Lexikon des Mittelalters: Band I
Spalte 1021
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ARNULFINGER
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Als "ARNULFINGER"
werden die Nachkommen Bischof
Arnulfs von Metz bezeichnet, die gleichzeitig Vorfahren der KAROLINGER
(bis auf Karl
Martell) waren. Metz war Zentrum der Verehrung des heiligen
Arnulf
seit dem 8. Jahrhundert. Hier sind auch die ersten Versuche
einer genealogischen Darstellung des
karolingischen
Hauses, zunächst verknüpft mit der Bistumsgeschichte. Der heilige
Arnulf von Metz wurde zum "Spitzenahn" der KAROLINGER,
nachdem sie die Königsherrschaft erlangt hatten. Doch schon Karl
Martells Sohn Hieronymus
schrieb die Heiligenvita seines Metzer Ahnen ab. Die Rolle der frühen
ARNULFINGER
bleibt in der offiziösen Geschichtsschreibung des 9. Jahrhunderts
und damit im Selbst- und Herkunftsbewußtsein der
KAROLINGER nicht immer gleich stark.
De facto wurde die Macht der ARNULFINGER-Familie
vornehmlich begründet durch das folgenschwere Zusammengehen der beiden
Führer des austrasischen Adels, Bischof Arnulfs von Metz und
Pippins
des Älteren, dessen Tochter Begga
mit Arnulfs
Sohn
Ansegisel
verheiratet
wurde.
Arnulf
und
Pippin der Ältere waren die Führer
des austrasischen Adels und die Spitzen der austrasischen Adelsverschwörung
gegen Königin
Brunichild,
später Berater König
Dagoberts
I.
Wie Arnulf
wurde
Ansegisel
Domesticus,
sein anderer Sohn
Chlodulf
Bischof von Metz. Nach dem mißglückten Staatsstreich des
(pippinidischen)
Hausmeiers
Grimoald (661) gingen Macht, Erbe und politische Ziele auf den
Sohn
Ansegisels und Beggas,
Pippin
den Mittleren über, der sich zunächst die führende
Stellung in Austrasien erkämpfen mußte. Der Sieg über den
neustrischen
Hausmeier Ebroin in der Schlacht bei Tertry 667 hatte die
Machtübernahme Pippins
und der ARNULFINGER
im merowingischen
Reich zur Folge. Pippins Söhnen wurden entscheidende Ämter
übertragen:
Grimoald
II. wurde um 700
Hausmeier Neustriens,
Drogo
dux
in der Champagne. Nach deren und Pippins Tod Krise der arnulfingischen
Machtpolitik, bis
Karl Martell, Sohn
Pippins aus einer Friedelehe,
sich rigoros durchsetzte. Er gilt als Neugründer des "Hauses" (nach
ihm nun "karolingisch"
genannt). Die Besitzungen der ARNULFINGER im engeren Sinne lagen
um Metz und Verdun, während die einheiratenden
PIPPINIDEN vornehmlich
in den Ardennen, im Hasbengau und in Toxandrien lagen. Später spielte
der Besitz der
ARNULFINGER-PIPPINIDEN im Raume Trier, Echternach
und Eifel eine bedeutende Rolle.
Literatur:
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H. E. Bonnell, Die Anfänge
des karol. Hauses, 1866 - E. Ewig, Die frk. Teilreiche im 7. Jh., Trierer
Zs. 22, 1953 - R. Sprandel, Der merow. Adel und die Gebiete ö. des
Rheins, 1957 - E. Hlawitschka, Zur landschaftl. Herkunft der Karolinger,
Rhvjbll 27, 1962 - Ders., Die Vorfahren Karls d. Gr. (Braunfels, KdG I,
1965) - I. Heidrich, Titular und Urkk. der arnulfing. Hausmeier, ADipl
11/12, 1965-1966 - O. G. Oexele, Die Karolinger und die Stadt des hl. Arnulf
(Frühma. Stud. I, 1967). -
Durch den Vater Ansegisel
war Pippin II, ein Enkel Arnulfs von Metz, durch die Mutter
Begga
ein Enkel
Pippins I. Seine Geburt fällt in die Zeitspanne 635/40-655.
Die Benennung nach dem mütterlichen Großvater läßt
erkennen, daß die mütterliche Familie als die vornehmere galt.
Der Großvater Pippin war Hausmeier Dagoberts
I. und am Ende seines Lebens auch noch
Sigiberts
III. gewesen; der Mutterbruder
Grimoald
wurde
643 Hausmeier
Sigiberts III.,
sein Sohn "Childebert",
Pippins
Vetter, um 650 vom König adoptiert.
Der väterliche Großvater
Arnulf war königlicher
domesticus gewesen, ehe er 614 zum
Bischof der Königsstadt Metz erhoben wurde. Als domestici
unterzeichneten
seine Söhne
Chlodulf und
Ansegisel um 646/47 die Dotation
Sigiberts
III. für Stavelot-Malmedy. Die domesti,die
große Fiskalbezirke verwalteten, standen zu dieser Zeit im Rang zwischen
den
duces/Herzögen und den comites/Grafen.
Chlodulf,
der einen Sohn Aunulf hatte, beschloß wie der Vater seine
Laufbahn als Bischof von Metz (ca. 654/55-post 670).
Die Güter der fränkischen
Aristokratie verteilten sich meist auf mehrere Landschaften. Besitz der
ARNULFINGER
befand sich, soweit erkennbar, im Bereich von Metz, Verdun und Tongern
(südwestlich Masstricht). Der Schwerpunkt lag wohl um Metz. Der
Stammvater Arnulf
wurde um 640 von seinem Nachfolger Goericus in die
Metzer Apostelbasilika überführt, die bald nach ihm benannt wurde
und den Charakter einer arnulfingischen Grablege annahm. Auch Chlodulf
von Metz und Pippins II. ältester Sohn Drogo
wurden
hier bestattet.
Die drei Hausklöster Nivelles,
Fosses
und
Andenne
bezeichnen den ältesten Kern der
pippinischen Hausmacht. Nivelles
wurde von Pippins I. Witwe
Itta
und ihrer Tochter Gertrud
im Kohlenwald an der autstrisch-neustrischen Grenze errichtet, die
zugleich die Grenze zwischen den Diözesen Masstricht und Cambrai bildete.
Fosses und Andenne gruppierten sich um das merowingische
castrum
Namur. Unter pippinischen
Einfluß standen wohl auch die unter der Ägide von Amandus gegründete
Abtei Moustier sur Sambre und die spätere cella Malonne, beide im
Umkreis von Namur.
Hauptsitz Pippins I. soll
nach der nicht unverdächtigen Tradition der niederlothringischen Herzöge
von Brabant der Ort Landen im Hasbengau, dem alten Kernland der civitas
und
des Bistums Tongern (Maastricht) gewesen sein. Nach neueren Ausgrabungen
ist die Möglichkeit, daß dieser Tradition eine gute lokale Überlieferung
zugrunde lag, nicht auszuschließen, zumal auch Nivelles in der Nachbarschaft
begütert war. Weiteres Hausgut in Hasbanien und nördlich anschließend
in Toxandrien tritt unter Pippin II. in Erscheinung. Die PIPPINIDEN
haben in diesem fruchtbaren, altbesiedelten Land allerdings nicht die Monopolstellung
eingenommen, die sie im Umkreis von Namur besaßen.
Verteilten sich die äleste
Güter der PIPPINIDEN auf den Lommegau bei Namur, Hasbanien
und das südliche Toxandrien, dann erscheint die Nachricht der um 805/06
redigierten karolingischen Annales
Mettenses priores nicht abwegig, daß der Stammvater Pippin
"das Volk zwischen dem Kohlenwald und der Maas bis zur Grenze der Friesen
regiert habe. Zum Hausgut müßte allerdings auch das Herzogsamt
getreten sein, mit dem eine Befehlsgewalt über die namentlich in Hasbanien
und Toxandrien anchweisbaren fränkischen Adelsfamilien und wohl auch
Hoheitsrechte über die zentralen merowingischen
Maasorte Dinant, Namur und Huy verbunden waren. Da der Herzogstitel sowohl
für Pippin I. wie für Grimoald bezeugt ist, steht
dieser Annahme nichts im Wege.
Außerhalb des Landes zwischen
Kohlenwald und Maas verfügten die PIPPINIDEN anscheinend auch
über Fernbesitz am Rhein. Die Hausabtei Nivelles besaß Güter
im Umkreis von Bonn (Sechtem, Gielsdorf, Ödingen bei Remagen), in
Altenahr (mit Dependenzien an der Maas), um Linz-Rheinbrohl, um Ansbach
- Windhagen - Neustadt an der Wied, um Windeck an der Sieg und in Sprendlingen
führte sie auf ihre Gründer Itta und ihre Tochter Gertrud
zurück.
Dies könnte zutreffen für die Besitzungen um Bonn und Linz-Rheinbrohl.
Im Bereich von Linz-Rheinbrohl war auch das 691/92 gegründete Hauskloster
Andenne begütert, das allerdings er st durch Begga und ihren
Sohn Pippin II. ausgestattet wurde.
Pippin II. besaß
zudem eine Villa in Alsheim (südlich von Oppenheim), die er der Nikomedeskirche
im Mainz übertrug. Diese Güter dienten der Weinversorgung, einen
politischen Schwerpunkt bildeten sie nicht. Immerhin können sich von
hier aus frühe Beziehungen zum fränkischen Adel in Ribuarien
(Köln) und Mainzer Raum ergeben haben. Es wird auch kein Zufall sein,
daß Chlothar
II., dem sich Pippin I. angeschlossen
hatte, 613 ohne ernsthafte Gegenwehr bis Andernach vorstoßen konnte.
Ausgespart aus dem frühesten
pippinidischen
Herrschaftsbereich waren, wenn die Überlieferung nicht täuscht,
der Maasgau um Masstricht, das Condroz südlich und westlich des Massbogens
und die Ardennen. In den nördlichen Ardennen faßte Grimoald
um 646/47 durch die Dotierung Sigiberts
III. für die Gründung der Remaclusabteien
Stavelot und Malmedy Fuß. Als Hausmeier gewann Grimoald auch
maßgeblichen Einfluß auf die Besetzung des Bistums Tongern-Maastricht.
Amandus, den er nach Masstricht berief, gab das Bistum freilich wegen des
Widerstandes des Maastrichter Klerus nach drei Jahren wieder auf. Bis zur
Erhebung seines Nachfolgers Theodard mag der Altbischof Remaclus zeitweilig
die Spiritualia wahrgenommen haben. Mit dem Metropoliten Kunibert von
Köln war sowohl Pippin I. wie auch Grimoald durch
Schwurfreundschaft verbunden.
Das pippinische Hausgut
ging nach dem Untergang Grimoalds 662 auf Ansegisel und Begga,
die Eltern Pippins II., über. Der weitere Einflußbereich
der PIPPINIDEN brach zusammen. Die Herzogsgewalt wurde Gundoin
übertragen.
Ansegisel,
der dies anscheinend nicht hinnehmen wollte, fiel im Kampf gegen Gundoin.
Die Remaclusabteien nahm der König an sich. Ihre Dotierung wurde im
Auftrag Childerichs
II.
durch
Gundoin unter Mitwirkung des Bischofs Theodard von Maastricht
669/70 erheblich beschnitten. Theodard war somit zur Regentin
Chimnechilds
und Childerich II. übergetreten.
Ob Kunibert den Zusammenbruch der PIPPINIDEN-Herrschaft noch
erlebte, ist ungewiß. Ihren Frieden mit dem merowingischenHof
machten aber offenbar auch Ansegilsels Bruder Chlodulf, der
bis 670 als Bischof von Metz bezeugt ist, und Chlodulfs Sohn
Aunulf.
Über Vater und Sohn liegen nach 670 keine Nachrichten mehr vor. Sicher
ist nur, daß nach ihrem Tod auch ihr Anteil am Erbe
Arnulfs von
Metz, darunter das von ihnen in Rütten bei Tongern gegründete
xenodochium,
an Ansegisels Sohn Pippin II. überging, der damit das
gesamte arnulfingische und pippinische Erbe in seiner Hand
vereinigte.
Am Beginn des Aufstiegs Pippins
II. stand seine um 665 geschlossen Ehe mit Plectrud,
der Tochter des fränkischen
Großen Hugobert. Durch diese Heirat verband sich der ARNULFINGER
mit einer im Kölner Raum, an der Maas, am Niederrhein und im Trierer
Raum führenden Adelssippe. Zu Kämpfen mit der Gegenpartei, in
denen Pippin Rache für den Vater nahm und den dux Gundoin
erschlug, kam es aber wohl erst nach dem Tod
Childerichs II. im Herbst 675. In die
Auseinandersetzung war auch Lambert, der Nachfolger Theodards
als Bischof von Maastricht verstrickt, der 675/76 nach
Stavelot verbannt wurde; an seiner Stelle trat Faramund, der nach
späteren, aber wohl zuverlässigen Nachrichten aus dem Kölner
Klerus kam.
Als Zentrum der Hausmacht Pippins
II. erscheinen in der Folge die großen Güterbezirke Hermalle,
Herstal (2.500-3.000 ha) und Jupille (9.000 ha, davon 400 landwirtschaftliche
Nutzfläche) südlich von Maastricht, an der Grenze Hasbaniens
gegen die Ardennen. Sie bildeten einen geschlossenen Block in unmittelbarere
Nachbarschaft der damals noch bescheidenen bischöflichen villa Lüttich,
die im frühen 8. Jahrhundert zum Hauptsitz der Bischöfe von Tongern-Maastricht
aufsteigen sollte. Ob sie altes pippinidisches Hausgut oder merowingische
fisci waren, die schon zum Amtsgut
Grimoalds gehörten, steht dahin.
Pippin II.
baute den
fiscus Jupille, auf dessen Boden er das Novum castellum Chevremont
mit einem Klerikerstift gründete, zu seinem Herrschaftszentrum aus.
Jupille und Herstal erscheinen unter seinen Nachfolgern als Pfalzorte -
erst KARL DER GROSSEverlegte
den Schwerpunkt von Herstal nach Aachen.
Außenposten der Hausmacht
der ARNULFINGER - Pfalzel und Bollendorf - lagen im Umkreis von
Trier. Woher sie stammten, ist dunkel. Es kann sich um arnulfingisches
Erbe gehandelt haben. Die arnulfingischen Güter um Metz und
Verdun spielten beim Ausbau der Herrschaftsgrundlagen
Pippins II.
keine große Rolle. Vielleicht befanden sie sich um 675/76 noch in
der Hand
Chlodulfs. Hinderlich wird aber auch die Nähe der
Königsstadt Metz gewesen sein. Einen Rückschlag für
Pippin
bedeutete
zweifellos die Erhebung Dagoberts
II. zum König der Auster,
die der Hausmeier
Wulfoald um die Mitte des Jahres 676 durchsetzte. Wie der ARNULFINGER
sich mit dem König arrangierte, bleibt offen. Dagobert
urkundete für Stavelot und Malmedy, aber Lambert kehrte nicht
auf den Maastrichter Bischofsstuhl zurück.
Wenn der ARNULFINGER an
der Verschwörung beteiligt war, der der letzte austrasische MEROWINGER
im Dezember 679 zum Opfer fiel, muß
er die Wiederherstellung der "Monarchie" unter Theuderich
III. einkalkuliert haben und zeitweilig
mit Ebroin verbündet gewesen sein. Geht man von der allerdings
nicht unverdächtigen Darstellung der Annales Mettenses priores
aus,
so war sein Ziel der principatus orientalium Francorum. Vielleicht
hat Pippin sich die Wiedervereinigung der Teilreiche nach dem Muster
von 613 vorgestellt und für sich das
austrasische Hausmeieramt
angestrebt, das sein gleichnamiger Großvater und der Oheim
Grimolad innegehabt hatten. Vielleicht faßte er auch nur eine
kleinere Lösung, die Anerkennung seines principatus
in der
austrasischen Francia zwischen Rhein und Kohlenwald ins Auge. Jedenfalls
kam es darüber zum Bruch mit Ebroin. Im Frieden, den Pippin
mit Ebroins Nachfolger Waratto
um 681 schloß, dürfte er die kleinere Lösung durchgesetzt
haben. Der Friede wurde jedoch durch Warattos Sohn Giselmar
gestört, der dem Vater aus dem Hausmeieramt verdrängte. Wie
im Kampf mit Ebroin
geriet der ARNULFINGER in große
Bedrängnis. Gislemar
belagerte Namur und nahm diesen wichtigen
arnulfingischen Stützpunkt anscheinend auch ein. Die Auseinandersetzung
wurde erst durch Gislemars Tod im Jahr 683 beendet. Im Auftrag des
Königs und Warattos, der das Hausmeieramt wieder übernahm,
reist der greise Bischof Audoin von Rouen nach Köln, wo Pippin
zu dieser Zeit residierte, und erneuerte den Frieden von 681. Pippin
wurde als dux in der
austrasischen Francia anerkannt.
Eine Statthalterschaft über das gesamte regnum Austrasiorum
war damit allem Anschein nach nicht verbunden. Alleiniger Hausmeier blieb
Waratto bis zu seinem Tod im Jahre 686.