Günther Rigobert: Seite 77-80,84-89,92-93
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"Römische Kaiserinnen. Zwischen Liebe, Macht und Religion."

Zu guter Letzt schob sich noch ein dritter Kandidat im Kampf um einen Anteil an der Macht in Vordergrund. Es war Flavius Aetius. Geboren um 390 in Durostorum (Silistra) an der unteren Donau. Schon vor 405 besaß Aetius eine militärische Position als Tribun am Kaiserhof. Für drei Jahre von 405 bis 408 hatte ihn Stilicho als Geisel zum Westgoten-König Alarich gesandt. Danach zurückgekehrt, wurde er erneut vergeiselt, diesmal zu den Hunnen. Es ist nicht bekannt, wann er von den Hunnen nach Westrom zurückkehrte. Jedenfalls war er lange genug dort, um eine große Anzahl von Freunden unter den Hunnen zu gewinnen. Als der Usupator Johannes sich zum Kaiser machte, war Aetius für die Erhaltung und Versorgung der kaiserlichen Residenz in Ravenna verantwortlich.
Aber als Aetius mit seinen hunnischen Hilfstruppen in Italien ankam, war Johannes bereits drei Tage tot. Es kam zu einigen Scharmützeln zwischen den Truppen Aspars, des oströmischen Heermeisters, und den Hunnen des Aetius. Was sollte man mit den ungebetenen "Helfern" tun? Ehe es zu schweren Auseinandersetzungen kommen konnte, zahlte Galla Placidia die hunnischen Kontingente aus. Aetius erhielt von der Kaiserin den Generalsrang (comes) und den Posten des Heermeisters in Gallien. Dort entsetzte er Arles, das von den Westgoten belagert wurde.
Die drei fähigsten Heerführer Westroms in jenen Jahren kämpften mit unterschiedlichen Ergebnissen. Im Jahr 427 gewann Flavius Felix Pannonien wieder für Westrom zurück, das von Hunnen besetzt gehalten wurde. In Gallien mußten sich die Westgoten wieder in das von ihnen 418 zugestandene Föderatengebiet zurückziehen. Im Jahr 428 zwang Aetius die mittelrheinischen Franken, von ihnen eroberte linksrheinische Territorien wieder aufzugeben. Weniger Erfolg und Glück hatte Bonifatius in Nord-Afrika im Kampf gegen die maurischen Stämme. Alle drei aber beargwöhnten sich, hielten sich durch Spitzel auf dem laufenden und verdächtigten sich gegenseitig, einen Umsturz zu planen und andere umbringen zu wollen. Zimperlich trat dabei keiner gegenüber dem anderen auf.
In der Zwischenzeit hatte sich das Verhältnis zwischen Felix und Aetius zugespitzt. 428 hatte Galla Placidia Felix zum Konsul bestimmt, 429 ernannte sie ihn zum Patrizius. Aetius stand als Heermeister Galliens rangmäßig unter Felix. Für Felix war Aetius eine gefährlicherer Rivale im Kampf um die Macht als Bonifatius in Afrika, der mit den Vandalen beschäftigt war. Seine Intrigen gegen Bonifatius waren inzwischen bekannt geworden, und Aetius vermutete, daß Felix sich nun vor allem gegen ihn wenden würde. Doch Aetius handelte schneller. Seine Beauftragten schürten Unzufriedenheit unter den Truppen des Felix in Ravenna, dieser tat das Gleiche gegen Aetius. Im Mai 430 kam es zu einem Aufruhr unter den Truppen in Ravenna; die Anhänger des Aetius behielten die Oberhand, und Felix und seine Frau Padusia wurden auf den Stufen der Kathedrale von Ravenna erschlagen.
Jetzt hatte sich die Situation des Kaiserin gründlich geändert. Ihr Günstling Bonifatius war in Afrika unabkömmlich. Galla Placidia mußte dem Verlangen des Aetius nachgeben und ihn zum obersten Heerführer Westroms ernennen. Vorläufig konnnte sie nichts gegen Aetius unternehmen und nominierte ihn für das Jahr 432 zum Konnsul.
431 vertrieb Aetius die Juthungen aus Rätien und aus der Provinz Noricum und drängte die mittelrheinischen Franken, die in kurzer Zeit Trier zum vierten Mal geplündert hatten, wieder zurück.
Um 430 starb der Hunnen-König Octar, ein Freund des Aetius. Die Kaiserin schlußfolgerte daraus, daß damit die engen Beziehungen des Aetius zu den Hunnen ein Ende finden würden. Im Jahr 432 ernannte sie ihren Günstling Bonifatius zum obersten Heerführer und rief ihn nach Italien. Die Ernennung des Bonifatius nahm Aetius nicht ohne weiteres hin. Eine militärische Entscheidung, wer das höchste militärische Amt in Westrom und damit den größten Einfluß auf die Kaiserin ausüben sollte, stand bevor.
Bonifatius kam mit einem starken Heer im Frühjahr 432 nach Italien, begleitet von seinem Schwiegersohn Sebastianus. Galla Placidia ernannte Bonifatius zum Patrizius. Auch Aetius zog mit einem Heer aus Galllien nach Italien. Zur Schlacht kam es in der Nähe von Ariminum (Rimini). Sieger in dieser Auseinandersetzung wurde Bonifatius, allerdings so schwer verwundet, daß er drei Monate später verstarb.
Aber auch jetzt war Galla Placidia nicht bereit, Aetius an die Stelle des Bonifatius zu setzen. Sie ernannte seinen Schwiegersohn Sebastianus zum Generalissimus des weströmischen Heeres. Aetius hatte sich nach seiner Niederlage zuerst auf seinen befestigten Landsitz in Italien zurückgezogen, doch Sebastianus verfolgte ihn. Aetius floh nach Rom, von dort weiter nach Dalmatien und zu den Hunnen in Pannonien. Es gelang ihm, seine freundschaftlichen Verbindungen zu ihnen zu erneuern. Hunnen-König Rua lieh ihm ein Heer hunnischer Krieger, und mit diesem bedrohte er im Jahr 433 Ravenna. Die Kaiserin sandte einen Hilferuf zu den Westgoten, doch diese waren über die Niederlage, die sie von Aetius einstecken mußten, verärgert und kamen nicht. Damit hatte Galla Placidia das Spiel verloren; sie mußte Sebastianus aus seinem Amt entlassen und Aetius zum obersten Heermeister ernennen. Sebastianus floh im Herbst 433 nach Konnstantinopel.
Von 433 bis zu seiner Ermordung durch Kaiser Valentinian III. im Jahr 454 stand Aetius an der Spitze der weströmischen Streitkräfte; 435 wurde er Patrizius.
Aber er dachte nicht daran, die Kaiserin zur Eheschließung mit ihm zu veranlassen. Wie es damals öfters vorkam, wurde die Witwe des besiegten Gegners neue Gattin des Siegers. Etwa 433 oder 434 heiratete Aetius die Witwe des Bonifatius, Pelagia. Damit übernahm er nicht nur dessen Frau, sondern auch das reiche Vermögen des Toten und - das war nicht unwichtig - die Leibgarde des Bonifatius.
Aetius sandte ein hunnisches Hilfsheer gegen die Burgunder, und im Jahr 436 wurden sie entscheidend und vernichtend geschlagen. 20.000 Burgunder sollen dabei umgekommen sein. Aetius bewahrte die Burgunder vor vollständiger Vernichtung und siedelte im Jahr 433 den übrig gebliebenen Rest in der Landschaft Sapaudia an.
437 mußte Galla Placidia Aetius mit dem zweiten Konsulat ehren.
Von einer Wiederherstellung der Reichseinheit konnte aber keine Rede sein. Dynastische Verbindungen überbrückten nicht die bestehenden Gegensätze zwischen Ost und West. Die beiden höchsten Heermeister, der aus alanisch-gotischer Familie stammende Aspar im Osten und Aetius im Westen, belauerten sich gegenseitig uund waren nicht bereit, dem anderen auch nur ein Quentchen Macht abzutreten.
Um 440 etwa ging Aetius seine dritte Ehe ein und heiratete eine Tochter des Westgoten-Königs Theoderich I.
Aetius glaubte, die zeitweilige außenpolitische Stabilität des Reiches nutzen zu können, seine eigene Position im Innern zu festigen. Im Jahr 454 verlobte er seinen Sohn Gaudentius, den ihm seine zweite Gattin Pelagia, die Witwe des Bonifatius, geboren hatte, mit Placidia, der jüngeren Kaiser-Tochter. Kaiser Valentinian III. stimmte nur widerwillig zu. Zu tief saß der ihm von seiner Mutter eingepflanzte Grimm gegen den Oberbefehlshaber. Die ebenfalls gegen Aetius eingenommene Hofkamarilla gewann beim Kaiser die Oberhand. Zu ihren führenden Köpfen gehörte der Eunuch Heraclius und der Sprecher des römischen Senats Petronius Maximus. Während einer Audienz auf dem Palatin in Rom wurde Aetius am 21. September 454 vom Kaiser selbst erschlagen.