CHICHESTER


Lexikon des Mittelalters:
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Chichester
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I. Stadt
[1] Vor 1066:
Ch
ichester (co. Sussex, südliches England) geht zurück auf die römisch-britische Stadt Noviomagus Reg(i)norum (so bei Ptolemaios und dem Geographus Ravennas), deren Mauer aus dem 3. Jh. (?) eine Fläche von 60 ha umschloß und Wehranlagen besaß; Teile der Mauer sind erhalten, die Tore wurden erst in der Neuzeit abgebrochen. Nach archäologischen Ausgrabungen setzte wahrscheinlich im späten 4. Jh. eine wirtschaftliche Wiederbelebung ein.
Der altenglische (Cisseceastre, 895) und der moderne Name »Ch
ichester« leiten sich von »Cissa« ab, der angeblich in der Zeit König Ælles (Angelsächsische Chronik 477, 491) lebte und wahrscheinlich ein früher Führer der Angelsachsen in diesem Gebiet war. Archäologische Funde in der Stadt und in der Umgebung fehlen fast vollständig vom 5. Jh. bis zum 9. Jh. Chichester war im Jahre 895 ein burh Alfreds des Großen; damals wehrten die Einwohner einen dänischen Angriff ab (die Besitzungen der Besatzung betrugen 1500 Hufe). Seit der Zeit König Æthelstans war Chichester eine bedeutende Münzstätte, und neuere Ausgrabungen, die eine gewerbsmäßige Herstellung von Töpferwaren im nordwestlichen Teil des Areals nachweisen, der später wieder landwirtschaftlich genutzt wurde, deuten auf eine dichte Besiedlung seit dem 10. Jh. hin. Die erste Kirche der Stadt war wahrscheinlich St. Peter im westlichen Teil der Siedlung.

2] Nach der normannischen Eroberung:
Im Jahre 1070 gehörte Ch
ichester zur Herrschaft (Rape: Sussex) von Roger of Montgomery, dessen Hauptsitz in Arundel war; im 12. und im 13. Jh. stand Chichester fast immer unter der Herrschaft des Königs oder eines Mitglieds seiner Familie, und seit 1312 war es ununterbrochen eine königliche Stadt. Die Gerichtsbarkeit in der Stadt ging jedoch zunehmend in die Hände der Bürger über. Aus königlichen Bestätigungen des 12. Jh. geht hervor, daß schon vor 1094 eine Kaufmannsgilde bestand. Andere Quellen dieser Zeit zeigen Auseinandersetzungen der Gilde mit Stellvertretern des Bischofs, doch wurden um 1220 die Vertreter (reeves) des Bischofs durch städtischne bailiffs und einen allgemein gewählten Bürgermeister (mayor) ersetzt. Die Bürger waren jetzt in ihrer Gesamtheit verantwortlich für die Zahlung der »firma burgi« (borough); 1316 wurde ihnen dieses Recht für alle Zeiten übertragen, einschließlich der Einnahmen aus den Wochenmärkten. Seit 1295 entsandte Chichester regelmäßig Repräsentanten der Bürger ins Parliament.
Das Domesday Book bezeugt die Errichtung von 60 neuen Häusern in der Zeit von 1066-1086. Das südwestliche Viertel wurde hauptsächlich von der Kathedrale und dem dazugehörigen Gebäudekomplex eingenommen. Eine Burg wurde als motte-and-bailey-Anlage im nordwestlichen Teil errichtet, 1217 jedoch zerstört. Ihr Areal erhielten 1269 die Franziskaner, die 1232 nach Ch
ichester kamen; die Dominikaner waren vor 1280 in der Stadt. Das Gebäude des um 1170 gegründete Hospitals St. Mary, das 1290 an den östlichen Teil des St. Martin's Square verlegt wurde, übernahmen bis 1269 die Franziskaner: es kann als eines der bedeutendsten und charakteristischsten Beispiele der mittelalterlichen Hospitalarchitektur in Großbritannien gelten. Die Entstehung von Suburbien ist vor dem östlichen Tor und in geringerem Maße in den anderen Himmelsrichtungen nachgewiesen, wie das unter anderem der Fund von bedeutenden Töpferöfen des 14. Jh. zeigt. Steuerregister deuten jedoch darauf hin, daß die Bevölkerung von Chichester im Jahre 1500 unter 3.000 Einwohner lag.

II. Bistum, Kathedrale:
1075 verlegte Bischof Stigand seinen Sitz von Selsey nach Ch
ichester. Bischof Ralph Luffa (1091-1123), der einst im königlichen Gefolge war, aber Anselm von Canterbury unterstützte, begann mit dem Bau der Kathedrale; die fertige Kirche wurde 1184 geweiht. Der Reliefzyklus »Erweckung des Lazarus«, ein Hauptwerk der romanischen Plastik in England, ist hinsichtlich seiner Datierung und ursprünglichen Funktion umstritten; er gilt bei den meisten Kunsthistorikern als Teil eines Schreins von ca. 1140.
Die Organisation des Kapitels, die sich in den Statuten von 1192 und 1197 usw. zeigt, war derjenigen des Kapitels von Salisbury (1091) ähnlich, aber sie forderte strengere Residenzpflicht und den Chordienst, besonders für die neuen Kanoniker. Ein Dekan ist seit 1108 nachgewiesen. Kanonikerpräbenden wurden nach dem 11. Jh. zunehmend eingerichtet (1197: wohl 23, 1291: 28). Chorvikare gab es vor 1197, und sie wurden 1465 der Kirche von Ch
ichester. fest eingegliedert. Eine Präbende versorgte um 1230 einen »theologus«. Die erhaltenen Handschriften in Chichester entstammen zumeist dem 12. Jh.; Bischof Richard Wich ( 1253) lieh Bücher an Bettelorden und private Entleiher aus.
Die Diözese von Ch
ichester deckte sich mit der Grafschaft Sussex, ausgenommen die eigenen Jurisdiktionsbezirke, nämlich die beiden Archidiakonate Chichester und Lewes, die zur Zeit des Bischofs Hilary (1147-1169) fünf bzw. vier ländliche Dekanate umfaßten.
1291 besaß die Diözese etwa 235 Pfarreien und in den eigenen Gerichtsbezirken weitere 35. Viele der ersteren Pfarreien wurden den Kloster Lewes und St. Martin's at Battle usw. angeschlossen.
Bischof
Ralph Neville (1222-1244), der als königlicher Kanzler von seiner Diözese für eine lange Zeit abwesend war, wurde sehr gut von seinem Stellvertreter und den Offizialen vertreten und erweiterte die Besitzausstattung des Kapitels. Der große Eifer bei seinen pastoralen Verpflichtungen war der Hauptgrund für die Kanonisierung von Bischof Richard Wich. Das Grab, in das er 1276 überführt wurde, war Ziel von Wallfahrten im Spät-Mittelalter Auseinandersetzungen um die Gerichtsbarkeit zwischen dem Bischof und dem Archidiakon oder dem Archidiakon und dem Kapitel nahmen seit dem späten 13. Jh. zu. Ch
ichester blieb eine der weniger bedeutenden Kathedralen.
D.A. Bullough