BOUVINES, SCHLACHT VON


Lexikon des Mittelalters:
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Bouvines, Schlacht von (27. Juli 1214)
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Von etwa 1212 an leitete Johann Ohneland, König von England, eine neue Phase im Krieg mit Frankreich ein, um den verlorengegangenen Kontinentalbesitz des Hauses ANJOU (Angevinisches Reich) zurückzugewinnen. Er erneuerte unter Einsatz erheblicher Geldmittel frühere Bündnisabsprachen mit den niederländischen und rheinischen Fürsten und reaktivierte seine Allianz mit Kaiser OTTO IV. Der WELFE wollte in Philipp II. August, König von Frankreich, zugleich den STAUFER FRIEDRICH II. bekämpfen, seinen Gegen-König, der ein Bündnis mit dem KAPETINGER schloß. Die angevinisch-welfische Planung sah vor, daß Johann Ohneland in West-Frankreich gegnerische Kräfte band, OTTO IV. aber vom Nordosten aus den Hauptschlag gegen die Île de France führte. Angeblich wollten die Verbündeten das französische Regnum aufteilen. Der englische König landete im Februar 1214 im Poitou und gewann etliche feste Plätze, mußte aber Anfang Juli auf La Rochelle zurückweichen und stellte für die Franzosen keine Bedrohung mehr dar. Erst drei Wochen später vereinigte OTTO IV. bei Valenciennes seine (zumeist nordwestdeutschen) Truppen mit denen der verbündeten Fürsten und einem englischen Hilfscorps unter Graf Wilhelm von Salisbury. Die Koalitionsarmee war wohl zahlenmäßig den Franzosen überlegen, deren Heer von Verbruggen auf etwa 1.200 Ritter, ebensoviele leichte Reiter und 4.000-5.000 Fußsoldaten geschätzt wird. Die Verbündeten wollten voll Siegeszuversicht dem bei Tournai stehenden Heer Philipps II. den Rückweg nach Paris abschneiden. Darüber kam es an der Brücke über die Marcq bei Bouvines (heute Dép. Nord, zwischen Lille und Valenciennes) zur Schlacht, welche die Franzosen in ungünstiger Position, aber von einer Art Kreuzzugsstimmung erfüllt (»nos autem christiani sumus«, Wilhelm der Bretone), annahmen. Die Schlacht, bei welcher der Leiter der königlichen Kanzlei, Guérin, anscheinend eine entscheidende Rolle spielte, begann, bevor alle kaiserlichen Kontingente eingetroffen waren, am frühen Nachmittag und dauerte etwa drei Stunden. Eine Reihe von Einzelaktionen läßt sich erkennen. Die am linken Flügel der Verbündeten stehenden Flamen wurden nach tapferer Gegenwehr geschlagen, wobei der Verrat des Herzogs von Brabant eine Rolle gespielt haben mag. Der Graf von Flandern geriet in Gefangenschaft. Im Zentrum durchbrach die kaiserliche Reiterei die französische Linie. Philipp II. und OTTO IV. stritten hier im dichtesten Kampfgewühl. Beide stürzten vom Pferd und wurden nur durch den Einsatz ihrer Leibgarde gerettet. Nach hartem Kampf behielten die Franzosen, denen von ihrer linken Flanke her Verstärkung zugeführt wurde, die Oberhand. Der Kaiser suchte sein Heil in der Flucht und entkam mit Mühe nach Valenciennes. Schließlich wankte auch der rechte Flügel der Verbündeten. Mit der Gefangennahme der dort kommandierenden Grafen von Salisbury und Boulogne war die Schlacht endgültig zugunsten der französischen Waffen entschieden. An dem Erfolg Philipps II. hatten neben der feudalen oder im Solddienst stehenden Ritterschaft, die in ihrer Geschlossenheit den Ausschlag gab, auch Bürgermilizen aus 16 Kommunen einen gewissen (aber nicht, wie man früher meinte, den entscheidenden) Anteil. Der französische König verfolgte den Gegner nicht, sondern ging nach Paris, um mit Adel und Volk den Triumph zu feiern, wobei sich vor allem die Studenten der Universität sieben Nächte lang hervortaten. Aber auch in den anderen Landesteilen weckte der Sieg von Bouvines ein hohes Maß an patriotischer Begeisterung. Die französische Monarchie erhob sich über ihre Kronvasallen und beschritt den Weg zum modernen Staat. Der englisch-französische Krieg war entschieden (Chinon, Waffenstillstand von; Paris, Friede von), die Stellung Johanns Ohneland gegenüber seinem Adel entscheidend geschwächt (Magna Carta). Der deutsche Thronstreit war faktisch zu Ende, weil OTTO IV. fast alle Anhänger verlor. Der französische König sandte den bei Bouvines erbeuteten Reichsadler, dessen Schwingen gebrochen waren, an FRIEDRICH II. Der Chronist vom Petersberg bei Halle urteilte: »Seit jener Zeit wurde der Name der Deutschen bei den Galliern mißachtet.« In der Tat erwies sich, daß die französische Zentralgewalt einen Vorsprung gewonnen hatte, den die deutsche nicht mehr einholen konnte.
K. Schnith