CHAMPAGNE
Lexikon des Mittelalters:
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Champagne
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I. Frühmittelalter
[1] Anfänge:
Der Name der Champagne
(Campania) ist seit dem 6. Jh. für die weite Kreideebene, die sich
von der Aisne bis zu den Grenzsäumen des Sénonais (Sens)
erstreckt, belegt.
Gregor von Tours († 595) nennt Reims und Troyes
als in der Campania liegende Städte. Die Chronik des Fredegar (verfaßt ca.
613/658) zählt auch Châlons-sur-Marne und Arcis-sur-Aube zur
»Champagne«. Beide Quellen nennen die Campanienses als
Bewohner dieser »kalkweißen« Landschaft, die im
Westen durch die Waldzonen der Brie und im Osten durch die noch
dichteren und feuchteren Waldgebiete der Argonnen und des Forstes Der
(Montier-en-Der) begrenzt wurde.
War die Champagne mit ihren
Bewohnern, den Champenois, somit schon im Früh-Mittelalter ein
durchaus geläufiger geographischer Landesbegriff, so bildete sie,
politisch gesehen, noch keine Einheit. Das Gebiet der Champagne
verteilte sich auf mehrere Civitates (dann auch: Diözesen), die im
MEROWINGER-Reich, mit den
Reichsteilungen der Nachkommen König Chlodwigs, mehrfach den Herrn
wechselten. In den Jahren 511-558 unter der Herrschaft der in Reims
residierenden Könige Bestandteil des entstehenden
»Austriens« (Austrasien), dem auch die Diözese Sens
und Langres zugehörten, wurden die Diözesen Reims,
Châlons und Troyes nach kurzer Zeit abgetrennt, um verschiedenen Regna einverleibt zu werden. Reims
und Châlons waren seit 561 dem neukonstituierten Austrien, dessen
Hauptstadt nach Metz verlegt wurde, integriert; dagegen fiel Troyes mit
Langres, Sens und Meaux an das große burgundische Regnum (Burgund), dessen
politisches Zentrum Chalonsur-Saône war. Soissons blieb als
Hauptstadt des dritten Teilreiches Neustrien außerhalb dieses
Herrschaftsgefüges.
[2] Der Ducatus der Champagne:
Am Ende des 6. Jh. hatte sich eine Anzahl von in der Region
ansässigen austrischen leudes,
unter ihnen der Bischof von Reims,
Aegidius, dem König von Neustrien, Chilperich, angeschlossen. Die Königin Brunichild, die für ihren
Sohn Childebert II. die
Regierungsgeschäfte in Austrasien führte, errichtete zur
besseren Kontrolle dieser abtrünnigen Großen den
militärischen Ducatus Champagne,
den sie einem ihrer Getreuen, Lupus,
übergab. Der Ducatus
umfaßte die civitates
Reims und Châlons. Die proneustrischen leudes ermordeten Lupus im Jahre 581 und setzten
einen der ihren, Wintrio,
an seinen Platz. 587 hatten sie sogar den Plan, König Childebert II. zu töten und
einen seiner Söhne zum rex der
Champagne zu erheben. Die Königin Brunichild begegnete diesen
Umtrieben jedoch in wirkungsvoller Weise, ließ den Bischof Aegidius absetzen und an seiner
statt Romulfus, den Sohn
des Lupus, berufen. Bald
nach 600 ließ sie sogar Wintrio
ermorden; dies rief jedoch den Widerstand der Aristokratie hervor, der
letztlich zu ihrem Sturz führte.
Erst in der 2. Hälfte des 7. Jh. ist wieder, nun zum drittenmal,
ein dux der Champagne belegt,
Waymerus. Auch er war
politisch auf Neustrien orientiert und unterstützte daher den neustrischen Hausmeier Ebroin bei seinem Kampf gegen
den Partikularismus im Regnum
Burgund, der vor allem durch Bischof Leodegar (Léger) von Autun
verkörpert wurde. Als Gegenleistung erhielt Waymerus das Bistum Troyes. Sein Name ist mit
der Gründung der Abtei Montier-en-Der verbunden. Nach dem Verrat
des Waymerus an Ebroin ließ dieser ihn
gefangennehmen und im Jahre 678 hängen.
Bis dahin auf die Diözese von Reims und Châlons
beschränkt, gewann der Dukat
der Champagne
an Ausdehnung infolge der politischen Neuordnung des Franken-Reiches,
die der Hausmeier von Austrien
Pippin nach seinem Sieg
bei Tertry (687) vornahm:
Pippin organisierte im Interesse einer stärkeren Verbindung
der drei Reichsteile Austrien, Neustrien und Burgund den Dukat der Champagne als
weiträumigen Herrschaftsbereich an der Nahtstelle der drei
Gebiete, den er seinem Sohn Drogo
(695-708) übertrug. Die Diözese Sens wurde diesem Territorium
zugeschlagen. Bei der Reichsteilung zwischen den Söhnen Karl Martells 741, Pippin II. (Austrien) und Karlmann (Neustrien), war der Dukat Champagne
offenbar dem dritten Bruder, Grifo,
als Pufferzone zugedacht, doch widersetzten sich die älteren
Brüder dem Plan. Der Dukat
umfaßte damals wohl die Diözese Reims, Châlons,
Troyes, Sens, Meaux, Paris, Senlis, Soissons, Noyon und Laon. Mit dem
Scheitern Grifos
verschwindet der um 575 geschaffene Dukat Champagne.
Der Erzbischof von Reims, Wulfarius, wird 800 einmal »missus super totam Campaniam«
genannt: sein Missatbereich (missaticum)
umfaßte die Pagi Dormois, Vongeois, Astenois, Chalonge, Omois,
Laonnois, Valois, Porcien, Tardenois, Soissonnais, alle an der Marne
oder in ihrem Norden gelegen. Danach verschwand sogar der geogrische
Begriff 'Champagne' anscheinend aus dem politischen Vokabular. Es
blieben nur die administrativen Einheiten auf der lokalen und
regionalen Ebene, die Pagi und
Comitatus, in ihrer Funktion
erhalten. Die hochmittelalterliche Grafschaft, die erst seit dem 12.
Jh. wieder »Champagne«
genannt wurde, sollte sich aus der Vereinigung mehrerer dieser Pagi im 10.-11. Jh. entwickeln.
II. Die Bildung der Grafschaft Champagne:
Die Entstehung dieses Territorialfürstentums wurde vorbereitet
durch die Machtstellung, welche die
KAROLINGER Heribert I. und
vor allem sein Sohn Heribert
II. (901/907-943) im Gebiet zwischen Seine und Maas sich
schufen. Die Erbteilung, die im Jahre 946 durch Vermittlung des dux Francorum Hugo dem Großen zwischen
den Erben seines Schwagers und Konkurrenten Heribert II., Grafen von Vermandois, festgelegt
wurde, steht am Anfang einer längeren Territorialentwicklung.
Der ältere von Heriberts
Söhnen, Heribert der
Ältere, erhielt die Grafschat
Omois mit der alten Stammburg
Château-Thierry und der Abtei
St-Médard (Soissons). Es gelang ihm in der Folgezeit, der
Kirche von Reims die Güter Epernay, Vertus und Vitry zu entziehen,
den königlichen Fiscus von Ponthion an sich zu bringen und sich
des lotharingischen Besitzes seiner Gemahlin, der Königin Ogiva, Witwe Karls des Einfältigen und Äbtissin von Notre-Dame in Laon,
zu bemächtigen (Vaucouleurs, Bourmont und andere). Nachdem er sich
König Lothar angeschlossen hatte,
ernannte ihn dieser zu seinem comes
palatii, und wohl aufgrund dieses Titels übte er die
Grafengewalt in Reims und Châlons-sur-Marne aus. -
Ein anderer Sohn Heriberts von
Vermandois, Robert,
erhielt durch den obengenannten Schiedsspruch die Gft. Meaux und die Abtei Lagny; durch Heirat mit einer
der beiden Töchter des burgundischen
princeps Giselbert,
der unter anderem die Grafschaft
Troyes innehatte, erlangte Robert auch diese wichtige
Grafschaft, von der kleinere pagi
abhingen. -
Schließlich erhielt eine Tochter Ledgardis, die mit Tedbald (Thibaud le Tricheur),
Graf von Blois, Tours, Chartres und Châteaudun
verheiratet war, umfangreichen Besitz zugesprochen, unter anderem an
der Seine nordöstlich von Chartres.
Nach dem Tode Heriberts des
Älteren (980/984) teilten sich seine Neffen Heribert der Jüngere,
Sohn von Robert, und Odo I., Sohn der Ledgardis, in das Erbe.
In der nächsten Generation gelang es Odo II., dem Sohn von Odo I., und Berta von Burgund, sich im Zuge
eines langen Konflikts gegen König
Robert den Frommen als
Erbe seines Vetters Stephan,
der als Sohn Heriberts des
Jüngeren unter anderem
Graf von Meaux und Troyes war, durchzusetzen. Um die Belehnung
mit den Grafschaften in der Champagne
zu erreichen, mußte er allerdings auf seine Herrschaftsrechte in
Reims zugunsten des Erzbischofs Verzicht leisten (1023). Im
wesentlichen hatte sich zu diesem Zeitpunkt das Fürstentum Champagne.
in seiner späteren Ausdehnung herausgebildet; doch war es noch
nicht viel mehr als ein Konglomerat von Grafschaften, die durch
Personalunion verbunden waren. Bei der Zusammenfassung dieses
Bündels von Grafschaftsrechten, Kirchengütern und
Fiskalrechten war die Grafengewalt das tragende Element. Odo II., der weder eine
bedeutende militärische Kommandogewalt (etwa den Oberbefehl
über eine Mark) innehatte noch den Herzogtitel führte, hob
sich (wie schon seine Vorfahren) von den übrigen Vasallen der
Krone nur durch die Zahl und die ungewöhnliche Ausdehnung der von
ihm beherrschten Grafschaften heraus.
Trotz ihrer Weiträumigkeit war die Grafschaft Champagne
zu Beginn des 11. Jh., zu einem Zeitpunkt, da hier die ersten prévôts als
gräfliche Beamte belegt sind, nicht mehr als ein Anhängsel
der Besitztümer der Familie
BLOIS im Loiregebiet.
Darüber hinaus war sie von den alten Hausgütern der BLOIS durch
dazwischenliegende Gebiete der Krondomäne abgetrennt, insbesondere
durch das Sénonais, welches
Odo II., der in den Erbfolgestreit um Burgund (1032) verwickelt
war, den KAPETINGERN nicht
zu entreißen vermochte. Die Champagne diente zunächst als
Apanage der jüngeren Familienmitglieder. Odo II. führte eine
ehrgeizige, aber wenig erfolgreiche Expansionspolitik und scheiterte
sowohl bei dem Versuch, seine Erbansprüche auf das Königreich Burgund
durchzusetzen, als auch bei einem Angriff auf Lothringen (Niederlage
und Tod in der Schlacht bei Bar-le-Duc, 1037).
Die Erbteilung zwischen seinen beiden Söhnen erfolgte entlang
einer Trennungslinie, die den Gebietserwerbungen von 1023 folgte.
Tedbald I. (III. als Graf von Blois) überließ
seinem jüngeren Bruder Stephan
bzw. seinem Neffen Odo III.
die Grafschaften Troyes und Meaux.
Als im Jahre 1066, nach dem Aufbruch Odos III. mit dem Normannen-Herzog Wilhelm nach England, die
Einheit der Hausbesitzungen wiederhergestellt wurde, zeigte sich,
daß die Teilung für das Haus
BLOIS sehr
schädlich gewesen war:
Das Königtum hatte seine Position entlang der Linie Soissons,
Reims, Châlons entscheidend gestärkt und die Abtei
St-Médard erworben. Der Erzbischof von Reims seinerseits hatte
die Abtei St-Nicaise zurückerlangt, der Bischof von Châlons
demgegenüber die Grafenrechte in seiner Bischofsstadt wieder
erworben (1065). Von nun an dominierten bischöfliche Gewalten im
Norden der Champagne; die
Macht der Grafen von Blois-Champagne
war auf den Süden zurückgedrängt, das Kerngebiet der Champagne
verlagerte sich damit von Norden nach Süden. Auch in Meaux
bestritt der Bischof, unterstützt vom König, dem Grafen seine
Stellung. Nur in Troyes vermochten die Grafen, ihre alte Position zu
bewahren. Eine andere Gefahr für die Macht der Grafen von Blois-Champagne
stellte die expansive Politik Rodulfus'
(Raouls) IV. von Valois, Grafen
von Amiens und Vexin, dar, der sich in der Umgebung von
Châlons (Bussy) festgesetzt hatte und durch Heirat auch
Bar-sur-Aube und Vitry in seine Hand gebracht hatte.
Doch gelang es Tedbald I. von Champagne. (III. von Blois), die
Situation zu meistern. Er verbündete sich mit den gregorianischen
Kirchenreformern, um die Macht der vom König ernannten
Bischöfe zurückzudrängen; dabei hinderte ihn sein
Gregorianismus jedoch nicht daran, die Abtei St-Germain in Auxerre in
seine Hand zu bringen.
Nachdem Tedbald I. in 2.
Ehe eine Tochter Rodulfus' IV.
von Valois geheiratet hatte, sah er die Möglichkeit, die Grafschaft Bar sur-Aube seinem
Hausbesitz einzuverleiben und damit in Richtung auf den burgundischen
Raum zu expandieren (1078). Die Regierung Tedbalds I. († 1089) markiert insgesamt
die Überwindung der Krise der gräflichen Macht.
Stephan Heinrich, der
ältere Sohn Tedbalds I.
und Schwieger-Sohn Wilhelms d.
Eroberers, erbte Besitzungen im Loiregebiet, denen er die Grafschaften Meaux und Provins (die ungefähr dem
Umfang der Landschaft Brie entsprachen) hinzufügte; im Besitz
dieser Erwerbungen, hielt er die königliche Domäne
umklammert.
Die jüngeren Söhne, Odo
IV. († 1093) und danach Hugo, erhielten Troyes,
Bar-sur-Aube, Vitry und Epernay von ihrem Bruder zu Lehen. Hugo nahm den Titel des Grafen
der Champagne an. 1125 in
den Templerorden eingetreten, überließ er seine Lehen seinem
Neffen Tedbald II. (IV.
in Blois), dem Sohn Stephan
Heinrichs und der Adela
von England; dieser führte den Titel des Grafen von Blois.
Stolz auf seine Verwandtschaft zum normannisch-englischen
Herrscher-Haus, war Tedbalds II. Verhältnis
zu seinem Lehnsherrn, dem König von Frankreich, von
Gegensätzen geprägt. 1135 hätte sich Tedbald die Krone Englands auf
Haupt gesetzt, wäre ihm nicht sein jüngerer Bruder, Stephan, zuvorgekommen, der das
anglonormannische Reich bis 1154 regierte. Im Westen somit
ausgeschaltet, verlegte sich Tedbald
II. mit aller Energie auf die Expansion im Osten, wo sich
Ansätze zur Territorialerweiterung im Bereich von Lothringen und
Burgund boten. Der Graf sorgte ferner für die Entwicklung der
Champagne-Messen. Dies leitete eine Periode der Prosperität ein,
wobei die Währung der Champagne,
der Denar von Provins, der sogenannte Provinois, weiteste
Verbreitung erfuhr (so wurde er vom römischen Senat
nachgeprägt). Teilweise auf Tedbalds II. Regierung,
stärker wohl aber auf die Regentschaft seiner Mutter (1095-1107)
gehen die Anfänge der gräflichen Kanzlei zurück, die
nach englischem Vorbild aufgebaut wurde.
III. Der Graf von Champagne und Brie:
Mit dem Regierungsantritt von Heinrich
I. (Henri le libéral,
1152-1181) bahnte sich eine Wende in der politisch-staatlichen
Entwicklung der Champagne
an, mit welcher die »Vorgeschichte« der Grafschaft ihr Ende
fand. Heinrich
überließ seinen jüngeren Brüdern, die seine
Lehnsleute geworden waren, die Territorien im Loiregebiet, behielt sich
dafür die Champagne
vor und nahm den Titel des Grafen
von Troyes an. Er brach mit der langen Tradition der
Gegnerschaft zu den KAPETINGERN,
indem er seine Schwester Adela
mit dem französischen König
Ludwig VII. vermählte
(1160) und selber eine Tochter Ludwigs
und der Eleonore von Aquitanien, Marie de France, heiratete
(1164). Heinrich
führte den Ausbau der Champagne-Messen weiter, ließ in
Troyes große Bauten errichten und orientierte seine Politik in
entscheidender Weise nach Osten: Heinrich
wurde Lehnsmann von FRIEDRICH
BARBAROSSA, der ihm neun
Burgen in Lothringen verlieh. Zu gleicher Zeit drang er in den
Norden der Champagne vor
und setzte bei seinem Bruder, dem Kardinal
und Erzbischof von Reims Wilhelm Weißhand (1176-1206),
die Belehnung mit den Grafschaften
Braine, Roucy, Rethel und Château-Porcien durch.
Stifter bedeutender Regularkanonikerstifte, ließ Heinrich sein Grabmal in
St-Etienne de Troyes errichten, das nach seinem Willen als Hausgrablege
fungieren sollte. Mit seinem auch literarisch glanzvollen Hof erscheint
Heinrich, berühmt
für seine Freigebigkeit, tatsächlich als Begründer einer neuen Grafen-Dynastie.
Seiner Regierungszeit entstammen die ersten Lehnsregister, die 26 châtellenies-prévôtés
(Kastellaneien mit Praeposituren) und ca. 2.000 Lehnsleute verzeichnen.
Der Graf selbst hielt folgende Besitzungen zu Lehen:
von der Krone Frankreich die Landschaft
Brie (Meaux, Provins, Sézanne, Château-Thierry),
vom Erzbischof von Reims Châtillon,
Fismes, Epernay, Vertus, Vitry,
vom Herzog von Burgund Troyes und
dessen Pertinenzien (St-Florentin, Joigny),
vom Erzbischof von Sens Bray
und Montereau,
vom Bischof von Langres Bar-sur-Aube
und La Ferté;
vom Bischof von Châlons Bussy;
sein Sohn Heinrich II.
sollte darüber hinaus noch
Nogent-sur-Seine von seiten des Abts von St-Denis erhalten.
Von 1181 bis 1222 erlebte die Champagne
eine lange Periode der Vormundschaftsregierungen:
Marie de France regierte
für ihre Söhne Heinrich
II. (seit 1192 König von
Jerusalem) und Tedbald
III.;
Blanca (Blanche de Navarre),
die Witwe Tedbalds III.,
regierte für ihren Sohn Tedbald
IV.
Die damit verbundene Schwächung der gräflichen Gewalt
erlaubte es Philipp
II. August, König
von Frankreich, alle seine Kräfte gegen die PLANTAGENET
(Angevinisches Reich)
zu wenden und diese vom Kontinent zu verdrängen (Schlacht von Bouvines,
1214). König Philipp vermochte nicht nur
leicht die militärische Unterstützung durch die
Lehnsaufgebote der Champagne
zu erlangen, es gelang ihm auch, sich zum Schiedsrichter
aufzuschwingen, hatten doch Erard
von Brienne und seine Gattin Philippine, Tochter Graf Heinrichs II., Ansprüche
auf die Champagne erhoben.
Durch Unterwerfung unter die juristischen Regeln und mit der
Unterstützung des Papsttums konnte Blanche jedoch das Erbe ihres
Sohnes erhalten. Sie besiegte
Erard von Brienne und vermochte dank der Hilfe Kaiser
FRIEDRICHS II. 1218
auch den bedeutendsten Bundesgenossen der BRIENNE zu bezwingen, den Herzog von Lothringen, welcher
versucht hatte, sich auf Kosten der
Champagne-Grafen in den Tälern der oberen Marne und Maas
festzusetzen. Der lothringische Herzog, der sich auf Schloß
Amance bei Nancy in Gefangenschaft befand, mußte im Jahre 1220
der Gräfin Blanche die Burg
Neufchâteau nebst den ihr anhängenden Lehen abtreten.
Tedbald IV. (Thibaud le Chansonnier, 1222-1253), der, wie
sein Beiname andeutet, ein Dichter von bedeutendem Ruf war, legte sich
erstmals den Titel eines comes
palatinus (Pfalzgrafen) von Champagne und Brie bei. Seine
politische Tätigkeit war zunächst durch aktives Eingreifen im
Bistum Langres und in der Grafschaft Burgund gekennzeichnet. Vor 1239
erwarb er die Grafschaft
Bar-sur-Seine und die Herrschaften
Nogent-en-Bassigny und Montigny-le-Roi
und die Schutzherrschaft (garde)
über die Abtei Molesme.
Unter seiner Regierung begann die Einigung der Champagne.
Der Denar von Provins war nach seiner Aufwertung unangefochtene
Währung der Champagne
und gewann auch im Norden (Diözese Reims) und Osten (Lothringen)
an Terrain. Die perche von 20 Fuß begann, sich als
Maßeinheit allgemein durchzusetzen. 1228 wird erstmals in den
Quellen ein Gewohnheitsrecht der Champagne
erwähnt. Auf institutionellem Gebiet machten die großen
Ämter des Hoch-Mittelalters (Sénéchalat,
Connétablie usw.) eine
Entwicklung zu Ehrenämtern durch, während die Institution der
Kämmerei, die von Bürgern verwaltet wurde, zu einer echten
zentralen Finanzbehörde aufstieg. Von der curia, dem alten gräflichen
Rat, hob sich zunehmend als zentrale Gerichts- und
Verwaltungseinrichtung das Tribunal der Grands Jours ab, das in Troyes
fest etabliert wurde, als Appellationsgericht fungierte und alle
Fälle zu entscheiden hatte, die im Zuge der Evokation den
Gerichten der Baillis entzogen
worden waren. Die gräflichen Baillis,
die seit 1189 als Kontrollorgane der prévôts
belegt sind, treten am Ende des 13. Jh. auf; sie standen an der Spitze
von vier, zunehmend territorial abgegrenzten Verwaltungsbezirken:
Meaux, Troyes, Vitry, Chaumont.
Schließlich erfolgte, den Tendenzen der Zeit entsprechend, die
Verleihung von Statuten an eine Reihe von städtischen Gemeinden
(um 1230), wodurch das Bürgertum teilweise an den regulären
Kosten für die Verwaltung und städtischen Verteidigung
beteiligt wurde.
1234 erbte Thibaud IV. von
seinem Onkel mütterlicherseits das
Königreich Navarra. Als er hiervon Besitz ergriff,
verkauften seine Vertreter zwecks Entschädigung der 2. Tochter des Grafen Heinrich II., Alix, die Grafschaften Blois, Chartres, Châteaudun und Sancerre mit ihren Pertinenzien an
den König von Frankreich. Damit waren die letzten Verbindungen der
Champagne mit dem alten
Hausbesitz der Grafen von Blois aufgelöst.
1253 trat Thibaud V. (1253-1270)
als König von Navarra
und Pfalzgraf von Champagne und Brie die Regierung an; er erhielt
am 5. November 1257 das päpstliche Privileg, sich vom Bischof von
Pamplona krönen zu lassen. Unter ihm wurde die gräfliche
Domäne im Osten durch eine Reihe von pariage-Verträgen ausgedehnt
(bis Luxeuil 1258). Andererseits konnte sich Thibaud V. als Schwieger-Sohn König Ludwigs des Heiligen den immer
drückender werdenden Verpflichtungen, die ihm seine Stellung als
großer Kronvasall auferlegte, nicht entziehen. Vor allem hatte er
die königlichen Ordonnanzen von 1263-1265, die zum Verfall der
Währung führten und den Denar von Provins rasch vom Geldmarkt
verschwinden ließen, auszuführen.
Heinrich III. († 1274), der die Nachfolge
seines auf der Rückkehr vom 8. Kreuzzug verstorbenen Bruders als
Graf und König antrat, hinterließ als Erbin nur eine
Tochter, Johanna (oo 1284 Philipp, den späteren König Philipp IV.).
Seit 1285 Königin von Frankreich,
übertrug Johanna († 1304) testamentarisch dem
ältesten Sohn, Ludwig (X.),
die Champagne und das
Königreich Navarra.
Da dieser nur eine Tochter Johanna
(oo Philipp von Evreux),
aber keine männlichen Erben hatte, folgten auf dem
französischen Thron die beiden Brüder des Königs, Philipp V. und Karl IV. Diese gaben trotz
der Proteste der Johanna die
Champagne und Navarra nicht
heraus. Nach dem Tod Karls IV.
(1328) bestieg, entsprechend dem salischen Gesetz, sein Vetter Philipp VI. von Valois den
französischen Thron. Er willigte in die Abtretung von Navarra an Johanna von Evreux und ihre
Nachkommen ein, behielt aber die Champagne ein,
welche durch Philipps VI. Sohn
und Nachfolger, Johann II. den
Guten, im Jahre 1361 definitiv der Krondomäne einverleibt
wurde.
Dennoch erhob der Sohn der Johanna,
Karl der Böse, König von Navarra, unter
Ausnutzung des Hundertjährigen
Krieges noch Ansprüche auf die Champagne.
Erst sein Sohn Karl III.
leistete im Jahre 1404 definitiv Verzicht.
IV. Die königliche Champagne:
Wichtigste Konsequenz der Einverleibung der Champagne.
in die Krondomäne war die Tatsache, daß nun das Frankreich
der KAPETINGER wieder
eine gemeinsame Grenze mit dem Imperium hatte. In der vorhergehenden
Periode hatten sich Kontakte wie Konfrontationen über die
großen Lehnsträger in der Grenzzone beider Reiche, die
Grafen von Champagne. und
Flandern sowie den Herzog von Burgund, ergeben. Nach der festen
Eingliederung der Champagne
in die Krondomäne führte Frankreich nun - in Fortsetzung der
traditionellen Politik der
TEDBALDINER - eine energische Expansionspolitik auf Kosten
Lothringens. Seit dem Tod Graf Heinrichs III. intervenierte
das Königtum in Lothringen vielfach: so bei Montfaucon und
Beaulieu-en-Argonne; 1301 nötigte Frankreich den Grafen von
Bar-le-Duc zur Errichtung des »Barrois mouvant«. Die Maas
wurde als Grenze des Königreiches Frankreich beansprucht, bis
schließlich in der frühen Neuzeit die Verfechter einer
»historischen« Rechtsposition anstelle der Maasgrenze die
Rheingrenze forderten.
Die zweite Konsequenz der französischen Machtübernahme war,
daß die von den TEDBALDINERN
geschaffene, äußerst fragile Einheit des Fürstentums Champagne
zunehmend dahinschwand. Die früheren Lehnsleute des Grafen-Hauses
unterstanden nun direkt der Krone. König
Johann II. der Gute
errichtete im Jahre 1365 für seine mit Giangaleazzo Visconti verheiratete
Tochter die Grafschaft Vertus (und Rosnay), die bald darauf an die königliche Seitenlinie Orléans überging.
Der Herzog von Burgund erwarb seinerseits die Herrschaften
Bar-sur-Seine, Ile, Villemaur und Chaource. 1384 ererbte der Burgunder
die Grafschaft Rethel. Um Burgund Paroli zu bieten, kaufte der Herzog
von Orléans im Jahre 1400 die Grafschaft Porcien. Zu Beginn des
15. Jh. wurde die Champagne
von den Parteikämpfen der Armagnacs
(Orléans) und Bourguignons zerrissen.
In Troyes ließ der Herzog von Burgund den Vertrag unterzeichnen,
durch welchen Frankreich dem König von England ausgeliefert wurde,
in Reims setzte Jeanne d'Arc 1429
durch die Krönung Karls VII.
die Legitimität der Herrschaftsansprüche des
französischen Königs durch.
Angesichts der monarchischen Zentralisation erlebten alle partikularen
Bestrebungen und Institutionen in der Champagne
rasch ihren Niedergang. Nach den Versammlungen von Provins und Vertus
im Jahre 1358 hörten die Etats
(Stände) der Provinz auf zu tagen. Die Grands Jours von Troyes, die 1296
reorganisiert worden waren und im ehemaligen Grafenschloß ihren
Sitz hatten, wurden 1409 aufgehoben und das Parlement von Paris zum
obersten Gerichtshof für die Streitfälle aus der Champagne
eingesetzt. Anstelle des allgemeinen Gewohnheitsrechtes der Champagne
entwickelten sich Rechte auf der Grundlage der einzelnen Bailliages (Coutumes von Meaux,
Vitry, Troyes, Chaumont), zu denen die Gewohnheitsrechte der
Bischofsstädte Reims, Châlonssur-Marne und Sens hinzutraten.
Bei der Erhebung der aides,
der direkten Steuern, die seit 1355 erfolgte, wurde die
Diözesanorganisation zugrundegelegt; als 1542 die généralité
(Steuerbezirk) von Châlons-sur-Marne geschaffen wurde, blieb die
gesamte Brie, welche der généralité
von Paris zugeschlagen wurde, ausgenommen. Nur die Organisation der
Militärverwaltung, die ab 1417 erkennbar ist, bewahrte, bei nicht
genau festgelegten Grenzen, Strukturen des alten territorialen
Fürstentums der TEDBALDINER.
M. Bur