Jarnut, Jörg: Seite 12,58-61,69
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"Agilolfingerstudien"

Über Theodelinda, die Tochter des agilolfingischen Dux Garibald und seiner langobardischen Gemahlin Walderada, berichtet Fredegar anläßlich ihrer Heirtat mit dem Langobarden-König Ago/Agilulf: "Ago rex Langobardum accepit uxorem Grimoaldi et Gundoaldi germanam Teudelendae ex genere Francorum" [45 Fred. IV, 34.].
Bevor sich Childebert im Jahre 585 Faileuba zur Frau nahm [245 Greg., H. F. IX, 38.], beabsichtigte der austrasische Hof nämlich, den heranwachsenden König mit Theodelinda, einer Tochter des agilolfingischen Herzogs Garibald und seiner lethingischen Gemahlin Walderada, zu verheiraten [246 Fred. IV, 34.]. Die geplante Ehe zwischen Childebert II. und Theodelinda kam aber nicht zustande. Nach dem Bericht "Fredegars" wäre die Auflösung der Verlobung auf den Willen Brunichildes zurückzuführen.
Der brüskierte und weiterhin von den Franken bedrohte Langobarden-Herrscher nahm nun einen radikalen Kurswechsel vor: 599 verlobte er sich mit der von Childebert verschmähten AGILOLFINGERIN Theodelinda, der Tochter Herzogs Garibalds [251 Origo gentis Langobardorum Kap. 6, Seite 5.; PD III, 30.], deren Schwester übrigens schon seit Jahren mit dem mächtigen langobardischen Herzog Eoin von Trient verheiratet war.
Die Franken reagierten prompt auf diesen Affront der AGILOLFINGER: Ein austrasisches Heer drang in Bayern ein. Garibalds Sohn Gundoald und seine Schwester Theodelinda flohen nach Italien, wo die Herzogs-Tochter im Mai 589 Authari heiratete. Der König machte seinen Schwager zum Herzog von Asti. Damit war 588/89 ein antiaustrasisches Bündnis entstanden, das den langobardischen König, den bayerischen Herzog und den langobardischen Dux von Trient verband und das durch die Heiratsverbindung mit den zwei AGILOLFINGERINNEN abgestützt war.
Agilulf hatte im November 590 die junge Witwe Autharis, Theodelinda, geheiratet.
Die Bedeutung Theodelindas für die langobardische Geschichte um 590, die bis jetzt vor allem mit ihrer lethingischen Abstammung und ihrer faszinierenden Persönlichkeit erklärt worden ist, liegt demnach - was bisher übersehen wurde - auch darin, daß sich über sie als Tochter eines der mächtigsten fränkischen Optimaten die Möglichkeit eröffnete, in den krisenhaften Beziehungen und in den für die Langobarden zeitweise existenzbedrohenden Auseinandersetzungen mit den Franken Einfluß auf das innerfränkische Geschehen zu gewinnen und so vielleicht den von den Langobarden ersehnten Frieden zu erlangen. Dies könnnte jedenfalls (auch) erklären, warum sie nacheinander Authari und Agilulf in dieser für die langobardische Geschichte verzweifelten Situation zur Frau nahmen.
Es ist in der Forschung immer wieder die Frage erörtert worden, warum die AGILOLFINGERIN Theodelinda in zweiter Ehe einen Mann namens Agilulf heiratete. Bereits oben wurde festgestellt, daß dieser König nicht der Namengeber für das Geschlecht der AGILOLFINGER gewesen sein kann, da er dem "genus" ANAWAS zugehörte [262 Edictum Rothari, Prolog. Vgl. oben Seite 10.]. Nun hat Norbert Wagner wahrscheinlich machen können, daß Agilulf wohl durch die Einheirat einer AGILOLFINGERIN in das altthüringische Geschlecht der ANAWAS zu seinem Namen gekommen ist [263 Vgl. Wagner, bes. 34f.]. Eine Erklärung, wie ein Thüringer zu einer führenden Stellung im Langobarden-Reich kommen konnte, ist relativ leicht zu finden. Er könnte im Gefolge Chlodeswindes, der Tochter Chlothars I. und Gemahlin König Alboins, zu den Langobarden gelangt sein. Es wäre zweifellos ein kluger politischer Zug Chlothars gewesen, einen thüringischen Hochadligen, der über seine agilolfingische Mutter oder Großmutter mit dem königstreuen bayerischen Herzog Garibald verwandt war, zu Audoin zu entsenden, um dort am Hofe der aus dem Franken-Reich stammenden jungen Königin für eine Stabilisierung des Verhältnisses zwischen Franken, Bayern und Langobarden zu arbeiten, die bis dahin auf die frankenfeindliche Familie des 534 ermordeten Thüringer-Königs Hermanafrid gesetzt hatten [264 Vgl. Jarnut, Langobarden 23f.].
617/18 traf eine langobardische Gesandtschaft bei Chlothar ein, die durch eine einmalige Zahlung von 36.000 solidi den bis dahin geleisteten Jahrestribut von 12.000 solidi ablöste. Zugleich schloß sie mit dem fränkischen Großkönig eine "pax perpetua". In diesen Jahren führte die AGILOLFINGERIN Theodelinda nach dem Tod ihres Gatten Agilulf († 616) für ihren jungen Sohn Adaloald die Regierungsgeschäfte. Die politisch überaus erfahrene Königin hatte sich also nicht verrechnet, als sie glaubte, trotz des Machtwechsels im Franken-Reich, das seit 590/91 bestehende freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Völkern ausbauen zu können. Daß sie bei ihrer Politik besonders auf die von den AGILOLFINGERN mitgeführte Friedenspartei setzte, wird daraus ersichtlich, daß der Führer ihrer Gesandtschaft eine "nobilis" namens Aghyulfus war, also wohl selbst der AGILOLFINGER-Sippe angehörte.