Konecny Silvia: Seite 48,61-64
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"Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert."

Die Ehe Pippins III. mit Bertrada brachte dem karolingischen Hausgut vermutlich jene Besitzungen ein, die ursprünglich zwischen den Töchtern der Irmina von Ören geteilt worden waren. Dadurch wurden die Güter neuerlich in einer Hand vereint. Als Vater der Bertrada wird Heribert von Laon genannt, den Hlawitschka für einen Sohn der älteren Bertrada, einer Schwester Plektruds, hält. Bertrda die Jüngere scheint ihren Vater allein beerbt zu haben, Schwestern sind jedenfalls keine überliefert. Brüder können wohl, da Bertrada Land erbte, auf alle Fälle ausgeschlossen werden. Ähnlich wie Plektrud gewann auch Bertrada erst mit zunehmendem Alter Einfluß und wurde selbst politisch tätig. Auch ihre Bedeutung scheint primär in ihrer Stellung als Gemahlin Pippins III. und nicht im Rückhalt an ihrer eigenen Sippe begründet gewesen zu sein. Das Datum des Eheschlusses zwischen Pippin III. und Bertrada ist nicht überliefert, die Geburt KARLS DES GROSSEN wird sowohl zu Jahre 742 als auch zum Jahre 747 berichtet. Als gesichertere Aussage gilt allgemein 742. Die Heirat scheint also noch vor dem Tod Karl Martells erfolgt zu sein.
Obwohl Bertradas politische Aktivität zum größten Teil bereits in die gemeinsame Regierungszeit ihrer Söhne, KARLS und Karlmanns, fiel, soll sie doch an dieser Stelle behandelt werden. Denn Bertrada verkörperte in gewissem Maße noch den Typus der politisch tätigen Königs-Witwe der MEROWINGER-Zeit, der auch bei den frühen KAROLINGERN festzustellen ist. Seit der Alleinherrschaft KARLS DES GROSSEN fand sich hingegen dieser Typus bei den KAROLINGERN kaum mehr. Insofern stellte Bertrada den Endpunkt einer Entwicklung dar. Anderseits wurde ihre Rolle als Königs-Witwe auch von den Impulsen bestimmt, die ein Ergebnis der Veränderungen im fränkischen Reich seit der Regierung Pippins III. waren. Bertradas Entscheidung zwischen einer papstfreundlichen Politik und einem langobardischen Bündnis trug nämlich dem erweiterten Horizont des fränkischen Reiches Rechnung. Bertrada war nicht, wie Hiltrud oder Swanahild, an persönliche oder sippenbedingte regionale Interessen gebunden.
Eine gewisse Neigung Bertradas zu einer langobardisch orientierten, wenn auch nicht unbedingt langobardenfreundlichen Bündnispolitik war bereits 754 festzustellen gewesen. Bertrada vertrat damals gewissermaßen die kompromißbereite Variante der Italienpolitik Pippins III., die wohl nötig wurde, als Karlmann überraschend ins fränkische Reich zurückkehrte. Während nämlich 754 Pippin III. dem Hilferuf des Papstes gegen die Langobarden Folge leistete, fand Karlmann als deren Unterhändler freundliche Aufnahme bei Bertrada. Im Sinne einer vorsichtigen Politik könnten Pippin III. und Bertrada durchaus einvernehmlich gehandelt haben. Karlmann selbst war 747 nach Italien gezogen und Mönch geworden. Die Quellen begründen Karlmanns Verhalten vor allem mit religiöser Neigung, möglicherweise hatte ihn aber die politische Entwicklung in seinem Reich zur Flucht gezwungen. Bevor Karlmann nach Italien gezogen war, hatte er sein Reich und seinen Sohn Drogo Pippin III. anvertraut. Als Pippin König wurde, schloß er die Nachkommen Karlmanns ausdrücklich von jedem Anspruch auf die Herrschaft aus. Jedoch wurden sie anscheinend erst nach dem neuerlichen Auftauchen Karlmanns im Franken-Reich gezwungen, in den Mönchsstand überzutreten. Von seiner diplomatischen Mission im Auftrag der Langobarden erhoffte Karlmannsich wohl eine Wendung. Als der Papst 753 ins Franken-Reich ging und Pippins Hilfe gegen die Langobarden erbat, suchte man auf langobardischer Seite wohl ein geeignetes Mittel, dem päpstlich-fränkischen Bündnis entgegenzuwirken. Karlmann, der bis zu diesem Zeitpunkt als einfacher Mönch in Montecassiono gelebt hatte, schien dazu geeignet. Mit ihm sandten die Langobarden einen Unterhändler ins fränkische Reich, der eine Bedrohung der Stellung Pippins III. bedeuten konnte. Die Rechnung ging allerdings nicht auf, denn Pippin III. zog trotz des unvermuteten Erscheinens seines Bruders nach Italien. Karlmann blieb mit Bertrada in Vienne zurück, wo er verstarb.
Die Reichsannalen, die nicht einmal Bertradas Teilnahme an Pippins III. Königserhebung vermerken, erwähnen die Frau des ersten karolingischen Königs ausgerechnet im Zusammenhang mit ihrem Schwager Karlmann zum ersten Mal. Es darf vermutet werden, daß hinter dieser kurzgefaßten annalistischen Nachricht eine Entscheidung von großer Tragweite stand. Denn während Pippin III. nach Italien marschierte, war Bertrada auf diplomatischer Ebene tätig. Sie sicherte Pippins III. Rückendeckung in den eigenen Reihen und wendete einen Angriff ab, den man von langobardischer Seite er auf die Einheit des fränkischen Reiches unternommen hatte. Offensichtlich parierte Bertrada die Finte des Gegners insofern, als sie sich zögernd verhandlungsbereit zeigte, und damit die Interessen Karlmanns von denen der Langobarden trennte.
Der größere Teil der Italienpolitik Bertradas fiel in die Zeit ihrer Witwenschaft. Pippin III. hinterließ 768 zwei erwachsene Söhne, unter denen er kurz vor seinem Ableben das Reich geteilt hatte. Für Bertrada bestand keine Chance, eine vormundschaftliche Regierung einzurichten und so im Zentrum politischen Geschehens zu bleiben. Sie leistete jedoch diplomatische Dienste, zu denen die Teilung des Reiches Anlaß genug gab. Ihre Stärke bestand in einer Politik des Ausgleiches. Als Bertrada sich für ein Bündnis mit den Langobarden entschied, lag dem eine klare Rechnung zugrunde: ein geteiltes Franken-Reich konnte ohne Konkurrenz der Teil-Könige die papstfreundliche Politik Pippins III. nicht fortsetzen. Auseinandersetzungen unter den Brüdern aber bargen die Gefahr in sich, von Außenstehenden zu deren Vorteil benützt zu werden. Also strebte Bertrada danch, ein Gleichgewicht der politischen Kräfte herzustellen, das die Teilreiche ihrer Söhne von der Einmischung anderer politischer Kräfte freihalten sollte. Durch diese Politik war Bertrada den langobardischen Bundesgenossen überlegen. So unterblieb etwa die Verbindung ihrer Tochter Gisla mit dem Sohn des Desiderius, obwohl ursprünglich eine Doppelheirat als Besiegelung des neuen Bündnisses zwischen Langobarden und Franken vereinbart worden war.
Im Jahre 770, als offenbar Gefahr bestand, daß verschiedene Interessengruppen aus Uneinigkeit zwischen den Brüdern KARL und Karlmann politisches Kapital schlagen könnten, griff Bertrada ein. Sie wandte sich zuerst nach Selz und traf dort mit Karlmann zusammen. Dann setzte sie ihre Reise über Baiern nach Italien fort und rief ein Bündnissystem größten Stils ins Leben. Sie verabredete eine Doppelhochzeit zwischen dem langobardischen Herrscher und ihrer eigenen Familie und führte die Tochter des Desiderius mit ins Franken-Reich zu ihrem Sohn KARL. Sie bezog also ihre Söhne KARL und Karlmann, den Langobarden-König Desiderius und den mit ihm verschwägerten Baiern-Herzog Tassilo, vielleicht auch den Papst, in ihr Bündnissystem ein. Daß sie bei so vielschichtig gelagerten Interssen nicht mit offenen Karten verhandeln konnte, ist nicht schwer zu verstehen. Es scheint Bertrada gelungen zu sein, jden ihrer Verhandlungspartner davon zu überzeugen, ein vorteilhaftes Bündnis zu schließen. Ihr eigenes Bemühen galt aber wohl - wie die Reiseroute wahrscheinlich macht - ihren beiden Söhnen zu gleichen Teilen, um so viel mehr, als Bertrada gerade durch den Ausgleich zwischen KARL und Karlmann selbst an Bedeutung gewann.
Vermutlich hob erst der Tod Karlmanns das Bündnissystem auf, das Bertrada geschaffen hatte. Hatte man fränkischerseits zunächst den Eheschluß Gislas mit dem Sohn des Desiderius vermutlich nur hinausgezögert, so sah man sich nun zu einer solchen Heirat nicht veranlaßt. Diese Haltung mußte den langobardischen König verstimmen. Als die Familie Karlmanns bei ihm Schutz suchte, entschied er sich zu einer Vorgangsweise, die sich gegen KARL richtete und ließ die Nachkommen Karlmanns zu Königen salben. Dies scheint KARL dazu bestimmt zu haben, den Bruch mit Desiderius seinerseits zu dokumentieren und dessen Tochter zu verstoßen. Der überlieferte Unmut Bertradas über KARLS Vorgangsweise muß sich nämlich nicht unbedingt gegen eine willkürliche Störung des politischen Gleichgewichts gerichtet haben, wie sie nur eine Scheidung vor dem Tod Karlmanns hervorgerufen haben würde. Bertrada könnte ebensogut KARLS Politik gegenüber den Nachkommen Karlmanns gemißbilligt haben. Konsequent und unter Verzicht auf die Eintracht im fränkischen Reich scheint sie jedoch nicht den Standpunkt der Nachkommen Karlmanns verfochten zu haben, denn sie fehlte im Lager ihrer Schwiegertochter Gerberga, als diese zu dem Langobarden-König floh. Ob nur die Quellen schweigen - Einhard betont in geradezu auffälliger Weise das gute Verhältnis zwischen KARL und seiner Mutter - oder ob Bertrada tatsächlich auf eine Politik für die Nachkommen Karlmanns verzichtete, weil ihr die Machtmittel dazu fehlten, muß dahingestellt bleiben. Allenfalls könnte sie KARLS Scheidung auch deshalb abgelehnt haben, weil sie zumindest über die Töchter des Desiderius einen gewissen Einfluß auf den Sohn behalten wollte. Jedenfalls nahm Bertrada während der Alleinherrschaft KARLS DES GROSSEN keine bedeutende Stellung mehr ein.