Eduard Hlawitschka: 1987
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"Kontroverses aus dem Umfeld von König Heinrichs I. Gemahlin Mathilde"

Über die Familie und den Sippenkreis, aus dem die Gemahlin König HEINRICHS I., Mathilde, hervorging, besteht seit langem in der Mediävistik kein Zweifel mehr: Mathilde entstammte der "widukind-immedingischen Sippe". Sie war ja, wie es die Vita Mathildis antiquior sagt, eine Tochter des aus der Nachkommenschaft des einstigen großen Sachsen-Herzogs Widukind hervorgegangenen Grafen Dietrich (Theoderich) und seiner einem sächsisch-dänischen Geschlecht entstammenden Gemahlin Reinhild. Und Dietrichs Brüder hatten Widukind, Immed und Reginbern geheißen, wobei von Immed die bei späteren Geschichtsschreibern gebräuchliche Bezeichnung IMMEDINGI hergeleitet sein dürfte. In welcher Weise Mathildes Vater Dietrich seinerseits wiederum vom alten Sachsen-Herzog Widukind abstammte - ob über seine Mutter Mathilde, die ihr Lebensende als Äbtissin im Kloster Herford verbrachte, oder über seinen uns unbekannten Vater -, ist freilich nicht überliefert und bei der derzeitigen Quellenlage wohl auch nicht mehr klärbar. Bekannt sind ferner drei Schwestern der Königin Mathilde: Friderun, Bia und Amalrada. Sie sind uns in der zeitgenössischen Überlieferung gut bezeugt.
Aber schon die in vielen Handbüchern und personengeschichtlich interessierten Arbeiten anzutreffende Angabe, Mathilde habe auch einen Bruder gehabt, nämlich den von 931 bis 956 als Erzbischof in Trier nachweisbaren Ruotbert, muß man mit großer Skepsis betrachten. Und dasselbe gilt für die in der friesisch-niederländischen Geschichte hervortretenden Grafen Ansfried den Älteren und Lambert, die Erzbischof Ruotberts Brüder gewesen seien, also über Ruotbert und Königin Mathilde als Söhne Dietrichs und Reinhilds erschlossen werden. Denn obschon G. Waitz vor über 100 Jahren in den Jahrbüchern des Deutschen Reiches unter König Heinrich I. - wie vor ihm bereits G. W. Leibnitz - einen quellengestützten und scheinbar unumstößlichen Nachweis für Erzbischof Ruotberts Herkunft beigebracht hat, auf dessen Stichhaltigkeit man seither uneingeschränkt vertrauen zu dürfen glaubt, hat nämlich vor wenigen Jahren Frau J. M. van Winter an diesen festen Bestandteil unseres Stammtafel- und Handbuchwissens zu rütteln begonnen. Ihre Ergebnisse sind freilich von der deutschen Mediävistik noch nicht beachtet oder rezipiert worden; sie bedürfen aber - da sie auch für andere Fragen sowohl der Genealogie wie ebenso der politischen Geschichte von großer Bedeutung sind - der sorgfältigen Überprüfung und - wenn sie sich als tragfähig erweisen sollten - auch der Übernahme und historischen Auswertung.
Vor zweieinhalb Jahrzehnten ist zudem von K. A. Eckhardt ein Beweisgang vorgetragen worden, der den Bischof Bovo von Chalons-sur-Marne (ca. 915/16-947) als Bruder der Königin Mathilde erweisen soll. Er hat inzwischen einige Anhänger gefunden, obgleich ein französischer Bischof als Bruder einer deutschen Königin auf den ersten Blick schon etwas befremdlich wirkt. Da der Nachweis mit Hilfe einer Identifizierung von Mathildes Schwester Friderun mit der gleichnamigen ersten Ehefrau König Karls des Einfältigen vom Westfrankenreich geführt worden ist, wodurch übrigens auch König HEINRICH I. und Karl der Einfältige als Gegenschwäger (durch ihre als Geschwister erscheinenden Frauen) in die Geschichte eingeführt werden, steht auch hier ganz offensichtlich eine normale politisch-historische Bedeutung hinter dem genealogischen Problem. Deshalb ist mit besonderem Nachdruck zu fragen: Ist diese Rekonstruktion akzeptabel und tragfähig?
Mathildes Schwester Friderun/Frederuna ist damit stärker in das Blickfeld des Interesses geraten. Friderun ist indessen noch in anderer Weise seit längerem im Gespräch der Historiker. War sie etwa - wenn man einmal die vorgeschlagene Identifizierung mit König Karls des Einfältigen Gemahlin Frederuna ganz außer acht läßt - die Gemahlin des sächsischen Grafen Wichmann der Ältere, von dem wir durch bestimmte Angaben Widukinds von Corvey und Thietmars von Merseburg wissen, dass er mit einer Schwester Mathildes verheiratet war, oder handelte es sich bei der Wichmann-Gemahlin nicht vielleicht um die Mathilde-Schwester Bia? Da in der Wichmann-Nachkommenschaft der Name Friderun wiederkehrt, hat man gefolgert: "Der Name Frideruna war also in der Linie üblich, und das entscheidet gegen Bia". Ist das aber überzeugend?
Vor kurzem ist sogar die Meinung aufgetaucht, dass weder Friderun noch Bia jene Schwester der Königin Mathilde gewesen sein könne, über die die gut bezeugte Verwandtschaft der Wichmann-Nachkommen zu OTTO DEM GROSSEN lief. Hat man also noch eine weitere Schwester Mathildes anzunehmen? - Drei nicht ganz uninteressante Fragen aus dem Familienkreis der Königin Mathilde bedürfen somit der Prüfung und Klärung. Diese Aufgabe soll im folgenden geleistet werden.
 

                                                                 I.
 

Unsere bisherige, durch G. Waitz zur allgemeinen Geltung gelangte Ansicht, dass Erzbischof Ruotbert von Trier (931-956) ein Bruder der Königin Mathilde war, stützt sich vornehmlich auf eine entsprechende Aussage des Zisterziensermönches Alberich von Troisfontaines, der zwischen 1232 und 1252 seine häufig zitierte, auf vielen älteren Quellen beruhende Weltchronik verfaßte. Alberich berichtet zum Jahr 921, nachdem er - aus der Chronik Sigeberts von Gembloux (+ 1112) entlehnt - den Tod des Bischofs Stephan von Lüttich und die Neubesetzung des Lütticher Bischofsstuhls mit Abt Richar von Prüm mitgeteilt hatte: Quo tempore factus est Treverensis archiepiscopus Rupertus filius Theoderici Saxonie ducis, frater Mathildis regine Alemannie. Qui dux Theodericus fuit de genere Guithecindi, et habit tres fratres, Guithecin, Immit et Reginben; et ex hac serieistorum quatuor fratrum descendit nobilitas totius Saxonie, Italie, Germanie, Gallie et Normannie, Bawarie, Suevie, Hungarie, Boemie, Ruscie et Polonie. Und zum Jahre 923 vermeldet er: Cum Treverensis ecclesia cum suffrraganeis fuisset hucusque sub regibus Francie, mediante archiepiscopo Ruperto pertractata pace, reddita est regibus Alemannie.
Woher bezog nun dieser späte Autor sein Wissen? Und sind seine Nachrichten glaubwürdig? Ganz offensichtlich ist - wie ein Textvergleich leicht ergibt - derjenige Teil dieser Mitteilungen zu 921, der die Königin Mathilde als Tochter Dietrichs und diesen sowie seine drei Brüder Widukind, Immed und Reginbern als aus dem Stamme des alten Sachsen-Herzogs Widukind entsprossen angibt, aus der Vita Deoderici episcopi Mettensis des Sigebert von Gembloux übernommen, wobei Sigebert seinerseits wieder von der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey abhing. Die Angaben zur Verbreitung des Geschlechts über die meisten Staaten Europas kommen bei Alberich fast wörtlich schon einmal zum Jahre 859 vor, und zwar betreffen sie Liudolf, den Spitzenahn der LIUDOLFINGER/OTTONEN und folgen einem weiteren Zitat aus der Sigebert-Chronik nach; sie sind also offensichtlich eine ausschmückende Paraphrase, die schwerlich einen konkreten Quellenhintergrund besitzt. Dass Erzbischof Ruotbert von Trier ein Sohn Dietrichs und ein Bruder der Königin Mathilde war und dass er sein Amt 921 antrat, sucht man aber - wie schon Frau van Winter feststellte - bei Sigebert und bei Widukind vergebens. Auch Anhaltspunkte, aus denen es abgeleitet sein könnte, findet man dort hierfür nicht. Frau van Winter macht aber darauf aufmerksam, dass Alberich seine der beiden ca. 1132 oder noch später entstandenen Versionen B bzw. C der Gesta Treverorum, deren Ursprungsfassung (= Version A) um 1101 verfaßt worden ist, zu Rate gezogen haben dürfte und durch sie zu seiner Angabe kam.
Die Gesta berichten in der Ausgangsfassung A am Ende des Kapitels 28, dass Erzbischof Radbot (+ 915), vordem Abt des Klosters Mettlach, auf den 883 verstorbenen Erzbischof Bertolf nachfolgte und Bischof Robert von Metz weihte, auch von Kaiser ARNULF die St. Servatiusabtei in Maastricht erwarb und schließlich sogar von Ludwig dem Kind (der zum Kaiser aufgewertet ist) die Kastelle Sierck und Orschholz samt Zubehör erhalten habe. In Kapitel 29 fahren sie fort in der Mitteilung, dass danach Erzbischof Ruotbert lebte, der den Leib des heiligen Severus aus Italien nach Hatzenport/Mosel überführen ließ, und dass nach Ruotbert der Erzbischof Heinrich der Trierer Kirche vorstand etc. Der zwischen Radbot und Ruotbert nachweisbare, urkundlich gar bezeugte Erzbischof Ruotger wird in dieser Fassung A nicht erwähnt.
Dass aber tatsächlich Ruotger zwischenzeitlich (915-931) amtiert hatte, wurde in Trier später - offenbar anhand der noch vorhandenen Urkunden dieses Oberhirten - bemerkt und in den Redaktionen B und C berichtigt. Diese fügen deshalb am Ende des Kapitels 28 an, dass nach Radbot Ruotger als Erzbischof nachfolgte, der ein königliches Bestätigungsdiplom für den rechten Besitz der St. Servatiusabtei erhalten und in Trier auch eine Synode mit seinen Suffraganen abgehalten und dabei eine von ihm zusammengestellte Kanonessammlung vorgestellt habe. In Kapitel 29 wird daraufhin - wie in der A-Version - vermerkt, dass dann Ruotbert lebte; und unter Weglassen der Nachricht  von der Translation der Severusreliqien aus Italien nach Hatzenport wird vermeldet: Iste [Rubertus archiepiscopus] primus, ut ferunt, Treberensem ecclesiam regno quod Lotharingium vocatur adiecit, pro eo quod soro eius imperatori in matrimonio iuncta fuit; cum usque ad eius tempora Francorum regno, quod a Karolo nomen habet, subiecta multis fuisset honoribus illustrata. Hier konnte Alberich entnehmen, dass der Erzbischof Ruotbert von Trier eine Schwester hatte, die mit einem Kaiser verheiratet war; und zumal auch Könige - wie schon bei Ludwig dem Kind ersichtlich - zu Kaisern hochstilisiert wurden, konnte Alberich - von den ihm bekannten Regierungszeiten herkommend - schließen, dass mit dem imparator nur HEINRICH I. gemeint sein konnte und dass Ruotbert demnach Mathilde, HEINRICHS I. Gemahlin, zur Schwester gehabt haben werde. In seinen Worten zu 923, Treverensis ecclesia ... fuisset hucusque sub regibus Francie, sieht man deutlich das Aufgreifen der Bemerkung der B/C-Version der Gesta Treverorum: Treberensis ecclesia...usque ad eius tempora Francorum regno... subiecta  fuisset. Und die Mitteielung Alberichs zu 923, dass die Trierer Kirche, das heißt das Trierer Erzbistum, "auf die Friedensvermittlung Ruotberts hin" (mediante archiepiscopo Ruperto pertractata pace) den Königen Deutschlands zurückgegeben worden sei, erweist sich als die Schlußfolgerung aus dem pro eo, quod soro eius imperatori in matrimonio iuncta fuit; denn die Bedeutung der Verwandtschaft beim Übergang eines Landstriches von einem Reich zum anderen konnte doch nur - wenn sie überhaupt in einem solchen Zusammenhang erwähnt worden war - in der ausgleichenden, friedensstiftenden Funktion gesucht werden.
Ist damit deutlich, woher Alberich sein Wissen über Erzbischof Ruotbert und dessen nahe Verwandtschaft mit Königin Mathilde bezog, das er zudem "auf gut Glück" in sein chronologisches Grundgerüst bei 921 und 923 einreihte, und ist sonach unbestritten, dass er als Primärquelle auszuscheiden hat, so hat man um so mehr zu fragen, ob den Versionen B und C der Gesta Treverorum in ihren oben zitierten Angaben Glaubwürdigkeit beizumessen ist. Beide Fassungen unterscheiden sich übrigens im wesentlichen nur dadurch, dass C den ganzen Wortlaut der in B bloß erwähnten Urkunden inseriert, so dass C eine einfache Erweiterung von B oder umgekehrt B eine Kurzfassung von C sein dürfte. Eine sichere Quelle lag dem (ersten) Verfasser dieser Redaktionen aber gewiß nicht vor. Leitet er doch gerade den Satz über die Herauslösung Triers aus dem Westfrankenreich Karls (des Einfältigen), der die Angabe zu der mit dem Kaiser verheirateten Schwester Ruotberts enthält, bezeichnenderweise mit ut ferunt ein. Dieser Passus enthält also nur ein unsicheres Gerüst. Jenes aber ist schon erwiesenermaßen dadurch falsch, dass es den Verlust Triers für das Westreich gerade mit Ruotbert (931-956) in Verbindung bringt, während jener Vorgang (923-925) doch in die Zeit Erzbischof Ruotgers (915-931), des Amtsvorgängers Ruotberts, fiel. Außerdem soll Ruotbert Trier dem "Lotharingierreich" angeschlossen haben, während damals doch gerade - wie allgemein bekannt ist - Trier als Teil des regnum Lotharii dem Ostreich/Deutschland eingegliedert wurde.
So ist die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht eigentlich schon auf den Nullpunkt gesunken. Oder sollte man sie doch nicht ganz verwerfen und nach dem ihr zugrundeliegenden Kern fragen? Frau van Winter ist dieser Aufgabe nicht weiter nachgegangen. Aber weicht man ihr nicht aus, dann könnte man zunächst eine einfache Verwechslung der so nahe beieinander liegenden Namen Ruotbert und Ruotger in diesem "Gerücht" für möglich halten. Dabei würde zumindest die Unstimmigkeit der Nachricht behoben. Aber man müßte dann auch Ruotberts Vorgänger Ruotger - wenn der imperator weiterhin auf HEINRICH I. gedeutet wird - zu einem Bruder Mathildes machen. Dafür jedoch gibt es sonst keine Anhaltspunkte. Von Erzbischof Ruotger weiß man lediglich, dass er eine neptis Ada hatte, die Tochter eines Folrad, die im Bereich von Diedenhofen und von Bolchen (nördlich beziehungsweise östlich von Metz) begütert und beheimatet war. Wollte man nun Ruotger als einen Bruder Mathildes ansehen und ihnen noch Folrad oder dessen unbekannte Gemahlin als Geschwister beigeben, so paßt dies (bei Folrads lotharingischer Verankerung) gewiß nicht zu einer sächsischen Abkunft dieser "Geschwister". Eher schon könnte man sich vorstellen, dass Ruotger ein Bruder von König Karls des Einfältigen erster Gemahlin Frederuna war (zumal da diese dem ostfränkischen Bereich zu entstammen scheint und auch einen Bruder Bovo als Bischof von Chalons-sur-Marne hatte), dass also mit dem zum imperator aufgewerteten König der Westfranken Karl der Einfältige gemeint war und dass nach dessen Ausschaltung im Westfrankenreich (923) sich seine engsten Anhänger bewußt von dem neuen König Rudolf (Raoul) abwandten. Sehr deutlich beschreibt ja doch Flodoard von Reims in seinen Annalen, dass sich gerade Ruotger von Trier nicht - wie viele andere Lotharingier - dem neuen König Rudolf (Raoul) anschloß, sondern zusammen mit (dem späteren Herzog) Giselbert ganz demonstrativ HEINRICH I. zur Herrschaftsübernahme einlud. Und die zeitgenösischen Einträge der Prümer Annalen geben dazu die Begründung: Qui dedignati sunt Rodulfi fieri fidelis, qui suo domino eos privabat. Berücksichtigt man dies, so könnte das "Ondit", das in den B/C-Versionen festgehalten ist, etwa folgendermaßen gelautet haben: "Der Erzbischof Ruot... (= Ruotger) hat als erster den Trierer Kirchenbereich dem Lotharingerreich (= Ostreich) angeschlossen, und zwar deshalb, weil seine Schwester mit dem König (das heißt mit dem inzwischen von vielen Adligen verlassenen und sogar inhaftierten Karl dem Einfältigen) ehelich verbunden gewesen war; und dies, obgleich jener Bereich bis zu seinen Zeiten dem Frankenreich, das den Namen Karls trug (das heißt das Westfrankenreich), unterworfen und mit vielen Ehren geschmückt gewesen war". Ein ganz anderes Grundverständnis könnte somit hinter der von Alberich von Troisfontaines benutzten und seiner Kombination zugrundegelegten Quellenaussage gestanden haben. - Dass für Erzbischof Ruotbert aus all dem indessen keinesfalls etwas Gesichertes im Hinblick auf eine nahe Verwandtschaft mit Königin Mathilde zu entnehmen ist, dürfte wohl längst deutlich geworden sein.
Aber G. Waitz hat auch noch auf weitere, von den Gesta Treverorum und Alberich von Troisfontaines ganz unabhängige Quellennachricht gestützt, um Erzbischof Ruotbert und Königin Mathilde als Geschwister nachzuweisen, nämlich auf einige Sätze aus der Conclusio deliberativa Rathers von Verona. Kann man jedoch diese Quelle die ganze Beweiskraft zu Ruotberts und Mathildes Geschwisterschaft tragen? Frau van Winter hat sich dankenswerterweise auch schon mit dieser Nachricht befaßt. Da heißt es in Rathers 955 - in gekünsteltem, verschachteltem und zugleich sarkastischem Sprachstil - vorgetragene Erwägung über seine Verdrängung aus Lüttich unter anderem innerhalb seiner 40 dargelegten Beweggründe, weshalb er nicht von sich aus diesen Bischofssitz habe aufgeben können: "Ich habe, wie jedermann weiß, Gott gebeten, ja bitte und werde weiter darum bitten (dieser Kernsatz steht am Anfang seiner Darlegungen, von dem alle 40 Erwägungen abhängen), dass ich... niemals behaupte, mein Ordinator (= Weihespender) sei selbst - wenn ich das so unpassend sagen darf - unter einem so unheilvollen Zeichen geweiht worden, dass ich ihn anklagen könnte, er habe am Tage seiner eigenen Weihe gegen die kanonischen Gesetze gehandelt, und zwar nach der üblichen Profeßablegung, die kanonischen Vorschriften stets beachten zu wollen:  anklagen nämlich, indem ich den Wahnwitz derer begünstige, die meine am gleichen Tage erfolgte und durch ihn vorgenommene Einsetzung (zum Bischof von Lüttich) törichterweise verwerfen und dabei nicht wissen, wogegen sie mehr Widerspruch einlegen sollen " (nämlich gegen den Ordinator oder gegen den Geweihten); und ... dass ich meinerseits nicht angesehen werde als einer, der - indem ich es nicht preise - das zu allen Zeiten rühmenswerte und unserer Zeit allein durch Gott und nicht durch einen Zufall ihm, dem würdigsten der Erzbischöfe, und seinem Neffen zugestandene Vorrecht verkleinert, nach dem der eine der beiden am Tage seiner eigenen Weihe (ordinatio) den anderen Weihen (ordinare) durfte, was gewiß in Bezug auf meinen Weihespender so viel preisenswerter ist, als es auch eine barmherzige Tat ist". Solche Worte eines Zeitgenossen bedürfen der besonderen Beachtung.
Im Neffen (nepos) dieser Sätze haben die Gebrüder Ballerini, die frühen Herausgeber und Bearbeiter der Schriften Rathers, - in Kenntnis offenbar der schon besprochenen Nachricht Alberichs von Troisfontaines - den Erzbischof Brun von Köln, König HEINRICHS I. und Mathildes jüngsten Sohn, gesehen. Deshalb konnte man kommentierend angeben: "Ille autem, qui Brunonem nepotem suum ordinavit, alius esse nequit quam Rotbertus archiepiscopus Treverensis, frater S. Mathildis reginae, quae Ottonis et Brunonis mater fuit". Aber ist dies zulässig? - Zunächst wissen wir, dass Brun am 25. September 953, einem Sonntag, zum Erzbischof von Köln geweiht wurde und dass an diesem Tag auch Rather zum Bischof in Lüttich incardiniert worden ist. Ja, es steht auch fest, dass Erzbischof Brun der Ordinator Rathers war. Will man der Interpretation der Ballerini folgen, so müßte Erzbischof Ruotbert von Trier - wenn er an seinem eigenen Weihetag Brun von Köln geweiht haben soll - am 25. September 931 geweiht worden sein. Dies läßt sich jedoch mangels Quellen weder bestätigen noch verwerfen. Aber eine andere Beobachtung läßt sich treffen. Als Rather seine Conclusio delibaritiva abfaßte, hatte er nach einem längeren Ränkespiel, das uns Kapitel 38 der Vita Brunonis einprägsam beschreibt, sein ihm 953 zugewiesenes Erzbistum Lüttich - er war zuvor aus dem Bistum Verona vertrieben worden - gleichfalls schon verloren. Bei diesem seinen zweiten Verlust eines Bistums hatte aber der Erzbischof Ruotbert von Trier, der ihm bis zu seiner Einweisung in Lüttich gewogen war, kräftig mitgewirkt, so dass Rather ihn und den Bischof Balderich von Utrecht im Prolog zu seiner zwischen April 955 und Mai 956 verfaßten Phrenesis zu seinen ausgesprochenen Gegnern (inimici) rechnete, auf deren Betreiben er der Gewalt der Grafen Reginar und Rudolf von Hennegau und Hasbengau aus Lüttich hatte weichen und dem jungen Balderich, einem Neffen des Utrechter Bischofs und der beiden Grafen, hatte Platz machen müssen. Wenn nun aber Rather das Verhalten Erzbischofs Ruotberts von Trier ihm gegenüber so schändlich ansah, dass er ihn als seinen inimicus speciales wertete, dann kann er auch in der gleichzeitig mit der Phrenesis entstandenen und als deren Teil gedachten Conclusio deliberativa mit dem würdigsten der Erzischöfe, der seinen Neffen 953 weihte und dessen Handeln gottgelenkt war, nicht den Trierer gemeint haben. Zu jenen, deren Ansehen er auf keinen Fall - wovor Gott ihn bewahren möchte - "verkleinern" möchte, kann der ganzen Situation nach Erzbischof Ruotbert nicht gehört haben. Gemeinsam mit seinem Onkel, der am gleichen Tage seiner eigenen Ordination auch seinen Neffen weihte, ist vielmehr - wie schon Frau van Winter erkannte - Erzbischof Brun von Köln; und sein Neffe war wahrscheinlich OTTOS DES GROSSEN unehelicher Sohn Wilhelm, den er an diesem Tage (25. September 953) zum Priester geweiht haben wird. (Als Tag der Bischofsweihe Wilhelms in Mainz ist uns ja der 24. Dezember 954 bestens bezeugt. Damit ist nun aber auch das zweite Quellenzeugnis, aus dem man folgern zu dürfen meinte, Erzbischof Ruotbert von Trier müsse ein Bruder der Königin Mathilde gewesen sein, nicht mehr in diesem Sinnen anführbar.
Zu Ruotbert gibt uns indessen Thietmar von Merseburg in seiner Chronik einen besseren Hinweis. Er nennt uns Erzbischof Ruotbert als patruus (= Vatersbruder) des hochedlen Grafen und späteren Bischof Ansfrid von Utrecht (995-1010). Ruotbert habe den ihm noch als Knaben (puerulus) von einem anderen Onkel (patruus) - nämlich von Graf Ansfried dem Älteren, der 15 Grafschaften innehatte - zur Ausbildung übergebenen jungen Ansfried nach mancherlei Unterweisung an Erzbischof Brun von Köln (953-965) zur weiteren Schulung in politisch-militärischen Fragen überwiesen. Von dort sei der junge Ansfried - nunmehr ein adolescens - auch an den Hof OTTOS DES GROSSEN gelangt und mit diesem - als dessen Schwertträger - nach Rom zur Kaiserkrönung (962) gezogen etc. Alle diese Angaben sind auch in unserem Zusammenhang wichtig. Denn ihnen ist zumindest zu entnehmen, dass Ansfried der Jüngere nicht vor 935/40 geboren sein kann. Sollte nun sein Onkel Erzbischof Ruotbert eine Generation älter sein, dann wird man seine Geburt etwa 25 Jahre früher ansetzen müssen, das heißt für ihn eine Geburtszeit von ca. 910/15 annehmen dürfen. Paßt aber dies - wenn man Erzbischof Ruotbert als Bruder der Königin Mathilde belassen möchte - auch zu den Lebens- und erschließbaren Geburtsdaten Mathildes? Da Mathilde sich bereits 909 verheiratete und 912 ihren ersten Sohn OTTO DEN GROSSEN zur Welt brachte, ist es offensichtlich, dass hier doch die erschließbaren Geburtsdaten beider um die Spanne einer ganzen Generation (von 20 bis 25 Jahren) voneinander abweichen. Auch danach scheint es wiederum schier unmöglich zu sein, Ruotbert als Bruder der Königin Mathilde anzusetzen.
Fällt aber Ruotbert als Bruder Mathildes aus, schwindet auch jede Möglichkeit, den Vater Ansfrieds des Jüngeren, der den Namen Lambert trug und der - wegen der patruus-Bezeichnung Ruotberts im Verhältnis zu Ansfried dem Jüngeren - Ruotberts Bruder gewesen sein müßte, als weiteres Kind des sächsischen Grafen Dietrich (Theoderich) und seiner Frau Reinhild - neben den Töchtern Mathilde, Friderun, Bia und Amalrada - anzusehen. Und das gleiche gilt für Graf Ansfried dem Älteren, der ja ebenfalls als Ansfrieds Onkel (patruus) ein Bruder Ruotberts und Lamberts gewesen sein dürfte.
Will man Ruotberts Herkunft und seine Verwandtschaft klären, so wird man eventuell sogar sein Engagement für Balderich von Lüttich, den Gegenkandidaten Rathers im Lütticher Bischofsstreit, heranziehen dürfen, hinter dem sich Verwandtschaftsinteressen verbergen könnten. Doch soll dem hier nicht weiter nachgegangen werden. Interessanter ist aber wohl der Hinweis, dass Ruotbert vor seiner Bischofserhebung in Trier (931) zur engsten Umgebung seines Amtsvorgängers Ruotger - und zwar als dessen Kanzler - gehört haben dürfte; denn 924 ist uns ein Rotbertus in dieser Funktion bezeugt. In den folgenden Jahren könnte er eventuell sogar Abt von Klingenmünster (bei Bergzabern in der südlichen Pfalz) gewesen sein. Beides paßt nicht nur zu einem gebürtigen Sachsen, der er als Mathildes Bruder gewesen sein müßte. Eher läßt sich dann schon damit vereinbaren, dass König Ludwig IV. d 'Outremer am 23. März 950 auf Bitten des Bischofs Adalbero von Metz, eines Ansfried und eines Folmar Ländereien in Salonne und Umgebung an die Abtei Salonne (zwischen Vic und Chateau-Salins in Lothringen) überließ, die er predicto fideli nostro Ansfrido jure beneficio zugestanden hatte, wobei mit Ansfried hier Ruotberts Bruder Ansfried der Ältere gemeint sein könnte. Das aber würde Routberts Herkunft wiederum fester in den lotharingischen Bereich einbinden.
Mit der Ausklammerung Erzbischof Ruotberts aus der Verwandtschaft Mathildes korrespondieren schließlich auch noch andere Quellenhinweise, die - wenngleich nur ein nicht voll zählender argumentum ex silentio - nicht ganz vergessen werden sollen. Da ist immerhin festzustellen, dass Ruotbert in den mehreren Dutzend Erwähnungen in zeitgenössischen Quellen - in Königsurkunden HEINRICHS I. und OTTOS DES GROSSEN, beim Continuator Reginonis, in Ruotgers Vita Brunonis, bei Flodoard von Reims und bei Thietmar von Merseburg, in den Miracula S. Liutwini, in den Annalen S. Maximini, den Annales Hildesheimenses, verschiedenen Synodalakten und Nekrologien - niemals als ein Verwandter der OTTONEN bezeichnet wird. Auch die zwei großen Memorialeinträge, mit denen HEINRICH I. sich und seine Familie sowie seine und seiner Frau Mathilde Verwandten in das Gebetsgedenken der Mönche von Reichenau und St. Gallen aufnehmen ließ, weisen zwar Mathildes Eltern und ihre Schwestern Friderun, Bia und Amalrada, aber keinen Erzbischof Ruotbert von Trier und ebenso wenig die Grafen Ansfried den Älteren und Lambert auf. Diese fehlen auch im ottonischen Totengedenken, das seit 936 systematisch aufgebaut und gepflegt wurde. Und wäre es überhaupt denkbar gewesen, dass Ruotbert von Trier, als er 936 - ebenso wie der Mainzer und der Kölner Metropolit - den Anspruch erhob, bei der Aachener Krönungszeremonie OTTOS DES GROSSEN die Weihehandlung durchführen zu dürfen, hätte gänzlich übergangen werden können - wie es tatsächlich geschah, da ja der Mainzer die Krönung vornahm und der Kölner ihm dabei assistieren durfte -, wäre er OTTOS Onkel gewesen? Der über diesen Vorrangstreit berichtenden Sachsengeschichte Widukinds von Corvey ist deutlich zu entnehmen, dass "Ruotbert von Trier... als der eigentliche Verlierer dastand". Ruotbert hat sich dabei auch nur auf die Gründungstradition durch den Petrusschüler Eucharius und damit gewissermaßen auf das Ältestenrecht berufen; von einer Verwandtschaft und einem daraus resultierenden Anspruch verlautet hier nichts.
Demnach ist wohl diese so oftmals unterstellte Verwandtschaft Ruotberts und seiner Brüder Ansfried und Lambert mit den OTTONEN aus unseren Handbüchern zu streichen. Das aber hat Konsequenzen: Zum Beispiel wird man nicht mehr - mit Verweis auf Ruotbert - leichthin sagen können, dass schon HEINRICH I. in Lothringen Verwandte auf Bischofsstühle brachte und damit die ottonische Reichskirchenherrschaft anbahnte. Auch wird man die alte Frage der genealogischen Herleitung Mathildes vom Sachsen-Herzog Widukind erneut zu überprüfen haben, da in der Ablehnung der früher gängigen Rekonstruktionen S. Krügers und anderer durch K. Schmid das Argument eine wichtige Rolle spielte, Ruotbert von Trier sei ein erbberechtigter Sohn Graf Dietrichs und Reinhilds gewesen: da gerade er kein Rektor in Wildeshausen, der Stiftung des Widukind-Enkels Waltbert, wurde, in der immer ein zum Geistlichen bestimmter Sohn eines Bruders (erst in zweiter Linie einer Schwester) des letzten Klosterrektors die Leitung innehaben sollte, könne Dietrich nicht vom Widukind-Enkel abstammen. Jedoch soll diesem Fragenkreis hier nicht weiter nachgegangen werden.
 

                                                                  II.

K. A. Eckhardt hat 1963 - wie einleitend erwähnt - die bald auch von anderen Historikern übernommene These aufgestellt und zu beweisen unternommen, dass Bischof Bovo von Chalons-sur-Marne (ca. 915/16-947) ein Bruder von HEINRICHS I. Gemahlin Mathilde war. Zu diesem Ergebnis kam er auf nicht uninteressante Weise. Indem wir Eckhardts Beweisgang darlegen, überprüfen wir ihn zugleich auf seine Stichhaltigkeit.
Bischof Bovo war, wie uns zwei Diplome Karls des Einfältigen zeigen, ein Bruder von Karls am 10. Februar 917 verstorbener Gemahlin Frederuna; andererseits hatte auch HEINRICHS I. Gemahlin Mathilde eine Schwester, Friderun/Frederuna. Wie Flodoard von Reims in seinen Annalen zum Jahr 956 mitteilt, hatte Bovo zudem einen clericus Transrhenensis Berengar als nepos, der seinerseits 956 zum Bischof von Cambrai erhoben wurde und - nach der Gesta episcoporum Cameracensium - wiederum ex nobili parentale Germaniae hervorgegangen ist sowie Ottonis imperatoris proxime consanguineus war. Eckhardt zog aus diesen Gegebenheiten den Schluß: "Wenn ein Neffe des Bischofs Bovo von Chalons und also auch von dessen Schwester, der Königin Frederuna von Frankreich, gleichzeitig mit OTTO I. nächstverwandt war, dann bleibt genealogisch schlechterdings keine andere Möglichkeit, als dass OTTOS I. Mutter Mathilde eine Schwester des Bischofs Bovo und der Königin Frederuna war, (Frederuna also mit Mathildes Schwester Friderun zu identifizieren ist), und dass ein Elternteil des "aus edlem deutschen Geschlecht" stammenden Bischof Berengar ebenfalls zu diesem Geschwisterkreis gehörte. Wahrscheinlich war Berengar, gleich dem Bischof Dietrich von Metz, ein Sohn des Grafen Eberhard und der Amalrada, Mathildens Schwester".
Ist nun dieser Beweisgang "schlüssig"? Viel hängt schon davon ab, ob der um 1050 schreibende Autor der Bischofsgeschichte von Cambrai mit seiner Angabe zur Königsverwandtschaft Bischof Berengars verläßlich ist, was wir nicht kontrollieren können, und ob auch die nepos-Bezeichnung Flodoards, die das Verwandtschaftsverhältnis Berengars gegenüber Bovo von Chalons angibt, tatsächlich "Neffe" - und nicht etwa nur (entfernter) "Verwandter" - meint. Im letzteren Falle schwindet bereits die Strigenz. Problematischer wirkt die Konstruktion jedoch dadurch, dass man unterschiedliche Todestage für Karls des Einfältigen Gemahlin Frederuna und Mathildes Schwester Friderun, die ja doch ein und dieselbe Person sein sollen, feststellt. Die eine verstarb am 10. Februar (des Jahres 917), die andere an einem 10. Januar. Eckhardt, der diese Divergenz sah, erklärte dies als ein Versehen des Zusammenstellers oder Abschreibers des Trierer Nekrologs oder Diptychons, aus dem uns der Todestag der Mathilden-Schwester bekannt ist. Das wäre akzeptabel, wenn da nicht auch noch ein Unterschied im Todesjahr bestünde. Die vier nur leicht voneinander abweichenden Überlieferungen der Fuldaer Totenannalen verzeichnen nämlich zum Jahre 971 als zweiten (und einmal als ersten) Jahreseintrag eine Fridarun, die dreimal als comitissa und einmal als ancilla Christi gekennzeichnet worden ist und einmal sogar das präzisierende Datum II. id. Jan (12. Januar) erhielt. Da die Todestagangaben in den verschiedenen Nekrologien häufig um ein bis zwei Tage differenzieren, hat man seit langem schon in der am 12.1.971 verstorbenen Gräfin Friderun die im Trierer Nekrolog oder Diptychon zum 10.1. eingeschriebene gleichnamige Schwester der Königin Mathilde erkannt. Letzte Zweifel an dieser Identifizierung und an der damit implizierten Unmöglichkeit einer Gleichsetzung der (demnach 971 verstorbenen) Mathilden-Schwester mit der 917 verstorbenen französischen Königin Frederuna beseitigen indessen zwei Reichenauer und St. Galler Gedenkeinträge aus dem Frühherbst 929, auf die K. Schmid 1960 erstmals aufmerksam gemacht hat und die uns die Verwandtschaft König HEINRICHS I. und Mathildes am Vorabend der Verheiratung ihres Sohnes OTTO I. mit der englischen Prinzessin Edgith aufweisen:

Cod. sangall. col. 265:
     Heinrich, Mathilt, Otto, Heinrich, Prun, Kerbrich, Aduui, Kysilbert, Thieterich, Reginhilt, Otoo,
     Amalrat, Perechtheid, Fridirun, Pia omnesque debitores eius.

Cod. aug. col. 247b:
     Heinricus rex, Mahthild regina, Otto rex, Heinricus, Prun, Kisilpert, Kerprig, Hadauui, Sigifrid,
     Kotechind, Ekkihart, Dancmar, Sigipert, Meginuuarch, Egino, Ekkihart, Prun, Theo to, Uuitolt,
     Kozmar, Uuipert, Kerlind, Liuza, Theotirih, Uuitechind, Reginhilt, Perehtheid, Pia, Friderun,
    Amalrat, Sigipert, Ekkipert, Piso, Ello  - et omnes debitores eorum.

Eine Interpretation dieser Namen im einzelnen braucht hier - da sie (was die Hauptteile anbetrifft) schon 1960 von K. Schmid geleistet wurde und (was vor allem den Mittelteil der zweiten Liste angeht) erst vor kurzem von mir ergänzt werden konnte - nicht mehr wiederholt zu werden. Die engere Königsfamilie HEINRICHS I. (mit Gemahlin, drei Söhnen, zwei Töchtern und einem Schwiegersohn) und die eingangs schon vorgestellte nahe VerwandtschaftMathildes sind auch so erkennbar. Wichtig ist hier lediglich, dass diese beiden Einträge, die die 929 lebende Königsverwandtschaft umschreiben, jeweils Friderun neben ihren Schwestern Pia, Amalrat, (Perechtheid) und Königin Mathilde aufzeigen, so dass deren Gleichsetzung mit der schon 917 verstorbenen französischen Königin Frederuna ausgeschlossen ist. Diese Namenreihen nennen auch keinen Bovo episcopus, was gleichfalls gegen die Gleichsetzung der Mathilde-Schwester Friderun mit der gleichnamigen französischen Königin Frederuna spricht. Hinzu kommt, dass auch ein in Trier überliefertes Memorienblatt, das an seinem Anfang die Namen Otdo, Athalheit, Otto, Mahtild, Uualdburg, Fritharun nennt und aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts zu stammen scheint, freilich in den ersten Zeilen eine Vorlage aus der Spätzeit OTTOS DES GROSSEN wiederholen dürfte, gleich am Beginn neben dem Kaiser OTTO I. und seiner zweiten Gemahlin Adelheid die Kinder dieser Ehe, OTTO II. und Mathilde (Äbtissin von Quedlinburg), und - nach einer nicht identifizierbaren Person - mit Fritharun OTTOS DES GROSSEN Tante, die Schwester seiner Mutter Mathilde, nennen dürfte.
Somit ist auch diese auf den ersten Blick recht imponierende Kombination bruchstückhafter Nachrichten nicht mehr tragfähig. Hatte doch Eckhardt gemeint, das Aufdecken dieser "Versippung durch Heimführung zweier Schwestern" könne vor allem den persönlichen Hilferuf Karls des Einfältigen, als er 923 im Westreich in die Gewalt Graf Heriberts II. von Vermandois gefallen war, an HEINRICH I. erklären. Das wird man fallenlassen müssen und dafür eher auf die 921 auf einem Rheinschiff bei Bonn abgeschlossene amicitia verweisen, die ja auch zu gegenseitiger Achtung, wenn nicht sogar tätiger Hilfe verpflichtete. Diese Hilfe ist damals bekanntlich nicht verwirklicht worden, hatte doch HEINRICH seinerseits schon eine neue amicitia mit Karls Gegner, König Robert von Westfranken/Frankreich (922-923), geschlossen, die das alte Versprechen gewiß in den Hintergrund gedrängt hatte.
Dadurch ist freilich die Frage wieder offen, wie die Verwandtschaftsverbindung Bischof Bovos von Chalons zu seinem von jenseits des Rheins stammenden nepos Bischof Berengar von Cambrai (956-962), der dazu ein naher Verwandter OTTOS DES GROSSEN gewesen sein soll, genau aussah. Sie kann hier nicht behandelt werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch zusätzlich darauf aufmerksam zu machen, dass noch ein weiterer Bischof Berengar der damaligen Zeit - nämlich Bischof Berengar von Verdun (940-959) - als primi Ottonis imperatoris consanguineus, vir nobilis et Saxonicus, überliefert ist. Beide Verwandte OTTOS DES GROSSEN, die in etwa auch der Lebenszeit und Generation OTTOS angehört haben dürften, werden bewußt mit Gebieten jenseits des Rheins und mit Sachsen in Verbindung gebracht. Das könnte auf die Bereiche nördlich und nordöstlich des Niederrheins - das Hamaland und Friesland - ebenso verweisen wie auf Westfalen, Ostfalen und Engern. Deshalb sei hier nochmals daran erinnert, dass Mathildes Schwester Amalrada mit Eberhard vom Hamaland verheiratet war, dass aber auch schon HEINRICHS I. Schwester Oda sich in jene Bereiche verheiratet hatte, indem sie ja - nach dem Tod ihres ersten Gemahls König Zwentibold - von Graf Gerhard (einem MATFRIEDINGER) heimgeführt wurde und noch um die Mitte des 10. Jahrhunderts in Deventer lebte, wo sie eine mit dem Grafen Gozlin vom Bidgau verheiratete Tochter Uoda hinterließ, jedoch auch noch andere Kinder gehabt haben könnte. Die Verwandtschaft kann aber auch über die vor 912 verstorbenen Brüder HEINRICHS I. (Liudolf und Thankmar) gelaufen sein, von deren Existenz wir zwar wissen, von deren Nachkommen man aber nur auf Umwegen einige wenige erschließen lassen kann. Ganz nahe wird diese Verwandtschaft aber gewiß nicht gewesen sein - insofern übertreibt der Autor der Gesta episcoporum Cameracensium zumindest etwas, wenn er nicht überhaupt unrecht hat -, da doch beide Bischöfe namens Berengar nicht im ottonischen Totengedenken auftreten und keine Verbindung bekannt ist, die ihre Aufnahme in dieses hätte verhindern können. Auch kennt man ja offensichtlich - was freilich nicht ganz gesichert ist, aber hier doch nicht übergangen werden soll - noch einen weiteren Verwandten Bischof Bovos von Chalons, der im damaligen Sachsenlande lebte, nämlich den Abt Bovo II. von Corvey (900-916), von dem gleichfalls keine direkten Verwandtschaftsbeziehungen zu den OTTONEN überliefert sind und nur eine äußerst weitläufige Verwandtschaft zu diesen erschließbar ist [Widukind sagt, dass Abt Bovo I. von Corvey (879-890), der Großvater Bovos II. (900-916), ein nepos erat Warini, des ersten Abtes von Corvey (826-856), der seinerseits wieder ein Onkel der Mutter Hadwigs (Gemahlin Ottos des Erlauchten und Mutter König HEINRICHS I.) war. Bovo I. könnte also ein Bruder oder Vetter der Mutter Hadwigs gewesen sein.]. Ein in Nova Corbeia (= Corvey) Christo servientium indignus famulus B., hinter dem wegen seiner Kenntnis und Anwendung vieler griechischer Wörter kein anderer gesehen werden kann als der im Griechischen bewanderte Abt Bovo II., von dem Widukind berichtet, widmete nämlich einen Boethius-Kommentar seinem vielgeliebten jungen "Mitbruder aus Profeß und Blutsverwandtschaft" nämlich Bovoni antistiti, den er auch als praesul anspricht und den man mit Bischof Bovo von Chalons zu identifizieren pflegt. Dabei steht außerdem fest, dass - nach den Eintragungen des bis 1146 geführten Corveyer Äbte und Brüderverzeichnisses - zu Zeiten Bovos II. ein später zum Bischof aufgestiegener Bovo in Corvey Mönch geworden war. Und für den Bischof von Chalons würde wohl auch sprechen, dass der Adressat des Boethius-Kommentars nun über weite Länderstrecken vom Verfasser entfernt lebt. Was die gewisse Unsicherheit in der Identifizierung verursacht, sind die Fakten, dass Bovo II. von Corvey schon am 22. Juni 916 verstarb, während Bischof Bovo von Chalons frühestens 915/16, wenn nicht erst 917, seinen Episkopat angetreten haben kann, dass der Verfasser sich als indignus famulus, nicht als Abt bezeichnet, was auf eine Verfasserzeit vor dem Beginn des Corveyer Abbatiats Bovos II. (900-916) zu verweisen scheint, und dass vor allem eine paläographisch noch dem 9. Jahrhundert zuzuschreibende Handschrift dieses Boethius-Kommentars existiert, die - wenn die paläographische Bestimmung nicht trügt - eigentlich eine Identifizierung des Empfängers mit Bischof Bovo von Chalons ausschließt.
Aber wie dem auch sei: zu einer weiteren Klärung der Fragen um Königin Mathildes Schwester Friderun/Frederuna trägt dies alles wenig bei - desgleichen nicht der letzte mögliche Hinweis, dass nämlich die französische Königin Frederuna und ihr Bruder Bovo Verwandte des in der Spätphase König Karls des Einfältigen wichtig gewordenen und bei vielen verhaßten lotharingischen Grafen Hagano gewesen zu sein scheinen und auch einen nepos Ernust hatten -, so dass wir diesen Komplex hier abschließen können.
 

                                                                 III.

Der dritte hier zu behandelnde Fragenkreis betrifft das Problem, von welcher der Schwestern Königin Mathildes die in mehreren Aufständen gegen OTTO DEN GROSSEN hervorgetretenen Brüder Ekbert der Einäugige und Wichmann der Jüngere abstammten. Zumal sich die Jahrbücher der deutschen Geschichte für die Zeit Kaiser Ottos des Großen von R. Köpke und E. Dümmler dafür ausgesprochen hatten, Friderun als diejenige Mathilden-Schwester anzusehen, die mit dem Grafen Wichmann dem Älteren vermählt war und die Mutter der beiden später so oft aufrührerischen Grafen Wichmann der Jüngere und Ekbert gewesen ist, schien anschließend für die meisten Historiker lange Zeit diese Frage endgültig gelöst zu sein. Erst neuerdings ist sie bei Untersuchungen  von Nekrologproblemen durch G. Althoff wieder aufgeworfen worden. Dieser kommt zum Ergebnis, dass weder Friderun noch Bia die Mutter dieser Rebellen gewesen sein könne. Muß dies das letzte Wort bleiben ?
Wie schon von R. Köpke und E. Dümmler - aufgrund vor allem der Angaben bei Widukind von Corvey und bei Thietmar von Merseburg - festgestellt worden ist, hatte Graf Wichmann der Ältere (+ 23.4. oder 12.5.944) zwei Brüder, nämlich den von OTTO I. als Markgrafen der Nordmark eingesetzten Hermann Billung (+ 27.3.973) und den Bischof Amelung von Verden (+ 5.5.962). Von diesen Autoren ist desgleichen schon bemerkt worden, dass eigentümlicherweise nur insofern als Söhne des älteren Wichmann erscheinen, als Markgraf Hermann als patruus Wichmanns des Jüngeren beziehungsweise Wichmann der Jüngere und Ekbert als nepotes Herimanni und als confratres auftreten, der erste auch als propinquus OTTOS I. und als materterae regis filius bezeichnet wird, der zweite zudem als consobrinus regis genannt ist. Zugleich ist dabei nicht zu vergessen, dass Wichmann der Jüngere 953 seinen patruus Hermann Billung beschuldigte, der paternae hereditatis raptor zu sein, und dass sich Ekbert ihm anschloß, so dass sich beide unter der gleichen Argumentationsweise (eadem sententia) gegen Hermann erhoben; und das ist nur möglich, wenn beide Brüder waren und ihr Vater damals schon nicht mehr lebte, was wiederum auf den 944 verstorbenen Wichmann den Älteren zurückverweist. Wichmann der Jüngere und Ekbert der Einäugige waren demnach - wie wohl unabweisbar ist - Brüder und zugleich Söhne Wichmanns des Älteren und einer Schwester der Gemahlin HEINRICHS I.
Dass Friderun diese Schwester nicht gewesen sein kann, hat schon R. Bork damit begründet, dass diese erst im Jahre 971 verstarb, während Widukind von Corvey schon für die Mitte der 50-er Jahre von Wichmann dem Jüngeren sagte, er sei ehedem destitutus a patre et matre gewesen und deshalb von OTTO DEM GROSSEN an Sohnes Statt aufgenommen und erzogen worden. Entschied sich R. Bork sonach für Bia als Mutter Wichmanns des Jüngeren und Ekberts, so wandte sich aber G. Althoff auch gegen diese Ansicht. Er geht nämlich davon aus, dass Bia schon vor 936 verstorben ist, da sie damals (das heißt zwischen 931/32 und 936) bereits in das in Gandersheim geführte ottonische Familiennekrolog, das wir aus einer von Althoff entschlüsselten Abschrift im St. Galler Verbrüderungsbuch rekonstruieren können, mit ihrem uns bekannten Todestag eingeschrieben war, den ein Auszug aus einem Trierer Nekrolog oder Diptychon und die in Merseburg überlieferte Fassung des ottonischen Totengedenkens aufweisen. Ein Todesjahr 931/32 - auf diesen Zeitpunkt reduziert Althoff die korrekterweise bis 936 währende Spanne -, das sich somit für Bia ergibt, sei nämlich für die Mutter sowohl Wichmanns des Jüngeren als auch Ekberts, die beide von Widukind von Corvey zu 953/54 noch als iuvenes und adolescentes bezeichnet werden, zu früh. "Selbst wenn einer von ihnen im letzten Lebensjahr der Bia geboren worden wäre", so wird argumentiert, "wäre er zum besagten Zeitraum (953/54) 22 oder 23 Jahre alt gewesen, der andere Bruder in jedem Fall noch älter." Das aber passe nicht zu iuvenes und adolescentes. Außerdem müsse man wohl die erst 939 geborene Hathwig, die 1014 als Äbtissin von Gernrode (und Vreden) verstarb, als Tochter Wichmanns des Älteren und als Schwester des jüngeren Wichmann und Ekberts des Einäugigen ansehen, was noch weniger mit Bia als Gemahlin Wichmanns des Älteren vereinbar sei. Schließlich sei Bia auch mit ihrem Todestag (25. Mai) in einem in Abschrift des 17. Jahrhunderts erhaltenen spätmittelalterlichen Nekrolog, das aus älteren Zeiten die Gründer der Nonnengemeinschaft und die Äbtissinnen überliefert, als praeposita eingeschrieben worden; sie werde also an ihrem Lebensende einer geistlichen Gemeinschaft angehört haben, "was eine Ehe mit dem 944 verstorbenen Wichmann dem Älteren ebenfalls ausschließt". Und letztlich seien zudem "weder Friderun noch Bia im Lüneburger Nekrolg" zu finden, "was angesichts der sonstigen Vollständigkeit der Eintragung von Familienangehörigen (der BILLUNGER) auffällt und ebenfalls gegen eine Ehe der genannten Frauen mit Wichmann dem Älteren spricht". So bleibt ihm "nichts anderes übrig, als entweder anzunehmen, Wichmann habe eine andere unbekannte Schwester der Königin Mathilde geheiratet, oder die Tatsache einer verwandtschaftlichen Bindung zwischen der Familie der Königin Mathilde und den BILLUNGERN zu konstatieren, ohne eine genauere genealogische Zuordnung zu wagen".
Betrachtet man diese Alternative, so ist man zunächst auf jene Perehtheid, die in den Reichenauer und der St. Galler Gedenklisten HEINRICHS I. vom Jahre 929 in der Gruppe der bekannten Schwestern Mathilde genannt ist, als mögliche Mathilden-Schwester und Gemahlin Wichmanns des Älteren verwiesen. Nur sie kann eigentlich - wie diese Lebendenliste der OTTONEN-Familie und ihrer Verwandten von 929 zeigen - überhaupt noch in Frage kommen. Schon K. Schmid hat ja bei seiner ersten Beschäftigung mit jenen Namenslisten gemeint:  "Weil in beiden Einträgen unter den Namen der anderweitig bekannten Schwestern Mathildes eine Perehtheid erscheint, darf man wohl annehmen, auch sie sei eine bislang nicht bekannte Schwester, jedenfalls aber eine nahe Verwandte der Königin gewesen". Eine Perehtheid als weitere Mathilden-Schwester kann in der Tat das von Althoff gezeigte Dilemma auflösen.
Bei aller Hinneigung zu dieser Erklärung bleiben aber auch einige  Bedenken. Die in die beiden Reichenauer und St. Galler Gedenkbucheinträge aufgenommene Perehtheid kann nämlich ebenso gut wie eine Schwester Mathildes auch eine Tante der Königin - eventuell die Gemahlin Widukinds, des Bruders von Mathildes Vater Dietrich (Theoderich), der ja gleichfalls mit in das Gedenken aufgenommen wurde - gewesen seien. Außerdem ist eine Perehtheid genauso wenig im Lüneburger Nekrolog, das die BILLUNGER und ihre Angehörigen verzeichnet, aufgenommen wie Friderun und Bia; und sie fehlt dazu auch im sonstigen ottonischen Totengedenken, nämlich im Merseburger Nekrolog und im Gandersheimer und im Gandersheimer Nekrologsauszug von "931/32-936" (wenn man sie nicht mit einer Mitte Juni oder gegen Ende November vor "931/32-936" verstorbenen Berehta [An dieser Stelle kann man wohl noch darauf verweisen, dass die Gründerin des Klosters Borghorst (+ 988) Berta hieß, eine Tochter Bertheidis (neben einer weiteren Tochter Hadwig) hatte und dass sich von dieser Familie Beziehungen zu den BILLUNGERN feststellen, wenn auch nicht näher konkretisieren lassen.] gleichsetzen will), und desgleichen in den Fuldaer Totenannalen. Insofern ist auch das letzte - gerade gegen Bia als Wichmann-Gemahlin angeführte - Argument Althoffs, das die Nichterwähnung Bias im Lüneburger Totenbuch aufgreift, gewiß nicht sehr tragfähig. Und das gilt sicherlich auch für die Mitteilung aus dem spätmittelalterlichen Gandersheimer Nekrolog, das eine am 25. Mai verstorbene Bia praeposita festhält; praeposita könnte nämlich durchaus eine Verlesung des Kopisten oder eine Falschauflösung einer Abkürzung (etwa von praebenda, der Festlegung der Memoriengabe, oder von praepositens = sehr mächtig, vornehm) sein. Aber dieses Problem löst sich sogar viel einfacher: am 25. Mai, dem Todestag der Mathilden-Schwester Bia, verstarb nämlich tatsächlich eine Gandersheimer Pröpstin Bia, - allerdings erst 1251 oder 1252. Und da außerdem die erst 1014 verstorbene Äbtissin Hathwig von Gernrode durch Thietmar von Merseburg lediglich als eine inclita neptis reginae Mathildis bezeugt ist, nicht indessen mit den Wichmann-Söhnen in Verbindung gebracht wird, spricht auch hier nichts zwingend gegen Bia als Gemahlin Wichmanns des Älteren; denn Hathwig kann selbstverständlich eine Tochter der erst 971 verstorbenen Friderun gewesen sein. Deshalb bleibt allein das Argument ernstlich zu prüfen, ob die Bezeichnung der beiden Söhne Wichmanns des Älteren - das heißt Wichmanns des Jüngeren und Ekberts des Einäugigen - zum Jahre 953/54 als iuvenus und adolescentes noch möglich war, auch wenn sie schon vor "931/ 32-936", der Todeszeit Bias, geboren waren, oder ob es diese Bezeichnungen unmöglich machen, sie auch als Bias Kinder zu betrachten.
Nun hat schon A. Hoffmann festgestellt, dass die im Mittelalter gängigen Lebensalterseinteilungen fast ausschließlich auf die Differentiae und Etymologiae Isidors von Sevilla zurückgehen. Diese zeigen nach der infantia (bis zu 7 Jahren) und der pueritia (bis zu 14 Jahren) als dritten Abschnitt die adolescantia, die vom 15. bis zum 28. Lebensjahr reicht, gefolgt von der iuventus, die die Zeit vom 28. bis zum 49. oder 50. Jahr ausfüllt, un der senectus oder gravitas und dem senium. Besonders heimisch gemacht hat dieses System im Ostfrankenreich oder vielmehr im werdenden deutschen Reich der "Praeceptor Germaniae", Hrabanus Maurus: Gradusaetatis sex sunt: infantia, pueritia, adolescentia, juventus, gravitas atque senectus. Primaetas infantia est pueri nascentis ad lucem, quae porrgitur in septem annis. Secunda aetas pueritia is est, pura et necdum ad generandum apta, tendens usque ad 14 annos. Tertia, adolescantia ad gignendum adulta, quae porrigitur usque ad 28 annos. Quarta, juventus, firmissima aetatum omnium, finiens in quinquagesimum annum etc. Setzt man diese damals gängige Schema der Lebensalterbezeichnungen auch bei Widukind von Corvey voraus - und es ist nichts darüber bekannt, dass Widukind ein anderes System entwickelt haben sollte -, so entfällt letztlich aber auch dieses Argument. Als iuvenes und adolescentes wurden Wichmann der Jünger und Ekbert für die Zeit um 953/54 von Widukind durchaus richtig charakterisiert, auch wenn sie schon um 928/30 von Bia - nicht erst etwa 934/35, was gleichfalls möglich ist - geboren waren [Bei dieser Frage ist zunächst daran zu erinnern, dass Widukind, Res gestae Sax. III 50 Seite 129, sagt, Wichmann der Jüngere sei destitutus a patre et matre von OTTO DEM GROSSEN loco filiorum aufgenommen, erzogen und mit der väterlichen Amtsposition betraut worden. Da Wichmann der Ältere 944 verstarb, dürfte diese Quasiadoption, die keinerlei rechtliche Folgen hatte und eher einer Annahme zur Pflegekindschaft gleichkam, wohl 944 stattgefunden haben. Wenn man sich dies vor Augen hält und das damalige Großjährigkeitsalter des vollendeten 12. Lebensjahres (so nach dem Sachsenspiegel) einkalkuliert, dürfte Wichmann der Jüngere sogar erst 932/33 geboren sein (eventuell verstarb seine Mutter im Kindbett). Und auch das schließt Bia nicht als Mutter Wichmanns des Jüngeren und Ekberts des Einäugigen aus, denn der Gandersheimer Nekrologauszug, der Bias Todestag bereits enthielt, ist korrekt nur auf "931/32 bis Sommer 936" zu datieren, nicht auf 931/32 als Entstehungszeit zu reduzieren]. Damit scheint in der Tat Bia, wie schon R. Bork meinte, die Gemahlin Wichmanns des Älteren und Mutter der so oft rebellischen Wichmann-Söhnen gewesen zu sein, wenngleich auch eine Perehtheid als die an jener Stelle stehende Schwester Mathildes nicht völlig auszuschließen ist.
Drei Problemkreise aus dem Umfeld der engsten Verwandtschaft der Königin Mathilde haben uns beschäftigt. Ihre Klärung ein Stück weiter vorangetrieben zu haben, mag - als ein kleiner Geburtstagsgruß für Alfons Becker - das Ergebnis dieses Beitrages sein.