) gesprochen wurde. Im Bereich der Zentralverwaltung wirkten
zunächst römische Taditionen fort. Im 6. Jh. hatten einflußreiche
römische Minister faktisch die Stellung von magistri officiorum inne,
in Frankoburgund sind sie bis zu Gunthram
als zentrale patricii nachweisbar. Nach römischem Muster war die von
den Referendaren geleitete Kanzlei organisiert, die Königsurkunde
knüpfte formal an das spätantike Kaiserreskript an. Vorsteher
des königlichen Hauses war der ebenfalls in der spätrömischen
Tradition stehende Maiordomus (Hausmeier). Bei der Transformation von Hausherrschaft
in Reichsherrschaft wurde der Hausmeier ab 600 zum mächtigsten Mann
im Staat. Der Aufstieg in die Königsnähe ist klar zu verfolgen,
bei den ARNULFINGERN findet er seinen Niederschlag in Titulatur
und Urkunden. - In der Lokalverwaltung blieben in der Provence und in Rätien
zunächst die römischen Institutionen intakt. Traditionell ist
in der Forschung die Unterscheidung zwiischen süd- und westgallicher
Civitaszone mit dem comes civitatis an der Spitze und der nord- und ostgallischen
Paguszone (pagus). Auch wenn nach neueren Detailuntersuchungen stärker
differenziert werden muß, kann wohl am Gesamtbefund festgehalten
werden. Bisweilen waren mehrere civitates oder pagi zu einem Dukat zusammengefaßt.
Die Kompetenzbereiche von comites und duces sind kaum zu unterscheiden.
In der Paguszone begegnen neben den comites noch grafiones und centenarii.
Ursprünglich wohl lokaler militärischer Befehlshaber, nahm der
grafio die Ausführung der im Thing (Ding) vom thunginus gefällten
Entscheidung in die Hand und erlangte ab Ende des 7. Jh. eine comes-gleiche
Stellung. Abzuheben von den Dukaten (Dux, Dukat) des Franken-Reiches sind
die als militärischen Statthalterschaften organisierten großen
rechtsrheinischen Stammesgebiete der Alamannen, Bayern und Thüringer.
Die Auffassung, die Grafschaftsverfassung sei schon im 6. Jh. in die rechtsrhein.
Gebiete übertragen worden (Schulze), stößt auf verbreitete
Skepsis (siehe auch Graf, -schaft).
Im Sozialwesen haben sich wieder im Süden die antiken
Strukturen (Senatorenadel mit Großgrundbesitz, possessores mit mittlerem
Besitz, bäuerl. Kolonen; Stadtkultur) ungebrochen gehalten. Zur Frage
eines fränkischen »Uradels« ist die rechtliche Situation
zu berücksichtigen. Die Lex Salica kennt als Normaltyp des vollberechtigten
Franken den Freien (liber; ingenuus) und kein besonderes Adelswergeld.
Dies mag die Wirklichkeit in den ersten Generationen des MEROWINGER-Reichs
spiegeln. Doch durch die sich namentlich in der Heraushebung des Königsdienstes
(Antrustionen; convivae regis) abzeichnende Mobilität ist es vielleicht
schon Ende des 6. Jh. zu einer klarer faßbaren fränkische Adelsschicht
gekommen. Im 7. Jh. jedenfalls waren germanisch-fränkischen und romanischen
Aristokraten zu einer einheitlichen Oberschicht verschmolzen. Ihr galten
die Konzessionen des Königtums. Wichtig sind die Verbindungen des
Königtums und des Adels zur entscheidende Impulse vermittelnden Kraft
des irofränkischen Mönchtums. Daß Gruppen der Bevölkerung
durch ein besonderes Muntverhältnis zum König Königsfreie
waren, war lange herrschende Lehre, wird aber immer stärker abgelehnt.
Unter der Schicht der Freien erscheinen in der ständischen Gliederung
die in [1] b angeführten Schichten. Die aus spätrömischen
Formen der Grundherrschaft erwachsene merowingische
Immunität wurde eine wesentliche Basis des neuen Adels. Hoch zu veranschlagen
ist die Bedeutung, die der gesellungsrechtlichen Schwurfreundschaft zukam.
[3] Ausblick:
687 hat sich als Zäsur in der Geschichte des Franken-Reichs
erwiesen. Als Hausmeier bestimmten die ARNULFINGER/PIPPINIDEN
die Politik, hielten das Auseinanderfallen des Reiches auf, wehrten die
arabische Bedrohung ab und fügten den Süden Galliens (wieder)
voll dem Franken-Reich ein. Mit der Zerschlagung der Bischofsstaaten beseitigten
sie Elemente eines parataktischen Herrschaftsgefüges. Erste Ansätze
des Feudalwesens prägten sich aus. Das angelsächsische Benediktinertum
trat an die Stelle der Irofranken (Angelsächsische Mission). An diesem
historischen Ort ist die große Kirchenreform (Willibrord, Bonifatius)
und ihr Werk, die romverbundene fränkische Landeskirche, zu sehen.
Mit der Verbindung von Adel, Kloster und Eigenkirchen wurden spezifisch
mittelalterliche Strukturelemente sichtbar. Im Verhältnis der Hausmeier
zum Königtum zeigten sich ebenfalls in die Zukunft weisende Veränderungen.
Die Hausmeier machten den Teilungen des Reiches unter mehrere Könige
ein Ende. Doch bot sich die wiederhergestellte Einheit nur noch fiktiv
im Königtum dar. 737 ließ Karl
Martell den Thron schon unbesetzt. Aus politischer Opportunität
setzten seine Söhne 743 noch einmal einen MEROWINGER
ein. Mit der schließlichen Ablösung des merowingischen
Königtums 751 durch Pippin
den Jüngeren wurde legalisiert, was seit 687 Wirklichkeit
war: Aufstieg, Macht und Herrschaft der neuen Dynastie der
KAROLINGER.
H.H. Anton
[1] Die Zeit des Übergangs:
Der Übergang von den MEROWINGERN
zu den KAROLINGERN geht über die
Bedeutung eines Dynastiewechsels weit hinaus: er führt zur Erneuerung
des Franken-Reichs, die seine Erweiterung zum großfränkischen
Reich nach sich zieht, in dem Europa zum erstenmal Gestalt gewinnt. Er
leitet damit politisch, religiös, sozial und kulturell eine neue Epoche
der Weltgeschichte ein.
Der Übergang wurde vorbereitet durch den Aufstieg
des karolingischen Hauses aus
dem Maas-Mosel-Gebiet, das mit Arnulf von Metz und Pippin dem
Älteren an die Spitze des austrasischen Adels trat. Arnulf
und Pippin (der Ältere) bilden die Spitzenahnen
der später KAROLINGER genannten
ARNULFINGER bzw. PIPPINIDEN,
die durch die Heirat von Arnulfs Sohn Ansegisel
und Pippins Tochter Begga
die Macht des Hauses begründeten. Als Führer des austrasischen
Adels versuchten sie im Kampf gegen die zentralistischen Bestrebungen der
Königin
Brunichild
die
Eigenmacht des Adels zu behaupten: Es geht vor allem auf sie zurück,
daß
Brunichilds
erfolgreicher
Rivale, König
Chlothar II. von Neustrien,
sich die Anerkennung im Gesamtreich durch das Edictum Chlotarii von 614
erkaufen mußte, in dem er die Rechte der lokalen Gewalten bekräftigte.
Seitdem stieg die Macht der KAROLINGER
ständig an. Ansegisels und Beggas Sohn Pippin
II., der Mittlere, der sich »dux Austrasiorum«
und »princeps Francorum« nannte, setzte sich mit seinem
Sieg bei Tertry (687) über den neustrischen Hausmeier im Gesamtreich
durch, in dem er »singularem obtinuit principatum« (Ann. Mett.).
689 besiegte er den Friesen-Herzog Radbod
in Wijk bei Duurstede
und erweiterte damit den fränkischen Machtbereich bis zum Niederrhein.
Er verlor aber auch den Westen nicht aus dem Blick und konnte seine Autorität
im gesamten Reichsgebiet verstärken.
Da seine legitimen Söhne bereits vor ihm gestorben
waren, brach bei seinem Tod im Jahre 714 eine schwere Krise aus (Aufstand
der Neustrier im Bunde mit Friesen und Sachsen), die überraschend
durch Pippins Friedelsohn Karl
beendet wurde, der den von
Pippin eingeschlagenen Weg als sein
Erbe fortsetzte. Mit ihm tritt zum ersten Mal der Name 'Karl' in
den Genealogien des nach ihm als 'KAROLINGER'
bezeichneten Geschlechts auf. Karls große Stunde schlug, als
die bedrängten Aquitanier und Neustrier ihn gegen einen neuen übermächtigen
Feind zu Hilfe riefen: die von Spanien her vordringenden Araber. Sein Sieg
bei Poitiers (Oktober 732), der die Araber zur Umkehr zwang, gehört
zu den Ereignissen von weltgeschichtlichem Rang: Er brachte ihm mit dem
Beinamen Martell
('der Hammer') über der Scheinherrschaft
des MEROWINGER-Königs die tatsächliche
Herrschaft im Franken-Reich ein und sicherte endgültig den Aufstieg
der KAROLINGER.
Der Aufstieg wurde durch zwei Maßnahmen von grundlegender
Bedeutung vorangetrieben. Die eine bezog sich auf die politischen und sozialen,
die andere auf die kirchlichen Verhältnisse. Bereits unter Karl
Martell zeichnen sich die Anfänge des Lehnswesens ab. Gegenüber
der Königsgefolgschaft der Antrustionen waren der Adel und an seiner
Spitze die Karolinger bemüht, sich mit Hilfe der aus der Unfreiheit
aufsteigenden Vasallität eigene Klientelschaften zu bilden. Indem
sie die Vasallität mit dem Treuegedanken verbanden und sie auf diese
Weise in ein gegenseitiges Treueverhältnis verwandelten, hoben sie
die Vasallität über die Sphäre der Unfreiheit hinaus und
sicherten sich in ihr eine wachsende Anhängerschaft, die sie mit Lehen
ausstatteten. Und da die KAROLINGER
als Hausmeier dabei auch auf Königsgut und Kirchengut zurückgreifen
konnten, gewannen sie einen wesentl. Vorsprung vor den übrigen Adelsherrschaften.
Von besonderer Bedeutung war dabei der Rückgriff auf Kirchengut, das
nach Kirchenrecht unveräußerbar war, weshalb es nur als Leihe
(beneficium) ausgegeben werden konnte. Die Belehnung erfolgte formal
auf königliche Anweisung unter dem Rechtstitel der 'precaria verbo
regis' (Prekarie). Diese zukunftweisende Praxis, die jedoch auf eine
Säkularisierung des Kirchenguts hinauslief und daher von kirchlicher
Seite zum Teil verurteilt wurde, ermöglichte es Karl und seinen
Nachfolgern, Kriegerschaft und Adel mit Lehen auszustatten und sie damit
zugleich an sich zu binden. Vasallität und Lehnrecht wurden seitdem
zu einem Mittel staatlicher Integration, das für das ganze Mittelalter
bestimmend blieb.
Neben den Kriegern gewann Karl Martell wichtige
neue Helfer in den angelsächsischen Missionaren (Angelsächsische
Mission). an ihrer Spitze Willibrord und Bonifatius, zu denen sich aus
dem westgotischen Spanien Pirmin hinzugesellte. Sie setzten ihr Werk unter
Karls
Nachfolgern, Karlmann
und Pippin,
fort - mit dem Ergebnis der Christianisierung Germaniens und dessen innerer
Angleichung an das F. (vgl. C. 2). Und ein weiteres wichtiges Faktum: Sie
vermittelten den KAROLINGERN die Verbindung
mit dem Papsttum in Rom.
[2] Aufstieg zum Königtum und Bund mit dem Papsttum:
Seit 737, dem Tod Theuderichs
IV., hatte Karl Martell ohne König, aber im
Namen des verstorbenen Königs regiert, nach der Formel Papst Gregors
III. als »vice regulus«. Die Erinnerung an den gescheiterten
Staatsstreich Grimoalds von 656 mochte
ihn davon abhalten, selbst nach der Krone zu greifen, doch teilte er das
Reich vor seinem Tod (741) wie ein König unter seinen Söhnen
Karlmann
und Pippin (III.,
dem Jüngeren) auf. Empörung erst ihres Halbbruders
Grifo, dann
der Bayern, Alamannen und Aquitanier, die sie gemeinsam niederwarfen, offenbarten,
daß sie der königlichen Autorität bedurften, um den widerspenstigen
Adel im Zaum zu halten. Zu diesem Zweck setzten sie 743 in dem MEROWINGER
Childerich
III. einen neuen König ein. Sein Königtum gab
ihrer eigenen Herrschaft die notwendige Festigkeit. Sie ermöglichte
ihnen als ihre bedeutendste gemeinsame Leistung die Neuorganisation der
fränkischen Reichskirche, die sie mit Hilfe der angelsächischen
Missionare und insbesondere ihres Vorstreiters Bonifatius durchführten
(vgl. C. 3). Bei diesen Bestrebungen traten zunehmend Franken neben die
Angelsachsen, auch stellten sich Widerstände von seiten des fränkischen
Adels ein, und zwischen den karolingischen
Brüdern zeigten sich Zeichen aufkeimender Rivalität. Nach dem
Rückzug Karlmanns ins Kloster auf dem Monte Soracte konnte
Pippin,
nun Hausmeier im gesamten Reich, die Früchte der gemeinsamen Bemühungen
ernten.
Da Pippin die Kirche
wie den Adel auf seiner Seite wußte, wagte er 751 den Griff nach
dem Königtum. Voraussetzung dafür war die Absetzung der MEROWINGER.
Für sie versicherte er sich auf einer Volksversammlung der Zustimmung
des Volkes. Um den fehlenden erbrechtlichen Anspruch auszugleichen, holte
Pippin
die
Unterstützung des durch die Wirksamkeit der angelsächsischen
Missionare in seiner Autorität außerordentlich gestärkten
Papsttums ein. Er ließ bei Papst Zacharias anfragen, ob es
gut sei, daß bei den Franken ein König ohne Macht regiere oder
nicht - worauf der Papst in Form eines päpstlichen Weistums antwortete,
daß es besser sei, jener heiße König, der die Macht habe,
als jener, der ohne königliche Macht sei (Ann. regni Franc. ad 749).
Und mit der augustinischen Begründung »damit die Ordnung nicht
gestört werde«, befahl er (iussit) kraft päpstlicher Autorität,
daß Pippin König werde.
Gemäß dieser päpstlichen Weisung wurde
Pippin
wohl noch Ende 751 auf einer Reichsversammlung in Soissons »secundum
morem Francorum« zum König gewählt und anschließend
als erster fränkischer Kg. von fränkischen Bischöfen gesalbt
(Salbung). Die Neuerung war bedeutungsvoll: Ihr Sinn lag darin, den Mangel
des fehlenden königlichen Geblüts auszugleichen, indem sie den
König nach alttestamentarischem Vorbild eine kirchlich-sakrale Legitimation
verlieh. Sie hob ihn als »Gesalbten des Herrn« über die
Schar der Laien empor und wies ihn als »König von Gottes Gnaden«
aus. Damit war das Gottesgnadentum (F. Kern) begründet, das die weitere
Geschichte des Königtums bestimmt.
Es ist bedeutsam, daß der ersten Salbung durch
die fränkische Bischöfe bald (754) eine zweite folgte, und zwar
durch den Papst. Der von den Langobarden bedrängte Nachfolger des
Zacharias,
Stephan II., wandte sich, da byzantinische Hilfe ausblieb, an König
Pippin,
der ihn nach Verhandlungen durch fränkische Unterhändler in Rom
in das Franken-Reich einlud. In der Pfalz Ponthion schlossen König
und Papst am 6. Januar 754 Schwurfreundschaft mit der doppelten Folge,
daß
Pippin dem Papst die Restitution
der von den Langobarden besetzten, vormals byzantinischen Gebiete zusagte
(14. April 754 in Quierzy), während der Papst anschließend in
St-Denis eine erneute Salbung vornahm (Clausula de unctione Pippini), in
die er auch Pippins Söhne einbezog
und die Großen verpflichtete, nie einen König aus einem anderen
Geschlecht zu wählen. Das heißt, daß das Gottesgnadentum,
dem die Vorstellung des Königtums als eines von Gott verliehenen Amtes
zugrunde lag, sich mit dem alten Geblütsgedanken verband, eine Verbindung,
die für das karolingische Königtum
charakteristisch bleibt. Die Folge wird sein, daß die KAROLINGER
trotz der Verchristlichung des Königtums am alten germanischen Prinzip
der Herrschaftsteilung festhalten werden. - Das karolingische
Bündnis mit dem Papsttum war noch in anderer Hinsicht folgenreich:
Es führte mit der Einlösung des Restitutionsversprechens
Pippins nach zwei Italienzügen (754 und 756) zur Unterwerfung
des Langobarden-Reiches und zur Begründung des Kirchenstaates, als
dessen Rechtsgrundlage die in diesem Zusammenhang wahrscheinlich Pippin
vorgelegte
berühmte Fälschung der »Konstantinischen Schenkung«
diente.
Angeregt durch seine Verbindung mit Rom gab Pippin
den Anstoß zur Liturgiereform im Franken-Reich (Liturgie); er knüpfte
auch bereits Verbindungen zu Byzanz und zum Islam und sicherte schließlich
mit der endgültigen Unterwerfung Aquitaniens dessen Zugehörigkeit
zum Franken-Reich. Vor seinem Tod (24. September 768) teilte er
sein Reich unter seine beiden Söhne Karl
und Karlmann
auf.
[3] Erweiterung des Frankenreichs durch Karl den Großen
und Erneuerung des Kaisertums:
Nach kurzer gemeinsamer, doch wenig einträchtiger
Regierung mit seinem Bruder Karlmann,
dessen Tod (4. Dezember 771) dem Reich den Bruderkrieg ersparte,
setzte KARL DER GROSSE mit der Herrschaftsübernahme
im Gesamtreich sogleich das Werk seines Vaters in Italien fort. Da der
Langobarden-König
Desiderius
seine Expansionspolitik erneut aufgenommen hatte, setzte KARL
ihn auf seinem 1. Italienzug (773/774) kurzerhand ab, machte sich selbst
zum
König der Langobarden und erneuerte auf einem Zwischenbesuch
in Rom das Schenkungsversprechen seines Vaters von Quierzy. Seitdem nannte
er sich »rex Francorum et Langobardorum atque patricius Romanorum«.
Wie der Titel zeigt, wollte er als König der Franken und Langobarden
zugleich Schutzherr der römischen Kirche sein (Patricius
Romanorum). Er hat dies 781 durch eine erneute Bestätigung der
Pippinischen Schenkung verstärkt zum Ausdruck gebracht und seinen
Sohn Pippin noch eigens zum Unter-König
von Italien ernannt. Angehörige des Reichsadels halfen ihm bei der
herrschaftlichen Erfassung des Landes, wobei ihm das Lehnrecht dank der
Bindungen, die es ermöglichte, wirkungsvolle Hilfe leistete. Während
er noch mit der Regelung der italienischen Verhältnisse beschäftigt
war, schaltete er sich, von dort zu Hilfe gerufen, in Spanien ein: im Jahre
778 unternahm er einen Feldzug gegen den OMAYYADEN-Emir
'Abdarrahman
I. von Córdoba, der jedoch, da die erwartete Unterstützung
im Land ausblieb, bereits vor Zaragoza abgebrochen wurde. Auf dem Rückzug
fiel der Führer der fränkischen Nachhut, Markgraf Hruodland
von der bretonischen Mark, den die Sage als Paladin KARLS
verherrlicht hat (Rolandslied). Es ist charakteristisch für KARL
DEN GROSSEN, daß er das einmal gefaßte Ziel der
fränkischen Machtausweitung gleichwohl nicht mehr aus dem Auge verlor
und in der Folgezeit von Aquitanien aus die fränkische Grenzverteidigung
ausbaute (Katalonien).
»Den langwierigsten, grausamsten und anstrengendsten
aller Kriege« hat KARL jedoch
nach den Worten Einhards gegen die benachbarten Sachsen geführt. Er
hat - mit Unterbrechungen - über 33 Jahre gewährt und die tiefgreifendsten
und folgenreichsten Wirkungen im Franken-Reich ausgelöst. Als er 772
mit einem Feldzug, der zur Eroberung der Eresburg führte, begann,
glich dieser noch den Strafexpeditionen, wie sie seit Karl Martell
üblich waren. Bald zeichnet sich jedoch eine deutliche Verschärfung
ab. Nachdem die Sachsen während des Italienaufenthalts des Königs
die fränkischen Eroberungen rückgängig gemacht hatten, stieß
KARL
775, diesmal von Düren aus, erneut gegen die sogenannte Weserfestung
vor und warf die sächsischen Gaue bis nach Engern nieder - mit dem
Ergebnis, daß das alte Spiel sich wiederholte, wobei die Kämpfe
immer härter wurden, allmählich aber auch weiterreichende Ziele
zu erkennen sind. Seit 776 wird deutlich, daß es um die Unterwerfung
und Christianisierung des ganzen Stammes und um seine Eingliederung in
das Franken-Reich ging. Der Reichstag von Paderborn von 777, der erste
Reichstag auf sächsischem Boden, setzte bereits die Zugehörigkeit
der Sachsen zum Franken-Reich und zum christlichen Glauben voraus: sie
mußten sich durch Eide zur Treue zum fränkischen König
und zu Christus verpflichten; ihr Land wurde in kirchliche Missionssprengel
eingeteilt. Doch stellte sich heraus, daß zunächst wohl Teile
des sächsischen Adels, noch längst aber nicht der Großteil
des Volkes gewonnen war. Dessen Widerstand nahm vielmehr zu, als der 777
zum erstenmal erwähnte westfälische Adlige Widukind an
seine Spitze trat. Daran änderte auch wenig, daß KARL
782 auf dem Reichstag von Lippspringe sächsische Adlige als Grafen
einsetzte. Im Gegenteil: als im gleichen Jahr der fränkische Heerbann,
den ein sächsisches Aufgebot verstärken sollte, gegen die aufständischen
Slaven ausrückte, rief Widukind die Sachsen erneut zum Aufstand
auf. Statt den Franken zu helfen, überfielen sie ihr Heer am Süntel
aus dem Hinterhalt. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Und während
Widukind
fliehen konnte, ließ KARL
die
Empörer, deren er habhaft werden konnte, seine erbarmungslose Rache
spüren: Nach dem Bericht der Ann. regni Franc. verfielen 4.500 aufständische
Sachsen auf seinen Befehl bei Verden an der Aller dem Blutgericht. Die
folgenden erbitterten Kämpfe sind bestimmt durch die »Capitulatio
de partibus Saxoniae« (782), die jegliche Empörung gegen die
Reichsgewalt und den Abfall vom Christentum unter die härtesten Strafen
stellte. In diesen Kämpfen setzte sich die fränkische Übermacht
immer stärker durch - was zugleich als Überlegenheit des Christengottes
über die heidnischen Götter gedeutet wurde. Angesichts dieser
Situation gab Widukind im Jahre 785 den Kampf auf und empfing mit
seinem Waffengefährten Abbio in der Pfalz Attigny die Taufe.
KARL
ging daran, sich durch den Ausbau der kirchlichen Organisation der Christianisierung
Sachsens zu widmen. Aber die Gegensätze waren so tief, daß sie
nach siebenjähriger Ruhe 792 erneut in einem, allerdings auf die nordelbischen
Sachsen begrenzten Aufstand zum Ausbruch kamen. KARL
reagierte in der letzten Kampfphase in doppelter Weise, indem er einerseits
mit gewohnter Härte zurückschlug und den Druck durch Massendeportationen
noch verschärfte, andererseits aber unter dem Einfluß Alkuins
die harten Bestimmungen der »Capitulatio« durch das mildere
»Capitulare Saxonicum« von 792 ersetzte. Inzwischen war eine
neue Generation herangewachsen, die von den ewigen Kämpfen nichts
mehr wissen wollte. So klang der Krieg nach einer Dauer von 33 Jahren mit
dem bedeutungsvollen Ergebnis aus, daß die Sachsen nach den Worten
Einhards, »den christlichen Glauben annahmen und mit den Franken
ein Volk wurden« - was der Sachse Widukind von Corvey später
mit der Formel bekräftigte, daß Sachsen und Franken »gleichsam
ein Volk aus dem christlichen Glauben« geworden seien (I, 15). Die
Formel darf als eine gültige Bestätigung dafür gelten, daß
KARLS
Bemühungen um Sachsen ein voller Erfolg beschieden war: noch zu seinen
Lebzeiten war offenkundig, daß die Eingliederung Sachsens in das
Reich kirchlich und politisch in der Tat gelungen war.
Noch während der Sachsenkriege, neben denen die
Züge nach Italien und Spanien einhergingen, hat KARL
auch in Bayern klare Verhältnisse geschaffen und vor allem die Avarengefahr
im Südosten aus der Welt geschafft. In Bayern mußte der AGILOLFINGER
Tassilo III. den Versuch, sich der fränkischen Abhängigkeit
zu entziehen, 788 mit seiner Absetzung bezahlen. Bayern wurde anschließend
durch die Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung voll
in das Reich integriert. Die Veränderung in Bayern tangierte auch
dessen östlichen Nachbarn, die Avaren, die plötzlich in den unmittelbaren
Einflußbereich des mächtigen Franken-Reichs gekommen waren.
Hatte Tassilo noch mit ihnen paktiert,
so stieß KARL im Gegenschlag
gegen ihre Einfälle in mehreren Feldzügen (791, 795) bis in das
Zentrum ihres Reiches in der Pußta-Ebene vor und zerstörte ihre
Ringe, in denen er staunenerregende Schätze erbeutete (Avarenschatz).
Damit war die Entscheidung gefallen; erneute Empörungen führten
811 zu einem letzten Feldzug KARLS,
den das Reich der Avaren nicht überlebte. Sein Gebiet wurde den Kirchen
von Salzburg, Passau und Aquileia zur Mission anvertraut und politisch
als avarische Mark organisiert. Mit ihr, die die Vorstufe der späteren
Ostmark (Österreich) bildete, griff das großfränkische
Reich bis zur Raab und zum Plattensee aus.
Das Franken-Reich war in der Tat ein Großreich
geworden, dessen Erweiterung mit der Ausbreitung des Christentums Hand
in Hand gegangen war. KARL hatte sich
nicht nur als patricius Romanorum, sondern als Schutzherr der gesamten
westlichen Christenheit bewährt. Wenn Alkuin seine Herrschaft schon
seit 795 als »Imperium Christianum« hervorhob, so brachte er
damit zum Ausdruck, daß sein Reich mehr als ein regnum, eben ein
imperium war, das zudem mit der (westlichen) Christenheit in Deckung stand.
Er sprach damit offenbar die Auffassung des Hofkreises aus, die auch der
Papst geteilt zu haben scheint, nachdem Byzanz der römischen Kirche
schon seit langem nicht mehr den notwendigen Schutz gewährte. Als
Leo
III. 799 von römischen Gegnern überfallen wurde, suchte er
deshalb den Franken-König in Paderborn auf, um seine Hilfe zu erbitten.
KARL
gewährte ihm einen feierlichen Empfang, ließ ihn dann nach Rom
zurückgeleiten und zog im folgenden Jahr selbst in die Hl. Stadt,
um an Ort und Stelle seines Amtes als patricius Romanorum zu walten.
Am 23. Dezember 800 trat der Papst vor das Gericht und leistete einen Reinigungseid.
Bevor man daraufhin seinen Angreifern den Prozeß machte, feierte
man das Weihnachtsfest. Dabei setzte der Papst während der Christmette
KARL
die Kaiserkrone auf, während das anwesende römische Volk
dem Kaiser durch feierlichen Zuruf akklamierte und die Geistlichkeit die
Laudes sang (Krönung). Mit dieser »Anerkennung
KARLS
DES GROSSEN als Kaiser« (Schramm) war das mittelalterliche
Kaisertum begründet: KARL hatte
zu der die Könige überragenden Macht, die er schon längst
gewonnen hatte, das nomen imperatoris, die kaiserliche Würde, hinzugewonnen.
Nach dem Bericht Einhards soll KARL
DRE GROSSE sich über die Kaiserkrönung unwillig geäußert
haben: Er wäre der Messe ferngeblieben, wenn ihm die Absicht des Papstes
bekannt gewesen wäre. Diese Äußerung ist, wie wir heute
wissen, nicht wörtlich zu nehmen, denn KARL
wurde
zweifellos nicht ahnungslos vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch das
kunstvolle Zeremoniell muß vorher eingeübt worden sein. Seine
Reserve kann sich daher nicht gegen die Krönung, sondern nur gegen
ihre Form gerichtet haben, wobei ihm möglicherweise die führende
Rolle des Papstes und die Mitwirkung der Römer nicht behagten; denn
nicht sie, sondern die Franken stellten in seinen Augen das eigtliche Reichsvolk
dar. Auch die Rücksicht auf Byzanz hat zweifellos eine Rolle gespielt.
Wie wichtig ihm diese Fragen waren, läßt die Sorgfalt bei der
Wahl seines neuen, auffallend komplizierten Titels erkennen, der nach dem
Vorbild ravennatischer Urkunden gewählt war: »Karolus
serenissimus augustus a Deo coronatus magnus et pacificus imperator Romanum
gubernans imperium qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum«.
Der Titel hebt deutlich drei Grundelemente der neuen Würde hervor:
er betont ihre Gottunmittelbarkeit (a Deo coronatus), vermeidet mit Bedacht
die Bezeichnung »römischer Kaiser« und wählt stattdessen
die Umschreibung »Kaiser, der das römische Reich regiert«,
und behält schließlich bewußt den alten Königstitel
bei: ein Hinweis auf die Machtgrundlagen, auf denen die neue Würde
beruht. Die Formulierung hat sich in der Tat als geeignet erwiesen, mit
Byzanz, das das Kaisertum für sich in Anspruch nahm, zu einer Einigung
zu gelangen, die auf der Anerkennung des westlichen neben dem östlichen
Kaisertum beruhte.
KARL wollte, gleichberechtigt
mit Byzanz, der Kaiser des Westens sein, dessen Herr er schon vor
der Kaiserkrönung war und den er in dem Maße, wie er ihn in
seine Herrschaft einbezogen, auch für das Christentum gewonnen hatte.
In der Folgezeit betont er mit dem fränkischen besonders den christlichen
Charakter seines Reiches. In seinen Erlassen wird immer häufiger vom
'imperium christianum' und vom 'imperator christianissimus' gesprochen.
Sein Hof, in den letzten Jahren im wesentlichen in Aachen lokalisiert,
war nicht nur politisch, sondern auch geistig der Mittelpunkt seines Reichs,
das jetzt mit Europa identisch war.
[4] Hof- und Reichsverwaltung; der Hof als geistiges
Zentrum:
Die Konzentration auf die Pfalz in Aachen mit ihrer einzigartigen
Marienkapelle, dem stolzesten Denkmal Karls, hat dem Ausklang seiner Herrschaft
ihren bes. Glanz verliehen. Sie war freilich rein faktischer, nicht grundsätzlicher
Natur. De iure blieben alle Pfalzen (Palast, Pfalz) potentielle Heimstätten
des Königs und seines Hofes, der aus einem wechselnden Personenkreis
bestand. Seinen Kern bilden die alten germanischen Hausämter, von
denen das Amt des Hausmeiers jetzt allerdings aus einsichtigen Gründen
verschwand, während Marschall, Kämmerer, Truchseß und Schenk
bleibende Geltung erhielten (Hof, -ämter). Ihre Aufgaben wurden vom
Hof auf das Reich ausgedehnt, so daß die Reichsverwaltung als verlängerte
Hofverwaltung erscheint. Ihre Organisation hat KARLS
Vetter Adalhard in seiner verlorenen, aber von Hinkmar v. Reims
benutzten Schrift »De ordine palatii« beschrieben, in der nachdrücklich
die Verbindung von Hof- und Reichsverwaltung sowie die Zweiteilung in einen
weltl. und einen geistl. Teil hervorgehoben werden; von ihnen sind die
geistlichen Ämter besonders charakteristisch, da sie die Vergeistlichung
der schriftl. Verwaltung anzeigen, die mit dem Übergang der Herrschaft
von den MEROWINGERN zu den KAROLINGERN
Hand in Hand ging. An ihrer Spitze steht seit Pippin der oberste
Kapellan (später Erzkapellan), das Haupt der Hofkapelle, die auch
die Kanzlei unter der Leitung des Kanzlers umschließt. Der geistliche
Kanzler löst den weltlichen Referendarius der MEROWINGER-Zeit
ab, ist verantwortlich für das Beurkundungsgeschäft, für
das ihm in der Regel mehrere, ebenfalls geistliche Notare zur Hand gehen,
wird aber, ebenso wie der oberste Kapellan, auch für politische Aufgaben
herangezogen. Beide stellen nicht anders als die Inhaber der weltlichen
Hofämter Verbindungsglieder zu den Großen in den verschiedenen
Regionen dar.
Für die Lokalverwaltung ist kennzeichnend, daß
die KAROLINGER die Grafschaftsverfassung
im ganzen Reich durchzusetzen suchten (Graf, -schaft). Man wird daran festhalten
dürfen, daß diese unter den MEROWINGERN
i.w. auf den Westen, wo sie sich an die röm. civitas anschloß,
beschränkt geblieben war und ihre Ausbreitung im Osten, wo sie sich
an den pagus anlehnte, im großen und ganzen den Karolingern zuzuschreiben
ist. Dabei bleibt zu berücksichtigen, daß die Grafschaftsverfassung
der Absicht nach zwar das ganze Reich erfassen sollte, daß sie es
in Wirklichkeit aber nicht als ein »lückenloses Netz direkt
aneinander grenzender Grafschaften« (Mitteis) überzogen hat,
sondern ein System von Schwerpunkten bildete, von denen aus der Graf (comes)
seine Macht als Königsrichter und Wahrer der Interessen des Königtums
ausdehnte. Fähigere Inhaber des Grafenamtes setzten sich in der Regel
in der ganzen Grafschaft, gelegentl. sogar in mehreren Grafschaften durch,
schwächere mußten sich mit einem Teil begnügen. So blieben
oft machtfreie Zwischenräume übrig, die dem Adel Gelegenheit
zur Bildung eigener, immuner Herrschaften (Immunität) boten.
Damit die Grafschaften ihre Funktion im Sinne des Königtums
erfüllten, war es nötig, daß sie dem König und seinem
Hof verbunden blieben. Dieser Verbindung diente neben den Hof- und Reichsversammlungen
(placitum) die besondere Institution der sogenannten Königsboten
(missi dominici), deren Anfänge bereits auf die MEROWINGER
zurückgehen, die aber erst KARL DER GROSSE
zu einer ständigen Einrichtung ausgebaut hat. Er hat 802 das Reich
in feste missatica eingeteilt und jeweils einen geistlichen und einen weltlichen
Großen beauftragt, ihren Sprengel zu bereisen, um hier nach den eigens
für sie erteilten Instruktionen der Capitula missorum die Durchführung
der kaiserlichen Beschlüsse zu überwachen und dem Kaiser darüber
Bericht zu erstatten. So liefen am Hof alle Fäden aus dem Reich zusammen,
um im beständigen Wechsel den Kontakt zwischen Hof und Herrschaft
zu erneuern.
Es gehört zur Besonderheit des Hofes KARLS
DES GROSSEN, daß er nicht nur der Mittelpunkt von Macht
und Herrschaft, sondern auch das geistige Zentrum des Reiches und damit
des werdenden Europa war. Wenn wir bereits unter König Pippin
von einer Hofschule hören, so wuchs sie unter KARL
DEM GROSSEN in neue Dimensionen hinein. Wesentlich dafür
ist, daß KARL die führenden
Gelehrten seiner Zeit um sich versammelte, an ihrer Spitze, seit 786, den
großen Angelsachsen Alkuin, neben dem aus Italien die Lehrer Petrus
von Pisa und Paulinus, bald auch der Langobarde Paulus Diaconus, der Ire
Dungal, der Westgote Theodulf und andere eine intensive Wirksamkeit entfalteten.
Ihre Herkunft zeigt an, daß man am KARLS-Hof
das christliche und das antike Bildungserbe überall dort aufsuchte,
wo es noch lebendig war: nicht nur in Süd-Gallien, sondern vor allem
in Irland und England, Italien und Spanien, um es im Franken-Reich zu konzentrieren.
Der sammelnden Gelehrsamkeit der Hofgelehrten und der von ihnen angeleiteten
Schüler verdanken wir fast alle antiken Texte, die uns überkommen
sind - dies vor allem deshalb, weil KARL
den fränkischen Klöstern zur Pflicht machte, diese Texte abzuschreiben.
Zur Sammlung kamen eigene Leistungen hinzu: In den fränkischen Skriptorien
entsteht die karolingische Minuskel
als Grundform der mittelalterlichen Schrift. Wie die Schrift, so wird auch
die lateinische Sprache gereinigt; die Texte werden emendiert, so der Bibeltext
durch Alkuin und Theodulf und andere. Das Ergebnis dieser Bemühungen,
an denen KARL DER GROSSE selbst intensiven
Anteil nahm und die schon bald durch Franken wie Angilbert, Adalhard
und
Einhard wesentlich gefördert wurden, findet seinen Niederschlag in
einer neuen Blüte der Bildung, die von der Theologie und Liturgie
über die Geschichtsschreibung bis hin zur Dichtung reicht. Wir fassen
alle diese Leistungen unter dem Begriff der Bildungsreform
KARLS DES GROSSEN oder auch der karolingischen
Renaissance zusammen. Das Wesentliche daran ist, daß diese Kenntnisse
nicht auf den Hof beschränkt blieben, sondern die Texte auf Anweisung
KARLS
den Klöstern und Stiftskirchen als Muster zum Kopieren, zur Aufbewahrung
und zur weiteren Pflege übersandt wurden, so daß sie im ganzen
Reich Verbreitung fanden. Tatsächlich bilden sie den Fundus, aus dem
sich die geistige Bildung des werdenden Europa speist.
[5] Reichseinheit und Reichsteilungen 814-843:
Nach seiner Kaiserkrönung hatte KARL
DER GROSSE mit besonderem Nachdruck den christlichen Charakter
seines Imperiums betont. Aus ihm leitete er höhere Pflichten für
den Herrscher wie für die Untertanen ab, denen er 802 einen neuen
allgemeinen Eid abforderte, der dem Vasalleneid entsprach. Er verstärkte
seinen Anspruch auf Gleichrangigkeit seines Reiches mit Byzanz, den er
812 vertraglich sichern konnte - ein Faktum, das ihm so wichtig wie die
Kaiserkrönung war; denn die Anerkennung durch Byzanz dokumentierte
ebenso den Rang wie die Einheit des ksl. Imperiums, das als 'imperium occidentale'
neben das 'imperium orientale' trat. Kein Zweifel, daß ihm an der
Einheit des Reiches gelegen war. Dem widerspricht nur scheinbar, daß
KARL,
als er 806 eine divisio regnorum unter seinen drei Söhnen anordnete,
das Kaisertum unberücksichtigt ließ; denn die Söhne wurden
zunächst nur als Könige behandelt, und da nach germanischer Auffassung
nicht der einzelne König, sondern das Königshaus regierte, blieben
sie im corpus fratrum vereint. Die Verfügung über das
Kaisertum wurde offenbar nur zurückgestellt. Die Teilung wurde jedoch
nicht realisiert, da seit 811 nur noch KARLS
jüngster Sohn
LUDWIG (DER FROMME)
am Leben war, der als einziger Erbe nun auch Kaisertum und Königtum
wieder vereinigen konnte. So wurde er 813 zum Mitregenten erhoben. Auf
Anweisung
KARLS setzte er sich in der
Marienkapelle in Aachen selbst die Kaiserkrone auf.
Obwohl damit beim Tode KARLS
(814) die Nachfolge geregelt war, trat mit dem Herrscherwechsel sogleich
eine veränderte Atmosphäre ein: Am Hof zogen neue Berater und
strenge Sitten ein; Maßstäbe der kirchlichen Reform gewannen
die Oberhand; sie kündigen eine Wandlung im Verhältnis von Reich
und Kirche an, deren Einfluß zuzunehmen beginnt. Vor allem kirchlichen
Interessen bewogen LUDWIG bereits 817
zum Erlaß einer neuen Thronfolgeordnung, der sogenannten ordinatio
imperii, in der es letztlich um die Stärkung des Einheitsprinzips
gegenüber dem Teilungsgedanken ging: die 'unitas imperii' sollte
der 'unitas ecclesiae' entsprechen. Dementsprechend sollte die Kaiserwürde
ungeteilt auf den ältesten Sohn LOTHAR
übergehen; dessen beide jüngeren Brüder sollten sub seniore
fratre Teilreiche erhalten, und zwar Pippin
in
Aquitanien, Ludwig in Bayern. LOTHAR
wurde sofort zum Mit-Kaiser erhoben. Ihm sollte das alleinige Recht zustehen,
das Reich nach außen zu vertreten. Damit schien das Einheitsprinzip
gesichert, das Reich auf einer guten Bahn zu sein. Im Innern setzt eine
neue Reformgesetzgebung mit einer Flut von Gesetzen ein, die aber bald
wieder abflaute. Im Äußeren kündigten sich von mehreren
Seiten Gefahren durch neue Feinde, vor allem die Normannen, an, auf die
LUDWIG
mit unverkennbarer Schwäche reagierte. So breitete sich selbst unter
seinen Anhängern allmählich Unzufriedenheit aus.
Die Wende trat ein, als der Kaiser 829 auf Veranlassung
seiner 2. Gemahlin, der WELFIN Judith,
die ordinatio imperii von 817 selbst umstieß, um seinem nachgeborenen
Sohn KARL (DEN
KAHLEN) auf Kosten von dessen älteren Brüdern und
ohne deren Zustimmung einen eigenen Reichsteil zuzuweisen. Die Verfügung
löste die Empörung der betroffenen Kaisersöhne aus, an deren
Spitze LOTHAR trat. Die folgenden Kämpfe
führten mit mehrfach wechselnder Kombination 833 zur tiefen Demütigung
LUDWIGS
in der sogenannten Kirchenbuße in Soissons, die seine Herrschaftsunfähigkeit
demonstrieren sollte und zunächst auch LOTHAR
an seine Stelle treten ließ. LUDWIG
gab den Kampf jedoch nicht auf, wechselte aber sein Ziel, das fortan allein
darauf gerichtet war, KARL an der Herrschaft
zu beteiligen, so daß der alte Kaiser statt für die Einheit
des Reiches zuletzt für seine Teilung kämpft. Nach LUDWIGS
DES FROMMEN Tod (840) trat LOTHAR
zwar sofort für die Erhaltung der Reichseinheit ein, stieß aber
auf das Mißtrauen seiner Brüder Ludwig
und KARL (Pippin
war
bereits 838 verstorben). Bei dem Versuch, ihre Anerkennung zu erzwingen,
wurde er 841 bei Fontenoy geschlagen. Seine Niederlage zeigt, daß
der Einheitsgedanke an der Rivalität der Kaiser-Söhne im Grunde
bereits gescheitert war. Ludwig und
KARL
verstärkten anschließend ihr Bündnis gegen den Kaiser durch
die Straßburger Eide (842), die die beginnende nationale Absonderung
von Osten und Westen dokumentieren. Bezeichnend dabei ist, daß Ludwig»der
Deutsche« in altfranzösischer,
KARL
DER KAHLE in althochdeutsch Sprache schwor, damit die Gefolgsleute
der Brüder sie jeweils verstehen konnten.
Die Bruderkämpfe fanden ihren vorläufigen Abschluß
nicht durch einen weiteren Waffengang, sondern dank der Einschaltung des
Adels, der in den Kämpfen zunehmend an Gewicht gewonnen hatte, durch
den Vertrag von Verdun von 843. Vorbereitet durch eine Descriptio regni,
brachte der Vertrag die rechtsgültige Teilung des Franken-Reichs in
drei Teilreiche: ein West- und Ostreich sowie ein Mittelreich, das dem
Kaiser vorbehalten blieb. Es zog sich als zentrale Achse von der Nordseeküste
bis zum Golf von Gaëta in Süd-Italien und umschloß mit
Aachen und Rom den Rheinlauf, die Alpenpässe und die Lombardei. Das
erweiterte Westreich erhielt KARL DER KAHLE,
das ebenfalls erweiterte Ostreich Ludwig der Deutsche.
Obwohl man an der Idee der Reichseinheit noch festhielt, waren die neuen
Reiche jetzt praktisch gleichberechtigt und auf sich gestellt. Der Kaiser
besaß zwar einen höheren Rang, aber keine Obergewalt über
die Brüder mehr. Immerhin: sie gehörten der gleichen Familie
an, und die sogenannten Frankentage, auf denen sie sich in den nächsten
Jahrzehnten zu gemeinsamen Beschlüssen trafen, konnten als eine freilich
nur lose Klammer wirken. Tatsächlich setzte sich mehr und mehr die
Eigenmacht der neuen Reiche durch.
[6] Die Auflösung des karolingischen Imperiums:
Der Vertrag von Verdun war unter maßgeblicher Beteiligung
der fränkischen Großen zustandegekommen. Ihr Gewicht war während
der Bruderkämpfe so sehr gewachsen, daß sie dem Kaiser und den
Königen als gleichgewichtige Partner gegenübertraten. Im Westreich
zwangen die fideles König KARL
sogar noch im Jahre 843 in Coulaines zu einem besonderen Vertrag über
die rechtlichen Grundlagen seiner Herrschaft. Der Vertrag lief darauf hinaus,
daß der König das Recht der fideles auf Mitwirkung bei der Ausübung
seiner Herrschaft anerkennen mußte. Dementsprechend hat er auch auf
den »Frankentagen« von ihnen wiederholt als Mitträgern
seiner Herrschaft gesprochen. Tatsächlich nahmen sie im Westreich
eine wesentlich stärkere Stellung ein als in den beiden anderen Reichen,
wenn freilich auch deren Herrscher mit der wachsenden Macht ihrer Großen
zu rechnen hatten. Am günstigsten gestaltete sich die Situation zunächst
noch für LOTHAR I., da die Kaiserkrone
die Anhänger der Einheitspartei auf seine Seite zog. Doch war er glücklos
im Kampf gegen Sarazenen (827 Besetzung von Sizilien, 841 Einnahme von
Bari) und Normannen. Selbst im Innern blieb er tatenlos. Als verhängnisvoll
erwies sich seine 855 kurz vor seinem Tod getroffene Entscheidung, das
Mittelreich unter seine drei Söhne zu teilen und selbst die Herrschaft
niederzulegen. Von seinen Söhnen erhielt der älteste, LUDWIG
II., bereits 850 zum Mitkaiser gekrönt, Italien, der jüngste,
Karl,
die Provence mit dem südl. Burgund, Lothar
II. das nach ihm als Lotharingien bezeichnete Gebiet an Maas,
Mosel und Niederrhein.
Mit dieser Teilung von 855 war der Traum vom Mittelreich
als Klammer des Gesamtreichs ausgeträumt: Das Kaisertum war in den
Süden abgewandert. Nördlich der Alpen spielte es keine Rolle
mehr. Hinkmar von Reims sprach mit Recht vom »imperator Italiae nominatus«
(Ann. Bert. a. 864). Die Beschränkung des Kaisertums auf Italien zeigt
symptomatisch an, wie rapid der Auflösungsprozeß des Franken-Reichs
jetzt vor sich ging. Er spiegelt sich am deutlichsten im weiteren Verfall
des Mittelreiches. Als Karl von der Provence
863 kinderlos starb, teilten sich seine Brüder LUDWIG
II. und Lothar II. zwar
in sein Erbteil, doch fiel die Stärkung für keinen mehr ins Gewicht.
LUDWIG
II. verzehrte sich im Kampf gegen die Sarazenen. Lothar
II., im Grunde allein darauf bedacht, seine Ehescheidung durchzusetzen,
rief gegen sich den mächtigen Papst Nikolaus I. auf den Plan,
der ihn in seine Grenzen wies. So war das Ende des restlichen Mittelreichs
'Lotharingien' vorauszusehen: zwischen West- und Ostreich gelegen, sollte
es zum Streitobjekt beider werden.
In der Tat hatten die beiden Außenreiche, das Westreich
KARLS
DES KAHLEN und das Ostreich Ludwigs
des Deutschen, seit der Abwanderung des Kaisertums in den Süden
das Gesetz des Handelns im alten Reichsgebiet an sich gezogen. Zwar waren
beide von starken äußeren Feinden bedrängt, insbesondere
von Normannen im Westen und Slaven (Böhmen, Mähren) im Osten.
Aber obwohl ihre Abwehr eine Daueraufgabe blieb und obwohl der Adel die
Bedrängnis der Kg.e nutzte, seine eigene Position zu stärken,
konnten sowohl KARL DER KAHLE wie auch
Ludwig
der Deutsche die königliche Stellung festigen, zumal die
Kirche treu zu ihnen hielt. Ihre Unterstützung kam vor allem KARL
DEM KAHLEN zugute, dem dank der Hilfe des Erzbischofs Hinkmar
von Reims, des bedeutendsten Kirchenmannes seiner Zeit, durch die Sakralisierung
der Krone eine Stärkung der Königsgewalt gelang, die ein gewisses
Gegengewicht gegen deren Schwächung durch die Großen bildete.
An seinem Hof, an dem unter anderem der Ire Johannes Eriugena wirkte, nahm
er die Bildungsbestrebungen seines Großvaters Karls
d. Gr. wieder auf, dessen Vorbild er auch in seinen Urkunden
beschwor. Auch Ludwig der Deutsche
zehrte von seinem Erbe. Und wie KARL DER KAHLE
in Hinkmar von Reims, so hatte er in Hrabanus Maurus, den er
847 zum Erzbischof von Mainz erhoben hatte, den einflußreichsten
Kirchenfürsten seines Reichs auf seiner Seite, der als ehemaliger
Schüler Alkuins ebenfalls noch in gesamtfränkischen Zusammenhängen
dachte. Die alten Verbindungen wirkten auf beiden Seiten nach. So veranlaßten
im Jahre 858 Schwierigkeiten KARLS
auf Einladung mehrerer westfränkischer Großer Ludwig
den Deutschen zu einem Einfall in das Westreich, der aber nicht
zuletzt durch die Einschaltung Hinkmars scheiterte. Als Lothar
II. 869 ohne rechtmäßige Erben starb, kam KARLDER
KAHLE dem erkrankten Ludwig dem Deutschen
zuvor und nahm seinerseits Lotharingien in Besitz, wurde aber von Ludwig
nach dessen Genesung im Vertrag von Meerssen (870) zur Teilung des regnum
Lotharii (entlang der Mass-Mosel-Linie) und zur Herausgabe der östlichen
Hälfte gezwungen. Dafür gewann KARL
nach dem Tode Kaiser LUDWIGSII.
(† 875) den Wettlauf um die Kaiserkrone, die er im Dezember
875 auf Einladung Papst Johannes' VIII. aus dessen Händen
empfing. Ludwig d. Dt. sann auf Abhilfe,
starb aber bereits im folgenden Jahr, nachdem er sein Reich wieder in der
üblichen Weise unter seine drei Söhne geteilt hatte. Sie setzten
den Widerstand ihres Vaters gegen den Kaiser fort. Als dieser den Tod Ludwigs
des Deutschen zum Anlaß nahm, sich des Ostreichs zu bemächtigen,
warf Ludwig III. (der Jüngere)
ihn in den Westen zurück (Schlacht bei Andernach, 876). Auch in Italien,
wo Karlmann, der älteste Sohn
Ludwigs des Deutschen, ihm die Herrschaft
streitig zu machen suchte, hatte Karl
wenig Glück. Selbst in seinem eigenen Reich war seine Stellung gegenüber
der Aristokratie durch die Kaiserkrone kaum gestärkt. Als er 877 zu
einem zweiten Italienzug rüstete, konnte er die Großen dafür
nur gewinnen, indem er ihnen die Erblichkeit der Lehen zugestand. Das berühmte
Kapitular von Quierzy von 877, das dies dokumentiert, zeigt damit die fortschreitende
Feudalisierung des Westreichs an, ein Prozeß, in dem es den übrigen
Reichen freilich nur voranging (Lehnswesen). Auf dem gleichen Italienzug
ist KARL DER KAHLE noch im Jahre 877
gestorben. Der frühe Tod seines Nachfolgers Ludwig
des Stammlers bot dem ostfränkischen Ludwig
III. Gelegenheit, in den Verträgen von Verdun (879) und
Ribémont (880) den in Meerssen an das Westreich gekommenen Teil
Lothringens zum Ostreich zu schlagen, so daß fortan ganz Lothringen
zum Ostreich gehörte.
Zwischen beiden Reichen pendelten die Gewichte der Macht
hin und her. Beide kristallisierten sich seit 843 mehr und mehr als Haupterben
des großfränkischen Reiches heraus. Während sie bereits
feste Gestalt gewannen, trat noch einmal eine unerwartete Wendung ein,
verursacht durch dynastischen Zufall. Da von den Söhnen Ludwigs
des Deutschen Karlmann und Ludwig III.
früh starben, vereinigte der jüngste KARL
III., DER DICKE, erst das
ostfränkische Reich wieder in seiner Hand, und da um die gleiche Zeit
auch die westfränkische Linie der KAROLINGER
(bis auf den unmündigen Karl den Einfältigen)
erlosch, bot der westfränkische Adel KARL
III. auch die Krone des Westreiches an, nachdem Papst Johannes
VIII. ihn 881 obendrein zum Kaiser erhoben hatte. Auf diese Weise war
gleichsam durch ihn das großfränkische Reich wiederhergestellt
und wie einst unter KARL DEM GROSSEN Reich
und Kaisertum wieder zur Deckung gebracht. Aber KARL
III. war alles andere als ein zweiter KARL
DER GROSSE. Seine Herrschaft ist gerade dadurch gekennzeichnet,
daß in ihr die Verbindungen zu den karolingischen
Einrichtungen abrissen. So ist symptomatisch, daß das letzte westfränkische
Kapitular aus dem Jahre 884 stammt. Die schriftliche Verwaltung schrumpfte
allgemein auf ein Minimum zusammen. Die Untätigkeit des Kaisers verband
sich mit der Erblichkeit der großen Ämter und bewirkte, daß
der Adel immer stärker als das bestimmende Element des Reiches in
Erscheinung trat. Der Kaiser war nicht mehr in der Lage, ihn an sich zu
binden. Und da er besonders im Westen und Süden auch kein rechtes
Verhältnis zur Kirche gewann, hatte damit der Gedanke an die Reichseinheit
seine alten Stützen verloren.
In dieser Lage gab den Ausschlag, daß der Kaiser
sich als unfähig erwies, das Reich gegen die wachsende Bedrohung durch
die Normannen zu schützen. Seit sie 881 in Elsloo an der Maas einen
festen Stützpunkt gewonnen hatten, suchten sie vor allem Lothringen
in immer neuen Beutezügen heim. Der hilflose Versuch des Kaisers,
ihren Abzug durch Geldzahlungen zu erkaufen, löste 882 eine erste
Empörung aus. Als KARL III. dann
886 vor Paris, das Graf Odo aus dem
Haus der ROBERTINER tapfer verteidigt
hatte, erneut der Entscheidung durch die Waffen auswich und den Abzug der
Normannen wiederum durch hohe Geldzahlungen erkaufte und ihnen sogar Winterquartiere
in Burgund anbot, kündigte der empörte Adel den Gehorsam auf:
KARL
III. wurde im November 887 abgesetzt, und sofort wurde deutlich,
wie weit die innere Auflösung des Großreichs bereits fortgeschritten
war. Mit der Absetzung des Kaisers, die ARNULF
»VON
KÄRNTEN« an der Spitze des ostfränkischen Adels
bewirkt hatte, zerbrach das Großreich der KAROLINGER
endgültig; es löste sich in seine Teile auf. Es waren fünf
Königreiche, die an seine Stelle traten, wobei wesentlich ist, daß
jetzt - mit Ausnahme ARNULFS VON KÄRNTEN
- nicht mehr Mitglieder des karolingischen Herrscherhauses,
sondern hohe Adlige, Angehörige der sogenannten Reichsaristokratie,
an die Spitze der einzelnen Königtümer traten: allen voran 887
der KAROLINGER ARNULF in Ostfranken,
dann 888 Graf Odo von Paris in Westfranken,
der WELFE Rudolf in Hoch-Burgund, neben
ihm (bereits seit 879) Graf Boso von Viennein
Nieder-Burgund; in Italien setzte sich unter den beiden fränkischen
Rivalen BERENGAR VON FRIAUL
gegen
WIDO
VON SPOLETO durch.
So bilden die Jahre 887 und 888 einen Schluß- und
Wendepunkt: das karolingische Großreich
gehört endgültig der Vergangenheit an. Die neuen Reiche, die
aus ihm hervorgehen, werden zum Teil von kurzer Dauer sein. Es ist gewiß
kein Zufall, daß den beiden Reichen unter ihnen, die am stärksten
aus einem Erbe zehren, die Zukunft gehören sollte, nämlich Westfranken
als Vorstufe Frankreichs und Ostfranken als Vorstufe zum Reich der Deutschen
(Deutschland).
J. Fleckenstein
MEROWINGER
Merowech | 448- 457 |
Childerich I. | 457- 481 |
Chlodwig I. | 481- 511 |
Theuderich I. Reims | 511- 533 |
Theudebert I. Reims | 533- 548 |
Theudebald Reims | 548- 555 |
Chlodomer Orleans | 511- 524 |
Childebert I. Paris | 511- 558 |
Chlothar I. Soissons | 511- 561 |
Sigibert I. Austrasien | 561- 575 |
Childebert II. Austrasien | 575- 596 |
Theudebert II. Austrasien | 596- 612 |
Theuderich II. Austrasien | 596- 613 |
Sigibert II. Austrasien | 613 |
Guntram Burgund | 561- 592 |
Charibert I. Paris | 561- 567 |
Chilperich I. Neustrien | 561- 584 |
Chlothar II. | 584- 629 |
Dagobert I. | 629- 639 |
Charibert II. Aquitanien | 630- 632 |
Sigibert III. | 634- 656 |
Dagobert II. | 656- 660 |
Childebert adoptivus | 660- 662 |
Childerich II. | 662- 675 |
Chlodwig II. Neustrien | 639- 657 |
Chlothar III. | 657- 673 |
Theuderich III. | 673- 691 |
Dagobert II. Austrasien | 676- 679 |
Chlodwig III. | 690- 694 |
Childebert III. | 694- 711 |
Dagobert III. | 711- 715 |
Chilperich II. | 715- 721 |
Chlothar IV. | 717- 719 |
Theuderich IV. | 721- 737 |
Interregnum | 737- 743 |
Childerich III. | 743- 751 |
KAROLINGER
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Pippin III. | 751- 768 |
Karlmann | 768- 771 |
KARL I. DER GROSSE | 768- 814 |
LUDWIG I. DER FROMME | 814- 840 |
LOTHAR I. | 840- 855 |
LUDWIG II. Italien | 855- 875 |
Lothar II. Lothringen | 855- 869 |
Karl Provence | 855- 863 |
KARL II. DER KAHLE Frankreich | 840- 877 |
Ludwig II. der Stammler | 877- 879 |
Ludwig III. | 879- 882 |
Karlmann | 882- 884 |
KARL III. DER DICKE | 884- 887 |
Odo von Paris | 888- 899 |
Karl III. der Einfältige | 893- 929 |
Robert I. | 922- 923 |
Rudolf von Burgund | 923- 936 |
Ludwig IV. | 936- 954 |
Lothar III. | 954- 986 |
Ludwig V. Faineant | 986- 987 |
Ludwig II. der Deutsche Deutschland | 840- 876 |
Karlmann | 876- 879 |
Ludwig III. der Jüngere | 876- 882 |
KARL III. DER DICKE | 876- 887 |
ARNULF VON KÄRNTEN | 887- 899 |
Ludwig IV. das Kind | 900- 911 |