CHAMPAGNE


Lexikon des Mittelalters:
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Champagne
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I. Frühmittelalter
[1] Anfänge:
Der Name der Ch
ampagne (Campania) ist seit dem 6. Jh. für die weite Kreideebene, die sich von der Aisne bis zu den Grenzsäumen des Sénonais (Sens) erstreckt, belegt.
Gregor von Tours ( 595) nennt Reims und Troyes als in der Campania liegende Städte. Die Chronik des Fredegar (verfaßt ca. 613/658) zählt auch Châlons-sur-Marne und Arcis-sur-Aube zur »Champagne«. Beide Quellen nennen die Campanienses als Bewohner dieser »kalkweißen« Landschaft, die im Westen durch die Waldzonen der Brie und im Osten durch die noch dichteren und feuchteren Waldgebiete der Argonnen und des Forstes Der (Montier-en-Der) begrenzt wurde.
War die Ch
ampagne mit ihren Bewohnern, den Champenois, somit schon im Früh-Mittelalter ein durchaus geläufiger geographischer Landesbegriff, so bildete sie, politisch gesehen, noch keine Einheit. Das Gebiet der Champagne verteilte sich auf mehrere Civitates (dann auch: Diözesen), die im MEROWINGER-Reich, mit den Reichsteilungen der Nachkommen König Chlodwigs, mehrfach den Herrn wechselten. In den Jahren 511-558 unter der Herrschaft der in Reims residierenden Könige Bestandteil des entstehenden »Austriens« (Austrasien), dem auch die Diözese Sens und Langres zugehörten, wurden die Diözesen Reims, Châlons und Troyes nach kurzer Zeit abgetrennt, um verschiedenen Regna einverleibt zu werden. Reims und Châlons waren seit 561 dem neukonstituierten Austrien, dessen Hauptstadt nach Metz verlegt wurde, integriert; dagegen fiel Troyes mit Langres, Sens und Meaux an das große burgundische Regnum (Burgund), dessen politisches Zentrum Chalonsur-Saône war. Soissons blieb als Hauptstadt des dritten Teilreiches Neustrien außerhalb dieses Herrschaftsgefüges.

[2] Der Ducatus der Champagne:
Am Ende des 6. Jh. hatte sich eine Anzahl von in der Region ansässigen austrischen leudes, unter ihnen der Bischof von Reims, Aegidius, dem König von Neustrien, Chilperich, angeschlossen. Die Königin Brunichild, die für ihren Sohn Childebert II. die Regierungsgeschäfte in Austrasien führte, errichtete zur besseren Kontrolle dieser abtrünnigen Großen den militärischen Ducatus Ch
ampagne, den sie einem ihrer Getreuen, Lupus, übergab. Der Ducatus umfaßte die civitates Reims und Châlons. Die proneustrischen leudes ermordeten Lupus im Jahre 581 und setzten einen der ihren, Wintrio, an seinen Platz. 587 hatten sie sogar den Plan, König Childebert II. zu töten und einen seiner Söhne zum rex der Champagne zu erheben. Die Königin Brunichild begegnete diesen Umtrieben jedoch in wirkungsvoller Weise, ließ den Bischof Aegidius absetzen und an seiner statt Romulfus, den Sohn des Lupus, berufen. Bald nach 600 ließ sie sogar Wintrio ermorden; dies rief jedoch den Widerstand der Aristokratie hervor, der letztlich zu ihrem Sturz führte.
Erst in der 2. Hälfte des 7. Jh. ist wieder, nun zum drittenmal, ein dux der Ch
ampagne belegt, Waymerus. Auch er war politisch auf Neustrien orientiert und unterstützte daher den neustrischen Hausmeier Ebroin bei seinem Kampf gegen den Partikularismus im Regnum Burgund, der vor allem durch Bischof Leodegar (Léger) von Autun verkörpert wurde. Als Gegenleistung erhielt Waymerus das Bistum Troyes. Sein Name ist mit der Gründung der Abtei Montier-en-Der verbunden. Nach dem Verrat des Waymerus an Ebroin ließ dieser ihn gefangennehmen und im Jahre 678 hängen.
Bis dahin auf die Diözese von Reims und Châlons beschränkt, gewann der Dukat der Ch
ampagne an Ausdehnung infolge der politischen Neuordnung des Franken-Reiches, die der Hausmeier von Austrien Pippin nach seinem Sieg bei Tertry (687) vornahm:
Pippin
organisierte im Interesse einer stärkeren Verbindung der drei Reichsteile Austrien, Neustrien und Burgund den Dukat der Ch
ampagne als weiträumigen Herrschaftsbereich an der Nahtstelle der drei Gebiete, den er seinem Sohn Drogo (695-708) übertrug. Die Diözese Sens wurde diesem Territorium zugeschlagen. Bei der Reichsteilung zwischen den Söhnen Karl Martells 741, Pippin II. (Austrien) und Karlmann (Neustrien), war der Dukat Champagne offenbar dem dritten Bruder, Grifo, als Pufferzone zugedacht, doch widersetzten sich die älteren Brüder dem Plan. Der Dukat umfaßte damals wohl die Diözese Reims, Châlons, Troyes, Sens, Meaux, Paris, Senlis, Soissons, Noyon und Laon. Mit dem Scheitern Grifos verschwindet der um 575 geschaffene Dukat Champagne.
Der Erzbischof von Reims, Wulfarius, wird 800 einmal »missus super totam Campaniam« genannt: sein Missatbereich (missaticum) umfaßte die Pagi Dormois, Vongeois, Astenois, Chalonge, Omois, Laonnois, Valois, Porcien, Tardenois, Soissonnais, alle an der Marne oder in ihrem Norden gelegen. Danach verschwand sogar der geogrische Begriff 'Champagne' anscheinend aus dem politischen Vokabular. Es blieben nur die administrativen Einheiten auf der lokalen und regionalen Ebene, die Pagi und Comitatus, in ihrer Funktion erhalten. Die hochmittelalterliche Grafschaft, die erst seit dem 12. Jh. wieder »Ch
ampagne« genannt wurde, sollte sich aus der Vereinigung mehrerer dieser Pagi im 10.-11. Jh. entwickeln.
         
II. Die Bildung der Grafschaft Champagne:
Die Entstehung dieses Territorialfürstentums wurde vorbereitet durch die Machtstellung, welche die KAROLINGER Heribert I. und vor allem sein Sohn Heribert II. (901/907-943) im Gebiet zwischen Seine und Maas sich schufen. Die Erbteilung, die im Jahre 946 durch Vermittlung des dux Francorum Hugo dem Großen zwischen den Erben seines Schwagers und Konkurrenten Heribert II., Grafen von Vermandois, festgelegt wurde, steht am Anfang einer längeren Territorialentwicklung.
Der ältere von Heriberts Söhnen, Heribert der Ältere, erhielt die Grafschat Omois mit der alten Stammburg Château-Thierry und der Abtei St-Médard (Soissons). Es gelang ihm in der Folgezeit, der Kirche von Reims die Güter Epernay, Vertus und Vitry zu entziehen, den königlichen Fiscus von Ponthion an sich zu bringen und sich des lotharingischen Besitzes seiner Gemahlin, der Königin Ogiva, Witwe Karls des Einfältigen und Äbtissin von Notre-Dame in Laon, zu bemächtigen (Vaucouleurs, Bourmont und andere). Nachdem er sich König Lothar angeschlossen hatte, ernannte ihn dieser zu seinem comes palatii, und wohl aufgrund dieses Titels übte er die Grafengewalt in Reims und Châlons-sur-Marne aus. -
Ein anderer Sohn Heriberts von Vermandois, Robert, erhielt durch den obengenannten Schiedsspruch die Gft. Meaux und die Abtei Lagny; durch Heirat mit einer der beiden Töchter des burgundischen princeps Giselbert, der unter anderem die Grafschaft Troyes innehatte, erlangte Robert auch diese wichtige Grafschaft, von der kleinere pagi abhingen. -
Schließlich erhielt eine Tochter Ledgardis, die mit Tedbald (Thibaud le Tricheur), Graf von Blois, Tours, Chartres und Châteaudun verheiratet war, umfangreichen Besitz zugesprochen, unter anderem an der Seine nordöstlich von Chartres.
Nach dem Tode Heriberts des Älteren (980/984) teilten sich seine Neffen Heribert der Jüngere, Sohn von Robert, und Odo I., Sohn der Ledgardis, in das Erbe.
In der nächsten Generation gelang es Odo II., dem Sohn von Odo I., und Berta von Burgund, sich im Zuge eines langen Konflikts gegen König Robert den Frommen als Erbe seines Vetters Stephan, der als Sohn Heriberts des Jüngeren unter anderem Graf von Meaux und Troyes war, durchzusetzen. Um die Belehnung mit den Grafschaften in der Ch
ampagne zu erreichen, mußte er allerdings auf seine Herrschaftsrechte in Reims zugunsten des Erzbischofs Verzicht leisten (1023). Im wesentlichen hatte sich zu diesem Zeitpunkt das Fürstentum Champagne. in seiner späteren Ausdehnung herausgebildet; doch war es noch nicht viel mehr als ein Konglomerat von Grafschaften, die durch Personalunion verbunden waren. Bei der Zusammenfassung dieses Bündels von Grafschaftsrechten, Kirchengütern und Fiskalrechten war die Grafengewalt das tragende Element. Odo II., der weder eine bedeutende militärische Kommandogewalt (etwa den Oberbefehl über eine Mark) innehatte noch den Herzogtitel führte, hob sich (wie schon seine Vorfahren) von den übrigen Vasallen der Krone nur durch die Zahl und die ungewöhnliche Ausdehnung der von ihm beherrschten Grafschaften heraus.
Trotz ihrer Weiträumigkeit war die Grafschaft Ch
ampagne zu Beginn des 11. Jh., zu einem Zeitpunkt, da hier die ersten prévôts als gräfliche Beamte belegt sind, nicht mehr als ein Anhängsel der Besitztümer der Familie BLOIS im Loiregebiet. Darüber hinaus war sie von den alten Hausgütern der BLOIS durch dazwischenliegende Gebiete der Krondomäne abgetrennt, insbesondere durch das Sénonais, welches Odo II., der in den Erbfolgestreit um Burgund (1032) verwickelt war, den KAPETINGERN nicht zu entreißen vermochte. Die Champagne diente zunächst als Apanage der jüngeren Familienmitglieder. Odo II. führte eine ehrgeizige, aber wenig erfolgreiche Expansionspolitik und scheiterte sowohl bei dem Versuch, seine Erbansprüche auf das Königreich Burgund durchzusetzen, als auch bei einem Angriff auf Lothringen (Niederlage und Tod in der Schlacht bei Bar-le-Duc, 1037).
Die Erbteilung zwischen seinen beiden Söhnen erfolgte entlang einer Trennungslinie, die den Gebietserwerbungen von 1023 folgte.
Tedbald I. (III. als Graf von Blois) überließ seinem jüngeren Bruder Stephan bzw. seinem Neffen Odo III. die Grafschaften Troyes und Meaux. Als im Jahre 1066, nach dem Aufbruch Odos III. mit dem Normannen-Herzog Wilhelm nach England, die Einheit der Hausbesitzungen wiederhergestellt wurde, zeigte sich, daß die Teilung für das Haus BLOIS sehr schädlich gewesen war:
Das Königtum hatte seine Position entlang der Linie Soissons, Reims, Châlons entscheidend gestärkt und die Abtei St-Médard erworben. Der Erzbischof von Reims seinerseits hatte die Abtei St-Nicaise zurückerlangt, der Bischof von Châlons demgegenüber die Grafenrechte in seiner Bischofsstadt wieder erworben (1065). Von nun an dominierten bischöfliche Gewalten im Norden der Ch
ampagne; die Macht der Grafen von Blois-Champagne war auf den Süden zurückgedrängt, das Kerngebiet der Champagne verlagerte sich damit von Norden nach Süden. Auch in Meaux bestritt der Bischof, unterstützt vom König, dem Grafen seine Stellung. Nur in Troyes vermochten die Grafen, ihre alte Position zu bewahren. Eine andere Gefahr für die Macht der Grafen von Blois-Champagne stellte die expansive Politik Rodulfus' (Raouls) IV. von Valois, Grafen von Amiens und Vexin, dar, der sich in der Umgebung von Châlons (Bussy) festgesetzt hatte und durch Heirat auch Bar-sur-Aube und Vitry in seine Hand gebracht hatte.
Doch gelang es Tedbald I. von Ch
ampagne. (III. von Blois), die Situation zu meistern. Er verbündete sich mit den gregorianischen Kirchenreformern, um die Macht der vom König ernannten Bischöfe zurückzudrängen; dabei hinderte ihn sein Gregorianismus jedoch nicht daran, die Abtei St-Germain in Auxerre in seine Hand zu bringen.
Nachdem Tedbald I. in 2. Ehe eine Tochter Rodulfus' IV. von Valois geheiratet hatte, sah er die Möglichkeit, die Grafschaft Bar sur-Aube seinem Hausbesitz einzuverleiben und damit in Richtung auf den burgundischen Raum zu expandieren (1078). Die Regierung Tedbalds I. ( 1089) markiert insgesamt die Überwindung der Krise der gräflichen Macht.
Stephan Heinrich, der ältere Sohn Tedbalds I. und Schwieger-Sohn Wilhelms d. Eroberers, erbte Besitzungen im Loiregebiet, denen er die Grafschaften Meaux und Provins (die ungefähr dem Umfang der Landschaft Brie entsprachen) hinzufügte; im Besitz dieser Erwerbungen, hielt er die königliche Domäne umklammert.
Die jüngeren Söhne, Odo IV. ( 1093) und danach Hugo, erhielten Troyes, Bar-sur-Aube, Vitry und Epernay von ihrem Bruder zu Lehen. Hugo nahm den Titel des Grafen der Ch
ampagne an. 1125 in den Templerorden eingetreten, überließ er seine Lehen seinem Neffen Tedbald II. (IV. in Blois), dem Sohn Stephan Heinrichs und der Adela von England; dieser führte den Titel des Grafen von Blois. Stolz auf seine Verwandtschaft zum normannisch-englischen Herrscher-Haus, war Tedbalds II. Verhältnis zu seinem Lehnsherrn, dem König von Frankreich, von Gegensätzen geprägt. 1135 hätte sich Tedbald die Krone Englands auf Haupt gesetzt, wäre ihm nicht sein jüngerer Bruder, Stephan, zuvorgekommen, der das anglonormannische Reich bis 1154 regierte. Im Westen somit ausgeschaltet, verlegte sich Tedbald II. mit aller Energie auf die Expansion im Osten, wo sich Ansätze zur Territorialerweiterung im Bereich von Lothringen und Burgund boten. Der Graf sorgte ferner für die Entwicklung der Champagne-Messen. Dies leitete eine Periode der Prosperität ein, wobei die Währung der Champagne, der Denar von  Provins, der sogenannte Provinois, weiteste Verbreitung erfuhr (so wurde er vom römischen Senat nachgeprägt). Teilweise auf  Tedbalds II. Regierung, stärker wohl aber auf die Regentschaft seiner Mutter (1095-1107) gehen die Anfänge der gräflichen Kanzlei zurück, die nach englischem Vorbild aufgebaut wurde.

III. Der Graf von Champagne und Brie:
Mit dem Regierungsantritt von Heinrich I. (Henri le libéral, 1152-1181) bahnte sich eine Wende in der politisch-staatlichen Entwicklung der Ch
ampagne an, mit welcher die »Vorgeschichte« der Grafschaft ihr Ende fand. Heinrich überließ seinen jüngeren Brüdern, die seine Lehnsleute geworden waren, die Territorien im Loiregebiet, behielt sich dafür die Champagne vor und nahm den Titel des Grafen von Troyes an. Er brach mit der langen Tradition der Gegnerschaft zu den KAPETINGERN, indem er seine Schwester Adela mit dem französischen König Ludwig VII. vermählte (1160) und selber eine Tochter Ludwigs und der Eleonore von Aquitanien, Marie de France, heiratete (1164). Heinrich führte den Ausbau der Champagne-Messen weiter, ließ in Troyes große Bauten errichten und orientierte seine Politik in entscheidender Weise nach Osten: Heinrich wurde Lehnsmann von FRIEDRICH BARBAROSSA, der ihm neun Burgen in Lothringen verlieh. Zu gleicher Zeit drang er in den Norden der Champagne vor und setzte bei seinem Bruder, dem Kardinal und Erzbischof von Reims Wilhelm Weißhand (1176-1206), die Belehnung mit den Grafschaften Braine, Roucy, Rethel und Château-Porcien durch. Stifter bedeutender Regularkanonikerstifte, ließ Heinrich sein Grabmal in St-Etienne de Troyes errichten, das nach seinem Willen als Hausgrablege fungieren sollte. Mit seinem auch literarisch glanzvollen Hof erscheint Heinrich, berühmt für seine Freigebigkeit, tatsächlich als Begründer einer neuen Grafen-Dynastie. Seiner Regierungszeit entstammen die ersten Lehnsregister, die 26 châtellenies-prévôtés (Kastellaneien mit Praeposituren) und ca. 2.000 Lehnsleute verzeichnen. Der Graf selbst hielt folgende Besitzungen zu Lehen:
von der Krone Frankreich die Landschaft Brie (Meaux, Provins, Sézanne, Château-Thierry),
vom Erzbischof von Reims Châtillon, Fismes, Epernay, Vertus, Vitry,
vom Herzog von Burgund Troyes und dessen Pertinenzien (St-Florentin, Joigny),
vom Erzbischof von Sens Bray und Montereau,
vom Bischof von Langres Bar-sur-Aube und La Ferté;
vom Bischof von Châlons Bussy; sein Sohn Heinrich II. sollte darüber hinaus noch Nogent-sur-Seine von seiten des Abts von St-Denis erhalten.
Von 1181 bis 1222 erlebte die Ch
ampagne eine lange Periode der Vormundschaftsregierungen:
Marie de France regierte für ihre Söhne Heinrich II. (seit 1192 König von Jerusalem) und Tedbald III.;
Blanca (Blanche de Navarre), die Witwe Tedbalds III., regierte für ihren Sohn Tedbald IV.
Die damit verbundene Schwächung der gräflichen Gewalt erlaubte es Philipp II. August, König von Frankreich, alle seine Kräfte gegen die PLANTAGENET (Angevinisches Reich) zu wenden und diese vom Kontinent zu verdrängen (Schlacht von Bouvines, 1214). König Philipp vermochte nicht nur leicht die militärische Unterstützung durch die Lehnsaufgebote der Ch
ampagne zu erlangen, es gelang ihm auch, sich zum Schiedsrichter aufzuschwingen, hatten doch Erard von Brienne und seine Gattin Philippine, Tochter Graf Heinrichs II., Ansprüche auf die Champagne erhoben. Durch Unterwerfung unter die juristischen Regeln und mit der Unterstützung des Papsttums konnte Blanche jedoch das Erbe ihres Sohnes erhalten. Sie besiegte Erard von Brienne und vermochte dank der Hilfe Kaiser FRIEDRICHS II. 1218 auch den bedeutendsten Bundesgenossen der BRIENNE zu bezwingen, den Herzog von Lothringen, welcher versucht hatte, sich auf Kosten der Champagne-Grafen in den Tälern der oberen Marne und Maas festzusetzen. Der lothringische Herzog, der sich auf Schloß Amance bei Nancy in Gefangenschaft befand, mußte im Jahre 1220 der Gräfin Blanche die Burg Neufchâteau nebst den ihr anhängenden Lehen abtreten.
Tedbald IV. (Thibaud le Chansonnier, 1222-1253), der, wie sein Beiname andeutet, ein Dichter von bedeutendem Ruf war, legte sich erstmals den Titel eines comes palatinus (Pfalzgrafen) von Champagne und Brie bei. Seine politische Tätigkeit war zunächst durch aktives Eingreifen im Bistum Langres und in der Grafschaft Burgund gekennzeichnet. Vor 1239 erwarb er die Grafschaft Bar-sur-Seine und die Herrschaften Nogent-en-Bassigny und Montigny-le-Roi und die Schutzherrschaft (garde) über die Abtei Molesme. Unter seiner Regierung begann die Einigung der Ch
ampagne. Der Denar von Provins war nach seiner Aufwertung unangefochtene Währung der Champagne und gewann auch im Norden (Diözese Reims) und Osten (Lothringen) an Terrain. Die perche von 20 Fuß begann, sich als Maßeinheit allgemein durchzusetzen. 1228 wird erstmals in den Quellen ein Gewohnheitsrecht der Champagne erwähnt. Auf institutionellem Gebiet machten die großen Ämter des Hoch-Mittelalters (Sénéchalat, Connétablie usw.) eine Entwicklung zu Ehrenämtern durch, während die Institution der Kämmerei, die von Bürgern verwaltet wurde, zu einer echten zentralen Finanzbehörde aufstieg. Von der curia, dem alten gräflichen Rat, hob sich zunehmend als zentrale Gerichts- und Verwaltungseinrichtung das Tribunal der Grands Jours ab, das in Troyes fest etabliert wurde, als Appellationsgericht fungierte und alle Fälle zu entscheiden hatte, die im Zuge der Evokation den Gerichten der Baillis entzogen worden waren. Die gräflichen Baillis, die seit 1189 als Kontrollorgane der prévôts belegt sind, treten am Ende des 13. Jh. auf; sie standen an der Spitze von vier, zunehmend territorial abgegrenzten Verwaltungsbezirken: Meaux, Troyes, Vitry, Chaumont.
Schließlich erfolgte, den Tendenzen der Zeit entsprechend, die Verleihung von Statuten an eine Reihe von städtischen Gemeinden (um 1230), wodurch das Bürgertum teilweise an den regulären Kosten für die Verwaltung und städtischen Verteidigung beteiligt wurde.
1234 erbte Thibaud IV. von seinem Onkel mütterlicherseits das Königreich Navarra. Als er hiervon Besitz ergriff, verkauften seine Vertreter zwecks Entschädigung der 2. Tochter des Grafen Heinrich II., Alix, die Grafschaften Blois, Chartres, Châteaudun und Sancerre mit ihren Pertinenzien an den König von Frankreich. Damit waren die letzten Verbindungen der Ch
ampagne mit dem alten Hausbesitz der Grafen von Blois aufgelöst.
1253 trat Thibaud V. (1253-1270) als König von Navarra und Pfalzgraf von Ch
ampagne und Brie die Regierung an; er erhielt am 5. November 1257 das päpstliche Privileg, sich vom Bischof von Pamplona krönen zu lassen. Unter ihm wurde die gräfliche Domäne im Osten durch eine Reihe von pariage-Verträgen ausgedehnt (bis Luxeuil 1258). Andererseits konnte sich Thibaud V. als Schwieger-Sohn König Ludwigs des Heiligen den immer drückender werdenden Verpflichtungen, die ihm seine Stellung als großer Kronvasall auferlegte, nicht entziehen. Vor allem hatte er die königlichen Ordonnanzen von 1263-1265, die zum Verfall der Währung führten und den Denar von Provins rasch vom Geldmarkt verschwinden ließen, auszuführen.
Heinrich III. ( 1274), der die Nachfolge seines auf der Rückkehr vom 8. Kreuzzug verstorbenen Bruders als Graf und König antrat, hinterließ als Erbin nur eine Tochter, Johanna (oo 1284 Philipp, den späteren König Philipp IV.).
Seit 1285 Königin von Frankreich, übertrug Johanna ( 1304) testamentarisch dem ältesten Sohn, Ludwig (X.), die Ch
ampagne und das Königreich Navarra.
Da dieser nur eine Tochter Johanna (oo Philipp von Evreux), aber keine männlichen Erben hatte, folgten auf dem französischen Thron die beiden Brüder des Königs, Philipp V. und Karl IV. Diese gaben trotz der Proteste der Johanna die Ch
ampagne und Navarra nicht heraus. Nach dem Tod Karls IV. (1328) bestieg, entsprechend dem salischen Gesetz, sein Vetter Philipp VI. von Valois den französischen Thron. Er willigte in die Abtretung von Navarra an Johanna von Evreux und ihre Nachkommen ein, behielt aber die Champagne ein, welche durch Philipps VI. Sohn und Nachfolger, Johann II. den Guten, im Jahre 1361 definitiv der Krondomäne einverleibt wurde.
Dennoch erhob der Sohn der Johanna, Karl der Böse, König von Navarra, unter Ausnutzung des Hundertjährigen Krieges noch Ansprüche auf die Ch
ampagne. Erst sein Sohn Karl III. leistete im Jahre 1404 definitiv Verzicht.

IV. Die königliche Champagne:
Wichtigste Konsequenz der Einverleibung der Ch
ampagne. in die Krondomäne war die Tatsache, daß nun das Frankreich der KAPETINGER wieder eine gemeinsame Grenze mit dem Imperium hatte. In der vorhergehenden Periode hatten sich Kontakte wie Konfrontationen über die großen Lehnsträger in der Grenzzone beider Reiche, die Grafen von Champagne. und Flandern sowie den Herzog von Burgund, ergeben. Nach der festen Eingliederung der Champagne in die Krondomäne führte Frankreich nun - in Fortsetzung der traditionellen Politik der TEDBALDINER - eine energische Expansionspolitik auf Kosten Lothringens. Seit dem Tod Graf Heinrichs III. intervenierte das Königtum in Lothringen vielfach: so bei Montfaucon und Beaulieu-en-Argonne; 1301 nötigte Frankreich den Grafen von Bar-le-Duc zur Errichtung des »Barrois mouvant«. Die Maas wurde als Grenze des Königreiches Frankreich beansprucht, bis schließlich in der frühen Neuzeit die Verfechter einer »historischen« Rechtsposition anstelle der Maasgrenze die Rheingrenze forderten.
Die zweite Konsequenz der französischen Machtübernahme war, daß die von den TEDBALDINERN geschaffene, äußerst fragile Einheit des Fürstentums Ch
ampagne zunehmend dahinschwand. Die früheren Lehnsleute des Grafen-Hauses unterstanden nun direkt der Krone. König Johann II. der Gute errichtete im Jahre 1365 für seine mit Giangaleazzo Visconti verheiratete Tochter die Grafschaft Vertus (und Rosnay), die bald darauf an die königliche Seitenlinie Orléans überging. Der Herzog von Burgund erwarb seinerseits die Herrschaften Bar-sur-Seine, Ile, Villemaur und Chaource. 1384 ererbte der Burgunder die Grafschaft Rethel. Um Burgund Paroli zu bieten, kaufte der Herzog von Orléans im Jahre 1400 die Grafschaft Porcien. Zu Beginn des 15. Jh. wurde die Champagne von den Parteikämpfen der Armagnacs (Orléans) und Bourguignons zerrissen. In Troyes ließ der Herzog von Burgund den Vertrag unterzeichnen, durch welchen Frankreich dem König von England ausgeliefert wurde, in Reims setzte Jeanne d'Arc 1429 durch die Krönung Karls VII. die Legitimität der Herrschaftsansprüche des französischen Königs durch.
Angesichts der monarchischen Zentralisation erlebten alle partikularen Bestrebungen und Institutionen in der Ch
ampagne rasch ihren Niedergang. Nach den Versammlungen von Provins und Vertus im Jahre 1358 hörten die Etats (Stände) der Provinz auf zu tagen. Die Grands Jours von Troyes, die 1296 reorganisiert worden waren und im ehemaligen Grafenschloß ihren Sitz hatten, wurden 1409 aufgehoben und das Parlement von Paris zum obersten Gerichtshof für die Streitfälle aus der Champagne eingesetzt. Anstelle des allgemeinen Gewohnheitsrechtes der Champagne entwickelten sich Rechte auf der Grundlage der einzelnen Bailliages (Coutumes von Meaux, Vitry, Troyes, Chaumont), zu denen die Gewohnheitsrechte der Bischofsstädte Reims, Châlonssur-Marne und Sens hinzutraten. Bei der Erhebung der aides, der direkten Steuern, die seit 1355 erfolgte, wurde die Diözesanorganisation zugrundegelegt; als 1542 die généralité (Steuerbezirk) von Châlons-sur-Marne geschaffen wurde, blieb die gesamte Brie, welche der généralité von Paris zugeschlagen wurde, ausgenommen. Nur die Organisation der Militärverwaltung, die ab 1417 erkennbar ist, bewahrte, bei nicht genau festgelegten Grenzen, Strukturen des alten territorialen Fürstentums der TEDBALDINER.
M. Bur