EXCHEQUER
Lexikon des Mittelalters:
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Exchequer (lateinisch scaccarium)
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bedeutendste Behörde der königlichen Finanzverwaltung
des mitelalterlichen England.
Der Exchequer
entstand um 1100 und stellte in seinen
Ursprüngen eine bestimmte Sitzung des königlichen
Gerichtshofes (curia
regis) dar, die mit den königlichen Einkünften
befaßt war. Die
erste und wichtigste Aufgabe des Exchequer
war die Feststellung der dem König
geschuldeten Gelder und die Sorge um ihren Eingang, während die
Erhebung, Thesaurierung und Ausgabe von Geldmitteln weniger zu seinen
Funktionen zählte. Zur Durchführung seiner Kontrollaufgabe
lud der Exchequer die
wichtigste Gruppe der königlichen Beamten, die sheriffs,
an
zwei Terminen im Jahr (um Ostern und zu St. Michael, 29.
September)
mit ihren Einnahmen zur Rechenschaft vor; hierbei wurden die von ihnen
abgeführten Summen mit den geschuldeten Beträgen verglichen.
Zu Ostern wurden dem Exchequer
die halbjährlichen Einnahmen bezahlt, und zu
St. Michael waren die ausstehenden Saldobeträge zu
entrichten, und die Rechnung wurde abgeschlossen und abgelegt.
Berechnungen wurden mittels eines Abakus durchgeführt, und die
Zahlungen wurden auf einem Rechentisch ausgebreitet, den ein Tuch mit
Schachbrettmuster bedeckte; dies gab der Institution ihren Namen. Bei
der Rechnungslegung und -prüfung war eine Gruppe königlicher
Amtsträger zugegen, unter ihnen der justiciar (Justitiar),
chancellor
(Kanzler), treasurer (Schatzmeister) und die chamberlains.
Das Prüfungsverfahren wurde auf einer Pergamentrolle, der
sogenannte
Pipe Roll, verzeichnet; das
älteste erhaltene Beispiel stammt von
1131. Diese frühe Organisation des Exchequer
war wohl das Werk des
Justitiars, Bischof Roger von
Salisbury. Seine Berichte wurden während
der Regierung König Stephans unterbrochen,
aber der Exchequer wurde
unter König
Heinrich II.
wiederhergestellt und seine Kompetenzen erweitert; aus
dieser Zeit sind erstmals kontinuierliche Serien der Pipe Rolls
überliefert, und es entstand der berühmte »Dialogus de
Scaccario« des Richard von
Ely.
Der englische Exchequer war
am Ende des 12.
Jh. die entwickeltste Finanzinstitution des nördlichen Europa, nur
das
Finanzwesen des Königreiches Sizilien - mit der Duana de secretis - kannte
ein ebenso ausgeklügeltes, in seinem Aufbau nicht unähnlichem
System, wobei auch bestimmte personelle Zusammenhänge zwischen der
sizilischen
und der englischen Finanzverwaltung aufscheinen (vgl. zum Beispiel
Brown, Thomas).
Seit dem Ende des 12. Jh. machten die nun regelmäßigen
Zusammenkünfte der Beamten des Exchequer
(barones de scaccario) und das
angewachsene Archivmaterial den ständigen Sitz des Exchequer
in
Westminster erforderlich. Doch war der Exchequer
nicht die einzige
führende Finanzbehörde; die
treasury, der königliche Schatz, blieb
weiterhin der wichtigste Aufbewahrungsort des königlichen
Vermögens;
große Teile der königlichen Einnahmen wurden auch von den
finanziellen
Ämtern innerhalb des königlichen Hofhalts, der chamber (Kammer) und der
wardrobe,
gesammelt, verwaltet
und ausgegeben. In den folgenden 150
Jahren sollte der Exchequer
die Kontrolle über diese anderen
Finanzinstitutionen erlangen und gleichzeitig die Zahl seiner eigenen
Unterabteilungen vervielfachen. In der Zeit des »Dialogus«
war der Exchequer
bereits
in einen unteren und oberen Exchequer
gegliedert. Beim
unteren Exchequer zahlte
der Sheriff das von ihm
gesammelte
Geld ein und
erhielt ein Kerbholz (tally)
als Quittung, während in der
Eingangsrolle (receipt roll)
ein schriftlicher Vermerk vorgenommen wurde.
Mit seinem Kerbholz begab sich der
Sheriff zum oberen Exchequer,
vor dem er
Rechenschaft über die bezahlten und noch ausstehenden Beträge
abzulegen hatte; hier wurde auch über Streitfälle Gericht
gehalten. Im 13. Jh. entwickelten sich beim Exchequer
neue Unterabteilungen
und neue Typen von Akten, was eine Reaktion auf das Anwachsen der
Geschäfte darstellte. Der Sheriff
teilte nun die Verantwortung
für die königliche Einkünfte mit anderen Beamten der
Krone. So
hatten die escheators auf die
feudalen Rechte des Königs (Lehen,
Lehnswesen) zu achten; manche königlichen Besitzungen wurden an
private
Pächter ausgegeben; die in königlicher Hand befindlichen
kirchlichen Temporalia
wurden gesondert verwaltet, ebenso die königlichen Forsten,
während die
Kronbesitzungen in Wales, Irland und in der Gascogne eigene
Behörden erhielten. Zugleich erscheinen neue Fiskaleinnahmen, so
die persönliche Vermögenssteuer (Steuerwesen) und die
Handelszölle. Mit der Zunahme dieser Abrechnungen und angesichts
der zunehmenden Komplexität ihrer Verwaltung wurden neue Beamte
eingesetzt, die sogenannten remembrancers,
deren memoranda »rolls«
zahlreiche ergänzende Informationen überliefern.
Im 13. und 14. Jh. erlebte der Exchequer
zwei grundlegende Reformperioden. Die
erste (1232-1236) wurde von Peter
des
Rivaux eingeleitet; die zweite
(1318-1326) wird mit Bischof Walter
Stapledon in Verbindung gebracht. Diese
Reformen führten zur Entstehung einer Reihe von Einzelabteilungen
und feststehenden Serien von Rechnungen, deren Funktionsweise bis ins
16. Jh. kaum noch Änderungen erfuhr. Bis zur Mitte des 14. Jh. war
die wardrobe, die Eduard I., II. und III. für ihre
Feldzüge
als Kriegskasse gedient hatte, nicht viel mehr als eine Unterabteilung
des Exchequer,
zuständig für die Ausgaben des königlichen Hofhaltes,
geworden. Beim unteren Exchequer
wurden Einnahmen und Ausgaben in Eingangs-
und Ausgangsrollen, die vom 13. Jh. fortlaufende Serien bilden,
verbucht. Im späteren Mittelalter umfaßte die Verwaltung des
Exchequer
nahezu die gesamten Einkünfte der englischen Monarchie, mit
Ausnahme
des persönlichen Schatzes des Königs. Zahlungen des unteren Exchequer
wurden durch die Anweisungen des treasurer
und der chamberlains
kontrolliert, die aufgrund von königlichen writs handelten. Die im 15. Jh.
ständig anwachsenden Zahlungen wurden zunehmend dezentralisiert,
wobei dem Zahlungsempfänger ein auf den Exchequer
ausgestelltes Kerbholz
ausgehändigt wurde; dieses konnte er bei einer örtlichen
Einnahmestelle einlösen (assignment).
Im 13. Jh. wurde auch das
alte Schatzamt, die Treasury,
dem Exchequer einverleibt;
als Treasury of the
Receipt wurde sie zum Depot von Geld und Wertsachen.
Schließlich
entwickelte sich in der Exchequer Chamber ein Gerichtshof, vor dem
komplizierte finanzielle Prozesse, vor allem Kreditfälle,
verhandelt
wurden (Exchequer, Court of).
So besaß der Exchequer
im späten Mittelalter eine unbestrittene
Autorität als nahezu allmächtiges Zentralorgan der englischen
Staatsfinanzen. Er befaßte sich mit Hunderten von lokalen
Amtsinhabern und Privatpersonen, die als seine Schuldner oder
Gläubiger auftraten, er nahm Anleihen bei einem weiten Kreis von
Untertanen auf, er erstellte Berichte über Einnahmen und Ausgaben
und unternahm zumindest Versuche, Einnahmen und Ausgaben im voraus
einzuschätzen und eine genaue Kalkulation der bestehenden
finanziellen Ressourcen vorzunehmen. Da die Arbeitsweise des Exchequer
jedoch
sehr komplex war und seine ursprüngliche Zielsetzung in der
Überprüfung und Kontrolle des Finanzgebarens bestand, war er
zur Mobilisierung finanzieller Reserven und als Instrument direkter
königlicher Geldbeschaffungspolitik kaum geeignet. Daher
entwickelte die englische Monarchie im letzten Viertel des 15. Jh.,
unter Eduard IV. und Heinrich
VII., die Chamber als
alternatives Schatzamt, während dem Exchequer
die
Einnahme der Steuern mehr und mehr entzogen wurde. Erst 1553 erfolgte
eine Reform des Exchequer,
die dem Amt die Vorrangstellung, die er im
Spät-Mittelalter besessen hatte, zurückgab. - Zur
Parallelentwicklung
im Finanzwesen der Normandie vgl.
Échiquier.
G.L. Harriss