Ludat Herbert: Seite 56,72,77,87
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"An Elbe und Oder um das Jahr 1000. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte in Mitteleuropa"

Ähnlich wie nach dem Tode Mieszkos I. damals Boleslaw sah dieses Mal Mieszko II. die Einheit des PIASTEN-Staates, die durch seine und Richezas Krönung sofort nach dem Tode des Vaters unmißverständlich betont worden war und deshalb auch das Mißfallen am deutschen Hof erregt hatte, durch die Ansprüche seiner Brüder und deren Nachkommen und Anverwandten aus Odas Geschlecht aufs schwerste bedroht, was die Zeugnisse dieser Jahre und die nachfolgenden Ereignisse klar bestätigen. Zu seinen einflußreichsten Gegnern auf sächsischer Seite zählte fraglos das Haus HALDENSLEBEN, vor allem Bernhard, der Markgraf der Nordmark, und Dietrich, der Sohn der Thietburga und des 1009 erschlagenen Grafen Dedi von Wettin, ein Neffe also Bernhards und der Mathilda von Brandenburg.
4. Boleslaw erhielt damit die Teilhabe am Imperium Romanum und wurde durch die Absprache eines
    Ehebündnisses zwischen dem Kaiserhaus und der PIASTEN-Dynastie zu einem ebenbürtigen
    frater gemacht [425 Vgl. M. Uhlirz, Jbb. Ottos III., Seite 322,416 und 558. - Über die "Familie der
    Könige" vgl. F. Dölger, in: Hist. Jb., Band 60, 1940, Seite 397ff. - Durch die Eheabsprache
    zwischen Herrscherhäusern entsteht eine familienrechtliche Bindung (affinitatis iura), die meist
    durch weitere Verträge (foedus, amicitia, pax perpetua) ergänzt wurden (vgl. M. Wielers, a.a.O.,
    Seite 62). Frater betont die Gleichrangigkeit und Ebenbürtigkeit.]. Die Ehe wurde vorgesehen
    zwischen Boleslaws noch unmündigem Sohn Mieszko und der Nichte des Kaisers Richeza, die
    Tochter des Pfalzgrafen Ezzo und der Schwester des Kaisers Mathilde. Außerdem empfing
    Boleslaws jüngster Sohn in der Taufe den Namen des Kaisers. Bereits einige Jahre zuvor war durch
    ähnliche Akte die Verwandtschaft zum Dogenhaus und zu den ARPADEN hergestellt worden.
Für diesen Zug Boleslaws gab es gewiß gewichtige Gründe: die Teilnahme an der in Magdeburg erneut vertagten Verhandlung gegen Erzbischof Gisiler von Magdeburg, der die Gnesener Lösung als Schmälerung seiner Rechte ablehnte, sowie die Absprache mit dem Pfalzgrafen-Ehepaar über die Eheschließung der Kinder Richeza und Mieszko [451 Die Eheabsprache, über die kein genaues Datum vorliegt, die aber nur in die Zeit OTTOS III. fallen kann und über deren Zweck wir auf Grund der zuverlässigen und sich als gut unterrichtet erweisenden Baruweiler Übberlieferung (vgl. H. Patze; Adel und Stifterchronik, in: Bll. f. dt. Landesgesch., Band 100, 1964, Seite 51), die noch unmittelbar auf Richeza selbst zurückgeht, informiert werden, ist schon von den späteren Quellen mit den Gnesener Vorgängen verknüpft und mit legendären Zügen ausgeschmückt worden. Die Verwendung des Terminus "frater" in der Schilderung des Gnesener Aktes  beweist, daß dort die leibliche Verwandtschaft zwischen dem Kaiserhaus und der PIASTEN-Dynastie hergestellt worden ist, wofür die Anwesenheit des Pfalzgrafen nicht erforderlich war (vgl. u.a. M. Wielers, a.a.O., Seite 60ff.).].
Was dieser piastisch-liudolfingische Ehebund für die Politik Boleslaws und in der Auffassung des PIASTEN-Hofes bedeutete, geht nun unmißverständlich auch daraus hervor, daß dem aus dieser Ehe im Jahre 1016 geborenen Sohn Kazimierz [493 Ann. Capit. Crac. zu 1016: Kazimirus dux natus est VIII kal. Augusti, Iuna XVI." (in: MPH II, Seite 793).] noch der programmatische Beiname Karolus gegeben wurde [494 Galli Anonymi Cronica, Band 1, c. 17: "... Kazimirum id est Karolum, ...". Diese einwandfreie Überlieferung (K. Maleczynski, Seite 40, n. 4) wird auch durch andere Zeugnisse bestätigt (vgl. O. Balzer, Genealogia Piastow, Seite 81ff.). Die spätere Überlieferung hat die Legende vom "Mönch" Kazimierz gesponnen, obwohl die gewichtigen Krakauer Kapitelsannalen zum Jahr 1026 nur sagen: "Kazimierus traditur ad discendum", das heißt, er wurde zur Erziehung in eine Klosterschule geschickt, wie es damals weithin üblich war und wo auch sein Vater Mieszko nur die ihm nachgerühmte hohe Bildung erhalten haben kann, vermutlich irgendwo in der rheinischen Heimat seiner Mutter Richeza; vgl. die Zusätze in einigen Handschriften der Vita S. Stanislai (in: MPH IV, Seite 366): "... Casemerus vero in Alemania litterarum apicem attigisse dinoscitur, sicut in cronici comprobatur." Jedenfalls empfiehlt es sich nicht, auf derartigen legendären und apokryphen Zeugnisse die Geschichte Mieszkos II. und Richezas aufzubauen, wie es kürzlich durch D. Borawska, Kryzys, geschehen ist. Ihre glänzend beschriebene Studie beruht weithin nur auf der unbeweisbaren und völlig unglaubwürdigen Prämisse, dass Richeza seit Beginn ihrer Ehe mit Mieszko nahezu zwei Jahrzehnte lang eine Nebenfrau am PIASTEN-Hofe habe ertragen müssen, bis sie es dem offenbar leid gewesen sei und die Gelegenheit der Bruderkämpfe benutzt habe, um nach Deutschland zurückzukehren!].
Ohne damit auf das vieldiskutierte Problem von Einheit und Teilbarkeit des PIASTEN-Staates beim Tode Boleslaws anspielen zu wollen, mag noch eine spätere Nachricht, Mieszko II. habe die Würde eines Königs propter dignitatem uxoris erhalten, hier angeführt werden als Zeugnis für das große Gewicht, das man noch Jahrhunderte danach diesem Ehebund mit der Kaiser-Nichte, die in den späteren Quellen meist zur Schwester OTTOS III. wurde, beigemessen hat. Daß diese hohe Einschätzung in dem düsteren Bild, das die Chronistik inzwischen von der Zeit Mieszkos II. und Richezas entworfen hatte, der historischen Wirklichkeit am Hofe Boleslaws in jenen Jahren nahekommmt und die Bedeutung jener Vorgänge, in deren Mittelpunkt Richeza gerückt war, durchaus treffend charakterisiert, scheint mir nicht zweifelhaft.
Richeza, die Nichte OTTOS III., Enkelin der Theophanu und Ur-Enkelin OTTOS DES GROSSEN, aus Lothringen, der Wiege karolingischer Überlieferung entstammend, durch ihren Vater selbst karolingischen Geblüts, muß dem PIASTEN-Hof und insbesondere Boleslaw Chrobry als die Personifizierung all der großen Traditionen und Aufgaben erschienen sein, in deren Zeichen der Akt von Gnesen gestanden hatte. Durch sie, seit Kazimierz-Karolus, konnten sich alle Angehörigen der PIASTEN-Dynastie rühmen, zugleich auch Nachfahren der OTTONEN und KAROLINGER zu sein.
Richeza selbst hat zeit ihres Lebens den Titel einer Regina Poloniae geführt, die Wiederherstellung des Königtums durch ihren Enkel Boleslaw II. hat sie nicht mehr erlebt, aber die EZZONEN-Tradition hat den Stolz auf die Erneuerung des PIASTEN-Staates durch ihren Sohn Kazimierz bewahrt.