Lexikon des Mittelalters:
********************
Vandalen
-----------
[1] Die Anfänge:
Der germanische Stamm der Vandalen (Vandali, -dili, -dilii,
bandtloi, OO6ndaloi, -dhloi) ist etwa seit unserer Zeitrechnung im späteren
östlichen Deutschland und Polen nachweisbar (Plin. nat. 4, 99; Tac.
Germ 2, 4). Eine schwedische Urheimat oder Verbindung mit Kimbern und Teutonen
ist nicht gesichert; Zugehörigkeit zum Kultverband der Lugier möglich.
Vandalische Teilstämme treten in den folgenden beiden Jahrhunderten
an verschiedenen Stellen auf: die Silingen in Schlesien und die
Asdingen
an der Grenze zu Dakien), von wo letztere unter Mark
Aurel ins Imperium eindrangen (Hist. Aug. Aur. 17, 3) und sich
später an Invasionen beteiligten (Hist. Aug. Prob. 18, 2; Zos. 1,
67ff.). Am Anfang des 4. Jh. sind Kämpfe mit Goten, um 335 ist unter
Konstantin eine Ansiedlung in Pannonien bezeugt (Iord. Get.
21, 113; 31,161; Paneg. 11,17,1).
Während der Völkerwanderung
vereinigten sich die getrennten Teile wieder, fielen um 401 erneut in das
Reichsgebiet ein (Claud. 26, 414), nahmen 406 am allgemeinen Vorstoß
nach Gallien teil, wo König Godegisel
im Kampf mit den Franken fiel
(Oros. hist. 7,40,3; Greg. Tur. Franc. 2,9), und gelangten um 409 zusammen
mit Alanen und Sueben
nach Spanien (Silingen in die Baetica, Hasdingen und Sueben in die Gallaecia;
Galicien). In Kämpfen mit den Westgoten
wurden die Silingen vernichtet; alanische Gruppen verloren ihre
Stammesführer und unterstellten sich den Vandalen. Nach dem Sieg über
den römischen Magister militum Castinus 425 verlagerten die
Vandalen ihre Interessen auf die See (Salv. gub. 6, 68) und plünderten
Carthago Spatharia (Cartagena), die Balearen und die mauretanische Küste
(Hyd. chron. II p. 21, 86).
[2] Eroberung Nordafrikas und Reichsbildung unter Geiserich:
Auf Einladung des Comes Bonifatius,
der aber offensichtlich keine Landnahme erwartete, setzte 429 unter Geiserich
das Volk (80.000 Menschen) nach Afrika über. In die folgenden Kämpfe
(Belagerung von Hippo Regius) griff auch Byzanz unter Aspar
ein. Durch den Friedensschluß von 435 wurde die Ansiedlung gesichert,
doch erst nach Raubzügen zur See und Eroberung von Karthago (439)
kam es 442 zum Frieden mit Rom und Byzanz; Geiserichs
Sohn Hunerich
wurde mit Eudokia,
der Tochter Valentinians III., verlobt.
Damit etablierten sich die Vandalen als dritte Macht im Mittelmeerraum
durch den Besitz von Africa proconsularis, Ost-Numidien und Mauretania
Tingitana (Tanger). Da ein gutes Verhältnis zu Westrom bestand (Prisk.
frg. 2), erscheint die Nachricht, Geiserich habe
Attila
gegen
Valentinian
III. zu mobilisieren versucht (Iord. Get. 36, 136; Prisk.frg.
5), als widersinnig und damit unhistorisch. Die Eroberung und Plünderung
Roms 455, vielleicht auf Bitten der Kaiser-Witwe
Eudoxia
veranlaßt, können als Loyalitätsakt gegenüber dem
ermordeten Valentinian III. verstanden
werden (Ioh. Ant. fr. 201,6; Vict. Vit. 1,25; Prok. Vand. 1,5,1; Hyd. chron.,
p. 28,167); der daraus abgeleitete Begriff des 'Vandalismus' (erstmalig
1794 in Frankreich gebraucht) freilich ist Ausdruck simplifizierenden Barbarenklischees
(vgl. Prosp. chron. I p. 484, 1375). Dennoch ist der Versuch Geiserichs,
an seinem Hofe einen neuen Machtmittelpunkt zu bilden, unverkennbar, zumal
der Ehe zwischen Hunerich und Eudokia
bald ein Sohn entstammte. Auch die Thronbesteigung des mit
Hunerich verschwägerten Olybrius
dürfte von Geiserich gefördert
worden sein. Umgekehrt brachten vandalische Plünderungszüge Rom
in Versorgungsschwierigkeiten (Ricimer);
ein Landungsversuch Maiorians in Afrika
von Spanien aus scheiterte 461. Die seit der Eroberung Roms in Karthago
festgehaltenen Angehörigen der kaiserlichen Familie wurden 464 nach
Byzanz entlassen. Geiserich unterstützte
zeitweise Aegidius
in Gallien, während ein großes oströmisches Angriffsunternehmen
in Verbindung mit der Krönung des Anthemius
als Kaiser im Westen 468 fehlschlug (Marcellinus, Basiliskos).
Schließlich garantierte ein Friede 474 Geiserich
den Besitz von Sardinien, Korsika, Sizilien und der afrikanischen Provinzen,
die aber angesichts wachsender Stärke der maurischen Stämme nicht
zu kontrollieren waren. Auch auf den Inseln war die vandalische Präsenz
auf einzelne Stützpunkte beschränkt. Sizilien mußte 476
an Odoaker
gegen Tribut ausgeliefert werden, 491 wurde es völlig an Theoderich
abgetreten.
Beim Tode Geiserichs
477 hatte sich das vandalische Königtum uneingeschränkt etabliert
(zur Nachfolgeordnung vgl. Prok. Vand. 1,7, 29; Iord. Get. 33, 169); eine
Teilnahme des Volkes an Entscheidungen ist nicht überliefert. Bei
der Ansiedlung der Vandalen besonders in der regio Zeugitana um Karthago
wurden im Rahmen des Kolonats (Kolone) nach Möglichkeit die alten
Grundherren, auch die Kirche, belassen; die überkommenen Strukturen
der Selbstverwaltung (Decurio) blieben erhalten, die (aber wohl nicht allzu
drückende) Steuerlast (Salv. gub. 5, 36) oblag den römiischen
Eigentümern. Traditionell ist die Gliederung in Geburts- und Dienstadel
sowie Gemeinfreie mit der Möglichkeit sozialer Mobilität; der
Titel 'comes' kennzeichnet bestimmte Funktionen.
An der arianischen Religion (Arius, Arianismus) wurde
rigoros festgehalten. Römer, die übertraten, erfuhren Förderung;
von gelegentlichem Taufzwang wird berichtet, doch führte die Verfolgung
von Katholiken zu wachsender Isolierung der führenden Minderheit,
die ohne Zuzug von außen durch andauernde Kriegseinsätze sowie
durch die klimatischen Bedingungen dezimiert wurde. Betont wird auch die
ungewohnt üppige, daher verderbliche Lebensweise der Oberschicht.
Unter den Nachfolgern Geiserichs wird
physischer Verfall deutlich.
[3] Das Vandalenreich unter Geiserichs Nachfolgern:
Nachdem bereits 442 unter Geiserich
eine
hinsichtlich ihrer Ursachen unklare Adelsverschwörung niedergeschlagen
worden war, hatte Hunerich (reg. 477-484)
eine Adelsopposition zu bewältigen. Die von Hunerich
noch mit Härte fortgeführte Arianisierungspolitik (Vict. Vit.
2, 23) wurde von seinem Neffen Gunthamund
(reg. 484-496), Sohn Gentos,
beendet. Dieser hatte jedoch Verluste infolge des permanenten Vielfrontenkrieges
gegen Mauren und Dromedarnomaden hinzunehmen. Bezeichnend für das
Mißtrauen gegen Byzanz war das Schicksal des Dichters Dracontius,
der wegen Widmung eines Gedichtes an Kaiser Zenon
eingekerkert wurde. Gunthamunds Bruder
Thrasamund
(reg. 496-523) herrschte über ein weitgehend romanisiertes Volk (Zeugnisse
römischer Geisteskultur, auch im kirchlichen Bereich, bei Fulgentius
von Ruspe).
Durch Thrasamunds
Ehe mit Amalfrida,
der Schwester des Ostgoten-Königs
Theoderich des Großen, wurde das Vandalen-Reich um 500
in dessen Bündnisgefüge eingegliedert, was jedoch keine Sicherung
vor weiteren Verlusten in Afrika bot. Deutlich ist Thrasamunds
Bemühen um ein gutes Verhältnis zu Byzanz. Trotz Verbannung einzelner
Bischöfe war der König um einen Dialog mit den Katholiken bemüht.
Hilderich
(reg. 523-530), Sohn Hunerichs
und
der Eudokia, vollzog politisch (Tötung
Amalfridas,
Münzbilder Justinians) und religiös
(Synode von Karthago, 525) die Hinwendung zu Byzanz, wurde aber nach einer
Niederlage gegen die Mauren im Zuge einer Adelsverschwörung gefangengenommen
(und 533 getötet). Die Ausschaltung Hilderichs
bot Byzanz den Anlaß zur Wiedereroberung (533). Der letzte vandalische
König
Gelimer
(530-534), der (vor allem bei Ad Decimum nahe Karthago) der
Truppenmacht Belisars
unterlag, erhielt einen Wohnsitz in Kleinasien zugewiesen. Wehrfähige
Vandalen. wurden in der byzantinischen Armee nach Osten geschickt, doch
nahmen vandalische Elemente auch an den antibyzantinischen Aufständen
der folgenden Jahre teil. Volksreste wurden danach nach Osten verbracht,
das vandalische Substrat verschwand. Gleiches freilich gilt für einen
in der Heimat zurückgebliebenen Rest (Prok. Vand. 1, 22, 3). Das Gebiet
des ehemaligen Vandalen-Reiches in Nord-Afrika wurde von Byzanz im späten
6. Jh. als Exarchat organisiert.
G. Wirth