Ruth Schölkopf

"Die sächsischen Grafen 919-1024"

7. Die Sippe der Harzgrafen

Die Sippe der Harzgrafen läßt sich auf Grund unmittelbarer Zeugnisse durchgängig vom 9. Jahrhundert bis in das 10. Jahrhundert hinein verfolgen. Nach dem Bericht der Vita Liutbirgae besaßen die beiden Grafen Friedrich und Adalgar in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts ein Haus in Thale. Sie sind die ersten bekannten Mitglieder einer Familie, die allmählich ihre Stellung ausbaute und zu hohem Ansehen gelangte. Auch im Derlingau bei Lauingen (Kreis Helmstedt) ließ sich an Hand der Corveyer Traditionen Besitz des Grafen Friedrich nachweisen. Sein Bruder - Graf Adalgar - vergrößerte den Familienbesitz um Calefeld und Wulften, die in seinem Komitat lagen. Die Vita Liutbirgae berichtete, dass Friedrich mit einer Bia vermählt war.
Die gleichen Namen traten erneut in einer Urkunde von 937 auf. Auf Bitten eines Fridericus fidelis noster erhielt seine Mutter Bia, eine verwitwete Edelfrau (nobilis matrona), bisher königliches Gut in Giersleben im Schwabengau geschenkt. Wenn wir - gestützt auf die Aussage der Urkunde - ein hohes Alter der Bia  annehmen, ist es möglich, sie mit der Gattin des Grafen Friedrich zu identifizieren.
Bias Sohn war vermutlich der Graf Friedrich, der im Jahre 921 den Abschluß des Vertrages zwischen HEINRICH I. und Karl III. dem Einfältigen testierte. Am Ende der aus elf Grafennamen bestehenden Zeugenliste standen Fridericus und Folcdag, die namensmäßig sächsische Grafen aus dem Harzgebiet sein könnten. Ihre Rangstellung nach den Mitgliedern der angesehenen Familien der KONRADINER und HATTONEN würde ihrer Machtstellung entsprechen. Graf Friedrich ist ferner durch ein Diplom HEINRICHS I. bezeugt. Eine Verwandtschaftsbeziehung zu Graf Folcdag läßt sich nicht ermitteln, aber die Stammsilbe seines Namens tritt bei Friedrichs Sohn wieder auf.
Graf Friedrich hatte zwei Söhne, wie aus einer Urkunde von 945 hervorgeht. Diese Söhne Folcmar und Ricbert erhielten Besitzrechte über bisher königliches Eigentum in Wieskau und in drei Ortschaften des Fuhnegebietes im Gau Serimunt. Graf Friedrich selber hieß in dem Diplom noster fidelis vassalus, eine Bezeichnung, die um diese Zeit noch selten angewandt wurde. Von den Söhnen liegen noch keine Zeugnisse vor.
Vielleicht handelte es sich bei dem Namen Ricbert um Wiederaufnahme eines Familiennamens. Auf diese Weise wäre es durch Rückschluß, jenen Grafen Ricbert als Vorfahren in die Familie einzubeziehen, der um 822 Besitz im Derlingau in campo Bochinafeld und im Nordthüringgau hatte. Möglicherweise kommt noch ein Graf Ricger in Frage, der um dieselbe Zeit über Besitz in Thale verfügte. Es ist zeitlich gesehen möglich, beide Grafen als unmittelbare Vorfahren der erstgenannten Grafen Friedrich und Adalgar zu betrachten, zumal sich Namen und Besitzlage in Einklang bringen lassen.
Von 961 an trat erneut ein Graf Friedrich auf, den schon Kurze mit dem gleichzeitig amtierenden Pfalzgrafen identifizierte. Generationsmäßig war er ein Bruder Ricberts und Folcmars und somit Sohn des Grafen Friedrich. Dieser Graf Friedrich verwaltete eine Grafschaft, in der die Orte Marsleben, Sallersleben (wüst), Orden (wüst), Sülten (wüst), Hahen, Gersdorf, Biklingen, Adelboldesrod (Lage ungewiß), Harzgerode und Siptenfeld namhaft gemacht wurden. Graf Friedrich wurde 974 gleichfalls im Harzgau erwähnt, in dem der Hof Brockenstedt in seiner Grafschaft lag. Zwei Diplome des Jahres 995 hoben hervor, dass die Orte Godenhusen, Sievershausen (wüst), Sillstedt, Wülperode und Ströbeck im Harzgau seiner gräflichen Amtsbefungnis unterstanden. Eine nicht genau datierte Urkunde, die um das Jahr 1000 anzusetzen ist, bezeugte die Orte Minsleben und Reddeber in seiner Harzgrafschaft. Graf Friedrich verwaltete außer der Grafschaft im Harzgau noch eine weitere im Nordthüringgau, wo Dodendorf ihm rechtlich unterstand. Die gelegentliche Intervention spricht für eine gewisse Nähe zum Königshof. Graf Friedrich fand außer in Diplomen auch in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung Erwähnung. Thietmar berichtete von seiner Anwesenheit auf der Versammlung der sächsischen Großen im Jahre 983. Seit 993 legt ihm Thietmar den Titel Pfalzgraf bei. Es können sich kaum Zweifel erheben, dass Friedrich, der Graf des Harz- und Nordthüringgaues, und der sächsische Pfalzgraf gleichen Namens personengleich waren. Wir verfolgten an Hand der Urkunden, wie sich die Familie der Gunst des Kaiserhauses erfreute. Es ist also nicht verwunderlich, dass es ihr das wichtige Pfalzgrafenamt anvertraute. Kurze wies schon darauf hin, dass Thietmar ihm 993 die pfalzgräfliche Stellung fälschlich zu früh einräumte. Friedrichs Amtsvorgänger weilte zu dieser Zeit noch unter den Lebenden. Wohl erst nach dessen Tode 995 war Friedrichs Amtsnachfolge möglich. Friedrich nahm 993 am Zug Ekkehards I. von Meißen gegen die Liutizen teil. 1002 befand er sich im Gefolge des neugewählten Königs HEINRICH II. in Merseburg. Bald darauf starb Friedrich. Schon 1003 amtierte Burchard als Pfalzgraf und Ricbert als Graf im Harzgau. Da beide Grafen nicht als seine Söhne in Betracht kommen, müssen wir mit einem kinderlosen Abscheiden Friedrichs rechnen.
Im Harzgau im Raum von Börmecke (Kr. Blankenburg) ist 1006 Graf Folcmar bezeugt, den man aus der Übereinstimmung von Herrschaftsbereich und Namen für ein Mitglied der Familie halten möchte. Es ist fraglich, ihn als Nachkommen Folcmars, Friedrichs Sohn, anzusehen, weil sich dessen Herrschaftsbasis nicht nachweisen ließ. Vielleicht trat er sogar in kirchlichen Dienst.
Ebensowenig läßt sich Ricbert als Inhaber von Grafenrechten nachweisen. Vielleicht war Pfalzgraf Friedrich der älteste Sohn und Amtsnachfolger des Grafen Friedrich. Graf Folcmar nahm wahrscheinlich, wie auch der Pfalzgraf, an den Slawenkämpfen teil. Aus diesem Grunde könnte er der Graf Folcmar sein, der 1015 zusammen mit Markgraf Gero II. den Tod fand. Als Todestag wurde im Merseburger Totenbuch der 1. September festgehalten. Es ist nicht bekannt, ob Folcmar Kinder hinterließ.
Zu dem Verwandtschaftskreis der Harzgrafen und der mit ihnen versippten Ricdag-Sippe gehörte auch die Familie des Grafen Ricdag. Ricdag war im Schwabengau im Gebiet von Walbeck Inhaber von Grafenrechten. Vermutlich war Graf Ricdag auch im Besitz der Vogtei von Magdeburg, was sich nicht mit Sicherheit behaupten läßt. Andernfalls war der 973 bei einem Rechtsgeschäft amtierenden Magdeburger Vogt gleichen Namens wahrscheinlich ein Verwandter des Markgrafen, da große Familien bestrebt waren, die Vogteigerechtsame von Bistümern in ihre Hände zu bekommen und nachweisbare Familienbeziehungen zu Magdeburg bestanden. Ricdags Grafenstellung bildete die Grundlage zu weiterem Aufstieg. Nach 982 wurde er mit einer Markgrafschaft belehnt. Als Markgraf trat er die Nachfolge der drei Markgrafen Gunther, Wigger und Wigbert an. Seine Markgrafschaft umfaßte vermutlich die südlichen Teile der ehemals Geronischen Mark. Urkunden aus dem Jahre 983 bezeugten ihn als Markgrafen in den Gauen Chutizi der Merseburger Mark und dem südöstlich vorgelagerten Gau Dalaminze der Mark Meißen. Auch Thietmar erwähnte den Markgrafen. Er nannte ihn 983 noch comes, als er sich im Kreise anderer sächsischer Großen befand. An drei Stellen führte er auch bei Thietmar den Titel Markgraf, wobei ihm einmal sogar die ehrenvolle Bezeichnung inclitis marchio zuteil wurde. Markgraf Ricdag nahm am Kampf gegen die Wenden von 983 teil, da seine Mark durch ihre weit nach Osten vorgeschobene Lage ihrem Ansturm besonders exponiert lag. Schon 985 starb er. Die Annalen von Quedlinburg und Hildesheim verzeichneten 985 das Ableben des Ricdag marchio praeclarus - eine Auszeichnung, die vielleicht auf den Ruhm anspielte, den er bei den Slawenkämpfen erwarb. Die Annales Necr. Fuldenses dagegen vermerkten ihn nur als comes. Markgraf Ricdag bewahrte sein Andenken bei der Nachwelt durch eine Klosterstiftung in Gerbstedt, das an der südlichen Ecke des Schwabengaues und in nächster Nachbarschaft zum Hassegau lag. Die Klostergründung angesehener Familien pflegte auf Eigengut zu erfolgen, und zwar möglichst an einem Ort, wo das Allod besonders dicht beieinander lag, weil die Stiftung meistens mit beachtlichem Grundbesitz ausgestattet wurde. Wir haben also um Gerbstedt ein Kerngebiet seines Eigengutes anzunehmen. Das steht durchaus mit der Tatsache in Einklang, dass der Schwabengau seine eigentliche Machtbasis war. Das Kloster war nicht zuletzt als Familiengrabstätte gedacht. Aus dem Bericht des sächsischen Annalisten geht hervor, dass nicht nur Ricdag selber und sein Sohn Karl, sondern auch mehrere Verwandte hier beigesetzt wurden. Bei der Klosterstiftung unterstützte ihn seine Schwester Elsuit (Eilsuit). Dem Brauch der Zeit entsprechend übernahm sie die Stiftung als Äbtissin. Markgraf Ricdag hatte von einer unbekannten Gattin drei Kinder.
Sein Sohn Karl wurde Nachfolger seines Vaters. Er ist 992 als Graf in der gleichen Gegend des Schwabengaues bezeugt, die vorher seinem Vater unterstellt war. Die Orte Walbeck, Quenstedt, Arnstedt, Sylda, Siersleben, Hübitz, Thondorf, Harkerode, Ritterode, Wimmelrode, Iskerode, Königsrode und Rodersdorf sind in seiner Grafschaft bezeugt. Karl ging dem Bericht Thietmars zufolge der Machtstellung seines Vaters verlustig. Alle Lehen - damit auch die Marken - wurden ihm auf Grund von Anklagen entzogen. Thietmar betonte, dass kein persönliches Verschulden vorlag. Er läßt uns jedoch keine näheren Einblicke in dieses Intrigenspiel tun. Es wäre für uns nicht ohne Bedeutung, die Feinde dieser Familie kennenzulernen. Karl trug seine Absetzung mit Gleichmut. Er unternahm keine ernsthaften Versuche, sich wieder in den Besitz von Stellung und Ansehen zu setzen. Amtlos starb er am 28. April 1014. Thietmars Angabe findet durch das Lünebuger Totenbuch Bestätigung, das zum gleichen Tage einen Karolus domus notierte.
Markgraf Ricdag hatte außer diesem Sohn zwei Töchter. Von einer berichtete Thietmar, dass sie die Gattin Herzogs Boleslaw von Polen wurde, der sie bald verstieß. Seine zweite Tochter, die in den Quedlinburger Annalen Ricdagi marchionis praeclara filia Gerburg hieß, war Äbtissin zu Quedlinburg. Ihr gelehrter Eifer und ihre Tugend werden lobend hervorgehoben. Sie starb am 30. Oktober 1022.
Aus mehreren Gründen ist anzunehmen, dass nach ihrem Tod keine direkten Nachkommen des Markgrafen mehr vorhanden waren und somit diese Linie ausstarb. Karl hinterließ vermutlich keine Kinder. Als Nachfolger im Schwabengau amtierte eine andere Familie. Die Vogtei von Gerbstedt ging an die WETTINER über.
Thietmar berichtete, dass die WETTINER mit Ricdag verwandt waren. Dietrich von Wettin wird ausdrücklich als Ricdags Agnat bezeugt, was väterliche Blutsverwandtschaft bedeutet. Wegen mangelhafter Überlieferung läßt sich das Verwandtschaftsverhältnis nicht näher bestimmen. Auf ebenso große Schwierigkeiten stoßen wir, wenn wir Markgraf Ricdag familienmäßig einordnen wollen. Es können zwar kaum Zweifel darüber bestehen, dass er Nachkomme der Ricdag-Sippe war. Kurze hielt ihn unbegründet für einen Sohn desjenigen Folcmar, der Sohn des Harzgrafen Friedrich und Bruder des Grafen Ricbert war. Über die Feststellung hinaus, dass er der Ricdag-Sippe angehörte, läßt sich jedoch zu keinem gesicherten Ergebnis kommen.
Höchst wahrscheinlich gehörten noch andere Träger des Namens Ricdag in diese Sippe. Thietmar bezeugte, dass um 987 dem Johanniskloster in Magdeburg Abt Ricdag vorstand, bei dem er selber Unterricht erhielt. Laut Thietmar wurde Abt Ricdag 1015 ob crimen quoddam vom Erzbischof Tagino seines Amtes enthoben. Später fand er eine Abtstellung im Kloster S. Michael in Lüneburg, wo er 1026 starb. Vermutlich wurden auf seine Veranlassung die Todestage des Markgrafen ins Totenbuch eingeschrieben, was wiederum als Zeugnis dafür dient, dass er selber mit ihnen verwandt war.
Thietmar nannte noch einen weiteren Ricdag, den er als custos et inclitus miles bezeichnete. Dieser bekleidete unter dem Markgrafen Ricdag das Burggrafenamt von Meißen. Ricdag vertraute als Markgraf von Meißen die Bewachung der Burg sicher gern einem zuverlässigen Verwandten an. Ihr Verwandtschaftsgrad läßt sich nicht ermitteln. Vielleicht war er mit dem Ricdag personengleich, dessen Ermordung das Lüneburger Totenbuch am 11. Oktober verzeichnete.
Wenn wir den weiteren Inhabern von Grafschaftsrechten im Harzgau nachgehen, so stoßen wir noch auf eine andere Familie. Wir sind über sie durch zahlreiche Quellenaussagen unterrichtet. Thietmar von Merseburg berichtet, auf dem Rückzug von einem Feldzug gegen König Lothar von Franzien sei ein Graf Brun am 30. November 978 an den Folgen einer Krankheit erlegen. Dieser Graf Brun wird mit dem Brun comes identisch sein, dessen Todestag das Merseburger Totenbuch am 29. und das Lüneburger am 27. November notierten. Thietmar charakterisierte Brun als einen miles per cuncta laudabilis. Er bestimmte seinen Herrschaftsbereich durch die Bezeichnung comes Harneburgensis. Arneburg an der Elbe (nordöstlich von Stendal) im Gau Belsem war durch seine Lage ein ganz besonders wichtiges Bollwerk gegen die Slawen. Eine Bedeutung läßt sich aus den Ereignissen nach Bruns Tode ablesen. Die Bewachung der Stadt wurde im Jahre 997 abwechselnd Erzbischof Giselher von Magdeburg und Markgraf Lothar von Walbeck anvertraut, die ihre Zerstörung nicht verhindern konnten. Die Einrichtung der Arneburg läßt sich zu der in Merseburg in Parallele setzen. Vermutlich verwaltete Bruno eine Art Burggrafenamt. Ob mit diesem Amt auch Grafenrechte - etwa im Gau Belsem - verbunden waren, läßt sich nicht überprüfen. Graf Brun wurde durch seine Klostergründung in Arneburg selber bekannt. Zusammen mit seiner Gattin Frideruna errichtete er dort ein Mönchskloster. Er dotierte es reich mit Besitz, und zwar mit einem halben Besitzanteil an Arneburg selber und dem ganzen dazu gehörenden Eigentum, ferner mit Gut in Sewerowinkel, Thormaka (Dorfmark Kr. Fallingbostel), Heretburun, Wunna, Rondesdorf und in Weddingen. Die Neugründung erhielt erst nach 980 - also zu einem Zeitpunkt, als Graf Brun nicht mehr unter den Lebenden weilte - die Bestätigungsurkunde, die OTTO II. während seines Italienzuges vom Papst erwirkte. Ein Teil der vergabten Güter tritt in einem Diplom HEINRICHS II. zutage, der 1006 seinem Kaplan Dietrich unter Vorbehalt des Rückfalles bei seinem Tode oder bei Erlangung eines Bistums Besitzungen in Rodensleben im Nordthüringgau, in Altenweddingen und Börnecke (Kr. Blankenburg) im Harzgau und in Thormarka (Kr. Fallingbostel) im Leinegau schenkte. Diese Schenkung muß mit den Arneburger Dotationsgütern im Zusammenhang gesehen werden. Sie beweist, dass die schon im Harz-, Nordthüring- und Leinegau begüterte Familie, ihr Allod durch königliche Schenkung auszubauen verstand.
Aus dem gleichen Jahre datiert eine Urkunde, die der erzbischöflichen Kirche in Magdeburg den Ort Arneburg mit 160 Hufen Land als Eigentum übertrug. Der König hatte diesen Besitz von seinem Kleriker Ziazo, den die Urkunde filius Brunonis comitis nannte, und Graf Unego erworben. Der Erbanteil an Arneburg und die königliche Schenkung in einem Gebiet, wo die Familie schon nachweisbar Eigentumsrechte besaß, sind ein Beweis dafür, dass Ziazo Sohn des Grafen Brun von Arneburg war. Ziazo wurde unter HEINRICH II. Kanzler für Italien. Er ist als solcher in der Rekognition nachweisbar. Ferner liegen mehrere Testate von ihm vor. Sein gutes Verhältnis zum König ergibt sich aus der Bezeichnung noster dilectus cacellarius und familiares.
Es bleibt noch zu untersuchen, wer dieser Graf Unego war. Nach Aussage der Urkunde hatte der König die Hälfte der Stadt Arneburg und 60 Hufen Land von ihm erworben. Es verlautet nichts darüber, dass Unego mit Dietrich und damit Brun von Arneburg verwandt war. Wir kennen Graf Unego aus mehreren Urkunden. Im Jahre 1010 ist Werla in seiner Grafschaft bezeugt. Eine Urkunde von 995 erwähnte die Orte Sievershausen, Sillstedt und Wülperode in comitatibus Friderici comitis et Unegonis comitis et in pago Hardega. Aus der Art der Aufführung läßt sich nicht mit völliger Sicherheit auf Herrschaft zur gesamten Hand mit dem Harzgaugrafen Friedrich schließen. Beider Amtsbereich lag jedoch in engster Nachbarschaft. Er war das Resultat einer Grafschaftsteilung innerhalb der Verwandtschaft. Außerdem liegt von Graf Unego ein Testat vor. Sein Name selbst scheint etwas ungebräuchlich. Er ist mit dem in Sachsen üblichen Namen Unwan identisch, wie ein Diplom HEINRICHS II. beweist. Hierin hieß Unwan, der Erzbischof von Bremen, ebenfalls Unaco (Unego). Der Name Unwan war schon im 9. Jahrhundert als charakteristischer Name der Hessi-Sippe nachweisbar. Er ging vermutlich durch Versippung an die Familie der Harzgrafen über, wobei sich ein genauer Zeitpunkt nicht mehr feststellen läßt. Auf Grund des Besitzes muß angenommen werden, dass die Harzgrafenihrerseits wieder mit der ARNEBURGER Grafenfamilie versippt waren. Der Harzgraf Unego könnte über seine Gattin zu Erbanrechten in Arneburg gekommen sein. Eine genaue Klärung der verwandtschaftlichen Abhängigkeit ist nicht möglich. Unego war vermutlich kein Sohn des ARNEBURGER Grafen, wogegen schon sein Amtsbereich spricht.
Schwerlich war Graf Brun von Arneburg der mütterliche Urgroßvater Thietmars von Merseburg, wie Hirsch, Kurze, Wersebe und Bode darlegten. Man möchte Thietmars Großmutter Mathilde eher einer anderen Grafenfamilie einordnen. Mathildes Vater hieß wahrscheinlich Brun, falls ihre Schwester Emnild, die als matertera Thietmars bezeugt ist, mit jener Emnild identisch war, deren Todestag die Quedlinburger Annalen als den einer Emnild, filia Brunonis verzeichneten.
Mathildes Bruder war Graf Ricbert. Thietmar führte ihn als avunculus Lothars von Walbeck auf. Graf Lothar von Walbeck stand durch seine Parteinahme bei der Wahl von 1002 in gutem Einvernehmen mit dem neuen König HEINRICH II. und setzte sich sogleich für den von OTTO III. abgesetzten Grafen Ricbert ein. An Ricberts Stelle war Liudger, ein miles Bischof Arnulfs von Halberstadt, belehnt worden. HEINRICH II. versprach, Ricbert wieder einzusetzen und seine Lehen zu vergrößern. Dass er sein Wort hielt, geht aus einer Urkunde hervor, die Graf Ricbert im Harzgau um Ilsenburg bezeugt. Weitere Tatsachen aus Ricberts Leben sind nicht bekannt. Vielleicht ist er mit dem Ricbertus comes personengleich, dessen Todestag das Lüneburger Necrolog am 9. Februar verzeichnete.
Ricberts Amtsnachfolger wurde ein Graf Liudger. Vermutlich ist das derselbe Liudger, der schon vorher an Stelle des abgesetzten Ricbert Graf gewesen war. Graf Liudger amtierte im Harzgau im Raume von Heudeber. Er ist auch im Nordthüringgau anzutreffen, aus dem Hamersleben (Kr. Oschersleben) eximiert wurde. Es handelte sich also um einen Herrschaftsbereich, der in unmittelbarer Nähe Ottlebens lag, wo Markgraf Ricdag - allerdings nach einem verfälschten Diplom - Grafenrechte ausgeübt hatte. Da unter seinem Sohn die Machtstellung der Familie aufgegeben werden mußte, ist es denkbar, dass Graf Liudger aus dieser Entsetzung Gewinn zog. Eine dritte Urkunde bezeugte Graf Liudger im Derlingau um Helmstedt und Gifhorn. Das Diplom ist zwar eine Fälschung, seine inhaltliche Aussage kann jedoch aufrecht gehalten werden. Graf Liudger amtierte somit in einem Gebiet, das sich schon vorher als Amtsbereich der Ricdag-Sippe herausgestellt hatte. Ob sein Name Ausdruck der Versippung mit den WALBECKERN ist, mag dahingestellt bleiben. Bode gab ihn für einen Bruder des Markgrafen Werner von der Nordmark aus, was nicht nachweisbar ist. Möglicherweise fiel er 1033 bei Werden im Kampf gegen die Liutizen. Er war vermutlich mit dem Liudgerus comes identisch, dessen Todestag das Necrol. S. Michaelis am 9. Oktober aufschrieb.
Vielleich hatten Mathilde und Emnild außer dem Bruder Ricbert noch einen zweiten Bruder, nämlich Bruno von Querfurt. Bruno heißt bei Thietmar senior egregius et per cuncta laudabilis. Er war mit Thietmar blutsverwandt. Diese Blutsverwandtschaft ließe sich am ehesten über seine Großmutter Mathilde erklären. Bruns Gattin hieß Ida. Ihre Herkunft ist nicht bekannt. Vielleicht helfen hier Name und Besitz weiter. Der Name Ida war für die ECBERTINER charakteristisch. Er kam durch Ida, die Gattin des Ecbert dux und Stammvater der ECBERTINER in diese Sippe. Die Gütermasse der ECBERTINER lag im weiteren Raum um Köln. Wahrscheinlich wurden die Beziehungen der WALBECKER zu Köln, die kaum von ihrer eigenen Familie stammten, auf diese Weise hergestellt. Bruns Gattin Ida war vermutlich ein Mitglied der vornehmen Ecbertinischen Sippe. Brun, den die Gesta der Erzbischöfe von Magdeburg de castro Querenvorde - also nach seinem Stammsitz Querfurt - nannte, hatte von seiner Gattin mehrere Kinder. Sein berühmter Sohn war der Missionar Bruno, qui et cognomento Boifatius dictus est. Thietmar bezeichnete Brun als seinen contemporalis et conscolasticus. Er betonte, dass er ex genere clarissimo editus sei, was sich vor allem auf die Herkunft seiner Mutter Ida aus ecbertinischem Hause beziehen wird. Bruno starb als Märtyrer am 9. März 1009.
Der zweite Sohn hieß Gebhard. Auf seine Tochter erbte sich der Name Ida ebenfalls fort.
Nicht bezeugt wurden bei Thietmar und dem sächsischen Annalisten zwei weitere Söhne Brunos von Querfurt: Dietrich und Wilhelm. Ihre Namen entnehmen wir der Fundacio ecclesie collegiate in castra Quernfurdt.
Brun von Querfurt beschloß sein Leben als Mönch. Er starb nach Thietmars Bericht am 19. Oktober eines unbestimmten Jahre. Er war mit dem Brun conversus (das heißt er war in den Stand der Büßer eingetreten) personengleich, dessen Todestag das Merseburger Totenbuch zum gleichen Tage festhielt. Vielleicht war der am 21. Oktober verzeichnete Brun comes sein Vater. Bruns Gattin könnte mit der Ida comitissa identisch sein, die am 27. Mai (Necrol. Merseb.) starb.
Noch ein weiterer Zweig der Ricdag-Sippe läßt sich urkundlich verfolgen. Im Jahre 955 schenkte der König einer veneranda matrona Helmburg liudolfingisches Eigengut in Fischbeck (Kr. Rinteln). Dort errichtete sie pro remedio animarum Ricberti domini sui et Richardi et Aelfdehc filii sui nec non et aliorum suorum proximorum zu Ehren der Maria und aller Heiligen ein Nonnekloster, für das sie gleichzeitig Wahlrecht, Unabhängigkeit und Immunität erwirkte. Das Klostergut umfaßte sechs Hufen Land in Fischbeck selber, dazu Besitz in Wendessen (Kr. Witzenhausen), Wickbolsen (Kr. Grafschaft Schaumburg), Bensen (Kr. Grafschaft Schaumburg), Hadessen, Teinsen (Kr. Gronau), Hohnsen (oder Hagenohsen?, Kr. Hameln), Einen (Kr. Warendorf) und Norddöllen (bei Vechta, Oldenburg). Fischbeck selber war laut Urkunde liudolfingisches Allod. An der Urkunde ist die Bestimmung auffällig, dass die Vogtei nicht etwa wie üblich in die Hände der Stifterfamilie übergehen sollte, sondern dem König selber als advocatus ac defensor des Klosters zustehen sollte. Möglicherweise wurde dadurch die Fiktion aufrecht erhalten, der König sei selber Vogt der Reichskirche und alle von ihm bestellten Vögte amtierten nur als seine Untervögte. Diese Ansicht wurde von Waas und Schlesinger vertreten. Die Königsvogtei trat praktisch selten in Erscheinung. Vielleicht kann man die Bestimmung auch so auffassen, dass das auf Königsgut errichtete Kloster - und damit das Gut selber -, das der König hereditario iure besaß, in seiner Hand bleiben sollte und er der Stifterfamilie verwandtschaftlich nahestand.
Helmburg war vermutlich zur Zeit der Klostergründung Witwe. Ihre beiden Söhne waren bereits gestorben, so dass die Stiftung für das Seelenheil ihrer Toten erfolgte. Die veneranda matrona Helmburg war einige Jahre vorher mit Eigengut aus königlicher Hand bedacht worden. Im Jahre 944 erhielt eine matrona Helmburg Besitz in den Dorfmarken Haselbeki (Haselbeke, Kr. Holzminden), Würgassen (bei Corvey), Gottsbüren (bei Hofgeismar), Beberbeck (Kr. Hofgeismar), Achinere (villeicht bei Helmarshausen), Dinkelburg (Kr. Warburg) und einen Hof in Helmarshausen. Diese Güterschenkung kann kaum als Vorstufe der Dotierung von 955 aufgefaßt werden, wie K. Lübeck annahm, da der Besitz räumlich nicht zusammenhängt und auch nicht im Güterverzeichnis des Klosters erscheint. Ein paar Jahre vorher hatte Helmburg selber eine Schenkung an den König verfügt. Die Helmburg, die mit ihrem Sohn Eberhard ihren Besitz in Rohrsheim, Üpplingen und Nettorf tradierte, wird mit der Klosterstifterin identisch sein. Über Eberhard läßt sich nichts mit Sicherheit ausmachen. Eine Neuauswertung der Urkunde von 945  bezeichnete ihn als quondam vasallus OTTOS I.; demnach starb er zwischen 941 und 945. Problematisch bleibt allerdings, dass ihn die Gründungsurkunde von Fischbeck vom 10. Januar 955 im Gegensatz zu seinem verstorbenen Vater und den beiden Brüdern nicht erwähnte. Mit ihm starb vermutlich der männliche Zweig dieser Familie aus. Auch keine der Töchter hatte Nachkommen. Außer den drei Söhnen Eberhard, Richard und Aelfdehe (Alfdag) hatte Helmburg nämlich mehrere Töchter gehabt. Nach einer verfälschten Urkunde des Klosters Hilwartshausen tradierte eine vidua quaedam Helmburch mit Zustimmung ihrer vier Töchter Aethelwif, Fritheburch, Hildeburch und Marcswith ihr Allod in Vaake (bei Gottesbüren), Gause (wüst Hofgeismar), Bernshausen (wüst), Gerwatshausen und Thieddecheshusen (unbekannt). Die inhaltliche Aussage der Urkunde kann gerechtfertigt werden, da aus dem Jahre 1003 eine echte Urkunde vorliegt, die ein Abkommen zwischen dem Kloster Hilwartshausen und den Gandersheimer Nonnen Hildeburg und Fritheburg traf. Die Urkunde nahm auf die Schenkung einer matrona vidua nobilissimae prolis nomine Helmburg, quae quamvis prius virili sociata esset conubio... Bezug und führte die ebengenannten Orte an. Zwei Töchter - nämlich Aethelwif und Marcswith - waren Nonnen in Hilwartshausen. Die beiden anderen - Hildiburg und Frideburg - waren Nonnen in Gandersheim. Sie hatten einen Teil der Güter zu lebenslänglichem Lehn von Hilwartshausen zugesprochen bekommen und ihn dann veräußert. Wahrscheinlich trat Helmburgs fünfte Tochter ebenfalls in den geistlichen Stand. Gerne möchte man Alfheid, die erste Äbtissin von Fischbeck, als ihre Tochter ansprechen. Dem Brauch der Zeit entsprechend stellte die Stifterfamilie gewöhnlich die erste Äbtissin. Sie starb am 2. Juli 1017. Das Fischbecker Totenbuch notierte eine Alfeydis prima abbatissa istius loci. Da Alfheid wahrscheinlich dem Kloster vom Gründungsjahr 955 an vorstand, wird sie noch sehr jung zur Äbtissin geweiht worden sein. Thietmar berichtete, dass auch Hathui (aus der STADER Grafenfamilie) im Alter von 11 Jahren zur Äbtissin von Heeslingen geweiht wurde. Möglicherweise leitete Helmburg selber die ersten Jahre das Stift, bis ihre Tochter selber dazu in der Lage war. Diese Vermurung wird bestärkt durch die Aufnahme ihres Todestages am 24. April als der Domna Helmborch, mater familie, ein Titel, der in erster Linie Laienäbtissinnen zustand. Helmburg trat im hohen Alter als Nachfolgerin der Äbtissin Berthild in das Kloster Hilwartshausen ein, als dessen Äbtissin sie 970 bezeugt ist. Ihr Todesjahr muß zwischen 970 - dem Datum ihrer Erwähnung - und 973 liegen, als ihre Nachfolgerin Hemma, eine Schwester Berthilds, bezeugt ist.
Fassen wir noch einmal zusammen: das Ehepaar Helmburg und Ricbert hatte nachweisbar acht Kinder, drei Söhne: Eberhard, Richard und Alfdag und fünf Töchter: Athelwif, Marcsuit, Hildiburg, Fritheburg und Alfheidis, die alle fünf in den geistlichen Stand traten. Ricbert war schon um 944 tot, da seine Gattin als matrona bezeichnet wurde, was mit Witwe gleichbedeutend ist. Er kommt demnach aus zeitlichen Erwägungen nicht mehr als Sohn des Harzgrafen Friedrich in Betracht, der 945 mit einer königlichen Schenkung bedacht wurde. Er ist jedoch in Bezug auf Namen und Besitz als Nachkomme der Ricdag-Sippe zu betrachten, die nachweisbar im Derlingau begütert war. Die dort tradierten Güter der Helmburg stammten vermutlich aus dem Besitz ihres Gatten. Die Namen der Kinder Alfdag, Richard und Fritheburg waren charakteristisch für die väterliche Familie. Der Name Helmburg selber und der ihrer übrigen Kinder weist deutlich auf eine andere Sippe.
Namen mit der Stammsilbe Helm- und Hildi- waren in der ecbertinischen Sippe üblich. Bei ihr finden sich auch Namensformen mit dem Kompositionsbestandteil Athel- . Nicht nur die Namen lassen in Helmburg ein Mitglied der ecbertinischen Sippe erkennen, sondern auch die Besitzverhältnisse . Fassen wir zunächst die Schenkung OTTOS I. aus dem Jahre 944 ins Auge. Der Schwerpunkt der vergabten Güter lag im Raum von Helmarshausen und Hofgeismar. In diesem Gebiet war auch Helmburg begütert, wie sich aus der Zuwendung an das Kloster Hilwartshausen ergab. Der Ort Hilwartshausen war nachweislich der ECBERTINERIN Addila, auf dem 960 auf königliche Veranlassung das Nonnenkloster gegründet wurde. Helmburg trat hier als Äbtissin ein. Ob Helmburg etwa der unmittelbaren Nachkommenschaft des Grafen Ecbert aus dem Weitgau zuzurechnen ist, kann nicht entschieden werden. Graf Ecbert hatte von König ARNULF eine große Landschenkung in den Gauen Tilithi, Marstem und Bardengau erhalten, zu der auch Wange (wüst von Hameln) und Fischbeck gehörten. In unmittelbarer Nähe der Schenkung OTTOS I. lag also schon ecbertinisches Eigengut. Aus der Bezeichnung matrona nobilissimae prolis für Helmburg läßt sich ableiten, dass sie aus der vornehmen Sippe der ECBERTINER stammte. Über ECBERTINER war sie auch zugleich mit dem Königshaus selber versippt. Auf diese Weise wird verständlich, dass zwei ihrer Töchter in das liudolfingische Hauskloster Gandersheim als Nonnen eintraten.
Als Ergebnis der Untersuchungen über die Sippe der Harzgrafen läßt sich festhalten, dass die eigentliche Familie der Harzgrafen, für die der Name Friedrich Leitname war, schon frühzeitig - vielleicht noch im 9. Jahrhundert - Familienbeziehungen mit der Ricdag-Sippe angeknüpft hatte. Das Tätigkeitsfeld der Ricdag-Sippe lag ebenfalls im Harzgau, darüber hinaus im Derlingau, Nordthüring- und Schwabengau und vorübergehend in der Nordmark.
Kennzeichnend für die Ricdag-Sippe war ein sehr enges Verhältnis zu den EKBERTINERN. Diese waren einst durch Begünstigung der KAROLINGER zur Macht gelangt. Es wäre irrig, eine Versippung mit den ECBERTINERN nur in einem Mitglied suchen zu wollen. Bei diesen großen Sippen waren mehrfache Verschwägerungen durchaus das Übliche. Von hier aus gesehen erklärt sich, dass typisch karolingisch-fränkische Namen - wie Ida und Karolus - in der Sippe auftraten. Da die ECBERTINER wiederum mit den LIUDOLFINGERN verschwägert waren, erfreute sich die Sippe der Gunst des Herrscherhauses, was in häufigen Schenkungen Ausdruck fand. Zu ihrem Sippenanhang zählten außerdem die ARNEBURGER und die QUERFURTER.