Begraben: Perugia im Dom, 1891 nach Rom, S. Giovanni in Laterno transferiert
Sohn des Grafen Frasmund von Segni und der Clarissa de Cotta; Neffe des Papstes Clemens III.
eigentlich Lothar di Conti, Graf von Segni
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 434
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Innozenz III., Papst seit 8. Januar 1198
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* 1160/61, + 16. Juli 1216
Gavignano bei Segni Perugia
eigentlich Lothar von Segni
Begraben: Perugia im Dom, 1891 nach Rom, S. Giovanni in Laterno transferiert
Stammte aus der führenden Schicht (deshalb de Comitibus, Conti) von Segni und war über seine Mutter mit der römischen Aristokratie verwandt; studierte in Paris Theologie, besonders bei Petrus von Corbeil, und war Kanonist in Bologna. Clemens III. kreierte ihn im Spätherbst 1190 zum Kardinaldiakon von SS. Sergio e Bacco. In seiner unauffälligen Kardinalszeit verfaßte er die wenig originellen, aber auf dem theologischen Niveau seiner Zeit stehenden Werke: "De miseria humanae conditionis" (ed. M. Maccarrone, 1955), da, im pessimistischen Grundton gehalten, weite Verbreitung fand; "De missarum misteriis", ein Traktat zur Eucharistielehre; "De quadripartita specie nuptiarum", was seine Ekklesiologie erschließt. - Von der Würde seines Amtes zutiefst durchdrungen, entwickelte er die überkommenen Gedanken zur Stellung des Papsttums besonders in den ersten Ponifikatsjahren weiter. Er verstand sich als Vicarius Christi, aus dessen königlicher und hohenpriesterlicher Stellung nach dem Vorbild des Melchisdech sich die päpstliche plenitudo potestatis ableiten ließ. Das paulinische Haupt-Glieder-Modell übertrug er auf Papst und Kirche, analog dazu betrachtete er die mit Petrus und seinen Nachfolgern identifizierte römische Kirche als mater omnium ecclesiarum und den römischen Stuhl als Quelle allen kirchlichen Rechts. Der weit ausgelegte Jurisdiktionsprimat bedeutete die prinzipielle Verneinung einer autonomen bischöflichen Amtsgewalt, dei allein die Teilhabe an der päpstlichen Vollzugsgewalt gedeutet wurde. Diese Machtfülle erstreckte sich über den kirchlichen Bereich hinaus auf die gesamte Christinotas, aber durch die mitunter mit viel Rhetorik ausgeschmückten Formulierungen ist nicht genau zu erkennen, wie er sich das Verhältnis zur weltlichen Gewalt, dessen göttlichen Ursprung er doch wieder akzeptierte, konkret vorstellte. Die Dekretalen "Venerabilem" (März 1202), "Per venerabilem" (Herbst 1202) und "Novit" (April 1204) enthalten die meisten Aussagen zu diesen Fragen. - Die Kurie wurde unter Innozenz III. zu einer umfangreichen Zentralbehörde, deren Hauptaufgabe die ständig anschwellende, als drückend empfundene Rechtsprechung war. Die daraus erwachsenen Dekretalen ließ er durch Petrus von Benevent 1209/10 in der für authentisch erklärten Compilatio III sammeln. Aus seinem Pontifikat stammen die ältesten Teile der Kanzleiordnungen, die ersten Zeugnisse für die Audientia litterarum contradictarum und für das Amt des Korrektors (wie auch für die Poenitentiarie); er reglementierte die Tätigkeit der Schreiber in der reformierten Kanzlei. 1198 setzte die Reihe der erhaltenen, kontinuierlich geführten Register ein (Spezialregister über den deutschen Thronstreit nur zum Teil erhalten). - Das Herzanliegen des Papstes war der schon 1198 ausgerufene Kreuzzug, bei dessen Organisation er sich ungleich stärker als seine Vorgänger engagierte, doch entglitt ihm die Lenkung des Kreuzzuges. Der Eroberung von Konstantinopel im April 1204 stimmte er in Erwartung der Union der griechischen Kirche zunächst enthusiastisch, dann mit starken Vorbehalten zu, ebenso der politischen und kirchlichen Neuordnung des Lateinischen Kaiserreiches. Dieses Kreuzzugsunternehmen erwies sich langfristig gesehen als schwerer Mißerfolg. Erst am 19. April 1213 schrieb Innozenz III. wieder einen Kreuzzug aus, ließ ihn auf dem IV. Laterankonzil sanktionieren und betrieb die Vorbereitung bis zu seinem Tod mit großem Eifer. - In der Bekämpfung der Häresien verschärfte Innozenz III. einerseits die kirchlich-weltlichen Strafmaßnahmen (Dekretale "Vergentis", 25. März 1199), andererseits gewann er durch Entgegenkommen und geschicktes Eingehen auf die Anliegen radikal-reformerischer Gruppen diese für die Kirche zurück (Humiliaten, Pauperes catholici). Im Gebiet der Albigenser fruchteten Missionierungskampagnen ebensowenig wie die Absetzung belasteter Bischöfe, weswegen sich Innozenz III. bei weltlichen Mächten um Gewaltanwendung bemühte. Aber erst die dem Grafen von Toulouse, Raimund VI., angelastete Ermordung des Legaten Pierre de Castelneu und die Proklamierung eines Kreuzzuges brachten ein kriegerisches Unternehmen ab Mai 1209 in Gang. Die Entartung des Albigenserkreuzzuges zu einem zügellosen Raubkrieg belastete ihn mit der Verantwortung, als erster Papst den Mißbrauch der Kreuzzugsprivilegien ermöglicht zu haben. Innerhalb der Abwehrmaßnahmen gegen die Häresie ist auch das Wohlwollen für die Büßergemeinschaft des Franziskus von Assisi zu sehen, der er 1209 (oder 1210) mündlich die Anerkennung ihres Propositums erteilte. Mit der Bestätigung der Lebensweise und der Häretikermission des Dominikus (1215) steht er auch am Beginn des Predigerordens. - Da nach dem Tod HEINRICHS VI. die staufische Herrschaft in Mittelitalien völlig zusammenbrach, konnte Innozenz III. zum eigentlichen Begründer der Landesherrschaft im Patrimonium Petri werden, am intensivsten im päpstlichen Tuszien und in der Campagna. In Rom wurde bald ein Modus vivendi mit der Kommune gefunden. Im Süden festigte der Papst die Herrschaft nach innen durch geschickte Familienpolitik und nach außen durch enge Bindung der Grenzgebiete des Königreiches an das Papsttum. In den Provinzen des Patrimonium Petri wurde das Amt des Rektors, meist Kardinälen anvertraut, zur dauerhaftem Institution. Die bis 1208 währende Regentschaft im Königreich Sizilien, dem päpstlichen Oberlehnsherrn testamentarisch von Konstanze (+ 28. November 1198) zusammen mit der Vormundschaft über FRIEDRICH II. übertragen, absorbierte wegen der chaotischen Verhältnisse viel Energie. - In das Verhältnis zu den europäischen Königreichen mischten sich kirchlich-religiöse und politische Fragen, wobei jene das Übergewicht hatten und meist mit der päpstlichen Gerichtsbarkeit zusammenhingen, diese weniger nach einem definierten Programm als nach der Opportunität des Augenblicks behandelt wurden. Besonders gut dokumentiert sind die politischen Beziehungen zum Reich. Nach der Doppelwahl von 1198 bemühten sich beide Kontrahenten um die päpstliche Parteinahme. Aus begründeter Furcht vor der Fortsetzung der staufischen Politik in Italien entschied sich Innozenz III. schon bald für OTTO IV., der dies mit dem Verzicht auf jede eigenmächtige Italienpolitik abgolt (Neußer Eid, 8. Juni 1201). Die Parteinahme des Papstes veränderte die innerdeutschen Machtverhältnisse jedoch nur unerheblich. Da in den folgenden Jahren der Anhang des WELFEN abbröckelte, nahm Innozenz III. mit PHILIPP VON SCHWABEN Verhandlungen auf, die bei dessen Ermordung (21. Juni 1208) kurz vor dem Abschluß standen. Die allgemeine Anerkennung OTTOS ergab sich aus Kriegsmüdigkeit, nicht aus dem Eintreten des Papstes, dem gegenüber der König seine Versprechen erneuerte (Speyer, 22. März 1209). Unmittelbar nach der Kaiserkrönung (Rom, 4. Oktober 1209) schwenkte OTTO in die staufische Tradition der italienischen Territorialpolitik ein und bereitete die Eroberung Siziliens vor. Deshalb verhängte Innozenz III. seit Januar 1210 über ihn die Exkommunikation in mehreren Stufen und unterstützte eine Oppositionsgruppe deutscher Fürsten in ihrem Bestreben, FRIEDRICH II. zum Gegen-König zu wählen. Nach seiner erneuten Wahl und Krönung im Dezember 1212 verbriefte dieser dem Papst wieder die Zugeständnisse seiner Vorgänger (Eger, 12. Juli 1213), was aber keine definitive Befriedigung, sondern den Beginn eines langen päpstlich-kaiserlichen Konflikts bedeutete. - In England führte der Streit um die Besetzung des Erzstuhls von Canterbury zum Interdikt (1208) und zur Exkommunikation des Königs Johann (1209). Erst unter der Drohung einer französischen Invasionsarmee lenkte der König ein und übergab das Königreich dem Papst, um es als Lehen zurückzuerhalten (1213/14). Dies bewirkte auch, dass Innozenz III. die Magna Charta für ungültig erklärte. In Frankreich bemühte sich Innozenz III. wiederholt um Friedensvermittlung im englisch-französischen Krieg, die Beziehungen zu Philipp II. waren aber bis 1213 von der Affäre um dessen verstoßene Gattin Ingeborg belastet, für die der Papst, ungeachtet aller politischen Nachteile, konsequent Partei ergriff. - Den triumphalen Höhepunkt erreichte der Pontifikat am sehr gut besuchten IV. Laterankonzil (November 1215). Der Großteil der 70 überwiegend auf die Seelsorge ausgerichteten Kanones ging in den "Liber extra" ein. - Mit Innozenz III. erreichte das Papsttum den Gipfelpunkt seiner Machtentfaltung im Mittelalter. Es werden aber gerade durch die Mißerfolge im weltlichen Bereich die Grenzen des Einflusses deutlich. Auch bei den spezifische kirchlichen Belangen führte die Konzentration auf die päpstliche Machtfülle langfristig zu einer Erstarrung.
Quellen:
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MPL 214-217 [Gesta Innocentii III Papae, seine o. gen.
Werke, Register]; Jg. 1 und 2 jetz hg. v. O. Hageneder (u.a.), Die Register
I., 1964, 1979 - Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii,
1947 - The Letters of Pope I. concerning England und Wales, hg. C.R. Cjeney,
1967 - Potthast, Reg. I, II.
Literatur:
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HGK III, 2, 168-213 - TRE XVI, 175-182 - Gestalten der
Kirchengesch. XI, hg. M. Greschat, 1985, 196-207 - Haller III, 296-480
- F. Kempf, Papsttum, Papst I. und die Kreuzzüge, 1969 -K. Schatz,
Papsttum und partikularkirchl. Gewalt bei I., AHP 8, 1970, 62-111 - M.
Maccerrone, Studi su I., 1972 - C.R Cheney, I. and England, 1976 - W. Imkamp,
Das Kirchenbild I., 1983 - W. Maleczek, Papst und Kard.skolleg von 1191
bis 1216, 1984 - K. Pennington, Pope and Bishops, 1984 - F. Kempf, I. und
der dt. Thronstreit, AHP 23, 1985, 64-91 - C. Lackner, Stud. zur Verwaltung
des Kirchenstaates unter Papst I., RHMitt 29, 1987, 127-214.
Leo I., Gregor I., Nikolaus I. und Gregor
VII. hatten unter divergierenden politischen, geistesgeschichtlichen
und kirchengeschichtlichen Konstellationen die Idee vom Primat des Papstes
dargestellt und die Fundamente gelegt, auf denen der Papst, ein Neffe Klemens
III., sein in das Zeitalter der juristischen Kirche überleitendes
geschlossenes theokratisches Gebäude errichten konnte. Er stellte
das Axiom auf, der Papst sei "weniger als ein Engel, doch mehr als ein
Mensch". Als er mit 37 Jahren Papst wurde, erhob Walther von der Vogelweide
seine berühmte Klage über die allzu große Jugend des Papstes,
worin der Dichter falsch sah, denn der Papst ging mit selten kühler
Ratio und ausgesprochenem politischem Bewußtsein zunächst an
die Wiederherstellung des Kirchenstaates, den Ausbau der weltlichen Macht
des Papsttums und die Lösung der Probleme, die durch die Lage in Sizilien
aufgeworfen worden waren. Er machte, während die Herrschaft der Deutschen
in Italien nach dem Tode HEINRICHS VI. rasch
zerfiel, sich den allgemeinen Haß gegen die Tyrannei der staufischen
Statthalter und Lokaldespoten zunutze, kam dem erwachenden italienischen
Nationalgefühl weit entgegen und besetzte in kürzester Zeit alle
Gebiete, die er als Patrimonium Petri beanspruchte: die Toskana, die Mark
Ancona, das Herzogtum Spoleto.
Die Nachfolgefragen im Kaiserhaus zeigenden Papst auf
der Höhe seiner staatsmännischen Fähigkeiten. Die meisten
und mächtigsten Fürsten wählten PHILIPP
VON SCHWABEN, den Bruder HEINRICHS
VI. und durch seine Frau Irene
Schwiegersohn des abgesetzten Kaiser
Isaak II. von Byzanz. Diese Wahl stellten sich die Hauptgegner
der STAUFER, die mit England verbündeten
WELFEN, entgegen; die Begriffe Guelfen
und Ghibellinen für Papstanhänger und Kaiserliche kamen während
dieses Pontifikates in allgemeinen Brauch.
OTTO,
der Sohn Heinrichs
des Löwen und der Mathilde,
der Schwester Richards I. Löwenherz von England,
wurde als OTTO IV. Gegen-König
- kurz, nachdem die dem Tode nahe
Kaiserin Konstanze
den Papst zum Vormund ihres Sohnes und Thronerben
FRIEDRICH
ernannt hatte, was der Papst sich gut honorieren ließ.
Doch er wahrte nur die Rechte des kurz nach der Wahl PHILIPPS
zum König von Sizilien gekrönten, dreieinhalbjährigen Kindes
auf das sizilianische Südreich. Darauf bedacht, die für das Papsttum
tödliche Einheit von Reich und sizilianischen Erblanden wieder zu
sprengen, unternahm er zwar nichts gegen König
PHILIPP, der sich selber zum Vormund FRIEDRICHS
VON SIZILIEN aufwarf und somit eine neue Bedrohung des Kirchenstaates
darstellte, - doch er förderte den papsttreuen OTTO
IV. und lehnte eine Erbmonarchie für das Reich ab. Den
deutschen Fürsten legte er die Ansprüche des Papsttums mit der
Behauptung dar, das Imperium gehöre dem Papsttum. Die welfisch gesinnten
Fürsten anerkannten diese Ansprüche, die staufischen
protestierten
dagegen. Was der Papst praktisch bereits dem Kirchenstaat einverleibt hatte,
bestätigte OTTO IV. in der entscheidenden
Kapitulation von Neuß ausdrücklich, unter endgültigem Verzicht
auf die alten Reichslehen in Italien. Der Papst hatte damit als erster
erreicht, was im Pippinischen Schenkungsversprechen fast viereinhalb Jahrhunderte
zuvor wirklich oder angeblich den Päpsten geschenkt worden war.
PHILIPP VON SCHWABEN wurde nunmehr gebannt, in Deutschland herrschte
Bürgerkrieg, Truppen
PHILIPPS
intervenierten in Italien.
Die lebenslange Begeisterung des Papstes für Kreuzzug
und Eroberung zeigte sich erstmals, als er den kriegswütigen Domherrn
Albert aus Bremen zur Eroberung Livlands ermächtigte, dessen unter
Klemens
III. auf friedlichem Wege bekehrte Bewohner sich dagegen zur Wehr gesetzt
hatten, "mit allen geistlichen und zeitlichen Gütern" dem Erzbistum
Bremen unterstellt zu werden. Livland wurde überrannt. Es war ein
Vorspiel dessen, was NO-Europa von da an durch den bald auftauchenden,
vom Papst mit der Ordensregel ausgestatteten Deutschen Orden unter der
Kirchenbezeichnung "Schwertmission" zu erdulden haben würde.
Die Kaiserfrage war noch in der Schwebe, als der Papst
zum 4. Kreuzzug aufrief, dessen Führung der 95-jährige blinde
Doge von Venedig, Enrico Dandalo, an sich riß, ein Politiker, dem
auch der Papst nicht gewachsen war. Den Dogen bestimmten allein die Vormacht
der Republik, die gegen die Seemächte Pisa und Genua gerichteten Handelsinteressen
Venedigs sowie der Haß auf Byzanz, der letztes Resultat jener unheilvollen
Propaganda war, welche Paschalis
II. und Fürst Bohemund von Antiochia ein Jahrhundert zuvor
in Europa entfaltet hatten. Der Islam interessierte Dandalo sowenig wie
die Vorstellungen des Papstes. Die beiden fürchterlichen Plünderungen
Konstantinopels haben nicht nur unersetzliche Kunstschätze vernichtet,
sondern den Haß des Ostens gegen den Westen noch gesteigert. Unter
unbeschreiblichen inneren wie äußeren Greueltaten gingen die
ebenso haltlosen wie grausamen vier Kaiser des Hauses
ANGELOS zugrunde - den letzten, Alexios
V. Dukas Murtzuphlos, ließ Dandalo von der Theodosius-Säule
in die Tiefe stürzen. Der Papst begrüßte die Eroberung
ebenso begeistert, wie es die erfolgreich vergiftete westliche Christenheit
tat. Sein kurzes Entsetzen über die in Konstantinopel verübten
Greuel hielt nicht lange an. Er schrieb dem Dogen unverbindlich und wirklichkeitsfremd,
er solle "mit dem gleichen Eifer, mit welchem er bisher der Welt gedient
habe, nunmehr Gott dienen". Gott und Welt aber hießen für den
Dogen Venedig. Unter seinen übermächtigen Einfluß wurde
ein sogenanntes Lateinisches Kaiserreich errichtet, das 57 Jahre bestand,
ehe Konstantinopel zurückerobert wurde, es hat sich in dieser Zeit
nie konsolidiert. Der Papst berauschte sich an gar nicht existierenden
kirchlichen Vorstellungen im Osten und glaubte die Zwangsunion nahe.
"Es hat niemals ein größeres Verbrechen an
der Menschheit gegeben, als den Vierten Kreuzzug... er war auch ein Akt
gigantischer politischer Torheit", so fällt Steven Runciman, der führende
Historiker der Kreuzzüge, sein Urteil. Glieder der dem Kaiserhause
ANGELOS angeheirateten Familie LASKARIS
und Angehörige des Kaiserhauses KOMNENOS
gründeten nunmehr die Kaiserreiche von Nicaea und Trapezunt am Schwarzen
Meer.
Im Westen befreite die Ermordung PHILIPPS
VON SCHWABEN den Papst aus einer zwiespältigen Lage, die
ihn je nach den äußeren Machtverhältnissen zwischen den
beiden Königen hin und her schwanken ließ, so dass er schließlich
beiden die Kaiserkrone in Aussicht stellte. Der Kaiserkrönung OTTOS
IV. stand nun nichts mehr im Wege, wenn sie auch nur höchst
widerwillig gewährt wurde. Der Papst sah zu spät, dass OTTO
IV., der sich rasch mit der Tochter seines ermordeten Rivalen,
Beatrix,
verlobt hatte, nunmehr staufische Politik
verfolgte.
Doch ehe es zu neuen Konfrontationen kam, rief der Papst
zum nächsten Kreuzzug auf. Obwohl dieser länger als alle Kreuzzüge
zusammen gedauert hat, 35 Jahre im engeren, 47 Jahre im weiteren
Sinne, wird er nicht in die offiziellen Zählungen eingereiht: es ist
der Albigenserkreuzzug. Dieser Krieg der Kirche und des Papsttums gegen
die nonkonformistischen Katharaer-Christen als Gegner der hochmittelalterlichen
Feudalkirche, wurde zum förmlichen Genocid an einer religiösen
Minderheit. Den eigentlichen Krieg setzte dann die neugegründete Inquisition
noch 120 Jahre lang fort. Der Papst hatte schon kurz nach der Plünderung
Konstantinopels dem künftigen Heerführer gegen die Albigenser,
dem Abt Arnaud Almeric von Citaeux "uneingeschränkte Vollmacht" erteilt,
"zu zerstören, zu vertilgen und auszureißen". Doch die eigentliche
Tragödie der zunächst völlig hilflosen Albigenser begann
erst fünf Jahre später - anfangs unter der Leitung des Abtes,
dann des Grafen Simon von Montfort, zwei Figuren von geradezu unfaßbarer
Grausamkeit. Sie und ihre Kreuzzugsbanden verwandelten das Land, in welchem
Katholiken und Katharer bisher in vollkommenem Frieden zusammengelebt hatten,
in einen rauchenden Trümmerhaufen und in rauchende Scheiterhaufen.
Der Kreuzzug wurde bald zum Politikum in päpstlich-geistiger Verkleidung.
20 Jahre später einverleibte Frankreich sich den bis dahin selbständigen
Süden und Rom ging aus der durch den Papst ausgelösten Tragödie
mit dem Comitat Venassin bereichert hervor. Christlich gesehen wurde der
Albigenser-Kreuzzug zur erfolgreichen Generalprobe für die Möglichkeiten,
Macht theologisch restlos zu mißbrauchen: ein Wendepunkt in der europäischen
Geschichte. Am Preis christlicher Glaubwürdigkeit, der damals bezahlt
werden mußte, zahlt die Christenheit noch heute. Der katholische
Kirchenhistoriker Franz Xaver Seppelt gibt rückhaltlos zu: "Auch der
katholische Kirchenhistoriker kann in dem Albigenserkreuzzug, bei dem überspannter
fanatischer Glaubenseifer mit hemmungsloser Eroberungsgier und wilder Mordlust
unentwirrbar sich verbunden hatten, nur eines der abstoßensten und
traurigsten Kapitel der Kirchengeschichte sehen." Die erste Verantwortung
hierfür trägt der Papst. Drei Jahre nach Beginn des Albigenserkreuzzuges
setzte sich in Frankreich der sogenannte Kinderkreuzzug in Bewegung, Resultat
pausenloser pseudotheologischer Aufhetzungen und Fanatismen, nun transponiert
in die Sphäre des Puerilen. Der Papst lehnte diesen Kinderwahn, an
dessen Ende nordafrikanische Sklavenhändler und Bordelle warteten,
zwar ab. Doch er wurde sich gar nicht bewußt, in welchem Grade er
den "heiligen" Kriegswahn und seine unabsehbaren Tragödien selber
erzeugt hatte. Zur gleichen Zeit, als der Kinderkreuzzug aufbrach, rief
der Papst auch in Spanien zu einem Kreuzzug auf, der in der Schlacht bei
Las Navas de Tolosa in der Sierra Morena Andalusiens gipfelte, wo Alfons
VIII. von Kastilien, Peter II. von
Aragon und Sancho VII. von Navarra
einen Entscheidungssieg über den Islam davontrugen: es war der Anfang
vom unaufhaltsamen Ende der großen Symbiose von Islam, Christentum
und Judentum in Spanien. Der ein Jahr später wieder gegen den Orient
gedachte Kreuzzug des Papstes kam nicht zustande.
Bald nach dem 4. Kreuzzug kam es zum Zusammenstoß
des Papstes mit England, wo der tyrannische Johann
ohne Land den Primatialsitz von Canterbury mit einem ihm genehmen
Kandidaten besetzen wollte, gegen den der Papst den bedeutenden Stepahns
Langton aufstellte, den er selber weihte. Der König verweigerte dem
Primas die Einreise, begann Hierarchie und Klerus zu verfolgen und zu vertreiben
- eine innerkirchliche Erschütterung, wie es sie seit dem Kampf
Gregors VII. und HEINRICHS
IV. nicht mehr gegeben hatte. Der Papst verhängte das
Interdikt über England, und Monate später wurde der König
gebannt, der seinerseits eine blutrünstige, erpresserische Diktatur
folgen ließ. Erst nachdem der Papst Philipp
II. August zum Kreuzzug gegen den aufsässigen König
aufgefordert hatte, unterwarf sich dieser allen Forderungen des Papstes,
der ein Jahr danach das Interdikt aufhob, später auch den Bann; sein
Triumph war vollkommen.
Bald nach seiner Kaiserkrönung schon hatte OTTO
IV. für sich die Herrschaft über Apulien und Sizilien
in Anspruch genommen und Unteritalien bereits überrannt. Nur der Bann,
den der Papst aussprach, hielt ihn von der Eroberung Siziliens zurück
und zwang ihn, nach Deutschland zurückzukehren.
Philipp II. August von Frankreich, gleichermaßen Gegner
des Kaisers wie Johanns ohne Land als
dessen Verbündeten, konnte den Papst davon überzeugen, dass nunmehr
FRIEDRICH
II. an die Stelle OTTOS IV.
treten müsse. Auch die deutschen Fürsten waren bald gewonnen.
Doch blieben die Befürchtungen des Papstes hinsichtlich einer neuen
Vereinigung Siziliens mit dem Reich bestehen. So ließ er den eben
geborenen Thronerben FRIEDRICHS II.,
HEINRICH,
zum König von Sizilien krönen und FRIEDRICH
II. seinen Lehnseid schriftlich erneuern, ehe der König
nach Deutschland aufbrach, wo er in Mainz gekrönt wurde. In der Goldbulle
von Eger anerkannte er den Kirchenstaat in der Form, in welcher der Papst
ihn aufgebaut und bereits OTTO IV.
in der Kapitulation von Neuß anerkannt hatte.
Angesichts der wachsenden Machtfülle und allgemeinen
Anerkennung
FRIEDRICHS II. erblickte
OTTO
IV. seine letzte Rettung in einem welfisch-englischen Kriegsbündnis
gegen Philipp II. August, dem Verbündeten
des deutschen Königs. Doch die Rolle des Kaisers war ausgespielt,
nachdem er und damit auch Johann ohne Land
bei Bouvines südöstlich von Lille durch den König von Frankreich
vernichtend geschlagen worden waren. Der siegreiche König sandte
FRIEDRICH II. den erbeuteten Kaiseradler. Bald darauf schlossen
die Könige von England und Frankreich einen Waffenstillstand. Der
restlos entmachtete Kaiser lebte noch einige Jahre in Vergessenheit.
Noch einmal kam es zu einem Zusammenstoß des Papstes
mit Johann ohne Land, als Adel und
Hierarchie von dem Tyrannen die Annahme der Magna Charta Libertatum erzwangen
- auf seiten der Kirche unter Führung des amtierenden Primas Stephan
Langton. In England kam es zum Bürgerkrieg, der König selber
verwüstete sein eigenes Land. Der Papst, nunmehr vom verhaßten
Feind zum besten Freund geworden, verurteilte mit einer Bulle die Magna
Charta Libertatum, setzte den einstigen Freund Stephan Langton ab und zeigte
die erstaunliche Wandlungsfähigkeit päpstlicher Politik, sobald
sie zu ihrem Vorteil war.
Der hochdramatische Pontifikat ist zur Weichenstellung
der Kirche geworden. Er endete im Lateran mit dem zahlenmäßig
größten allgemeinen Konzil der bisherigen Kirchengeschichte.
Fast 1300 Teilnehmer waren zugegen. Außer den Vertretern von sechs
Königen war ein Emissär des Albigenser-Schlächters Simon
Montfort anwesend, und es fehlte auch nicht der inzwischen zum Herzog-Erzbischof
von Narbonne erhobene einstige Abt Arnauld-Almeric von Citeaux, der erste
Ausrotter der Albigenser, ein besonderer Günstling des Papstes. Das
Konzil bestätigte zunächst alle Eroberungen der Kirchenmacht
während des Kreuzzuges gegen die Albigenser als Lehen für Montfort,
den ein eigenes Dekret pries. Damit war der Unterschied von Mensch und
Nichtmensch, den die Blutbäder in Südfrankreich praktiziert hatten,
gleichsam sakralisiert, ohne dass Konzil oder Papst sich im geringsten
des moralischen Bankerotts bewußt geworden wären, der in der
Reinwaschung aller für die entsetzlichsten Massaker Verantwortlichen
bestand.
Nachdem wieder ein neuer Kreuzzug in den Orient beschlossen
worden war, ging das Konzil zu innerkirchlichen Fragen über. Es erklärte
die von Irenäus von Lyon formell abgelehnte Lehre der Wesensverwandlung
der heiligen Gestalten der Eucharistie zur gültigen Lehre, gegen den
Kirchenlehrer; es verurteilte die Geist- und Trinitätslehre des Joachim
von Fiore; und es beschloß den Pakt geistlicher und weltlicher Gewalt
in der Bekämpfung und Ausrottung von Häresien, was praktisch
bereits die Konstituierung der Inquisition bedeutete, die damals in S-Frankreich
schon alle Formen ihres blutigen Terrors entfaltete.
Die vier letzten Canones des Konzils galten der endgültigen
Ausstoßung der Juden, die der Papst abgründig haßte, aus
allen Zusammenhängen der menschlichen Gesellschaft und der Menschenwürde.
Die "Nürnberger Gesetze" Hitlers pseudotheologisch vorausnehmend,
wurden die Juden gezwungen, den diffamierenden "gelben Fleck" zu tragen:
Resultat all dessen, was der Papst in nicht weniger als drei Bullen und
mehreren offiziellen Briefen an Verteufelung der Juden bereits zum Ausdruck
gebracht hatte. Der Judenhaß gehörte von nun an zum festen Kirchenprogramm,
das von diesem Pontifikat an durch Totalisierung und Intoleranz gekennzeichnet
war. 59 der 70 Dekrete des Konzils wurden später in das Liber extra,
die Gesetzessammlung
Gregors IX.,
aufgenommen.
Der Papst war ein kalter Asket, der sich in der plenitudo
potestatis spiegelte und sich als verus Imperator der Welt sah. Im
Gegensatz zu Gregor VII., dessen Denken er weiter steigerte, gaben
die Erfolge ihm recht. Er war vor allem ein juristischer, politischer und
finanztechnischer Papst, ein Menschenverächter und reiner Theoretiker
der Theokratie. Mensch und Gegebenheiten spielten dabei nur eine relativ
geringe Rolle. Behauptungen wie, Christus habe "dem Petrus nicht nur die
Leitung der ganzen Kirche, sondern der ganzen Welt hinterlassen", woran
kein wahres Wort war; oder England, "dem die römische Kirche einst
die christliche Lehre brachte, wodurch sie zu einer geistigen Mutter wurde",
stehe somit "auch im Weltlichen unter ihrer Herrschaft", zeigen das völlige
Aufgehen des Papstes in den unbegrenzten Machtansprüchen des in ihm
gipfelnden hochmittelalterlichen Papsttums. Sofern in sich geschlossene
Kirchenmacht zum alleinigen fundamentalen Maßstab genommen wird,
muß er als der größte Papst der Geschichte bezeichnet
werden; wird jedoch sein Pontifikat nach christlichen Elementarforderungen
beurteilt, so bleibt von Größe wenig übrig. Vergebens sucht
man in allen Äußerungen und Taten des Papstes nach einem Hauch
menschlich-christlicher Regungen, die er durch ein überschwängliches
kirchliches Vokubular ersetzte. Sein erschreckender Haß auf alles
Nichtkonforme und vor allem auf die Juden, die er "gottverdammte Sklaven"
nannte, machen ihn als teilnehmenden Christen ebenso unglaubwürdig
wie seine pausenlosen Aufrufe zu Kriegen im Interesse der Kirchenmacht.
Von symbolhafter Eindringlichkeit für den Pontifikat
war die Gründung der beiden klassischen Bettelorden: jenes des Franz
von Assisi, für den Menschen und Dinge Brüder in allumfassender
Liebe waren - und jenes des Doninikus, dessen Orden, aus den Greueln der
Albigenserkriege hervorgegangen, sich später dazu hergeben sollte,
als Inquisitionsorden zur furchtbarsten Exekutive des Kirchenabsolutismus
und seiner Erbarmungslosigkeit zu werden. Kein Zweifel kann darüber
bestehen, welche der beiden von ihm gebilligten Gemeinschaften letztlich
der Mentalität des Papstes näher stehen mußte.
Ferdinand Gregorovius hat den machtvollen Papokraten
in seiner heute gültigen ausführlichen Kennzeichnung dieser Schlüsselfigur
den "Augustus des Papsttums" genannt: "ein vollendeter Herrscher, ein Staatsmann
von durchdringendem Verstande, ein Hohepriester voll wahrhaftiger Glaubensglut
und zugleich von unermeßlichem Ehrgeiz und von Furcht verbreitender
Willenskraft; ein kühner Idealist und doch ein ganz praktischer Monarch,
ein kalter Jurist. Dem Papsttum gab er durch die kluge Ausbeutung der geschichtlichen
Verhältnisse, durch die geschickteste Anwendung von kanonischen Gesetzen
und Erdichtungen und die Leitung des religiösen Gefühls der Massen
eine so gewaltige Kraft, dass es in seiner Machtströmung die Staaten,
die Kirchen und die bürgerliche Gesellschaft unwiderstehlich mit sich
fortriß. Nie mehr hat ein Papst ein so hohes und doch so reelles
Bewußtsein seiner Macht gehabt als Innocenz
III. Er umgab die Kirche mit Terrorismus. Der Heilige Stuhl
wurde durch ihn der Thron der dogmatischen und kirchenrechtlichen Gewalt,
das politische Völkertribunal Europas. Das Papsttum kulminierte inInnocenz
III. auf einer schwindelerregenden und unhaltbaren Höhe"
Literatur:
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Cawthorne Nigel: Das Sexleben der Päpste.
Die Skandalchronik des Vatikans. Benedikt Taschen Verlag 1999 Seite 109-111
- Goez, Werner: Lebensbilder aus dem Mittelalter. Die Zeit der Ottonen
Salier und Staufer. Primus Verlag Darmstadt 1998, Seite 375-388 -