WALES
Lexikon des Mittelalters:
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Wales
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A. Geschichte bis 1284
I. Von der spätrömischen Zeit bis zum 11. Jahrhundert:
Wales ist ein Teil des
ehemals römischen Britanniens (Britannia), der im
Früh-Mittelaler nicht unter die Herrschaft der Angelsachsen fiel
und bis ins 11. Jh. weitgehend selbständig blieb. Durch die
Römer hatten die Briten sowohl lateinische Schriftkultur als auch
das Christentum erhalten. Ihre Sprache wurde vom Latein stark
geprägt, überstand aber gleichwohl die römischen
Jahrhunderte (Walisische Sprache und Literatur). Das britische Erbe
erhielt sich besonders im literarischen Bereich, vgl. Gildas, »De excidio et conquestu Britanniae«
(6. Jh.), die »Historia
Brittonum« aus dem frühen 9. Jh., »Armes Prydein« aus dem
frühen 10. Jh., sowie schließlch die »Historia Regum Britanniae«
des Geoffrey of Monmouth
aus der 1. Hälfte des 12. Jh. Die
geophysische Gestalt des Landes führte zu einer Besiedlung, die an
den Küsten intensiver war als im Landesinneren, in
nachrömischer Zeit ohne Städte, aber auch nicht nur in Form
von Einzelhöfen. Es gab kein natürliches geopolitisches
Zentrum.
Trotz der anhaltenden politischen Zersplitterung wurde das Land im
gesamten Früh-Mittelalter als Einheit empfunden. Das wird deutlich
an dem Begriff Cambria
für das Land (neuwalisisch Cymru), Cambrenses (neuwalisisch Cymry,
gemeinsame Bewohner) für die Menschen. Das ist der Ursprung der
Bezeichnung der walisischen Sprache als 'kymrisch'. Des weiteren gibt
es die ältere Bezeichnung Britones; die Bezeichnung Wallia/Wales
ist eine Fremdbezeichnung der englischen Nachbarn und wurde als solche
bei Giraldus Cambrensis in dieser Art genannt. Es ist umso bedeutsamer,
daß die walisischen Fürsten im 13. Jh. den Namen 'Wallia' in
ihren Titel aufnahmen ('princeps
Norwallie', 'princeps Wallie').
Das römische Erbe in Wales
findet sich vor allem in zahlreichen (meist christlichen) lateinischen
Inschriften aus der Zeit des 5.-7. Jh., die eine Fortdauer
römischer Kultur, aber auch den Fortbestand einheimischer Namen
bezeugen, zum Beispiel aus Penmachno (Gwynedd, nordwestliches Wales):
CANTIORI[x] HIC IACIT [V]ENEDOTIS CIVE(s) FVIT / [C]ONSOBRINO(s)
MA[G]LI MAGISTRAT-. (5./6. Jh.). Die politische Ordnung wird in einer
Inschrift des frühen 7. Jh. angesprochen: CATAMANUS / REX
SAPIENTISI/MUS OPINATISIMUS OMNIUM REG/UM. Der hier genannte Cadfan war König von Gwynedd. In dieser
Inschrift wird angesprochen, daß es in Wales
eine Mehrzahl von Königen gab, und das galt bis ins 13. Jh. Der
älteste bekannte Autor, Gildas,
beklagt im 6. Jh. die
unzureichende Befolgung christlichen Grundsätze, ist aber damit
zugleich Zeuge des christlich-römischen Erbes der Briten. Er
bezeugt zugleich das Vordringen der Iren (Irland)
aus dem Westen und Sachsen aus dem Osten in Britannien. Vermutlich zum
Schutz gegen die vordringenden Iren wurden in Wales
größere Bergbefestigungen errichtet (zum Beispiel Dinas
Powys bei Cardiff, Dinas Emrys in Snowdon). Das Mönchtum wird seit
dem 6. Jh. faßbar, vor allem im Südosten (Llancarfan) und
Südwesten (Menevia, St. David's). Es war bekannt für
Bildung sowie Askese. Von dort wurde es vermutlich auch im benachbarten
Irland einflußreich. Namentlich bekannt sind ca. 35 Klöster,
die vermutlich in Föderationen miteinander verbunden waren. Das
Christentum sorgte für eine, wenn auch eingeschränkte,
Kontinuität von überwiegend lateinische Schriftkultur in
einer Gesellschaft, die noch weitgehend der mündlichen Kultur
verpflichtet war. Ob die walisische Sprache bereits bald nach 600
verschriftet wurde, ist umstritten. Die älteste walisische
Inschrift, die mehr als Namengut erhält, die Inschrift von Towyn,
stammt aus der Zeit um 800. Älteste walisische Glossen (Juvencus)
entstammen der Mitte des 9. Jh. Es gab auch Bischöfe, aber
offenbar ohne territorial abgegrenzte Diözesen. Verheirateter
Klerus ist bis ins 12. Jh. bezeugt, inschriftlich, bei Gildas, und dann
besonders mit Bischof Sulien von
St. David's und
seinen gelehrten Söhnen
Rhigyfarch, Daniel und Ieuan.
In den 149 Urkunden im Book of
Llandaff (12. Jh.) aus der Zeit des 7. bis 9. Jh. sind Dokumente
von einmaligem Wert erhalten, die zum Teil in walisischer, zum Teil in
lateinischer Sprache abgefaßt sind. Die dort zur Sprache kommende
Kultur und Wirtschaft (mit Gütern bis zu 5.000 ha) dürfen
wohl nicht für Wales
als Ganzes postuliert werden, sondern spiegeln den größeren
Einfluß dort aus dem Osten wider. Zudem ist politisch
geprägte Dichtung aus dem Früh-Mittelalter, wenn auch erst
aus Handschriften des 13. Jh., erhalten (Canu Aneirin, Canu Taliesin,
Gododdin, Stanzas of the Graves).
Die älteste Chronik (Annales
Cambriae [A]), obwohl sehr
lückenhaft, bringt ebenfalls Material für diese recht dunklen
Jahrhunderte. Bedeutende Quellen sind ferner die Genealogien aus dem
10. Jh. Es hat den Anschein, als habe es keine kontinuierliche
politische Konsolidierung und Einigung des Landes gegeben. Der
walisische Begriff brenin,
'König', ist verwandt mit walisisch breint, 'Privileg'. Im 6. Jh. sind
vier Königreiche bekannt: Gwynedd,
Powys,
Dyfed und
Gwent.
Mit
Ausnahme Gwents
überlebten diese bis ins ausgehende 12. Jh. In der
Mitte des 10. Jh. kam es unter König
Hywel
Dda ('der Gute', † 950)
vorübergehend zur
Vereinigung von Dyfed und Gwynedd. Ob die ihm zugeschriebene
Aufzeichnung des Walisischen Rechts eine historische Realität ist,
bleibt in der Forschung umstritten.
II. Im 11. und 12. Jahrhundert:
Das Fehlen einer Zentralmacht war der beste Schutz gegen eine schnelle
politische Übernahme durch den König von England nach der
normannischen Eroberung von 1066. Einige frühe militärische
Vorstöße hatten keine bleibende Wirkung. Es bedurfte der
Niederschlagung einer Vielzahl kleiner selbständiger Könige,
die zudem oft miteinander koalierten. Durch die frühe Begegnung
mit den englischen Nachbarn wurden seit Beginn des 12. Jh. auch von
walisischen Herrschern Burgen errichtet. Erfolgreich waren auf
längere Sicht englische Adlige, die mit Billigung der Krone vom
Markland aus auf eigene Initiative nach Westen vorstießen und im
Süden und Osten von Wales
in Gebieten, die aus geophysischen Gründen leichter
zugänglich waren, ihre Herrschaften ausdehnten.
Verfassungsrechtlich waren sie Nachfolger der walisischen Könige
und konnten als sogenannte Marcher
Lords recht unabhängige Positionen errichten (Walisische Mark). Der Norden und
Westen des Landes, vor allem Gwynedd,
mit dem Snowdon-Massiv sehr
unzugängl., blieben weitgehend verschont und nahmen ihre eigene
Entwicklung. Für das 12. Jh. ist man für die politische
Entwicklung weitgehend auf walisische chronikalische Quellen (vor allem
die Chronik der Fürsten von Wales,
Brut y Tywysogyon) und auf
Nachrichten aus England
angewiesen, sowie dann auf das reiche Werk des Giraldus Cambrensis. Seit der 2.
Hälfte des 12. Jh. sind mehrere Eheverbindungen walisischer
Fürsten mit Mitgliedern des englischen
Königs-Hauses oder
hoher Adliger bezeugt.
III. Kirchliche Entwicklung:
In der 1. Hälfte des 12. Jh. kam es unter der Leitung von Canterbury zur Errichtung
von vier territorialen Diözesen (Llandaff im Südosten,
St. David's im Südwesten, St. Asaph im Nordosten, Bangor
im Nordwesten), die fast ausschließlich mit Bischöfen
nichtwalisischer Abstammung besetzt wurden. Dennoch gab es in der Mitte
des 12. Jh. erste Versuche, die walisische Kirche aus dem
Metropolitanverband von Canterbury zu lösen und eigenständig
zu machen mit einem Erzbischof in St. David's (Menevia). Diese
Versuche mißlangen, wurden am Ende des Jahrhunderts von Giraldus Cambrensis noch einmal
aufgenommen, wenn sie auch nach einem mit großem Einsatz
geführten Kampf 1203 endgültig scheiterten. Danach wurde der
walisische Episkopat im 13. Jh. in vielfacher Weise zu einem
verlängerten Arm der englischen Krone.
Bis zum Ende des 12. Jh. kam es in Wales zur Errichtung zahlreicher
Klöster, hauptsächlich der Benediktiner (18) und
Zisterzienser (16).
IV. Im 13. Jahrhundert:
Die Quellenbasis wird im 13. Jh. erheblich breiter. Neben
erzählenden Quellen sowie politischer Dichtung in walisischer
Sprache treten nun auch vielfältige Zeugnisse politischer
Verhandlungen zwischen walisischen Fürsten und der englischen
Krone, die sich fast ausschließlich in englischen Archiven
abschriftlich erhalten haben (besonders »Littere Wallie«). Im 13. Jh.
erfolgt eine nachhaltige politische Neuordnung der sozialen Ordnung der
Teile von Wales, die
weiterhin unter einheimischer Herrschaft standen. Tonangebend waren
dabei die Fürsten von Gwynedd,
Llywelyn ab Iorwerth (ca. 1190-1240), sein Sohn Dafydd
ap Llylwelyn (1240-1247) und sein Enkel Llywelyn
ap Gruffudd (1246-1282), ersterer als 'Princeps Norwallie', die beiden
Nachfolger auch als Träger dieses Titels, aber auch als
Träger des neuen Titels 'Princeps
Wallie' (Fürst von Wales).
Diese nachhaltige politische Umgestaltung der innerwalisischen
Verhältnisse nach lehnsrechtlich-englischemm Vorbild unter Aufgabe
traditioneller walisischer Gewohnheiten war eine Voraussetzung zur
politischen Zentralisierung, die unter Llywelyn ap Gruffudd
auch weitgehend erreicht wurde, schuf aber auch die Vorbedingungen
für eine leichtere Machtübernahme von England aus, war aber
bei den betroffenen Walisern keineswegs unumstritten. Erst die
Niederlage Llywelyns
ap Gruffudd gegen den übermächtigen englischen Eduard I. 1282 führte
zu einer allmählichen Verklärung dieses letzten walisischen 'Prince
of Wales' in
der walisischen Historiographie.
Im Lauf des 12. und 13. Jh. entstanden in Wales
unter englischem Einfluß etwa 80 Städte, oft sehr klein, die
fast alle befestigt waren und im allgemeinen von Engländern oder
anderen Ausländern besiedelt waren.
Llywelyn ab
Iorwerth heiratete eine Tochter König Johanns von England.
Während der innenpolitischen Krise Englands schloß Llywelyn 1212
einen Freundschaftsvertrag mit dem
französischen
König Philipp Augustus.
In der Folge war er bemüht, die lehnsrechtliche Erbfolge seines
zweiten Sohns Dafydd
zu sichern, was ihm auch 1238 gelang. Dafydd war
aber nicht in der Lage, seine Herrschaft dauerhaft zu sichern und
mußte nach militärischen. Niederlagen die englische
Oberhoheit uneingeschränkt anerkennen.
Die Machtausdehnung von Llywelyn
ap Gruffudd
wurde begünstigt durch die anhaltende Schwächung der
englischen Krone unter Heinrich
III. (1216-1272). In dessen Auseinandersetzung mit den Baronen unter Simon
de Montfort (1258-1265) nahm der Waliser für Montfort Partei (er heiratete
später dessen Tochter Eleanora)
und führte ab 1258 den Titel 'princeps
Wallie'. Als solcher wurde er 1267 im Vertrag von Montgomery von
Heinrich III.
anerkannt. Das Fürstentum sollte erblich sein, der Fürst der
alleinige Lehnsherr anderer walisischer Adliger und Lehnsmann des
englischen Königs. Seine Weigerung, diesen Verpflichtungen Eduard I. gegenüber
nach dessen Amtsantritt nachzukommen, führten 1277 zum Krieg, in
dem Eduard
siegte. Er diktierte Llywelyn
im
Vertrag von Conw(a)y (9. November 1277) harte Bedingungen. Das
Fürstentum Wales war
fortan territorial erheblich verkleinert, die Würde des 'princeps Wallie' sollte nur
für Llywelyn
gelten. Lehnsoberhoheit wurde Llywelyn
nur
über fünf namentlich genannte Adlige und auch nur für
seine Lebenszeit zugestanden. Die direkte Oberhoheit der englischen
Krone wurde weiter ausgedehnt und ist sichtbar in der Errichtung neuer
Grafschaften.
In der Folgezeit war Llywelyn
bemüht, seine Verpflichtungen äußerst genau zu
erfüllen, während Eduard
I. seine
Rechte in Wales sehr
großzügig zu seinen Gunsten auslegte. Das äußerst
provokante Verhalten Eduards I. und
seiner Beamten den Walisern gegenüber führte Ostern 1282
zu einem von Llywelyns
Bruder Dafydd
geführten
Aufstand, dem sich Llywelyn
anschließen mußte. Der außerordentlich aufwendige und
mit ganzer Härte geführte Krieg Eduards gegen
Wales 1282-1284 brachte den
Sieg auf der ganzen Linie, das Ende der Dynastie von Gwynedd und die
Errichtung mächtiger Burgen in Gwynedd zum Schutz der englischen
Herrschaft. Dennoch wurde im Statute
of Wales
1284 das Fürstentum aufrechterhalten; 1301 wurde Eduards
Sohn (Eduard II.) der erste englische 'Prince
of Wales'. Die
Kriegskosten 1282-1284 werden auf 150.000 Pfund geschätzt, das
siebenfache der Summe des Kriegs von 1277. Weitere 80.000 Pfund wurden
für die acht mächtigen Burgen ausgegeben, die die Eroberung
dauerhaft sichern sollten. Auf längere Sicht war dies vom
englischen Standpunkt aus gut angelegtes Geld.
M. Richter
B. Das englische Fürstentum Wales
I. Die englische Regierung und Verwaltung des 13. und 14. Jahrhunderts:
Die 1277-1283 durchgeführten Eroberungen Eduards I.
markieren einen Wendepunkt in der verfassungsgeschichtlichen,
verwaltungsgeschichtlichen, politischen und kirchlichen Entwicklung von
Wales; die nach diesen
Eroberungen getroffenen Entscheidungen bestimmten das Gefüge der
Regierung und Verwaltung bis zu den Unionsgesetzen (Acts of Union
1536-1543) unter
Heinrich
VIII. Das königliche Fürstentum Wales
(royal principality of Wales)
umfaßte im Spät-Mittelalter etwa die Hälfte des Landes:
zum einen die Grafschaften im Südwesten, Carmarthenshire
(Carmarthen) und Cardiganshire (Ceredigion), welche die englische Krone
stückweise zwischen 1254 und 1287 erworben hatte,
und die neueren
Grafschaften im Nordwesten, Anglesey, Caernarfon und Merioneth, die aus
dem eroberten Fürstentum des Llywelyn
ap Gruffydd († 1282), des letzten walisischen Herrschers von Gwynedd,
gebildet wurden.
Nachdem Eduard
I.
persönlich das Herrschaftsgebiet Llywelyns
erobert hatte (1282-1283), wurden in den fünf königlichen
Grafschaften Regierungsstrukturen, die eine unmittelbare
königliche, englische Autorität gewährleisten sollten,
entwickelt. Seit dem späten 14. Jh. bürgerte es sich
zunehmend ein, die drei nördlichen Grafschaften als
königliches Fürstentum von Nord-Wales, die zwei
südlichen als königliches Fürstentum von Süd-Wales
zu bezeichnen; dies spiegelt die zweigeteilte administrative
Organisation wider, die auf den Zentren Caernafon bzw. Carmarthen
beruhte. Die königliche Grafschaft Flint im nordöstlichen Wales
war aus praktischen Verwaltungsgründen der königlichen
Grafschaft Chester zugeschlagen worden; der übrige Teil von Wales
bestand aus zahlreichen Markenherrschaften (Walisische Mark). Das Statute of Rhuddlan (März
1284) bot ein Muster für die Regierung des nördlichen
Fürstentums, das von der englischen Krone formell annektiert
worden war. Das Statut führte wichtige Ämter ein (justiciar,
chamberlain,
county sheriffs), auch wurde
ein
System von Gerichtshöfen geschaffen, die im wesentlichen nach
Englischen Recht, das allerdings bei Zivilprozessen durch Walisisches
Recht ergänzt wurde, richteten. Das Statut sagt nur wenig aus
über die bereits bestehenden Grafschaften Carmarthen und Cardigan,
obwohl hier die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit (mit justiciar, chamberlain, sheriffs und stewards sowie mit an das
ältere walisische Ämterwesen angelehnten lokalen
Amtsträgern) weitgehend der Regierungsform im Norden des Landes
ähnelte, und sie beeinflußte zweifellos die in Rhuddlan
entwickelten Formen. Autorität und Sicherheit wurden
gewährleistet durch mächtige neue Burgen (Burg, C. X) in
Aberystwyth (1277), Caernarfon, Conwy, Harlech und Beaumaris auf
Anglesey (ab 1295) sowie durch neue, mit Charters versehene boroughs, die englische Garnisonen
aufnahmen und loyale Zuwanderer anlockten. Die beiden Gerichts- und
Verwaltungszentren Caernarfon und Carmathen, beide mit eigenem Siegel,
waren in allen politischen, jurisdiktionellen und finanziellen
Angelegenheiten nur der englischen Krone und ihren Amtsträgern in
Westminster verantwortlich.
Jeder Teil des königlichen Fürstentums Wales
wurde im Spät-Mittelalter unmittelbar von königlichen
Amtsträgern verwaltet; eine gewisse Ausnahme bildeten nur die
Perioden, in denen ein Prince of Wales
als englischer Thronerbe sein Fürstentum eigenverantwortlich
regierte
und verwaltete. Doch waren die Princes
of Wales
(mit Ausnahme Eduards [II.], 1301-1307, und Eduards des »Schwarzen Prinzen«, 1343-1376) nicht
volljährig, und deshalb unterstanden ihre Räte und
Amtsträger der königlichen Oberaufsicht; diese ständige
Einflußnahme der Krone verlieh der Regierung in Wales
über zweieinhalb Jahrhunderte Kontinuität und
Stabilität. Das neue Fürstentum lag in dem Bereich der
beiden, dem Erzbistum Canterbury
unterstehenden Diözesen
St. David's und Bangor, deren Gebiete nicht mit der Ausdehnung des
Fürstentums übereinstimmten. Die Besitzungen der beiden
Bistümer (vor allem des reicheren und größeren
St. David's) unterstanden zwar nicht der Machtbefugnis der
königlichen Amtsträger, doch pflegte in Fällen der
Sedisvakanz das Königtum (wie bei den englischen Bistümern)
seinen Einfluß auf die Besetzung der Diözese
nachdrücklich geltend zu machen.
Bis zur Regierung Heinrichs VIII.
wurde
das Regierungs- und Verwaltungssystem in nur geringem Maße
modifiziert, und selbst unter der Regierung der TUDORS
wurden im Grunde nur einige Verwaltungsgrundsätze auf das gesamte Wales
ausgedehnt; die fünf Grafschaften (ebenso wie Flintshire) blieben
mit geringen Grenzverschiebungen erhalten. Die politische und
jurisdiktionelle Autorität wurde verkörpert von den beiden
Justitiaren, die in der Regel hohe englische Adlige (und oft marcher lords) waren. Die
Ämter der beiden chamberlains,
der Leiter des Finanzwesens des Fürstentums Wales,
wurden häufig mit erfahrenen Klerikern oder Angehörigen der
Gentry
der an Wales
angrenzenden englischen Grafschaften besetzt. Die constables
der großen Burgen
waren ebenfalls von nichtwalisischer Herkunft, wenn auch zunehmend
Waliser (aus dem Fürstentum Wales
oder der Walisischen Mark) als ihre Stellvertreter an Profil gewannen,
doch erst seit dem 15. Jh. wurden Waliser als stellvertretende
Kastellane regelmäßig herangezogen. Andererseits wurden
kleinere Ämter ausgeübt von loyalen, mit der englischen
Ordnung versöhnten Walisern, die aus den örtlichen Gemeinden
stammten und Interesse an einer Erhaltung der durch die 'principality' gewährleisteten
Stabilität hatten.
II. Spannungen und politische Krisen des 14. und
15. Jahrhunderts:
Bei alledem lastete auf dem Fürstentum Wales
die Spannung zwischen Eroberern und Eroberten, zwischen eingewanderten
Stadtbewohnern und gebürtigen Walisern, zwischen örtlichen
Amtsträgern und ihren englischen Vorgesetzten, zwischen
ärmeren walisischen Geistlichen und der wohlbepfründeten
englischen höheren Geistlichkeit; die Epidemien um die Mitte des
14. Jh. trugen stark zur sozialen und wirtschaftlichen Krise bei. Doch
waren die Lehnsleute in den Grafschaften des Fürstentums Wales
in geringerem Maße für einen größeren Aufstand
gegen das englische Königtum zu gewinnen als die Vasallen in der
Walisischen Mark, in der es besonders während der Krisenzeit unter
Eduard II.
zu Revolten kam. Die Frühzeit der Regierung des »Schwarzen Prinzen«
in den 40-er Jahren war geprägt durch harten politischen und
fiskalischen Druck, der zu Unruhen führte; in den Jahren nach 1370
gefährdete der drohende Einfall des Owain Lawgoch († 1378), eines Abkömmlings der walisischen
Fürsten, die Sicherheit in Anglesey und anderen
Landesteilen. Trotz dieser schwelenden Konflikte konnte die Regierung
ohne Schwierigkeiten die Ämter in den Grafschaften und in den
Commotes mit einheimischen Walisern besetzen.
Der große Aufstand des
walisischen
Fürsten Owain Glyn Dwr
begann zwar in der Walisischen Mark (1400), erfaßte aber rasch
Teile der Bevölkerung im Fürstentum, vor allem das mit Glyn
Dwr verwandte Haus TUDOR
(Caernarfonshire, Anglesey) und seinen Anhang. Die abgelegeneren
Gebiete des Fürstentums wurden zu Zentren der Aufstandsbewegung,
besonders die Burgen Harlech
und Aberystwyth, die 1404-1408
in Glyn Dwrs
Hand waren. Der Fürst verstand es auch, ihm ergebene Bischöfe
in Bangor durchzusetzen. Die Schwierigkeit, die Verkehrsverbindungen
mit den englischen Zentren Caernarfon und Carmarthen auch in dieser
unruhigen Zeit aufrechtzuerhalten, lähmte die englische Regierung
in Wales in erheblichem
Maße. Nach dem Ende des Glyn-Dwr-Aufstandes
(1410) wurde die Selbstverwaltung der walisischen Gemeinden
wiederhergestellt; die englische Regierung milderte, in der Hoffnung
auf einträglichere Steuereinnahmen aus dem Fürstentum, auch
die strenge jurisdiktionelle Überwachung. Diese Politik erwies
sich als Fehlschlag; die Präsenz der englischen Regierung im
Fürstentum Wales ging
zurück. Um die Mitte des 15. Jh. war die Grafschaft Merioneth
zeitweise nahezu unregierbar; in Carmarthenshire und Cardiganshire
führten der walisische Adlige
(squire) Gruffydd ap Nicholas († um 1460) und sein
Familienverband
ein nahezu unumschränktes Regiment. Die walisische Kirche war sich
selbst überlassen; die im 15. Jh. zumeist nicht aus Wales
stammenden Bischöfe von Bangor und St. David's residierten
nur selten in ihren Diözesen. Die niedere Geistlichkeit bestand
durchweg aus Walisern; unter ihnen waren aber durchaus Geistliche von
religiösem Eifer, und die kirchliche Wiederaufbautätigkeit in
der Zeit nach dem Glyn-Dwr-Aufstand
ist
bemerkenswert.
Der traditionell unter dem Namen der Rosenkriege
bekannte dynastische Konflikt der Häuser
LANCASTER und YORK
hatte
eine wichtige walisische Dimension: Die Selbstverwaltung der
walisischen Gemeinden in den Grafschaften des Fürstentums und die
traditionelle Treue zur königlich/fürstlichen Autorität
erzeugten bei der Bevölkerung Unterstützung für die
Sache der LANCASTER.
Die Anstrengungen William
Herberts , des Herrn von
Raglan in der Walisischen
Mark, das Fürstentum Wales
zwischen 1456 und 1468 der Kontrolle der YORK-Partei
zu unterwerfen, stießen auf Widerstand, besonders bei Jasper
Tudor, Earl of Pembroke,
dem Halb-Bruder des lancastrischen
Königs Heinrich VI. Trotz
dieser Konflikte blieb die Regierungsstruktur des Fürstentums Wales
intakt und funktionsfähig; der yorkistische König Eduard IV. suchte (im
Zuge seiner Befriedungsaktionen im gesamten Wales)
in den 70-er Jahren des 15. Jh. die königliche Oberherrschaft auch
im Fürstentum Wales
erneut zur Geltung zu bringen. Er dehnte allmählich die Amtsgewalt
des Rates seines Sohnes Eduard (V.) aus, so daß diese
sich
nicht nur auf das Fürstentum Wales,
sondern auch auf die Kontrolle über die marcher lordships erstreckte, die
sowohl im Besitz von englischen Adligen als auch vom König selbst
waren; diese Kontrolltätigkeit sollte mit der Stärkung der
königlichen Jurisdiktionsrechte, der Einflußnahme auf die
Ernennung von Beamten und der Reorganisation des Finanzwesens
einhergehen. Unter Heinrich VII.
übte der Rat, mit Hauptsitz in Ludlow in der Walisischen Mark,
eine effiziente Kontrolltätigkeit aus; Heinrich VII. widmete sich
auch den Forderungen örtlichen Petitionen und
bestätigte die Rechte und Privilegien, die sich vor allem
nordwalisische Gruppen im Laufe der Zeit erworben hatten. Zur Zeit Heinrichs VIII. kam
der Druck, der zum Erlaß der
Acts of Union führte, nicht so sehr aus dem Fürstentum
Wales, sondern von den
Bevölkerungsgruppen, die der Herrschaft der marcher lordships unterworfen waren.
R.A. Griffiths