Lexikon des Mittelalters:
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Ostgoten
I. Geschichte:
Spätestens seit der Spaltung des Gotenvolkes, erstmals
bezeugt im Frühjahr 291, gab es zwei Abteilungen, deren westliche
Tervingi-Vesi und deren östliche Greutungi-Ostrogothi hießen.
Diese Namen blieben bis kurz nach 400 aktuell; danach lebte das Gegensatzpaar
Terwingen-Greutungen nur mehr im Heldenlied fort, während sich das
Paar Vesier-Ostrogothen zunächst unverändert erhielt, bis es
durch Cassiodor zum Analogon Vesegothen-Ostrogothen im Sinne von Westgoten
und Ostgoten »verbessert« wurde. Cassiodor diente der einstige
Prunkname Ostrogothen (»Sonnenaufgangs-Goten« oder die »durch
den Aufgang der Sonne glänzenden Goten«) der östlichen
Goten als geographisches Unterscheidungsmerkmal. Vom Standpunkt des 6.
Jh. aus betrachtet, war eben die Geschichte der Goten stets eine des westlichen
und des östlichen Stammesteils gewesen. Tatsächlich aber bestanden
im 5. und 6. Jh. die westlichen Goten ebenso aus Ostrogothen, wie Vesier
an der Ethnogenese ihres östlichen Brudervolkes teilgenommen hatten.
Es empfiehlt sich daher, von Ostrogothen nur bis zum Beginn des 5. Jh.
und erst danach von Ostgoten zu sprechen.
In den Quellen teils König der Greutungen,
teils König der Ostrogothen genannt, beherrschte um die Mitte
des 4. Jh. Ermanerich
ein riesiges Reich, dessen Kerngebiet in der Ukraine lag und von dort die
Weiten des russischen Raumes bis in das Baltikum und zu den Goldbergen
des Urals in mehr oder weniger loser Abhängigkeit hielt. Ermanerich
gab sich selbst den Tod, als er dem Einbruch der Hunnen
(375) nicht widerstehen konnte. Der neue Greutungen-König Vithimiris
leistete den Hunnen einige Zeit lang Widerstand, erlitt jedoch viele Niederlagen
und starb schließlich in der Schlacht. Im Namen seines noch unmündigen
Sohnes Vidirich übernahmen
die Duces Alatheus und Safrax die Herrschaft. Unter
ihrer Führung entstand die Dreivölker-Konförderation aus
greutungiischen, alanischen und hunnischen Abteilungen. Diese Reiterformation
konnte sich der hunnischen Umklammerung entziehen, überquerte 376
die Donau, entschied 378 die Schlacht von Adrianopel und wurde 380 in Pannonien
angesiedelt.
Allerdings wurde auch das von den Hunnen abhängige
Volk nach Westen in Marsch gesetzt und nahm wahrscheinlich die von den
Vesiern weitgehend geräumten Gebiete an der unteren Donau und im südlichen
Siebenbürgen ein. Unter Attila
(† 453) zogen Ostgoten gegen Gallien und nahmen an der
Völkerschlacht auf den Katalaunischen
Feldern (451) teil. Nach dem Zusammenbruch des Hunnen-Reiches (456/457)
gelang es den Ostgoten, als Föderaten ins Römer-Reich aufgenommen
zu werden und an der Save und Drau ein, obgleich kurzlebiges, Königreich
zu gründen. Spätestens hier in Pannonien wurde der Großteil
der Ostgoten Arianer. Wahrscheinlich noch in der Hunnenzeit kam Theoderich
der Große 451 zur Welt. Die byzantinischen und die
von ihnen abhängigen Quellen nennen Theoderich
einen Sohn Valamirs.
Tatsächlich war aber Theoderichs
Vater der mittlere Bruder Thiudimir.
Dieser und der jüngste Bruder Vidimir
standen unter der Oberherrschaft Valamirs,
der 468/469 gegen die Skiren fiel. Darauf folgte
Thiudimir dem Bruder als König aller pannonischen Goten
nach und hatte nur wenige Monate nach dessen Tod die große Schlacht
an der Bolia gegen eine römisch-gentile Koalition zu bestehen. Nach
dem Sieg der Ostgoten kehrte das im Anmarsch befindliche kaiserliche Heer
um. Kaiser Leon I. lenkte ein und entließ
den jungen Theoderich, der zwischen
459 und 469 als Geisel in Konstantinopel gelebt hatte, in die Heimat. Theoderich
übernahm
den Reichsteil des Onkels Valamir,
der im Osten der Pannonia II lag. Das von Theiß-Sarmaten besetzte
Singidunum-Belgrad wurde sein erstes Expansionsziel (471). (Durch die Feier
seines dreißigjährigen Herrschaftsjubiläum im Jahre 500
leitete Theoderich - zumindest rückwirkend
- den Beginn seines Königtums von jenem Erfolg des Jahres 471 her.)
In der zweiten Jahreshälfte 473 verließen aber die AMALER
mit ihren Völkern Pannonien: Vidimir
ging mit seinem gleichnamigen Sohn ins Westreich, Thiudimir
und
dessen Sohn Theoderich verlegten
ihr Föderatenreich von der Donau nach Makedonien, wo Thiudimir
474 starb; seine Goten folgten der Designation durch den Vater und erhoben
Theoderich
zu ihrem König. Die Jahre von 474 bis 488 sind voller Wirren, voller
scheinbar sinnloser Kriegszüge durch die gesamte Balkanhalbinsel,
voller leerer Versprechungen und gebrochener Verträge. Gegen Ende
der siebziger Jahre befand sich Theoderich
- mehrmals vom Reichsheer besiegt - in der Epiros. Um 479/480 verfügte
er nur mehr - wie am Beginn seiner Laufbahn - über 6.000 Krieger,
während sein Gegner, der Goten-König
Theoderich
Strabo, Sold für mehr als die doppelte Zahl erhielt.
Nach dessen überraschendem Tod (481) begann die große Karriere
des jüngeren Theoderich. Am 1.
Januar 484 trat er in Konstantinopel den Konsulat an, wurde Heermeister
und Patricius und schloß im Sommer 488 mit Kaiser Zenon
den folgenschweren Vertrag, wonach er Odoaker
aus Italien vertreiben und dort für den Kaiser solange herrschen sollte,
bis dieser selbst ins Land käme. Dieser Vertrag bildete die Grundlage
des Ostgoten-Reiches in Italien. Am 25. Februar 493 vermittelte der Stadtbischof
von Ravenna einen Vertrag, wonach der Skire Odoaker
wie der Gote Theoderich gemeinsam über
Italien herrschen sollten. Durch die Zustimmung zu diesem Verhandlungsergebnis
hatte Theoderich zwar den Vertrag mit
dem Kaiser vorübergehend gebrochen, konnte jedoch am 5. März
493 in Ravenna einziehen. Theoderich
setzte das politische Werk fort, das der - von ihm eigenhändig getötete
- Skire begonnen hatte. So wurde Theoderichs
italienisches Reich stabiler, reicher, stärker und expansiver als
das regnum Odoakers, dessen
teilw. höchst erfolgreiche Innovationen übernommen und ausgebaut
wurden. Neben der Anerkennung durch Konstantinopel stellten sich Theoderich
sofort zwei Probleme: Die weitere Wiederherstellung und Sicherung des Territoriums
der italienischen Präfektur und die Ansiedlung des Gotenheeres. In
beiden Fällen schloß Theoderich
unmittelbar an Odoaker an; noch 493
erhob er Liberius, einen Gefolgsmann des Skiren zum Prätorianer-Präfekt
und betraute ihn sofort mit der heiklen Aufgabe der Ansiedlung.
Noch vor der Einnahme Ravennas ging es um die Sicherung
Italiens: In Sizilien mußten die Vandalen
zur Raison gebracht werden, so daß die Insel in der Folgezeit nahezu
vollständig eine Patrimonial-Provinz Theoderichs
bildete. In Nordwest-Italien plünderten die Burgunder
das Land, wurden jedoch von den Goten vertrieben. Aber erst viele Jahre
später gelang es Theoderich, die
damals verschleppten Gefangenen wieder frei zu bekommen. Die Sicherung
Italiens verlangte jedoch auch ein gutes Verhältnis zu den Westgoten,
zu den Franken Chlodwigs
wie zu den Germanen an der Donau und jenseits des Rheins. Diesem Ziele
diente Theoderichs Heirats- und Bündnispolitik,
die freilich stets eines starken militär. Rückhalts bedurfte.
490/491 wurde Theoderichs
Tochter Ostrogotho
dem burgundischen Kronprinzen Sigismund
verlobt und etwa 496 mit ihm vermählt. Bald nach Odoakers
Tod heiratete Theoderich selbst Audofleda,
die Schwester Chlodwigs, der
gleichzeitig die burgundische Prinzessin Chrodechilde
ehelichte. Die Ehe der Theoderich-Tochter
Thiudigotho
mit
dem Westgoten-König
Alarich
II. verband die beiden vornehmsten gotischen Königsfamilien.
506 kam es jedoch in der Alamannenfrage zu einem ernsten Konflikt zwischen
den Schwägern Theoderich und Chlodwig.
Die schwere Niederlage, die die Alamannen
von seiten der Franken erlitten hatten, erforderte das Eingreifen Theoderichs
zum Schutze Raetiens und damit Italiens. Man einigte sich auf einen Kompromiß,
der de facto ein Zurückweichen Chlodwigs
bedeutete. Theoderichs Triumph währte
nicht lange. Trotz eifriger diplomatischer Aktivitäten und trotz des
Versuches, nichtfränkische Rheingermanen gegen Chlodwig
zu
mobilisieren, gelang es Ravenna nicht, die Bildung einer fränkisch-burgundischen
Koalition zu verhindern und deren Angriff auf das Westgoten-Reich abzuwenden.
Auch die Alarich II. angeratene Appeasement-Politik
nützte nichts; ohne provoziert zu sein, schlug Chlodwig
los: Die Katastrophe von Vouillé kostete Alarich
II. 507 Schlacht und Leben; sein Sohn Amalarich,
der Enkel Theoderichs, war noch
zu jung, ein anderer Alarich-Sohn,
namens
Gesalech,
zu schwach, um König der Westgoten zu sein oder zu bleiben. Ein bis
511 dauernder innergotischer Krieg in Süd-Gallien und Spanien endete
mit dem Ergebnis, daß
Theoderich der Große
auch König der Westgoten wurde. Durch die Vermählung
seiner Erbtochter Amalasuntha
mit dem Westgoten Eutharich
war dieser offenkundig zum Nachfolger designiert und sollte wohl nach seinem
Schwiegervater König aller Goten werden, was die dauernde Ausschließung
Amalarichs von der Herrschaft bedeutet
hätte. Die Ordnung zugunsten Eutharichs umfaßte alle
Elemente von Theoderichs eigenem Königtum:
Zugehörigkeit zu den AMALERN,
Designation durch den Vorgänger, Adoption durch den Kaiser, Verleihung
von Bürgerrecht und Konsulat. Der neue Kaiser Justinus
erkannte Theoderichs Nachfolgeordnung
an; sie galt für Italien, Gallien und Spanien; von Amalarich
war darin nicht die Rede. Der Tod Eutharichs 522 ließ freilich
Theoderichs
Plan scheitern.
Aus gegebenem Anlaß versuchte Theoderich,
sein italienisch-gotisches Regnum als einen - unabhängigen wie nachgeordneten
- Teil des einzigen und geeinten Reiches darzustellen: Der König habe
im Staat der Kaiser mit göttlicher Hilfe gelernt, wie man gerecht
über Römer herrsche. Daher sei sein Reich der Abriß der
guten Vorlage, das Ebenbild des Kaiserreiches. Soweit Theoderich
dem Kaiser im Rang nachstehe, soweit überrage er seinerseits die anderen
Gentes und ihre Könige. Er suche die Einheit des römischen Reiches,
die Einheit der politischen Willensbildung in Ost und West. Die Römer
nannnten ihn einen Trajan oder Valentinian.
Der Vergleich gibt Aufschluß über den Eindruck, den Theoderichs
Herrschaft machte, wofür besonders sein »kaiserliches«
Auftreten im Rom des Jahres 500 anläßlich der Feier seiner Tricennalien
zeugt (feierlicher Einzug, Ehrung des hl. Petrus und des Senats, Verteilung
reicher Geschenke, Getreidespenden und Spiele für das Volk). Kein
Wunder, daß Theoderich Statuten
und Bilder gesetzt wurden, daß die Römer ihn als ihren Herrn,
dominus, akklamierten und mitunter sogar Augustus
nannten. Kaiserlich war auch des Goten-Königs Herrschaft über
die römische Bürokratie, die er bis zu den höchsten Rängen
hinauf besetzte; doch blieb - neben anderen Reservatrechten - das Recht
Konstantinopels gewahrt, Senatoren, Patrizier und die West-Konsuln - auf
Vorschlag Ravennas - zu ernennen. Theoderich entschied
über die Zugehörigkeit zum Senat, übte die Blutgerichtsbarkeit
wie das Gnadenrecht über die Bewohner Italiens aus und besaß
die Hoheit in kirchlichen Angelegenheiten; eine Zuständigkeit, die
seine heermeisterlichen Befugnisse wesentlich übertraf. Dem allgemeinen
Wohlergehen diente auch die Erlassung des Edictum Theoderici. Da Theoderich
den inneren Frieden Italiens sicherte, sollen bei seinem Tod 40.000 Goldpfund
die Schatzkammern Ravennas gefüllt haben.
Als Theoderich am
30. August 526 an der Ruhr verschied und alle Versuche einer dauerhaften
vertraglichen Sicherung der Herrschaft seines Hauses gegenüber Byzanz
gescheitert waren, war das Ostgoten-Reich sehr bald schweren Krisen ausgesetzt.
Die Nachfolger Theoderichs aus der
AMALER-Familie
(Amalasuntha,
Athalarich,
Theodahad)
waren ihrer Aufgabe nicht gewachsen, vor allem konnten sie den Krieg mit
Konstantinopel nicht verhindern. 536 wurde Vitigis
als erster Nicht-AMALER zum
König gewählt, um die drohende Vernichtung der Ostgoten zu verhindern.
Vier Jahre später mußte Vitigis
vor dem kaiserlichen Feldherrn Belisar
kapitulieren. Der Krieg zwischen dem Reich und den Ostgoten war jedoch
540 lange noch nicht beendet. Der 541 zum König erhobene Totila
konnte - mit Ausnahme Ravennas - fast das gesamte Herrschaftsgebiet
Theoderichs zurückerobern. Aber Ende Juni, Anfang Juli
552 verlor er auf der Hochebene der Busta Gallorum Schlacht und Leben gegen
die zahlenmäßig überlegenen und auch taktisch hervorragend
geführten Truppen des neuen kaiserlichen Feldherrn Narses.
Im Oktober 552 verlor der letzte Ostgoten-König Teja
die letzte Schlacht seines Volkes - zwischen Salerno und Neapel - gegen
Narses.
Die meisten Ostgoten unterwarfen sich dem kaiserlichen Feldherrn, der sie
auf ihre Güter entließ, sofern sie treue Untertanen des Kaisers
zu werden versprachen. Eine kleine Minderheit freier Goten entzog sich
dem Zugriff des kaiserlichen Heeres, konnte aber das ostgotische Königtum
nicht mehr erneuern.
H. Wolfram
Germanischer Stamm, gründete um die Mitte des 4.
Jahrhunderts unter Ermanarich ein großes
Reich am Schwarzen Meer, wurde mit dem Einfall der Hunnen 376 verdrängt
und zog als hunnischer Bundesgenosse nach Westen; nach 451 als Föderaten
des oströmischen Reiches auf dem Balkan angesiedelt. Die oströmischen
Herrscher lenkten die Ostgoten 489 nach Italien; unter Führung ihres
Königs
Theoderich schlugen sie in mehreren Kämpfen
das Söldnerheer des Odoaker und
gründeten das Ostgoten-Reich. Der byzantinische Kaiser Justinian
I. führte seit 535 einen Krieg gegen das Ostgoten-Reich
(Feldherren Belisar und Narses), trotz erbitterten Widerstandes
erlag es schließlich 553.
Walamir | 450- 468/69 |
Walamir | 450- 473 |
Theodemir | 450- 474 |
Theoderich der Große | 471- 526 |
Atahalarich | 526- 534 |
Amalaswintha | Regentin 526- 535 |
Theodat | 534- 536 |
Witiges | 536- 540 |
Ildibald | 540- 541 |
Erarich | 541 |
Totila | 541- 552 |
Teja | 552 |