NORMANDIE
 

Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 1241
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Normandie
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A. Hochmittelalter
I. Vom spätkarolingischen Regnum zum feudalen Herzogtum (911-1066)
[1] Die Anfänge:
Die Gründung der Normandie beruhte zum einen auf dem Bestreben der westfränkischen KAROLINGER, die Übergriffe und Erpressungen der Normannen im Pariser Becken zu mildern, zum andern auf den Ambitionen eines bedeutenden skandinavischen, wohl aus Norwegen stammenden Adels-Geschlechtes. 911 vor Chartres besiegt, schloß Rollo, Anführer eines dänischen Normannen-Verbandes, mit König Karl 'dem Einfältigen' zu St-Clair-sur-Epte ein Abkommen, das den Normannen das Gebiet im Bereich Rouens und der Seinemündung (der heutigen Haute-N
ormandie) zusicherte, unter der Voraussetzung, die Taufe zu nehmen und die Seine für die anderen Wikinger-Gruppen zu sperren. Hinzu trat 924 und 933 die Abtretung der Basse-Normandie durch König Rudolf; damit waren die Grenzen des Fürstentums Normandie umschrieben, mit Ausnahme des um 1050 hinzuerworbenen Passais. Zum Zeitpunkt der normannischen Machtübernahme war das Gebiet zwar nicht völlig verödet, hatte aber starke Zerstörungen erlitten. Abgesehen von Einzelfällen wie dem Erzbistum Rouen, waren die weltlichen und geistlichen Führungsgruppen großenteils verschwunden. Die ersten Normannen-Fürsten, Rollo (911-932) und sein Sohn Wilhelm 'Langschwert' (ca. 932-942), die zugleich Grafen von Rouen waren, mußten ihre Machtstellung im wesentlichen auf die Haute-Normandie beschränken. In den übrigen Landesteilen dominierten andere, gegnerische Normannen-Verbände (Dänen aus England und Norweger aus dem wikingischen Irland). Der Norden des Cotentin und das Pays de Caux wurden (im wesentlichen auf der Ebene der Führungsschichten) am stärksten von skandinavischer Kolonisation geprägt. Die Ermordung Wilhelms (942) und die Minderjährigkeit Richards I. boten Gelegenheit für einen Rückgewinnungsversuch des westfränkischen KAROLINGERS Ludwig IV., der aber scheiterte.                  

[2] Der Aufbau des Herzogtums und die beginnende Kirchenreform:
Die Entwicklung des Fürstentums gewann gegen Ende des 10. Jh. stärkere Dynamik. Einer ersten, eher »konservativen« Phase unter Richard I. ( 996) folgte eine Periode systematischen Aufbaus unter Richard II. (996-1026). Die Machtausübung der 'principes Normannorum' beruhte einerseits auf für sie günstigen, aus der Wikinger-Periode überkommenen Vorrechten, so dem Recht des ullac (Verbannung von Rebellen und Konfiskation ihrer Güter), andererseits auf den ihnen als Grafen von Rouen übertragenen fränkischen Grafschaftsrechten (Graf, -schaft). Dieses doppelte Erbe wurde zu einer neuen Fürstengewalt verschmolzen, die sich zunächst als karolingisches 'regnum' darstellte, in dem der Fürst eine gleichsam königliche Position einnahm und den öffentlichen Frieden, gestützt auf das Gefüge der fränkischen Institutionen und Gesetze, zu wahren hatte. Der Aufbau des Fürstentums beruhte auf einem doppelten Erwerb von Fürstentiteln: Die Würde des 'marchio' (Markgraf; Mark) gab den Fürsten der N
ormandie seit 965/968 das Recht, selbst Grafen zu ernennen und im Innern eines Regnum die Befehlsgewalt auszuüben. Der Titel des Herzogs (Herzog, -tum), der erst nach dem Beginn des kapetingischen Königtums (987) auftritt, stellte sie unmittelbar zur Rechten des Königs, dem sie in den Marken ein wenig bindendes Homagium leisteten.
Die fürstliche Zentralregierung wurde auf die drei Pfalzen, die am Ende des 10. bzw. Anfang des 11. Jh. errichtet wurden, konzentriert:
Rouen und Fécamp, die beiden bedeutenderen, lagen in der Haute-N
ormandie, dem Kerngebiet, Bayeux in der Basse-Normandie.
Entsprechend anderen Fürstentümern wurde eine 'curia' geschaffen. Die 'camera' (Finanz, -wesen) machte die immensen herzöglichen Einkünfte (indirekte und direkte Steuern: graverie und Einnahmen aus dem reichen herzoglichen Domanialbesitz, der 911 nicht zuletzt aus königlichem Fiskalgut an die Fürsten übergegangen war) zentral verfügbar. Seit ca. 1000 fungierten lokale Amtleute. Die Verwaltung der Pagi des Grenzgebiets oblag der Herzogs-Familie entstammenden Grafen; bei großer Machtbefugnis blieben sie - ebenso wie die herzöglichen 'vicecomites' in den übrigen Pagi - absetzbar.
Dieser Ausbau der institutionellen Gewalt ist nicht trennbar von der Wiederherstellung der kirchlichen Einrichtungen, deren erster großer Kristallisationskern die Abtei Fécamp war. Richard I. leitete (nach zögernden Anfängen) eine gezielte Klosterpolitik ein (Fontenelle, Mont St-Michel), doch kam auch hier der Durchbruch erst mit Richard II., der sich beim Aufbau des Landes auf die monastischen Kräfte stützte. Seit ca. 1001 führte der eng mit Cluny verbundene Wilhelm von Volpiano als Abt des exemt gewordenen Fécamp die monastische Reform durch (Benediktiner, A.I; B. II), die zunächst die östliche, dann die mittlere (Bernay) und westliche N
ormandie erfaßte.
Die Restauration von Mönchtum und Kirche wurde begünstigt durch den wirtschaftlichen und demographischen Aufschwung. Die Bevölkerung wuchs seit dem späten 10. Jh. und frühen 11. Jh.; die (bereits miteinander verschmolzene) normannisch-fränkische Aristokratie wurde durch die Ansiedlung von Immigranten zielbewußt erneuert. Durch eine mögliche Privilegiengewährung von seiten des Herzogs entgingen die Bauern vielfach der Leibeigenschaft. Der Reichtum der Münzprägung des frühen Herzogtums N
ormandie ist exzeptionell und wurde bis 1025/30 nicht zuletzt durch die fortdauernden Beziehungen zum nordwesteuropäischen Bereich begünstigt. Die ersten herzoglichen Burgi wurden um 1025/30 gegründet und führten zur Entstehung neuer Städte (Caen). Das hohe Ansehen, das der zweimal als 'monarchus' und 'rex' intitulierte Richard II. genoß, wird bezeugt durch die Heirat seiner Schwester Emma mit dem angelsächsischen König Ethelred II.

[3] Das Feudalsystem:
Unter dem Druck einer nach Macht strebenden Aristokratie wandelte sich in den zwei Jahrzehnten von etwa 1030 bis 1050 das bis dahin auf den herzoglichen Palast bezogene Herrschaftssystem durch die Errichtung der Feudalität, die die Grundlagen der Herzogsmacht zunehmend modifizierte. Dieser Prozeß wurde von im Heiligen Land und die Minderjährigkeit Herzog Robert (1027-1035), der sich methodisch der Feudalinstitutionen zur Festigung der eigenen Autorität bediente, stark gefördert, gewann aber rasch Eigendynamik und wurde, vor allem durch den eigenmächtigen Burgenbau (Burg) der Adligen, zu einem Faktor der Desintegration. Dieser Umschlag der Entwicklung setzte ein, als die Herzogsgewalt durch den Tod Herzog Roberts seines Sohnes Wilhelms 'des Bastards' (Wilhelm 'der Eroberer') eine Schwächung erfuhr (Errichtung von Motten und Aufstände der Barone in der Basse-N
ormandie). Im Zuge der Wiederherstellung der herzoglichen Machtstellung intensivierte Wilhelm die Verbindungen mit der Kirche, indem er den Gottesfrieden, der zugleich herzoglicher Friede war, verkündete und konkreten Kirchenreformzielen (Einsetzung eines den neuen Ideen aufgeschlossenen Erzbischofs) zum Durchbruch verhalf. Er festigte zugleich die Feudalität, ließ illegal errichtete Burgen brechen und überwachte die Bildung von Ritterlehen, doch gewann das »normannische Feudalsystem« erst nach 1066 seine sprichwörtliche Strenge. Eine Gruppe von Baronen stieg innerhalb der 'militia' der herzoglichen fideles auf.
Ihre Beziehungen zum Fürsten waren noch vorwiegend personaler Art, doch setzte ein Prozeß der Verdinglichung ein:
Wilhelm
ist 1055 »König in seinem ganzen Land«. Die dem Fürsten geschuldeten Dienste blieben noch undefiniert. Die Institution des feudalen Aufgebots, der 'militia', lieferte dem Herzog die schwere, bei Hastings schlachtentscheidende Kavallerie, war aber noch längst nicht genügend systematisiert, um das gesamte Herrschaftsgebiet zu erfassen. Der Erwerb der Grafschaft Maine (1063) bestätigte die Machtstellung des Herzog von Normandie.
            
II. Die Normandie im Staatsverband der Anglonormannen und Plantagenet (1066-1204)
[1] Politische Krisen und Erneuerung der Fürstengewalt:
Der Sieg von Hastings (1066) verlieh Wilhelm 'dem Eroberer' den Thron des Königreiches England, den er nach dem Tode Eduards 'des Bekenners' aufgrund des Erbrechts gefordert hatte. Er behielt jedoch das Herzogtum N
ormandie in seiner Hand und gestaltete es zu einem starken feudalen Fürstentum aus, mit Ausnahme der Marken, denen eine gewisse Autonomie zugebilligt wurde. Zwei Krisen in der Ausübung der öffentlichen Gewalt bedrohten das von Wilhelm geschaffene Werk. Die erste Krise begann nach dem Tod des Eroberers (1087), als Wilhelm II. 'Rufus', der als 2. Sohn das Königreich England erhalten hatte, bestrebt war, den älteren Bruder Robert 'Courteheuse' als Herzog auszuschalten und die Vereinigung beider Länder wiederherzustellen. Der jüngste Bruder, Heinrich I., der vom Tode Wilhelms II. (1100) profitierte und 1106 Robert besiegte, gewann schließlich den anglonormannischen Gesamtbesitz. Heinrichs Tod (1135) löste aber erneut eine Krise aus. Ein Teil des Baronagiums lehnte die Erbfolge seiner Tochter, der Kaiserin Mathilde, in 2. Ehe Gattin des Grafen von Anjou, Gottfried Plantagenet, ab und unterstützte Stephan von Blois, der (in weiblicher Linie) Enkel Wilhelms des Eroberers war. 1150 fand diese spannungsvolle Periode mit der Thronbesteigung Heinrichs II. Plantagenet, des Sohnes von Mathilde und Gottfried, ihr Ende. Heinrich beherrschte bald auch das Anjou (1151), Aquitanien (1152) und England (1154) (sogenanntes Angevinisches Reich). Hatten die Krisenzeiten die Emanzipation der Aristokratie begünstigt, so gelang es doch der öffentlichen Gewalt unter den tatkräftigen Herrscherpersönlichkeiten Heinrich I. und Heinrich II., ihre Prärogativen wiederherzustellen und die Lehen der unbotmäßigen Herren zu konfiszieren. Dieses Befriedungswerk stützte sich auf die Errichtung mächtiger Burgen, die im Kerngebiet oder an den Grenzen angelegt wurden, sowie auf die methodischen Nutzbarmachung der feudalen Vorrechte durch die Herzogsgewalt.

[2] Regierung, Verwaltung und Kirchenpolitik:
Regierung und Verwaltung wurden, unter persönl. Überwachung durch Heinrich I. und II., zunehmend zentralisiert, vereinheitlicht und effizienter gestaltet. Die Rechtsprechung erfuhr große Fortschritte durch die Einführung von Reiserichtern (unter Heinrich I.) und die Redaktion der »Coutumes de Normandie« (um 1200). Das Finanzwesen wurde konsolidiert, vor allem durch Schaffung des Échiquier als oberster Kontroll- und Gerichtsinstanz, zunehmend mit festem Sitz in Caen (seit ca. 1170-1175). In der Lokalverwaltung stellte Heinrich II. über die (erblich gewordenen) Vicecomites die Baillis, die wegen ihrer Abberufbarkeit gefügiger waren und effizienter arbeiteten. Das Bündnis mit der Kirche wurde weitergeführt. Das traditionelle Mönchtum, das in England freigebig dotiert wurde, profitierte stark von der Eroberung. Die neuen monastischen Bewegungen des 12. Jh. waren von dieser Förderung jedoch häufig ausgeschlossen (Savigny, 1094). Die Kommunalbewegung (Kommune) und das Streben nach städt. Freiheiten (franchises) waren nur schwach ausgeprägt. Doch erhielt Rouen um 1165-1171 die »Établissements«, die in den westfranzösischen Gebieten der PLANTAGENET weite Verbreitung fanden. Die N
ormandie entwickelte blühenden agrarischen Wohlstand; die Grundherrschaft beruhte auf Rechtsformen wie vavassorie, villainage und bordage, denen die neuen Typen von Pachtverträgen (Pacht) gegenüberstanden. Die Vavassoren nahmen nach Besitzausstattung und Rang ('servitium equi') einen privilegierten Platz im grundherrlichen System ein.

[3] Die Eroberung durch die Kapetinger (1203-04):
In nur einjährigem Krieg konnte König Philipp II. August von Frankreich die N
ormandie einnehmen, begünstigt offenbar durch wechselseitige Abkühlung des Verhältnisses zwischen PLANTAGENET-Dynastie und lokalen Eliten. Hatten sich Normandie und England, die zugleich eigenständig und miteinander verbunden waren, unter Wilhelm dem Eroberer und Heinrich I. noch gegenseitig beeinflußt und hatte der häufig in der Normandie residierende Herzog hier eine gewichtige Position wahren können (was die Rolle des seit Heinrich I. eingesetzten Justitiars, der den König vertrat, schwächte), so war die Normandie unter den PLANTAGENET zu einem Territorium unter mehreren geworden. Die häufigen Abwesenheiten des Herrschers verstärkten die Stellung seines Repräsentanten im Lande, des Seneschalls, dessen Kompetenzen unter dem mächtigen Guillaume Fils-Raoul (1178-1200) mit denjenigen des Justitiars verschmolzen. Die Popularität der PLANTAGENET verzeichnete starken Schwund. Der finanzielle Aderlaß, den die Normandie zur Bestreitung der Kosten des Krieges mit Frankreich erdulden mußte, und das Mittelmaß der beiden Söhne und Nachfolger Heinrichs II., Richard 'Löwenherz' (1189-1199) und Johann 'Ohneland' (1199-1216), denen im KAPETINGER ein entschlossener Gegner erwachsen war, wirkten sich ebenfalls negativ aus.
A. Renoux
                 

B. Spätmittelalter
I. Von 1204-1337
[1] Politische Geschichte:
Durch die kapetingische Eroberung von 1203/04, die nicht die Kanalinseln erfaßte, trat König Philipp II. August in die Rechte des Herzogs von Normandie ein, nahm aber nicht den Titel an, um auf diese Weise seinen Willen zu bekunden, daß die neueroberte Provinz keinerlei politische Autonomie erhalten solle. Die Könige von Frankreich, Philipp August und noch Ludwig IX., verpflichteten den Adel bei Strafe der Konfiskation, sich zwischen der Vasallität zu Frankreich oder England zu entscheiden, das heißt entweder ihre Lehen in England oder aber der N
ormandie aufzugeben. Nach Schätzungen optierte insgesamt die Hälfte der Barone und ein Zehntel der übrigen Lehnsleute (das heißt einige hundert) für die PLANTAGENET; nur sehr wenigen normannischen Familien gelang es, in beiden Königreichen je einen Zweig aufrechtzuerhalten. Parteigänger des Königs von England traten noch 1213 und 1229-1230 in Erscheinung; nach dem Frieden von Paris (1259) zwischen Ludwig IX. und Heinrich III. war aber gleichsam der volle Anschluß der Normandie an Frankreich erreicht. Die Bischöfe und Äbte der Normandie akzeptierten gern die neue Herrschaft, die ihnen die Freiheit der Bischofswahlen garantierte und den Mißbräuchen des Regalienrechts ein Ende setzte. Den Klöstern wurde die Beibehaltung ihrer Güter in England zugestanden. Im städtischen Bereich, der ohne starke kommunale Tradition war, blieben nur sieben Kommunen erhalten, zumeist unter dem Recht der Établissements de Rouen.
Im 13. Jh. behandelte das französische Königtum die überkommenen normannischen Institutionen mit Fingerspitzengefühl. Die Baillis blieben in Funktion (bis 1250 fungierten als solche aber ausschließlich Franzosen). Der Échiquier erhielt sich ebenfalls, jedoch unter dem Vorsitz von Räten aus Paris. Die »Coutume de Normandie« (Coutumes) wurde vom französischen Königtum respektiert (mehrere offizielle Redaktionen, die älteste im »Très Ancien Coutumier«, 1203-1204), jedoch durch die Bestimmungen mehrerer königlichen Ordonnances ergänzt. Die königliche Fiskalpolitik war bis ca. 1270 zurückhaltend und beschränkte sich weitgehend auf die überkommenen normannischer Steuern und Abgaben. Die neue politische Situation eröffnete dem Königtum unterschiedliche Möglichkeiten der Kontrolle:
Ernennung von Baillis, Verleihung und Verpachtung von Besitzungen der herzoglichen Domäne, besonders aber Errichtung von Apanagen. Auf diese Weise wurden die Grafschaften Alençon (1269,1291), Évreux (1298), Longueville (1315) und Mortain (1318) an Mitglieder des kapetingischen Königs-Hauses ausgetan. Bei der Vergabe der sehr ertragreichen normannischen Bischofs- und Abtswürden sorgten die Könige für die Berücksichtigung ihrer Vertrauten (zum Beispiel Erzbischof Eudes Rigaud).
Die politischeEntwicklung nach der Regierung Ludwigs des Heiligen ist untrennbar mit der sich verschärfenden Fiskalität verbunden (Kriegskosten: Guyenne, Flandern; seit 1292 System des arrière-ban), wobei diese Besteuerung der Zustimmung der Vertreter der Untertanen bedurfte. 1283 bewilligte die Kommune von Rouen noch eine königliche maltôte, 1286 und vor allem 1292 (städtischer Aufstand) führte die Verweigerung neuer Steuern dagegen zum Konflikt mit dem König, der Rouen die Kommune aberkannte. 1308 bestritten die Normannen die Berechtigung der Aide für die Heirat der Prinzessin Isabella. Hinzu traten Beschwerden über den abhängigen Status des Échiquier und die enorme Bereicherung des führenden königlichen Rates Enguerran de Marigny im Gebiet von Rouen. Aus diesen Gründen beteiligte sich die N
ormandie nach dem Tode Philipps des Schönen an der Bewegung der adligen Ligen. König Ludwig X. gestand der Normandie am 15. März 1315 die »Charte aux Normands« mit Schutzbestimmungen gegen Steuer- und Beamtenwillkür zu. Dieses von den Königen stets bestätigte Landesprivileg ist, wenn es auch in der Praxis nur unzureichend angewandt wurde, ein Markstein der normannischen Identität.

[2] Wirtschafts- und Sozialgeschichte:
Die Periode von 1204 bis 1315 war insgesamt ein Zeitalter des Wohlstandes und der günstigen Konjunkturentwicklung. Der kontinuierliche Bevölkerungsanstieg führte in einigen Regionen zu starker Verdichtung der ländlichen Bevölkerung sowie zum Wachstum der Städte. Rodungstätigkeit (Forsten von Aliermont, St-Sever, Brix) führte zum Teil noch zur Entstehung neuer Burgi. Die ländliche Bevölkerung war auch weiterhin in drei Kategorien geteilt:
vavasseurs, villains und bordiers, gemäß der Art ihres Pachtverhältnisses; Leibeigenschaft bestand nicht. Doch führte die demographische und besitzrechtliche Entwicklung zur Zersplitterung der Parzellen und der Trennung der Rechtsstellung der Menschen von der ihres Landes. Im Bereich der Grundherrschaft wurden die Frondienste zunehmend abgelöst. Die Rentabilität der Landwirtschaft wurde durch den Einsatz des Pferdes und die Dreifelderwirtschaft gesteigert. Die N
ormandie (Anfang des 13. Jh.: wohl mehr als 308 000 Feuerstätten) war eine der großen Getreidekammern Frankreichs (Getreide), verfügte über reiche Weinberge (um Gaillon, Vernon) und betrieb Schafhaltung sowie Waidanbau, was den Aufbau des Tuchgewerbes in zahlreichen Städten der Normandie am Ende des 13. Jh. begünstigte. Mit leichten Wollstoffen wie mit Luxustextilien begann die Normandie eine führende Stellung im Königreich einzunehmen. Große Bedeutung hatten Fischfang und Handel, konzentriert auf die Häfen (Rouen, Leure, Dieppe, Barfleur, Regnéville und andere), und die Schiffahrt auf der Seine bis Paris. 1207 hatte Philipp August den Bürgern von Rouen das Handelsmonopol auf der unteren Seine bestätigt, was die Rivalität zu den Pariser Kaufleuten anfachte und dem Königtum ein Druckmittel gegen die Hauptstadt der Normandie in die Hand gab. Der England-Handel wurde durch englisch-französische Feindseligkeiten immer wieder empfindlich gestört.
Die schwere wirtschaftliche (Zusammenbruch der Getreideversorgung) und demographische Krise, die 1315-1317 das gesamte nordwestliche Europa erschütterte, führte in der N
ormandie einen Bevölkerungsrückgang und eine Verlangsamung, nicht aber einen Abbruch des wirtschaftlichen Wachstums herbei. Die Normandie blieb eine dichtbevölkerte, reiche und ruhige Region. Die Differenzierung der städtischen Gesellschaften und das Problem der Steuererhebung rief allerdings in den Städten, namentlich Rouen, heftige Spannungen zwischen der herrschenden Oligarchie und dem 'commun' hervor und nötigte 1321 den König, die städtische Verfassung zugunsten der mittleren Schichten zu modifizieren.                
            
II. Von 1337-1500
[1] Politische Geschichte:
Der Krieg zwischen Frankreich und England (1337-1453; Hundertjähriger Krieg) und die Katastrophen, die ihn begleiteten, führten zu einer tiefgreifenden Wandlung des inneren Gefüges der N
ormandie und ihrer Stellung innerhalb des Königreiches. Die einsetzende Krise artikulierte sich in einer antiköniglichen Opposition, die zu Beginn der Regierung Philipps VI. (1328-1350) von einer Gruppe der Verteidiger der »libertés normandes« getragen wurde. Die Umtriebe dieser aus großen weltlichen und geistlichen Herren bestehenden Gruppierung sollten durch die Einsetzung des jungen Sohnes des Königs, Johann (II.), zum (machtlosen) Herzog von Normandie besänftigt werden. Die in den ersten Kriegsjahren erhobenen Subsidien nötigten das Königtum zu Verhandlungen und zur Erneuerung der Charte von 1315, während die Münzverschlechterungen Unzufriedenheit hervorriefen. Der hohe Adel war durch die Fehde zwischen Geoffroi d' Harcourt und der Familie BERTRAN (ab 1343) gespalten. Weitaus gefährlicher für die Königsmacht waren aber die Umtriebe Karls 'des Bösen', des und Königs von NavarraGrafen von Évreux, der einen Großteil der Normandie kontrollierte und an der Spitze zahlreicher Vasallen und Parteigänger seit 1352 ein doppelzüngiges politisches Spiel zwischen Frankreich und England trieb. Nachdem Karl 1354 (Gewinnung großer Teile des Cotentin) seine Machtbasis erweitert hatte, bemühte sich Johann II., die Situation durch Ernennung des Sohnes, Karl (V.), zum Herzog von Normandie wieder unter Kontrolle zu bringen (1355). Überzeugt von einem gegen ihn gerichteten Komplott der normannischen Großen, ließ der König im April 1356 Karl von Navarra gefangensetzen, den Grafen von Harcourt ohne Prozeß hinrichten, was zur Erhebung eines großen Teils des normannischen Adels führte. Karl, der eine führende Rolle in der Pariser 'Revolution' von 1357-1358 spielte und in Rouen einen Aufstand gegen den Dauphin entfesselte, kommandierte 1358 die Armee, die die Jacquerie niederschlug. Der Krieg, den er anschließend gegen den Dauphin (dann König) Karl V. führte, endete letztlich mit der Niederlage des Heeres des Königs von Navarra (Cocherel, Mai 1364: Verlust der Kontrolle über die Seine zwischen Paris und Rouen). Erst 1378, aufgrund der Aufdeckung einer navarresischen Verschwörung gegen Karl V., wurden alle normannischen Lehen des Königs von Navarra konfisziert, doch konnte er noch Cherbourg an die Engländer ausliefern.
Der 1369 wiederaufgenommene Krieg gegen England (Operationen zur Rückeroberung von St-Sauveur-le-Vicomte, 1375, und Cherbourg, 1394) prägt diese Periode, zusammen mit der schweren politisch-fiskalischen Krise von 1380-1382, in deren Verlauf sich eine breite Aufstandsbewegung der ländlichen wie städtischen Bevölkerung bildete, die in der 'Harelle' (Rouen, Februar 1382) gipfelte. Das von der Repression schwer getroffene Rouen verlor seinen privilegierten Status als Kommune.
Nach mehreren englischen Landungen nach 1400 bekundete Heinrich V. von Lancaster durch seinen Feldzug von 1415 den Willen zur Inbesitznahme seiner Rechtstitel in Frankreich und namentlich in der N
ormandie, deren Adel durch die Schlacht von Azincourt (Agincourt) dezimiert worden war. Der am 1. August 1417 begonnene Eroberungs-Feldzug endete mit der Einnahme von Rouen (nach harter Belagerung) und Château-Gaillard. Für mehr als dreißig Jahre unterstand die Normandie als altes königliches »Erbe« der englischen Herrschaft, wobei es der Statthalter, Herzog Johann von Bedford (1422-1435), durch kluge Politik verstand, manche Belange der Normandie zu fördern (Wiederaufnahme des Seinehandels, Wiederherstellung der États, Gründung der Universität Caen 1432,1436). Doch behielt er die wichtigen militärischen und administrativen Ämter (Baillis) Engländern vor. Blieb die Bewertung der englischen Herrschaft zwischen Rechtfertigung und (aus der Sicht des französischen Patriotismus) scharfer Ablehnung geteilt, so herrscht heute eine differenzierte Betrachtungsweise vor: Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand fand die englische Regierung Unterstützung beim hohen Klerus (mit Ausnahme dreier Bischöfe) sowie bei der Mehrzahl des kleinen und mittleren Adels (der sich unterwarf, um seine Lehen zu behalten), während sich die städtische Führungsschichten eher indifferent verhielten. Gleichwohl kam es verbreitet zu (erbittert verfolgten) Aktionen des Widerstands, dessen wichtigste Träger einige Adlige sowie Handwerker waren, von denen manche das Land verließen. Hochburg der Résistance war der Mont Saint-Michel. Drei große Aufstandsbewegungen zeichnen sich ab: 1434 um Caen und Bayeux; 1436 im Bocage virois (St-Sever); vor allem aber 1435 der von Caruyer geführte Aufstand des Pays de Caux, das sich erst nach dem Waffenstillstand von 1444 von der englischen Repression erholte. Der von der englischen Regierung nach Rouen verlegte Prozeß der Jeanne d'Arc ( 30. Mai 1431) scheint die dortige Öffentlichkeit aufgerüttelt zu haben; neun Monate später bemächtigte sich der Capitaine Ricarville des Stadtschlosses von Rouen.

[2] Wirtschafts- und Sozialgeschichte:
Die N
ormandie gewann, auf dem Hintergrund starker sozioökonomischer Wandlungen, ihren alten Wohlstand zurück, der auf den Wirtschaftszweigen der Landwirtschaft, Viehhaltung, Tuchverarbeitung, des Eisengewerbes und (See-) Handels beruhte. Das normannische Tuchgewerbe hatte die Spitzenstellung im Königreich inne (wichtigste Standorte: Montivilliers, Rouen, Louviers, Bernay; Caen, St-Lô); seine Erzeugnisse konkurrierten mit den Tuchen aus Brabant und England. Ein Wiederaufstieg des Seehandels setzte (nach kurzzeitiger Wiederbelebung des Handelsmonopols von Rouen unter Bedford) erst ein mit dem Vertrag von Picquigny (1475), der die Feindseligkeiten zwischen Frankreich und England beendete. Doch sorgte der französisch-burgundische Konflikt auch danach noch für Störungen. Die wichtigsten Handelspartner der Normandie waren die Britischen Inseln (Ausfuhr von Wein, Leinwand, Eisen und Manufakturwaren; Einfuhr von Häuten und Leder, Alabaster, Zinn, Tuchen, Fisch), die nördlichen Länder (Flandern, Brabant, Seeland, Hansegebiet und Ostseeanrainer), die atlantischen Länder bis hin nach Portugal (Salz, Südweine, Früchte) sowie der westliche Mittelmeerraum. Die Normandie betrieb vor allem den Export ihrer reichen Eigenprodukte, daneben aber auch Zwischenhandel. Führend waren die alten Kaufmanns-Geschlechter aus Rouen und Dieppe, aber auch neue Familien (Caradas, Dufour, Le Seigneur, Le Pelletier).
Hinsichtlich der demographischen Entwicklung liegen für die Haute-N
ormandie eingehendere Ergebnisse anhand der Feuerstättenverzeichnisse vor: Ausgehend von einem Index 100 zu 1314, ist die Bevölkerung 1347 (nach der Krisenperiode von 1315-1317) auf 97, 1380 (zum Teil durch die Schwarze Pest von 1348-1350) auf 43 abgesunken, nach 1435 (infolge der unsicheren Zustände, der Pest und der engl. Pression) auf den katastrophalen Tiefstand von 25-30. In anderen Landesteilen der Normandie muße eine ähnlich negative Entwicklung angenommen werden.In derländlichen Geseelschaft verschärfte sich die Spaltung zwischen den laboureurs, den mit Pferden ausgestatteten Bauern, und den auf ihre Handarbeit angewiesenen Tagelöhnern. Entscheidender Faktor der ländlichen Wirtschaft waren die vom Grundherrn, König und Kirche einbehaltenen Abzüge, die um 1350 ca. 40-50% des erwirtschafteten Mehrprodukts betrugen. Der Krieg verstärkte stark ihr Gewicht; sie dürften eine Hauptursache für den wirtschaftlichen Niedergang und die Krise gebildet haben. Demgegenüber vollzog sich zwischen 1450 und 1500 ein kraftvoller demographischer Aufschwung (Erreichung des Index 50 um 1500). Er ließ, verbunden mit der Wiederbesiedlung von Anbauflächen, dem Wiederaufbau der grundherrlichen Wirtschaft und dem Anstieg der Getreidepreise, die landwirtschaftlichen Erträge bis 1500 wieder emporschnellen.
H. Dubois


Im Jahrhundert von Normannen erobert, seit 911 Herzogtum, 1135-1204 bei England, 1204 von Frankreich als erledigtes Lehen eingezogen.
 

Robert l.(Rollo)                                   911- 931
Wilhelm I. Langschwert                     931- 942
Richard I. Ohnefurcht                        942- 996
Richard II. der Gute                           996-1026
Richard III.                                       1026-1027
Robert II. der Großartige                  1027-1035
Wilhelm II. der Eroberer                  1035-1087
Robert III. Kurzhose                         1087-1106
Heinrich I. von England                    1106-1135