HENNEGAU
 

Lexikon des Mittelalters: Band IV Seite 2131
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Hennegau
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frz. Hainault, fläm. Henegouwen)

Grafschaft in den südlichen Niederlanden, heute teils in Belgien (Provinz Hennegau), teils zu Frankreich (Ostteil des dep. Nord)
 

POLITISCHE UND TERRITORIALE GESCHICHTE
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Der Hennegau geht zurück auf einen Bezirk der gallo-römischen Civitas der Nervier (spätere Diözese von Cambrai), dessen Zentrum Famars ein spätrömisches Castrum bei Valenciennes war. Im Frühmittelalter als 'pagus Fan(o)martensis' bezeichnet, verdrängt der Pagusname Hennegau, der erstmals im 8. Jh. erscheint, seit dem 9. Jh. denjenigen des pagus Fanomartensis. In diesem westlichen Teil Nieder-Lothringens hatten seit dem 10. Jh. Grafen aus dem Geschlecht der REGINARE (REGNIER), mit Sitz in Mons, die Herrschaft inne. Die deutschen Könige entzogen Reginar III. (958/59) und seinem Sohn Reginar IV. (974) ihren Besitz und übergaben ihn ergebeneren Anhängern des ottonischen Königtums zur Verwaltung. Nach einer gescheiterten Rückeroberung gegen Mons (976) unterwarf sich Reginar IV. dem König und erlangte seine Güter zurück; lediglich Valenciennes wurde erst 1047 seinem Enkel Hermann zurückerstattet. Hermanns Witwe Richilde heiratete in zweiter Ehe den Sohn des Grafen von Flandern, Balduin VI/I.; damit kam Hennegau an Mitglieder des flandrischen Grafengeschlechts der BALDUINE (1051-1280). Nach nur kurzzeitiger Personalunion mit Flandern (1067-1071) trug Richilde die Grafschaft dem Bischof von Lüttich zu Lehen auf, um sich so gegen Angriffe ihres mächtigen Schwagers Robert des Friesen, Grafen von Flandern (1071-1093), zu schützen; dieses unter Vermittlung Herzog Gottfrieds des Buckligen von Nieder-Lothringen in zwei Etappen geschlossene Abkommen, das dem Lütticher übrigens keine politische Vormachtstellung im Hennegau verlieh, hatte Bestand bis ins frühe 15. Jahrhundert.
Im 11. und frühen 12. Jh., in dem sich institutionelle Ansätze abzeichnen (curia, erbliche Hofämter), erfolgte eine territoriale Erweiterung durch Erwerb folgender Besitzungen: Grafschaft Chievres (ein Teil der Mark Ename, 1047), Domänen des Stifts Ste-Waudru zu Mons, das Gebiet zwischen Sambre und Maas (Beaumont-Chimay), beträchtliche Teile des pagus Ostrevant (frz. Lehen, westlich des Schelde, zwischen Valenciennes und Douai gelegen). Balduin IV. (1020-1071) stärkte seine Machtposition durch Burgenbau, hielt den Adel in Schach und setzte erste gräfliche Beamte ein. In Fortführung dieser Ansätze begründete sein Sohn Balduin V. (VIII.) (1171-1195) zu Beginn seiner Regierung die gräfliche Kanzlei und führte mit Hilfe seines Kanzlers Giselbert von Mons eine weitausgreifende Politik; Höhepunkte waren: die 1190 bei FRIEDRICH BARBAROSSA erwirkte Übertragung der Grafschaft Namur, die zur Markgrafschaft erhoben wurde (Erbe Heinrichs des Blinden) und der Erwerb der Grafschaft Flandern nach dem Tod Philipps von Elsaß, dessen Schwester Margarete er geheiratet hatte (1191). Balduin VI. (IX. in Flandern [1195-1205]) erließ 1200 zwei Küren, die ältesten Kodifikationen des Lehn- und Strafrechts des Hennegau. An Ostern 1202 nahm er das Kreuz und wurde 1204 zum 1. Kaiser von Konstantinopel gekrönt, blieb aber seit einem Bulgarenfeldzug (1205) verschollen. Flandern und Hennegau gingen nacheinander an die beiden Töchter über: zunächst an die kinderlose Johanna (1205-1244, 1. oo Ferrand von Portugal, 2. oo Thomas von Savoyen); dann an Margarete (1244-1280). Da aus den beiden Ehen der Margarete männliche Nachkommen hervorgingen, brach ein erbitterter Erbstreit zwischen diesen aus. Der französische König Ludwig der Heilige schlichtete diesen Konflikt in zwei Schiedssprüchen (1246;1256: Dit de Peronne) und sprach Hennegau dem Sohn aus 1. Ehe, Johann von Avesnes, Flandern dagegen Wilhelm von Dampierre zu. Da Johann bereits 1257 verstarb, folgte Johann II. seiner Großmutter nach (1280-1304) und etablierte sein Haus, die AVESNES, als 3. Hennegauer Grafendynastie. Nach dem Tod des Grafen von Holland und Seeland, eines Groß-Neffen Johanns II. von Hennegau aus dem Haus AVESNES, wurden Holland-Seeland und Hennegau in einer Personalunion dauernd vereinigt. Während Johann II. sich bei seinem Kampf gegen die DAMPIERRE der Gunst des deutschen Königtums versicherte und noch 1297 auch Unterstützung beim französischen König fand, ging seine Sohn Wilhelm I. (1304-1337) vom anfänglichen Bündnis mit Frankreich immer mehr zur Partei des Königs von England, seines Schwiegersohnes, über. Durch verschlagene Diplomatie und Annäherung an Flandern konnte Wilhelm seinem holländisch-hennegauischen Machtkomplex ein stärkeres Gewicht innerhalb der Niederlande verschaffen. Da Wilhelm II. (1337-1345) kinderlos verstarb, fiel das Fürstentum an seine Schwester Margarete, die Gattin LUDWIGS DES BAYERN und damit an das Haus WITTELSBACH, das eine hennegauisch-holländisch-seeländische Linie ausbildete. Im 2. Drittel des 14. Jh. blühte im Hennegau das - später so genannte - 'Ständewesen' auf, mit zahlreichen Versammlungen der drei traditionellen 'ordines'. Albrecht (Aubert) von Bayern, der 1358 als Regent für seinen wahnsinnigen Bruder Wilhelm III. (1356-1389) fungierte, 1389-1404 als Graf herrschte, bemühte sich, vor allem durch Wahrung der Neutralität im 'Hundertjährigen Krieg', um die Erhaltung guter Beziehungen zu den auswärtigen Fürsten, während er im Innern die großen Feudalherren niederhielt (zum Beispiel Hinrichtung des Herrn von Enghien). Der schon zu Lebzeiten des Vaters mitregierende Sohn Wilhelm IV. (1404-1417), Schwager Johann Ohnefurchts, des Herzogs von Burgund und Grafen von Flandern, hinerließ seiner einzigen Tochter, Jakobäa (1417-1433), die seit 1420 mit ihrem zweiten Ehemann und Vetter, Johann IV. von Brabant und Limburg, in einen sich zum Bürgerkrieg ausweitenden Konflikt geriet (1424/25). Als - keinesfalls uneigennütziger - Friedensstifter tat sich Herzog Philipp der Gute, der Vetter der Gräfin, hervor (Vertrag von Douai, 1. Juni 1425), der den Erwerb der Grafschaft für sein haus in mehreren Etappen realisierte: Er ließ sich durch die Landstände des Hennegau als mainbour anerkennen (22.-23. Juni 1427), erreichte auch die Bestätigung der Gräfin für dieses Regentenamt (Vertrag von Delft, 3. Juli 1428), um schließlich die Übertragung der Grafschaft zu erreichen (Vertrag von Den Haag, 12. April 1433). Damit war Hennegau dem Herzogtum Burgund, auf der Basis der Personalunion, einverleibt; die Verwaltung wurde durch einen grand bailli und einem conseil ausgeübt. 1482 kam Hennegau mit den meisten anderen burgundisch-niederländischen Territorien an das Haus HABSBURG.



Ehemalige Grafschaft im nordwestlichen Deutschland

Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts war es im Besitz eines mächtigen Grafengeschlechts, der REGINARE, von denen mehrere das Herzogsamt in Nieder-Lothringen verwalteten. Richilde, die Erbin von Hennegau, brachte die Grafschaft an ihren zweiten Gemahl, Balduin VI. von Flandern, der sich im Hennegau Balduin I. nannte. Sein Sohn, Balduin II., verlor Flandern an seinen Oheim, Robert I. den Friesen, und starb 1098 in Palästina; aber sein Urenkel Balduin V. vereinigte durch Heirat mit Margarete von Lothringen und Flandern (1191) beide Grafschaften, Flandern und Hennegau, wieder miteinander. Balduin VI. (IX. von Flandern), ein Sprössling dieser Ehe, wurde 1204 1. Lateinischer Kaiser zu Konstantinopel; seine Erblande fielen zuerst an seine älteste Tochter Johanna, dann 1244 an deren Schwester Margarete, die zuerst mit Burkhard von Avesnes und dann mit Wilhelm II. von Dampierre vermählt war. Im Jahr 1279 wurde den Kindern 1. Ehe Hennegau, den Kindern 2. Ehe Flandern zugeteilt. Des Grafen Wilhelm I. des Guten (1302-1337) Tochter Margarete brachte Hennegau 1345 samt Holland und Seeland an das Haus WITTELSBACH. Ihre Urenkelin, die ebenso leichtsinnige wie heroische Jakobäa von Bayern, trat 1433 ihr Erbe an Philipp den Guten von Burgund ab. Hennegau kam 1482 an die HABSBURGER und teilte dann die Geschichte der spanisch-österreichischen Niederlande und wurde 1830 eine Provinz Belgiens.
 
 
Reginar I. Langhals 900-915
Reginar II. 915-932
Reginar III. 932-957
Richar 963-974
Reginar IV. 977-1013
Reginar V. 1013-1039
Hermann von Mons 1036-1052
Balduin I. von Mons 1052-1070
Balduin II. 1070-1098
Balduin III. 1098-1120
Balduin IV. von Mons 1120-1171
Balduin V. 1171-1195
Balduin VI. 1195-1205
Johanna von Flandern 1205-1244
Margarethe I. 1244-1280
Johann I. von Avesnes 1246-1257
Johann II. von Avesnes 1257-1304

      1304 Vereinigung mit Holland