Die neustrischen Franken hatten die mit dem Herrscherwechsel
in Austroburgund 596 verbundene erste Verwirrung genutzt, um die einst
Chilperich
unterstehenden civitates nördlich der Loire, darunter Paris, zu besetzen.
Das Blatt wendete sich jedoch nach dem Tod der Königin-Mutter
Fredegund
im Jahre 597. Die Enkel
Brunichilds
errangen im Jahr 600 einen entscheidenden Sieg über den nur wenig
älteren
Chlothar II. bei Dormelles
(südlich von Monterau). Das Reich Chlothars
wurde
nach dieser neustrischen Niederlage reduziert auf einige Gaue um Rouen,
Beauvais und Amiens.
Nach der Eroberung Austrasiens durch Theuderich
II. verlangte er den Preis für seine Neutralität,
wurde aber abgewiesen. Nach dem Tode Theuderichs
II. gingen die Austrasier zu Chlothar
II. über, obwohl Brunichild
ihren Urenkel Sigibert
II.
zum König ausrufen ließ. Chlothar
ließ
die alte Königin
Brunichild, die ihm übergeben worden war und der er die
Schuld an allen seit 575 begangenen Bluttaten aufbürdete, in grausamer
Weise vierteilen. Er verschont von der Familie Theuderichs
nur sein Patenkind Merowech.
Wie 585 übernahm 613 ein
MEROWINGER aus der Linie
Soissons die Herrschaft im Gesamtreich. Anders als sein Großvater
Chlothar
I. hatte Chlothar jedoch
zu diesem Zeitpunkt schon einen Sohn, den noch im Kindesalter stehenden
Dagobert.
So hing der Fortbestand der Dynastie, um den sich schon König
Gunthram
als Senior des Hauses gesorgt hatte, von der Stabilisierung der Herrschaft
Chlothars II. ab, die auch nach dem
Sieg über die frankoburgundische Linie noch nicht voll gesichert
war.
Bei der Neuordnung hatte Chlothar
II. dem Selbstbewußtsein der austrasischen und frankoburgundischen
Adelsfaktionen Rechnung zu tragen, mit deren Hilfe er die "Monarchie" errungen
hatte. An eine Beseitigung der Teilreiche, in denen sich während der
vorausgehenden 50 Jahre ein Sonderbewußtsein der Großen entwickelt
hatte, war nicht zu denken. In Frankoburgund bestätigte Chlothar
den Hausmeier Warnachar
in seinem Amt, das er ihm sogar auf Lebenszeit garantierte. In Auster hatten
Arnulf,
domesticus Theudeberts II.,
und Pippin
der Ältere, die beiden Stammväter der KAROLINGER,
den König von Rouen 613 gegen Brunichild
und
Sigebert II. ins Land gerufen.
Arnulf wurde 614 zum Bischof von Metz gewählt.
Chlothar
erhob
jedoch nicht Pippin, sondern Rado
zum austrasischen Hausmeier, dem noch vor 617 Chucus
(Hufo) folgte. Warum der König
Pippin überging,
ist unklar. Vielleicht führte die Abgrenzung Austers gegenüber
dem Teilreich von Soissons, das Chlothar wiederherstellte,
zu einer Verstimmung. Für das erneuerte väterliche Teilreich
bürgerte sich der Name Neustrien
(Neu-Westreich) ein. Seinen Sitz nahm Chlothar
in Paris. Die schon von seinem Vater Chilperich
okkupierte sedes Chlodwigs, die seit
Chilperichs
Tod zu Frankoburgund gehört hatte, wurde damit zur Hauptstadt des
Gesamtreichs.
Nach Paris berief Chlothar
614 ein Reichskonzil und eine Reichsversammlung. Von der Synode, auf der
75 Bistümer aus allen Teilen des Reiches vertreten waren, kann man
auf Größe und Bedeutung der Optimatenversammlung zurückschließen.
Die Bischöfe tagten unter der Leitung des Metropoliten von Lyon. Das
abschließend publizierte königliche Edikt vom 18. Oktober 614,
zeigt, dass Chlothar notwendig gewordene
Konzessionen an die Großen mit der Wahrung der wesentlichen Königsrechte
zu verbinden wußte.
Alles in allem erscheint das Pariser Edikt als eine Art
Grundgesetz zur Wiederherstellung von Friede und Ordnung. Der König
strebte ein Zusammenwirken mit den Großen aller Teilreiche auf einer
klar umschriebenen Rechtsbasis an, die für die Regierung genügend
Spielraum ließ.
Kritisch blieb zunächst gleichwohl noch die Lage
in Frankoburgund. Hier scheinen Brunichild
und ihre Nachkommen namentlich in gallorömischen Kreisen noch Anhänger
besessen zu haben. Zu ihnen gehörte der Metrolit Lupus von Sens,
den
Chlothar
nach Amiens verbannte,
und die Äbtissin Rusticula von Arles, die angeklagt
wurde, einen geflüchteten Sohn Theuderichs
II. - wohl den seit 613 verschwundenen Childebert
- versteckt zu haben. Gefährlicher war eine nationalburgundische Verschwörung,
die ausbrach, als Chlothar im Juradukat
den dux Eudila, der wohl burgundischer Herkunft war, durch
den gleichfalls aus dem Gunthram-Reich
stammenden Franken Herpo ersetzte. Die Absetzung erschien ungerechtfertigt,
da Eudila wie Herpo frühzeitig mit dem Hausmeier
Warnachar zu Chlothar übergegangen
war, weckte aber augenscheinlich auch fränkisch-burgundische Rivalitäten.
Herpo
wurde von den Insassen des Juradukats umgebracht. Hinter den Aufständischen
standen der patricius Aletheus, der Bischof Leudemund
von Sitten und ein comes Herpinus aus dem Juradukat.
Aletheus, der wie Leudemund von Sitten einen ostgermanisch-burgundischen
Namen führte und sich seiner Abstammung aus dem altburgundischen Königshaus
rühmte, war wie Eudila 613 mit Warnachar zu Chlothar
II. übergegangen. Nun plante er nichts Geringeres als die
Wiederherstellung des burgundischen Königreiches. In seinem Auftrag
begab sich der Bischof von Sitten zum Königshof, der damals in Marlenheim
bei Straßburg weilte, um Chlothars Gemahlin
Berthetrud
zu überreden, sich mit dem Königsschatz nach Sitten zu begeben:
Aletheus werde sie nach dem bald zu erwartenden Tod Chlothars
als Gemahlin heimführen. Der patricius wollte durch diese Heirat
seinen Anspruch auf den Thron offenbar zusätzlich absichern. Die Königin
entdeckte jedoch die Verschwörung. Aletheus wurde auf einer
Reichsversammlung zu Malay-le-Roi bei Sens abgeurteilt und hingerichtet.
Leudemund von Sitten floh nach Luxueil und wurde schließlich
auf die Fürsprache des Abtes Eustachius hin begnadigt. Auf
einer Versammlung der franko-burgundischen Großen zu Bonneuil bei
Paris, an der außer dem Hausmeier Warnachar auch die Bischöfe
des Teilreichs teilnahmen, wurden 616 noch anstehende Fragen bereinigt.
Nach dem Tod des Hausmeiers Warnachar gab der
Sohn Godinus
demonstrativ seinen Anspruch auf die Nachfolge im Amt des Vaters zu erkennen,
indem er dem kirchlichen Verbot zum Trotz nach altem Brauch seine Stiefmutter
Bertha heiratete. Vor dem Zorn des Königs floh Godinus
nach Toul.
Dagobert vermittelte,
Chlothar
ging
scheinbar darauf ein, war aber insgeheim entschlossen, die Macht der Sippe
Warnachars zu brechen. Einen Hochverratsprozeß anzustrengen wagte
der König offenbar nicht aus Sorge vor inneren Wirren. So wurde Godinus
unter dem Vorwand der Vereidigung nach Neustrien gelockt und auf Chlothars
Befehl in der Nähe von Chartres erschlagen: weit genug von den Zentren
seiner Herrschaft, wo die "Hinrichtung" blutige Fehden hätte auslösen
können. Tatsächlich blieb an Saone und Rhoen alles ruhig. Man
hatte wohl nicht nur in Luxeuil den Tod des übermächtigen Warnachar
als
göttliche Fügung empfunden. Als Chlothar
die
Frankoburgunder nach Troyes berief und wegen der Nachfolge Warnachars
befragte,
erhielt er die Antwort, man wünsche für die Zukunft den direkten
Zugang zum König ohne die Zwischeninstanz eines Hausmeiers.
Chlothar
fügte sich dem gewiß nicht ungern und gewann in den Frankoburgundern
eine loyale Gefolgschaft.
Komplikationen, wie sie in Frankoburgund auftraten, scheint
es in Auster nicht gegeben zu haben. Hier war Chlothar
II. nicht als Feind, sondern als Verbündeter führender
Männer aus dem Hofkreis Theudeberts II.
ins Land gekommen. Ihnen vertraute der Herrscher seinen Sohn
Dagobert
an,
als er ihn 623 als Unter-König über die Austrasier einsetzte.
Mit
Dagobert traten die
Ahnherren
der
KAROLINGER
wieder in den Vordergrund
der Bühne: der Maasländer Pippin als Hausmeier,
Arnulf
als geistlicher Berater des jungen Königs. Der Herrschaftsbereich
Dagoberts
umfaßte
ein verkleinertes Auster, da Chlothar
die Champagne (Reims, Laon, Chalons), Teile der Diözese Toul und vielleicht
auch Verdun einbehielt. Als Dagobert zwei
Jahre später in der Pfalz Clichy bei Paris Gomatrud,
die Schwester seiner Stiefmutter Sichielda
heiratete, forderte er vom Vater das Teilreich in seinem alten Umfang.
Eine Schiedskommission, in der Arnulf von Metz als Vertrauter beider
Könige eine führende Rolle spielte, stellte Auster nördlich
der Loire in den Grenzen von 561 wieder her. Die bei der Teilung des Charibert-Reiches
567 hinzu gewonnenen Gebiete blieben ebenso wie die Exklaven südlich
der Loire im väterlichen Herrschaftsbereich. Den Ausgleich zwischen
Vater und Sohn manifestierte das Reichskonzil, das im September 626 (oder
627) in der Königspfalz Clichy tagte und - obgleich weniger glanzvoll
als das Pariser Konzil von 614 - das Gesamtreich repräsentierte.
So entstand das austrasische Teilreichkönigtum neu
als Primogenitur, während Neustrien und Frankoburgund unter dem Gesamtherrscher
vereint blieben, ohne freilich miteinander zu verschmelzen. Die damit angebahnte
Zweiteilung des MEROWINGER-Reiches
blieb zunächst Episode, da Dagobert
sich beim Tod seines Vaters im Spätjahr 629 als Gesamtherrscher
durchsetzte - erst beim Tod Dagoberts
sollte sie Realität werden.