Ewig Eugen:
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„Die Merowinger“

Im Frühjahr 508 beauftragte Chlodwig seinen ältesten Sohn Theuderich, über Albi und Rodez in die Auvergne zu marschieren und das Land zu unterwerfen. Nach der Reichsteilung von 511, bei der alle Söhne gleichberechtigte Erben des Vaters waren, residierte Theuderich in Reims, Chlodomer in Orleans, Childebert in Paris und Chlothar in Soissons. Die vier Residenzen waren einander benachbart; sie lagen alle im einstigen Reich des Syagrius, das seit 486/87 die Mitte der nördlichen Francia bildete. Jeder Bruder erhielt also einen Anteil aus dieser Mitte. Die Wahl der Residenzen zeigt außerdem, dass die Brüder die Herrschaft zwar teilten, aber das Chlodwig-Reich weiter eine ideelle Einheit im Besitz des Königshauses bildete.
Fest steht ferner, dass jeder Sohn Chlodwigs einen Anteil sowohl an der Francia zwischen Rhein und Loire wie auch an den eroberten Gebieten südlich der Loire erhielt. Diese auf den ersten Blick absurde Regelung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass jedem Bruder als rex Francorum ein Anteil an der Francia zustand, woraus sich - bei gleicher Berechtigung jedes Erben - automatisch eine Aufteilung der gesamten Erbmasse in die Blöcke Francia und Aquitania ergab. Hinzu kam vielleicht, dass die Gebiete südlich der Loire sich de facto in der Hand der MEROWINGER befanden, aber vor dem endgültigen Friedensschluß mit Theoderich nicht als voll gesicherter Besitz gelten konnten.
Am besten bekannt ist der Reichsteil Theoderichs. Er umfaßte einen Anteil am Chlodwig-Reich von 486/87 (Reims, Chalons, Troyes, Sens; Auxerre), die gesamte Francia rhinensis mit ihren rechtsrheinischen Annexionen, die 506 erworbene Herrschaft über große Teile der Alamannen sowie die 508 von Theuderich eroberten aquitanischen Gebiete (die Auvergne mit dem Velay, das Limousin sowie die noch ungesicherten civitas Albi, Rodez und Javols).
Vom Umfang her gesehen erhielt Theuderich den Löwenanteil: ein gutes Drittel der Francia zwischen Rhein und Loire, mit Einschluß noch oder wieder umkämpfter Gebiete auch ein gutes Drittel Aquitaniens; dazu beträchtliche, aber scher abzugrenzende fränkische und alamannische Gebiete rechts des Rheins, die zwar wirtschaftlich und kulturell kaum ins Gewicht fielen, aber ein militärisches Kraftreservoir bildeten. Hier kann man von einer Teilung aequa lance nicht mehr sprechen: die Abgrenzung von Theuderichs Reichsteil beruhte allem Anschein nach auf einem politischen Kompromiß zwischen dem ältesten Chlodwig-Sohn einerseits und der Königin Chrodechild mit ihren Söhnen andererseits. Dass Chlodwig selbst seine Nachfolge geregelt habe, wird nur in einer späten, unglaubwürdigen Quelle gesagt. Der König kann jedoch eine Vorentscheidung getroffen haben, wenn er Theuderich, dem er 508 den Auftrag zur Eroberung der Auvergne gab, als Regenten in der Francia rhinensis einsetzte. Es ist auch kaum ein Zufall, dass der Reichsteil Theuderichs die Anteile der Chrodechild-Söhne nach außen weitgehend abschirmte: der einzige voll erwachsene Sohn Chlodwigs wurde so zum Garanten für den Bestand des Reiches in den Grenzen von 511.
Beruhten die Modalitäten der Teilung zwischen Theuderich und Chrodechild auf einem politischen Kompromiß, so gilt dies nicht für die Teilung als solche. Die Nachfolgeregelung von 511 war ja nicht auf den Ausgleich zwischen der Königs-Witwe und ihrem Stiefsohn beschränkt, sondern schloß die Aufteilung der nach der Abschichtung Theuderichs verbliebenen zwei Drittel des Chlodwig-Reiches unter die Chrodechild-Söhne ein. Für sie traf Gregors Feststellung aequa lance grosso zu. Quantitative Ungleichheiten sind nicht feststellbar. Nur qualitativ mag der jüngste Bruder Chlothar, dem aber immerhin das ältere salfränkische Siedlungsgebiet zwischen Somme und Kohlenwald geschlossen zufiel, etwas schlechter abgeschnitten haben. Politisch ist die Teilung unter den Chrodechild-Söhnen nicht zu erklären; verständlich wird sie dagegen, wenn man eine Übertragung des Rechtssatzes der Lex salica von der gleichberechtigten Erbfolge der Söhne im Allod auf die Nachfolge im Reich annimmt. Das damit in die Nachfolgeordnung eingeführte Teilungsprinzip hat trotz zeitweilig durchbrechender Gegentendenzen die fränkisch-abendländiche Geschichte bis ins 10. Jahrhundert hinein bestimmt und zur Ausformung der Reiche des Hochmittelalters wesentlich beigetragen.
Theuderich, der eine Tochter des Burgunder-Königs Sigismund geheiratet hatte, war den Unternehmungen seiner Halbbrüder gegen das Burgunder-Reich ferngeblieben. Seine Interessen waren auf Germanien gerichtet, wo die Thüringer eine dominierende Stellung einnahmen. Das Thüringer-Reich war nach dem Tod des Königs Bisinus (Bessinus) unter dessen Söhnen Hermenefred, Baderich und Berthachar geteilt worden (vor 510). Theuderich hatte in die Streitigkeiten im thüringischen Königshaus auf seiten Hermenefreds, seit 510 mit Theoderichs Nichte Amalaberga vermählt, eingegriffen, ohne jedoch daraus den erhofften Gewinn zu erzielen. Als sich im Ostgoten-Reich nach dem Tod des großen Theoderich († 526) eine Krise anbahnte, holte er zu einem entscheidenden Schlag aus. Er gewann die Hilfe Chlothars von Soissons und sächsischer Gruppen, die von der Nordseeküste nach Süden drängten. Der Neutralität des Langobarden-Königs Wacho, der eine Schwester Hermenefreds geheiratet hatte, versicherte er sich durch die Verlobung seines Sohnes Theudebert mit Wachos Tochter Wisigard. Im Sommer 531 eröffneten die Franken den Krieg. Die Thüringer erlitten eine schwere Niederlage an der Unstrut. Hermenefred wurde den Franken tributpflichtig und 533 bei einem Besuch Theuderichs in Zülpich von der Stadtmauer gestürzt und getötet. Seine Witwe Amalaberga floh mit ihren Kindern 535 nach Italien, die Kinder ihres Schwagers Berthachar fielen in die Hände der Franken. Theuderich überließ den verbündeten Sachsen die Lande nördlich der Unstrut gegen einen Tribut und nahm die Gebiete an der Saale, an der mittleren Elbe und am Main in seinen Besitz. Theuderich war nach dem Sieg an der Unstrut vielleicht mit der Rebellion Munderichs beschäftigt, eines fränkischen Großen der Champagne, der Anspruch auf eine Königsherrschaft erhob. Jedenfalls blieb er im Widerspruch zu seinen Franken, die in Burgund reiche Beute zu machen hofften, auch jetzt dem Burgunder-Krieg fern. Seinem Heer stellte er eine entsprechende Entschädigung in der Auvergne in Aussicht, die er einem harten Strafgericht unterwarf. Seinen Sohn Theudebert beauftragte er mit der Eroberung der südaquitanischen civitates, die die Goten nach dem Tod Chlodwigs zurückgewonnen hatten.
Theuderich I. starb gegen Ende des Jahres 533. Der König von Reims hatte vor seinem Tod seinen Frieden mit dem Halbbruder von Paris gemacht, doch blieb das Verhältnis gespannt.