Lexikon des Mittelalters: Band VII Spalte 916
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ROBERTINER
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Moderne Bezeichnung (nach Robert dem Tapferen)
für ein westfränkisches Adels- und Königshaus, dem man nach
Hugo
Capet (987-996) den (modernen) Namen „CAPETINS“
gab (KAPETINGER). Legenden „ungewisser“
bzw. sächsischer Herkunft der ROBERTINER,
um 1000 bei Richer und Aimoin auftretend, sind von der Forschung widerlegt.
Robert der Tapfere gehört, als er um 840/43
den Ludwig dem Deutschen zugeteilten
Raum Worms-Rheingau verläßt, um „palatinus“ KARLS
DES KAHLEN zu werden, zum höchsten Reichsadel. Aus dem
mit den WIDONEN verwandten Geschlecht
der (gemeinsamer Leitname Robert, Hausheiliger Lambertus) ging die
erste fränkische Kaiserin Ermengard,
Gattin LUDWIGS DES FROMMEN, hervor.
Sie und ihre Söhne LOTHAR, Ludwig
der Deutsche und Pippin
haben zusammen mit dem Haus der Grafen von Paris (Bego, Adalhard) 817/18
den von Kaiser KARL 812 gegen ihren
alleinigen Erbanspruch zum König von Italien erhobenen (illegitimen)
Enkel Bernhard vernichtet (Werner,
Hludowicus). Adalhard ließ (die Bernhard
feindliche) 'Vita Hludowici' für den jungen KARL
DEN KAHLEN schreiben (E. Tremp), dem er seine Nichte Irmentrud
zur Frau gab, und er begünstigte den raschen Aufstieg Roberts des
Tapferen.
Zu den ROBERTINERN/WIDONEN
zählt Chrodegang, über seine Mutter Landrada Enkel
Roberts
(dux
Hasbaniorum [Hesbaye], Schwager Karl Martells)
und Neffe "Roberts I." (Glöckner), dessen Witwe Williswind
mit ihrem Sohn Cancor die Hausabtei der
ROBERTINER,
Lorsch, gründete, der Chrodegang, Bischof von Metz, Mönche seiner
Gründung Gorze unter seinem Bruder Gundland stellte. Chrodegang
war zuvor Referendar Karl Martells
und hat als Berater Pippins zu dessen
Aufstieg zum Königtum beigetragen. Der Versuch, autochthone "rheinische
RUPERTINER",
mit Ausstrahlung von Worms nach Salzburg durch den heiligen Rupert,
von "westfränkischen
ROBERTINERN"
zu trennen (Gockel, M. Werner); übersieht die pippinidisch-widonisch/robertinische
Verklammerung
bei der von Gallien aus geleiteten Expansion in die Germania. Chrodebert/Rotbert
war
mehrfach Name von Referendaren am merowingischen
Hof und von Bischöfen in NW-Gallien, dem späteren Machtzentrum
der ROBERTINER.
Der Wiederaufstieg der nach Roberts des Tapferen
Tod (866) durch den WELFEN Hugo Abbas
abgelösten ROBERTINER begann durch
den Bund Odos mit dem Rivalen von Hugo, dem RORGONIDEN Gauzlin (Oexle,
Werner), Abt von St-Denis, dann Bischof von Paris, dessen Abteien an die
ROBERTINER
kamen. Odo, Platzhalter
Kaiser KARLS III.
im
W-Reich, erhielt vom Kaiser nach dem Tode Hugos die Loiregrafschaften mit
der Abtei St- Martin in Tours (also das "Erbe" Roberts des Tapferen).
Nach KARLS
Tod zum König gewählt,
übertrug Odo den gesamten "Hausbesitz" seinem Bruder Robert,
den er zum Marchio des regnum Neustrien erhob. Ein Erbe, das dieser schon
914 seinem Sohn Hugo dem Großen durch König
Karl III. dem Einfältigen bestätigen ließ (Werner,
Untersuchungen). Die damit "erblich" gewordene Herrschaft über
St-Martin, aus dessen Stiftklerus die ROBERTINER
"ihre" Bischöfe in Neustrien rekrutierten, und die Kontrolle über
Paris und St- Denis, die Odo sich bei der Anerkennung Karls
als Nachfolger (896/97) zusichern ließ (St-Denis wurde Grablege der
ROBERTINER
statt der KAROLINGER), machten die
ROBERTINER zu den mächtigsten
Lehnsherren im W-Reich, spirituell verbündet mit zwei der drei westfränkischen
Reichsheiligen. Ihre zahlreichen Grafschaften übertrugen sie an Vicecomites
bzw. Vasallengrafen. Die
ROBERTINER
nahmen eine Königswahl nur an, wenn ein Bruder oder Sohn zur Sicherung
des Hausbesitzes zur Verfügung stand, zogen es im übrigen vor,
sich vom karolingischen König
(den sie 936 selbst restituierten) immer neue Rechte verleihen lassen,
so den Rang eines Dux Francorum, durch den sie rivalisierende Häuser
(Burgund, Aquitanien) "mediatisierten". Während die KAROLINGER
ihre Grafschaften wieder ausgeben mußten, behielten die ROBERTINER
die
ihren, ein Verfahren, das die "KAPETINGER"
beibehielten und durch Übertragung an Praepositi/Prevots verfeinerten.
Ein Haus hochadliger Laienäbte hat das karolingische
System ad absurdum geführt, im Bund mit dem Reformmönchtum, dessen
Verweigerung einer karolingiaschen "Universalpolitik" (Lothringen, Italien)
es teilte. Den Schlußpunkt setzte der Bund mit den OTTONEN
und dem diesen nahestehenden Erzbischof Adalbero von Reims. Mit der Kirche
des Remigius verloren die KAROLINGER den
letzten Reichsheiligen und den westfränkischen Episkopat, der Hugo
wählte und den letzten karolingischen
Prätendenten Karl von Lothringen
zurückwies.
Literatur:
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Codex Laureshamensis, ed. K. Glöckner, 3 Bände,
1929-1936 - K. Glöckner, Lorsch und Lothringen, Robertiner und Kapetinger,
ZGO NF 50, 1936, 301-354 - K. F. Werner, Roberti et complices. Die Vasallen
Roberts des Tapferen, WaG 19, 1959, 146-193 - O. G. Oexle, Bischof Ebroin
von Poitiers und seine Verwandten, FMASt 3, 1969, 188-207 - M. Gockel,
Karolingische Königshöfe am Mittelrhein, 1970, 298ff. - H. Wolfram,
Der heilige Rupert und die antikarolingische Adelsopposition, MIÖG
80, 1972, 4-34 - M. Glockel, Zur Verwandtschaft der Äbtissin Emhilt
von Milz (Festschrift W. Schlesinger, 2, 1974), 27ff. - K. Brunner, Oppositionelle
Gruppen im Karolingerreich, 1979, 68 - K. F. Werner, Gauzlin von St-Denis,
DA 35,1979, 395-452 - M. Werner, Der Lütticher Raum in frühkarolingischer
Zeit, 1980, 184ff. - F. Staab, Speyer im Frankenreich (Geschichte der Stadt
Speyer, I, 1989), 188-190,202 [Roberiner, Widonen] - C. Brühl, Deutschland
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Hludowicus Augustus (Charlemagne's Heir, hg. P. Goodman-R. Collins, 1990),
28-69 - E. Tremp, Die Überlieferung der Vita Hludowici imp. ..., 1991,
128-148 -