Hellmann S.: Seite 13,18-27
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"Die Grafen von Savoyen"

Eine dritte Tochter, Adelheid, hatte, wohl noch bei Lebzeiten des Vaters, dem Schwaben-Herzog Hermann, einem Stiefsohn KONRADS II., die Hand gereicht, der 1036 mit der Mark seines Schwiegervaters belehnt wurde. Nach seinem 1038 erfolgten Tode vermählte sie sich mit dem ALEDRAMIDEN Heinrich, mit dem sie 1042-1044 in Urkunden erscheint, um sich Ende des 5. Jahrzehnts des 11. Jahrhunderts dem SAVOYER Otto zu verbinden, der dann auch die Belehnung mit der Mark erhalten haben muß, da er, zum ersten Male 1051, als marchio urkundet, während er sich nach seinen burgundischen Besitzungen nun als Graf hätte bezeichnen können.
Da der ältere von ihnen, Peter, beim Tode des Vaters höchstens 14 Jahre gezählt haben kann, muß zunächst eine Vormundschaft bestanden haben, über deren Ausübung wir leider nichts Genaues wissen. Sicher ist nur, daß bis zu ihrem Tode Adelheid, nicht ihre Söhne, als die ausschlaggebende Persönlichkeit erscheint. Die wenigen Stellen der gleichzeitigen Quellen, welche die SAVOYER erwähnen, lassen darüber keinen Zweifel. In der Tat muß sie eine Frau von seltener Klugheit und Tatkraft gewesen sein, die in einer schwierigen Zeit ihre Stellung Freund und Feind gegenüber zu wahren verstand, und männlichen Mut in der Brust einer Frau zu bergen schien. Freilich bedurfte das savoyische Haus, dessen Hoffnung auf zwei Knaben stand, energischer und geschickter Führung in einer Zeit, in welcher der Widerstreit politische und kirchlicher Interessen das ganze Abendland und namentlich das Reich in feindliche Parteien spaltete.
Auch in Adelheids Gebiet stießen die großen kirchlichen Gegensätze mannigfach aufeinander. Im Allgemeinen hat die kirchliche Reformpartei in Burgund zahlreiche und eifrige Anhänger besessen. Aber gerade im Osten und Nordosten des Landes, in den deutschen und gemischtsprachigen Gegenden, die Adelheid unterstanden oder ihren Besitzungen angrenzten, hat sie auch nicht zu verachtenden Widerstand gefunden. Die Gräfin Adelheid mag sich um so eher zum Einschreiten gegen die Pataria entschlossen haben, als die Reformbewegung auch die großen Laiengeschlechter, welche die in ihrem Bereiche gelegenen Bistümer mit jüngeren Söhnen zu besetzen pflegten, in dieser Gewohnheit zu stören drohte.
Adelheid war zweifellos den Reformideen zugetan. Mit Petrus Damiani, freilich einem der zurückhaltendsten und konservativsten Anhänger der neuen Richtung, verband sie, vermutlich seit seiner Reise nach Frankreich im Jahre 1062, die ihn durch ihr Gebiet führte, brieflicher Verkehr: er war bemüht, die Bedenken zu verscheuchen, mit welchen sie ihre wiederholten Ehen erfüllten. Ihr zweiter Sohn Amadeus hat sich einmal - wir wissen nicht genau wann - durch feierlichen Schwur Papst Alexander II. zur Hilfeleistung verpflichtet und wurde auch von Gregor den Getreuen des Heiligen Stuhles beigerechnet. Der letztere ist Adelheid selbst wiederholt um Schutz für die in ihrem Bereich gelegenen Klöster angegangen. Aber sie ist weit davon entfernt gewesen, sich mit gebundenen Händen der kirchlichen Partei zu überliefern. Der patarenischen Bewegung trat sie, wo nötig, mit Waffengewalt entgegen.
Adelheid scheint Anfangs noch in nahen Beziehungen zum deutschen Hof gestanden zu haben, wie mehrere Verbindungen beweisen, die nahe Verwandte von ihr mit Angehörigen deutscher Fürstenhäuser eingingen. Zunächst heiratete ihre Schwester Irmgard oder Immula, deren Gemahl Otto von Schweinfurt im September 1057 verschieden war, den Grafen Ekbert von Braunschweig, einen nahen Verwandten des königlichen Hauses. Etwa um dieselbe Zeit wurde Adelheids gleichnamige Tochter RUDOLF VON RHEINFELDEN angetraut, den es damals mit dem Hofe enger zu verbinden galt und der somit der Schwager HEINRICHS IV. und der Schwiegersohn einer Fürstin wurde, deren Besitzungen (im Wallis) den seinen benachbart lagen. Beide Ehen waren überdies wenig glücklich. RUDOLF ließ sich 1070 von seiner Gemahlin scheiden und es bedurfte päpstlichen Dazwischentretens, um ihn nach zwei Jahren zu bewegen, sie wieder zu sich zu nehmen. Auch Ekbert dachte an Scheidung, um Adela, die Witwe Ottos von Meißen zu heiraten, und nur sein Tod (Januar 1068) behütete Irmgard vor dem Schicksal ihrer Nichte. Bekanntlich dachte auch HEINRICH selber, der 1066 in Tribur seine Braut Bertha heimgeführt hatte, sehr bald wieder an Trennung von seiner Gemahlin. Er hegte schon 1069 derartigen Absichten und gewann Erzbischof Siegfried von Mainz für dieselben. Nur das Dazwischentreten Alexanders II., der Petrus Damiani, den Freund von Berthas Mutter zur Frankfurter Synode nach Deutschland entsandte, verhinderte ihre Ausführung. Die deutschen Großen beschworen damals den jungen König dringend, den mächtigen Verwandten seiner Gemahlin keinen Anlaß zu geben, Wiederherstellung ihrer gekränkten Ehre mit den Waffen in der Hand zu suchen.
Die Vernachlässigung, deren Opfer die deutsche Königin von Seiten ihres Gemahls war, hatte doch keine Abkehr ihrer Mutter von der deutschen Politik zur Folge, wenigstens auf die Dauer nicht. Denn als die Bewohner von Asti, vermutlich im Jahre 1071, ihren Bischof vertrieben und einen anderen erwählt hatten, schritt Adelheid ein, legte nach langem Kampfe die Stadt in Asche und zwang die Bürger, ihren Oberhirten wieder bei sich aufzunehmen.
Indessen warf der drohende Konflikt zwischen König und Papst seine Schatten voraus; auch in Adelheids Gebiet machte sich sein Herannahen fühlbar; auf derselben Fatsensynode von 1075, auf welcher fünf simonistische Räte HEINRICHS exkommuniziert wurden, suspendierte Gregor VII. Kunibert von Turin. Als sich HEINRICH IV. im Winter 1076 entschloß, vom Papst die Absolution zu erflehen, sah er sich genötigt, da ZÄHRINGER und WELFEN ihm die östlichen Alpenpässe sperrten, seinen Weg durch Burgund zu nehmen; in Besancon feierte er Weihnachten, bei Genf überschritt er die Rhone und setzte, von Adelheid und ihrem jüngeren Sohn Amadeus ehrenvoll empfangen, seinen Weg durch ihr Gebiet fort. Nach dem Bericht Lamberts von Hersfeld, der allein auf den Zug HEINRICHS eingeht und die Schwierigkeiten einer Alpenüberquerung mitten im Winter dazu benutzt, seine schriftstellerische Begabung glänzen zu lassen, hätte Adelheid die Erlaubnis zum Durchzug durch ihr Gebiet an die Bedingung geknüpft, daß ihr HEINRICH fünf an ihre italienischen Besitzungen angrenzende Bistümer ausliefere, endlich aber sich mit der Abtretung einer burgundischen Provinz begnügt.
HEINRICH durchzog Adelheids Gebiet und nahm auch ihre Hilfe in Anspruch, als es sich darum handelte, Gregor VII. zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Niemand war zur Vermittlerin mehr geeignet als Adelheid, die dem König durch Verwandtschaft nahe stand und sich dem Papst durch einwandfreie kirchliche Gesinnung empfahl. Sie erschien mit Amadeus neben der Gräfin Mathilde, dem Markgrafen Azzo von Este und dem Abte von Cluny bei Gregor in Canossa und bestätigte das Schriftstück, durch welches sich HEINRICH dem Papste unterwarf. Auffallend ist, dass neben Adelheid immer gerade der jüngere Sohn Amadeus auftritt, während der ältere, Peter, nirgends erwähnt wird.
Die Stellung, welche Adelheid im weiteren Verlaufe des Investiturstreites einnahm, ist nicht recht klar. Im Jahre 1080 suchte sie, wie es scheint, Anschluß an die päpstliche Partei zu gewinnen. Am 9. August 1078 war Peter, am 26. Januar 1080 sein Bruder Amadeus, letzterer mit Hinterlassung eines Sohnes Humbert, gestorben. Die Mark gelangte nun an Friedrich von Mömpelgard, den Vetter Mathildes von Tuszien, einen  eifrigen Anhänger der kirchlichen Sache. Ob er mit Zustimmung Adelheids die Mark usurpierte, oder ob HEINRICH, der allen Grund hatte, Adelheid zu schonen, sich wirklich herbeiließ, ihm die Belehnung zu erteilen, ist zweifelhaft. Jedenfalls wird er im Mai 1080 zu Turin in einem Placitum, das auf päpstlichen Befehl über eine Streitigkeit der Äbte von Dijon und Fruttuaria von Kardinal Hermann, Bischof Hugo von Dic, den Bischöfen von Sitten und Maurienne und Adelheid und ihrer Schwiegertochter abgehalten wurde, als marchio bezeichnet. Vermutlich ist schon damals seine Verlobung mit Agnes, der Tochter Peters, erfolgt, die später seine Gemahlin wurde. Aber von beiden Parteien umworben scheint sich Adelheid trotzdem Freiheit des Handelns bewahrt zu haben.
Noch einmal nahm Adelheid die Gelegenheit wahr, für ihren Schwiegersohn einzutreten. Als HEINRICH im Sommer und Herbst 1082 siegreich Mathildes Gebiet durchzog, und dabei auch vereinzelten Widerstand in der Lombardei niederschlug, bot sie, vielleicht durch Benzo für HEINRICH gewonnen, abermals ihre Vermittlerdienste an, wie es scheint, erfolglos. Am 19. Dezember 1091 ist die energische Greisin, die wenige Monate vorher aus unbekannter Ursache noch einmal Asti eingenommen und verbrannt hatte, ins Grab gesunken, nachdem ihr Friedrich von Mömpelgard wenige Monate vorher im Tode vorangegangen war.
Adelheids Tod war für das savoyische Grafenhaus das Signal zu einer Katastrophe, von welcher es sich nur schwer und langsam wieder erholt hat.