STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 935
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KAPETINGER (frz. CAPETIENS)
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bezeichnet im weiteren Sinne die (heute noch bestehende)
Nachkommenschaft im Mannesstamm des Hugo Capet,
rex
Francorum 987-997, im engeren Sinne die Könige von Frankreich,
die das Reich ohne Unterbrechung von 987 bis 1792 regierten. ‚KAPETINGER‘
als
dynastischer Begriff erscheint jedoch erst spät, im 17. Jh. vor allem
in den Werken des königlichen Hofhistoriographen Eudes de Mezeray
sowie in den „Instructios sur l‘hist. De France par demandes et par reponses“
(1867) des Prinzenerziehers Abbe Le Ragois, der die "troisieme race royale
die tes Capetines" in fünf branches (Zweige, Häuser)
einteilt: CAPETINES oder
CAPETS, VALOIS, ORLEANS,
2. Haus der VALOIS, BOURBONS.
Die Bezeichnung 'CAPETINES directs
(KAPTINGER direkter Linie) für
die bis zum Tode Karls IV. (1328) regierenden
Könige tritt dagegen nicht vor dem frühen 19. Jh. auf. Eine Prägung
von Historikern der Gegenwart ist schließlich die Bezeichnung ROBERTINER
(ROBERTIENS) für die Vorfahren von Hugo
Capet, die auf Robert den Tapferen zurückgehen und
mit Odo (888-898) und Robert
I. (922-923) bereits zwei Könige der (West-)Franken stellten.
Lange Zeit wollten Historiker zeigen, daß sich
nach der "Usurpation" Hugo Capets,
durch die er den KAROLINGER Karl von Nieder-Lothringen
verdrängte, die dynastische Idee nur schwer gegen den Wahlgedanken,
der vor allem im kirchlichen Bereich seine Anhänger besaß, durchgesetzt
habe; als Beleg wurde die bis zu Philipp II. August
übliche Praxis den ältesten bereits zu Lebzeiten des Vaters mit
auf den Thron zu setzen, angeführt. Heute wird der Akzent stärker
auf den frühzeitig auftretenden patrimonialen Charakter des
kapetingischen Königtums gelegt; in jedem Fall gilt, was
eine aquitanische Chronik bereits um 1030 schrieb: "Da das zweite Geschlecht
der Könige der Franken versagt hatte, wurde das Königtum einem
dritten übertragen."
Umgekehrt haben im Frankreich des 14. und 15. Jh. alle
diejenigen, die die Legitimität der Übertragung der Krone von
Karl
IV. auf Philipp VI. von Valois
verteidigten, sich gehütet, von einem Übergang auf die 'VALOIS'
zu
sprechen; vielmehr wurde die Abstammung Philipps
VI. von Philipp III. und
Ludwig dem Heiligen
hervorgehoben.
'VALOIS' als herabsetzende Bezeichnung wurde dagegen mit Vorliebe
von seiten der Anhänger des den französischen Thron beanspruchenden
englischen Königshauses verwendet. Im übrigen hatte sich seit
dem Ende des 12. Jh. die Vorstellung des 'reditus ad stirpem Karoli' (über
die Frauen) verbreitet; nach den Grandes Chroniques de France war mit
Ludwig VIII., dem Sohn von Philipp
August, der genealogische Anschluß an das Geschlecht KARLS
DES GROSSEN "wiedergefunden" worden. Später, in der Zeit
Philipps
IV., wurden Anstrengungen unternommen, um Hugo
Capet selbst mit einer karolingischen
Abstammung
zu versehen. Allgemein war, zumindest seit dem 13. Jh., das Selbstverständnis
der KAPETINGER direkter Linie wie der
VALOIS
geprägt von der Zugehörigkeit zu einer quasi überzeitlichen
"maison de France". So betonte zum Beispiel Chastellain nachdrücklich
die Abstammung seines Herrn, Philipps des Guten
von Burgund, von der "maison de France". Seit Pharamond hatte
die Sukzession der Könige von Frankreich die Abfolge der "trois races"
aus dem allgemeinen Bewußtsein verdrängt.
Im Laufe des Jahrhunderts gingen - über die jüngeren
Söhne - zahlreiche Dynastien aus dem Königshaus hervor. Hier
seien nur die von den KAPETINGERN direkter
Linie abstammenden Fürstenfamilien genannt:
Herzöge von Burgund kapetingischer
Abstammung
(Robert I., Sohn
Roberts
des Frommen)
Grafen von Vermandois (Hugo
der Große, Sohn von Heinrich
I.)
Herren von Courtenay (Peter,
Sohn Ludwigs VIII. [Richtig: Ludwig
VI.])
Grafen von Anjou/Könige von Sizilien (Karl,
Graf von Anjou, Sohn von Ludwig VIII.)
Herren, später Herzöge von Bourbon (Robert,
Graf von Clermont, Sohn von Ludwig
dem Heiligen)
Grafen von Valois (Karl,
Graf von Valois, Sohn von Philipp III.)
In dieser Auzählung sind noch nicht einmal die durch
weitere Verzweigungen entstandenen Dynastien - wie das Königshaus
von Portugal, die AVIS - erwähnt
[Es fehlen auch die
Grafen von Artois (Robert,
Sohn Ludwigs VIII.)
Grafen von Dreux (Robert,
Sohn von Ludwig VI.)
die Grafen von Evreux (Ludwig,
Sohn Philipps III. und die
Herzöge der Bretagne (Peter
Mauclerc, Urenkel von Ludwig VI. und
Sohn von Robert II., Graf von Dreux].
Angesichts der Bedeutung der genealogischen Vorstellungen im Mittelalter
muß davon ausgegangen werden, daß das Netz von Verwandtschaftsbeziehungen
eine gewichtige politische Rolle spielte (zum Beispiel Unterstützung
Ludwigs
IX. für die Italienpolitik seines Bruders Karl
von Anjou, deren Bedeutung im einzelnen sich freilich oft schwer
ermessen läßt: Wieweit ist zum Beispiel die Loyalität des
Herzogs von Burgund gegenüber dem König von Frankreich mit der
gemeinsamen Abstammung von den KAPETINGERN
erklärbar?
Seit der Regierung Philipps
II. August und der Einführung des Wappens von Frankreich
(armes de France) ließ sich die Verwandtschaft eines
Fürsten zum König von Frankreich mittels Heraldik sichtbar dokumentieren;
1328 führten eine Reihe von Fürsten (Philipp,
Graf von Valois; Karl, Graf von Alencon;
Philipp,
Graf von Evreux; Karl, Graf von Etampes;
Ludwig von Bourbon und seine Nachkommen; Robert,
Graf von Artois und seine Mutter Mahaut;
Robert,
Königs von Neapel, sowie seine Söhne Philipp,
Fürst von Tarent, und Johann,
Herzog von Durazzo) die königliche Lilie im Wappen. Doch
tritt die Vorstellung der princes des fleurs de lis erst
säter, im Laufe der letzten Jahrzehnte des 14. Jh., auf. Dessen ungeachtet
gingen die Verwandtschaftsbeziehungen der Könige von Frankreich im
Spätmittelalter weit über den engeren Kreis der KAPETINGER-Genealogie
hinaus; der König nannte die Fürsten der Christenheit seine Brüder
und verteilte die Anrede 'Vetter' (Cousin) freigebig an Fürsten und
Große, mit denen ihm nur entfernte Blutsverwandtschaft verband.