Hartmann Martina: Seite 44,50,52-56
****************
"Aufbruch ins Mittelalter. Die Zeit der Merowinger."

Um 497 gebar Chrodechilde Childebert I. und um 501/02 noch Chlothar I., der freilich beim Tod seines Vaters 511 noch klein war.
Entweder bald nach Chlodomers Schlachtentododer aber erst 531/32, wie der Erzählzusammenhang bei Gregor von Tours nahe legt, teilten sich die jüngeren Brüder Childebert I. und Chlothar I. das Reich ihres Bruders und übergingen die Ansprüche ihrer Neffen Theudoald, Gunthar und Chlodoald auf brutale Weise.

Chlothar I. - ein König und viele Königinnen

Man hat es als Verhängnis bezeichnet, dass 561 beim Tod Chlothars I. nur noch seine Söhne als Nachfolger vorhanden waren, wurde doch der jüngste Chlodwig-Sohn und König des Teilreichs von Soissons von Gregor von Tours als besonders brutal und dekadent beurteilt, obwohl ja auch seinem Vater Chlodwig und seinen Brüdern durchaus Züge von Gewaltbereitschaft und Skrupellosigkeit zu attestieren sind. Ob es allerdings berechtigt ist, die verheerenden merowingischen Bruderkämpfe des weiteren 6. und 7. Jahrhunderts allein darauf zurückzuführen, dass das Königshaus "nur in den männlichen Nachkommen Chlothars weiterherrschen sollte, in deren allmählicher Dekadenz wohl nicht zuletzt die Folgen der Ausschweifungen und Verbrechen dieses Königs zutage treten" (Erich Zöllner), kann hier nicht erörtert werden. Die Ermorung der Chlodomer-Söhne hat er, wie erwähnt, nach Gregor von Tours maßgeblich zu verantworten und brutal erledigt. Sodann heiratete er die Witwe Chlodomers, Guntheuca, deren Kinder er umgebracht bzw. ins Kloster gedrängt hatte. Chlothars erste Gemahlin war Ingunde, die er um 517 geheiratet hatte; um 533/34 vermählte er sich dann aber noch gleichzeitig mit Ingundes Schwester Arnegunde:

   Als er Ingunde schon zur Ehe genommen hatte und
   sie mit besonderer Liebe verehrte, da hörte er eine
   ein Bitte von ihr: "Mein Herr", sagte sie, "hat mit seiner
   Magd getan, wie ihm beliebte, und mich seinem
   Lager zugesellt. Nun hörte mein Herr und König,
   um das Maß seiner Gunst voll zu machen, um was
   seine Magd ihn bittet. Ich bitte euch, bestellt gnädig
   meiner Schwester, die eure Sklavin ist, einen angesehenen
   und wohlhabenden Mann, damit ich durch sie nicht
   erniedrigt, sondern vielmehr erhöht werde und euch
   umso ergebener diene." Als er dies hörte, wurde er,
   da er allzu ausschweifend war, von Begier nach
   Arnegunde befallen, nahm seinen Weg zu dem Hof,
   wo sie wohnte, und vermählte sich mit ihr. Und als
   er sie zum Weibe genommen hatte, kehrte er zu
   Ingunde zurück und sagte: "Ich habe gesucht, dir
   die Gunst zu gewähren, um welche deine süße Liebe
   mich bat. Und da ich einen reichen und weisen Mann
   suchte, welchem ich deine Schwester vermählen
   könnte, habe ich keinen besseren gefunden als mich
   selbst. So wisse denn, dass ich  sie zum Weibe
   genommen habe, und dies wird dir, wie ich glaube,
   nicht missfallen." Da sagte jene: "Was in den Augen
   meines Herrn gut scheint, das möge er tun; wenn nur
   deine Magd in der Gnade des Königs lebt."
    (Gregor von Tours, Historien IV, 3 = I Seite 197)

An dieser Schilderung fällt auf, dass Gregor von Tours Chlothar zwar als eingebildet und ausschweifend charakterisiert, dass er die Verbindung mit Arnegunde aber nicht als Konkubinat bezeichnet, sondern als Ehe. Daraus muss man wohl schließen, dass es sowohl im 6. als auch noch im 7. Jahrhundert für die Könige nicht ungewöhnlich war, zwei Königinnen gleichzeitig zu haben, das heißt, dass sich erst allmählich unter Einfluss der Kirche die Monogamie durchsetzte. Einen Beweis dafür, dass der Bischof von Tours die Verbindung mit Arnegunde völlig zutreffend als Ehe bezeichnete, hat die Archäologie erbracht, denn bei Ausgrabungen in Saint-Denis, der dritten bedeutenden Grablege der MEROWINGER, von der noch zu sprechen sein wird, hat man 1959 ein Frauengrab mit reichen Beigaben gefunden, darunter einen Ring mit der Aufschrift Arnegundis und einem Monogramm, das als regina aufgelöst wurde. Wahrscheinlich ist also diese Gemahlin  Chlothars nach ihrem Tod in Saint-Denis beerdigt wordem, wenngleich die erste Bestattung eines Königs dort erst die Dagoberts I. ( 639) war. Nach dem archäologischen Befund war Arnegunde bei ihrem Tod ungefähr 45 Jahre alt, demnach wäre sie zwischen 565 und 570 gestorben, jedenfalls einige Jahre nach Chlothar.
Doch außer diesen drei Frauen heiratete Chlothar noch eine Frau namens Chunsina, deren Sohn Chramn ja schon erwähnt wurde (siehe auch unten Seite 56), dann die Thüringer-Prinzessin Radegunde (siehe unten Seite 54); er hatte von einer Frau unbekannten Namens einen Sohn Gundowald, den er aber nicht anerkannte (siehe unten Seite 63f.), und nach dem Tode Theudowalds von Reims 555 annektierte er nicht nur dessen Reich, er heiratete auch seine Witwe Waldrada.
Es mutet nicht wie ein Zufall an, dass gerade Chlothars Ehen mit den "erbeuteten" Königinnnen Guntheuca und Waldrada bzw. der Prinzessin Radegunde kinderlos geblieben sind. Ingunde dagegen gebar Chlothar jeweils drei Kinder, fünf Söhne und eine Tochter, und Arnegunde einen Sohn namens Chilperich, der zusammen mit den überlebenden drei Söhnen Ingundes nach Chlothars  Tod die erneute Vierteilung des Franken-Reiches vornahm.
Es ist auch nicht zu übersehen, dass drei dieser vier Söhne genau wie ihr Vater es auf drei bis vier Gemahlinnen brachte mit teilweise dramatischen Verwicklungen. So ist Erich Zöllners Diktum über das Verhängnisvolle an der alleinigen Nachfolge der Chlothar-Söhne auf dem MEROWINGER-Thron vielleicht nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Im Jahre 531 hatte Chlothar sich von seinem Bruder Theuderich I. (511-533) zu einem Angriff auf das Reich der Thüringer gewinnen lassen, denn mit dem Tod Theoderichs des Großen 526 hatten die Thüringer unter ihrem König Herminafrid ( 533/34), der mit einer Nichte des Ostgoten-Königs verheiratet war, einen starken Bundesgenossen eingebüßt. Sie verloren dann auch die entscheidende Schlacht, und drei Jahre später (534) lockte Theuderich Herminafrid unter dem Vorwand von Verhandlungen nach Zülpich und stieß ihn eigenhändig von der Mauer.
Für Herminafrids Nichte Radegunde (520/25-587) war bereits das Jahr 531 zur Katastrophe geworden: Sie gehörte zur Beute des Siegers, nachdem die thüringische Königsburg zerstört worden war. Zunächst sollen sich beide Brüder um diese "Beute" gestritten haben, schließlich erhielt Chlothar die kleine Prinzessin, die zwischen 520 und 525 geboren sein muss. Er brachte sie ins Franken-Reich, ließ sie erziehen, wohl auch katholisch taufen und heiratete sie, vermutlich um 540, obwohl er ja bereits die Königinnen Ingunde und Arnegunde hatte.
Angesichts seiner vielen "Frauengeschichten" könnte man Chlothars militärische Unternehmungen fast vergessen, doch bestand zwischen beiden oft ein Zusammenhang: Nicht nur die Ehen mit Guntheuca und Radegunde hingen mit Eroberungen von Ländern bzw. Teilreichen zusammen, auch die letzte Frau, die Chlothar zur Ehe nahm, war eine "Eroberung": Waldrada, die Witwe seines Großneffen Theudowald von Reims († 555), dessen Reich Chlothar damit übernahm. Sie war Langobardin, und Chlothar strebte zu diesem Zeitpunkt ein Bündnis mit den Langobarden an, denen in Italien (nach 568) die Zukunft gehören sollte, weshalb er auch seine Tochter Chlodoswinth († vor 568) dem langobardischen Königs-Sohn Alboin (560/65-572/73) zur Frau gab.
Die Kirche zwang jedoch Chlothar, die Ehe mit Waldrada wieder zu lösen wegen zu naher Verwandtschaft zwischen ihrem ersten und ihrem zweiten Ehemann. Hatte also die Kirche in den vergangenen 30 jahren bereits an Einfluss gewonnen? Als Chlothar die Witwe seines Bruders  Chlodomer heiratete, war die genauso nahe Verwandtschaft von der Kirche noch nicht als Ehehindernis angesehen worden.
Gemeinsam mit seinem Sohn Chilperich I. (561-584) führte Chlothar in seinen letzten Lebensjahren Kämpfe mit den Dänen, Sachsen und Thüringern. Auch gegen seinen Sohn Chramn ließ er noch einmal ein Heer zu Felde ziehen, als dieser sich erneut gegen den Vater verschwor, diesmal mit den Bretonen. Chramn unterlag schließlich (560):

   Aber während er noch sein Weib und seine Töchter
   retten wollte, wurde er vom Heere des Vaters überwältigt,
   gefangen und gebunden. Als dies König Chlothar
   vernahm, befahl er, ihn mit seinem Weibe und seinen
   Töchtern zu verbrennen. Und sie wurden eingesperrt
   in die Hütte eines armen Mannes, Chramn auf eine
   Bank gelegt und mit einem Schweißtuch erdrosselt
   und dann die Hütte über ihren Häuptern angezündet.
    (Gregor von Tours, Historien IV,20 = I Seite 223 und 225)

Chlothar erscheint einmal mehr gegen Ende seines Lebens abstoßend in seiner Brutalität, wenngleich Gregor ihn nach diesen Ereignissen zum heiligen Martin nach Tours ziehen und die Sünden seines Lebens bereuen lässt, bevor er ziemlich genau ein Jahr nach dem Tod Chramns und drei Jahre nach seinem Bruder Childebert im Dezember 561 im Alter von 60 Jahren gestorben sein soll, nach einer Herrschaft von 50 Jahren. Der bischöfliche Historiograph legt ihm als letzte Worte in den Mund:

   Wehe! Was glaubt ihr, wie mächtig nuss jener
   König des Himmels sein, der so große Könige
   so elend umkommen lässt!
       (Gregor von Tours, Historien IV, 21 - I Seite 225)

Diesen Satz kann man zugleich als "in seiner Primitivität großartiges Machtbewußtsein" (Eugen Ewig) deuten wie auch als "tiefes christliches Erschrecken" (Franz Steinbach).
Chlothar hatte wie sein Vater Chlodwig und sein Bruder Childebert gegen Ende seines Lebens eine Kirche gegründet über dem Grab eines Heiligen, nämlich bei seiner ursprünglichen Residenzstadt Soissons für den heiligen Medardus, Bischof von Noyon ( vor 561), der Chlothars Königin Radegunde zur Nonnne geweiht hatte. Dorthin, nach Saint-Medard, brachten Chlothars Söhne den toten Vater, den letzten Sohn des Reichsgründers Chlodwig, und bestatteten ihn im Dezember 561 an der Seite des Heiligen.