BARON (BARO)


Lexikon des Mittelalters:
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Baron (baro)
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III. England:
Das Wort 'baro' wurde im Zusammenhang mit der normannischen Eroberung Englands (1066) aus der Normandie in das Inselreich übertragen, wo es hauptsächlich in zwei Bedeutungen weiterwirkte:
a) allgemein = Mann, Ehemann;
b) in technischem Sinn = der weltliche Kronvasall im Rahmen des von Wilhelm dem Eroberer aufgebauten anglo-normannischen Lehnswesens; doch konnten anfangs auch bedeutendere Untervasallen als »Barone« bezeichnet werden. Die Forschung nennt mitunter die dem Lehnssystem eingegliederten Bischöfe und Äbte »geistliche Barone«. - Die Zahl der »eigentlich«, in der Lehnspyramide unmittelbar unter dem König stehenden Barone lag zunächst wohl unter 200. Sie traten an die Stelle der (weithin enteigneten) angelsächsischen Oberschicht. Die meisten B
arone erhielten vom König verstreuten Besitz in verschiedenen Grafschaften, so daß größere Blockbildungen in ihrer Hand erschwert wurden. Doch aus dem Bewußtsein autochthonen Adelsrechtes beschritten nicht wenige dieser Herren den Weg zum Aufbau machtvoller, auf einen befestigten Hauptsitz (Burg) bezogener Baronien (honors). Manche Barone festigten ihre Position zusätzlich, indem sie das lukrative Amt des sheriff an sich zogen. Der Kronvasall hatte dem König persönlich Rat und Hilfe (besonders militärische Dienste, in bestimmten Fällen auch Feudalabgaben; Relevium) zu leisten und Ritter zu stellen. Die Zahl dieser knights stand kaum in fester Relation zur Größe und Ertragskraft des honor. Sie gehörten entweder dem baronialen Hofhalt an oder wurden mit eigenen Unterlehen ausgestattet, was später zur Regel wurde. Solche Untervasallen wurden als Ratgeber und gerichtliche Beisitzer am Lehnshof (feudal court; Gerichtsbarkeit) ihres Herrn tätig. Größere Baronien entwickelten analog dem königlichen Hofhalt bestimmte Ämter (steward, sheriff, justices und andere; Amt). Im 12. Jh. schuf die Krone zusätzliche Baronien. Die von Anfang an vorhandene Tendenz zur Erblichkeit des baronialen Besitzes verstärkte sich und setzte sich voll durch. Auch Erbteilungen wurden möglich, und schon der kleinste Anteil an einer Baronie verlieh dem Inhaber baronialen Status, womit nun auch Teilhabe am europäischen Ritterideal des Hoch-Mittelalters verbunden war. In der Zeit König Heinrichs II. begann die Krongerichtsbarkeit stärker in die inneren Verhältnisse der Baronien einzugreifen. Die Kronvasallen mußten 1166 Auskunft über Zahl und Status ihrer Ritter geben, woraus »the first comprehensive review of the new feudal society« (D. M. Stenton) erwuchs. Der Dialogus de Scaccario (II, 10) unterscheidet deutlich »baronias scilicet maiores seu minores«. Die Magna Carta von 1215 enthält nähere Festlegungen; so sollen die barones majores jeder für sich zu Hoftagen geladen werden; Barone sollen nur durch ihresgleichen und nur nach dem Maß ihres Vergehens gebüßt werden; das Relevium für eine Baronie soll 100 £ betragen (Widerstandsrecht). In der Folge suchte die Krone die Privilegierung der Barone wieder zu beschränken. Im 13. Jh. hoben sich etwa 15 Grafen (Earls) und 20-30 größere Barone als magnates regni aus dem Baronagium heraus. Diese Spitzengruppe gliederte sich seit der Zeit König Eduards III. durch Verleihung neuer Titel weiter auf (Duke, Marquis, Viscount). Der Baron (= Lord) nahm schließlich innerhalb des Hochadels (Nobility) den fünften Rang ein. Alte Geschlechter erloschen, manche kleineren baronialen Familien verschmolzen mit dem Ritterstand (Gentry), neue Familien stiegen auf verschiedenen Wegen auf. Die lehnsrechtlichen Grundlagen waren um diese Zeit bereits stark ausgehöhlt. Die Könige zogen Konsequenzen aus dem sozialen Wandel und schufen (seit 1387) den Typus der Patent- oder Brief-Baronie, deren Inhaber das Recht besaß, zum Parlament berufen zu werden (Peers). - Auch einer Reihe von hohen Beamten am königlichen Exchequer wurde, ungeachtet ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft, der Titel »Baron« zuerkannt.
K. Schnith