Ewig Eugen:
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"Die Merowinger"

Der siebenjährige jüngste Sohn Balthilds übernahm 662 das austrasische Teilreich unter der Vormundschaft seiner künftigen Schwiegermutter Chimnechild, der Witwe Sigiberts III., und unter der Leitung des dux Wulfoald, der vielleicht erst 673 den Hausmeiertitel erhielt, aber jedenfalls schon vorher - wie einst der dux Adalgisel in der Frühzeit Sigiberts III. - die Funktionen eines Hausmeiers wahrnahm. Der Regierungswechsel vollzog sich friedlich: eine Alternative zu Childerich wäre allenfalls Sigiberts Sohn Dagobert gewesen, aber sie wurde offenbar nicht einmal von der Mutter des exalierten Königs-Sohnes ins Auge gefaßt. Von den rechtsrheinischen duces hat wohl nicht nur der Thüringer-Herzog Radulf oder sein Nachfolger die Ablösung der PIPPINIDEN-Herrschaft begrüßt. Zeugnisse für Regierungshandlungen der Regentin oder des jungen Königs in den rechtsrheinischen Ländern sind nicht überliefert. Der Eintritt Childerichs in die Mündigkeit um 670 bezeichnete keine Zäsur: vornehmster Berater des Herrschers blieb nach wie vor der dux oder maiordomus Wulfoald.
Wulfoald war ohne Zweifel das Haupt einer den PIPPINIDEN wenig günstig gesinnten Adelsgruppe. Direkte Zeugnisse über seine Verwandtschaft liegen nicht vor. Aber Indizien weisen darauf hin, dass er im südaustrasischen Raum beheimatet war. Vielleicht war er der Großvater der Brüder Ermenbert und Otto, die 699 der Abtei Weißenburg (Diözese Speyer) umfangreiche Güter östlich von Nancy um Luneville, Blamont und Saarburg (Lothringen) schenkten. Verwandtschaftliche Beziehungen scheinen auch zur Gründerfamilie von St. Mihiel an der Maas (Diözese Verdun) bestanden zu haben.
Den südaustrasischen Landschaften galt anscheinend das besondere Interesse der Regenten und des jungen Königs.
Besonderer Art war die Urkunde, die Childerich 669/70 dem Abt Remaclus von Stavelot und Malmedy ausstellte. Der König verlieh den Remaclusklöstern die Immunität und bestätigte ihnen die Forstschenkung seines Schwiegervaters Sigibert, reduzierte sich im Süden aber um mehr als die Hälfte. Aus der Urkunde geht außerdem hervor, dass er die von Grimoald auf Fiskalland gegründeten Abteien als königliche Eigenklöster in Anspruch nahm. Die Spitze gegen die Erben Grimoalds ist deutlich. Die mit der Neuabgrenzug Beauftragten - den dux Gundoinus, den domesticus Hodo und den Bischof Theodard von Maastricht - wird man nicht zu den Freunden der PIPPINIDEN rechnen. Der Bischof Theodard, der anscheinend im Umkreis von Weißenburg begütert war, kam vielleicht von Mittelrhein durch den Hof nach Maastricht. Der dux Gundoin kann der  Schwiegersohn Wulfoalds gewesen sein. Unter Schikanen hatte in den voraufgehenden Jahren auch die pippinidische Hausabtei Nivelles zu leiden, die Grimoalds Tochter Wulfetrud seit dem frühen Tod ihrer Tante Gertrud ( 659) leitete.
Der pippinidische Mannesstamm war mit Grimoald und seinem Sohn Childebertus adoptivus erloschen. Das Erbe des Geschlechts fiel über Grimoalds Schwester Begga, die um 635 mit Ansegisel, dem zweiten Sohn Arnulfs von Metz, vermählt worden war, an die ARNULFINGER. Ansegisel und sein älterer Bruder Chlodulf sind 648/50 als domestici Sigiberts III. bezeugt. Chlodulf wurde um 654/55 Bischof von Metz. Um Metz, Verdun und Tongern, vielleicht auch um Trier (Pfalzel, Bollendorf) lag das Erbgut der ARNULFINGER. Die zwischen Kohlenwald und Maas beheimateten PIPPINIDEN, die zwei Hausmeier und einen König gestellt hatten, galten offenbar als die vornehmere Sippe. Von ihnen ging der Leitname Pippin auf Ansegisels und Beggas Sohn, Pippin den Mittleren, und dessen Nachkommen über.
Im Land zwischen Kohlenwald und Maas hatten PIPPINIDEN und ARNULFINGER viele Freunde. Das Bistum Maastricht wurde ihrem Einfluß aber wohl bald entzogen. Nicht der Bischof von Maastricht, sondern Chlodulf von Metz hielt seine schützende Hand über Nivelles. Tiefes Dunkel liegt über der Geschichte von Köln in jenen Jahren. Ob Bischof Kunibert von Köln, ein Freund und Verbündeter Pippins des Älteren und Grimoalds, die Regierung Childerichs überhaupt erlebte, ist zweifelhaft.
Die ARNULFINGER verloren nach 662 nicht allen Anhang im Bereich des Maastrichter Bistums. Eng verbunden blieb ihnen im Umkreis von Tongern ihr Nachbar Trudo, der unter Chlodulf in den Metzer Klerus eintrat und das von ihm gegründete Kloster St. Truiden (St. Trond) der Metzer Kirche übertrug. Als Gundoin - vielleicht ein Schwiegersohn Wulfoalds - zum dux in den pippinischen Kernlanden erhoben wurde (vor 669/70), kam es zu einem schweren Zusammanstoß mit Ansegisel, der im Verlauf der Fehde von Gundoin erschlagen wurde. Damit war der absolute Tiefpunkt in der Geschichte der ARNULFINGER erreicht.
Es hat den Anschein, dass der Konflikt mit Ansegisel keine weiteren Kreise zog und Ruhe herrschte, als 673 die "Einladung" der neustroburgundischen Partei Leodegars an Childerich erging. Der König eröffnete seine Regierung mit einer neustroburgundischen Synode in der burgundischen Pfalz St. Jean de Losne (Cote d'Or), an der er persönlich teilnahm, und einer Parallelsynode der Bischöfe der beiden aquitanischen Provinzen (Bourges, Bordeaux) und der Novempopulana/Wasconia (Eauze) in St. Pierre-de-Granon (Diözese Agen), auf der der aquitanische Herzog Lupus den König vertrat. Lupus schloß sich jedenfalls 673 Childerich II. an. Childerich hat Lupus vielleicht nicht nur in seinem Amt bestätigt, sondern ihm auch die austrasischen Länder in Süd-Aquitanien unterstellt, womit der Dukat dann dem Unter-Königreich Chariberts II. entsprochen hätte.
Von den neustroburgundischen Großen hatte Audoin von Rouen 673 wohl auf der Seite Ebroins gestanden, sich dann aber mit Childerich II. arrangiert. Er wird wohl der Wortführer der Optimaten gewesen sein, die dafür sorgten, dass Theuderich III. sich dem Bruder stellte und mit dem Leben davon kam. Von den irofränkischen Äbten seiner Diözese hatte Lantbert von Fontenelle eine abwartende Haltung eingenommen, dann aber im Gefolge des Bischofs und Metropoliten Childerich anerkannt, der seiner Abtei 673 eine große Landschenkung zukommen ließ. Zu den Intervenienten gehörte außer der Königin Bilichild auch Leodegar von Autun, zu dieser Zeit der vornehmste Rat des Königs in allen Angelegenheiten Neustroburgunds. Das Einvernehmen zwischen Childerich und Leodegar wurde jedoch bald gestört. Es heißt, dass der junge König sich nicht an die feierlich gegebene Zusage hielt, Recht und Gewohnheit eines jeden Landes zu erhalten. Leodegar griff aber auch die Ehe des Königs mit seiner Cousine Bilichild an, die ihm schon einen oder zwei Söhne - Dagobert und Chilperich - geboren hatte. Er rüttete damit an den Grundlagen von Childerichs Herrschaft in Auster und brachte auch Sigiberts Witwe Chimnechild gegen sich auf. Zum Bruch kam es schließlich anläßlich einer Streitsache zwischen dem Bischof Praeiectus von Clermont und dem patricius Hector von Marseille um das Vermögen der Matrone Claudia, deren Tochter Hector in einer Raubehe heimgeführt hatte. Hector wandte sich an Leodegar, Praeiectus an Chimnechild und den Hausmeier Wulfoald. Der König, der sich auf Einladung Leodegars nach Autun begeben hatte, entschied zugunsten des Bischofs von Clermont und trug ihm auf, die Karsamstagsliturgie pro salute regis et statu ecclesiae in der Bischofsstadt Leodegars zu feiern: ein offenbares Zeichen der Ungnade für Leodegar. Gegner klagten den Bischof von Autun und den patricius der Provence des Hochverrats an. Hector wurde hingerichtet, Leodegar nach Luxeuil verbannt. Der Knoten schürzte sich jedoch nicht in Burgund, sondern in Neustrien. Eine von Childerich gegen den Franken Bodilo gesetzwidrig verhängte ehrenrührige Strafe führte zu einer Verschwörung Bodilos mit Amalbert, der wohl Graf von Noyon war, und Ingobert. Die Verschworenen legten dem König in der silva Lauconis im Herbst 675 einen Hinterhalt und erschlugen Childerich mitsamt seiner Gattin Bilichild und ihrem kaum 5-jährigen Sohn Dagobert. Der Hauptschuldige an der Untat, die auch von den Zeitgenossen mißbilligt wurde, war der in seiner Ehre gekränkte Bodilo. Die königliche Familie wurde durch Audoin von Rouen nach Paris überführt und in der Heiligenkreuzkirche Childeberts I. (St. Germain-des-Pres), der traditionellen Königsnekropole, beigesetzt, wo man 1656 ihre Sarkophage wieder auffand. Das überlebende Königskind Chilperich wurde zum Kleriker bestimmt und erhielt den Namen Daniel.
Das Urteil über Childerich II. ist einseitig von den Gruppen geprägt, mit denen er zusammenstieß. In der Tradition der ARNULFINGER war er der König, der unter den Franken Zwietracht säte und sie zum Gespött machte. Im Kreis Leodegars warf man ihm Unstetigkeit und Ausschweifungen vor. Der neustrischen Opposition galt er als nimis levis, der in allen Dingen unüberlegt handelte. Childerich stand im Alter von sieben Jahren bei seinem Regierungsantritt in Auster, von 18 Jahren beim Regierungsantritt in Neustroburgund, von 20 Jahren bei seiner Ermordung. Dass er impulsiv handelte, darf man wohl glauben. Aber er war der letzte MEROWINGER, der versuchte die Zügel des Reiches wieder in die Hand zu nehmen. Seine Regierung ließ sich verheißungsvoll an - die Reifung war ihm nicht beschieden.