Werners Vorgänger als Graf von Hessen
war bekanntlich Friedrich
I. von Luxemburg, + 1019, Bruder der Kaiserin
Kunigunde und somit Schwager HEINRICHS
II., selbst mit der KONRADINERIN
Irmtrud
verheiratet,
einer Tochter Heriberts, Grafen im Kinziggau und Wetterau, und Schwester
Ottos von Hammerstein, Grafen in Wetterau und Engersgau; wahrlich Rechtstitel
genug, um zu erklären, warum ihm sein kaiserlicher Schwager zusätzlich
zu der ererbten Moselgau-Grafschaft diejenige im Hessengau verlieh, die
ja letztlich konradinisches Erbe war.
In dieser Funktion erscheint Graf Friedrich 1008 (Kassel) und noch in seinem
Todesjahr 1019 (Oberkaufungen, Niederkaufungen, Vollmarshausen und Uschlag).
In der gleichen Grafschaft amtiert Werner I. 1027/39 (Holzhausen
bei Grifte) und 1040 (Vogt von Kaufungen); ebenso Werner II. 1043
(Ihringshausen) und 10467 (Wüstung Venne bei Gudensberg), und, wie
wir bereits wissen, auch Werner III. und Werner IV., die
sich ausdrücklich Graf von Maden oder Graf von Gudensberg
nennen.
Werners I. Vorgänger als königlicher
Bannerträger war wahrscheinlich jener Graf Eppo, der im Jahre
1026 als Vorkämpfer König
KONRADS II.
den Aufstand der Ravennaten blutig niederschlug.
Es gab nur einen Mann, der ernsthaft in Frage kommt,
und das ist der schwäbische Graf Eppo (III.) von
Nellenburg
(+ 1030/34) [62 Über ihn vgl. jetzt Kläui,
Hochmittellaterliche Adelsherrschaften, a.a.O. Seite 50ff. (mit Stammtafel).].
Wahrscheinlich stammen die NELLENBURGER in gerader oder Seitenlinie
von dem 799 im Kampfe gegen die Hunnen gefallenen im Kloster Reichenau
beigesetzten Grafen Gerold ab, dem Bannerträger und Ratgeber
(signifer et consilarius) KARLS
DES GROSSEN, wie ihn Hermann von Reichenau nennt.
Es besteht heute Einigkeit darüber, daß
die Grafen Werner nicht hessicher, sondern schwäbischer Abstammung
sind. Paul Kläui, der sie in Verbindung mit dem Rebellen Werner von
Kyburg bringen und den Herren von Winterthur zurechnen möchte, hat
Graf
Werner I. als Ehemann der Irmgard (von Nellenburg) angesprochen
und diese eher für eine Schwester als eine Tochter Eppos erklärt.
Doch vermochte er keine Besitzbeziehungen der Grafen Werner zu dem
von Kyburg und denen von Winterthur nachzuweisen, die nicht durch die Ehe
der Willebirg von Achalm, Enkelin der Willebirg von Wülfingen
(nordwestlich der Kyburg, westlich Winterthur), mit Graf Werner III.
vermittelt
sein können. Die Beziehungen zu den NELLENBURGERN sind aber
älter, wie Kläui nicht verkannt hat. Zwischen 1027 und 1039 vertauschte
Graf
Udo von Katlenburg namens seiner Gemahlinn
Beatrix,
die eine Schwester Werners I. gewesen sein könnte, an KONRAD
II. den Ort Nürtingen im Neckargau und Holzhausen im Hessengau
in der Grafschaft Werners I.
und am 7. September schenkte KONRADS
Sohn und Nachfolger HEINRICH
III. denselben Ort Nürtingen im Neckargau in der Grafschaft
Werners II. an das Domkapitel Speyer. Am 22. November 1059 aber
schenkte HEINRICH
IV. die Münze in Kirchheim im Neckargau in der Grafschaft
Eberhards an ebendiesen Grafen zur Belohung für seine treuen Dienste
[72 DH IV 60.]. Daß es sich dabei um Eberhard IV. von Nellenburg,
den jüngsten Sohn Eppos handelt, ist außer Streit. Seit
dem Jahre 1071 - das heißt nach dem Tode seines Vertrauten Werner
III. (1066) und der Niederlage Ruggers
II. von Bilstein bei Eschwege (1070) - bediente sich der König
(HEINRICH IV.) zumeist des Rates des
Grafen Eberhard, eines sehr klugen Mannes [73
Lamperti Opera,
Seite 119; Jahrbücher des Lambert von Hersfeld, Seite 95.]. Ja HEINRICH
IV. selbst sprach dies in einer Urkunde für das Regensburger
Kloster Niedermünster vom 27. Oktober 1073 mit fast den gleichen Worten
aus. Die dreifache Beziehung der Grafen Werner zu den NELLENBURGERN
läßt sich kaum durch die Annahme erklären, daß Werner
I. von Hessen mit einer Schwester Eppos III. und Vaterschwester
Eberhards
IV. von Nellenburg verheiratet war. Eine solche Verschwägerung
würde weder den mutmaßlichen Übergang des Bannerträgeramtes
von Eppo auf Werner I., noch die Vertreterrolle, die Eberhard
während
der Minderjährigkeit Werners III. (1053-1059) und erneut
während derjenigen Werners IV. (1066-1075) spielte,
zu rechtfertigen vermögen. Selbst wer die Deutung der Wipo-Stelle
auf das Bannerträgeramt und die Gleichsetzung des dort genannten Grafen
Eppo mit Eppo von Nellenburg ablehnt, müßte die Verschwägerung
eine Generation tiefer ansetzen, das heißt Werners I. (oder
Werners
II.) Frau für eine Schwester Eberhards IV. halten. Bejaht
man jedoch die hier gegebene Ausdeutung Wipos, so bleibt nur der Schluß,
daß Werner I. der älteste Sohn Eppos III. war,
wodurch alles aufs beste in die Reihe käme.
Eppos Ehe wird nun freilich im allgemeinen auf
1009 datiert, reichlich spät, wenn man Werner I. als einen
Sproß dieser Ehe ansehen will. Denn er scheint schon gegen 1020 der
hessische Amtsnachfolger Friedrichs von Luxemburg geworden zu sein, wird
von Wipo schon zum Jahre 1024 als erprobter Berater KONRADS
II. genannt und erhielt 1025 eine Ehrengeschenk des Königs.
Doch hat schon Kläui darauf hingewiesen, daß "das in der Literatur
genannte Heiratsdatum 1009 nicht strikte zu nehmen ist". Da Eppos
jüngster (und wohl vierter) Sohn Eberhard spätestens 1018,
wahrscheinlich merere Jahre früher geboren ist, steht von hier aus
nichts im Wege, die Geburt des ältesten Sohnes gleicher Ehe auf ca.
1000 anzusetzen, und das würde zu den Lebensdaten Werners I. durchaus
passen. Eben diese Lebensdaten liefern einen weiteren Anhaltspunkt für
die Zurechnung Werners zu den NELLENBURGERN.
Wenn Werner I. die Grafschaft Hessen im
Jahre 1020 oder doch jedenfalls nicht allzulange nach dem Tode seines 1019
gestorbenen Vorgängers Friedrich erhielt, so wurde seine Ernennung
von Kaiser
HEINRICH II. (+ 13. Juli 1024) ausgesprochen. Nach
jahrelangen erbitterten Kämpfen des Kaisers mit den Brüdern seiner
Frau Kunigunde,
darunter Friedrich von Luxemburg und Hessen, ist es ziemlich unwahrscheinlich,
daß er Hessen einem Sohn oder Schwiegersohn Friedrichs verliehen
hätte. Wenn also Werner die Grafschaft auf Grund verwandtschaftlicher
Beziehungen erhielt, so könnnen es nicht solche zu seinem Vorgänger,
sondern nur solche zum Kaiser selbst gewesen sein. Daß solche bestanden,
wird durch die beiden anderen bereits zitierten Nachrichten sehr wahrscheinlich
gemacht. Wipo berichtet zum Regierungsbeginn KONRADS
II., daß ihm seine Aufgabe durch drei bevorzugte Berater
erleichtert worden sei: Hierzu tat am meisten der Scharfblick des Bischofs
Brun von Augsburg und der Rat Bischof Werners von Straßburg;
so auch der des Ritters Werner, den der König geraume Zeit
als vorsichtig im Rat und kühn in Kämpfen oft erprobt hatte.
In einer Urkunde von 1025 aber erklärt KONRAD
II. selbst [79 D KII 35.], er habe auf Intervention und
beständigen hingebenden Dienst Unseres geliebten Brun,
das heißt des Bischofs von Augsburg, Unserem Getreuen Werner
661/2 Hufen geschenkt. Bischof Brun
tritt nicht nur als Intervenient auf, sondern seine Dienste in erster Linie,
nicht diejenigen Werners, sollen durch die Schenkung an Werner
belohnt
werden. Folglich ist Werner als nnaher Verwandter Bischof
Bruns, neben dem er im königlichen Rate saß, zu erachten.
Mit der Feststellung, daß Werner I. ein
Verwandter Kaiser HEINRICHS II. und
seines Bruders Bischof Brun von Augsburg
gewesen sein muß, haben wir einen unmittelbaren Beweis dafür
in den Händen, daß Werner ein Sohn Eppos III. von Nellenburg
war. Denn Eppos Frau Hadwig war nach einer Notiz des über
die NELLENBURGER gut informierten Bernold von St. Blasien eine consobrina,
das heißt eine 'Base' Kaiser HEINRICHS II.
Eine consobrina kann sein:
1. die Tochter der Mutterschwester (allenfalls auch des
Mutterbruders)
2. die Tochter des Vaterschwester (dagegen eigentlich
nicht des Vaterbruders)
3. die Tochter der eigenen Schwester, schließlich
jede weibliche Verwandte, die nicht zu den Agnaten
gehört, nicht aber eine Verwandte
der eigenen Frau.
Die große Sippe Kunigundes
scheidet also aus. HEINRICH und Brun
hatten
nur eine einzige Schwester: Gisela,
die den Ungarn-König Stefan I.
heiratete. In Prinz Isenburgs Stammtafeln ist ihr prompt eine Tochter Hedwig,
Frau des Grafen Eberhard II. im Thurgau (= Eppo III. von Nellenburg),
zugeschrieben worden, was Szabolcs de Vajay mit Recht zurückgewiesen
hat.
Damit stehen wir schon vor der letzten Möglichkeit,
und diese scheint aussichtslos. Denn HEINRICHS
und Bruns Vater Heinrich
der Zänker hatte (außer der Gandersheimer
Äbtissin
Gerberga) wiederum nur
eine einzige Schwester: Hadwig
Herzogin von Schwaben. Aber Hadwig,
geboren frühestens 938, vermählt ca. 954/55 mit Herzog
Burkhard II. von Schwaben, seit 11./12. November 973 Witwe, + als
solche am 28. August 994, war nach Angabe ihres Biographen kinderlos, ja
trotz 18-jähriger Ehe "unerkannt, wenn auch nicht unberührt"
[85 Meyer von Knonau/Placid Bütler, Ekkeharts IV. Casus Sancti
Galli (GDV XXXVIII), ²1925, Seite 157.]. Allerdings ist Ekkehard IV.
in diesem Punkt keineswegs glaubwürdig [86 Ebd. Seite XXXIV.]:
"Nirgends stehen wir auf einem recht sicheren
Boden. In geradezu unerträglicher Weise aber
häuften sich diese Verwirrungen mit
der Zeit des ersten Abtes Burkhart ... Die im November 973
verwitwete Herzogin
Hadwig besucht erst jetzt nach dem Tode ihres Gemahls den (schon
im Mai
971 vom Amt zurückgetretenen) Abt Burkhart
und nimmt, trotz der entschiedenen Warnungen des
(schon am 14. Januar 973 verstorbenen) Decanes
Ekkehart I., dessen gleichnamigen Neffen
[Ekkehart II.] als Lehrer nach dem Twiel
mit, und darauf empfiehlt sie denselben nach Verfluß einer
nicht allzu kurzen Zeit dem (seit Mai 973
verstorbenen) Kaiser
OTTO I. als Lehrer für dessen
(schon einige Jahre völlig selbständig
gewordenen) Sohn OTTO
II. Man sieht, was für ein wirrer
Knäul von gänzlich unmöglichen
Dingen hier vorliegt."
Diesen Knäul hat Franz Beyerle ebenso einfach wie
ingeniös entwirrt [87 Das Burgkloster auf dem Hohen Twiel (Hohentwiel,
Bilder aus der Geschichte eines Beges, ²1957, Seite 126ff.) Vgl. auch
Otto Feger, Herzogin Hadwig in Dichtung und Wirklichkeit (ebd. Seite 114ff.,
speziell Seite 120ff.]: Die Geschichte spielt nicht nach dem Tode, sondern
zu Lebzeiten Herzog Burkhards, und zwar offenbar mehrere Jahre vorher,
als Abt Burkhard noch amtierte und OTTO II.
noch nicht mündig war; Ekkehards Berufung an den Hof wird mit den
seit 967 betriebenen und durch die Verheiratung OTTOS
II. mit Theophanu
am 14. April 972 gekrönten griechischen Heiratsplänen zusammenhängen.
Als Ekkehard II. als Lehrer Hadwigs
auf dem Hohentwiel war, mag sie in der Tat noch kinderlos gewesen sein;
die Ehe blieb lange ohne Kinder, und das Herzogspaar hatte die Hoffnung
auf Nachwuchs bereits aufgegeben [88 MGH SS XX, Seite 637 = Casus
monasterii Petrishusensis (aus dem 12. Jahrhundert), neu herausgegeben
und übersetzt von Otto Feger, Die Chronik des Klosters Petershausen,
1956, Seite 74f., I 43: Per idem tempus Burchardus religiosus dux et
Hadiwich
eius
coniunx, cum non haberant carnalem, Christum sibi elegerunt herdem, ac
prionde in castello suo quod est in monte Duello [= Twiel] monasterium
constituerunt.]. Aber da Hadwig
beim Tode Burkhards höchstens 35 Jahre alt war, kann sie wohl noch
geboren haben; ja, ich möchte ihr sogar zwei Kinder zuschreiben:
1. den (dann natürlich nach Hadwigs
Vater und Bruder genannten) Reichenauer Mönch Heinrich,
der im Reichenauer Verbrüderungsbuch
[89 MGH Libri confraternitaum, Seite 164, Spalte 34.]
zwischen Burkhard und Hadwig
[90 Diese allein stehen auch in der umgekehrten Folge Hadevic,
Purcart im gleichen Verbrüderungsbuch,
a.a.O. Seite 258, Spalte 368.] steht: Purchart, Heinrihc
mon(achus), Hadwihc,
(geistlich geworden wohl in Erfüllung eines Gelübdes des so lange
kinderlosen Paares mit Zustimmung
Hadwigs,
die lieber Herzogin als Herzogin-Mutter sein wollte
[91 Vgl. Robert Holtzmann,
Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit, Seite 253.], und früh
verstorben
2. die spätere Frau Eppos III. von Nellenburg.
Hadwigs Biograph
Ekkkehard IV. hat das entweder nicht gewußt - er schrieb beträchtlich
später und ist erst nach 1057 gestorben - oder er hat es unterschlagen.
Das vertraute Verhältnis der "überaus schönen" Herzogin
[92 Meyer von Knonau, a.a.O. Seite 156.], "welche überhaupt
für ihn eine Lieblingsfigur ist" [93 Ebenda Seite 156 Anm.
4.], zu Ekkehard III., St. Gallens Stolz, mag überliefert und von
der Klostertradition weidlich ausgeschmückt worden sein; er hat es
dann zur Erhöhung des pikanten Reizes in die Witwenzeit Hadwigs
verlegt und um die typische Mönchserfindung ihrer fortdauernden Jungfräulichkeit
[94 Ebenda Seite 157 Anm. 2. - Vor allem auch Franz Beyerle, a.a.O.
Seite 132 mit Anm. 40.] bereichert. Quellenwert kommt dem kaum zu.
Setzt man die Prämisse, daß Burkhard und Hadwig
eine Tochter gehabt haben können, ergibt sich der weitere genealogische
Beweis mit großer Zwangsläufigkeit:
a) Die Ehefrau Eppos III. von Nellenburg und
Mutter seiner Kinder, von denen man das jüngste,
Eberhard IV., eher vor als
nach 1015 geboren sein wird, kann zeitlich eine Tochter Herzog
Burkhards und seiner Frau Hadwig
sein, insbesondere wenn man davon ausgeht, daß deren Ehe
lange kinderlos blieb.
b) Als Tochter Hadwigs
wäre
sie eine Vaterschwestertochter, also eine echte consobrina Kaiser
HEINRICHS
II. und Bischof Bruns von Augsburg
c) Sei heißt Hadwig wie die Herzogin.
d) Ihr (älterster oder) zweitältester
Sohn heißt Burkhard wie der Herzog und trägt damit einen bei
den
NELLLENBURGERN bis dahin nicht
nachzuweisenden Namen; Burkhard heißt ebenso einer ihrer
Enkel, ein Sohn Eberhards IV. von
Nellenburg
e) Die Reihe Purchart, Heinrihc mon(achus),
Hadwihc
im Reichenauer Verbrüderungsbuch, in deren
beiden Außengliedern bereits
Franz Beyerle [95 A.a.O. Seite 129 mit Anm. 30. - Allerdings würde
ich nicht unterstellen, daß
das Herzogspaar gelegentlich eines Besuches in das Verbrüderungsbuch
aufgenommen sein muß; ich denke
eher an eine Aktion Eberhards IV. von Nellenburg zu ihren
Gunsten.] das Herzogspaar erkannte,
folgt - nach Zwischenschaltung von drei nicht hierher
gehörenden Namen Hadewich,
Eberhart,
das heißt auf Frau und Sohn Eppos III. von Nellenburg.
Denn die zweite Spalte derselben Seite
wird von Chunigunt comitissa, EBEHART eröffnet, die
dritte Spalte von Manegolt com(es)
[96
A.a.O.
Seite 164, Spalte 35 und 36.]. Schon der
Herausgeber Piper betonte [97 Ebd.
Anm. 34,2.], daß es hier "ohne Zweifel" um die Grafen
Eberhard II. und Mangold
von Nellenburg handele. Die genannte dritte Spalte schließt mit
Ebo,
Werinhere, das heißt
doch wohl mit Eppo III. von Nellenburg und Werner I. von Hessen.
Die
gesamte nächste Generation der
NELLENBURGER
finden wir im Anschluß an
NOMINA FRATRUM DE MONASTERIO QVOD
DICITVR DUELLVVM (die Namen der Brüder
des Klosters, das Twiel genant wird
[98 Ebd. Seite 339 Spalte 625-627; Faksimilie bei Beyerle,
a.a.O. Seite 135.]; wie Franz Beyerle
mit Recht bemerkt [99 A.a.O. Seite 134.]: "Besucher- oder
Pilgernamen beiderlei Geschlechts".
Unter den 36 Namen der älteren Schicht dieser in die
Gebetsbrüderschaft Aufgenommenen
finden wir mindestens 9 nellenburgische: Adalbreht ...
Purchart, Eberhart ... Adelheit
... Ita, Eberhart [Ehepaar!] ... Werinhere [also erneut Werner!]
...
Hirmingart, Manegolt. Gewiß,
die Nellenburg lag nicht weit vom Hohentwiel entfernt, aber eine
derartig starke Anziehungskraft des
kleinen Burgklosters auf die NELLENBURGER läßt sich
kaum ohne eine nahe persönliche
Beziehung zu dessen Stiftern verstehen.
f) Ein hervorragender Kenner der Besitzverhältnisse
in diesem Raum, Theodor Mayer, hat gesagt:
"Die Vermengung und Verzahnung von
Nellenburger und Burkhardinger Besitz scheint die
Tatsache der Abstammung [der
NELLENBURGER
von den BURKHARDINGERN] sicher
zustellen [100 Die Anfänge
des Stadtstaates Schaffhausen, 1954, Seite 11.]." "Herzog Burkhard II.
hat vor seinem Tode dem Kloster Reichenau
Schleitheim [an der Wutach], Beggingen,
Schlatterhöfe und Talerhof geschenkt...
Andererseits aber wissen wir aus den Schenkungen der
NELLENBURRGER, daß diese
ebenfalls im Wutachtal und hinauf gegen den Schwarzwald
Besitzungen hatten, die sie an das
Kloster Allerheiligen (gestiftet 1049/50 von Eberhard IV. von
Nellenburg) gaben Burkhardinger
und Nelllenburger Besitz lag also auch in diesem Raum in enger
Nachbarschaft. Die Verzahnungen der
Besitzungen der beiden Häuser fällt umsomehr ins Auge,
wenn man den Hegau überhaupt
herauszieht, wo immer wieder herzoglicher und nellenburgischer Besitz
im ganzen gesehen in Gemengelage sich befand.
Mag man diese Beweisführung, die mit der gesetzten
Prämisse steht und fällt, akzeptieren oder ablehnen - eines hat
man sich jedenfalls aus dem Vorgetragenen mit hochgradiger Gewißheit
ergeben: Die Grafen Werner sind nicht nur schwäbischer Abstammung,
sie verdanken ihren schwäbischen Beziehungen auch die beiden bedeutenden
Rechtstitel, die sie später auf Kunigunde
von Bilstein und durch sie auf die GISONEN und die LUDOWINGER
vererbt haben: die Stellung als königliche Bannerträger unmittelbar
der Erblichkeit dieses Amtes, die Hessische Grafschaft der Gunst ihres
Verwandten Kaiser HEINRICHS II. Konradinische
Beziehungen haben offenbar nicht mitgespielt, und für die
BILSTEINER
ist in der älteren
wernerischen Genealogie kein Raum.
Umgekehrt liegt es mit der Hersfelder Vogtei, an der
die Grafen Werner in keiner Weise beteiligt waren. Vorgänger
der BILSTEINER, GISONEN, LUDOWINGER war hier der Graf
Udo, der ein KONRADINER gewesen sein
kann. Wir finden ihn in Urkunden von 1057,1059/72,1072/90 (wohl 1072/75)
und 1075 als Hersfelder Vogt genannt, in der letzterwähnten gleichzeitig
mit Rugger II., der ebenfalls als Vogt bezeichnet wird. Da neben
den beiden noch ein Untervogt Dietmar (Dietmarus subadvocatus) erscheint,
kann Rugger kein bloßer Untervogt gewesen sein, was ohnehin
mit seiner Betitelung als comes et advocatus und seiner Funktion
als Vorsitzender des Grafengerichts nicht vereinbaren wäre. Ebensowenig
kann er als Vogt der Hersfelder Propstei Petersberg angesehen werden; denn
dieses Amt versah 1073 wie 1096 ohne jeden Zweifel der für sie handelnde
Graf Meginfrid (von Felsberg), den man in völliger Verkennung seiner
Funktion als Vorgänger und darum als zweiten Schwiegervater des seit
1099 bezeugten Hersfelder Vogtes Giso angesprochen hat. Weder in
früheren noch in späteren Urkunden treten jemals zwei Hersfelder
Vögte nebeneinander auf: Der 1057 neben Udo genannte Vogt (advocatus
ecclesie nostre) und Burggraf (urbis comes) Sigebodo,
den Landau irrig für einen Hersfelder Burggrafen hielt, ist in Wahrheit
der erzbischöfliche Vogt und Burggraf von Mainz; der 1099 neben Giso
genannte Marcwart advocatus ist der Vogt des Abtes Ebo von Schlüchtern,
wie sich in beiden Fällen eindeutig aus dem Text der betreffenden
Urkunde ergibt. Hatte das Stift Hersfeld also (wie ohnehin vorauszusetzen)
nur einen Hochvogt, so muß Rugger II., der 1075 als Vogt erscheint,
aber noch in der Hersfelder Urkunde vonn 1073 lediglich als Graf und nicht
als Vogt bezeichnet wird, kein Amtskollege, sondern der Amtsnachfolger
des von 1057-1075 als Vogt auftretenden Udo sein. Ihr scheinbares Nebeneinander
in der Urkunde von 1075 erklärt sich daraus, daß bei ihr, wie
so oft, Rechtsakt und Beurkundung nicht auf den gleichen Tag fielen. Wir
kennen nur das Datum des Rechtsaktes: 27. Juli 1075 (Hec ... traditio
facta est ... VI. Kal. Augusti). Bei diesem amtierte noch Udo als Vogt.
Beurkundet wurde die Tradition offenbar erst, nachdem Rugger, der
bei ihr lediglich als Vorsitzender des Grafengerichts im Vierbach mitgewirkt
hatte, auch das Vogtamt übernommen hatte, was der Schreiber berücksichtigte.
Am 1. Dezember desselben Jahres 1075 war der Hersfelder Mönch Ruthard
von HEINRICH IV. zum Abt von Fulda
ernannt worden. Er wird Udo mitgenommen oder nachgeholt haben, um sich
in seiner nnicht ganz einfachen Lage einen Rückhalt zu schaffen. Im
Jahre 1079 ist Udo auch urkundlich als Vogt von Fulda bezeugt. Ob zwischen
Udo und Rugger II. verwandtschaftliche Beziehungen bestanden, läßt
sich angesichts des Umstandes, daß dieser ihn nicht beerbte, sondern
dem Lebenden ins Amt folgte, schlechterdings nicht klären.
Hinsichtlich der bilsteinisch-gisonischen
Besitzungen an der Sieg und bei Wied hat bereits H. Gensicke einen sehr
interessannten Hinweis gegeben: Die BILSTEINER, so vermutet er,
"seien vielleicht durch weibliche Verwandtschaft mit dem Grafen Otto von
Hammerstein Inhaber der Grafschaft des Engergaues geworden", in dem diese
Güter liegen. Wir lassen es dahingestellt, ob jemals ein BILSTEINER
im Engersgau als Graf geboten hat, zumal die vielfach vertretene Abstammung
der Grafen von Wied von Rugger von Bilstein unbewiesen ist. Aber
daran, daß die BILSTEINER im Engersgau Allodialbesitz hatten,
ist kein Zweifel möglich, und dieser wird letzen Endes aus konradinischem
Erbe
stammen. Verstärkt wird dieser Schluß durch die Festsellung,
daß die BILSTEINER auch in der Wetterau begütert waren.
Denn in der Wetterau gebot seit dem frühen Tod seines älteren
Bruders Gebhard (+ 1016) ebenfalls Otto von Hammerstein als Graf, wie Generationen
seiner Vorfahren vor ihm. Nach seinem Tode am 5. Juni 1036 erscheinen in
beiden Gebieten neue Grafen. Die Eigengüter der KONRADINER
jedoch werden, wie im Engersgau, so auch in der Wetterau an die Allodialerben
Ottos von Hammerstein gefallen sein, dessen einziger (gleichnamiger) Sohn
vor ihm gestorben war. Zu diesen Erben scheinen auch die BILSTEINER
gehört
zu haben.
Am deutlichsten zeigen sich Beziehungen zu den KONRADINERN
bei
Braubach am Rhein. Im Jahre 983 schenkte die edle Frau Woltrud, die Mutter
Konrads, an das Kloster Seligenstadt durch die Hand desselben ihres Sohnes
Konrad ... allen Zehnt in der Diezer und der Braubacher Mark, sowie in
Lahnstein eine Hufe, einen Weinberg, einen Garten und allen Zehnt desselben
Dorfes.
Der Sohn des Wiltrud ist, wie schon H.B. Wenck gesheen
hat, Konrad 'Kurzbold', Graf im Niederlahngau, der im Jahre 910 das Kloster
Limburg stiftete und am 30. Juni 948 starb, Sohn des KONRADINERS
Eberhard, ebenfalls Graf im Lahngau, + 902. Auf Konrad folgte im Niederlahngau
ein Graf Eberhard, zu dessen Grafschaft am 4. April 958 Oberneisden südlich
Limburg gehörte und der am 10. Mai 966 starb. Man hält ihn um
dieser Amtsnachfolge und um seines Namens willen gleichfalls für einen
KONRADINER,
wohl einen Brudersohn des kinderlosen Konrad. Trifft das zu, so gewinnt
eine genealogische Kombination für uns unmittelbares Interesse. Eberhard
Winkhaus hält nämlich Willebirg von Wülfingen-Embrach, die
Großmutter der Willebirg von Achalm (Frau des Grafen Werner
III. und Mutter des Grafen Werner IV.), für eine KONRADINERIN,
so daß sich die auf der folgenden Seite dargestellte Abstammung erben
würde.
Diese Reihe, die hier nicht überprüft werden
kann, verdient unsere Aufmerksamkeit vor allem deswegen, weil sie sich
auf ganz andere Argumente als die hier Zur Erörterung stehenden stützt.
Winkhaus hat sie nämlich nur bis auf Willebirg von Wülfingen-Embrach
herabgeführt, ohne etwas davon zu ahnen, daß Werner III.
als erstes Glied seines Geschlechts in der einstmals konradinischen
Ohm-Lahn-Grafschaft
gräfliche Rechte ausgeübt hat und daß sein Sohn Werner
IV. die Hälfte von Braubach besaß und an Mainz schenkte,
dessen Zehnt dereinst von Wiltrud und ihrem Sohne Konrad Kurzbold vergabt
worden war.
Ist die Reihe richtig, so folgt aus ihr weiter, daß
die BILSTEINERIN Kunigunde, die in der anderen (nicht in der von
Werner
IV. an Mainz geschenkten) Hälfte von Braubach begütert war
und deren Mann Giso IV. nach dem Tode Werners IV. die Grafschaft
Maden-Gudensberg erhielt, ebenfalls von Willebirg von Achalm abstammen
muß. Da Kunigundens Vater Rugger II. ein Sohn Ruggers
I., folglich kein Sohn Werners III. war, muß also dessen
Frau, Kunigundens Mutter, eine Tochter Werners III.
und der
Willebirg von Achalm gewesen sein.
Ein weiter Umweg, um die Frau Ruggers II. zu ermitteln,
könnte man urteilen. Aber dies war keineswegs der Endzweck der angestellten
Untersuchungen. Sie haben vielmehr zu einer bedeutsamen Bereicherung unseres
Wissens um die hessische Geschichte geführt:
1. Rugger II. von Bilstein hat - außer rheinischen
Besitzungen - die, in ihrer nunmehrigen
Begrenzung nach ihm genannte, Grafschaft
Rucheslo geerbt [und über seine Tochter Kunigunde
an die GISONEN, über seine
Enkelin Hedwig an die LUDOWINGER weiterverebt], weil er mit
einer Tochter seines Amtsvorgängers
Werner
III. verheiratet war.
2. Giso IV. von Gudensberg verdankt seiner Ehe
mit der Tochter Ruggers II. von Bilstein - außer
rheinischen Besitzungen und der Grafschaft
Rucheslo [und der seit 1075 bilsteinischen Vogtei über
Hersfeld] - die Hessische Grafschaft
Maden-Gudensberg; denn seine Frau Kunigunde von Bilstein
erheilt als Schwestertochter des kinderlosen
Grafen Werner IV. dessen hessisches Erbe.
Es waren Ehen von echter geschichtlicher Bedeutung, und
es ist keine Übertreibung zu sagen: Die BILSTEINERIN Kunigunde
ist die Schlüsselfigur bei der Entstehung der thüringisch-hessichen
Landgrafschaft. Ohne sie wäre die Geschichte unseres Landes und unserer
Heimat anders verlaufen.