Lexikon des Mittelalters: Band IV Spalte 1974
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Hausmeier (maior domus)
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Ursprünglich Vorsteher
des Hausgesindes, dem besonders im frühfränkischen Reich ein
außerordentlicher Aufstieg beschieden war: Er trat hier als Inhaber
des bedeutendsten Hausamtes an die Spitze des fränkischen Adels, um
schließlich bis an die Stufen des Königsthrones aufzusteigen.
- Seine Anfänge wurzeln in der Unfreiheit. Noch in einer Version der
Lex Salica (X, 6, MGH LNG IV, 1, 53f.) figuriert der maior (wie
die maiorissa) als Leiter des unfreien Hausgesindes, in Entsprechung
zum Seneschalk, dem »Altknecht«, dem der maior demnach als
»Groß«- oder »Oberknecht« entspricht. In
gehobener Stellung begegnet der maior domus an den Höfen der Könige
in den germanischen Völkerwanderungs-Reichen, ohne daß diese
Stellung jedoch bereits deutlicher erkennbar wird. Dies ist erst im Franken-Reich
(vgl. Abschnitt B.I) der Fall, wo der Hausmeier offenbar zu jeder Hofhaltung
gehört. Dementsprechend ist unter den
MEROWINGERN
zunächst das Nebeneinander mehrerer Hausmeier charakteristisch:
für den König,
die Königin,
den Königs-Sohn,
die Königs-Tochter (Gregor v. Tours, Hist. VII,
27, 28, 43).
Mit den Reichsteilungen wächst die Bedeutung des
Hausmeieramtes (Fredegar Cont. c. 4, 5), das jeweils für den genannten
Reichsteil Neustrien, Austrien
und Burgund zuständig ist: Der Hausmeier
gewinnt Anteil an der Verwaltung des Königsgutes und tritt gleichzeitig
an die Spitze der königlichen Gefolgschaft, der trustis dominica
(Lex. Rib. t. 1, 91), womit er die dominierende Stellung am Hof gewonnen
hat und bereits über den Hof hinaus die Verwaltung des ganzen Reichsteils
dirigiert. Während er dabei zunächst im Auftrag des Königs
fungiert, tritt nach 600 ein entscheidender Wechsel ein, als das Amt des
Hausmeiers sich der Bindung an den König entzieht und stattdessen
unter den Einfluß des Adels gerät. Beispielhaft dafür war
die Entwicklung in Burgund. In der Folgezeit stieg die Macht des Hausmeiers
weiter an. In Neustrien schickte sich der Hausmeier Ebroin
an, nach der Entmachtung des Königs-Sohnes auch den Adel selbst niederzuwerfen,
rief damit aber den Widerstand des gesamten Adels hervor und wurde 680
ermordet. Sein Nachfahre Waratto
konnte sich mit ihm nicht mehr vergleichen. Weder in Neustrien noch in
Burgund ist das Amt des Hausmeiers erblich geworden. Dagegen gewann die
Tendenz zur Erblichkeit des Maiordomats seit dem ARNULFINGER
Pippin
I. in Austrien mehr und mehr an Boden.
Pippin I. vereinigte bereits die führende
Stellung des austrasischen Adels mit dem Hausmeieramt, das er seinem Sohn
Grimoald
I. übergeben konnte. Auf Grimoald folgte dessen Sohn
Pippin
II. [Richtigstellung: Pippin II. war als Sohn der Begga,
Tochter von Pippin I., der Neffe Grimolads.] als Hausmeier
und zugleich als dux Austrasiorum, der mit dem Sieg bei Tertry (687)
die Vorherrschaft im Gesamtreich errang (»singularem Francorum
obtinuit principatum«, Ann. Mett. prior. ad 687). Nachdem dieser
zeitweilig selbst zusätzlich als Hausmeier von Neustrien fungiert
hatte, setzte er seinen Sohn
Grimoald (II.), dann dessen Sohn Theudoald
als Hausmeier von Neustrien ein. Der Maiordomat war, wenn nicht
rechtlich, so doch faktisch erblich geworden.
Pippin selbst hat
allerdings ohne den Titel eines Hausmeiers als 'dux' und 'inluster
vir' von Austrien aus die Geschicke des gesamten Reichs geleitet, während
sein Friedelsohn Karl
Martell nach der Krise des Herrschaftsübergangs (714) die
Herrschaft wieder unter formaler Anerkennung des
MEROWINGERS Chilperich
II. ausdrücklich als Hausmeier geführt hat. Er
verfügte über Fiskalbesitz und stellte in seinem eigenen Namen
Urkunden nach dem Muster der Königsurkunden aus. Der König mußte
sich mit dem Schein der Herrschaft begnügen. Nach dem Tod Theuderichs
IV. (737) regierte
Karl
Martell sogar ohne merowingischen
König
weiter und teilte seine Herrschaft wie ein König unter seine Söhne
auf, nachdem er Pippin
(III.) vom Langobarden-König Liutprand
hatte adoptieren lassen: der dux et princeps Francorum Pippin
III. war in der Tat bereits an den Stufen des Königsthrones
angelangt. Seit Grimoalds I. gescheitertem »Staatsstreich«
von 656 hatte sich die Situation gründlich verändert: Pippin
III. hatte den MEROWINGER
an Macht und Ansehen weit überholt und bereits eine königsgleiche
Stellung erlangt, als er sich 751 mit Hilfe des Papsttums »secundum
morem Francorum« (Ann. regni Franc. ad 750) anstelle des letzten
MEROWINGERS
zum
König erheben ließ. Das Amt des Hausmeiers, das seinem Geschlecht
zu seiner Macht verholfen hatte, wurde beim Aufbau der neuen Herrschaftsorganisation
verständlicherweise abgeschafft.
J. Fleckenstein