Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 1241
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Normandie
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A. Hochmittelalter
I. Vom spätkarolingischen Regnum zum feudalen Herzogtum (911-1066)
[1] Die Anfänge:
Die Gründung der Normandie beruhte zum einen auf dem Bestreben der
westfränkischen KAROLINGER, die
Übergriffe und Erpressungen der Normannen
im Pariser Becken zu mildern, zum andern auf den Ambitionen eines
bedeutenden skandinavischen, wohl aus Norwegen stammenden
Adels-Geschlechtes. 911
vor Chartres besiegt, schloß
Rollo,
Anführer eines dänischen
Normannen-Verbandes, mit König
Karl 'dem Einfältigen'
zu
St-Clair-sur-Epte ein Abkommen, das den Normannen das Gebiet im Bereich
Rouens und der Seinemündung (der heutigen Haute-Normandie)
zusicherte, unter
der Voraussetzung, die Taufe zu nehmen und die Seine für die
anderen Wikinger-Gruppen zu sperren. Hinzu trat 924 und 933 die
Abtretung der Basse-Normandie durch König
Rudolf; damit waren
die Grenzen des
Fürstentums Normandie
umschrieben, mit Ausnahme des um 1050 hinzuerworbenen Passais.
Zum Zeitpunkt der normannischen Machtübernahme war das Gebiet zwar
nicht
völlig verödet, hatte aber starke Zerstörungen erlitten.
Abgesehen von Einzelfällen wie dem Erzbistum Rouen, waren die
weltlichen
und geistlichen Führungsgruppen großenteils verschwunden.
Die
ersten Normannen-Fürsten,
Rollo (911-932) und sein
Sohn Wilhelm
'Langschwert' (ca. 932-942), die zugleich Grafen
von Rouen waren,
mußten ihre Machtstellung im wesentlichen auf die Haute-Normandie
beschränken. In den übrigen Landesteilen dominierten andere,
gegnerische Normannen-Verbände (Dänen aus England und Norweger aus
dem wikingischen Irland). Der Norden
des Cotentin und das Pays de Caux wurden (im
wesentlichen auf der Ebene der Führungsschichten) am
stärksten
von skandinavischer Kolonisation geprägt. Die Ermordung Wilhelms
(942) und
die Minderjährigkeit Richards
I.
boten Gelegenheit für einen
Rückgewinnungsversuch des
westfränkischen KAROLINGERS
Ludwig IV.,
der
aber scheiterte.
[2] Der Aufbau des Herzogtums und die beginnende
Kirchenreform:
Die Entwicklung des Fürstentums gewann gegen Ende des 10. Jh.
stärkere Dynamik. Einer ersten, eher »konservativen«
Phase unter Richard I. († 996)
folgte eine Periode systematischen Aufbaus
unter Richard II. (996-1026).
Die Machtausübung
der 'principes
Normannorum' beruhte einerseits auf für sie günstigen,
aus
der Wikinger-Periode überkommenen Vorrechten, so dem Recht des
ullac (Verbannung von Rebellen
und Konfiskation ihrer Güter),
andererseits auf den ihnen als Grafen von Rouen übertragenen
fränkischen
Grafschaftsrechten (Graf, -schaft). Dieses doppelte Erbe wurde zu einer
neuen Fürstengewalt verschmolzen, die sich zunächst als
karolingisches
'regnum' darstellte, in dem
der Fürst eine gleichsam königliche Position
einnahm und den öffentlichen Frieden, gestützt auf das
Gefüge der fränkischen Institutionen und Gesetze, zu wahren
hatte. Der
Aufbau des Fürstentums beruhte auf einem doppelten Erwerb von
Fürstentiteln: Die Würde des 'marchio' (Markgraf; Mark) gab den
Fürsten der Normandie
seit 965/968 das Recht, selbst Grafen zu ernennen und im
Innern eines Regnum die Befehlsgewalt auszuüben. Der Titel des
Herzogs (Herzog, -tum), der erst nach dem Beginn des kapetingischen
Königtums (987)
auftritt, stellte sie unmittelbar zur Rechten des Königs, dem sie
in den
Marken ein wenig bindendes Homagium leisteten.
Die fürstliche
Zentralregierung wurde auf die drei Pfalzen, die am Ende des 10. bzw.
Anfang des 11. Jh. errichtet wurden, konzentriert:
Rouen und
Fécamp, die beiden bedeutenderen, lagen in der Haute-Normandie,
dem
Kerngebiet, Bayeux in der Basse-Normandie.
Entsprechend
anderen Fürstentümern
wurde eine 'curia' geschaffen.
Die 'camera' (Finanz, -wesen)
machte die
immensen herzöglichen Einkünfte (indirekte und direkte
Steuern: graverie
und Einnahmen aus dem reichen herzoglichen Domanialbesitz, der 911
nicht
zuletzt aus königlichem Fiskalgut an die Fürsten
übergegangen war) zentral
verfügbar. Seit ca. 1000 fungierten lokale Amtleute. Die
Verwaltung der Pagi des
Grenzgebiets oblag der Herzogs-Familie
entstammenden Grafen; bei großer Machtbefugnis blieben sie -
ebenso wie die herzöglichen 'vicecomites'
in den übrigen Pagi -
absetzbar.
Dieser Ausbau der institutionellen Gewalt ist nicht trennbar von der
Wiederherstellung der kirchlichen Einrichtungen, deren erster
großer
Kristallisationskern die Abtei Fécamp war. Richard I. leitete
(nach zögernden Anfängen) eine gezielte Klosterpolitik ein
(Fontenelle, Mont St-Michel), doch kam auch hier der Durchbruch erst
mit Richard II., der
sich beim
Aufbau des Landes auf die monastischen
Kräfte stützte. Seit ca. 1001 führte der eng mit Cluny
verbundene Wilhelm von Volpiano
als Abt des exemt gewordenen
Fécamp die monastische Reform durch (Benediktiner, A.I; B. II),
die
zunächst die östliche, dann die mittlere (Bernay) und
westliche Normandie
erfaßte.
Die Restauration von Mönchtum und Kirche wurde begünstigt
durch den wirtschaftlichen und demographischen Aufschwung. Die
Bevölkerung
wuchs seit dem späten 10. Jh. und frühen 11. Jh.;
die (bereits miteinander verschmolzene) normannisch-fränkische
Aristokratie wurde
durch die Ansiedlung von Immigranten zielbewußt erneuert. Durch
eine mögliche Privilegiengewährung von seiten des Herzogs
entgingen die Bauern vielfach der Leibeigenschaft. Der Reichtum der
Münzprägung des frühen Herzogtums Normandie
ist exzeptionell und
wurde bis 1025/30 nicht zuletzt durch die fortdauernden Beziehungen zum
nordwesteuropäischen Bereich begünstigt. Die ersten
herzoglichen Burgi wurden
um 1025/30 gegründet und führten zur Entstehung neuer
Städte
(Caen). Das hohe Ansehen, das der zweimal als 'monarchus' und 'rex'
intitulierte Richard II.
genoß, wird bezeugt durch die Heirat
seiner Schwester Emma mit
dem angelsächsischen König
Ethelred II.
[3] Das Feudalsystem:
Unter dem Druck einer nach Macht
strebenden Aristokratie wandelte sich in den zwei Jahrzehnten von etwa
1030 bis 1050 das bis dahin auf den herzoglichen Palast bezogene
Herrschaftssystem durch die Errichtung der Feudalität, die die
Grundlagen der Herzogsmacht zunehmend modifizierte. Dieser Prozeß
wurde von im Heiligen Land und die
Minderjährigkeit Herzog
Robert (1027-1035), der
sich methodisch der
Feudalinstitutionen zur Festigung der eigenen Autorität bediente,
stark gefördert, gewann aber rasch Eigendynamik und wurde, vor
allem
durch den eigenmächtigen Burgenbau (Burg) der Adligen, zu einem
Faktor der Desintegration. Dieser Umschlag der Entwicklung setzte ein,
als die Herzogsgewalt durch den Tod Herzog
Roberts seines Sohnes
Wilhelms
'des Bastards' (Wilhelm
'der Eroberer') eine Schwächung erfuhr (Errichtung von
Motten und
Aufstände der Barone in der Basse-Normandie).
Im Zuge der
Wiederherstellung der herzoglichen Machtstellung intensivierte Wilhelm die
Verbindungen mit der Kirche, indem er den Gottesfrieden, der zugleich
herzoglicher Friede war, verkündete und konkreten
Kirchenreformzielen
(Einsetzung eines den neuen Ideen aufgeschlossenen Erzbischofs) zum
Durchbruch verhalf. Er festigte zugleich die Feudalität,
ließ illegal errichtete Burgen brechen und überwachte die
Bildung von Ritterlehen, doch gewann das »normannische
Feudalsystem« erst nach 1066 seine sprichwörtliche Strenge.
Eine Gruppe von Baronen stieg innerhalb
der 'militia' der herzoglichen
fideles
auf.
Ihre Beziehungen zum Fürsten waren noch vorwiegend personaler
Art,
doch setzte ein Prozeß der Verdinglichung ein:
Wilhelm ist
1055
»König in seinem ganzen Land«. Die dem Fürsten
geschuldeten
Dienste blieben noch undefiniert. Die Institution des feudalen
Aufgebots, der 'militia',
lieferte dem Herzog die schwere, bei Hastings
schlachtentscheidende Kavallerie, war aber noch längst nicht
genügend systematisiert, um das gesamte Herrschaftsgebiet zu
erfassen. Der Erwerb der Grafschaft Maine (1063) bestätigte die
Machtstellung des Herzog von
Normandie.
II. Die Normandie im Staatsverband der Anglonormannen und Plantagenet
(1066-1204)
[1] Politische Krisen und Erneuerung der Fürstengewalt:
Der Sieg von Hastings (1066) verlieh Wilhelm 'dem Eroberer' den Thron
des Königreiches England, den er nach dem Tode Eduards
'des Bekenners'
aufgrund des Erbrechts gefordert hatte. Er behielt jedoch das
Herzogtum Normandie
in seiner Hand und gestaltete es zu einem starken feudalen
Fürstentum aus,
mit Ausnahme der Marken, denen eine gewisse Autonomie zugebilligt
wurde. Zwei Krisen in der Ausübung der öffentlichen Gewalt
bedrohten das von Wilhelm
geschaffene Werk. Die erste Krise begann nach
dem Tod des
Eroberers (1087), als Wilhelm II. 'Rufus', der als
2. Sohn
das Königreich England erhalten hatte, bestrebt war, den
älteren Bruder
Robert 'Courteheuse' als Herzog auszuschalten und
die Vereinigung beider
Länder wiederherzustellen. Der jüngste
Bruder, Heinrich I.,
der vom Tode Wilhelms
II. (1100) profitierte und 1106 Robert
besiegte,
gewann schließlich den anglonormannischen Gesamtbesitz. Heinrichs Tod
(1135) löste aber erneut eine Krise aus. Ein Teil des Baronagiums
lehnte die Erbfolge seiner Tochter,
der Kaiserin Mathilde, in 2. Ehe Gattin
des Grafen von Anjou, Gottfried Plantagenet,
ab und unterstützte
Stephan von
Blois, der (in weiblicher Linie) Enkel Wilhelms
des Eroberers
war. 1150 fand diese spannungsvolle Periode mit der Thronbesteigung
Heinrichs II. Plantagenet,
des Sohnes von Mathilde
und Gottfried,
ihr Ende. Heinrich
beherrschte bald auch das Anjou
(1151), Aquitanien
(1152) und England (1154) (sogenanntes Angevinisches Reich). Hatten
die
Krisenzeiten die Emanzipation der Aristokratie begünstigt, so
gelang es doch der öffentlichen Gewalt unter den tatkräftigen
Herrscherpersönlichkeiten Heinrich
I.
und Heinrich
II., ihre
Prärogativen wiederherzustellen und die Lehen der
unbotmäßigen Herren zu konfiszieren. Dieses Befriedungswerk
stützte sich auf die Errichtung mächtiger Burgen, die im
Kerngebiet oder an den Grenzen angelegt wurden, sowie auf die
methodischen
Nutzbarmachung der feudalen Vorrechte durch die Herzogsgewalt.
B.
Spätmittelalter
I. Von 1204-1337
[1] Politische Geschichte:
Durch die kapetingische
Eroberung von 1203/04, die nicht die Kanalinseln
erfaßte, trat König
Philipp II. August
in die Rechte des Herzogs
von Normandie ein, nahm aber nicht den Titel an, um auf diese Weise
seinen
Willen zu bekunden, daß die neueroberte Provinz keinerlei
politische
Autonomie erhalten solle. Die Könige
von Frankreich, Philipp
August und
noch Ludwig IX.,
verpflichteten den Adel bei Strafe der Konfiskation,
sich zwischen der Vasallität zu Frankreich oder England zu
entscheiden,
das heißt entweder ihre Lehen in England oder aber der Normandie
aufzugeben. Nach
Schätzungen optierte insgesamt die Hälfte der Barone und ein
Zehntel der übrigen Lehnsleute (das heißt einige hundert)
für die
PLANTAGENET;
nur sehr wenigen normannischen Familien gelang es, in beiden
Königreichen je einen Zweig aufrechtzuerhalten. Parteigänger
des Königs von
England traten noch 1213 und 1229-1230 in Erscheinung; nach dem Frieden
von Paris (1259) zwischen Ludwig
IX.
und Heinrich III. war aber
gleichsam der
volle Anschluß der Normandie
an Frankreich erreicht. Die Bischöfe und
Äbte der Normandie akzeptierten gern die neue Herrschaft, die
ihnen die
Freiheit der Bischofswahlen garantierte und den Mißbräuchen
des
Regalienrechts ein Ende setzte. Den Klöstern wurde die
Beibehaltung ihrer
Güter in England zugestanden. Im städtischen Bereich, der
ohne
starke kommunale Tradition war, blieben nur sieben Kommunen erhalten,
zumeist unter dem Recht der Établissements
de Rouen.
Im 13. Jh. behandelte das
französische Königtum die
überkommenen normannischen
Institutionen mit Fingerspitzengefühl. Die Baillis blieben in
Funktion (bis 1250 fungierten als solche aber ausschließlich
Franzosen). Der Échiquier
erhielt sich ebenfalls, jedoch unter
dem Vorsitz von Räten aus Paris. Die »Coutume de Normandie«
(Coutumes) wurde vom
französischen Königtum respektiert (mehrere offizielle
Redaktionen, die älteste im »Très Ancien
Coutumier«, 1203-1204),
jedoch durch die Bestimmungen
mehrerer königlichen
Ordonnances ergänzt. Die
königliche Fiskalpolitik war bis ca.
1270
zurückhaltend und beschränkte sich weitgehend auf die
überkommenen normannischer Steuern und Abgaben. Die neue
politische Situation
eröffnete dem Königtum unterschiedliche Möglichkeiten
der
Kontrolle:
Ernennung von Baillis,
Verleihung und Verpachtung von
Besitzungen der herzoglichen Domäne, besonders aber Errichtung von
Apanagen.
Auf diese Weise wurden die Grafschaften Alençon (1269,1291),
Évreux (1298), Longueville (1315) und Mortain (1318) an
Mitglieder des kapetingischen Königs-Hauses
ausgetan. Bei der Vergabe der sehr
ertragreichen normannischen Bischofs- und Abtswürden sorgten die
Könige für
die Berücksichtigung ihrer Vertrauten (zum Beispiel Erzbischof Eudes
Rigaud).
Die politischeEntwicklung nach der
Regierung Ludwigs des
Heiligen
ist
untrennbar mit der sich verschärfenden Fiskalität verbunden
(Kriegskosten: Guyenne, Flandern; seit
1292 System des
arrière-ban), wobei
diese Besteuerung der Zustimmung der
Vertreter der Untertanen bedurfte. 1283 bewilligte die Kommune von
Rouen
noch eine königliche maltôte,
1286 und vor allem 1292 (städtischer
Aufstand) führte die Verweigerung neuer Steuern dagegen zum
Konflikt mit dem König, der Rouen die Kommune aberkannte. 1308
bestritten
die Normannen die Berechtigung der Aide für die Heirat der
Prinzessin Isabella. Hinzu traten
Beschwerden über den
abhängigen Status des Échiquier
und die enorme Bereicherung
des führenden königlichen
Rates Enguerran de
Marigny im Gebiet von Rouen.
Aus diesen Gründen beteiligte sich die Normandie
nach dem Tode Philipps
des Schönen an der Bewegung der adligen Ligen. König Ludwig X.
gestand der Normandie am
15. März 1315 die »Charte
aux
Normands« mit
Schutzbestimmungen gegen Steuer- und
Beamtenwillkür zu. Dieses von den Königen stets
bestätigte
Landesprivileg ist, wenn es auch in der Praxis nur unzureichend
angewandt wurde, ein Markstein der normannischen Identität.
[2] Wirtschafts- und
Sozialgeschichte:
Die Periode von 1204 bis 1315 war
insgesamt ein Zeitalter des
Wohlstandes und der günstigen Konjunkturentwicklung. Der
kontinuierliche Bevölkerungsanstieg führte in einigen
Regionen
zu starker Verdichtung der ländlichen Bevölkerung sowie zum
Wachstum der Städte. Rodungstätigkeit (Forsten von Aliermont,
St-Sever, Brix) führte zum Teil noch zur Entstehung neuer Burgi. Die
ländliche Bevölkerung war auch weiterhin in drei Kategorien
geteilt:
vavasseurs, villains und bordiers, gemäß der Art
ihres Pachtverhältnisses; Leibeigenschaft bestand nicht. Doch
führte die demographische und besitzrechtliche Entwicklung zur
Zersplitterung der Parzellen und der Trennung der Rechtsstellung der
Menschen von der ihres Landes. Im Bereich der Grundherrschaft wurden
die Frondienste zunehmend abgelöst. Die Rentabilität der
Landwirtschaft wurde durch den Einsatz des Pferdes und die
Dreifelderwirtschaft gesteigert. Die Normandie
(Anfang des 13. Jh.: wohl
mehr als 308 000 Feuerstätten) war eine der großen
Getreidekammern Frankreichs (Getreide), verfügte über reiche
Weinberge (um Gaillon, Vernon) und betrieb Schafhaltung sowie
Waidanbau, was den Aufbau des Tuchgewerbes in zahlreichen Städten
der Normandie am Ende des
13. Jh. begünstigte. Mit leichten
Wollstoffen wie mit Luxustextilien begann die Normandie
eine führende
Stellung im Königreich einzunehmen. Große Bedeutung hatten
Fischfang
und Handel, konzentriert auf die Häfen (Rouen, Leure, Dieppe,
Barfleur, Regnéville und andere), und die Schiffahrt auf der
Seine
bis Paris. 1207 hatte Philipp
August den
Bürgern von Rouen das
Handelsmonopol auf der unteren Seine bestätigt, was die
Rivalität zu den Pariser Kaufleuten anfachte und dem Königtum
ein
Druckmittel gegen die Hauptstadt der Normandie
in die Hand gab. Der
England-Handel wurde durch englisch-französische Feindseligkeiten
immer wieder
empfindlich gestört.
Die schwere wirtschaftliche (Zusammenbruch der Getreideversorgung) und
demographische Krise, die 1315-1317 das gesamte nordwestliche Europa
erschütterte,
führte in der Normandie
einen Bevölkerungsrückgang und eine
Verlangsamung, nicht aber einen Abbruch des wirtschaftlichen Wachstums
herbei. Die Normandie blieb
eine dichtbevölkerte, reiche und ruhige
Region. Die Differenzierung der städtischen Gesellschaften und das
Problem der Steuererhebung rief allerdings in den Städten,
namentlich Rouen, heftige Spannungen zwischen der herrschenden
Oligarchie und
dem 'commun' hervor und
nötigte 1321 den König, die städtische
Verfassung zugunsten der mittleren Schichten zu
modifizieren.
II. Von 1337-1500
[1] Politische Geschichte:
Der Krieg zwischen Frankreich und
England (1337-1453; Hundertjähriger
Krieg) und die Katastrophen, die
ihn begleiteten, führten zu
einer
tiefgreifenden Wandlung des inneren Gefüges der Normandie
und ihrer
Stellung innerhalb des Königreiches. Die einsetzende Krise
artikulierte sich
in einer antiköniglichen Opposition, die zu Beginn der Regierung Philipps VI.
(1328-1350) von einer Gruppe der
Verteidiger der »libertés
normandes« getragen wurde. Die Umtriebe dieser aus
großen
weltlichen und geistlichen Herren bestehenden Gruppierung sollten durch
die
Einsetzung des jungen Sohnes des
Königs, Johann (II.), zum (machtlosen)
Herzog von Normandie
besänftigt werden. Die in den ersten Kriegsjahren
erhobenen Subsidien nötigten das Königtum zu Verhandlungen
und zur
Erneuerung der Charte von 1315, während die
Münzverschlechterungen Unzufriedenheit hervorriefen. Der hohe Adel
war durch die Fehde zwischen Geoffroi
d' Harcourt und der Familie
BERTRAN
(ab 1343) gespalten. Weitaus gefährlicher für die
Königsmacht waren aber die Umtriebe Karls
'des Bösen', des
und Königs von NavarraGrafen
von Évreux, der einen
Großteil
der Normandie kontrollierte
und an der Spitze zahlreicher Vasallen und
Parteigänger seit 1352 ein doppelzüngiges politisches Spiel
zwischen
Frankreich und England trieb. Nachdem Karl 1354
(Gewinnung großer
Teile des Cotentin) seine Machtbasis erweitert hatte, bemühte sich
Johann II., die
Situation durch Ernennung des Sohnes,
Karl
(V.), zum
Herzog von Normandie wieder
unter Kontrolle zu bringen (1355). Überzeugt von
einem gegen ihn gerichteten Komplott der normannischen Großen,
ließ
der König im April 1356 Karl
von Navarra
gefangensetzen, den Grafen von
Harcourt ohne Prozeß hinrichten, was zur Erhebung eines
großen Teils des normannischen Adels führte. Karl, der
eine
führende Rolle in der Pariser 'Revolution' von 1357-1358 spielte
und
in Rouen einen Aufstand gegen den Dauphin
entfesselte, kommandierte
1358 die Armee, die die Jacquerie
niederschlug. Der Krieg, den er
anschließend gegen den Dauphin
(dann König) Karl V.
führte,
endete letztlich mit der Niederlage des Heeres des Königs von
Navarra
(Cocherel, Mai 1364: Verlust der Kontrolle über die Seine zwischen
Paris
und Rouen). Erst 1378, aufgrund der Aufdeckung einer navarresischen
Verschwörung gegen Karl V.,
wurden alle normannischen Lehen des Königs von
Navarra konfisziert, doch konnte er noch Cherbourg an die
Engländer ausliefern.
Der 1369 wiederaufgenommene Krieg gegen England (Operationen zur
Rückeroberung von St-Sauveur-le-Vicomte, 1375, und Cherbourg,
1394) prägt diese Periode, zusammen mit der schweren
politisch-fiskalischen Krise von 1380-1382, in deren Verlauf sich eine
breite
Aufstandsbewegung der ländlichen wie städtischen
Bevölkerung
bildete, die in der 'Harelle'
(Rouen, Februar 1382) gipfelte. Das von der
Repression schwer getroffene Rouen verlor seinen privilegierten Status
als Kommune.
Nach mehreren englischen Landungen nach 1400 bekundete Heinrich V. von
Lancaster durch seinen Feldzug von 1415 den Willen zur
Inbesitznahme
seiner Rechtstitel in Frankreich und namentlich in der Normandie,
deren Adel
durch die Schlacht von Azincourt (Agincourt) dezimiert
worden war. Der
am 1. August 1417 begonnene Eroberungs-Feldzug endete mit der Einnahme
von
Rouen (nach harter Belagerung) und Château-Gaillard. Für
mehr als dreißig Jahre unterstand die Normandie
als altes königliches
»Erbe« der englischen Herrschaft, wobei es der Statthalter,
Herzog
Johann von Bedford
(1422-1435), durch kluge Politik verstand, manche
Belange der Normandie zu
fördern (Wiederaufnahme des Seinehandels,
Wiederherstellung der États, Gründung der Universität
Caen 1432,1436). Doch behielt er die wichtigen militärischen und
administrativen
Ämter (Baillis)
Engländern vor. Blieb die Bewertung der englischen
Herrschaft zwischen Rechtfertigung und (aus der Sicht des
französischen Patriotismus)
scharfer Ablehnung geteilt, so herrscht heute eine differenzierte
Betrachtungsweise vor: Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand fand
die englische Regierung Unterstützung beim hohen Klerus (mit
Ausnahme
dreier Bischöfe) sowie bei der Mehrzahl des kleinen und mittleren
Adels
(der sich unterwarf, um seine Lehen zu behalten), während sich die
städtische Führungsschichten eher indifferent verhielten.
Gleichwohl kam es verbreitet zu (erbittert verfolgten) Aktionen des
Widerstands, dessen wichtigste Träger einige Adlige sowie
Handwerker waren, von denen manche das Land verließen. Hochburg
der Résistance war der Mont Saint-Michel. Drei große
Aufstandsbewegungen zeichnen sich ab: 1434 um Caen und Bayeux; 1436 im
Bocage virois (St-Sever); vor allem aber 1435 der von Caruyer
geführte
Aufstand des Pays de Caux, das sich erst nach dem Waffenstillstand von
1444 von der englischen Repression erholte. Der von der englischen
Regierung nach
Rouen verlegte Prozeß der Jeanne
d'Arc († 30.
Mai 1431) scheint
die dortige Öffentlichkeit aufgerüttelt zu haben; neun Monate
später bemächtigte sich der Capitaine
Ricarville des
Stadtschlosses von Rouen.
[2]
Wirtschafts- und Sozialgeschichte:
Die Normandie gewann, auf
dem Hintergrund starker sozioökonomischer Wandlungen, ihren alten
Wohlstand zurück, der auf den Wirtschaftszweigen der
Landwirtschaft, Viehhaltung, Tuchverarbeitung, des Eisengewerbes und
(See-) Handels beruhte. Das normannische Tuchgewerbe hatte die
Spitzenstellung
im Königreich inne (wichtigste Standorte: Montivilliers, Rouen,
Louviers,
Bernay; Caen, St-Lô); seine Erzeugnisse konkurrierten mit den
Tuchen aus Brabant und England. Ein Wiederaufstieg des Seehandels
setzte (nach kurzzeitiger Wiederbelebung des Handelsmonopols von Rouen
unter Bedford) erst ein mit dem Vertrag von Picquigny
(1475), der die
Feindseligkeiten zwischen Frankreich und England beendete. Doch sorgte
der
französisch-burgundische Konflikt auch danach noch für
Störungen. Die
wichtigsten Handelspartner der Normandie
waren die Britischen Inseln (Ausfuhr von
Wein, Leinwand, Eisen und Manufakturwaren; Einfuhr von Häuten und
Leder, Alabaster, Zinn, Tuchen, Fisch), die nördlichen Länder
(Flandern, Brabant, Seeland, Hansegebiet und Ostseeanrainer), die
atlantischen Länder bis hin nach Portugal (Salz, Südweine,
Früchte) sowie der westliche Mittelmeerraum. Die Normandie
betrieb vor allem den
Export ihrer reichen Eigenprodukte, daneben aber auch Zwischenhandel.
Führend waren die alten Kaufmanns-Geschlechter aus Rouen und
Dieppe, aber auch neue Familien (Caradas, Dufour, Le Seigneur, Le
Pelletier).
Hinsichtlich der demographischen Entwicklung liegen für die Haute-Normandie
eingehendere Ergebnisse anhand der Feuerstättenverzeichnisse vor:
Ausgehend von einem Index 100 zu 1314, ist die Bevölkerung 1347
(nach der Krisenperiode von 1315-1317) auf 97, 1380 (zum Teil durch die
Schwarze Pest von 1348-1350) auf 43 abgesunken, nach 1435 (infolge der
unsicheren Zustände, der Pest und der engl. Pression) auf den
katastrophalen Tiefstand von 25-30. In anderen Landesteilen der
Normandie muße eine ähnlich negative Entwicklung angenommen
werden.In derländlichen Geseelschaft verschärfte sich die
Spaltung zwischen den laboureurs, den mit Pferden
ausgestatteten Bauern, und den auf ihre
Handarbeit angewiesenen Tagelöhnern. Entscheidender Faktor der
ländlichen Wirtschaft waren die vom Grundherrn, König und
Kirche
einbehaltenen Abzüge, die um 1350 ca. 40-50% des erwirtschafteten
Mehrprodukts betrugen. Der Krieg verstärkte stark ihr Gewicht; sie
dürften eine Hauptursache für den wirtschaftlichen Niedergang
und
die Krise gebildet haben. Demgegenüber vollzog sich zwischen 1450
und
1500 ein kraftvoller demographischer Aufschwung (Erreichung des Index
50 um
1500). Er ließ, verbunden mit der Wiederbesiedlung von
Anbauflächen, dem Wiederaufbau der grundherrlichen Wirtschaft und
dem
Anstieg der Getreidepreise, die landwirtschaftlichen Erträge bis
1500
wieder emporschnellen.
H. Dubois
Robert
l.(Rollo)
911- 931
Wilhelm I.
Langschwert
931- 942
Richard I.
Ohnefurcht
942- 996
Richard II. der
Gute
996-1026
Richard
III.
1026-1027
Robert II. der
Großartige
1027-1035
Wilhelm II. der
Eroberer
1035-1087
Robert III.
Kurzhose
1087-1106
Heinrich I. von
England
1106-1135