Sigiberts
I. Sohn
Childebert,
ein noch unmündiger Knabe im Alter von fünf Jahren, wurde durch
einen Getreuen seines Vaters, den Herzog Gundowald, vor dem Zugriff
des Oheims aus Paris gerettet. Die Großen des auf die Grenzen von
561 zurückgeworfenen Reimser Teilreichs, für das damals der Name
Auster/Austria (Österreich) aufkam,
erhoben ihn zu ihrem König und richteten eine Regentschaft
unter der Leitung des Hausmeiers
Gogo ein. Gogo trat in Verbindung mit
König
Gunthram
als Senior der Dynastie, dem er die Hälfte von Marseille abtrat.
Nach dem Tod der eigenen Söhne adoptierte der frankoburgundische König
den "austrischen" Neffen im Jahre 577 auf einer Zusammenkunft in Pompierre
(Department Vosges) als Sohn und Erben.
In der Awárenpolitik schlug die austrasische Regierung
freilich Wege ein, auf denen sie sich mit Chilperich
traf. Die Austrasier festigten die 566 geknüpften Beziehungen zum
Hof von Toledo, indem sie (um 579?) der Heirat von Childeberts
II. Schwester Ingund
mit
Hermenegild,
dem ältesten Sohn des Goten-Königs
Leovigild, zustimmten.
Neue Kontakte mit den Franken suchte auch der Kaiser.
Nach einer schweren Niederlage seiner Truppen in Italien bot Tiberius
II. um 578 über den Papst und vielleicht auch über
den römischen Senat Subsidien für ein Eingreifen gegen die Langobarden
an. Während sich Gunthram nicht
darauf einließ, schickten Chilperich
und Gogo Gesandte nach Konstantinopel. Die Austrasier schlossen
mit dem Kaiser ein Bündnis.
Die kaiserliche Initiative mag zu Kontakten zwischen
Chilperich
und den austrasischen Regenten geführt haben. Die Anlehnung Gogos
an Gunthram wurde nicht von allen Großen
Childeberts
II. gebilligt. Kurz vor dem Tod des Hausmeiers nahm die Opposition
581 unter der Führung des Metropoliten Aegidius von Reims,
dessen Kirchenprovinz sich weit in den Herrschaftsbereich Chilperichs
hinein erstreckte, Fühlung mit dem König von Soissons-Paris auf.
Sie kam zum Zug unter Gogos Nachfolger Wandalenus. Die Austrasier
forderten nun von Gunthram die Rückgabe
seines Anteils an Marseille und verbanden sich mit Chilperich,
der - das zu dieser Zeit ohne männliche Nachkommen - Childebert
II. seinerseits zum Erben einsetzte. Die Königin-Mutter
Brunichild
verlor jeden Einfluß auf die austrasische Politik. Eine Gruppe
von Großen - darunter der Herzog der Champagne, den Brunichild
besonders verbunden war, und der Statthalter der austrasischen
Provence - gingen zu König
Gunthram über.
Die Austrasier brachten gegen Gunthram
indessen den Prätendenten
Gundowald
ins Spiel, einen angeblichen oder wirklichen Sohn
Chlothars
I., der im Exil am Kaiserhof lebte.
Im Jahr 583 kam es zu einem formellen Bündnis zwischen
Chilperich
und der austrasischen Regentschaft. Beide Parteien zogen zum Entscheidungskampf
gegen Gunthram ihre Truppen zusammen.
Chilperich
marschierte ins Berry ein, stand aber dann dem Bruder allein gegenüber:
die austrische Führung war lahm gelegt durch eine Rebellion des minor
populi, der gegen das Bündnis revoltierte. Die Rebellion, hinter
der wohl die Königin-Mutter
Brunichild stand, führte zu einem brüsken renversement
des alliances. König
Gunthram tat das Seine dazu, indem
er dem Neffen zu Anfang des Jahres 584 Marseille restituierte. Die Wende
wurde mitverursacht durch die politische Entwicklung im westgotischen Spanien,
wo König Leovigild
582 den Kampf gegen seinen Sohn Hermenegild
aufgenommen
hatte, der 579 unter dem Einfluß seiner fränkischen Gattin Ingund
und des Metropoliten Leander von Sevilla zum Katholizismus übergetreten
war. Die gotisch-austrasischen Beziehungen erreichten einen Tiefpunkt,
als Leovigild 583/84 den Sohn in Sevilla
belagerte. In Toledo befürchtete man nicht zu Unrecht eine bewaffnete
Intervention der Austrasier. Das Bündnis zwischen Gunthram
und
Childebert
richtete sich in der Tat nicht nur gegen Chilperich,
sondern auch gegen Leovigild, der seinerseits
die Allianz mit Chilperich zu festigen
suchte und auf Vollzug der Vermählung seines Sohnes Rekkared
mit
Chilperichs
Tochter Rigunth
drängte.
Der zu erwartende Krieg zwischen den beiden Koalitionen
kam jedoch nicht zum Ausbruch. Die Austrasier hatten ihre Rechnung ohne
den energischen
Kaiser
Mauricius gemacht, der 582 auf
Tiberius
II. gefolgt war und nach Zahlung der kaiserlichen Subsidien
unüberhörbar auf der endlichen Erfüllung der fränkischen
Bündnisverpflichtungen bestand. Seine Forderung erhielt besonderen
Nachdruck durch den Umstand, dass Hermenegild
vor seinem Untergang die Gattin Ingund
und den Sohn Athanagild
dem
Schutz des kaiserlichen Statthalters in der Baetica anvertraut hatte. So
zogen denn die austrasischen Franken zunächst im Frühsommer 584
gegen die Langobarden. Es handelte sich um eine militärische Demonstration
von kurzer Dauer, an die sich ein Feldzug gegen die Goten anschließen
sollte. Dieser Feldzug kam nicht zustande. Es gab in der austrasischen
Regentschaft offenbar immer noch Männer von Gewicht, die eine andere
Politik betrieben.
Nach der Ermordung Chilperichs
I. brach dessen Teilreich wie ein Kartenhaus zusammen. Die Austrasier
besetzten Soissons. Der Herzog Desiderius legte die Hand auf den
Schatz der Königs-Tochter
Rigunth in Toulouse und rief den Prätendenten Gundowald
nach Aquitanien.
Gunthram und
Childebert
trafen erneut zusammen im Januar 585, als Childebert
das Mündigkeitsalter von 15 Jahren erreichte. Gunthram
düfte als Haupt der Familie die Wehrhaftmachung des Neffen vollzogen
haben. Er erneuerte jedenfalls feierlich die Einsetzung Childeberts
zu seinem Erben und restituierte ihm den väterlichen Anteil am Charibert-Erbe.
Zugleich mahnte er ihn, vor schlechten Ratgebern und auch vor seiner Mutter
Brunichild
auf der Hut zu sein.
Gregor von Tours verzeichnet in der Folgezeit mehrere
Mordanschläge auf Gunthram,
Brunichild
und
Childebert. Brunichilds
Einfluß auf die austrasische Regierung war seit dem Eintritt ihres
Sohnes in die Mündigkeit zwar gewachsen, hatte aber auch den verschärften
Widerstand der Optimaten geweckt, die ihren eigenen Einfluß schwinden
sahen. Die Krise konnte letztlich nur durch die Aussöhnung zwischen
Gunthram
und Brunichild behoben werden. Dazu
trug die Geburt von Childeberts Söhnen
Theudebert
und
Theuderich
in den Jahren 586 und 587 bei, die die Solidarität der Königssippe
stärkte.
Die Lage spitzte sich 587 dramatisch zu. Eine Gruppe
austrasischer Aristokraten plante die Ermordung Childeberts
II. und die Bildung einer neuen Regentschaft für Childeberts
kleine Söhne. Gunthram kam der
Verschwörung auf die Spur und benachrichtigte den Neffen, der sofort
reagierte. Die Rebellion wurde im Keim erstickt. Die königliche Familie
kam daraufhin in Andelot (Diözese Langres) zusammen, um die noch bestehenden
innerfamiliären Streitpunkte endgültig auszuräumen.
In dem am 28. November 587 abgeschlossenen Vertrag von
Andelot zedierte
Childebert II. dem
Oheim seine Rechte an Paris und den Exklaven Chateaudun und Vendome; seinen
Anteil an Ressons-sur-Matz tauschte er gegen Gunthrams
Anteil an Senlis aus. Der Oheim bestätigte dem Neffen seinen Anteil
am Charibert-Erbe und die Stadt Senlis.
Er erkannte ferner Brunichilds Recht
auf die Mitgift der ermordeten Königin
Gailswinth
in Aquitanien und der Novempopulana an, die er selbst der Schwägerin
einst als Blutpreis für die Schwester zugesprochen hatte. Brunichild
mußte sich allerdings zunächst mit der civitas Cahors begnügen
- die civitates Bordeaux, Limoges, Bearn und Bigorre behielt sich Gunthram
auf Lebenszeit vor. Die so wiederhergestellte Eintracht zwischen dem frankoburgundischen
und dem austrasischen Zweig der Königssippe wurde feierlich bekräftigt.
Oheim und Neffe setzten sich gegenseitig zu Erben ein. Sie verpflichteten
sich für den Fall des Todes eines der beiden Partner, die Interessen
der nächsten Verwandten des Verstorbenen zu wahren. Die Großen,
die während des Bürgerkriegs die Partei gewechselt hatten, wurden
amnestiert. Damit waren die letzten Folgen der unseligen Teilung von 567
endlich beseitigt.
Die Einigung von Andelot wirkte sich vor allem auf dem
Feld der Innenpolitik aus: sie ermöglichte Brunichild
und
Childebert
die Wiederherstellung
der monarchischen Autorität im fränkischen Ostreich, die mit
einem großen Schub verbunden war. Schwieriger war die Koordination
der Außenpolitik, obwohl sich Schwägerin und Neffe verpflichtet
hatten, den merowingischen Senior bei
allen wichtigen Entscheidungen zu konsultieren. Brunichild
und Childebert schlossen Frieden
mit dem Goten-König
Rekkared,
der ihnen eine angemessene Buße für Ingunth
anbot und um die Hand von Childeberts Schwester
Chlodoswinth
anhielt. Gunthram gab 588 schließlich
widerwillig seine Zustimmung, ohne deshalb seine eigene antigotische Politik
aufzugeben, die letztlich erfolglos blieb.
Gunthram
wollte seinerseits
nichts von dem Bündnis wissen, das die Austrasier 579 mit dem Imperium
gegen die Langobarden geschlossen hatten. Der energische
Kaiser
Maricius
(582-602) bestand auf dem
fränkischen Einsatz in Italien. Er besaß Faustpfänder in
den Personen Ingunths und ihres Sohnes
Athanagild, deren Überführung
aus Spanien nach Konstantinopel er angeordnet hatte. Der zweite Feldzug,
den die Austrasier 585 gegen die Langobarden führten, ging jedoch
wie der erste von 584 nicht über eine militärische Demonstration
hinaus. Die Langobarden wünschten Frieden. Ihr König
Authari
bat um die Hand der Prinzessin
Chlodeswinth und erhielt zunächst auch eine günstige
Antwort.
Diese Lösung entsprach den Wünschen Gunthrams,
war aber nicht im Sinne Brunichilds,
die sich um Tochter und Enkel sorgte. Ingunth
verstarb auf der Fahrt nach Konstantinopel in Karthago, aber
Athanagild traf am Kaiserhof ein. Eine austrasische Gesandtschaft
reiste 586 an den Bosporus, um die Freilassung des Prinzen zu erwirken.
Der Kaiser Mauricius
blieb hart und bestand auf der Erfüllung der fränkischen Bündnispflicht.
Childebert
brach
daraufhin mit den Langobarden, annullierte die Verlobung seiner Schwester
mit Authari
und nahm die Werbung Rekkareds
um Chlodoswinth an. Er verfolgte nun
auch die Absicht, die einst von Theudebert
I. besetzten italienischen Territorien zurückzuerobern.
Die Koordination mit der kaiserlichen Armee des Exarchen von Ravenna ließ
jedoch zu wünschen übrig; die Franken scheiterten schließlich
an den befestigten Städten, in die sich die Langobarden zurückgezogen
hatten. Childebert schloß 591
Frieden mit Autharis Nachfolger
Agilulf, der sich zu einem Jahrestribut
von 12.000 Goldsolidi verpflichtete. Nach dem Tode Gunthrams
(† 28. 3.592) fiel dessen Teilreich an Childebert.
Die austrasische Linie war nun frei, die alte Rechnung mit der neustrischen
zu begleichen: ihre Übermacht war überwältigend. Es kam
jedoch nur zu Scharmützeln. Der Austrag fand nicht statt, da Childebert
zunächst
Aufstände der Bretonen im Westen und der Warnen, eines thüringischen
Stammes zwischen Elbe und Saale, im Osten niederwerfen mußte. Er
starb unerwartet nach diesen Unternehmungen im März 596 - vielleicht
als Opfer eines neuerlichen Attentats.