STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
Schwennicke Detlev: Europäische Stammtafeln
Neue Folge Band I. 1, Vittorio Klostermann GmbH Frankfurt am Main 1998
Tafel 1-2 -
Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 543
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MEROWINGER
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Fränkisches Königshaus
[I] POLITISCHE ENTWICKLUNG UND POLITISCHE AKTION
Als erste Repräsentanten der MEROWINGER
- vielleicht ist ein Seitenzweig schon bei einem fränkischen König
und fränkisch-römischen Heerführern des 4. Jh. (Merogaisus;
Merobaudes) zu fassen - treten die Könige Chlodio
und Merowech,
der irrigerweise zum Namengeber wurde, an der Spitze von Verbänden
des salfränkischen Teilstammes ca. 440/55 in die Geschichte ein (Greg.
Tur., Hist. II, 9; MGH SRM I, 58). Beide setzen Anfänge für die
Reichsbildung der
MEROWINGER, jener,
indem er Cambrai einnahm und bis zur Somme vordrang, dieser, indem er den
Seitenzweig
von Tournai begründete. Merowech
war Vater des Childerichund
GroßvaterChlodwigs.
Die MEROWINGER standen wohl in kognatischem
und agnatischem (Ragnachar;
Chararich)
Verwandtschaftszusammenhang zu anderen Stammes-Königen.
Childerich
kämpfte als römischer Verbündeter gegen die Westgoten
(463;469). Der eigentliche Begründer der Dynastie und des merowingischen
Reiches war Chlodwig (482-511).
Er wurde der mächtigste Mann in Gallien und führte die Franken
in den Kreis der germanisch-romanischen Großreiche. Bei seinem Tod
und wieder 561 wurden vier an den im Kerngebiet der Francia gelegenen römischen
civitates Reims, Orleans, Paris und Soissons ausgerichtete Reichsteile
gebildet. Chlodwigs Söhne
Theuderich,
Chlodomer,
Childebert
I. und Chlothar
führten die Eroberung Galliens fort und nahmen es fast ganz in Besitz
(534 Burgundisches Reich; 536 Provence).
Besonders unter den Königen von Reims griffen sie auf die Gebiete
östlich des Rheins (unter anderem 531 Thüringisches
Reich) und zeitweise sogar auf Italien über. Nach 561 geriet die
Dynastie durch Bürgerkriege vor allem zwischen Soissons und Reims
in die Krise, doch gelang die Restauration des Königtums. Wesentlich
sind die tiefen Wandlungen, die Herausbildung der drei TeilreicheBurgund,
Austrasien und Neustrien
und das Hervortreten des Adels. Das neustrische Einigkeitskönigtum
Chlothars
II. (613-629) und Dagoberts
I. (629-638/39) brachte
eine Reorganisation des Reiches und die Klimax der Dynastie. Das bereits
von Chlodwig zur cathedra regni
gemachte
Paris erlebte mit der Abtei St- Denis glanzvollen Aufschwung. Doch dann
folgte der Zerfall der Dynastie. In dem politischen Dualismus Austrien
- Neustrien/Burgund gerieten die Könige in Abhängigkeit von den
Hausmeiern. Im Kampf der Adelsgruppen
griff 656 der PIPPINIDEGrimoaldglücklos
nach der Krone in Neustrien/Burgund betrieben der
Hausmeier Ebroin
und zunächst noch Königin Balthild
eine zentralisierende monarchische Politik. Childerich
II. (662/73-675) regierte
als letzter
MEROWINGER
selbständig.
679
erlosch die merowingischeLinie in Austrien.
Pippin
der Mittlere hatte nach 678 faktisch die Macht im Franken-Reich
inne. Unter ihm und seinen Nachfolgern verblieb den MEROWINGERN
eine legitimierende, zeitweise sogar unterbrochene Scheinherrschaft. 751
wurden sie endgültig aus der Herrschaft verdrängt.
Ewig Eugen:
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"Die Merowinger"
Die letzten Merowinger
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Auf Dagobert I. folgten
in gut einem Jahrhundert (638/39-751) 12 oder, - wenn man Childebert
adoptivus und die von Ebroin und Karl
Martell erhobenen zweifelhaftenMEROWINGER
Chlodwig und Chlothar mitzählt,
- 15 Könige aus dem Geschlecht Chlodwigs.
Sie gelten als rois faineants. Der erste
karolingische König bezeichnete sie wohl treffender als
reges
qui potestatem nom habent. Denn repräsentative Funktionen standen
ihnen wie dem englischen Königshaus in unserer Zeit und modernen Staatspräsidenten
immer noch zu.
Die durch Sigibert
III. begründete
dritte austrasische Linie erlosch
schon mit
Sigiberts Sohn
Dagobert
II.
Stammvater aller späteren MEROWINGER
war, wenn man von ihm absieht, Dagoberts I.
neustroburgundischer Erbe
Chlodwig
II. durch seine SöhneTheuderich
III. und Childerich
II.
Chlodwig
II. und
Sigibert
III.
waren noch Kinder im Alter von 5-8 Jahren, als ihr Vater
Dagobert
I. starb. Als Kinder traten auch fünf Nachkommen Chlodwigs
II. die Herrschaft an. Chlothar
III.,
Childerich II.,
Chlodwig
III.,
Dagobert
III. und Theuderich
IV. hatten das Mündigkeitsalter von 15 Jahren noch
nicht erreicht, und
Childebert
III. hatte es gerade erst überschritten.
Erwachsen waren bei ihrem Herrschaftsantritt Theuderich
III. (mit etwa 22-24 Jahren) und sein austrasischer VetterDagobert
II. (mit rund 25), Chilperich II. (mit
40-45) und sein Sohn Childerich III.
(mit ca. 25 Jahren). Bei keinem von ihnen lag eine direkte Erbfolge vor.
Theuderich
III. hatte hinter seinen
BrüdernChlothar
und
Childerich zurückgestanden,
Dagobert II. hinter
Childebertus
adoptivus und
Childerich II. Chilperich
II. war nach der Ermordung seines Vaters zum Kleriker geschoren
worden; Childerich III. wurde nach
einem Interregnum von sechs Jahren von den karolingischen
Brüdern Karlmannund
Pippinerhoben,
weil man den König aus ChlodwigsHaus
nicht entbehren konnte.
Das Alter von etwa 23-26 Jahren erreichten
Dagoberts Söhne Sigibert
und Chlodwig,
Sigiberts
SohnDagobert
II.,
ChlodwigsSohnChlothar
III. und der vorletzte
MEROWINGER Theuderich
IV. Noch jünger verstarben Childerich
II. (mit 20), Chlodwig III.
(mit 17) und Dagobert III. (mit 19
Jahren).
Langlebiger waren Childebert
III. (32 Jahre),
Theuderich III.
(rund
40 Jahre), Chilperich II. (knapp 50
Jahre) und Childerich III. Chilperich war
675 als Kind der Kirche übergeben worden, in deren Schutz und Dienst
er als Kleriker unter dem Namen Daniel vier Jahrzehnte seines
Lebens verbrachte, was ihm offenbar nicht schlecht bekam. Der letzteMEROWINGER
Childerich
III. zählte etwa 30-35 Jahre, als König
Pippin ihn 751 in das Kloster Sithiu einwies, wo er zu unbekannter
Zeit starb.
Auseinandersetzungen um den Thron waren in der späten
MEROWINGER-Zeit nicht mehr tödlich. Schon seit Chlodwig
hatte
man gelegentlich Rivalen unblutig ausgeschaltet, indem man ihnen die Tonsur
erteilte und sie der Kirche überstellte, womit sie das königliche
Charisma verloren und "dem übrigen Volk gleichgestellt wurden".
Merowingischer Stolz bäumte sich freilich in früheren
Zeiten dagegen auf. Selbst Chlodwigs
fromme Gemahlin Chrodechild
soll ihren Söhnen Childebert und
Chlotharerklärt
haben, sie sähe ihre Enkel - die Söhne Chlodomers
von Orleans- lieber tot als geschoren, wenn sie nicht zu Königen
erhoben würden.Theudebert
II. habe 612, so heißt es, Columbans Aufforderung,
in den Klerus einzutreten statt in den Krieg gegen seinen Bruder zu ziehen,
als lächerliche Zumutung zurückgewiesen: noch nie habe er gehört,
daß ein regierender MEROWINGER
freiwillig in den Klerus eingetreten sei. Im 7. Jahrhundert scheint sich
der MEROWINGER-Stolz allmählich
entschärft zu haben. Die Übergabe des Kleinkindes Dagobert
an
den Bischof Desiderius im Jahre 656 machte Schule. 673 wurde Theuderich
III. von Childerich II. als
"Daniel" in den Klerus überstellt, 716 das
KönigskindTheuderich
(IV.) "zur Erziehung" nach Chelles gebracht, 751 der letzte
MEROWINGER
nach Sithiu. Ob Theuderich zum Kleriker
bestimmt
wurde, ist nicht sicher, da anscheinend schon sein Vater
Dagobert
III. als Kind in Chelles erzogen wurde.
Die Erziehung der Kleinkinder lag normalerweise wohl
in der Hand der Königin-Mutter, der auch als Regentin für unmündige
Könige - nachweisbar seit Brunichild und
Fredegund
- eine große Bedeutung zukam. In dieser Funktion erscheint noch Theuderichs
III. Gemahlin Chrodechild,
die im ersten Jahr ihres Sohnes Chlodwig III.die
Königsurkunden als Regentin unterzeichnete. Nach ihr sind keine
merowingischen
Königinnen mehr bezeugt; ihre Rolle war offenbar ausgespielt.
Bis auf Childerich II. und
den Sigibert-SohnDagobert
II. sind alle, das heißt 10 Nachkommen Dagoberts
I., eines natürlichen Todes gestorben. Es stellt sich die
Frage, warum 6 von ihnen frühzeitig starben, das heißt die Schwelle
der 30 und meist sogar 25 nicht erreichten. Man hat eine biologische Erschöpfung
der Dynastie durch Ausschweifung angenommen. Dafür gibt es, wenn man
von Chlodwig II. und seinem gewaltsam
ums Leben gekommenen SohnChilderich II.
absieht,
kein Zeugnis. Die überlieferten Lebensdaten lassen nur erkennen, daß
die späten MEROWINGER wie
die meisten ihrer Vorfahren mit 15 Jahren Frauen heimführten und von
ihnen bald darauf auch Kinder erhielten. Die Frankenchronik von 726/27,
der Liber Historiae Francorum, verzeichnet in der Regel nur die Sohnschaft,
den Regierungsantritt und den Tod. Eine Ausnahme macht sie nur bei Childebert
III., der als vir inclytus und
rex iustus charakterisiert
wird.
Zwei Könige kamen noch gewaltsam ums Leben: Childerich
II. 675 und Dagobert II. 679.
Sie fielen nicht einer Familienfehde, sondern rebellischen Großen
zum Opfer. Beide haben sich, wenn die Indizien nicht täuschen, mit
einem Königtum sine potestate nicht abgefunden und könnten
daher als die letzten - gescheiterten - merowingischen
Herrscher gelten. Von den Königen, die als erwachsene Männer
erhoben wurden, könnte allenfalls Chilperich
II. (716-721) noch in das politische Geschehen eingegriffen
haben. Die antiarnulfingische Opposition hat kaum zufällig ihn, den
Sohn
Childerichs II., erhoben und dabei
das Königskind Theuderich, Dagoberts
III. Sohn, übergangen. Der 40-jährige Chilperich
gab ihrer Sache ein ganz anderes Gewicht als der unmündige Königsknabe
und konnte als Sohn Childerichs II. auch
eine Brücke zu den Gegnern der
ARNULFINGER
im regnum Austrasiorum schlagen. In der Tat hat Chilperich
II. nicht nur wieder in den alten Pfalzen der Dynastie residiert,
sondern wohl auch Beziehungen zu austrasischen Großen angeknüpft.
Aber das Kriegsglück war ihm und seinem Hausmeier Raganfrid
nicht günstig. Als Faustpfand des aquitanischen Herzogs Eudo,
der ihm und Raganfrid zu Hilfe geeilt war, wurde er schließlich
Karl
Martell, dem siegreichen Sohn Pippins II. ausgeliefert und von
diesem als Gallionsfigur des regnum Francorum übernommen. Animositäten
zwischen den Nachkommen
Childerichs II. und
den ARNULFINGERN mögen gleichwohl
weiter geschwelt haben. Als
Chilperich II. starb,
griff Karl Martell jedenfalls auf die Linie Theuderichs
III. zurück und erhob dessen Urenkel, den 715/16
übergangenen Theuderich IV. zum
König.
Schwer zu erklären sind die Beziehungen der letzten
MEROWINGER
zu den sakralen Zentren des Königshauses. In Auster brach die kaum
bekannte Tradition der merowingischen Grabkirchen
schon mit der Bestattung Sigiberts III. in
der von ihm gegründeten Metzer Martinsabtei ab. Das Grab des
Childebertus
adoptivus ist unbekannt.
Dagobert II.
wurde in der Kirche von Stenay, am Ort seiner Ermordung in den Ardennen
beigesetzt.
In Paris gab es einen embarras de richesse. Eine große
Tradition hatte die Heiligkreuz-St. Vinzenzbasilika Childeberts
I. (St. Germain-des-Pres). Hier wurden im 7. Jahrhundert
noch Chlothar II. und Childerich
II. mit seiner Gattin Bilichild
und dem kleinen SohnDagobert beigesetzt.
Die Annahme liegt nahe, daß auch der andere Sohn des Königspaares,
der Kleriker
"Daniel" hier eingewiesen wurde, ehe man ihn
716 mit dem Namen
Chilperich zum König
erhob.
Neben Heiligkreuz-St. Germain-des-Pres trat St. Denis
als Grabkirche Dagoberts I., seiner
Gattin
Nanthild,
ihres Sohnes Chlodwigs II. und
einer Reihe von Seitenverwandten. Eine neue Tradition begründete die
Königin
Balthild mit der Gründung von Chelles,
wo nicht nur sie, sondern wohl auch ihr älterer SohnChlothar
III., der noch zu ihren Lebzeiten starb, die letzte Ruhe
fand. Balthilds
Enkel und Urenkel -
Dagobert III. und Theuderich IV.
- wurden hier erzogen.
Damit setzen die Nachrichten über die Königskirchen
zunächst aus. Nichts ist bekannt über die Gräber Theuderichs
III.,
Chlodwigs III., Dagoberts
III. und Theuderichs IV.,
das heißt der meisten Könige aus der Zeit Pippins und
Karl
Martells. Überliefert sind lediglich die Grabstätten
Childeberts
III. († 711) in Choisy-au-Bac und Chilperich
II. († 721) in Noyon. Beide wurden wie Dagobert
II. an ihrem Sterbeort beigesetzt:
Childebert
III. in einem ländlichen monasterium, Chilperich
II. immerhin beim Grab des heiligen Eligius, aber keiner
von beiden in einer alten Königsnekropole. Daß auch die vier
späten
MEROWINGER, deren Grabstätten
nicht überliefert sind, an ihrem Sterbeort beigesetzt wurden, ist
nicht a priori auszuschließen. Wenn der Liber Historiae Francorum
solche Beisetzungen aber eigens erwähnt, ist die Vermutung gestattet,
daß er die üblichen Grabkirchen als bekannt voraussetzt. In
Frage kommen nur St. Denis und Chelles.
Im 8. Jahrhundert ließen sich Karl
Martell und König
Pippin, sein Sohn, in St. Denis, beisetzen. Auch KARL
DER GROSSE wünschte zum Beginn seiner Regierung, hier bestattet
zu werden und ließ seine Mutter Bertrada
783 nach St. Denis überführen. Die Vermutung liegt nahe, daß
die KAROLINGER an eine merowingische
Tradition anknüpften, die nicht mit Chlodwig
II. abbrach. Theuderich III. hatte
zwei Jahre seines Lebens (723-725) in St. Denis verbracht. Von ihm, von
Chilperich
II. und Theudebert IV. ergingen
Gebetstiftungen an die Abtei. Man darf daher wohl annehmen, daß zumindest
Theuderich
III., wahrscheinlich aber auch seine Nachkommen mit Ausnahme
Childeberts
III. hier die letzte Ruhe fanden.