CHANCELLOR


Lexikon des Mittelalters:
********************

Chancellor ('Kanzler')
---------------------------
Bedeutender Amtsträger in England.
[1] Entwicklung:
Für 1069 existiert der erste unbestrittene Hinweis auf einen Ch
ancellor in England, bei einem normannischen Schreiber namens Herfast.
Seit dieser Zeit bestand das Amt wahrscheinlich kontinuierlich. Es ist jedoch anzunehmen, daß es einen Amtsträger mit vergleichbaren Aufgaben und vielleicht auch dem Kanzler-Titel bereits in spätangelsächsischer Zeit gab, in der die Organisation der königlichen Kanzlei sehr gut entwickelt war (zu den allgemeinen Voraussetzungen Kanzler, Kanzlei).
Regenbald, ein anderer normannischer Schreiber, wird sogar als ein Ch
ancellor des Königs Eduard des Bekenners (1042-1066) bezeichnet, allerdings erst in Quellen, die aus der Zeit nach der normannischen Eroberung stammen.
Die ersten Ch
ancellors waren königliche Kapläne, und das Amt gehörte zum königlichen Hofhalt und wird in der »Constitutio Domus Regis« (zwischen 1135 und 1139) genannt.
Seit dem späten 12. Jh. nahmen die Ch
ancellors eine bedeutende Stellung ein: Thomas Becket war von 1155-1162 Chancellor, gab aber das Amt ab, als er Erzbischof wurde; William Longchamp blieb Chancellor, als er 1189 Bischof von Ely wurde, und Hubert Walter war sowohl Chancellor als auch Erzbischof von Canterbury (1199-1205). Die meisten ihrer Nachfolger im Chancellor-Amt waren Geistliche, in der Regel Bischöfe.
Sir
Robert Bourchier (1340-1341) war der erste in der Reihe einer kleinen Anzahl weltlicher Ch
ancellors im Mittelalter, erst mit Sir Thomas More (1529-1532) begann eine fast ununterbrochene Reihe weltlichen Chancellors.

[2] Aufgaben:
Die wichtigste Aufgabe des Ch
ancellors war die Aufsicht über das königliche Siegel (King's Seal), das später dann das Great Seal genannt wurde, und über die betreffenden Schreiber. Die Zahl der hier ausgefertigten litterae stieg seit dem frühen 13. Jh. erheblich, und es entstand eine gut organisierte Behörde, die chancery ('Kanzlei'), mit einer großen Anzahl registrierter Briefkopien. Der Chancellor wurde der bedeutendste Beamte des Königs und trat an die Stelle des Justitiars (justiciar), dessen Amt in den 1260-er Jahren verschwand. Wohl aus Furcht vor einer solchen Machtkonzentration ernannte Heinrich III. zwischen 1244 und 1253 keinen Chancellor und vertraute das Große Siegel eigenen Bewahrern, keepers of the Great Seal, an.
Seit dem späten 13. Jh. war der Ch
ancellor in der Regel eine bedeutende politische Persönlichkeit. Er war häufig der Sprecher des Königs im Parliament und am Hof sowie ein ständiger Teilnehmer im königlichen Rat (King's Council), wo er wahrscheinlich oft den Vorsitz führte. Trotzdem war er weiterhin auch für die Ausfertigung der königlichen Urkunden unter dem Great Seal verantwortlich; viele Urkunden ließ der Chancellor allerdings in eigenem Namen ausfertigen; die Kanzlei war eine wichtige Verwaltungsbehörde geworden. Der Chancellor hörte auch Petitionen an, wobei die Bittsteller Rechtsmittel suchten, die in den Gerichtshöfen des Common-Law abgewiesen worden bzw. nicht zu erhalten waren. So wurde die Kanzleibehörde ein Gerichtshof mit einer Jurisdiktion für Gewohnheitsrecht und Billigkeitsrecht. Diese Jurisdiktionsaufgaben nahmen im 15. Jh. zu und wurden im 16. Jh. zur Haupttätigkeit des Chancellors. Vgl. auch Chancery, Court of.
A.L. Brown