Lexikon des Mittelalters:
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Hunnen
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[1] Geschichte:
Um 370 überschritten die Hunnen die Wolga, vertrieben
die Alanen und überrannten Ermanarichs
Ostgoten-Reich. Im Frühherbst
376 zerstreuten sie Athanarichs
westgotische Heere. Während zweier Jahrzehnte errichteten die Hunnen
ein osteuropäisches Reich und unternahmen erst 395 Erkundungsstreifzüge
über den Kaukasus und die untere Donau. Das 400 in der heutigen Valachei
auftauchende, von Uldin
geführte hunnische Heer verbündete sich mit den Römern
und unterstützte sie in den Auseinandersetzungen mit Gaina(s)
sowie Alarich
I. und Radagaisus. Ein allein durch seine Konsequenzen
und aus archäologischen Funden bekannter Hunnenangriff zwischen 402
und 404 vertrieb die Burgunder und Siling-Vandalen
von Weichsel und Oder; letztere schlossen sich den Hasding-Vandalen an
der oberen Theiß und den Pannonien benachbarten, flüchtenden
Quaden-/Suebengruppen an, die gemeinsam am 1. Jan. 407 in Gallien einbrachen.
Nach dem Tode des
Arcadius endete im
Sommer 408 das Einvernehmen mit den Oströmern; die Hunnen überfielen
mit skirischen Hilfstruppen Festungen an der unteren Donau, überschritten
diese und besetzten die Festung Castra Martis, doch wurde 412 zwischen
Konstantinopel und dem
hunnischen Groß-König
Karaton
ein Friede geschlossen. Ein erneuter hunnischer Angriff richtet sich 422
gegen Thrakien, und 424 verlegte Groß-König Ru(g)a
den Sitz des Hunnen-Reiches in die Tiefebene östlich der Theiß.
Zwischen 425 und 440 schlug der von den Hunnen unterstützte Aëtius,
der ihnen in einem im Namen der weströmischen Regierung geschlossenen
Vertrag wohl im Jahre 434 die Provinzen Valeria und Pannonia Prima überließ,
die westgotischen Belagerer gallischer Städte zurück und vertrieb
sie aus Nord-Gallien, Raetien und Noricum. Ebenfalls mit hunnischer Hilfe
maßregelte er 437 die Burgunder vor Worms (Nibelungen, -lied, Etzel/Atli).
Der erneute Angriff
Rugas auf Ostrom
endete 435 mit dem Friedensschluß bei Castra Constantia (am Nord-Ufer
der Donau gegenüber der Stadt Margus), einem eigentlichen Friedensdiktat
des neuen Groß-Königs Bleda
(434-445) und seines Bruders Attila.
Die Angriffe der Vandalen auf Sizilien und der Perser im Osten ausnutzend,
eroberte Bleda 440/41 die Städte
der Moesia Prima und Pannonia Secunda. 441/42 griff auch Attilas
osthunnisches Heer mit der Einnahme der Donaustadt Ratiarias (Arcar) in
den Krieg ein, und gemeinsam schlugen sie das oströmische Heer Aspars.
Der Friedensschluß von 443 ('1. Frieden des Anatolius') lenkte mit
einer einmaligen Entschädigung von 6.000 Pfund und jährlich 2.100
Pfund Tribut einen wahren Goldstrom ins Hunnen-Reich. Attila,
seit 445 allein an der Macht, überflutete 447 mit seinem und den Heeren
seiner germanischen Verbündeten den Balkan, erreichte aber nur die
Besetzung der Dacia Ripensis und Moesia Prima. Im '2. Frieden des Anatolius'
verzichtete Attila im Frühjahr
450 auf die Eroberungen und erneuerte den Frieden von 443. Dahinter verbargen
sich seine Vorbereitungen für seinen gallischen Krieg (451), den er
jedoch nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern aufgab, um sich
über den Rhein zurückzuziehen. Sein Nord-Italienzug (452) brachte
als einzigen Erfolg die Einnahme Aquileias, doch zwang der Angriff des
oströmischen
Kaisers Marcianus auf das Reich an der
Donau Attila zu raschem Rückzug.
Nach Attilas Tod (453) wurde sein ältester
Sohn Ellak
Groß-König; gegen ihn erhoben sich zunächst
seine jüngeren Brüder, dann unter Führung des Gepiden-Königs
Ardarich Gepiden,
Rugier, Sueben
und Sarmaten.
Ellak fiel am Fluß Nedao (nicht lokalisiert) in der zweiten
Völkerschlacht, in der auf Seiten der Hunnen noch Ostgoten und Skiren
kämpften (455). Die nach Osten fliehenden Hunnen organisierte Attilas
mittlerer Sohn Dengitzik
von neuem; er verlor 469 bei einem Angriff auf Ostrom Schlacht und
Leben. Mit ihm endet die europäische Geschichte der Hunnen.
Die welthistorische Rolle der Hunnen bestand darin, daß
sie die erste große Völkerwanderung auslösten. Die ins
römische Reich eindringenden Westgoten,
Vandalen, Sueben, Burgunder und Alanen
flohen vor den Hunnen, doch aus dem bestehenden Hunnen-Reich vermochte
kein einziges Volk auszubrechen; die zweite Welle der Völkerwanderung
suchte die beiden römischen Reichsteile erst nach dem Zerfall des
Hunnen-Reiches heim. So verdankte das römische Reich sein Weiterbestehen
während einer gewissen Periode der hunnischen Freundschaft und Hilfe,
bis die schonungslosen Kriege Bledas
und Attilas dieser ein Ende setzten.