Über die Familie und den Sippenkreis, aus dem die
Gemahlin König
HEINRICHS I., Mathilde,
hervorging, besteht seit langem in der Mediävistik kein Zweifel mehr:
Mathilde
entstammte
der "widukind-immedingischen Sippe".
Sie war ja, wie es die Vita Mathildis antiquior sagt, eine Tochter des
aus der Nachkommenschaft des einstigen großen Sachsen-Herzogs
Widukind hervorgegangenen Grafen
Dietrich (Theoderich) und seiner einem sächsisch-dänischen
Geschlecht entstammenden Gemahlin Reinhild.
Und Dietrichs Brüder hatten Widukind,
Immed
und Reginbern
geheißen, wobei von Immed
die bei späteren Geschichtsschreibern
gebräuchliche Bezeichnung
IMMEDINGI
hergeleitet
sein dürfte. In welcher Weise Mathildes Vater
Dietrich
seinerseits
wiederum vom alten Sachsen-Herzog Widukind abstammte - ob über
seine Mutter Mathilde,
die ihr Lebensende als Äbtissin im Kloster Herford verbrachte,
oder über seinen uns unbekannten Vater -, ist freilich nicht überliefert
und bei der derzeitigen Quellenlage wohl auch nicht mehr klärbar.
Bekannt sind ferner drei Schwestern der Königin
Mathilde:
Friderun,
Bia
und
Amalrada.
Sie sind uns in der zeitgenössischen Überlieferung gut bezeugt.
Aber schon die in vielen Handbüchern und personengeschichtlich
interessierten Arbeiten anzutreffende Angabe, Mathilde
habe auch einen Bruder gehabt, nämlich den von 931 bis 956 als Erzbischof
in Trier nachweisbaren Ruotbert, muß man mit großer
Skepsis betrachten. Und dasselbe gilt für die in der friesisch-niederländischen
Geschichte hervortretenden Grafen Ansfried den Älteren und Lambert,
die Erzbischof Ruotberts Brüder gewesen seien, also über
Ruotbert
und Königin Mathilde als Söhne
Dietrichs
und
Reinhilds
erschlossen werden. Denn obschon G. Waitz vor über 100 Jahren in den
Jahrbüchern des Deutschen Reiches unter König Heinrich I. - wie
vor ihm bereits G. W. Leibnitz - einen quellengestützten und scheinbar
unumstößlichen Nachweis für Erzbischof Ruotberts
Herkunft beigebracht hat, auf dessen Stichhaltigkeit man seither uneingeschränkt
vertrauen zu dürfen glaubt, hat nämlich vor wenigen Jahren Frau
J. M. van Winter an diesen festen Bestandteil unseres Stammtafel- und Handbuchwissens
zu rütteln begonnen. Ihre Ergebnisse sind freilich von der deutschen
Mediävistik noch nicht beachtet oder rezipiert worden; sie bedürfen
aber - da sie auch für andere Fragen sowohl der Genealogie wie ebenso
der politischen Geschichte von großer Bedeutung sind - der sorgfältigen
Überprüfung und - wenn sie sich als tragfähig erweisen sollten
- auch der Übernahme und historischen Auswertung.
Vor zweieinhalb Jahrzehnten ist zudem von K. A. Eckhardt
ein Beweisgang vorgetragen worden, der den Bischof Bovo von Chalons-sur-Marne
(ca. 915/16-947) als Bruder der Königin Mathilde
erweisen
soll. Er hat inzwischen einige Anhänger gefunden, obgleich ein französischer
Bischof als Bruder einer deutschen Königin auf den ersten Blick schon
etwas befremdlich wirkt. Da der Nachweis mit Hilfe einer Identifizierung
von Mathildes Schwester
Friderun
mit der gleichnamigen ersten Ehefrau König
Karls des Einfältigen vom Westfrankenreich geführt
worden ist, wodurch übrigens auch König
HEINRICH I. und Karl der Einfältige
als Gegenschwäger (durch ihre als Geschwister erscheinenden Frauen)
in die Geschichte eingeführt werden, steht auch hier ganz offensichtlich
eine normale politisch-historische Bedeutung hinter dem genealogischen
Problem. Deshalb ist mit besonderem Nachdruck zu fragen: Ist diese Rekonstruktion
akzeptabel und tragfähig?
Mathildes Schwester
Friderun/Frederuna
ist damit stärker in das Blickfeld des Interesses geraten. Friderun
ist indessen noch in anderer Weise seit längerem im Gespräch
der Historiker. War sie etwa - wenn man einmal die vorgeschlagene Identifizierung
mit König Karls des Einfältigen
Gemahlin Frederuna
ganz
außer acht läßt - die Gemahlin des sächsischen Grafen
Wichmann der Ältere, von dem wir durch bestimmte Angaben Widukinds
von Corvey und Thietmars von Merseburg wissen, dass er mit einer
Schwester Mathildes verheiratet war,
oder handelte es sich bei der Wichmann-Gemahlin nicht vielleicht
um die Mathilde-Schwester
Bia?
Da in der Wichmann-Nachkommenschaft der Name Friderun
wiederkehrt,
hat man gefolgert: "Der Name Frideruna
war also in der Linie üblich,
und das entscheidet gegen Bia". Ist das aber überzeugend?
Vor kurzem ist sogar die Meinung aufgetaucht, dass weder
Friderun
noch Bia
jene Schwester der Königin
Mathilde gewesen sein könne, über die die gut bezeugte
Verwandtschaft der Wichmann-Nachkommen zu OTTO
DEM GROSSEN lief. Hat man also noch eine weitere Schwester
Mathildes
anzunehmen? - Drei nicht ganz uninteressante Fragen aus dem Familienkreis
der Königin Mathilde bedürfen
somit der Prüfung und Klärung. Diese Aufgabe soll im folgenden
geleistet werden.
I.
Unsere bisherige, durch G. Waitz zur allgemeinen Geltung
gelangte Ansicht, dass Erzbischof Ruotbert von Trier (931-956)
ein Bruder der Königin Mathilde war,
stützt sich vornehmlich auf eine entsprechende Aussage des Zisterziensermönches
Alberich von Troisfontaines, der zwischen 1232 und 1252 seine häufig
zitierte, auf vielen älteren Quellen beruhende Weltchronik verfaßte.
Alberich berichtet zum Jahr 921, nachdem er - aus der Chronik Sigeberts
von Gembloux (+ 1112) entlehnt - den Tod des Bischofs Stephan von Lüttich
und die Neubesetzung des Lütticher Bischofsstuhls mit Abt Richar von
Prüm mitgeteilt hatte: Quo tempore factus est Treverensis archiepiscopus
Rupertus
filius Theoderici Saxonie ducis, frater
Mathildis regine Alemannie. Qui dux Theodericus fuit
de genere Guithecindi, et habit tres fratres, Guithecin,
Immit
et
Reginben; et ex hac serieistorum quatuor fratrum descendit nobilitas
totius Saxonie, Italie, Germanie, Gallie et Normannie, Bawarie, Suevie,
Hungarie, Boemie, Ruscie et Polonie. Und zum Jahre 923 vermeldet er:
Cum Treverensis ecclesia cum suffrraganeis fuisset hucusque sub regibus
Francie, mediante archiepiscopo Ruperto pertractata pace, reddita
est regibus Alemannie.
Woher bezog nun dieser späte Autor sein Wissen?
Und sind seine Nachrichten glaubwürdig? Ganz offensichtlich ist -
wie ein Textvergleich leicht ergibt - derjenige Teil dieser Mitteilungen
zu 921, der die Königin Mathilde als
Tochter Dietrichs und diesen sowie seine drei Brüder Widukind,
Immed
und
Reginbern
als aus dem Stamme des alten Sachsen-Herzogs
Widukind
entsprossen angibt, aus der Vita Deoderici episcopi Mettensis
des Sigebert von Gembloux übernommen, wobei Sigebert seinerseits wieder
von der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey abhing. Die Angaben
zur Verbreitung des Geschlechts über die meisten Staaten Europas kommen
bei Alberich fast wörtlich schon einmal zum Jahre 859 vor, und zwar
betreffen sie
Liudolf, den Spitzenahn der LIUDOLFINGER/OTTONEN
und folgen einem weiteren Zitat aus der Sigebert-Chronik nach; sie sind
also offensichtlich eine ausschmückende Paraphrase, die schwerlich
einen konkreten Quellenhintergrund besitzt. Dass Erzbischof Ruotbert
von Trier ein Sohn Dietrichs
und ein Bruder der Königin
Mathilde war und dass er sein Amt 921 antrat, sucht man aber
- wie schon Frau van Winter feststellte - bei Sigebert und bei Widukind
vergebens. Auch Anhaltspunkte, aus denen es abgeleitet sein könnte,
findet man dort hierfür nicht. Frau van Winter macht aber darauf aufmerksam,
dass Alberich seine der beiden ca. 1132 oder noch später entstandenen
Versionen B bzw. C der Gesta Treverorum, deren Ursprungsfassung (= Version
A) um 1101 verfaßt worden ist, zu Rate gezogen haben dürfte
und durch sie zu seiner Angabe kam.
Die Gesta berichten in der Ausgangsfassung A am Ende
des Kapitels 28, dass Erzbischof Radbot (+ 915), vordem Abt des Klosters
Mettlach, auf den 883 verstorbenen Erzbischof Bertolf nachfolgte und Bischof
Robert von Metz weihte, auch von Kaiser
ARNULF die St. Servatiusabtei in Maastricht erwarb und schließlich
sogar von
Ludwig dem Kind (der zum
Kaiser aufgewertet ist) die Kastelle Sierck und Orschholz samt Zubehör
erhalten habe. In Kapitel 29 fahren sie fort in der Mitteilung, dass danach
Erzbischof Ruotbert lebte, der den Leib des heiligen Severus aus
Italien nach Hatzenport/Mosel überführen ließ, und dass
nach Ruotbert
der Erzbischof Heinrich der Trierer Kirche vorstand
etc. Der zwischen Radbot und Ruotbert
nachweisbare, urkundlich gar
bezeugte Erzbischof Ruotger wird in dieser Fassung A nicht erwähnt.
Dass aber tatsächlich Ruotger zwischenzeitlich (915-931)
amtiert hatte, wurde in Trier später - offenbar anhand der noch vorhandenen
Urkunden dieses Oberhirten - bemerkt und in den Redaktionen B und C berichtigt.
Diese fügen deshalb am Ende des Kapitels 28 an, dass nach Radbot Ruotger
als Erzbischof nachfolgte, der ein königliches Bestätigungsdiplom
für den rechten Besitz der St. Servatiusabtei erhalten und in Trier
auch eine Synode mit seinen Suffraganen abgehalten und dabei eine von ihm
zusammengestellte Kanonessammlung vorgestellt habe. In Kapitel 29 wird
daraufhin - wie in der A-Version - vermerkt, dass dann Ruotbert lebte;
und unter Weglassen der Nachricht von der Translation der Severusreliqien
aus Italien nach Hatzenport wird vermeldet: Iste [Rubertus archiepiscopus]
primus, ut ferunt, Treberensem ecclesiam regno quod Lotharingium vocatur
adiecit, pro eo quod soro eius imperatori in matrimonio iuncta fuit; cum
usque ad eius tempora Francorum regno, quod a Karolo
nomen habet, subiecta multis fuisset honoribus illustrata. Hier konnte
Alberich entnehmen, dass der Erzbischof Ruotbert von Trier eine
Schwester hatte, die mit einem Kaiser verheiratet war; und zumal auch Könige
- wie schon bei Ludwig dem Kind ersichtlich
- zu Kaisern hochstilisiert wurden, konnte Alberich - von den ihm bekannten
Regierungszeiten herkommend - schließen, dass mit dem imparator
nur HEINRICH I. gemeint sein konnte
und dass Ruotbert demnach Mathilde,
HEINRICHS
I. Gemahlin, zur Schwester gehabt haben werde. In seinen Worten
zu 923, Treverensis ecclesia ... fuisset hucusque sub regibus Francie,
sieht man deutlich das Aufgreifen der Bemerkung der B/C-Version der Gesta
Treverorum: Treberensis ecclesia...usque ad eius tempora Francorum regno...
subiecta fuisset. Und die Mitteielung Alberichs zu 923, dass
die Trierer Kirche, das heißt das Trierer Erzbistum, "auf die Friedensvermittlung
Ruotberts
hin" (mediante archiepiscopo Ruperto pertractata pace) den Königen
Deutschlands zurückgegeben worden sei, erweist sich als die Schlußfolgerung
aus dem pro eo, quod soro eius imperatori in matrimonio iuncta fuit;
denn die Bedeutung der Verwandtschaft beim Übergang eines Landstriches
von einem Reich zum anderen konnte doch nur - wenn sie überhaupt in
einem solchen Zusammenhang erwähnt worden war - in der ausgleichenden,
friedensstiftenden Funktion gesucht werden.
Ist damit deutlich, woher Alberich sein Wissen über
Erzbischof
Ruotbert und dessen nahe Verwandtschaft mit Königin
Mathilde bezog, das er zudem "auf gut Glück" in sein chronologisches
Grundgerüst bei 921 und 923 einreihte, und ist sonach unbestritten,
dass er als Primärquelle auszuscheiden hat, so hat man um so mehr
zu fragen, ob den Versionen B und C der Gesta Treverorum in ihren oben
zitierten Angaben Glaubwürdigkeit beizumessen ist. Beide Fassungen
unterscheiden sich übrigens im wesentlichen nur dadurch, dass C den
ganzen Wortlaut der in B bloß erwähnten Urkunden inseriert,
so dass C eine einfache Erweiterung von B oder umgekehrt B eine Kurzfassung
von C sein dürfte. Eine sichere Quelle lag dem (ersten) Verfasser
dieser Redaktionen aber gewiß nicht vor. Leitet er doch gerade den
Satz über die Herauslösung Triers aus dem Westfrankenreich Karls
(des Einfältigen), der die Angabe zu der mit dem Kaiser
verheirateten Schwester Ruotberts enthält, bezeichnenderweise
mit ut ferunt ein. Dieser Passus enthält also nur ein unsicheres
Gerüst. Jenes aber ist schon erwiesenermaßen dadurch falsch,
dass es den Verlust Triers für das Westreich gerade mit Ruotbert
(931-956)
in Verbindung bringt, während jener Vorgang (923-925) doch in die
Zeit Erzbischof Ruotgers (915-931), des Amtsvorgängers
Ruotberts,
fiel. Außerdem soll Ruotbert
Trier dem "Lotharingierreich"
angeschlossen haben, während damals doch gerade - wie allgemein bekannt
ist - Trier als Teil des regnum Lotharii dem Ostreich/Deutschland eingegliedert
wurde.
So ist die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht eigentlich
schon auf den Nullpunkt gesunken. Oder sollte man sie doch nicht ganz verwerfen
und nach dem ihr zugrundeliegenden Kern fragen? Frau van Winter ist dieser
Aufgabe nicht weiter nachgegangen. Aber weicht man ihr nicht aus, dann
könnte man zunächst eine einfache Verwechslung der so nahe beieinander
liegenden Namen Ruotbert und Ruotger in diesem "Gerücht" für
möglich halten. Dabei würde zumindest die Unstimmigkeit der Nachricht
behoben. Aber man müßte dann auch Ruotberts Vorgänger
Ruotger - wenn der imperator weiterhin auf HEINRICH
I. gedeutet wird - zu einem Bruder Mathildes
machen. Dafür jedoch gibt es sonst keine Anhaltspunkte. Von Erzbischof
Ruotger weiß man lediglich, dass er eine neptis Ada hatte, die Tochter
eines Folrad, die im Bereich von Diedenhofen und von Bolchen (nördlich
beziehungsweise östlich von Metz) begütert und beheimatet war.
Wollte man nun Ruotger als einen Bruder Mathildes
ansehen
und ihnen noch Folrad oder dessen unbekannte Gemahlin als Geschwister beigeben,
so paßt dies (bei Folrads lotharingischer Verankerung) gewiß
nicht zu einer sächsischen Abkunft dieser "Geschwister". Eher schon
könnte man sich vorstellen, dass Ruotger ein Bruder von
König
Karls des Einfältigen erster Gemahlin Frederuna
war (zumal da diese dem ostfränkischen Bereich zu entstammen scheint
und auch einen Bruder Bovo als Bischof von Chalons-sur-Marne hatte), dass
also mit dem zum imperator aufgewerteten König der Westfranken
Karl der Einfältige gemeint war und
dass nach dessen Ausschaltung im Westfrankenreich (923) sich seine engsten
Anhänger bewußt von dem neuen König
Rudolf (Raoul) abwandten. Sehr deutlich beschreibt
ja doch Flodoard von Reims in seinen Annalen, dass sich gerade Ruotger
von Trier nicht - wie viele andere Lotharingier - dem neuen König
Rudolf (Raoul) anschloß, sondern zusammen mit (dem
späteren Herzog) Giselbert
ganz demonstrativ HEINRICH I. zur
Herrschaftsübernahme einlud. Und die zeitgenösischen Einträge
der Prümer Annalen geben dazu die Begründung: Qui dedignati
sunt Rodulfi fieri fidelis, qui suo domino eos privabat. Berücksichtigt
man dies, so könnte das "Ondit", das in den B/C-Versionen festgehalten
ist, etwa folgendermaßen gelautet haben: "Der Erzbischof Ruot...
(= Ruotger) hat als erster den Trierer Kirchenbereich dem Lotharingerreich
(= Ostreich) angeschlossen, und zwar deshalb, weil seine Schwester mit
dem König (das heißt mit dem inzwischen von vielen Adligen verlassenen
und sogar inhaftierten
Karl dem Einfältigen)
ehelich verbunden gewesen war; und dies, obgleich jener Bereich bis zu
seinen Zeiten dem Frankenreich, das den Namen
Karls
trug
(das heißt das Westfrankenreich), unterworfen und mit vielen Ehren
geschmückt gewesen war". Ein ganz anderes Grundverständnis könnte
somit hinter der von Alberich von Troisfontaines benutzten und seiner Kombination
zugrundegelegten Quellenaussage gestanden haben. - Dass für Erzbischof
Ruotbert aus all dem indessen keinesfalls etwas Gesichertes im Hinblick
auf eine nahe Verwandtschaft mit Königin
Mathilde zu entnehmen ist, dürfte wohl längst deutlich
geworden sein.
Aber G. Waitz hat auch noch auf weitere, von den Gesta
Treverorum und Alberich von Troisfontaines ganz unabhängige Quellennachricht
gestützt, um Erzbischof Ruotbert
und
Königin
Mathilde als Geschwister nachzuweisen, nämlich auf einige
Sätze aus der Conclusio deliberativa Rathers von Verona. Kann man
jedoch diese Quelle die ganze Beweiskraft zu Ruotberts
und Mathildes
Geschwisterschaft
tragen? Frau van Winter hat sich dankenswerterweise auch schon mit dieser
Nachricht befaßt. Da heißt es in Rathers 955 - in gekünsteltem,
verschachteltem und zugleich sarkastischem Sprachstil - vorgetragene Erwägung
über seine Verdrängung aus Lüttich unter anderem innerhalb
seiner 40 dargelegten Beweggründe, weshalb er nicht von sich aus diesen
Bischofssitz habe aufgeben können: "Ich habe, wie jedermann weiß,
Gott gebeten, ja bitte und werde weiter darum bitten (dieser Kernsatz steht
am Anfang seiner Darlegungen, von dem alle 40 Erwägungen abhängen),
dass ich... niemals behaupte, mein Ordinator (= Weihespender) sei selbst
- wenn ich das so unpassend sagen darf - unter einem so unheilvollen Zeichen
geweiht worden, dass ich ihn anklagen könnte, er habe am Tage seiner
eigenen Weihe gegen die kanonischen Gesetze gehandelt, und zwar nach der
üblichen Profeßablegung, die kanonischen Vorschriften stets
beachten zu wollen: anklagen nämlich, indem ich den Wahnwitz
derer begünstige, die meine am gleichen Tage erfolgte und durch ihn
vorgenommene Einsetzung (zum Bischof von Lüttich) törichterweise
verwerfen und dabei nicht wissen, wogegen sie mehr Widerspruch einlegen
sollen " (nämlich gegen den Ordinator oder gegen den Geweihten); und
... dass ich meinerseits nicht angesehen werde als einer, der - indem ich
es nicht preise - das zu allen Zeiten rühmenswerte und unserer Zeit
allein durch Gott und nicht durch einen Zufall ihm, dem würdigsten
der Erzbischöfe, und seinem Neffen zugestandene Vorrecht verkleinert,
nach dem der eine der beiden am Tage seiner eigenen Weihe (ordinatio) den
anderen Weihen (ordinare) durfte, was gewiß in Bezug auf meinen Weihespender
so viel preisenswerter ist, als es auch eine barmherzige Tat ist". Solche
Worte eines Zeitgenossen bedürfen der besonderen Beachtung.
Im Neffen (nepos) dieser Sätze haben die
Gebrüder Ballerini, die frühen Herausgeber und Bearbeiter der
Schriften Rathers, - in Kenntnis offenbar der schon besprochenen Nachricht
Alberichs von Troisfontaines - den Erzbischof
Brun von Köln, König
HEINRICHS I. und Mathildes
jüngsten Sohn, gesehen. Deshalb konnte man kommentierend angeben:
"Ille autem, qui Brunonem nepotem
suum ordinavit, alius esse nequit quam Rotbertus archiepiscopus
Treverensis, frater S. Mathildis reginae,
quae Ottonis et Brunonis
mater fuit". Aber ist dies zulässig? - Zunächst
wissen wir, dass Brun am 25. September
953, einem Sonntag, zum Erzbischof
von Köln geweiht wurde und dass an diesem Tag auch Rather zum Bischof
in Lüttich incardiniert worden ist. Ja, es steht auch fest, dass Erzbischof
Brun der Ordinator Rathers war. Will man der Interpretation
der Ballerini folgen, so müßte Erzbischof Ruotbert von Trier
- wenn er an seinem eigenen Weihetag Brun
von Köln geweiht haben soll - am 25. September 931 geweiht
worden sein. Dies läßt sich jedoch mangels Quellen weder bestätigen
noch verwerfen. Aber eine andere Beobachtung läßt sich treffen.
Als Rather seine Conclusio delibaritiva abfaßte, hatte er nach einem
längeren Ränkespiel, das uns Kapitel 38 der Vita Brunonis einprägsam
beschreibt, sein ihm 953 zugewiesenes Erzbistum Lüttich - er war zuvor
aus dem Bistum Verona vertrieben worden - gleichfalls schon verloren. Bei
diesem seinen zweiten Verlust eines Bistums hatte aber der Erzbischof
Ruotbert von Trier, der ihm bis zu seiner Einweisung in Lüttich
gewogen war, kräftig mitgewirkt, so dass Rather ihn und den Bischof
Balderich von Utrecht im Prolog zu seiner zwischen April 955 und Mai 956
verfaßten Phrenesis zu seinen ausgesprochenen Gegnern (inimici)
rechnete, auf deren Betreiben er der Gewalt der Grafen Reginar und Rudolf
von Hennegau und Hasbengau aus Lüttich hatte weichen und dem jungen
Balderich, einem Neffen des Utrechter Bischofs und der beiden Grafen, hatte
Platz machen müssen. Wenn nun aber Rather das Verhalten Erzbischofs
Ruotberts von Trier ihm gegenüber so schändlich ansah, dass
er ihn als seinen inimicus speciales wertete, dann kann er auch in der
gleichzeitig mit der Phrenesis entstandenen und als deren Teil gedachten
Conclusio deliberativa mit dem würdigsten der Erzischöfe, der
seinen Neffen 953 weihte und dessen Handeln gottgelenkt war, nicht den
Trierer gemeint haben. Zu jenen, deren Ansehen er auf keinen Fall - wovor
Gott ihn bewahren möchte - "verkleinern" möchte, kann der ganzen
Situation nach Erzbischof Ruotbert nicht gehört haben. Gemeinsam
mit seinem Onkel, der am gleichen Tage seiner eigenen Ordination auch seinen
Neffen weihte, ist vielmehr - wie schon Frau van Winter erkannte - Erzbischof
Brun von Köln; und sein Neffe war wahrscheinlich OTTOS
DES GROSSEN
unehelicher Sohn Wilhelm,
den er an diesem Tage (25. September 953) zum Priester geweiht haben wird.
(Als Tag der Bischofsweihe Wilhelms in Mainz
ist uns ja der 24. Dezember 954 bestens bezeugt. Damit ist nun aber auch
das zweite Quellenzeugnis, aus dem man folgern zu dürfen meinte, Erzbischof
Ruotbert von Trier müsse ein Bruder der Königin
Mathilde gewesen sein, nicht mehr in diesem Sinnen anführbar.
Zu Ruotbert gibt uns indessen Thietmar von Merseburg
in seiner Chronik einen besseren Hinweis. Er nennt uns Erzbischof Ruotbert
als
patruus (= Vatersbruder) des hochedlen Grafen und späteren
Bischof
Ansfrid von Utrecht (995-1010). Ruotbert habe den
ihm noch als Knaben (puerulus) von einem anderen Onkel (patruus)
- nämlich von Graf Ansfried dem Älteren, der 15 Grafschaften
innehatte - zur Ausbildung übergebenen jungen Ansfried nach
mancherlei Unterweisung an Erzbischof Brun von
Köln (953-965) zur
weiteren Schulung in politisch-militärischen Fragen überwiesen.
Von dort sei der junge Ansfried - nunmehr ein adolescens
- auch an den Hof OTTOS DES GROSSEN gelangt
und mit diesem - als dessen Schwertträger - nach Rom zur Kaiserkrönung
(962) gezogen etc. Alle diese Angaben sind auch in unserem Zusammenhang
wichtig. Denn ihnen ist zumindest zu entnehmen, dass Ansfried der Jüngere
nicht vor 935/40 geboren sein kann. Sollte nun sein Onkel Erzbischof
Ruotbert eine Generation älter sein, dann wird man seine Geburt
etwa 25 Jahre früher ansetzen müssen, das heißt für
ihn eine Geburtszeit von ca. 910/15 annehmen dürfen. Paßt aber
dies - wenn man Erzbischof Ruotbert als Bruder der Königin
Mathilde belassen möchte - auch zu den Lebens- und erschließbaren
Geburtsdaten Mathildes? Da Mathilde
sich
bereits 909 verheiratete und 912 ihren ersten Sohn OTTO
DEN GROSSEN zur Welt brachte, ist es offensichtlich, dass hier
doch die erschließbaren Geburtsdaten beider um die Spanne einer ganzen
Generation (von 20 bis 25 Jahren) voneinander abweichen. Auch danach scheint
es wiederum schier unmöglich zu sein, Ruotbert
als Bruder der
Königin
Mathilde anzusetzen.
Fällt aber Ruotbert als Bruder Mathildes
aus, schwindet auch jede Möglichkeit, den Vater Ansfrieds des Jüngeren,
der den Namen Lambert trug und der - wegen der patruus-Bezeichnung Ruotberts
im
Verhältnis zu Ansfried dem Jüngeren - Ruotberts
Bruder gewesen sein müßte, als weiteres Kind des sächsischen
Grafen
Dietrich (Theoderich) und seiner Frau Reinhild - neben
den Töchtern Mathilde, Friderun,
Bia
und Amalrada
- anzusehen. Und das gleiche gilt für Graf Ansfried
dem Älteren, der ja ebenfalls als Ansfrieds Onkel (patruus)
ein Bruder Ruotberts und Lamberts gewesen sein dürfte.
Will man Ruotberts Herkunft und seine Verwandtschaft
klären, so wird man eventuell sogar sein Engagement für Balderich
von Lüttich, den Gegenkandidaten Rathers im Lütticher Bischofsstreit,
heranziehen dürfen, hinter dem sich Verwandtschaftsinteressen verbergen
könnten. Doch soll dem hier nicht weiter nachgegangen werden. Interessanter
ist aber wohl der Hinweis, dass Ruotbert
vor seiner Bischofserhebung
in Trier (931) zur engsten Umgebung seines Amtsvorgängers Ruotger
- und zwar als dessen Kanzler - gehört haben dürfte; denn 924
ist uns ein Rotbertus
in dieser Funktion bezeugt. In den folgenden
Jahren könnte er eventuell sogar Abt von Klingenmünster (bei
Bergzabern in der südlichen Pfalz) gewesen sein. Beides paßt
nicht nur zu einem gebürtigen Sachsen, der er als Mathildes
Bruder gewesen sein müßte. Eher läßt sich dann schon
damit vereinbaren, dass König
Ludwig IV. d 'Outremer am 23. März 950 auf Bitten des
Bischofs Adalbero von Metz, eines Ansfried und eines Folmar Ländereien
in Salonne und Umgebung an die Abtei Salonne (zwischen Vic und Chateau-Salins
in Lothringen) überließ, die er predicto fideli nostro Ansfrido
jure beneficio zugestanden hatte, wobei mit Ansfried hier Ruotberts
Bruder
Ansfried der Ältere gemeint sein könnte. Das aber würde
Routberts Herkunft wiederum fester in den lotharingischen Bereich einbinden.
Mit der Ausklammerung Erzbischof Ruotberts aus
der Verwandtschaft Mathildes korrespondieren
schließlich auch noch andere Quellenhinweise, die - wenngleich nur
ein nicht voll zählender argumentum ex silentio - nicht ganz
vergessen werden sollen. Da ist immerhin festzustellen, dass
Ruotbert
in den mehreren Dutzend Erwähnungen in zeitgenössischen Quellen
- in Königsurkunden HEINRICHS I.
und
OTTOS
DES GROSSEN, beim Continuator Reginonis, in Ruotgers Vita Brunonis,
bei Flodoard von Reims und bei Thietmar von Merseburg, in den Miracula
S. Liutwini, in den Annalen S. Maximini, den Annales Hildesheimenses, verschiedenen
Synodalakten und Nekrologien - niemals als ein Verwandter der OTTONEN
bezeichnet wird. Auch die zwei großen Memorialeinträge, mit
denen HEINRICH I. sich und seine Familie
sowie seine und seiner Frau Mathilde Verwandten
in das Gebetsgedenken der Mönche von Reichenau und St. Gallen aufnehmen
ließ, weisen zwar Mathildes Eltern
und ihre Schwestern Friderun,
Bia und Amalrada, aber
keinen
Erzbischof Ruotbert von Trier und ebenso wenig die Grafen
Ansfried den Älteren und Lambert auf. Diese fehlen auch im ottonischen
Totengedenken, das seit 936 systematisch aufgebaut und gepflegt wurde.
Und wäre es überhaupt denkbar gewesen, dass Ruotbert von Trier,
als er 936 - ebenso wie der Mainzer und der Kölner Metropolit - den
Anspruch erhob, bei der Aachener Krönungszeremonie
OTTOS
DES GROSSEN die Weihehandlung durchführen zu dürfen,
hätte gänzlich übergangen werden können - wie es tatsächlich
geschah, da ja der Mainzer die Krönung vornahm und der Kölner
ihm dabei assistieren durfte -, wäre er OTTOS
Onkel
gewesen? Der über diesen Vorrangstreit berichtenden Sachsengeschichte
Widukinds
von Corvey ist deutlich zu entnehmen, dass "Ruotbert von Trier...
als der eigentliche Verlierer dastand". Ruotbert
hat sich dabei
auch nur auf die Gründungstradition durch den Petrusschüler Eucharius
und damit gewissermaßen auf das Ältestenrecht berufen; von einer
Verwandtschaft und einem daraus resultierenden Anspruch verlautet hier
nichts.
Demnach ist wohl diese so oftmals unterstellte Verwandtschaft
Ruotberts
und seiner Brüder Ansfried und Lambert mit den OTTONEN
aus
unseren Handbüchern zu streichen. Das aber hat Konsequenzen: Zum Beispiel
wird man nicht mehr - mit Verweis auf Ruotbert
- leichthin sagen
können, dass schon HEINRICH I.
in Lothringen Verwandte auf Bischofsstühle brachte und damit die ottonische
Reichskirchenherrschaft
anbahnte. Auch wird man die alte Frage der genealogischen Herleitung Mathildes
vom
Sachsen-Herzog
Widukind erneut zu überprüfen haben, da in der Ablehnung
der früher gängigen Rekonstruktionen S. Krügers und anderer
durch K. Schmid das Argument eine wichtige Rolle spielte, Ruotbert von
Trier sei ein erbberechtigter Sohn Graf Dietrichs und Reinhilds
gewesen: da gerade er kein Rektor in Wildeshausen, der Stiftung des Widukind-Enkels
Waltbert,
wurde, in der immer ein zum Geistlichen bestimmter Sohn eines Bruders (erst
in zweiter Linie einer Schwester) des letzten Klosterrektors die Leitung
innehaben sollte, könne Dietrich nicht vom Widukind-Enkel
abstammen. Jedoch soll diesem Fragenkreis hier nicht weiter nachgegangen
werden.
II.
K. A. Eckhardt hat 1963 - wie einleitend erwähnt
- die bald auch von anderen Historikern übernommene These aufgestellt
und zu beweisen unternommen, dass Bischof Bovo von Chalons-sur-Marne (ca.
915/16-947) ein Bruder von HEINRICHS I. Gemahlin
Mathilde
war. Zu diesem Ergebnis kam er auf nicht uninteressante Weise. Indem wir
Eckhardts Beweisgang darlegen, überprüfen wir ihn zugleich auf
seine Stichhaltigkeit.
Bischof Bovo war, wie uns zwei Diplome Karls
des Einfältigen zeigen, ein Bruder von Karls
am
10. Februar 917 verstorbener Gemahlin Frederuna;
andererseits hatte auch HEINRICHS I. Gemahlin
Mathilde
eine Schwester, Friderun/Frederuna. Wie Flodoard von Reims in seinen
Annalen zum Jahr 956 mitteilt, hatte Bovo zudem einen clericus Transrhenensis
Berengar als nepos, der seinerseits 956 zum Bischof von Cambrai erhoben
wurde und - nach der Gesta episcoporum Cameracensium - wiederum ex nobili
parentale Germaniae hervorgegangen ist sowie Ottonis
imperatoris proxime consanguineus war. Eckhardt zog
aus diesen Gegebenheiten den Schluß: "Wenn ein Neffe des Bischofs
Bovo von Chalons und also auch von dessen Schwester, der Königin
Frederuna von Frankreich, gleichzeitig mit OTTO
I. nächstverwandt war, dann bleibt genealogisch schlechterdings
keine andere Möglichkeit, als dass OTTOS
I. Mutter Mathilde eine
Schwester des Bischofs Bovo und der Königin
Frederuna war, (Frederuna
also mit Mathildes
Schwester Friderun
zu
identifizieren ist), und dass ein Elternteil des "aus edlem deutschen Geschlecht"
stammenden Bischof Berengar ebenfalls zu diesem Geschwisterkreis
gehörte. Wahrscheinlich war Berengar, gleich dem
Bischof
Dietrich von Metz, ein Sohn des Grafen Eberhard und der
Amalrada,
Mathildens Schwester".
Ist nun dieser Beweisgang "schlüssig"? Viel hängt
schon davon ab, ob der um 1050 schreibende Autor der Bischofsgeschichte
von Cambrai mit seiner Angabe zur Königsverwandtschaft Bischof Berengars
verläßlich ist, was wir nicht kontrollieren können, und
ob auch die nepos-Bezeichnung Flodoards, die das Verwandtschaftsverhältnis
Berengars gegenüber Bovo von Chalons angibt, tatsächlich "Neffe"
- und nicht etwa nur (entfernter) "Verwandter" - meint. Im letzteren Falle
schwindet bereits die Strigenz. Problematischer wirkt die Konstruktion
jedoch dadurch, dass man unterschiedliche Todestage für Karls
des Einfältigen Gemahlin Frederuna
und
Mathildes
Schwester
Friderun, die ja doch ein und dieselbe Person
sein sollen, feststellt. Die eine verstarb am 10. Februar (des Jahres 917),
die andere an einem 10. Januar. Eckhardt, der diese Divergenz sah, erklärte
dies als ein Versehen des Zusammenstellers oder Abschreibers des Trierer
Nekrologs oder Diptychons, aus dem uns der Todestag der Mathilden-Schwester
bekannt ist. Das wäre akzeptabel, wenn da nicht auch noch ein Unterschied
im Todesjahr bestünde. Die vier nur leicht voneinander abweichenden
Überlieferungen der Fuldaer Totenannalen verzeichnen nämlich
zum Jahre 971 als zweiten (und einmal als ersten) Jahreseintrag eine Fridarun,
die dreimal als comitissa und einmal als ancilla
Christi gekennzeichnet worden ist und einmal sogar das präzisierende
Datum II. id. Jan (12. Januar) erhielt. Da die Todestagangaben in den verschiedenen
Nekrologien häufig um ein bis zwei Tage differenzieren, hat man seit
langem schon in der am 12.1.971 verstorbenen Gräfin Friderun die
im Trierer Nekrolog oder Diptychon zum 10.1. eingeschriebene gleichnamige
Schwester der Königin Mathilde
erkannt. Letzte Zweifel an dieser Identifizierung und an der damit implizierten
Unmöglichkeit einer Gleichsetzung der (demnach 971 verstorbenen) Mathilden-Schwester
mit der 917 verstorbenen französischen Königin Frederuna
beseitigen indessen zwei Reichenauer und St. Galler Gedenkeinträge
aus dem Frühherbst 929, auf die K. Schmid 1960 erstmals aufmerksam
gemacht hat und die uns die Verwandtschaft
König
HEINRICHS I. und Mathildes am
Vorabend der Verheiratung ihres Sohnes OTTO I.
mit
der englischen Prinzessin Edgith
aufweisen:
Cod. sangall. col. 265:
Heinrich, Mathilt, Otto, Heinrich,
Prun, Kerbrich, Aduui, Kysilbert, Thieterich, Reginhilt, Otoo,
Amalrat, Perechtheid, Fridirun,
Pia omnesque debitores eius.
Cod. aug. col. 247b:
Heinricus rex, Mahthild regina,
Otto rex, Heinricus, Prun, Kisilpert, Kerprig, Hadauui, Sigifrid,
Kotechind, Ekkihart, Dancmar,
Sigipert, Meginuuarch, Egino, Ekkihart, Prun, Theo to, Uuitolt,
Kozmar, Uuipert, Kerlind, Liuza,
Theotirih, Uuitechind, Reginhilt, Perehtheid, Pia, Friderun,
Amalrat, Sigipert, Ekkipert, Piso,
Ello - et omnes debitores eorum.
Eine Interpretation dieser Namen im einzelnen braucht
hier - da sie (was die Hauptteile anbetrifft) schon 1960 von K. Schmid
geleistet wurde und (was vor allem den Mittelteil der zweiten Liste angeht)
erst vor kurzem von mir ergänzt werden konnte - nicht mehr wiederholt
zu werden. Die engere Königsfamilie HEINRICHS
I. (mit Gemahlin, drei Söhnen, zwei Töchtern und einem
Schwiegersohn) und die eingangs schon vorgestellte nahe VerwandtschaftMathildes
sind auch so erkennbar. Wichtig ist hier lediglich, dass diese beiden Einträge,
die die 929 lebende Königsverwandtschaft umschreiben, jeweils Friderun
neben
ihren Schwestern Pia,
Amalrat, (Perechtheid) und Königin
Mathilde aufzeigen, so dass deren Gleichsetzung mit der schon
917 verstorbenen französischen Königin Frederuna
ausgeschlossen ist. Diese Namenreihen nennen auch keinen Bovo
episcopus, was gleichfalls gegen die Gleichsetzung der
Mathilde-Schwester
Friderun mit der gleichnamigen französischen
Königin
Frederuna spricht. Hinzu
kommt, dass auch ein in Trier überliefertes Memorienblatt, das an
seinem Anfang die Namen Otdo, Athalheit, Otto, Mahtild, Uualdburg, Fritharun
nennt und aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts zu stammen scheint, freilich
in den ersten Zeilen eine Vorlage aus der Spätzeit
OTTOS
DES GROSSEN wiederholen dürfte, gleich am Beginn neben
dem Kaiser
OTTO I. und seiner zweiten Gemahlin
Adelheid
die Kinder dieser Ehe, OTTO
II. und Mathilde
(Äbtissin von Quedlinburg), und - nach einer nicht identifizierbaren
Person - mit Fritharun OTTOS DES GROSSEN
Tante, die Schwester seiner Mutter Mathilde,
nennen dürfte.
Somit ist auch diese auf den ersten Blick recht imponierende
Kombination bruchstückhafter Nachrichten nicht mehr tragfähig.
Hatte doch Eckhardt gemeint, das Aufdecken dieser "Versippung durch Heimführung
zweier Schwestern" könne vor allem den persönlichen Hilferuf
Karls
des Einfältigen, als er 923 im Westreich in die Gewalt
Graf Heriberts II. von Vermandois gefallen war, an HEINRICH
I. erklären. Das wird man fallenlassen müssen und
dafür eher auf die 921 auf einem Rheinschiff bei Bonn abgeschlossene
amicitia verweisen, die ja auch zu gegenseitiger Achtung, wenn nicht sogar
tätiger Hilfe verpflichtete. Diese Hilfe ist damals bekanntlich nicht
verwirklicht worden, hatte doch
HEINRICH
seinerseits schon eine neue amicitia mit Karls
Gegner, König
Robert von Westfranken/Frankreich (922-923), geschlossen,
die das alte Versprechen gewiß in den Hintergrund gedrängt hatte.
Dadurch ist freilich die Frage wieder offen, wie die
Verwandtschaftsverbindung Bischof Bovos von Chalons zu seinem von jenseits
des Rheins stammenden nepos Bischof Berengar von Cambrai (956-962),
der dazu ein naher Verwandter
OTTOS DES GROSSEN
gewesen sein soll, genau aussah. Sie kann hier nicht behandelt werden.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zusätzlich darauf aufmerksam zu
machen, dass noch ein weiterer Bischof Berengar der damaligen Zeit - nämlich
Bischof Berengar von Verdun (940-959) - als primi Ottonis
imperatoris consanguineus, vir nobilis et Saxonicus, überliefert
ist. Beide Verwandte OTTOS DES GROSSEN,
die in etwa auch der Lebenszeit und Generation
OTTOS
angehört haben dürften, werden bewußt mit Gebieten jenseits
des Rheins und mit Sachsen in Verbindung gebracht. Das könnte auf
die Bereiche nördlich und nordöstlich des Niederrheins - das
Hamaland und Friesland - ebenso verweisen wie auf Westfalen, Ostfalen und
Engern. Deshalb sei hier nochmals daran erinnert, dass Mathildes
Schwester
Amalrada mit Eberhard
vom Hamaland verheiratet war, dass aber auch schon
HEINRICHS I. Schwester
Oda
sich in jene Bereiche verheiratet hatte, indem sie ja - nach dem Tod ihres
ersten Gemahls König Zwentibold
- von Graf Gerhard (einem MATFRIEDINGER) heimgeführt wurde und noch
um die Mitte des 10. Jahrhunderts in Deventer lebte, wo sie eine mit dem
Grafen Gozlin vom Bidgau verheiratete Tochter Uoda hinterließ, jedoch
auch noch andere Kinder gehabt haben könnte. Die Verwandtschaft kann
aber auch über die vor 912 verstorbenen Brüder HEINRICHS
I. (Liudolf
und Thankmar)
gelaufen sein, von deren Existenz wir zwar wissen, von deren Nachkommen
man aber nur auf Umwegen einige wenige erschließen lassen kann. Ganz
nahe wird diese Verwandtschaft aber gewiß nicht gewesen sein - insofern
übertreibt der Autor der Gesta episcoporum Cameracensium zumindest
etwas, wenn er nicht überhaupt unrecht hat -, da doch beide Bischöfe
namens Berengar nicht im ottonischen
Totengedenken auftreten und keine Verbindung bekannt ist, die ihre Aufnahme
in dieses hätte verhindern können. Auch kennt man ja offensichtlich
- was freilich nicht ganz gesichert ist, aber hier doch nicht übergangen
werden soll - noch einen weiteren Verwandten Bischof Bovos von Chalons,
der im damaligen Sachsenlande lebte, nämlich den Abt Bovo II. von
Corvey (900-916), von dem gleichfalls keine direkten Verwandtschaftsbeziehungen
zu den OTTONEN überliefert sind
und nur eine äußerst weitläufige Verwandtschaft zu diesen
erschließbar ist [Widukind sagt, dass Abt Bovo I. von Corvey (879-890),
der Großvater Bovos II. (900-916), ein nepos erat Warini,
des ersten Abtes von Corvey (826-856), der seinerseits wieder ein Onkel
der Mutter Hadwigs
(Gemahlin Ottos
des Erlauchten und Mutter
König HEINRICHS
I.) war. Bovo I. könnte also ein Bruder oder Vetter der
Mutter Hadwigs gewesen sein.]. Ein in Nova Corbeia (= Corvey) Christo
servientium indignus famulus B., hinter dem wegen seiner Kenntnis und Anwendung
vieler griechischer Wörter kein anderer gesehen werden kann als der
im Griechischen bewanderte Abt Bovo II., von dem Widukind
berichtet,
widmete nämlich einen Boethius-Kommentar seinem vielgeliebten jungen
"Mitbruder aus Profeß und Blutsverwandtschaft" nämlich Bovoni
antistiti, den er auch als praesul anspricht und den man mit Bischof Bovo
von Chalons zu identifizieren pflegt. Dabei steht außerdem fest,
dass - nach den Eintragungen des bis 1146 geführten Corveyer Äbte
und Brüderverzeichnisses - zu Zeiten Bovos II. ein später zum
Bischof aufgestiegener Bovo in Corvey Mönch geworden war. Und für
den Bischof von Chalons würde wohl auch sprechen, dass der Adressat
des Boethius-Kommentars nun über weite Länderstrecken vom Verfasser
entfernt lebt. Was die gewisse Unsicherheit in der Identifizierung verursacht,
sind die Fakten, dass Bovo II. von Corvey schon am 22. Juni 916 verstarb,
während Bischof Bovo von Chalons frühestens 915/16, wenn nicht
erst 917, seinen Episkopat angetreten haben kann, dass der Verfasser sich
als indignus famulus, nicht als Abt bezeichnet, was auf eine Verfasserzeit
vor dem Beginn des Corveyer Abbatiats Bovos II. (900-916) zu verweisen
scheint, und dass vor allem eine paläographisch noch dem 9. Jahrhundert
zuzuschreibende Handschrift dieses Boethius-Kommentars existiert, die -
wenn die paläographische Bestimmung nicht trügt - eigentlich
eine Identifizierung des Empfängers mit Bischof Bovo von Chalons ausschließt.
Aber wie dem auch sei: zu einer weiteren Klärung
der Fragen um
Königin Mathildes
Schwester Friderun/Frederuna trägt dies alles wenig bei - desgleichen
nicht der letzte mögliche Hinweis, dass nämlich die französische
Königin Frederuna und ihr Bruder
Bovo Verwandte des in der Spätphase König
Karls des Einfältigen wichtig gewordenen und bei vielen
verhaßten lotharingischen Grafen Hagano gewesen zu sein scheinen
und auch einen nepos Ernust hatten -, so dass wir diesen Komplex hier abschließen
können.
III.
Der dritte hier zu behandelnde Fragenkreis betrifft das
Problem, von welcher der Schwestern Königin
Mathildes die in mehreren Aufständen gegen OTTO
DEN GROSSEN hervorgetretenen Brüder Ekbert
der Einäugige
und Wichmann
der Jüngere abstammten. Zumal sich die Jahrbücher der
deutschen Geschichte für die Zeit Kaiser Ottos
des Großen von R. Köpke und E. Dümmler dafür
ausgesprochen hatten, Friderun
als
diejenige Mathilden-Schwester anzusehen,
die mit dem Grafen
Wichmann dem Älteren vermählt war und die Mutter der
beiden später so oft aufrührerischen Grafen Wichmann der Jüngere
und Ekbert gewesen ist, schien anschließend für die meisten
Historiker lange Zeit diese Frage endgültig gelöst zu sein. Erst
neuerdings ist sie bei Untersuchungen von Nekrologproblemen durch
G. Althoff wieder aufgeworfen worden. Dieser kommt zum Ergebnis, dass weder
Friderun noch
Bia
die
Mutter dieser Rebellen gewesen sein könne. Muß dies das letzte
Wort bleiben ?
Wie schon von R. Köpke und E. Dümmler - aufgrund
vor allem der Angaben bei Widukind von Corvey und bei Thietmar von
Merseburg - festgestellt worden ist, hatte Graf Wichmann der Ältere
(+
23.4. oder 12.5.944) zwei Brüder, nämlich den von
OTTO
I. als Markgrafen der Nordmark
eingesetzten Hermann
Billung (+ 27.3.973) und den Bischof
Amelung von Verden (+ 5.5.962). Von diesen Autoren ist desgleichen
schon bemerkt worden, dass eigentümlicherweise nur insofern als Söhne
des älteren Wichmann erscheinen, als Markgraf Hermann
als patruus Wichmanns des Jüngeren beziehungsweise Wichmann
der Jüngere und Ekbert als nepotes Herimanni und
als confratres auftreten, der erste auch als propinquus OTTOS
I. und als materterae regis filius bezeichnet wird, der
zweite zudem als consobrinus regis genannt ist. Zugleich ist dabei
nicht zu vergessen, dass Wichmann der Jüngere 953 seinen patruus
Hermann
Billung beschuldigte, der paternae hereditatis raptor zu sein,
und dass sich Ekbert ihm anschloß, so dass sich beide unter
der gleichen Argumentationsweise (eadem sententia) gegen Hermann
erhoben; und das ist nur möglich, wenn beide Brüder waren und
ihr Vater damals schon nicht mehr lebte, was wiederum auf den 944 verstorbenen
Wichmann den Älteren zurückverweist. Wichmann der Jüngere
und Ekbert der Einäugige waren demnach - wie wohl unabweisbar
ist - Brüder und zugleich Söhne Wichmanns des Älteren
und einer Schwester der Gemahlin HEINRICHS I.
Dass Friderun diese Schwester nicht gewesen sein
kann, hat schon R. Bork damit begründet, dass diese erst im Jahre
971 verstarb, während Widukind von Corvey schon für die
Mitte der 50-er Jahre von Wichmann dem Jüngeren sagte, er sei
ehedem destitutus a patre et matre gewesen und deshalb von OTTO
DEM GROSSEN an Sohnes Statt aufgenommen und erzogen worden.
Entschied sich R. Bork sonach für Bia
als Mutter Wichmanns
des Jüngeren und Ekberts, so wandte sich aber G. Althoff
auch gegen diese Ansicht. Er geht nämlich davon aus, dass
Bia
schon
vor 936 verstorben ist, da sie damals (das heißt zwischen 931/32
und 936) bereits in das in Gandersheim geführte ottonische
Familiennekrolog, das wir aus einer von Althoff entschlüsselten Abschrift
im St. Galler Verbrüderungsbuch rekonstruieren können, mit ihrem
uns bekannten Todestag eingeschrieben war, den ein Auszug aus einem Trierer
Nekrolog oder Diptychon und die in Merseburg überlieferte Fassung
des ottonischen Totengedenkens aufweisen.
Ein Todesjahr 931/32 - auf diesen Zeitpunkt reduziert Althoff die korrekterweise
bis 936 währende Spanne -, das sich somit für Bia
ergibt,
sei nämlich für die Mutter sowohl Wichmanns des Jüngeren
als auch Ekberts, die beide von Widukind von Corvey zu 953/54
noch als iuvenes und adolescentes bezeichnet werden, zu früh. "Selbst
wenn einer von ihnen im letzten Lebensjahr der Bia
geboren worden
wäre", so wird argumentiert, "wäre er zum besagten Zeitraum (953/54)
22 oder 23 Jahre alt gewesen, der andere Bruder in jedem Fall noch älter."
Das aber passe nicht zu iuvenes und adolescentes. Außerdem
müsse man wohl die erst 939 geborene Hathwig,
die 1014 als
Äbtissin von Gernrode (und Vreden) verstarb,
als Tochter
Wichmanns des Älteren und als Schwester des
jüngeren Wichmann und Ekberts des Einäugigen ansehen,
was noch weniger mit
Bia
als Gemahlin Wichmanns des Älteren
vereinbar sei. Schließlich sei Bia auch mit ihrem Todestag
(25. Mai) in einem in Abschrift des 17. Jahrhunderts erhaltenen spätmittelalterlichen
Nekrolog, das aus älteren Zeiten die Gründer der Nonnengemeinschaft
und die Äbtissinnen überliefert, als praeposita eingeschrieben
worden; sie werde also an ihrem Lebensende einer geistlichen Gemeinschaft
angehört haben, "was eine Ehe mit dem 944 verstorbenen Wichmann
dem Älteren
ebenfalls ausschließt". Und letztlich seien
zudem "weder Friderun noch Bia
im Lüneburger Nekrolg"
zu finden, "was angesichts der sonstigen Vollständigkeit der Eintragung
von Familienangehörigen (der BILLUNGER)
auffällt und ebenfalls gegen eine Ehe der genannten Frauen mit Wichmann
dem Älteren spricht". So bleibt ihm "nichts anderes übrig,
als entweder anzunehmen, Wichmann habe eine andere unbekannte Schwester
der
Königin Mathilde geheiratet,
oder die Tatsache einer verwandtschaftlichen Bindung zwischen der Familie
der Königin Mathilde und den
BILLUNGERN zu konstatieren, ohne eine genauere genealogische Zuordnung
zu wagen".
Betrachtet man diese Alternative, so ist man zunächst
auf jene
Perehtheid,
die in den Reichenauer und der St. Galler Gedenklisten
HEINRICHS
I. vom Jahre 929 in der Gruppe der bekannten Schwestern Mathilde
genannt ist, als mögliche Mathilden-Schwester
und Gemahlin Wichmanns des Älteren verwiesen. Nur sie kann
eigentlich - wie diese Lebendenliste der OTTONEN-Familie
und ihrer Verwandten von 929 zeigen - überhaupt noch in Frage kommen.
Schon K. Schmid hat ja bei seiner ersten Beschäftigung mit jenen Namenslisten
gemeint: "Weil in beiden Einträgen unter den Namen der anderweitig
bekannten Schwestern Mathildes eine
Perehtheid
erscheint,
darf man wohl annehmen, auch sie sei eine bislang nicht bekannte Schwester,
jedenfalls aber eine nahe Verwandte der Königin gewesen". Eine Perehtheid
als weitere Mathilden-Schwester kann
in der Tat das von Althoff gezeigte Dilemma auflösen.
Bei aller Hinneigung zu dieser Erklärung bleiben
aber auch einige Bedenken. Die in die beiden Reichenauer und St.
Galler Gedenkbucheinträge aufgenommene Perehtheid kann nämlich
ebenso gut wie eine Schwester Mathildes
auch eine Tante der Königin - eventuell die Gemahlin Widukinds,
des Bruders von Mathildes
Vater
Dietrich
(Theoderich), der ja gleichfalls mit in das Gedenken aufgenommen wurde
- gewesen seien. Außerdem ist eine Perehtheid genauso wenig
im Lüneburger Nekrolog, das die BILLUNGER und ihre Angehörigen
verzeichnet, aufgenommen wie Friderun
und
Bia; und sie fehlt
dazu auch im sonstigen ottonischen
Totengedenken,
nämlich im Merseburger Nekrolog und im Gandersheimer und im Gandersheimer
Nekrologsauszug von "931/32-936" (wenn man sie nicht mit einer Mitte Juni
oder gegen Ende November vor "931/32-936" verstorbenen Berehta
[An dieser Stelle kann man wohl noch darauf verweisen, dass die Gründerin
des Klosters Borghorst (+ 988) Berta hieß, eine Tochter Bertheidis
(neben einer weiteren Tochter Hadwig) hatte und dass sich von dieser Familie
Beziehungen zu den BILLUNGERN feststellen, wenn auch nicht näher
konkretisieren lassen.] gleichsetzen will), und desgleichen in den Fuldaer
Totenannalen. Insofern ist auch das letzte - gerade gegen
Bia als
Wichmann-Gemahlin
angeführte - Argument Althoffs, das die Nichterwähnung
Bias
im
Lüneburger Totenbuch aufgreift, gewiß nicht sehr tragfähig.
Und das gilt sicherlich auch für die Mitteilung aus dem spätmittelalterlichen
Gandersheimer Nekrolog, das eine am 25. Mai verstorbene Bia
praeposita
festhält; praeposita könnte nämlich durchaus eine Verlesung
des Kopisten oder eine Falschauflösung einer Abkürzung (etwa
von praebenda, der Festlegung der Memoriengabe, oder von praepositens
= sehr mächtig, vornehm) sein. Aber dieses Problem löst sich
sogar viel einfacher: am 25. Mai, dem Todestag der Mathilden-Schwester
Bia,
verstarb nämlich tatsächlich eine Gandersheimer Pröpstin
Bia, - allerdings erst 1251 oder 1252. Und da außerdem die erst 1014
verstorbene Äbtissin Hathwig von Gernrode durch Thietmar von
Merseburg lediglich als eine inclita neptis reginae Mathildis bezeugt
ist, nicht indessen mit den Wichmann-Söhnen in Verbindung gebracht
wird, spricht auch hier nichts zwingend gegen Bia
als Gemahlin Wichmanns
des Älteren; denn Hathwig kann selbstverständlich eine Tochter
der erst 971 verstorbenen Friderun gewesen sein. Deshalb bleibt
allein das Argument ernstlich zu prüfen, ob die Bezeichnung der beiden
Söhne Wichmanns des Älteren - das heißt Wichmanns des
Jüngeren und Ekberts des Einäugigen - zum Jahre 953/54
als iuvenus und adolescentes noch möglich war, auch wenn sie schon
vor "931/ 32-936", der Todeszeit
Bias, geboren waren, oder ob es
diese Bezeichnungen unmöglich machen, sie auch als Bias
Kinder
zu betrachten.
Nun hat schon A. Hoffmann festgestellt, dass die im Mittelalter
gängigen Lebensalterseinteilungen fast ausschließlich auf die
Differentiae und Etymologiae Isidors von Sevilla zurückgehen. Diese
zeigen nach der infantia (bis zu 7 Jahren) und der pueritia (bis zu 14
Jahren) als dritten Abschnitt die adolescantia, die vom 15. bis zum 28.
Lebensjahr reicht, gefolgt von der iuventus, die die Zeit vom 28.
bis zum 49. oder 50. Jahr ausfüllt, un der senectus oder gravitas
und dem senium. Besonders heimisch gemacht hat dieses System im Ostfrankenreich
oder vielmehr im werdenden deutschen Reich der "Praeceptor Germaniae",
Hrabanus Maurus: Gradusaetatis sex sunt: infantia, pueritia, adolescentia,
juventus, gravitas atque senectus. Primaetas infantia est pueri nascentis
ad lucem, quae porrgitur in septem annis. Secunda aetas pueritia is est,
pura et necdum ad generandum apta, tendens usque ad 14 annos. Tertia, adolescantia
ad gignendum adulta, quae porrigitur usque ad 28 annos. Quarta, juventus,
firmissima aetatum omnium, finiens in quinquagesimum annum etc. Setzt
man diese damals gängige Schema der Lebensalterbezeichnungen auch
bei Widukind von Corvey voraus - und es ist nichts darüber
bekannt, dass
Widukind
ein anderes System entwickelt haben sollte
-, so entfällt letztlich aber auch dieses Argument. Als iuvenes und
adolescentes wurden Wichmann der Jünger und Ekbert für
die Zeit um 953/54 von Widukind
durchaus richtig charakterisiert,
auch wenn sie schon um 928/30 von Bia - nicht erst etwa 934/35,
was gleichfalls möglich ist - geboren waren [Bei dieser Frage ist
zunächst daran zu erinnern, dass Widukind, Res gestae Sax.
III 50 Seite 129, sagt, Wichmann der Jüngere sei destitutus
a patre et matre von OTTO DEM GROSSEN
loco filiorum aufgenommen, erzogen und mit der väterlichen Amtsposition
betraut worden. Da Wichmann der Ältere 944 verstarb, dürfte
diese Quasiadoption, die keinerlei rechtliche Folgen hatte und eher einer
Annahme zur Pflegekindschaft gleichkam, wohl 944 stattgefunden haben. Wenn
man sich dies vor Augen hält und das damalige Großjährigkeitsalter
des vollendeten 12. Lebensjahres (so nach dem Sachsenspiegel) einkalkuliert,
dürfte Wichmann der Jüngere sogar erst 932/33 geboren sein (eventuell
verstarb seine Mutter im Kindbett). Und auch das schließt Bia
nicht
als Mutter Wichmanns des Jüngeren und Ekberts des Einäugigen
aus, denn der Gandersheimer Nekrologauszug, der Bias
Todestag bereits
enthielt, ist korrekt nur auf "931/32 bis Sommer 936" zu datieren, nicht
auf 931/32 als Entstehungszeit zu reduzieren]. Damit scheint in der Tat
Bia,
wie schon R. Bork meinte, die Gemahlin Wichmanns des Älteren und
Mutter der so oft rebellischen Wichmann-Söhnen gewesen zu sein,
wenngleich auch eine Perehtheid als die an jener Stelle stehende
Schwester Mathildes nicht völlig
auszuschließen ist.
Drei Problemkreise aus dem Umfeld der engsten Verwandtschaft
der Königin Mathilde haben uns
beschäftigt. Ihre Klärung ein Stück weiter vorangetrieben
zu haben, mag - als ein kleiner Geburtstagsgruß für Alfons Becker
- das Ergebnis dieses Beitrages sein.