Im Siggetal war auch die Abtei
Einsiedeln begütert. Sie hatte vor 1040 Güter in Baden, Ehrendingen
und Rieden (Gemeinde Obersiggental) aus Schenkungen eines Grafen Eberhard
und seines Sohnes, des Grafen Thiemo, erhalten. Die Schenkungen
gehören ins ausgehende 10. oder beginnende 11.
Jahrhundert [260 Das "Jahrzeitbuch" des Liber
Heremi. in: Hagen Kaller, Kloster Einsiedeln (wie Anm. 109) Seite 157 und
160; vgl. Seite 81.]. Wie Kurt Hils nachweist, muß die Schenkung
Tiemos
zwischen 1027 (Bestätigung des Klosterbesitzes durch
KONRAD
II.) und 1040 (Bestätigung
HEINRICHS
III.) erfolgt sein [261
Hils, Nellenburg (wie Anm.
114) Seite 20.]. Er setzt, wenn auch mit Vorbehalt, den Schenker Eberhard
mit Eppo von Nellenburg (+ 1030/34) gleich, dem Vater Eberhards
des Seligen (1050-1078) [262 Hils, Nellenburg Seite 20
und 30. - Im Genealogischen Handbuch zur Schweizer Geschichte. Band 4.
1980. Seite 179ff. (Grafen von Nellenburg) ist Tiemo überhaupt
nicht erwähnt.]. Dem wird man zustimmen. Der Name Eberhard
für den Inhaber eines Grafenamtes im Bereich südlich des Bodensses
weist um diese Zeit fast untrüglich ins
Haus NELLENBURG [263
Siehe Genealogisches Handbuch (wie Anm. 262) Seite 179ff. mit Tafel IX.].
Überdies war Eppo Vogt der Abtei Einsiedeln. Freilich hatte
er das Kloster im Jahre 1029 niedergebrannt und dadurch die Vogtei verloren.
Seine Schenkung könnnte daher als Sühneleistung betrachtet werden.
Auch schenkte Eppo ganz in der Nähe in Stetten an der Reuß
[264 Hils, Nellenburg Seite 19.].
Es zeigt sich nämlich, daß in derselben Gegend,
teils in denselben Orten, nämlich in Ehrendingen, Baden und Rieden,
ein Graf Eberhard und sein Sohn Thiemo zwischen 1027 und
1040 an Kloster Einsiedeln schenkten [31 Vgl. MG D KII Nr. 109 und
MG D HIII Nr. 36. - Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Abt. II. Urbare und Rödel 3. 1951 Seite 365 und 368.]. Graf Eberhard,
der Vater Thimos, kann kein anderer sein als der Thurgaugraf
Epppo (+ ca. 1030/34) aus dem Hause, das sich später
nach der Nellenburg bei Stockach nannte. Dafür zeugt der Name Eberhard
(= Eppo) und sein Grafentitel. Daß es sich bei den dortigen
Schenkern tatsächlich um NELLENBURGER handelt, wird dadurch
bestätigt, daß im benachbarten Stetten an der Reuß Graf
Eberhard der Selige von Nellenburg (+ ca. 1078), ein Sohn Eppos,
gleichfalls Einsiedeln bedachte [32 Quellenwerk (wie Anm. 31) Seite 373.].
Das Siggental war offenbar nellenburgische Besitzlandschaft.
Wie aber soll man sich den Übergang Kirchheims von
Kaiser
HEINRICH II. auf Graf Eberhard von Nellenburg
vorstellen, nachdem allem Anschein nach weder ein Verkauf noch eine Schenkung
oder Belehnung stattgefunden hatte? Da Kirchhein als Eigengut Eberhards
von Nelllenburg, seines Sohnes
Burkhard und danach der ZÄHRINGER
erscheint, bleibt als wohl einzige Möglichkeit ein privater Erbgang
über nahe Verwandte des kinderlosen HEINRICH
II. Es gilt also zu prüfen, ob etwa eine Verwandtschaft
zwischen Eberhard von Nellenburg und Kaiser
HEINRICH II. bestanden hat.
Eberhard von Nellenburg und seine Gemahlin Ita
sind
die Stifter der Abtei Allerheiligen in Schaffhausen. Aus der Überlieferung
dieses Klosters kennt man die Eltern Eberhards. Sein Vater ist der
Thurgaugraf Eppo (+ um 1030/34); seine Mutter heißt Hadwig
[7
Das Buch der Stifter des Klosters Allerheiligen. Hrsg. Karl Schib. 1934.
Seite 2f. Vgl. Genealogisches Handbuch zur Schweizer Geschichte. IV. 1980.
Seite 179ff. mit Tafel IX. ].
Eppo darf wahl als Sohn des Grafen Manegold
(+
991) betrachtet werden, der ein Vertrauter der Kaiserin
Adelheid (+ 999) war, der Großmutter OTTOS
III. und Großtante
HEINRICHS
II. [8 Eduard Hlawitschka: Untersuchungen zu den Thronwechseln
in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Vorträge und Forschungen.
Sonderband 35. 1987. Seite 166 Anm. 237.].
Adelheid
soll persönlich den Leichnam
Manegolds zur Bestattung
nach dem Dom von Quedlinburg begleitet haben. Dies läßt auf
eine Verwandtschaft zwischen beiden schließen. Eine solche dürfte
tatsächlich bestanden haben, führte jedoch relativ weit zurück,
so daß aus ihr kaum ein Anspruch an die Hinterlassenschaft Kaiser
HEINRICHS II. herleiten ließ.
Aussichtsreicher dürfte sein, einen Weg über
Eberhards Mutter Hadwig zu suchen. Sie trug einen Namen, der
im Hause der LIUDOLFINGER
oder OTTONEN sehr geschätzt
war. So hießen die Mutter
König
HEINRICHS I. (+ 946),
sodann eine Tochter
HEINRICHS I., vermählt mit Herzog
Hugo von Franzien (+ 956), sowie die Vaterschwester
Kaiser HEINRICHS II., die mit Herzog
Burchard II. von Schwaben vermählt war.
Die Schaffhauser Annalen berichten, Hadwig sei
eine consobrina, das heißt eine Base Kaiser
HEINRICHS II. gewesen [9 Das Kloster Allerheiligen in
Schaffhausen. Hrsg. F. L. Baumann. In: Quellen zur Schweizer Geschichte.
3. 1883. Seite 1ff., hier Seite 158.].
Nach dem "Buch der Stifter" des Klosters Allerheiligen
war Hadwig von kaiserlichem und küniglichem geslechte, si
was des hohen kaiser Hainriches swester
toochter [10 Wie Anm. 7 Seite 2.].
Beide Quellen bezeugen eine nahe Verwandtschaft Hadwigs
zu Kaiser HEINRICH II. Doch die Forschung
mißtraute diesen Nachrichten und ließ sich aus besitzgeschichtlichen
Gründen dazu verleiten, eine Verwandtschaft zu HEINRICHS
Gemahlin
Kunigunde
zu konstruieren. Da Hadwig den NELLENBURGERN Besitz im Nahegau
zubrachte, aus welchem später das Kloster Pfaffenschwabenheim bei
Kreuznach gestiftet wurde, Besitz, der anscheinend aus dem Hause
LÜTZELBURG stammte, sah sich Wilhelm Gisi 1885 veranlaßt,
Hadwig als Tochter des Grafen Gerhard von Lothringen (1002-1017)
und der Eva
von Lützelburg, der Schwester von HEINRICHS
Gemahlin
Kunigunde, anzusetzen. Hadwig
wurde damit zur Nichte von HEINRICHS
Gemahlin Kunigunde [11 W. Gisi:
Haduwig, Gemahlin Eppos von Nellenburg. In: Anzeiger für Schweizerische
Geschichte. NF 4 (1882-1885) Seite 347ff., hier Seite 349ff.]. Die Ansicht
Gisi wurde auch von Karl Schib und noch in jüngster Zeit von Kurt
Hils vertreten [12 Schib (wie Anm. 7) Seite X (Stammbaum). Kurt
Hils: Die Grafen von Nellenburg im 11. Jahrhundert. Forschungen zur Oberrheinischen
Landesgeschichte. XIX. 1967. Seite 18.]. Abgesehen davon, daß sie
den Aussagen der Quellen widerspricht, ist mehr als fraglich, ob der im
Falle Kirchheim und offenbar auch bei Langenau und Brenz an der Brenz vorliegende
Erbgang hätte stattfinden können, denn die Tochter der Schwägerin
ist üblicherweise nicht erbberechtigt.
Ist die Aussage des "Buches der Stifter", daß Hadwig
HEINRICHS
Schwestertochter gewesen sei, als Verwandtschaftsangabe völlig
eindeutig, so läßt die Nachricht der Schaffhauser Annalen, daß
Hadwig eine consobrina HEINRICHS
gewesen sei, mehrere Möglichkeiten zu. Sie sollen sicherheitshalber
geprüft werden. Karl August Eckhardt hat die verschiedenen Möglichkeiten
dargelegt [13 Karl August Eckhardt: Eschwege. Beiträge zur
Hessischen Geschichte. 1. 1964, Seite 89. ]. Danach ist consobrina zunächst
die Tochter der Mutterschwester, allenfalls auch des Mutterbruders. Mutterbruder
war König
Rudolf III. von Burgund (+
1032), der jedoch keine Kinder hatte und somit ausscheidet.
Töchter von Mutterschwestern, eigentlich Mutterhalbschwestern, waren
die Töchter von Gerberga
(vermählt
mit Herzog
Hermann II. von Schwaben),
Berta
(Gemahlin Odos von Blois) und
Mathilde
(vermutlich Gemahlin Eginos von Ostfranken) [14 Heinz
Bühler: Studien zur Geschichte der Grafen von Achalm. In: ZWLG 43
(1984), Seite 7ff., hier Seite 38ff.]. Wie schon erwähnt war Gerbergas
Tochter
Gisela
(+ 1043) am Erbe
HEINRICHS
II. zwar interessiert, doch die allen Töchtern der Mutterhalbschwestern
gemeinsame Abstammung von König HEINRICH
I. berechtigt erst dann zur Erbfolge, wenn keine näheren
Verwandten vorhanden waren. Vor allem aber ist unter ihnen keine Hadwig
zu finden. Sie scheiden daher gleichfalls aus.
Consobrina kann sodann die Tochter der Vaterschwester
sein. Aus diesem Grund hat K.A. Eckhardt angenommen, Hadwig sei
die Tochter von Kaiser HEINRICHS Vaterschwester
Hadwig
(+ 994) aus der Ehe mit Herzog
Burchard II. (+ 973) gewesen [15 Wie Anm. 13 Seite
90ff.]. Doch hatte dieses Paar keine Nachkommen, und so entfällt auch
diese Möglichkeit [16 Hlawitschka (wie Anm. 8) Seite 50 Anm.
152.].
Consobrina kann schließlich die Tochter
der eigenen Schwester sein, auch jede weibliche Verwandte, die nicht zu
den Agnaten gehört, nicht aber Verwandte der Frau. Letztere Einschränkung
richtet sich gegen die erwähnte These von W. Gisi. Zu "jede weibliche
Verwandte, die nicht zu den Agnaten gehört", ist zu bemerken, daß
Hadwig
aufgrund ihres Namens wohl zur Sippe der LIUDOLFINGER
oder
OTTONEN gehörte. Dies verengt
den in Frage kommenden Personenkreis erheblich. Theoretisch kämen
Nachkommen jener Hadwig
in Betracht, die mit Hugo von Franzien
(+ 956) vermählt war. Doch ist nicht zu erkennen,
daß die NELLENBURGER in engerer Beziehung zu den CAPETINGERN
und ihren Nachkommen gestanden hätten.
So bleibt die Bedeutung "Tochter der eigenen Schwester".
Sie entspricht der Aussage der "Buchs der Stifter". Beide Quellen haben
somit dasselbe Verwandtschaftsverhältnis im Auge. Es ermöglicht
den einfachsten Erbgang. Die Lebensdaten, die für Hadwig und
ihren Gemahl Eppo zu ermitteln sind, passen dazu [17 Genealogisches
Handbuch (wie Anm. 7) Seite 187f.]. Hadwig ist in diesem Falle nach
der Schwester des Großvaters benannt. Hadwig
konnte
auch Güter der LÜTZELBURGER
im Nahegau erben, die etwa zur Mitgift der Kaiserin
Kunigunde gehört hatten, falls diese, da kinderlos, eine
entsprechende Verfügung zugunsten ihrer Nichte traf.
Doch wer war jene Schwester Kaiser
HEINRICHS II., die Hadwigs
Mutter gewesen sein muß? Prinz Isenburg hat Hadwig als Tochter
von HEINRICHS Schwester Gisela
angesetzt,
die mit König Stephan dem Heiligen von Ungarn
vermählt war [18 Stammtafeln zur Geschichte der Europäischen
Staaten. Bearbeitet Wilhelm Prinz von Isenburg. 2. 1960. Tafel 104.]. Diese
Lösung besticht im ersten Augenblick, denn sie scheint die Aussage
des "Buchs der Stifter" zu entsprechen, wonach Hadwig "von kaiserlichem
und künichlichem geslechte" war. Doch Scabolcz de Vajay, ein besonderer
Kenner der Geschichte Ungarns im Mittelalter, hat sie abgelehnt [19
Siehe Eckhardt (wie Anm. 13) Seite 89f.].
So bleibt HEINRICHS
zweite Schwester Brigida.
Von ihr ist nur bekannt, daß sie Nonne in St.Paul in Regensburg
und später Äbtissin in Andlau im Elsaß war.
Sie könnte, ja müßte kurzfristig verheiratet gewesen sein,
und aus dieser Ehe müßte
Hadwig stammen. Diese Lösung
hat bereits Eduard Hlawitschka erwogen [20 Hlawitschka (wie Anm.
8) Seite 164 Anm 227. - Eine angebliche Schwester Kaiser
HEINRICHS II. namens
Gerberga
ist nur unsicher überliefert.].
Fehlt für diesen Ansatz Hadwig leider der
Quellenbeleg, so sprechen dafür gewichtige Kriterien:
1) die Aussage des "Buchs der Stifter", die durch
die Schaffhauser Annalen bestätigt wird.
2.) der Name Hadwig, der für unmittelbare
Zugehörigkeit zum liudolfingisch-ottonischen
Sippenkreis zeugt.
3. ) daß ein Enkel Hadwigs, ein Sohn Eberhards
von Nellenburg, den ottonischen
Namen Heinrich
trug, was darauf schließen
läßt, daß er ottonische
Ahnen hatte.
4) die Lebensdaten Hadwigs und ihres Gemahls
Eppo
von Nellenburg [21 Wie Anm. 17.]
5.) der Erbgang Kirchheims wie auch der Güter Langenau
und Brenz an der Brenz, der offenbar von
keiner Seite angefochten wurde,
wogegen Nachkommen Hadwigs noch nach 120 Jahren und
später Ansprüche an
ehemaligen Besitz Kaiser HEINRICHS II. in
Sontheim an der Brenz und
Mönchsdeggingen im Ries
stellten [22 Eine Untersuchung des Verfassers zur Geschichte dieser
Orte wird im Jahrbuch des Historischen
Vereins Dillingen 93. 1991 erscheinen. - Wohl derselbe
Erbgang über Hadwig
dürfte vorliegen bei Pliezhausen, Degerschlacht und Butinsulz (abgeg.
bei
Pliezhausen), welche 1092 im
Vermächtnis Werners von Kirchen (bei Ehingen) an Kloster
Allerheiligen genannt sind (WUB
1 Nr. 241). Sie dürften ursprünglich Zubehör des benachbarten
Kirchheim im Sülichgau
(heute Ortsteil von Kirchentellinsfurt) gewesen sein, das Kaiser
HEINRICH
II. 1007 an Bamberg geschenkt hatte (WUB 1 Nr. 208). Werner
von Kirchen, der
sich auch Graf von Frickingen
(bei Überlingen) nannte, ist von Vaterseite ein Nachkomme der
Hadwig; seine Eingliederung
in die Genealogie der NELLENBURGER ist jedoch unbestimmt.
Hans Jänichen hat auf die
Burg
Mördberg aufmerksam gemacht, die bei Mittelstadt, jedoch auf
Markung Dörnach, abgegangen
ist. Sie wurde höchstwahrscheinlich von Adalbert von Mörsberg
(bei Winterthur, 1098- ca. 1125)
erbaut; er war Vogt von Allerheiligen und gehört dem Hause
NELLENBURG an (Die Burg
Mörsberg bei Mittelstadt: In: Heimatkundliche Blätter für
den
Kreis Tübingen. 10. Jahrg.
Nr. 1 Juni 1959).].
6) Hans-Peter Köpf ist kürzlich zu ähnlichen
Ergebnissen gelangt, was Hadwigs Herkunft betrifft [23
Illertissen. Eine schwäbische
Residenz. 1990. Seite 70ff.].