NOBILITY
Lexikon des Mittelalters:
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Nobility
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Bezeichnung für die Hocharistokratie Englands
nach der normannischen
Eroberung, im weiteren Sinn auch für den gesamten englischen Adel.
Unter König Wilhelm I. entstand ein
anglonormannisches Baronagium (Baron,
III),
das an die Stelle der angelsächsischen Oberschicht (Ealdorman, Earl)
trat. Zu der
neuen Nobility
gehörten die großen Kronvasallen (wohl weniger als
200) und bedeutendere Untervasallen. Einige herausgehobene Mitglieder
trugen den Titel Earl
(lateinisch comes). Seit der
Zeit König Stephans von Blois
wurde eine beträchtliche Zahl von Earldoms geschaffen, deren Inhaber
eine Spitzengruppe bildeten. Den Bischöfen und den Vorstehern
größerer Klöster kam die Rolle von »geistlichen
Baronen«
zu. Aufgabe der Nobility war es,
dem König Rat und Hilfe - namentlich
Militärdienst - zu leisten (Lehen, IV). Die bedeutenden Baronien
umschlossen meist Lehnsbesitz und somit Grundherrschaft in
verschiedenen Grafschaften, wobei eine bestimmte Burg als caput honoris galt.
Bei den sogenannten Palatinaten, vor allem Chester und Durham, lassen sich
Ansätze zu einer Territorialbildung erkennen. Unter der
eigentlichen Nobility
standen die knights, die im Lauf der Zeit
vielfach mit Afterlehen
ausgestattet wurden und einen Niederadel bildeten. Im 12. Jh.
hatten Barone und knights an
der aufkommenden ritterlichen Kultur teil,
deren Ideale sich zum Beispiel im Werk des Literaten Geoffrey von
Monmouth
spiegeln. Knighthood, chivalry und edle Geburt wurden
nunmehr als
miteinander verbunden aufgefaßt. Ritterliche Zeremonien
(Ritterschlag, Turnierwesen) sowie der allmählich üblich
werdende Gebrauch bestimmter Embleme und Familienwappen festigten den
Zusammenhalt des Adels. Doch vermieden es später viele kleinere
Grundbesitzer, in den Ritterstand zu treten und die damit verbundenen
militärischen Pflichten zu übernehmen.
Die in der anglonormannischen Nobility von
früh an erkennbare Tendenz zur
Erblichkeit der Lehen setzte sich voll durch. Titel und Besitz gingen
jeweils an den ältesten Sohn, wodurch eine Zersplitterung der
Baronien vermieden wurde. Jüngere Söhne konnten sich als
Glücksritter verdingen oder in den geistlichen Stand treten.
Für
die Barone stellte der Zugewinn von Besitz durch Heirat oder
königliche
Verleihung ein verlockendes Ziel dar. In manchen Fällen wurden
zahlreiche Grundherrschaften dem vorhandenen Stammbesitz
hinzugefügt. Im 13. Jh. nahm eine Gruppe von Magnaten, die
aus ca. 15 Earls und 20-30
größeren Baronen bestand, den
oberen Rang in der weltlichen Nobility ein.
Manche Earl-Familien waren
königlichen
Geblüts (Lancaster). Im
14./15. Jh. schritt die
Differenzierung weiter voran. König
Eduard III. ging dazu
über, als
obersten Rang eine herzogliche Würde zu verleihen, erstmals 1337,
als
sein Sohn Eduard (»the Black Prince«;
8. E.) Duke of
Cornwall wurde.
Den Titel Duke (lateinisch dux) erhielten zunächst nur
Prinzen und Verwandte des Königs-Hauses. Richard II. durchbrach diese
Beschränkung und fügte außerdem als zweiten Adelsrang
den Titel Marquess/Marquis
(lateinisch marchio) hinzu,
der allerdings bei den
Earls auf Widerstand
stieß und erst in der Zeit Heinrichs VI.
fest verankert wurde (1443 Erhebung Edmund Beauforts zum Marquess of
Dorset). 1440
erscheint erstmals der Titel Viscount
(lateinisch vicecomes),
der zwischen Earl und Baron
eingereiht wurde (erster Träger:
John
Viscount Beaumont). Am Ende
des
Mittelalters ergab sich somit eine hierarchische
Gliederung der Nobility in die
fünf Ränge Duke, Marquess, Earl,
Viscount und Baron. Hierin kam
die für das Zeitalter charakteristische
Hochschätzung der personal
dignity zum Ausdruck. Die
tatsächliche Bedeutung einer Adels-Familie hing aber keineswegs
nur
vom Titel des Oberhauptes ab. Für die Hocharistokraten in ihrer
Gesamtheit kam die Bezeichnung Lords
auf.
Wie früher im Rahmen der Hoftage, so wirkte die Nobility auch im
werdenden Parliament maßgeblich
mit König Eduard I. lud nur die ihm
genehmen Aristokraten (barones maiores)
zu dieser Versammlung ein. Vom
14. Jh. an wuchs jedoch die Vorstellung heran, daß die
Häupter der Hochadels-Familien eine erbliche Peerage bilden sollten
(Peers),
gegründet auf feudales Besitzrecht und königliche Berufung
zum
Parliament. Die Lords Spiritual und die Lords Temporal traten im
Parliament zu gemeinsamen
Sitzungen zusammen, woraus sich allmählich
das Oberhaus entwickelte (Lords, House of the). 1341
erlangten die
Magnaten das Recht auf eigenen Gerichtsstand vor ihren pares im
Parliament. 1387 wurde
erstmals das Verfahren angewandt, einen knight
durch letter patent zum
Baron zu erheben. Im 15. Jh. folgten
weitere Kreierungen dieser Art.
Während des Spät-Mittelalters erloschen verschiedene Familien
der Nobility und
wurden gewissermaßen durch andere ersetzt. So erhielt Roger
Mortimer, Baron von Wigmore,
1328 den neuen Titel eines Earl of March.
Der Aufstieg aus dem Bürger- bzw. Kaufmannsstand in die Nobility war
nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Michael de la Pole 1385 Earl of
Suffolk). Das System
des Bastard
Feudalism bot den Hochadligen, die
keinen unbezahlten Lehnsdienst mehr leisteten, die Möglichkeit,
vertraglich Gefolgsleute in ihren Dienst zu nehmen. So entstanden
vielfältige Bindungen zwischen der Nobility und der
niederadligen Gentry. Die
großen, oft auf Reisen befindlichen Adelshöfe umfaßten
durchschnittlich 100 bis 200 Personen. Manche Magnaten bauten livrierte
Privatarmeen auf. Die Teilnahme am Hundertjährigen Krieg
bot
Chancen zur Steigerung des Reichtums. Viele Lords traten im ausgehenden
Mittelalter als Bauherren hervor (Beispiel: Tattershall Castle in
Lincolnshire;
zum adligen Lebensstil vgl. Heraldik, IV.). Die Erträge aus dem
Grundbesitz dürften nach den Einbrüchen der Pest eher
zurückgegangen sein.
Von den Familien, die im 15. Jh. eine
Spitzenposition erreichten, seien die PERCIES
genannt, Earls of
Northumberland seit
1377. Die Rosenkriege führten
zu einer
tiefreichenden Spaltung in der Nobility, die
schwere Blutopfer bringen
mußte. 1485 gab es nur noch wenig mehr als 50 Familien mit
Peers-Würde. Doch
behauptete die Nobility trotz
wirtschaftlicher Krisen,
sozialer Umbrüche und zerstörerischen Fehden ihre
hervorragende
Stellung in der englischen Gesellschaft. - Über die politische
Rolle der
Nobility, zum
Beispiel die von ihr ausgehenden Oppositionsbewegungen gegen das
Königtum, siehe England, A-E; zur
schottischen Nobility
Schottland, zur irischen Nobility Irland.
K. Schnith