In Ageltrudes Begleitung befand sich ein sechsjähriges Mädchen namens Marozia, das die Aufmerksamkeit eines 36-jährigen Kardinals namens Sergius erregte. Die Finger sollten Ageltrude von Kardinal Sergius überreicht werden. Als er ihr die grausige Trophäe schließlich übergab, fiel sein Blick wieder auf das Kind Marozia. Trotz des Altersunterschiedes von 30 Jahren wurde in diesem Augenblick ein Band geschmiedet, das für das nöchste Jahrhundert die Entwicklung des Papsttums bestimmen sollte. Exakt in dem Augenblick, da Papst Stephan im Anschluß an die Leichensynode mit Ageltrude, Marozia und Kardinal Sergius aus dem Lateranpalast trat, stürzte mit einem gewaltigen Donnern die alte Basilika des Lateran ein.
EIN HURENGESPANN LEITET DEN VATIKAN
Nach einem solchen Anfang kann es kaum überraschen,
daß das Papsttum im 10. Jahrhundert zum Synonym für schamlosen
Amtsmißbrauch und Korruption wurde. Diese Epoche wurde unter der
Bezeichnung "Pornokratie" oder "das römische Hurenregiment" bekannt,
weil das Papsttum in den Augen eines großen Teils der Christenheit
von zwei Huren geleitet wurde. Es handelte sich um ein Mutter-Tochter-Gespann:
Theodora
und Marozia, die beide päpstliche
Mätressen waren.
Zu dieser Zeit gab es in Rom keinen Kaiser. Die Stadt
wurde effektiv von Theophylakt, Konsul, magister militum
(Kommandant der Miliz) und Leiter der päpstlichen Finanzen
regiert - und, wichtiger noch, er war gleichzeitig der Gemahl der ehergeizigen
Theodora. Sie galt als "schamlose Hure, die zu dieser Zeit in Rom
lebte und zwei Töchter hatte, Marozia
und Theodora, von denen keine einen besseren Ruf genoß als
die Mutter". Theodora die Jüngere war vermutlich die Tochter
des späteren Papstes
Johannes X. (914-928). Marozia
scheint größeren Gewinn aus den Lehren ihrer Mutter gezogen
zu haben. Sie hatte bereits als Kind auf der Leichensynode Ageltrude
in Aktion erlebt und verfolgte ehrgeizige Machtpläne.
Theodora hatte den sanftmütigen Benedikt
IV. (900-903) auf den päpstlichen Thron gehievt, und Leo
V. sowie der Gegen-Papst Christophorus waren beide ihre gefügigen
Marionetten. Ihnen folgte Sergius III. (904-911), mit dem nicht
gut Kirschen essen war. Er hatte bei der Leichensynode von Stephan VI.
- damals noch als Kardinal - eine Hauptrolle inne. Als Gegen-Papst Christophorus
Leo V. in den Kerker werfen ließ, marschierte Sergius
auf Rom und brachte Christophorus ebenfalls hinter Schloß
und Riegel. Er weihte sich selbst zum Papst und sorgte dann dafür
- aus Mitleid, wie manche sagen -, daß Leo und Christophorus
erdrosselt wurden. Aber Theodora wußte, wie er an die Kandare
zu nehmen war: Sie stellte ihm ihre sexuell frühreife, halbwüchsige
Tochter Marozia an die Seite.
LOLITASEX IM LATERN
Marozia war erst fünfzehn,
da wurde sie die Mätresse von Sergius III. Er war fünfundvierzig.
Sie hatte bereits einen Sohn mit ihm, als er vier Jahre später starb.
Die Erfahrung, Geliebte des Papstes gewesen zu sein, hatte nachhaltigen
Eindruck bei ihr hinterlassen. Drei Ehen und zahllose Affären taten
ihrem ehrgeizigen Streben nach dem Papsttum keinerlei Abbruch
Die halbwüchsisge Marozia
ging im Lateranpalast ein und aus, da ihr Vater der Senatsvorsteher von
Rom war. Als Sergius das erste Mal mit ihr schlief, war sie nicht
mehr als ein hübsches Kind. Für die restliche Zeit seines Pontifikats
verfolgte er mit außerordentlicher Freude, wie seine minderjährige
Liebe zu einer Frau von atemberaubender Schönheit aufblühte.
Marozia
ihrerseits genoß in den Armen des Papstes nicht die romantische Leidenschaft
der Jugend, sondern die Ekstase der Macht. Die Geschichtsschreibung fällte
über sie das verständliche Urteil, eine "äußerst
dreiste und unverschämte Hure" zu sein, und lastete ihr die Entweihung
des Heiligen Stuhls an. Der Sohn von Marozia
und Papst Sergius wurde schließlich Papst
Johannes XI. (931-935).
Sergius selbst kam bei der ganzen Geschichte nicht
sonderlich gut weg. Kommentatoren beschuldigten ihn, während seiner
Amtszeit fortgesetzt "grenzenlose Abscheulichkeiten mit leichten Frauen"
begangen zu haben. Dem Historiker Cesare Baronio zufolge stand Sergius
nicht nur auf Sex mit Minderjährigen, sondern war obendrein "der Skalve
eines jeden Lasters und ein äußerst gottloser Mansch". Sergius
ließ in seiner Amtszeit die Lateranbasilika wieder aufbauen, die
seit der Leichensynode zur Ruine zerfallen war, und stellte Papst Formosus,
nur zur Sicherheit, gleich noch einmal vor Gericht. Auch dieses Mal kam
Formosus nicht davon.
PÄPSTE IN BUNTER FOLGE
Theodora suchte die nächsten beiden Päpste aus - Anastasius III. (911-913) und Lando I. (913-914). Keiner war ein Muster an Tugendhaftigkeit, und Lando, so wird berichtet, "ein gesalbter Junggeselle, vergeudete den größten Teil seines Lebens mit unanständigen Frauen, und am Ende wurde er selbst verzehrt, nachdem er sieben Monate regiert hatte". Er hatte einen unehelichen Sohn namens Johannes, in den sich Theodora, Marozias Mutter, einige Jahre zuvor verliebt hatte. Sie hatte ihren Einfluß auf den damaligen Papst Sergius genutzt, um Johannes zunächst zum Bischof von Bologna und dann zum Erzbischof von Ravenna zu machen. Doch Theodora paßte es überhaupt nicht, ihren Liebhaber in so weiter Ferne zu wissen, und als Lando starb sorgte sie dafür, daß Johannes als Nachfolger seines Vaters in den Lateranpalasr gewählt wurde, wo sie "seine nächtliche Gefährtin" sein konnte. Er wurde Papst Johannes X.
MAROZIAS SOHN AUF DEM LANGEN MARSCH ZUM APOSTOLSCHEN STUHL
Bischof Liudprand von Cremona erzählt, Marozia
sei darüber alles andere als glücklich gewesen, und so entstand
eine ungesunde Rivalität zwischen Mutter und Tochter. Marozias
Sohn war damals erst sechs und damit - selbst für jene Zeit - ein
bißchen sehr jung, um schon Papst zu werden.
914 war Marozia 22
und stand, wie es heißt, in der Blüte ihrer Schönheit.
Sie führte ein kleines Etablissement auf der Isola Tiberina, einem
Inselchen in der Mitte des Tiber. Dort veranstaltete sie Lustbarkeiten
für junge Adlige und kirchliche Würdenträger. Die meisten
von ihnen waren Bischöfe der Sorte, die mit Sporen an den Stiefeln
die Messe lasen, Jagdmesser an den Gürteln baumeln und ihre Pferde
gesattelt und bereit vor der Tür stehen hatten, damit sie nachmittags
auf Bärenjagd gehen oder sich der Falknerei widmen konnten, sobald
der Gottesdienst beendet war. Sie bewohnten prächtige, in Samt und
Purpur dekorierte Häuser, speisten von goldenen Tellern und ließen
dazu Musikanten aufspielen und Tänzerinnen auftreten. Sie schliefen
auf seidenen Laken in Betten, die mit goldenen Intarsien und mit Erinnerungsstücken
an frühere Geliebte verziert waren. In dieser Welt fühlte sich
Marozia
vollkommen heimisch.
Mitten in diese dekadente Szenerie platzte Alberich,
ein Prinz aus der Lombardei. Da er als Bedrohung angesehen wurde,
entschieden Papst Johannes X. und Theodora, daß Marozia
ihn heiraten sollte, um ihn unter die Kontrolle der Familie zu bringen.
Ein riskanter Schachzug. In Marozias
Händen verwandelte sich Alberich von einer vagen Bedrohung
in eine echte Gefahr. Statt sich auf die Seite ihrer Mutter und deren Geliebten
zu schlagen, überredete Marozia
ihren frischgebackenen Gemahl, Rom anzugreifen. Der Coup mißlang,
Alberich
wurde getötet und Johannes X. zwang die junge Witwe, die verstümmelte
Leiche ihres Ehemannes anzusehen. Wieder ein Fehler.
Marozia,
die inzwischen Mutter von
Alberichs Sohn geworden war, Alberich
II., sann auf Rache.
Als Theodora 928 starb, ließ Marozia
Papst Johannes X. gefangensetzen und in der Hoffnung, ihren erstgeborenen
Bastard auf den Heiligen Stuhl befördern zu können, Seine Heiligkeit,
ihren Stiefvater, mit einem Kissen ersticken.
"Dennoch wurde sie um den Erfolg betrogen", schrieb Liutprand.
"Denn unmittelbar nach dessen Tod wurde Leo
VI. gewählt, den Marozia
mit Gift umbrachte, um für ihren Bastard Platz zu schaffen. Jedoch
irrte sie ein zweites Mal, denn nachdem er so vergiftet wurde, wählte
man Stephan VII.,
der 930, nur wenige Jahre später, auf die gleiche Weise und durch
dieselbe Hand umkam."
Schließlich erfüllte sich Marozias
Wunsch, als ihr unehelicher Sohn im Jahre 931 als Papst Johannes
XI. den Apostolischen Thron bestieg. Angeblich hat er einen großen
Teil seiner Amtszeit mit "abscheulich unanständigen Frauen" verbracht.
Unterdessen war seine Mutter nicht untätig gewesen. Aus ihrer ersten
Ehe war der ehrgeizige Alberich hervorgegangen; und sie beabsichtigte,
ein drittes Mal zu heiraten, diesmal Hugo
von Provence,
Alberichs Bruder [Richtig ist: König
Hugo von Italien
folgte seinem Halbbruder
Wido
von Tuszien als Gemahl Marozias.].
Er war zwar schon verehelicht, aber Marozias
Sohn Papst Johannes XI. arrangierte für seinen Onkel eine Scheidung
und las außerdem bei ihrer Hochzeit die Messe [Selbstverständlich
war König Hugo nicht der Onkel
von Papst Johannes XI.].
ALBERICH II. LÄSST SEINE MUTTER EINKERKERN
Schon beim Hochzeitsmahl beschimpften sich Marozias
Sohn Alberich II. und ihr neuer Gemahl Hugo.
Einige Monate später führte Alberich einen bewaffneten
Mob gegen das Castel Sant'Angelo, die Engelsburg. Hugo
gelang die Flucht über die angrenzenden Stadtmauer, versteckt
in einem Korb und lediglich mit einem Nachthemd bekleidet, aber Alberich
II. konnte seine Mutter Marozia
und seinen Stiefbruder Papst Johannes XI. gefangensetzen und in
den Kerker werfen.
Nachdem sich Alberich zum Herrscher Roms ernannt
hatte, ließ er Johannes XI. frei. Allerdings stand er im Lateranpalast
unter Hausarrest, wo er nur wenig mehr tun durfte als das heilige Abendmahl
auszuteilen.
Marozia jedoch blieb im
Kerker der Engelsburg, und das immerhin für die Dauer der nächsten
50 Jahre.
Ganz so streng hätte Alberich II. wirklich
nicht sein müssen, hatte er doch selbst einen unehelichen Sohn, Octavian,
der später Papst
Johannes XII. (955-963) [Richtig ist: Octavian war der Sohn
Alberichs II. aus seiner Ehe mit König
Hugos Tochter
Alda.] wurde. Er war der erste Papst, der seinen Namen änderte.
Außerdem hieß es von ihm, daß zu seinen zahlreichen Mätressen
"eine der Konkubinen seines Vaters" zählte.
Alberich regierte Rom die folgenden 22 Jahre und
ernannte die nächsten fünf Päpste, von denen einer, Marinus
II. (942-946), angeblich der Sohn einer gemeinen Frau und eines
Geisterbeschwörers" war.
MAROZIA WIRD MIT 94 JAHREN AUS DEM KERKER BEFREIT
Lange nach Alberichs Tod im Jahre 954 erbarmte
sich schließlich Papst
Johannes XV. (985-996) Marozias.
Im Jahre 986 hob er die Strafe der Exkommunikation auf und schickte einen
willfährigen Bischof, der alle Dämonen austreiben sollte, von
denen die 94-jährige Frau angeblich immer noch besessen war. Dann
sollte sie hingerichtet werden. Einen Tag vor ihrer Hinrichtung erhielt
sie in ihrer Zelle Besuch vom Kaiser der Heiligen Römischen Reiches,
dem sechsjährigen OTTO
III. Zwar war sie Gefangene des Papstes und nicht der weltlichen
Behörden, aber er wollte einmal die Frau sehen, die Geliebte eines
Papstes gewesen war, die Mutter eines zweiten, die Tante eines weiteren
und die Großmutter wieder eines anderen. Gemeinsam mit ihrer Mutter
hatte sie immerhin acht Päpste gemacht. Zwei waren erdrosselt, einer
mit einem Kissen erstickt und vier weitere abgesetzt und unter nie ganz
geklärten Umständen beseitigt worden.
Ein junger Bischof folgte OTTO
in Marozias Zelle. "Marozia,
Tochter des Thephylakt, weilst du noch unter den Lebenden?" fragte
der Bischof eine Gestalt, die wie ein Haufen alter Lumpen auf dem Stroh
in einer Ecke des schmutzigen und verwahrlosten Verlieses lag. "Ich, Bischof
Johannes Crescentius von Protus, befehle dir im Namen der Heiligen Mutter
Kirche zu sprechen."
Ohne sich zu rühren, flüsterte Marozia,
das Gesicht zur Wand gedreht: "Ich lebe, Eure Exzellenz, ich lebe." Nach
einer langen Pause fügte sie hinzu: "Für all meine Sünden,
Vergebung ... Vergebung."
UM DANN HINGERICHTET ZU WERDEN
Dann verlas der Bischof den Hinrichtungsbefehl. "Insofern
du, Marozia, von Anfang an und bereits
im Alter von 15 Jahren während der Herrschaft des Heiligen Vaters
Papst
Sergius gegen die Rechte des Stuhls Petri konspiriert hast, dem Beispiel
deiner satanischen Mutter Theodora folgend ..."
Ihr wurde zur Last gelegt, mit ihrem Sohn Papst Johannes
XI. versucht zu haben, die Weltherrschaft an sich zu reißen,
und daß "sie es gewagt habe, wie Isebel
in alten Zeiten noch einen dritten Ehemann zu nehmen". Sie wurde sogar
für die Sünden ihres Enkels Johannes XII. verantwortlich
gemacht, obwohl sie während seiner skandalösen Herrschaft bereits
im Kerker geschmachtet hatte. Er war schließlich der Sohn des Mannes,
der sie ins Gefängnis geworfen hatte.
"Dein Enkelsohn Papst Johannes XII.", lautete
die Anklage, "war gegen sich selbst meineidig, indem er seinen Eid gegenüber
dem großen Kaiser brach. Er stahl den Kirchenschatz und flüchtete
zu den Feinden Roms, wurde von der Heiligen Synode abgesetzt und durch
Leo VIII. ersetzt.
Dann kehrte der Abtrünnige nach Rom zurück, zwang Leo VIII.
zur Abdankung, schnitt dem Kardinaldiakon Nase, Zunge und zwei Finger ab,
häutete Bischof Otger, schnitt Notar Azzo den Kopf ab und enthauptete
63 Geistliche und Adlige Roms. Im Verlauf der Nacht des 14. Mai 964, während
er verbotenen und schmutzigen Verkehr mit einer römischen Matrone
hatte, wurde er vom wütenden Ehegatten der Matrone im Akt der Sünde
überrascht. Der Ehemann schlug ihm in gerechtem Zorn mit einem Hammer
den Schädel ein und befreite so seine böse Seele vom Zugriff
Satans ..." Marozia muß todunglücklich
gewesen sein, diesen Heidenspaß nicht selbst erlebt zu haben.
Als der junge Bischof den Hinrichtungsbefehl verlesen
hatte, legte ein Henker, der heimlich in die Zelle geschlichen war, ein
Kissen über ihr Gesicht und erstickte die alte "zum Wohlergehender
Heiligen Mutter Kirche und des Friedens des römischen Volkes".