in: Ehlers/Müller/Schneidmüller: "Die französischen Könige des Mittelalters"
LUDWIG IV. ("DER ÜBERSEEISCHE") 936-954
Ludwig IV.
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* ca. 921, + 10.9.954
Reims
Begraben: Abtei St-Remi/Reims
Eltern: Karl III. "der Einfältige" von W-Franken (+ 929) und Eadgyfu, Tochter des Angelsachsen-Königs Edward I. (+ 926) und Schwester des Angelsachsen-Königs Athelstaan (+ 940)
923 flieht Eadgyfu
nach der Gefangennahme
Karls III. mit dem jungen Ludwig
zu ihrem Vater nach England
Anfang Juni 936 landet Ludwig
IV. mit Zustimmung Athelstans
bei Bologne-sur-Mer und empfängt die Huldigung der dort anwesenden
Großen, an der Spitze Hugos "des
Großen"
19.6.936 Krönung und Salbung
Ludwigs IV.
in Laon von der Hand Erzbischof Artolds von Reims.
Im Herbst 939 heiratet Ludwig
IV. die ca. sieben Jahre ältere Gerberga,
Schwester König OTTOS VON OSTFRANKEN
und Witwe des Herzogs Giselbert von Lothringen
Kinder aus dieser Ehe:
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1. der Thronfolger Lothar
(* 941)
2. eine Tochter Gerberga
(* 940 oder 942), die Graf Albert von Vermandois heiratete (vor 954)
3. eine Tochter Mathilde
(* 943), die künftige Königin von Burgund (verheiratet seit ca.
965/66 mit König Konrad von Burgund
4. ein Sohn Karl (* 945),
der bald nach seiner Geburt den Normannen als Geisel übergeben wurde
und in normannischer Gefangenschaft verstarb
5. ein Sohn Ludwig (* 948,
+ 954), der kurz vor dem Vater in Laon verstarb
6. die Zwillingen Heinrich
und Karl (* 953). Heinrich stirbt bald, Karl ist der künftige Herzog
von Nieder-Lothringen und Rivale Hugos Capet
Sommer 940 W-Frankenfeldzug OTTOS
I. von O-FRANKEN im Bunde mit Herzog
Hugo Magnus. Artold von Reims war schon
zuvor zur Abdankung gezwungen worden
Sommer 941 schwere Niederlage Ludwigs
in der Schlacht in den Ardennen gegen Hugo
Magnus und Heribert II. von Vermandois
November 942 Treffen Ludwigs
IV. mit OTTO
I. in Vise-sur-Meuse
Im Sommer 943 besiegt Ludwig
IV. die zum Heidentum abgefallenen Normannen
unter ihren Führern Turnold und Setrik, die in der Schlacht fallen
Im Sommer 944 benmächtigt
sich Ludwig IV. der
Normandie
Im Juli 945 wird Ludwig
IV. in Rouen von normannischen Großen
gefangenfesetzt und später an Hugo
Magnus ausgeliefert
Im Frühjahr 946 muß
Ludwig IV. Laon
an Hugo übergeben
und wird daraufhin freigelassen
Im Frühherbst 946 zieht OTTO
DER GROSSE im Bunde mit Ludwig
IV. vor Reims, das ohne Kampf eingenommen
wird; Artold wieder Erzbischof von Reims, sein Gegenspieler
Hugo flieht, dankt aber nicht ab
946-948 erbitterter Streit um das
Erzbistum Reims: Synoden von Verdun (Herbst 947) und Mouzon (Januar 948);
Papst Agapet mit Reimser Streit befaßt
Im Juni 948 Synode in Ingelheim
unter Vorsitz des päpstlichen egaten Marinus und beider Franken-Könige:
Hugo wird
exkommuniziert und Artold ist erneut rechtmäßiger Erzbischof
Im Sommer 949 bemächtigt sich
Ludwig IV. überraschend
der Stadt Laon mit Ausnahme des großen Turms, der von der Besatzung
Hugos gehalten wird
Herbst 949 Ludwig
IV. in Burgund
Im Frühjahr 950 treffen sich
Ludwig IV.
und Hugo Magnus unter
Vermittlung Herzog Konrads von Lothringen an der Marne; Hugo
erneuert den Lehnseid und überlaßt Ludwig
den Turm von Laon
13.3.953 Gerichtstag in Soissons:
endgültige Aussöhnung zwischen Ludwig
und Hugo Magnus
Am 10.9.954 stirbt Ludwig
IV., nur 33 Jahre alt, in Reims an den
Folgen eines Jagdunfalls; Beisetzung in der Abtei St-Remi/Reims.
An einem unbekannten Tag in der 1. Junihälfte des
Jahres 936 warf ein angelsächsisches Schiff vor Boulogne Anker. Es
hatte den neuen westfränkischen König an Bord,
Ludwig, den Sohn des unglücklichen Karl
III. von W-Franken, der seine letzten Lebensjahre in der
Gefangenschaft seiner Feinde hatte verbringen müssen. Karls
Gemahlin Eadgyfu war daher im Herbst
923 mit ihrem ca. 2-jährigen Sohn Ludwig
an den Hof ihres Vaters, des Angelsachsen-Königs
Edwards I. geflohen: ihre Schwester Eadhild
hatte etwa zur gleichen Zeit den princeps Hugo
Magnus, den gefährlichsten Rivalen Karls
III., geheiratet; ihre jüngere Schwester Eadgyd
(Edith) wird 929 den künftigen
O-Franken-König
OTTO I. heiraten. Ludwig
verbrachte somit seine ganze Kindheit und Jugend in England. Als
König
Rudolf von W-Franken am 14. oder 15. Januar 936 in Auxerre
starb, konnten sich die Großen des Reiches nicht auf einen Nachfolger
aus ihren Reihen einigen. So entschloß sich Hugo
Magnus, der für seine Person die Königswürde
offenbar nicht angestrebt hatte, die Krone dem in angelsäschsischem
Exil lebenden jungen Ludwig anzubieten.
König
Aethelstan stimmte erst nach förmlichen Sicherheitsgarantien
für seinen Neffen der Rückkehr ins W-Frankenreich zu, hielt seine
Schwester Eadgyfu aber zunächst
noch an seinem Hofe zurück. Die Rückkehr des jungen Herrschers
ins W-Frankenreich trug ihm wohl seinen schon von den Zeitgenossen gebrauchten
Beinamen Trans- oder Ultramarinus, der "Überseeische",
ein ("Louis d'Outremer").
Ludwig
wurde am Strand von Boulogne von Hugo Magnus
und anderen westfränkischen Großen begrüßt, die dem
neuen Herrn sogleich huldigten. Die Großen geleiteten Ludwig
nach
Laon, wo Erzbischof Artold von Reims am 19. Juni 936 Salbung und Krönung
des jungen Herrschers vollzog.
Ludwig wußte
sehr wohl, wem er die Krone zu verdanken hatte. Schon in der ältesten
von ihm überlieferten Königsurkunde bezeichnet er Hugo
als "herausragenden Herzog der Franken" (dux Francorum egregius),
und in einer am Weihnachtstag des Jahres 936 in Compiegne gegebenen Urkunde
betont
Ludwig sogar, dass Hugo
Zweiter in allen Königreichen sei (in omnibus regnis nostris
a nobis). Die Bedeutung des Titels dux Francorum ist in der
Forschung seit über einem Jahrhundert umstritten; es ist hier nicht
der Ort, die Frage im einzelnen zu erörtern. Sicher erscheint nur,
dass der Rang Hugos über den seiner
Mitfürsten herausgehoben werden sollte, auch wenn ich nicht an ein
förmliches Vizekönigtum glaube, das man wohl unter dem Eindruck
des Verhaltens Hugos in der Folgezeit
hat annehmen wollen. Das Verhältnis Ludwigs
zu seinem Protektor
Hugo war zunächst
reibungslos.
Ludwig begleitete Hugo
auf dessen Feldzug gegen Hugo "den Schwarzen" (das heißt den Schwarzbärtigen),
den Bruder des verstorbenen W-Franken-Königs
Rudolf, der dem übermächtigen dux Francorum
den Norden Burgunds, insbesondere die wichtige Grafschaft Sens abtreten
mußte, die einst Richard "le Justicier", der Vater Hugos des Schwarzen,
für Burgund erworben hatte. Anschließend begleitete Ludwig
Hugo sogar nach Paris. Der Friede, den Hugo Magnus
mit
Hugo dem Schwarzen schloß, nutzte allein dem dux Francorum
und öffnete Ludwig die Augen über
die ihm von Hugo zugedachte Rolle.
Aber auch die übrigen Großen des W-Frankenreichs konnten sich
kaum Ilusionen machen über die Machtstellung Hugos,
die mit der eines fränkischen Hausmeiers des 8. Jahrhunderts vergleichbar
schien. Sie waren daher geneigt, die Position des Königs zu stärken,
um ein Gegengewicht gegen die erdrückende Übermacht Hugos
zu
schaffen. Ludwig feierte das Weihnachtsfest
936 bereits in der königlichen Pfalz Compiegne, zog von dort nach
Laon, wo er seine Mutter traf, die aus England nach W-Franken gekommen
war. In Laon ernannte er auch einen neuen Kanzler in Gestalt des Erzbischofs
Artold von Reims, der damit zugleich zu Ludwigs
wichtigstem Berater aufstieg. Die Reaktion Hugos
ließ nicht lange auf sich warten: er schloß Frieden mit seinem
Erzfeind, dem Grafen Heribert II. von Vermandois, während
Ludwig den gerade von Hugo
gedemütigten Hugo von Burgund zum Markgrafen (marchio) erhob und zum
Bundesgenossen gewann. Die Fronten waren nun abgesteckt: die Feindschaft
zwischen Hugo Magnus und Ludwig
war fortan - von ganz kurzen Intervallen abgesehen - der einzige sichere
Faktor im politischen Ränkespiel W-Frankens während der Regierungszeit
Ludwigs
IV. Es ist nicht meine Absicht, die Kämpfe und Intrigen
der Folgejahre hier im einzelnen darzustellen; selbst der Fachmann würe
rasch die Übersicht verlieren.
Unerläßlich scheint mir dagegen eine knappe
Darstellung der an den Kämpfen um die Vorherrschaft in W-Franken beteiligten
inner- und außerfränkischen Mächte. Den Fürsten des
Südens (Aquitanien, Spanische Mark, Auvergne, Gascogne) kam im inneren
Kräftespiel keine hohe Bedeutung zu; weder griffen sie aktiv in das
Geschehen nördlich der Loire ein, noch hatten sie Angriffe von dort
zu befürchten. Die Fürsten des Südens galten allgemein als
treue Anhänger der KAROLINGER,
was formal fraglos richtig ist. Ich sehe in der Anhänglichkeit an
die angestammte Dynastie jedoch weniger Treue zum Königshaus als bewußte
Distanz zu den ROBERTINERN:
mit diesen hatte man gemeinsame Grenzen, mit der Krondomäne des Königs
nicht. Immerhin bestanden 941,944 und 953 lose Kontakte zum westfränkischen
König.
Die Beziehungen Ludwigs
zu den Fürstentümern im Norden (Bretagne, Normandie und Flandern)
waren freundlich. Von der Normandie wird noch mehrfach zu sprechen sein;
die Bretagne erkannte - ein Novum seit den Tagen KARLS
DES KAHLEN - die formelle Oberhoheit des westfränkischen
Königs an. Der Graf und marchio von Flandern, ein natürlicher
Feind der Herren von Vermandois, gehörte zu den zuverlässigsten
Verbündeten Ludwigs. Zu den geschworenen
Feinden Ludwigs zählte Heribert
II. von Vermandois, ein direkter Nachkomme KARLS
DES GROSSEN über dessen Sohn Pippin
von Italien; er besaß unter anderem die Grafschaften Amiens,
Meaux und Vermandois mit St-Quentin, Grafschaften im Raum Soissons mit
der bedeutenden Abtei St-Medard, deren Laienabt er war. Das Verhältnis
Ludwigs
zu Hugo dem Schwarzen von Burgund war zwiespältig wie zu so vielen
großen Herren der Zeit: Er war mehrere Jahre mit ihm verbündet
(938-942), zerwarf sich mit ihm und blieb bis zu Hugos Tod (17. Dezember
952) auf Distanz zu dem Burgunder. Der mit weitem Abstand mächtigste
Fürst im W-Frankenreich war aber fraglos Hugo
"der Große", wobei "Magnus"
allerdings zunächst nur "der Ältere" meinte im Gegensatz
zu Hugos gleichnamigen Sohn (dem
"Capet").
Hugo war der unbestrittene Herr
Neustriens und führte schon vor seiner förmlichen Erhebung zum
dux den Titel eines marchio; Hugos
Machtbereich (Flodoard von Reims: terra Hugonis) umfaßte rund 20
Grafschaften, von denen 10, darunter die Grafschaften Angers, Blois, Chartres,
Orleans, Paris Sens und Tours, dem ROBERTINER
direkt unterstanden; darüber hinaus war er auch noch Laienabt des
neben St-Denis reichsten fränkischen Klosters St-Martin in Tours,
weshalb er in Urkunden gelegentlich den Titel eines Abt-Grafen (abbas
comes) führte. Wie ärmlich nahm sich daneben die Krondomäne
des Königs aus! Er besaß noch einige der alten Pfalzen wie Attigny
(seit 951), Compiegne, Corbeny, Douzy, Ponthion und andere, die Grafschaft
Laon und insbesondere das feste Laon selbst, wo er sich jedoch erst 938
in den Besitz der Zitadelle setzen konnte, die Laon beherrschte und 928/31
von Heribert II. von Vermandois errichtet worden war. Die Grafschaft Reims
hatte Ludwig schon 940 dem Erzbischof
übertragen, der damit der erste der sechs Bischöfe (Reims, Chalons-sur-Marne,
Beauvais, Nyoyn und Langres) ist, die im W-Frankenreich auch Inhaber der
gräflichen Gewalt waren, wie dies in O-Franken im 10. Jahrhundert
die Regel wurde. Nicht zufällig stiegen gerade diese Bischöfe
im 13. Jahrhundert zu "Pairs de France" auf.
Das Verhältnis Ludwigs
zu den fränkischen Reichen in O-Franken und Burgund wurde früher
in Forschung und Literatur unter der Rubrik "Auswärtige Beziehungen"
abgehandelt, wovon noch ausführlich zu sprechen sein wird. "Auswärtige
Beziehungen" eigener Art unterhielt Ludwig
mit den Ungarn und den Sarazenen, die sich seit ca. 900 im Raum von La
Garde-Freinet (im heutigen Department Var) verschanzt hatten und von dort
aus die Umgebung heimsuchten; sie waren jedoch nur ein Problem für
die Fürsten des Südens, Ludwig IV. sah
sich niemals direkt mit ihnen konfrontiert. Sehr viel gefährlicher
waren die Raubzüge der Ungarn, die das W-Frankenreich mehrfach heimsuchten,
insbesondere in den Jahren 937 und 954; beide Male waren vor allem die
Diözese Reims und Burgund betroffen. Während diese Züge
jeweils über Lothringen geführt hatten, fiel ein ungarischer
Raubtrupp des Jahre 951 aus Italien über die Alpen in den S ein und
kehrte auf demselben Weg nach Italien zurück. In allen Fällen
konnte Ludwig es nicht wagen, den Ungarn
mit Heeresmacht entgegenzutreten: ein unglücklicher Ausgang des Kampfes
hätte mit Sicherheit das Ende seiner Regierung bedeutet und
Hugo den Weg zur Herrschaft geebnet; aus demselben Grund waren
aber auch Hugo Magnus die Hände
gebunden. Die Rivalität zwischen Ludwig
und Hugo, die den Ungarn natürlich
nicht verborgen geblieben war, verhinderte so - ganz im Gegensatz zu O-Franken
- die Verteidigung des Landes gegen den gemeinsamen Feind.
Das Verhältnis Ludwigs
- und
Hugos! - zu O-Franken, konkret:
zu
OTTO DEM GROSSEN, ist die zentrale
Frage der westfränkischen Politik in den Jahren 939-950 und bedarf
daher gesonderter Behandlung. Ich bemerkte bereits, dass die Beziehungen
zwischen den genannten Fürsten in der älteren Literatur durchgängig
als solche zwischen "Deutschland" und "Frankreich" dargestellt wurden,
was einer ganz und gar unhistorischen Betrachtungsweise entspricht, deren
Konsequenz hier an einigen instruktiven Beispielen zu erläutern sein
werden. Der Regierungsstil des neuen
ostfränkischen
Königs OTTO I. nahm stäker karolingische,
die Sonderstellung des Königtums hervorhebende Formen der Herrschaft
auf als die eher die "kollegiale" Gemeinsamkeit des Fürstenstandes
betonende Politik des Vaters. Dies hatte zu einer schweren Krise des Königtums
in O-Franken geführt, in der mehrere Fürsten, an der Spitze die
Herzöge
Eberhard von Franken und Giselbert
von Lothringen, gemeinsam mit dem jüngeren Bruder des Königs,
Heinrich,
die Absetzung OTTOS anstrebten, wobei
sie auch die Tötung des Königs in Kauf zu nehmen gewillt waren.
In dieser Situation hatte Giselbert Ludwig IV.
die
Huldigung für Lothringen angeboten, was Ludwig
zunächst abgelehnt, im Frühsommer 939 angesichts der scheinbaren
Übermacht der Koalition gegen OTTO
aber schließlich doch angenommen hatte. Daraufhin verbündete
sich OTTO mit Hugo
Magnus, Heribert II. von Vermandois, Arnulf
von Flandern und Wilhelm "Langschwert" von der Normandie, doch
in O-Franken schien nach dem Rheinübergang Giselberts und Eberhards
bei Andernach OTTOS Niederlage besiegelt.
Ein gelungener Überfall zweier fränkischer, mit OTTO
verbündeter Grafen am 2. Oktober 939 änderte ohne direktes Zutun
OTTOS
mit einem Schlag die politische Großwetterlage: Eberhard von
Franken fiel im Kampf, Giselbert ertrank auf der Flucht in den Fluten des
Rheins, die Opposition gegen OTTO brach
zusammen.
Ludwig war im Augenblick
von Giselberts Tod vielleicht bereits auf dem Zug nach Lothringen gewesen,
jedenfalls heiratete er dort sogleich die um etwa sieben Jahre ältere
Witwe Giselberts
Gerberga,
eine Schwester König OTTOS. Noch
im selben Jahr 939 wurde sie von Erzbischof Artold in Laon gesalbt und
gekrönt. Damit war auch Ludwig
- zunächst gegen den Willen OTTOS
- zum Schwager des ostfränkischen Königs geworden, was Hugo
Magnus bereits 937 durch die Heirat mit Hathui
(Hedwig) erreicht hatte.
Die neue indirekte Verwandtschaft mit Ludwig
hinderte Hugo allerdings nicht, sich
noch 939 gemeinsam mit Heribert II. von Vermandois zu OTTO
nach Lothringen begeben, was Ludwig
mit einer Annäherung an den Normannenfürsten Wilhelm beantwortete,
der ihm huldigte und erneut mit den einst von Karl
III. von W-Franken an Rollo vergebenen Territorien belehnt wurde.
Doch diese Annäherung war nur vorübergehend: Schon im Frühsommer
940 belagerte Wilhelm im Bunde mit Hugo Magnus
und Heribert II. die Stadt Reims, wohl aus Zorn darüber, dass Ludwig
Erzbischof Artold gerade die Grafschaft Reims verliehen hatte. Artold konnte
Reims nicht verteidigen und wurde in das Kloster St-Remi verbannt, während
der schon 925 als Fünfjähriger zum Erzbischof von Reims bestellte
Hugo, ein Sohn Heriberts II., nun erneut als Erzbischof eingesetzt und
der zum Rücktritt gezwungene - von einem Verzichtseid spricht nur
Richer - Artold mit den Abteien Avenay und St-Bale abgefunden wurde. Der
Kampf um das Erzbistum Reims, der in den folgenden Jahren im Mittelpunkt
der westfränkischen Politik steht, erweist sich so als der auf die
Kirchenpolitik übertragene Kampf zwischen ROBERTINERN
und KAROLINGERN um die Macht im W-Frankenreich.
OTTO war inzwischen
von Lothringen aus nach W-Franken vorgestoßen; in Attigny huldigten
ihm Hugo Magnus und Heribert, doch
von einem Angebot der westfränkischen Krone, wie dies einst 858 in
Ponthion geschehen war, ist nicht mehr die Rede. Ludwig
zog
sich vor der Übermacht nach Burgund zurück, doch auch Hugo der
Schwarze wurde zum Nachgeben gezwungen. Hochzufrieden mit dem Erfolg des
Feldzuges kehrte OTTO im Spätsommer
nach O-Franken zurück, doch Ludwig
kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung und unternahm einen Einfall nach
Lothringen noch im Herbst 940, aber es kam nicht zur Schlacht. Ein Waffenstillstand
beendete das lothringische Abenteuer Ludwigs.
Hugo Magnus und Heribert
II. beriefen zu Ostern 941 eine Synode nach Soissons, die erwartungsgemäß
Artold für abgesetzt erklärte, der seinerseits mit der Exkommunikation
der Teilnehmer der Synode reagierte: Hugo, Heriberts Sohn, wurde zum neuen
Erzbischof gewählt und in Reims feierlich inthronisiert. Als Ludwig
die Belagerung seiner Residenz Laon durch Hugo
Magnus und Heribert mit einer eilig zusammengerafften Armee
durchbrechen wollte, kam es in den Ardennen zur offenen Feldschlacht, die
mit einer vernichtenden Niederlage für Ludwig
endete, der nur knapp dem Schlachtentod entrann. Dennoch gelang es den
Verbündeten nicht, Laon einzunehmen, wo die Königin
Gerberga gerade in diesen Tagen einem Sohn Lothar
das Leben schenkte, der dazu berufen war, die Nachfolge des
Vaters anzutreten.
Die Niederlage des Jahre 941 lastete freilich immer schwer
auf dem König. Ihm wurde unerwartet Hilfe von seiten Papst
Stephans VIII. zuteil, der eigens einen Legaten nach Westfranken
entsandte, um die Großen W-Frankens und Burgunds zur Anerkennung
Ludwigs zu ermahnen. Die Intervention
des Papstes blieb nicht ohne Wirkung, insbesondere auf die Bischöfe
der Reimser Kirchenprovinz, obwohl der Papst dem neu eingesetzten Erzbischof
Hugo das Pallium nicht verweigerte und damit ihr Verhalten auf der Synode
von Soissons nachträglich billigte.
Auf der Suche nach einem Verbündeten wandte sich
Ludwig zunächst an den marchio der Normandie, Wilhelm Langschwert,
der den König sogleich nach Rouen einlud. Als Ludwig
mit neuen Truppen gegen Hugo und Heribert
bis zur Oise vorstieß, wurde eine erneute Schlacht vermieden und
ein zweimonatiger Waffenstillstand geschlossen. Diese Zeit nutzte Ludwig
zu einem Treffen mit OTTO I. in Vise-sur-Meuse
im Lüttichgau, das heißt auf lothringischem Gebiet. Auf der
Seite OTTOS nahmen die Erzbischöfe
Friedrich von Mainz und Brun
von Köln,
OTTOS
Bruder, teil. Die Anwesenheit Hugos,
Heriberts II. und Wilhelms Langschwert ist dagegen mehr als fraglich. Schon
die Wahl des Treffpunkts in Lothringen implizierte Ludwigs
Verzicht auf alle lothringischen Ansprüche, und wahrscheinlich hat
er damals auch auf seine Interessen im Viennois verzichtet, wo Konrad
von Burgund seit 942 anerkannt war.
OTTOS Gegenleistung
bestand in der formellen Versöhnung Ludwigs
mit Hugo und Heribert, die sich erneut
unterwarfen. Für Ludwig
war das
Treffen von Vise, das wohl nicht ohne das energische Eintreten Gerbergas
bei OTTO zustandegekommen wäre,
von entscheidender Bedeutung, denn fortan stand OTTO
eher auf seiner Seite denn auf der Hugos. Nicht weniger als siebenmal haben
sich OTTO und Ludwig
zwischen 942 und 950 getroffen, zweimal haben sie bei dieser Gelegenheit
das Osterfest in Aachen gefeiert, ein weiteres Mal besuchte Gerberga
ihren Bruder in Aachen ohne die Begleitung Ludwigs.
Ohne die Beziehungen zu Hugo Magnus
je abzubrechen, mit dem er nach Bedarf gleichfalls zusammentraf, neigte
OTTO
fortan
doch deutlich Ludwig zu, dessen Position
gegenüber Hugo gestärkt war.
Doch lag es nicht im Interesse OTTOS,
einen der beiden Kontrahenten eine eindeutige Dominanz zu verschaffen.
Nachdem so das Jahr 942 mit einem akzeptablen "modus
vivendi" zwischen
Ludwig und Hugo
Magnus zu Ende ging, war der Grundstein für künftige
schwere Auseinandersetzungen schon wieder gelegt: Noch im Dezember fiel
Wilhelm Langschwert, der marchio der Normandie und Sohn Rollos, einem von
Arnulf von Flandern vorbereiteten Mordanschlag zum Opfer. Ludwig
zog sofort nach Rouen, um dort Richard, den noch minderjährigen Sohn
Wilhelms, mit dem Territorium zu belehnen, über das einst sein Vater
geherrscht hatte. Aber das war nicht alles: Kurze Zeit später starb
Heribert II. von Vermandois, der künftigen Generationen als der Inbegriff
des Verräters erschien, da er Karl III. von
W-Franken, Ludwigs Vater,
lange Jahre gefangengehalten hatte. Eine von Hugo
Magnus vermittelte Aussöhnung zwischen den fünf Söhnen
Heriberts - darunter Erzbischof Hugo von Reims - mit dem König blieb
nicht von langer Dauer, doch galt das Interesse
Ludwigs zunächst der Normandie, wo neu aus Skandinavien
eingetroffene Krieger die heidnischen Kulte wiederbelebten und das gesamte
Christianisierungswerk der letzten Jahrzehnte in Frage stellten. Der in
offener Feldschlacht errungene Sieg
Ludwigs
über die beiden Anführer der heidnischen Partei, die in der Schlacht
fielen, setzte der Gefahr ein Ende und stärkte den Einfluß Ludwigs,
der den jungen Richard wahrscheinlich an seinem Hof behielt. Das gute Verhältnis
zwischen Hugo Magnus und Ludwig
hielt
an; neben der - vorübergehenden - Aussöhnung mit den Söhnen
Heriberts II. vermittelte Hugo auch
diejenige mit Arnulf von Flandern, die in der Normandie naturgemäß
auf wenig Gegenliebe stieß. Unter dem Eindruck dieser Beweise guten
Willens seitens Hugos entschloß
sich Ludwig, Hugo
erneut den ducatus Franciae (Flodoard) und darüber hinaus auch Burgund
zu verleihen, was den Bruch mit Hugo dem Schwarzen, seinem alten Verbündeten,
bedeutete. Gleichzeitig verschlechterten sich die Beziehungen Ludwigs
zu OTTO drastisch infolge einer unglücklich
verlaufenen Gesandtschaft an dessen Hof.
Innere Streitigkeiten in der Bretagne hatten es den Normannen
- in Abwesenheit ihres noch unmündigen marchio Richard und des Königs
- erlaubt, auf eigene Faust in der Bretagne einzugreifen, die Bretonen
in drei blutigen Schlachten zu besiegen und alle Bretonen aus der Normandie
zu vertreiebn, an deren Stelle Neuankömmlinge aus Skandinavien traten,
deren religiöse wie politsche Optionen zumindest unsicher erschienen.
Ludwig
sammelte ein Heer und begab sich nach N. Zu seiner eigenen Überraschung
zog er ohne Schwertstreich in Rouen ein, während viele ihm feindlich
gesonnene Normannen das Land ohne Kampf verließen.
Ludwig hatte Hugo aufgefordert,
das angebliche Bollwerk des Heidentums, Bayeux, zu belagern, was dieser
auch tat. Nach seinem leichten Erfolg in Rouen befahl
Ludwig jedoch, dass Hugo
die Belagerung aufgeben solle, wohl weil er diesem den Gewinn von Bayeux
nicht gönnte. Kurz darauf hielt Ludwig
selbst seinen Einzug in der Stadt, auch hier ohne Kampf und Belagerung.
Der König schien auf dem Höhepunkt seiner Macht!
Das seit 942 gute Verhältnis zu Hugo
Magnus, auf das jedoch schon im Vorjahr einige Schatten gefallen
waren, wurde hierdurch auf das Schwerste belastet. Die im Frühjahr
945 begonnene Belagerung von Reims mit dem Ziel, den seit 943 am Hofe des
KAROLINGERS
weilenden ehemaligen Erzbischof Artold wieder in seine alte Würde
einzusetzen, scheiterte letzlich an der drohenden Haltung Hugos.
Ludwig kehrte in
die Normandie zurück, wo er scheinbar allgemein anerkannt war, doch
fiel er am 13. Juli 945 zwischen Rouen und Bayeux in einen Hinterhalt,
sein Gefolge wurde niedergemetzelt. Ludwig
konnte zwar zunächst nach Rouen entkommen, wurde dort jedoch gefangengesetzt
und nach längeren Verhandlungen an Hugo Magnus
ausgeliefert. Die Normannen hatten die Gestellung des ältesten Sohnes
Ludwigs,
des damals 4-jährigen
Lothar,
als Geisel gefordert, was Königin Gerberga
strikt abgelehnt hatte. Sie mußten sich mit dem Letztgeborenen
Karl
begnügen, der wahrscheinlich in normannischer Gefangenschaft starb.
Damit schien Ludwig
dassselbe Schicksal beschieden wie seinem Vater; in wenigen Monaten war
dem Höhepunkt der Macht der tiefste Sturz gefolgt. Hugo
Magnus begab sich sogleich nach Lothringen, um die zu erwartenden
Demarchen Gerbergas bei ihrem Bruder
zu neutralisieren, doch OTTO
entzog
sich der gewünschten Unterredung und entsandte Herzog Konrad von Lothringen.
Es konnte nicht in OTTOS Interesse
liegen, Hugo als den unumstrittenen
Herrscher W-Frankens, gewissermaßen als König ohne Krone, anzuerkennen.
So zog Hugo unverrichteter Dinge in
die Francia zurück. Es scheint unwahrscheinlich, dass er ernsthaft
die Absetzung des Königs betrieben hat - er datiert seine Urkunden
unverändert nach den Regierungsjahren Ludwigs
-, doch der Preis für die Freilassung war hoch: die königliche
Residenz Laon, die festeste Stadt W-Frankens, mußte Hugo
übergeben werden.
Der freigekommene Ludwig
verbündete sich sogleich mit OTTO,
der an der Spitze eines großen Heeres nach W-Franken zog, dem sich
der KAROLINGER und Arnulf von Flandern
anschlossen. Die Einnahme von Laon erwies sich als unmöglich, eine
Belagerung als zeitraubend, so dass sich das Interesse
OTTOS
auf Reims konzentrierte. Erzbischof Hugo erkannte die Aussichtslosigkeit
des Widerstands: Die Belagerer billigten ihm freien Abzug zu, und er zog
sich nach Mouzon zurück, ohne formell als Erzbischof abgedankt zu
haben. Nach dem Einzug der Könige in Reims wurde Artold feierlich
in sein altes Amt eingesetzt.
Das Heer zog noch bis in die Nähe von Paris, doch
konnte von einer Belagerung keine Rede sein, zumal Hugo
selbst sich nach Orleans zurückgezogen hatte und von dort den Gang
der Dinge beobachtete. In der Tat sah OTTO
sich bald zun Rückzug gezwungen: Der etwa dreimonatige Feldzug hatte
als einziges greifbares Resultat die Wiedereinsetzung Artolds gebracht,
und der Kampf um das Erzbistum Reims sollte in den Folgejahren im Vordergrund
stehen.
Während Ludwig
das Osterfest 947 bei OTTO in Aachen
verbrachte, belagerte Hugo Reims. Doch
dieses Mal kapitulierte Artold nicht. Im Sommer 947 trafen OTTO
und Ludwig erneut am Chiers zusammen,
um über die Reimser Frage zu beraten. Die anwesenden Bischöfe
bestanden auf einer Synode, die schließlich unter dem Vorsitz Erzbischof
Roberts von Trier in Verdun zusammentrat; dort erschien Hugo,
obwohl geladen, jedoch nicht. Die Synode erklärte sich einstimmig
für Artold als rechtmäßigen Erzbischof, ließ Hugo
jedoch eine Einspruchsfrist bis zum 13. Januar 948. Zu diesem Datum trat
abermals eine Synode unter Vorsitz des Trierer Erzbischofs zusammen, dieses
Mal jedoch in der Peterskirche direkt vor den Mauern von Mouzon, wohin
Erzbischof Hugo sich geflüchtet hatte. Dieser begab sich zwar zu einem
Gespräch mit Erzbischof Robert vor die Peterskirche, weigerte sich
aber, vor der Synode zu erscheinen, die ihn prompt exkommunizierte und
Artold erneut als rechtmäßigen Amtsinhaber bestätigte.
Die schriftliche Mitteiling an Hugo
sandte dieser sofort an Robert zurück mit dem Bemerken, dass er sich
in keiner Weise an den Beschluß der Synode gebunden fühle. Artold
wandte sich nunmehr direkt an Papst
Agapet II. (946-955), um eine endgültige Entscheidung herbeizuführen.
Der Papst entsandte in der Tat eigens einen Legaten, den Bischof Marinus
von Bomarzo, Bibliothekar der römischen Kirche, zu OTTO.
Das Konzil wurde zum 7. Juni 948 in die Pfalz Ingelheim bei Mainz einberufen,
wo die heilige und Generalsynode (sancta er generalis synodus) unter dem
Vorsitz des Kardinallegaten in der dortigen Remigius-Kirche zusammentrat.
Die päpstliche Kanzlei hatte eigene Einladungsschreiben an bestimmte
Bischöfe der Gallia und und der Germania versandt, darunter selbstverständlich
auch an Erzbischof Hugo und dessen Onkel Hugo
Magnus, die jedoch beide nicht erschienen, womit der Ausgang
des Konzils weitgehend präjudiziert war.
Es verstand sich fast von selbst, dass die Bischöfe
aus dem Machtbereich
Herzog Hugos an
dem Konzil nicht teilnahmen; aber auch Arnulf von Flandern sorgte für
die Abwesenheit der Bischöfe von Arras, Therouanne und Tournai. Mit
Ausnahme des Erzbischofs Artold und des aus seinem Sitz vertriebenen Bischofs
Rudolf von Laon unterstanden alle übrigen der insgesamt 32 teilnehmenden
Bischöfe dem ostfränkischen König.
Ludwig
war persönlich in Ingelheim erschienen, um die Sache Artolds, die
ja auch die seine war, vor dem Legaten und König
OTTO zu vertreten, den somit eine Schiedsrichterrolle zufiel.
Die Verhandlungen verliefen im Sinne Ludwigs
und Artolds. Schon am 8. Juni fällt das Konzil sein Urteil: Hugo
wurde exkommuniziert; die Bischöfe, die ihn ordiniert hatten (Wido
von Soissons und Wido von Auxerre), der von Hugo
geweihte Theobald von Amiens und alle übrigen, die von Hugo
Weihen
empfangen hatten, wurden mit der Exkommunikation bedroht, falls sie nicht
bis zur nächsten in Trier angesagten Synode (8. September) Abbitte
leisteten. Damit war die "Reimser Frage" endgültig im Sinne Artolds
und Ludwigs entschieden; darüber
hinaus stellte OTTO seinem Schwager
ein lothringisches Heer unter Führung Herzog
Konrads zur Verfügung. Dieses Heer belagerte zunächst
Mouzon, doch glückte es Hugo von Vermandois - Bischof war er nun nicht
mehr - zu entkommen. Das Heer belagerte schließlich erfolgreich Montaigu
und zog vor das nahe Laon, dessen Einnahme jedoch nicht gelang.
Kurz darauf begab sich Erzbischof Artold mit drei seiner
Suffragane zu der auf den 8. September einberufenen Synode von Trier, die
sich als direkte Fortsetzung des Ingelheimer Konzils verstand. Einschließlich
des Kardinallegaten waren nur 6 Bischöfe anwesend. Nach einigen Zögern
- die Macht Hugos Magnus war ungebrochen - entschloß sich die Synode
am 10. September schließlich doch zum letzten Schritt: der Exkommunikation
Hugos. Die Synode vermied dabei sorgsam eine politische Begründung
wie etwa eine Unterstützung Hugos von Vermandois im Kampf um das Erzbistum
Reims. Die Exkommunikation Hugos
wurde allein mit den Missetaten begründet, die dieser gegen
die Besitzungen der Reimser Kirche begangen hatte.
Spätestens hier ist es an der Zeit, den chronologischen
Gang der Darstellung für einige Überlegungen grundsätzlicher
Natur zu unterbrechen. Es muß auffallen, dass die Entscheidung im
Reimser Bistumsstreit im Reiche OTTOS
und im wesentlichen von Bischöfen aus dessen Reich gefällt wurde;
auch zögerte König Ludwig
nicht, selbst in Ingelheim zu erscheinen, um dort seine Sache zu vertreten.
Nach dem Sprachgebrauch der Historiker des 19. Jahrhunders hieße
dies nichts anderes, als dass der Streit um das vornehmste "französische"
Erzbistum in "Deutschland" und von "deutschen Bischöfen" entschieden
wurde, wobei der "französische" König sich nicht scheute, nach
"Deutschland" zu reisen, um dort die Sache des "französischen" Bistums
Reims zu vertreten - und all dies ohne die leiseste Kritik einer zeitgenössischen
Quelle; insbesondere die direkten Gegenspieler Ludwigs,
Hugo
Magnus und Hugo von Vermandois, um dessen Bistum es ja schließlich
ging, kamen offenbar zu keinem Zeitpunkt auf den doch eigentlich naheliegenden
Gedanken, die Autorität des Ingelheimer Konzils mit dem Argument zu
bestreiten, dass über Angelegenheiten der "französischen" Kirche
nicht in "Deutschland" und von "deutschen" Bischöfen entschieden werden
dürfe. Hugo Magnus wäre zu
einem solchen Einwand am wenigsten berufen gewesen, war er es doch, der
940 OTTO I. in Attigny gehuldigt hatte.
Dieser Akt des "Hochverrats" hat die französische Historiographie
des vergangenen Jahrhunderts stark beschäftigt und zu gewundenen Erklärungen
geführt, obwohl der historische Sachverhalt doch eigentlich sehr einfach
und eindeutig ist: Alle diese Vorgänge bezeugen lediglich die Tatsache,
dass "Deutschland" und "Frankreich" im 10. Jahrhundert noch keine historische
Realität sind, sondern das fränkische Großreich, wenn auch
geteilt in ein ost- und westfränkisches Reich, noch immer das Denken
der Zeit beherrscht. Von "Deutschland" und "Frankreich" wird man erst viel
später sprechen können.
Die Jahre 949-953 standen für Hugo
Magnus unter dem Motto "Schadensbegrenzung". Die Exkommunikation
verfehlte ihre Wirkung nicht, zumal sie im Beisein und unter dem Vorsitz
des päpstlichen Legaten ausgesprochen worden war. Eine Exkommunikation
durch den Papst selbst mußte daher unter allen Umstännden verhindert
werden. Ein Wiederaufrollen der Reimser Frage stand nicht zur Diskussion.
Die Entscheidung Roms war unwiderruflich, doch Hugos
Machtposition hatte sich darum nicht entscheidend verschlechtert, auch
wenn Laon Anfang 949 bis auf seinen großen Turm überraschend
in die Hände Ludwigs fiel. Alle Versuche Hugos,
Laon zurückgewinnen, blieben ergebnislos.
Zu allem Überfluß bestätigte eine römische
Synode unter Vorsitz von Papst Agapet II. die Entscheidungen von
Ingelheim und Trier: Hugo Magnus und
Hugo von Vermandois blieben somit förmlich exkommuniziert, was seinen
Eindruck auf den westfränkischen Episkopat nicht verfehlte. Nachdem
Gerberga schon das Osterfest 949 bei
OTTO in Aachen verbracht hatte, suchte
Ludwig OTTO nun seinerseits Anfang
950 in Lothringen auf, um Friedensverhandlungen mit Hugo vorzuschlagen.
Unter Vermittlung Herzog Konrads von Lothringen kam es im Frühjahr
950 zu einem Grenztreffen Ludwigs mit
Hugo an der Marne, an dem auch die
Herzöge Konrad von Lothringen und Hugo der Schwarze von Burgund teilnahmen.
Hugo erneuerte seinen Lehnseid und
gab dem König den Turm von Laon zurück. Als jedoch Ludwig
im Frühsommer 950 in Laon krank darniederlag, nutzte Hugo
dies sofort zu seinen Gunsten, um sich Aminens' zu bemächtigen, was
den gerade erst geschlossenen Frieden sogleich wieder brüchig machte.
951 verbrachte Hugo schließlich
das Osterfest bei OTTO in Aachen; damit
signalisierte OTTO, dass ihm die Position
Ludwigs
hinreichend gefestigt, die Hugos verbesserungswürdig
erschien, um das Gleichgewicht der Kräfte im Westen zu sichern. Die
Beziehungen zu Ludwig litten darunter
nicht.
Es war kein geringer Schock für Ludwig,
als seine Mutter Eadgyfu, die in den
Jahren ihres Aufenthalts in W-Franken stets im Schatten der
Gerberga
gestanden und keinen erkennbaren Einfluß auf die Politik ihres Sohnes
gewonnen hatte, ausgerechnet den gleichnamigen Sohn des einstigen Kerkermeisters
Karls
III. von W-Franken heiratete, der erheblich jünger gewesen
sein muß als sie. Eadgyfu floh
aus Laon und brach mit ihrem Sohn, der ihr sofort das Wittum Attigny und
die Abtei Notre-Dame in Laon entzog und letztere sogleich seiner Gemahlin
Gerberga
übertrug. Es war dann auch Gerberga,
die nach einer persönlichen Zusammenkunft mit Hugo
die erneute Aussöhnung zwischen diesem und ihrem Gemahl einleitete.
Am 13. März 953 wurde der Friede in Soissons besiegelt, der zu Lebzeiten
Ludwigs nicht mehr gebrochen wurde.
Im Sommer oder Herbst des Jahres gebar Gerberga
Zwillinge, die auf die Namen ihrer Großväter Heinrich
und Karl getauft wurden. Während
Heinrich
kurz nach der Taufe starb, war Karl
dazu berufen, den Endkampf der karolingischen
Dynastie
gegen die ROBERTINER zu führen.
Noch im Jahre 953 hatte ihm der Vater Burgund mit dem Königstitel
als Ausstattung zugedacht. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Während
im Osten OTTO mit der Niederwerfung
des Aufstandes Herzog Konrads von Lothringen beschäftigt war und in
diesem Zusammenhang seinen Bruder Brun
zunächst zum Erzbischof von Köln, bald darauf auch zum Herzog
von Lothringen machte, ergossen sich von Konrad herbeigerufene Scharen
der Ungarn im Frühjahr nach Lothringen und W-Franken. Ludwig
scheint das Risiko einer Schlacht gescheut zu haben, jedenfalls ist von
kriegerischen Aktivitäten gegen die Ungarn nichts bekannt. Im Sommer
verlor Ludwig seinen gleichnamigen,
erst fünf Jahre alten Sohn, der offenbar in Laon beigesetzt wurde.
Auf dem Weg von Laon nach Reims verfolgte Ludwig
einen
Wolf; er stürzte vom Pferd und zog sich innere Verletzungen zu. Am
10.
September 954 starb er in Reims, wo er im Remigiuskloster (St-Remi)
bestattet wurde. Die Beisetzungsfeierlichkeit wird wohl sein alter Kampfgefährte
Artold geleitet haben.
Es ist schwer, ein Urteil über einen Herrscher zu
fällen, der in der Blüte des Lebens, nur 33 Jahre alt, gestorben
ist. Ludwigs
persönlicher Mut
und Tatkraft stehen außer Zweifel. Große politische Konzeptionen
sind von einem Herrscher, der praktisch sein Leben lang nur um das politische
Überleben kämpfte, kaum zu erwarten: Das Ringen mit
Hugo Magnus hatte 18 Jahre hindurch seine ganze Kraft in Anspruch
genommen. Unter dynastischen Aspekt war es fraglos eine große Tat
Ludwigs, die westfränkische
Linie des karolingischen Hauses
politisch überhaupt wieder zu einem mitbestimmenden Faktor westfränkischer
Politik gemacht zu haben, was 923 schon endgültig ad acta gelegt schien.
Einen entscheidenden Sieg über die viel mächtigeren
ROBERTINER
konnte er nicht erringen, und so hat man ihm denn auch eher vorgeworfen,
ihnen auf dem Weg zur Königsherrschaft nur im Wege gestanden und den
inneren Machtkampf in Westfranken verlängert zu haben. Eine solche
Sicht der Dinge verkennt allerdings, dass sich Hugo
Magnus und später
Hugo Capet
gar nicht ernsthaft um den Erwerb der Königswürde bemühten.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob sich Ludwig
bei längerer Herrschaft vielleicht doch gegen Hugo
Magnus durchgesetzt haben würde. Wahrscheinlich ist das
nicht; sicher ist nur, dass er bis zum letzten Atemzug um seine Königswürde
gekämpft hätte.