Bühler, Heinz: Seite 794,1076,1108,1111 ,1136
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"Adel, Klöster und Burgherren im alten Herzogtum Schwaben. Gesammelte Aufsätze."

Im Siggetal war auch die Abtei Einsiedeln begütert. Sie hatte vor 1040 Güter in Baden, Ehrendingen und Rieden (Gemeinde Obersiggental) aus Schenkungen eines Grafen Eberhard und seines Sohnes, des Grafen Thiemo, erhalten. Die Schenkungen gehören ins ausgehende 10. oder beginnende 11.
Jahrhundert [260 Das "Jahrzeitbuch" des Liber Heremi. in: Hagen Kaller, Kloster Einsiedeln (wie Anm. 109) Seite 157 und 160; vgl. Seite 81.]. Wie Kurt Hils nachweist, muß die Schenkung Tiemos zwischen 1027 (Bestätigung des Klosterbesitzes durch KONRAD II.) und 1040 (Bestätigung HEINRICHS III.) erfolgt sein [261 Hils, Nellenburg (wie Anm. 114) Seite 20.]. Er setzt, wenn auch mit Vorbehalt, den Schenker Eberhard mit Eppo von Nellenburg (+ 1030/34) gleich, dem Vater Eberhards des Seligen (1050-1078) [262 Hils, Nellenburg Seite 20 und 30. - Im Genealogischen Handbuch zur Schweizer Geschichte. Band 4. 1980. Seite 179ff. (Grafen von Nellenburg) ist Tiemo überhaupt nicht erwähnt.]. Dem wird man zustimmen. Der Name Eberhard für den Inhaber eines Grafenamtes im Bereich südlich des Bodensses weist um diese Zeit fast untrüglich ins Haus NELLENBURG [263 Siehe Genealogisches Handbuch (wie Anm. 262) Seite 179ff. mit Tafel IX.]. Überdies war Eppo Vogt der Abtei Einsiedeln. Freilich hatte er das Kloster im Jahre 1029 niedergebrannt und dadurch die Vogtei verloren. Seine Schenkung könnnte daher als Sühneleistung betrachtet werden. Auch schenkte Eppo ganz in der Nähe in Stetten an der Reuß [264 Hils, Nellenburg Seite 19.].
Es zeigt sich nämlich, daß in derselben Gegend, teils in denselben Orten, nämlich in Ehrendingen, Baden und Rieden, ein Graf Eberhard und sein Sohn Thiemo zwischen 1027 und 1040 an Kloster Einsiedeln schenkten [31 Vgl. MG D KII Nr. 109 und MG D HIII Nr. 36. - Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Abt. II. Urbare und Rödel 3. 1951 Seite 365 und 368.]. Graf Eberhard, der Vater Thimos, kann kein anderer sein als der Thurgaugraf Epppo (+ ca. 1030/34) aus dem Hause, das sich später nach der Nellenburg bei Stockach nannte. Dafür zeugt der Name Eberhard (= Eppo) und sein Grafentitel. Daß es sich bei den dortigen Schenkern tatsächlich um NELLENBURGER handelt, wird dadurch bestätigt, daß im benachbarten Stetten an der Reuß Graf Eberhard der Selige von Nellenburg (+ ca. 1078), ein Sohn Eppos, gleichfalls Einsiedeln bedachte [32 Quellenwerk (wie Anm. 31) Seite 373.]. Das Siggental war offenbar nellenburgische Besitzlandschaft.
Wie aber soll man sich den Übergang Kirchheims von Kaiser HEINRICH II. auf Graf Eberhard von Nellenburg vorstellen, nachdem allem Anschein nach weder ein Verkauf noch eine Schenkung oder Belehnung stattgefunden hatte? Da Kirchhein als Eigengut Eberhards von Nelllenburg, seines Sohnes Burkhard und danach der ZÄHRINGER erscheint, bleibt als wohl einzige Möglichkeit ein privater Erbgang über nahe Verwandte des kinderlosen HEINRICH II. Es gilt also zu prüfen, ob etwa eine Verwandtschaft zwischen Eberhard von Nellenburg und Kaiser HEINRICH II. bestanden hat.
Eberhard von Nellenburg und seine Gemahlin Ita sind die Stifter der Abtei Allerheiligen in Schaffhausen. Aus der Überlieferung dieses Klosters kennt man die Eltern Eberhards. Sein Vater ist der Thurgaugraf Eppo (+ um 1030/34); seine Mutter heißt Hadwig [7 Das Buch der Stifter des Klosters Allerheiligen. Hrsg. Karl Schib. 1934. Seite 2f. Vgl. Genealogisches Handbuch zur Schweizer Geschichte. IV. 1980. Seite 179ff. mit Tafel IX. ].
Eppo darf wahl als Sohn des Grafen Manegold (+ 991) betrachtet werden, der ein Vertrauter der Kaiserin Adelheid (+ 999) war, der Großmutter OTTOS III. und Großtante HEINRICHS II. [8 Eduard Hlawitschka: Untersuchungen zu den Thronwechseln in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Vorträge und Forschungen. Sonderband 35. 1987. Seite 166 Anm. 237.]. Adelheid soll persönlich den Leichnam Manegolds zur Bestattung nach dem Dom von Quedlinburg begleitet haben. Dies läßt auf eine Verwandtschaft zwischen beiden schließen. Eine solche dürfte tatsächlich bestanden haben, führte jedoch relativ weit zurück, so daß aus ihr kaum ein Anspruch an die Hinterlassenschaft Kaiser HEINRICHS II. herleiten ließ.
Aussichtsreicher dürfte sein, einen Weg über Eberhards Mutter Hadwig zu suchen. Sie trug einen Namen, der im Hause der LIUDOLFINGER oder OTTONEN sehr geschätzt war. So hießen die Mutter König HEINRICHS I. (+ 946), sodann eine Tochter HEINRICHS I., vermählt mit Herzog Hugo von Franzien (+ 956), sowie die Vaterschwester Kaiser HEINRICHS II., die mit Herzog Burchard II. von Schwaben vermählt war.
Die Schaffhauser Annalen berichten, Hadwig sei eine consobrina, das heißt eine Base Kaiser HEINRICHS II. gewesen [9 Das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen. Hrsg. F. L. Baumann. In: Quellen zur Schweizer Geschichte. 3. 1883. Seite 1ff., hier Seite 158.].
Nach dem "Buch der Stifter" des Klosters Allerheiligen war Hadwig von kaiserlichem und küniglichem geslechte, si was des hohen kaiser Hainriches swester toochter [10 Wie Anm. 7 Seite 2.].
Beide Quellen bezeugen eine nahe Verwandtschaft Hadwigs zu Kaiser HEINRICH II. Doch die Forschung mißtraute diesen Nachrichten und ließ sich aus besitzgeschichtlichen Gründen dazu verleiten, eine Verwandtschaft zu HEINRICHS Gemahlin Kunigunde zu konstruieren. Da Hadwig den NELLENBURGERN Besitz im Nahegau zubrachte, aus welchem später das Kloster Pfaffenschwabenheim bei Kreuznach gestiftet wurde, Besitz, der anscheinend aus dem Hause LÜTZELBURG stammte, sah sich Wilhelm Gisi 1885 veranlaßt, Hadwig als Tochter des Grafen Gerhard von Lothringen (1002-1017) und der Eva von Lützelburg, der Schwester von HEINRICHS Gemahlin Kunigunde, anzusetzen. Hadwig wurde damit zur Nichte von HEINRICHS Gemahlin Kunigunde [11 W. Gisi: Haduwig, Gemahlin Eppos von Nellenburg. In: Anzeiger für Schweizerische Geschichte. NF 4 (1882-1885) Seite 347ff., hier Seite 349ff.]. Die Ansicht Gisi wurde auch von Karl Schib und noch in jüngster Zeit von Kurt Hils vertreten [12 Schib (wie Anm. 7) Seite X (Stammbaum). Kurt Hils: Die Grafen von Nellenburg im 11. Jahrhundert. Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte. XIX. 1967. Seite 18.]. Abgesehen davon, daß sie den Aussagen der Quellen widerspricht, ist mehr als fraglich, ob der im Falle Kirchheim und offenbar auch bei Langenau und Brenz an der Brenz vorliegende Erbgang hätte stattfinden können, denn die Tochter der Schwägerin ist üblicherweise nicht erbberechtigt.
Ist die Aussage des "Buches der Stifter", daß Hadwig HEINRICHS Schwestertochter gewesen sei, als Verwandtschaftsangabe völlig eindeutig, so läßt die Nachricht der Schaffhauser Annalen, daß Hadwig eine consobrina HEINRICHS gewesen sei, mehrere Möglichkeiten zu. Sie sollen sicherheitshalber geprüft werden. Karl August Eckhardt hat die verschiedenen Möglichkeiten dargelegt [13 Karl August Eckhardt: Eschwege. Beiträge zur Hessischen Geschichte. 1. 1964, Seite 89. ]. Danach ist consobrina zunächst die Tochter der Mutterschwester, allenfalls auch des Mutterbruders. Mutterbruder war König Rudolf III. von Burgund (+ 1032), der jedoch keine Kinder hatte und somit ausscheidet. Töchter von Mutterschwestern, eigentlich Mutterhalbschwestern, waren die Töchter von Gerberga (vermählt mit Herzog Hermann II. von Schwaben), Berta (Gemahlin Odos von Blois) und Mathilde (vermutlich Gemahlin Eginos von Ostfranken) [14 Heinz Bühler: Studien zur Geschichte der Grafen von Achalm. In: ZWLG 43 (1984), Seite 7ff., hier Seite 38ff.]. Wie schon erwähnt war Gerbergas Tochter Gisela (+  1043) am Erbe HEINRICHS II. zwar interessiert, doch die allen Töchtern der Mutterhalbschwestern gemeinsame Abstammung von König HEINRICH I. berechtigt erst dann zur Erbfolge, wenn keine näheren Verwandten vorhanden waren. Vor allem aber ist unter ihnen keine Hadwig zu finden. Sie scheiden daher gleichfalls aus.
Consobrina kann sodann die Tochter der Vaterschwester sein. Aus diesem Grund hat K.A. Eckhardt angenommen, Hadwig sei die Tochter von Kaiser HEINRICHS Vaterschwester Hadwig (+ 994) aus der Ehe mit Herzog Burchard II. (+ 973) gewesen [15 Wie Anm. 13 Seite 90ff.]. Doch hatte dieses Paar keine Nachkommen, und so entfällt auch diese Möglichkeit [16 Hlawitschka (wie Anm. 8) Seite 50 Anm. 152.].
Consobrina kann schließlich die Tochter der eigenen Schwester sein, auch jede weibliche Verwandte, die nicht zu den Agnaten gehört, nicht aber Verwandte der Frau. Letztere Einschränkung richtet sich gegen die erwähnte These von W. Gisi. Zu "jede weibliche Verwandte, die nicht zu den Agnaten gehört", ist zu bemerken, daß Hadwig aufgrund ihres Namens wohl zur Sippe der LIUDOLFINGER oder OTTONEN gehörte. Dies verengt den in Frage kommenden Personenkreis erheblich. Theoretisch kämen Nachkommen jener Hadwig in Betracht, die mit Hugo von Franzien (+ 956) vermählt war. Doch ist nicht zu erkennen, daß die NELLENBURGER in engerer Beziehung zu den CAPETINGERN und ihren Nachkommen gestanden hätten.
So bleibt die Bedeutung "Tochter der eigenen Schwester". Sie entspricht der Aussage der "Buchs der Stifter". Beide Quellen haben somit dasselbe Verwandtschaftsverhältnis im Auge. Es ermöglicht den einfachsten Erbgang. Die Lebensdaten, die für Hadwig und ihren Gemahl Eppo zu ermitteln sind, passen dazu [17 Genealogisches Handbuch (wie Anm. 7) Seite 187f.]. Hadwig ist in diesem Falle nach der Schwester des Großvaters benannt. Hadwig konnte auch Güter der LÜTZELBURGER im Nahegau erben, die etwa zur Mitgift der Kaiserin Kunigunde gehört hatten, falls diese, da kinderlos, eine entsprechende Verfügung zugunsten ihrer Nichte traf.
Doch wer war jene Schwester Kaiser HEINRICHS II., die Hadwigs Mutter gewesen sein muß? Prinz Isenburg hat Hadwig als Tochter von HEINRICHS Schwester Gisela angesetzt, die mit König Stephan dem Heiligen von Ungarn vermählt war [18 Stammtafeln zur Geschichte der Europäischen Staaten. Bearbeitet Wilhelm Prinz von Isenburg. 2. 1960. Tafel 104.]. Diese Lösung besticht im ersten Augenblick, denn sie scheint die Aussage des "Buchs der Stifter" zu entsprechen, wonach Hadwig "von kaiserlichem und künichlichem geslechte" war. Doch Scabolcz de Vajay, ein besonderer Kenner der Geschichte Ungarns im Mittelalter, hat sie abgelehnt [19 Siehe Eckhardt (wie Anm. 13) Seite 89f.].
So bleibt HEINRICHS zweite Schwester Brigida. Von ihr ist nur bekannt, daß sie Nonne in St.Paul in Regensburg und später Äbtissin in Andlau im Elsaß war. Sie könnte, ja müßte kurzfristig verheiratet gewesen sein, und aus dieser Ehe müßte Hadwig stammen. Diese Lösung hat bereits Eduard Hlawitschka erwogen [20 Hlawitschka (wie Anm. 8) Seite 164 Anm 227. - Eine angebliche Schwester Kaiser HEINRICHS II. namens Gerberga ist nur unsicher überliefert.].
Fehlt für diesen Ansatz Hadwig leider der Quellenbeleg, so sprechen dafür gewichtige Kriterien:
1)  die Aussage des "Buchs der Stifter", die durch die Schaffhauser Annalen bestätigt wird.
2.) der Name Hadwig, der für unmittelbare Zugehörigkeit zum liudolfingisch-ottonischen
     Sippenkreis zeugt.
3. ) daß ein Enkel Hadwigs, ein Sohn Eberhards von Nellenburg, den ottonischen Namen Heinrich
      trug, was darauf schließen läßt, daß er ottonische Ahnen hatte.
4)  die Lebensdaten Hadwigs und ihres Gemahls Eppo von Nellenburg [21 Wie Anm. 17.]
5.) der Erbgang Kirchheims wie auch der Güter Langenau und Brenz an der Brenz, der offenbar von
     keiner Seite angefochten wurde, wogegen Nachkommen Hadwigs noch nach 120 Jahren und
     später Ansprüche an ehemaligen Besitz Kaiser HEINRICHS II. in Sontheim an der Brenz und
     Mönchsdeggingen im Ries stellten [22 Eine Untersuchung des Verfassers zur Geschichte dieser
     Orte wird im Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen 93. 1991 erscheinen. - Wohl derselbe
     Erbgang über Hadwig dürfte vorliegen bei Pliezhausen, Degerschlacht und Butinsulz (abgeg. bei
     Pliezhausen), welche 1092 im Vermächtnis Werners von Kirchen (bei Ehingen) an Kloster
     Allerheiligen genannt sind (WUB 1 Nr. 241). Sie dürften ursprünglich Zubehör des benachbarten
     Kirchheim im Sülichgau (heute Ortsteil von Kirchentellinsfurt) gewesen sein, das Kaiser
     HEINRICH II. 1007 an Bamberg geschenkt hatte (WUB 1 Nr. 208). Werner von Kirchen, der
     sich auch Graf von Frickingen (bei Überlingen) nannte, ist von Vaterseite ein Nachkomme der
     Hadwig; seine Eingliederung in die Genealogie der NELLENBURGER ist jedoch unbestimmt.
     Hans Jänichen hat auf die Burg Mördberg aufmerksam gemacht, die bei Mittelstadt, jedoch auf
     Markung Dörnach, abgegangen ist. Sie wurde höchstwahrscheinlich von Adalbert von Mörsberg
     (bei Winterthur, 1098- ca. 1125) erbaut; er war Vogt von Allerheiligen und gehört dem Hause
     NELLENBURG an (Die Burg Mörsberg bei Mittelstadt: In: Heimatkundliche Blätter für den
     Kreis Tübingen. 10. Jahrg. Nr. 1 Juni 1959).].
6) Hans-Peter Köpf ist kürzlich zu ähnlichen Ergebnissen gelangt, was Hadwigs Herkunft betrifft [23
     Illertissen. Eine schwäbische Residenz. 1990. Seite 70ff.].