MAINE, GRAFSCHAFTt
Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte
129
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Maine
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Landschaft (ehemalige Grafschaft) in West-Frankreich mit
Bischofssitz und städtischem Zentrum Le Mans
[1] Von den Anfängen bis in die Karolingerzeit:
Die Grafschaft Maine ging wie die Diözese Le Mans hervor aus dem Pagus Cenomanensis, in dem bereits
in früher Zeit die benachbarte der Diablintes aufgegangen war und
der im wesentlichen die Gebiete der
heutigen Départements Sarthe und Mayenne umfaßte. Die
Christianisierung setzte im 3. Jh. ein. Seit dem Ende des
4. Jh. siedelte sich unter den gallorömischen Bewohnern
Barbarenbevölkerung an (später wohl Kleinreich des Civitas Franken Rignomer, † 487). Wie das benachbarte
Anjou
(Angers, Anjou) hatte auch Maine
im MEROWINGER-Reich
infolge der Teilungen ein wechselvolles Schicksal. Möglicherweise
wurde die stark frankisierte Region unter Pippin III.
bzw. KARL DEM
GROSSEN in die »Bretonische Mark« (Bretagne, A.I) einbezogen. Maine war
843 Schauplatz des Hoftags von Coulaines bei Le Mans, auf dem die
Großen Kaiser KARL DEN KAHLEN ihren
Willen aufzwangen. Die Fürsten
der Bretagne, Nominoë
und Erispoë,
nutzten wohl
die Situation aus, um Le Mans anzugreifen (845,851). Fast zum gleichen
Zeitpunkt setzten die Einfälle der Normannen
ein. KARL DER
KAHLE suchte die Lage zu stabilisieren, indem er für seinen
Sohn Ludwig
den Stammler, der eine
Tochter Erispoës
heiratete, ein kleines Regnum
schuf. Doch empörte
sich der junge König und wurde von Robert dem Tapferen, dem Grafen von Tours, aus Le Mans
vertrieben (852). Die Bretonen behaupteten ihre Herrschaft im Westen
des Maine bis ca. 900. Im Kampf gegen die Normannen, die in Maine einfielen,
fand Robert der Tapfere
866
bei Brissarthe den Tod. Seit Beginn des 10. Jh. haben sich die
fürstlichen Gewalten (Fürst, Fürstentum) stabilisiert.
[2] Die Grafschaft Maine im Hoch- und Spätmittelalter:
Die Anfänge der Grafengewalt (über die Befugnisse des karolingischen
Amtsgrafen hinaus) werden mit Roger
(spätes 9. Jh.) greifbar. Die Grafen des 10. Jh.,
von
denen einige wohl von Roger
abstammen, hatten Mühe, sich gegen die Vizegrafen von
Maine, die
Bischöfe von Le Mans und die Umtriebe der Kastellane zu behaupten.
Die Schwäche der Grafengewalt ließ das Maine »zur leichten
Beute
der starken Nachbarn, vor allem der Herzöge von Normandie, der
Grafen von Anjou und der Grafen von Blois, werden. Noch die beiden
mächtigeren Grafen des 11. Jh., Herbert
»Éveille-chien« und Hugo IV., sahen sich
ständiger
Bedrohung ausgesetzt. Die Herzöge von Normandie besetzten mehrmals
die Stadt Le Mans und brachten Mitglieder der großen
normannischen Familie der BELLEME
auf den Bischofssitz. Erbfolgestreitigkeiten führten wiederholt zu
Interventionen äußerer Mächte.
1100 heiratete die Erb-Tochter des Maine,
Ehrembourg (die
sagenberühmte 'Haremburgis'),
den Grafen von Anjou, Fulco V.; dies
führte zum Zusammenschluß der Grafschaften Anjou und Maine unter dem
mächtigen Hause PLANTAGENET.
1206 besetzte König Philipp II. von
Frankreich die beiden Grafschaften, wobei er aber Le Mans
vorübergehend der Witwe von
Richard Löwenherz, Berenguela, als Wittum
überließ. Maine
wurde gemeinsam mit Anjou zunächst der Krondomäne
einverleibt, 1246-1291 aber als Apanage an den Bruder Ludwigs
des Heiligen, Karl I. von
Anjou,
und dessen Sohn Karl II.
ausgetan. Im
Zuge der angevinischen
Eroberung des Königreiches Sizilien empfingen aus Maine stammende
Gefolgsleute der ANJOU-Könige
Lehen in Sizilien.
Siedlung und Wirtschaft erlebten in Maine
- ähnlich wie in anderen Gebieten Frankreichs -
durch Rodung und Landesausbau einen starken Aufschwung, ohne daß
es aber zur Bildung neuer Pfarreien kam. Der Aufstieg der
Kastellanen-Familien (LAVAL,
MAYENNE und andere) fand
seinen Ausdruck
in der Errichtung von befestigten Burgus-Siedlungen (bourgs castraux), oft ausgestattet
mit einer Kollegiatkirche. Seit der Gregorianischen Reform, von der die
Abteien stärker profitierten als die Bischöfe von Le Mans,
wurde eine Vielzahl von Prioraten begründet und in großem
Stil Kirchenbau, erst in romanischen, dann gotischen Formen, betrieben.
Trotz örtlichen Handwerks und einiger Jahrmärkte und
Märkte blieb Maine
ein agrarisch geprägtes Land.
Das 13. Jh. war eine Periode des Gleichgewichts, und auch die
Krisen des 14. Jh. (Schwarzer Tod, 1348) erschütterten Maine in relativ geringem
Maße. Als Apanage des Herzogs-Hauses von ANJOU (seit Ludwig von Anjou,
Sohn König Johanns II.) hatte Maine bis zu den letzten
regierenden ANJOU,
König René (†
1480)
und seinem Neffen Karl II. (†
1481),
Eigenständigkeit, doch
innerhalb bestimmter Grenzen (unter anderem Appellation vom Gericht des
Grafen an das Parlement). Die ANJOU,
die
ihrem großen Ziel der Wiedereroberung Neapel-Siziliens
nachjagten, residierten häufiger in Provence und Anjou als im Maine, doch hat der Aufbau
der fürstlichen Gerichts- und Verwaltungsinstitutionen, der nach
königlichem Vorbild erfolgte, die Entwicklung des Landes
gefördert.
Nachdem im Gefolge der Schlacht
von Poitiers (1356) englische Truppen unter Robert Knolles das Land
verwüstet hatten, kam es 1369-1370 erneut zu Kämpfen zwischen
den Kompagnien der beiden Widersacher Robert
Knolles und Bertrand Du
Guesclin, der nach seinem Sieg bei Pontvallain 1370 feierlichen
Einzug in Le Mans hielt. Der Wald von Le Mans war 1392 Schauplatz des
ersten Wahnsinnsanfalls König
Karls VI. Während
der Bürgerkriege zwischen den »Armagnacs«, zu denen Ludwig II. von Anjou
hielt, und den »Bourguignons«
häuften sich englische Angriffe (besonders nach Azincourt, 1415), wenn
auch die Grafschaft insgesamt geringere Zerstörungen als andere
Regionen erlitt. Der Vertrag
von Troyes (1420) unterstellte Maine
der Herrschaft des Hauses LANCASTER;
1424 ließ sich der Herzog
Johann von Bedford zum
Grafen von Anjou und Maine
proklamieren. Doch leisteten die Armagnacs
weiterhin Widerstand; Söldnerkapitäne wie Ambroise de Loré und Gilles de Rais durchstreiften
das
Land. Erst 1444 räumten die Engländer ihren letzten
Stützpunkt, Fresnay-sur-Sarthe.
Der spät begonnene Wiederaufbau hielt noch an, als Maine infolge der
geschickten Politik König
Ludwigs XI. 1481 in die
Krondomäne zurückkehrte. Neben der Wiederbelebung der
Landwirtschaft und des Weinbaus wurde ein ertragreiches Tuchgewerbe
(Laval, Mayenne) begründet. Doch lastete schwerer Steuerdruck auf
dem Lande und ließ den Schmuggel aufblühen.
G. Devailly