BLOIS


Lexikon des Mittelalters:
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Blois
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I. Grafschaft und Dynastie im Hochmittelalter:
B
lois (Dép. Loir-et-Cher), das Loiretal beherrschendes Castrum (keine Civitas, erst 1697 Bm.), war merowingische und karolingische Münzstätte und Vorort des pagus Blesensis (Blaisois, Blésois), eines der sechs pagi der Civitas Chartres. Hochma. Siedlungskerne waren Castellum, Kollegiatstift St-Solenne und die Abteien St-Laumer (mit Immunität Le Foix = Fiscus) und Bourg-Moyen. - Von Blois im engeren Sinn zu scheiden ist das »Haus BLOIS-CHAMPAGNE« der TEDBALDINER (THIBAUDIENS), das, ein frühes Beispiel dynastischer Territorial-Politik, von der Bretagne bis Lothringen geherrscht, die Krondomäne bedrohlich umklammert und in burgundisch-deutsche und englische Verhältnisse eingegriffen hat.
Nach Graf Wilhelm von B
lois ( 834), dem Bruder Odos von Orléans, war ein anderer Odo Graf von Angers, Châteaudun und Blois geworden, bevor dessen Verwandter Robert der Tapfere 852 mit der Mark gegen die Bretonen (um Angers) auch Blois als Ausstattung erhielt, es 858 wegen Aufstandes gegen KARL DEN KAHLEN verlor, 861 aber restituiert wurde. Nach seinem Tod 866 fielen die Loire-Grafschaften an den WELFEN Hugo den Abt ( 886), dann aber wieder an Roberts Söhne Odo (888 König) und Robert, der in Blois, wie andernorts, einen Vicomte einsetzte (Guarnegaud, 895-902 nachweisbar).
Robert
hat dann seinem Vasallen Tedbald (»dem Älteren«; auch: Theobald bzw. Thibaut) 908 erstmals als vicecomes von Tours auftretend, die Grafschaft B
lois. übertragen. Ihm wird schon die Wiederherstellung der Abtei St-Laumer in Blois (früher in Corbion bei Chartres) zugeschrieben, und er hat sich durch einen Sieg über die Loire-Normannen im Berry (935) Ansehen im Adel südlich der Loire verschafft.
In beiden Ämtern folgte ihm um 940 Tedbald I. (so die übliche Zählung - man hat lange Tedbald den Älteren und Tedbald I. für eine Person gehalten), in späteren Quellen »Tricator« genannt (daher französisch »Thibaut le Tricheur«), der die Machtstellung eines Hauses begründete, das nicht auf den sagenhaften Ingo (bei Richer von Reims) zurückgeht, sondern mit den burgundo-italienischen HUGONIDEN im Zusammenhang steht. Nach erfolgreichem Kampf für Hugo den Großen in der Francia errang Tedbald 943/944 die Hand der Witwe Wilhelms von Normandie, Ledgard, einer Tochter Heriberts II. ( 943), die ihm Stützpunkte an der unteren Seine (Beauvaisis) brachte und ihn zum Verbündeten der in Meaux, Soissons, dann auch Troyes mächtigen Söhne Heriberts werden ließ. Nach dem Tod Hugos 956 nutzte er die Minorität Hugo Capets, um mit seinem Schwager Fulco dem Guten von Anjou den Loireraum zu beherrschen, die Lehnshoheit über die Grafschaft Rennes zu gewinnen, seinem Bruder Richard das Erzbistum Bourges zu verschaffen (956/957; auf ihn folgte als Erzbischof Tedbalds Sohn Hugo, 969-985) und vor allem sich der Grafschaften Chartres und Châteaudun zu bemächtigen. 962 wurde er im Krieg mit den Normannen bei Ermentrouville vor Rouen geschlagen und verlor seinen gleichnamigen Sohn. In erfolgreicher Klosterpolitik nahm er die nach Burgund geflohenen Mönche von St-Florent-le-Vieil im Castrum Saumur auf und reformierte sie durch einen Abt von Fleury, ebenso wie die Mönche der restituierten Abtei St-Père in Chartres.
Sein Nachfolger Odo I. (975-996) ließ sich Marmoutier vom ROBERTINER verleihen, machte es zur Grablege seines Hauses und führte die cluniazensische Reform ein; Vasallen im weiten Machtbereich von B
lois haben im 11. Jh. Priorate von Marmoutier begründet und beschenkt. Gemeinsam mit Heribert III. von Troyes stützte Odo die Politik des karolingischen Königs Lothar und erhielt dessen Nichte Bertha, Tochter König Konrads von Burgund, zur Frau. Diese Hugo Capet abträgliche Haltung hat den Dynastiewechsel von 987 überdauert: Beim Versuch, 991 dem König Melun zu entreißen, wurde Odo von dessen Feldherrn Burchard von Vendôme besiegt, aber er hat Hugos Königtum nur gegen Abtretung der Grafschaft Dreux anerkannt und ist im Kampf gegen den König und dessen Verbündeten, Graf Fulco Nerra von Anjou, im März 996 gestorben.
Seine Witwe Bertha rief mit Erfolg den Mit-König Robert II. zu Hilfe, der sie nach dem Tod des Vaters (Oktober 996) heiratete. Ihre Söhne Tedbald II. ( 1004) und Odo II. profitierten von der königlichen Gunst, aus der sie durch die den ANJOU nahestehende nächste Gattin Roberts II., Constanze, verdrängt wurden.
Odo II. verlor wichtige Burgen der Touraine an Fulco, von dem er bei Pontlevoy im Jahre 1016 geschlagen wurde, und büßte 1026 sogar Saumur ein. Aber er setzte (nach 1019, vor 1025) seinen Anspruch auf das Erbe des Grafen Stephan von Troyes und Meaux gegen Robert II. durch, unterstützt von Fulbert von Chartres und dessen Freund, Herzog Wilhelm von Aquitanien, Sohn Emmas, der Tochter Tedbalds I. Odo, nun im Besitz der später »Champagne und Brie« genannten Grafschaften, zu denen ein Bündel von Lehns-Grafschaften gehörte, zählte dank der von den Grafen geordneten und beschützten Champagne-Messen zu den reichsten Fürsten Frankreichs. 1032 entriß er dem König Sens und trat das Erbe seines Onkels Rudolf III. von Burgund an, scheiterte aber trotz burgundischer Unterstützung an der übermächtigen Koalition Kaiser KONRADS II. und König Heinrichs I. von Frankreich und verlor überdies Sens an König und Erzbischof. Dennoch ließ er sich auf ein italienisches Thronangebot ein, griff Lothringen an und fiel dabei am 15. November 1037 in der Schlacht bei Bar-le-Duc.
Graf
Stephan, der ihm im Osten folgte, erlitt schwere Einbußen in den Bistümern Reims und Châlons-sur-Marne und mußte die herbertinische Hausabtei St-Médard in Soissons dem König überlassen;
Tedbald III., sein Bruder ( 1089), verlor im Westen die Touraine 1044 an das Haus ANJOU (Angers, Anjou), hat aber die 1048/60 wieder in seiner Hand vereinten Restgebiete konsolidiert und konnte 1081 seinen Sohn Stephan Heinrich mit Adela von England (5. A.), der Tochter Wilhelms des Eroberers, vermählen.
Dieser erhielt nach des Vaters Tod die Grafschaften des Westens und Meaux, während jüngere Brüder, Odo IV. und dann Hugo I., Graf von Troyes wurden. Adela hat für ihren ruhmlos am 1. Kreuzzug teilnehmenden und 1102 im hl. Land gefallenen Gemahl kraftvoll die Regentschaft geführt und Chartres zu einem politischen und kulturellen Zentrum gemacht.
Als Hugo von Troyes, dessen Ehe mit Constanze, der Tochter König Philipps I., geschieden wurde, 1125 in den Templerorden eintrat, fiel die Grafschaft zurück an die durch Adelas Sohn Tedbald IV. (in Champagne: II.) repräsentierte ältere Linie. Als dem Enkel des Eroberers wurde nach dem Tod Heinrichs I. von England zunächst ihm, dann seinem Bruder Stephan die Normandie angetragen, und Stephan wurde König von England (1135-1154), auch wenn er bald in der Normandie Geoffroy von Anjou und dessen Sohn Heinrich II., weichen mußte. Obwohl die Übermacht der ANJOU die KAPETINGER ihren einstigen tedbaldinischen Feinden annäherte, kam es zwischen Ludwig VII. und Tedbald zu bewaffneten Konflikten, in denen der Freund des Grafen, Bernhard von Clairvaux (28. B.), den König scharf verurteilte.
Nach Tedbalds Tod 1152 verlagerte sich erstmals das Schwergewicht des Hauses nach Osten:
Der älteste Sohn Heinrich I. (»le Libéral«) erhielt Troyes und Meaux, Tedbald V. die Grafschaften im Westen als Lehen von Heinrich, Stephan die Grafschaft Sancerre, die Odo II. 1015 erworben hatte. 1160 wurde ihre Schwester Adela mit König Ludwig VII. vermählt, dem sie 1165 den Nachfolger, Philipp II., gebar; 1164 heirateten Heinrich und Tedbald, inzwischen Seneschall des Königs, die Töchter des Königs aus früherer Ehe, Maria (die Dichterin Marie de France, die Troyes zum Hof der Dichtkunst machte) und Adela. Als Heinrichs Bruder Wilhelm 1176 Erzbischof von Reims wurde, erreichte der Einfluß des Hauses BLOIS am Hofe seinen Höhepunkt. Königin Adela ist endlich 1190, während des Kreuzzugs Philipps II., Regentin Frankreichs gewesen. Während die ältere Linie, aus der Heinrich II. 1192 König von Jerusalem wurde, ihre eigenen Wege ging (Champagne), wurde die Rolle der Grafen des Westens immer unbedeutender. Mit dem Enkel Tedbalds V., Tedbald VI., starb dieser Zweig 1218 in direkter Linie aus.
König Ludwig IX. hat schließlich die Lehnshoheit über die Grafschaften Chartres, Châteaudun und B
lois durch Kauf erworben.
Das Haus BLOIS-CHAMPAGNE ist bemerkenswert auch durch die für die Zeit beachtliche »Verwaltung« des »Gesamtstaats« bzw. seiner beiden Hauptteile, die sich auf Vicomtes (auch in B
lois waren solche seit dem Ende des 10. Jh. von den Grafen wieder eingesetzt worden) und, im Osten, auf Kastellaneien stützte, sowie auf amovible »Beamte«, die praepositi (prêvôts), die in Blois und Anjou zuerst aufgetreten sind (schon um 1000). Ohne getreue Großvasallen wie Harduin im 10., Gelduin von Saumur/Chaumont im 11. Jh. und tüchtige Verwalter wie den Seneschall André de Baudement wäre es nicht möglich gewesen, den weitverstreuten Gebieten eine gewisse Kohärenz und den Grafen die Möglichkeit einer weitreichenden, wenn auch nicht immer erfolgreichen Politik zu verschaffen.
K.F. Werner

II. Grafschaft und Stadt im Spätmittelalter:
[1] Grafschaft:
Der Tod Tedbalds (Thibauds) VI., des letzten Grafen, der in männlicher Linie von Tedbald I. abstammte, im Jahre 1218 markiert das Ende der Bedeutung der Grafschaft B
lois. Weder Tedbalds Tante und Erbin Marguerite (oo Gautier d'Avesne) noch deren Tochter Marie (oo Hugues de Chatillon) spielten eine bemerkenswerte politische Rolle.
Unter den Grafen aus dem Hause Chatillon vollzog sich ein allmählicher Niedergang, der sich zum Beispiel am Verkauf der Grafschaft Chartres an König Philipp IV. durch Graf Jean I. ablesen läßt.
Mit dem Verkauf der Grafschaft B
lois an Ludwig von Orléans durch Guy de Chatillon im Jahre 1391 erlosch die Grafschaft als eigenständiges Territorium. Die lange Residenz verschiedener Mitglieder der königlicher Familie (Valentina Visconti, Witwe Ludwigs von Orléans; Charles d'Orléans nach seiner Rückkehr aus der Haft; Ludwig XII. vor seiner Thronbesteigung) auf Schloß Blois erklärt sich aus der Zugehörigkeit von Blois zum Herzogtum Orléans.

[2] Stadt:
Die Ansiedlung am Fuß des Schloßberges umfaßte zwei Siedlungsteile: das Quartier du Foix (Le Foix = Fiscus) zwischen Schloß und Loire, das sich als Immunität der Abtei OSB St-Laumer (heut. Kirche St-Nicolas) entwickelte; die Stadt B
lois im eigentlichen Sinne. Sie band in einem Mauerzug den Bourg St-Jean und den Bourg-Moyen (zwischen dem Bourg St-Jean und dem Quartier du Foix) ein; in letzterem bestand ein bedeutendes augustinisches Kollegiatstift, das 1210 reformiert wurde.
Die Befestigung umschloß auch eine untere Siedlung (ville basse) entlang der Loire und im Talbereich nordöstlich des Schlosses sowie eine obere Siedlung (ville haute) an den Hängen der oberhalb liegenden Hügel. Ein neuer burgus (bourg neuf) entstand am Ende des 12. Jh., außerhalb der Mauern nahe der Porte de Chartres an der Straße in die Beauce. - Weder die Benediktiner von St-Laumer noch die Augustiner von Bourg-Moyen besaßen am Ende des Mittelalters noch größere Ausstrahlungskraft. Bourgmoyen.
G. Devailly