Begraben: Kirche St-Fursy/Peronne
Einziger und nachgeborener Sohn des Königs
Ludwig II. der Stammler von Frankreich aus seiner 2. Ehe mit der
Adelheid,
Tochter von Graf Adalhard
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 966
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Karl III. der Einfältige, westfränkischer König
893/98-923
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* 17. September 879, + 7. Oktober 929
Peronne
Begraben: St-Fursy/Peronne
Als Postumus nach Ludwigs II.
Tode aus dessen in ihrer Legitimität angefochtenen zweiten
Ehe wurde Karl der Einfältige
bei den Nachfolgeregelungen im westfränkischen Reich 879-888 übergangen.
Gegen den robertinischen König
Odo wählte eine Adelspartei um Erzbischof Fulco von Reims
und Graf Heribert I. Karl den Einfältigen
am 28. Januar 893 (Todestag KARLS DES GROSSEN)
in Reims zum König. Trotz zeitweiliger Anerkennung durch
ARNULF VON KÄRNTEN konnte sich Karl
III. erst nach Odos Tod
898 durchsetzen. Die Herrschaftskontinuität blieb durch Übernahme
von Odos Kanzler Heriveus gewahrt,
aber Karl der Einfältige mußte
eine erhebliche Schmälerung königlicher Macht hinnehmen. Wichtige
königliche Güter waren an Odos
Bruder, Robert von Neustrien,
gelangt; in den regna übte Karl der
Einfältige nur noch über Stellvertreter,
vornehme Adlige, die als marchiones über die Grafschaften traten (Neustrien,
Burgund, Aquitanien, Lotharingien), Herrschaft aus. In dieses, das Reich
stabilisierende Miteinander von König und Fürsten konnte 911
auch ein Normannenverband unter Rollo integriert werden.
Einen Ersatz für den Machtverlust schien Karl
der Einfältige in Lotharingien, der karolingischen
Stammlandschaft, zu finden. Nach erstem Scheitern 898 gelang 911, beim
Tod des letzten ostfränkischen KAROLINGERS,
Ludwig
IV., die Eroberung, gesichert durch enge Bindungen zum lothringischen
Adel. Als jetzt einziger karolingischer
König griff Karl III. der Einfältige
gezielt
auf die legitimierende Kraft fränkischer Tradition zurück. Seite
dem Erwerb Lotharingiens nannte er sich wie die frühen
KAROLINGER
in den Urkunden 'rex Francorum' und 'vir illuster' und ahmte Monogramm
und Siegel KARLS DES GROSSEN und KARLS
DES KAHLEN nach. Der übersteigerte Anspruch auf Herrschaft
über alle Franken, wenn auch real auf die Francia zwischen Rhein und
Seine reduziert, und die ezielte Förderung des Lothringers Hagano
auf Kosten des hohen Adels lösten das konsensuale Miteinander von
König und Fürstenauf. Selbst ein im Vertrag von Bonn 921 erzielter
Ausgleich mit dem ostfränkischen König
HEINRICH I. vermochte Karl nicht
mehr in Franzien zu stützen. Der seit 920 ausbrechende Widerstand
führte zur Königswahl Roberts (I.) von
Neustrien (20. Juni 922). Auch Roberts
Tod in der Schlacht von Soissons (15. Juni 923) rettete Karl
den Einfältigen nicht mehr; nach
der Krönung von Roberts
Schwager Rudolf von Burgund (13.
Juli 923) geriet Karl der Einfältige
in Gefangenschaft Heriberts II. von Vermandois, in der er starb. Nur die
Flucht seiner zweiten Gattin Edgiva
mit dem Sohn Ludwig
IV. nach England sicherte den Fortbestand der karolingischen
Familie.
Das Scheitern fand seinen Reflex in (späteren) Benennungen 'simplex'
oder 'stultus'. Gleichwohl muß
Karl
der Einfältige als Bewahrer fränkisch-karolingischer
Tradition für das westfränkisch-französische Königtum
gelten.
Literatur:
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HEG I, 735-745 - A. Eckel, Charles le Simple, 1899 -
Recueil des actes de Charles III le Simple ..., ed. P. Lauer, 1940-1949
[dazu J. de Font-Reaulx, Ann. Univ. Grenoble, sect. lettr.-droit 19, 1943,
29-43] - E. Hlawitschka, Lotharingien und das Reich an der Schwelle der
dt. Gesch., 1968 - H. Wolfram, Intitulatio II, 1973, 115ff. - B. Schneidmüller,
Die 'Einfältigkeit' K.s III. v. Westfranken als frühma. Herrschertugend
SchZG 28, 1978, 62-66 - Ders., Karol. Tradition und frühes frz. Kgtm.,
1979, 121-138 - J. Ehlers, Die Anfänge der frz. Gesch., HZ 240, 1985,
1-44 - E. Freise, Die 'Genealogia Arnulfi comitis' des Priesters Witger,
FMASt 23, 1989, 203-243 - K. F. Werner, Die Ursprünge Frankreichs
bis zum Jahr 1000, 1989, 475ff. - NDB XI, 184-188. -
V. Generation
38
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Zu den Regierungsjahren Karls
III. in seinen verschiedenen Teilreichen
vgl. die Ausgabe seiner Urkunden durch Ph. Lauer, Recueil des actes de
Charles III le Simple, roi de France, Paris 1940-1949, S. LXXXIVff.
Von Karls
erster Gemahlin wußte schon Brandenburg V,26, daß sie die Schwester
Bischof Bovos von Chalons war. Wir verdanken K.A. Eckhardt, Genealogische
Funde zur allgemeinden Geschichte ²1963, den meines Erachtens schlüssigen
Nachweis, daß Friderun
eine Tochter des Grafen Theodericus/Dietrich und eine Schwester der Mathilde
war,
der zweiten Gattin HEINRICHS I (ebd.
24-29), eine Erkenntnis, die auch für das Verständnis der politischen
Geschichte zu Beginn des 10. Jahrhunderts von großer Bedeutung ist.
Das Todesdatum der Friderun
zitiert Eckhardt nach dem alten genealogischen
Werk des Pere Anselme (ebd. 27); es ist uns in den Diplomen ihres
Gemahls, Karls III.,
vielfach bezeugt, vgl. nr. 87, 917 II 14 als Terminus ante, nr. 94 für
den Todestag, II 10. Das Datum der Eheschließung ergibt sich aus
nr. 56, 907 IV 19 unmittelbar nach der Hochzeit ausgestelt. In ihrer zehnjährigen
Ehe schenkte Frederun dem
Gemahl sechs Töchter (siehe unten VI,41-46), aber keinen Nachfolger.
Karls Sohn Ludwig
IV. stammt aus
Karls zweiter Ehe mit der angelsächsischen
Prinzessin Eadgifu/Ogiva,
und ebendarum konnte dieser sich mit Gerberga,
der Tochter HEINRICHS I. und
der Mathilde,
ohne verbotenen Verwandtschaftsgrad vermählen, denn er war mit der
ersten Gattin seines Vaters, Frederun,
nicht blutsverwandt. - Zur Wegnahme von ND de Laon und des Fiskus Attigny,
den Ogiva
innehatte, weil er dem abgesetzten Gatten,
Karl III., von König
Rudolf als Alterssitz verliehen worden
war, durch ihren Sohn Ludwig IV.,
als Ogiva
951 den Grafen Heribert heiratete, siehe Flodoard, Ann 951, Lauer 132.
Schneidmüller, Bernd: Seite 23-35
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"Karl III. der Einfältige"
in Ehlers/Müller/Schneidmüller "Die französischen Könige des Mittelalters"
KARL III. ("DER EINFÄLTIGE")
893/98-923/29
Karl III.
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geb. 17.9.879; + 7.10.929
Peronne
Bestattung in St-Fursy/Peronne
Eltern: König Ludwig II. "der Stammler" (877-879)
und Adelheid
Halbbrüder: König Ludwig III. (879-882)
und König Karlmann (879-884)
Eheschließungen und Kinder:
1.) 907 Frederun, sächsische Adlige (+ 10.2.916/17)
6 Töchter
2. ) 917-919 Eadgifu/Otgiva, Tochter König
Edwards I. von Wessex (zuletzt erwähnt 951 bei 2. Eheschließung
mit
Graf Heribert III. von Vermandois)
1 Sohn (König Ludwig IV., geb. 920/21, König 936-954)
28.1.893 Königswahl, Salbung und Krönung
in Reims
Januar 898 Nach dem Tod König
Odos allgemeine Anerkennung als König im westfränkischen
Reich, erster
(erfolgloser) Eroberungszug nach Lotharingien
911 Vertrag und Landzuweisung an die Normannen unter
Rollo; Erwerb Lotharingiens
seit 920/21 Spannungen im Verhältnis mit dem
westfränkischen Adel
7.11.921 Vertrag mit König
HEINRICH I. von O-Franken bei Bonn
922 Kämpfe mit dem westfränkischen Adel
29.6.922 Wahl Roberts I. (von
Neustrien) in Reims zum König
15.6.923 Schlacht bei Soissons, Niederlage Karls
III., Tod König Roberts I.
13.7.923 Wahl Rudolfs von Burgund
zum König
Ende 923 (?) Gefangennahme Karls
III. durch Graf Heribert II. von Vermandois, Einkerkerung in
Chateau-Thierry. Flucht der Gattin und des Sohnes nach England
928 Zeitweilige Freilassung. Erneute Einkerkerung
in Peronne.
Karl III. ("der Einfältige")
ist
vielleicht der einzige mittelalterliche Herrscher, der sein Königtum
mehrfach gewann und verlor. Seine Regierungsjahre können darum kaum
eindeutig angegeben werden, Zeichen für eine Herrschaft in Wandel
und Krise, eine Herrschaft, der zwar lange Dauer, jedoch keine Selbstverständlichkeit
beschieden war. Im Zerfall überkommener Legitimations-, Denk- und
Handlungsmuster trat die wenn auch von den Umständen erzwungene Konzentration
politischen Handelns auf den Westen und die Mitte des ehemaligen fränkischen
Großreichs ebenso zutage wie das Festhalten an karolingischen Traditionen.
Dass die fränkisch-karolingische
Prägung dem mittelalterlichen Frankreich überliefert wurde, ist
zu einem guten Teil Karls Königtum
und Herrschaftsverständnis zuzurechnen, das darum nicht allein aus
seinem schließlichen Scheitern zu begreifen ist.
Den Nachgeborenen galt Karl
als simplex, als einfältig (französisch "Charles
le Simple"), und das hat sein Bild in der Geschichte geprägt.
Doch die Handlungsspielräume des Königtums an der Wende vom 9.
zum 10. Jahrhundert waren begrenzt: In seiner durchaus stringent angelegten
Politik blieb der karolingische König
in einen rapiden Wandel eingebunden, der die politischen Gewichte noch
weiter zugunsten des Adels verschob und zur hierarchischen Gliederung der
aristokratischen Gesellschaft wie zur Neuformierung von Reich und Herrschaft
führte. Hinzu traten der endgültige Zerfall der überlebten
Einheit der fränkischen Volkes und Reiches wie die anhaltende Bedrohung
durch Normannen und Ungarn. Bei dem Versuch einer Würdigung von Leben
und Handeln Karls sind besonders diese
Rahmenbedingungen zu bedenken. Aus ihnen lassen sich nämlich das konsequente
Legitimationsdenken und die Betonung der karolingischen Tradition erklären.
Legitimation der Herkunft
Zweimal wurde Karl
bei der Thronfolge im westfränkischen Reich übergangen, zweimal
wurde er zum Herrscher erhoben, zweimal wurde ihn aus den Reihen des Adels
ein "Gegen"-König gewählt, mindestens zweimal wurde Karl
eingekerkert. Diese Hinweise markieren Turbulenzen in einem Herrscherleben,
das von Anfang an nicht gewöhnlich verlief.
Karl wurde erst nach
dem Tod des Vaters geboren (daher der Beiname postumus, der Nachgeborene).
Dass wir
Karls Geburtstag, den 17.
September 879, aus einer Erwähnung in einer Königsurkunde (vom
28. Mai 917 für St-Denis) kennen, ist eher eine Ausnahme in jener
Zeit, für die der Todestag den Eintritt in die Ewigkeit und damit
die eigentliche "Geburt" des Christen markierte.
Karls Vater, der
KAROLINGER
Ludwig
II. ("der Stammler"), starb am 10. April 879 in Compiegne, seine
Nachfolge war schwierig. Seit Jahrzehnten schon besaßen mächtige
Adelsverbände Anteil an der Herrschaft im westfränkischen Reich
und entschieden folglich auch bei den Nachfolgeregelungen im Königtum
mit. Nach der zeitweiligen Ausschaltung der mächtigen ROBERTINER
866 ragten zwei Gruppierungen hervor, die westfränkischen WELFEN
unter Hugo Abbas und die RORGONIDEN unter Gauzlin. Diese beiden adligen
Herren vereinigten mehrere Grafschaften und geistliche Herrschaftsrechte
über Klöster und Bischofskirchen in ihren Händen.
KARL II. ("DER KAHLE", 843-877),
der Vater Ludwigs II., hatte seinem
durch Krankheitsschübe wiederholt in den Regierungsgeschäften
behinderten Sohn bewußt adlige Begleiter an die Seite gestellt. Sie
gewannen erheblichen Einfluß auf Ludwigs
kurzes Königtum (877-879) und entschieden über die Nachfolge,
die durch zwei Ehen des Königs kompliziert war.
Zur Anwendung kam das seit Jahrhunderten praktizierte
Thronfolgerecht der merowingischen
und karolingischen Könige, deren
Reich unter alle in legitimer Ehe gezeugten regierungsfähigen Söhne
aufgeteilt wurde. Legitimität der Ehe und Regierungsfähigkeit
(Idoneität) der Söhne wurden aber 879 kontrovers diskutiert.
Ludwig hatte nämlich
seine erste Gattin Ansgard, die ihm
die beiden Söhen Ludwig und Karlmann
geboren hatte, auf Geheiß des Vaters verstoßen und in den 70-er
Jahren des 9. Jahrhunderts zu Lebzeiten der ersten Gemahlin Karls
Mutter Adelheid
geheiratet,
deren Herkunft aus einer bedeutenden Familie des westfränkischen Reiches
inzwischen wahrscheinlich gemacht werden konnte.
Nach kirchlichem Eherecht ergaben sich darum Probleme,
da nur eine Eheschließung gültig und allein die Nachkommenschaft
aus dieser Verbindung legitim sein konnte. 869 erst hatte das konsequente
Beharren der westfränkischen Bischöfe auf diesem Prinzip zum
Ende des Königtums im lotharingischen Mittelreich geführt, als
König
Lothar II. die Legitimität einer "zweiten" Ehe zu Lebzeiten
der 1. Gemahlin nicht plausibel zu machen vermochte. In W-Franken entschied
man 10 Jahre später nicht konsequent nach kirchenrechtlichen Kriterien,
sondern pragmatisch, wenn auch keineswegs einhellig. Gauzlin als Haupt
der RORGONIDEN suchte den Kontakt mit den
ostfränkischen KAROLINGERN,
Hugo Abbas als Haupt der WELFEN setzte
schließlich im September 879 die Nachfolge der Söhne Ludwigs
II. aus seiner ersten Verbindung mit Ansgard
durch. Eine Teilung des westfränkischen Reichs unter
Ludwig
III. (879-882) und Karlmann (879-884)
im März 880 in Amiens eröffnete die Möglichkeit einer Scheidung
der welfischen und rorgonidischen Einflußzonen.
Die Niederkunft Königin
Adelheids mit Karl, dem
man den Namen der berühmten
karolingischen
Kaiser gab, gewann keine Bedeutung, schien doch durch die Krönung
der älteren Söhne ohnehin die Gültigkeit der zweiten Verbindung
in Zweifel zu stehen. Der über fünf Monate nach dem Tod seines
Vaters geborene Karl ging darum 879
ebenso leer aus wie bei der Nachfolge seiner früh verstorbenen Halbbrüder
Ludwig III. und Karlmann
882 und 884.
Auf Karl setzte eine
westfränkische Adelspartei erst viele Jahre später, Zeugnis für
die Relativität von Rechtsansprüchen angesichts politischer Zwänge.
Karls Gegner mochten ihm seine "illegitime" Geburt als "Bastard"
vorwerfen; spätere Genealogen betonten seine Herkunft aus der Verbindung
seines Vaters mit einer "Königin", während die älteren Halbbrüder
mit einer sogenannten Königin oder gar einer Konkubine gezeugt worden
seien. So entschied die Geschichte schließlich über die Rechtmäßigkeit
königlicher Herkunft, die dem Kind im Jahr der Geburt wie auch 884/85
bestritten worden war. Damals lud der westfränkische Adel wegen des
"Fehlens" eines eigenen Königskandidaten den ostfränkischen
KAROLINGER
KARL III. ("DEN DICKEN"), gestorben 888), zur Übernahme
der Herrschaft im Westen ein.
Das fränkische Großreich war so fast vollständig
wieder unter einem Kaiser vereint. Seine Regierungszeit legte angesichts
äußerer Gefahren und mangelnder Integrationsfähigkeit der
zunehmend selbständig werdenden Teile freilich die Grenzen politischer
Raumerfassung und effektiver Herrschaft schonungslos bloß. Das wiederholte
Versagen des kranken Kaisers bei der Normannenabwehr machte den Zeitgenossen
die Notwendigkeit einer Regionalisierung der Reichsverteidigung auf die
Fürstentümer deutlich und prägte politische Legitimität
um. Zum Königtum schien man nicht mehr allein durch bloße Geburt
aus karolingischer Familie berechtigt zu sein, nötig war vielmehr
effektives Regierungshandeln.
Beim endgültigen Zerfall des fränkischen Großreichs
888, ausgelöst durch den "Staatsstreich" des illegitimen ostfränkischen
KAROLINGERS
ARNULF VON KÄRNTEN gegen seinen kaiserlichen Onkel KARL
DEN DICKEN 887, erhoben adlige Herren der fränkischen Teilreiche
mit Ausnahme O-Frankens Könige aus ihren Reichen, die ihre Tatkraft
unter Beweis gestellt hatten und an Macht ihren Standesgenossen wenig überlegen
waren. Wie schon 884/85 schien dem westfränkischen Adel der nunmahr
8-jährige Karl 887/88 den Herausforderungen
des Königtums nicht gewachsen. Eine solche karolingische
Kandidatur wurde ganz offensichtlich nicht diskutiert, wie überhaupt
über Karls Schicksal in diesen
Jahren der Kindheit nur Unsicheres bekannt ist. So setzte sich im ROBERTINER
Odo (888-898) erstmals ein Nicht-KAROLINGER
im westfränkischen Reich durch.
Einen ernsthaften Gegner mochte Odo
in Karl nicht erblickt haben, über
dessen Verbleib wir 889 endlich sichere Kunde erhalten. Als Odo
nämlich im Zuge der Festigung seines Königtums nach Aquitanien
reiste, traf er dort Graf Ramnulf II. von Poitiers, an dessen Hof sich
Karl
aufhielt. Ramnulf schwor seinem neuen König Treue und sicherte ihm
zu, dass er von dem Knaben nichts befürchten habe.
Legitimation der Königswahl
Das unglückliche Verhalten Odos
bei der Normannabwehr, sein Versuch, auf Kosten adliger Interessen die
königliche Stellung in Aquitanien auszuweiten, und die gezielte Beförderung
seines Bruders Robert führten
geistliche und adlige Herren zusammen, die dem robertinischen
Königtum feindlich gegenüberstanden. Zu ihnen zählten neben
Erzbischof Fulco von Reims die vor allem im NO der Francia begüterten
Grafen Heribert und Pippin, selbst aus karolingischer
Familie stammend, der ebensfalls mit dem karolingischen
Haus
verwandte Bischof Anskerik von Paris und die Söhne des Grafen Gauzlin
von Maine. Auf einer Reimser Synode wählten sie am 28. Januar 893
den jetzt 13-jährigen Karl
zum
König. Die Situation war durchaus günstig, der Erhebungsakt sorgfältig
inszeniert. Den jungen KAROLINGER setzte
man auf den "väterlichen Thron", ein Akt, der Odos
Königtum
als Usurpation verwarf. Gezielt hatte man dafür den Todestag KARLS
DES GROSSEN gewählt, den man fast überall im Frankenreich
liturgisch feierte. Seinem gleichnamigen Ururgroßenkel sollte dieser
Rückbezug legitimierende Kraft verleihen, und von daher gewinnt die
wiederholt zu beobachtende Orientierung an karolingischen
Vorbildern durch KARL III. bereits
für den Erhebungsakt ihre Bedeutung. Durch Weihe und Krönung
unterstrich Erzbischof Fulco von Reims zudem den Reimser Anspruch auf das
888 vom Erzbischof von Sens ausgeübte Recht, den westfränkischen
König zu krönen.
Ebenso rasch, wie der Reimser Oberhirte Anhänger
für seinen Kandidaten zu gewinnen suchte, wollte die karolingische
Partei die Entscheidung mit den Waffen erzwingen, doch vermochte sich Odo
in Aquitanien zu behaupten und im Sommer sogar nach N vorzustossen. Da
die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht über die Rechtmäßigkeit
des Königtums entschieden, propagierte Fulco mit diplomatischem Geschick
das karolingische Erbrecht Karls in Briefen an Papst Formosus, an den ostfränkischen
KAROLINGER-König
ARNULF und an den italienischen Kaiser
WIDO.
Odo und Karl
erkannten
durch wiederholte Hilfegesuche die Schiedsrichterrolle
ARNULFS
durchaus an und empfingen von ihm gerne bestätigende Zeichen
ihrer Macht. Freilich ließ ARNULF,
indem er zunächst
Karl, dann Odo
akzeptierte,
letzte Konsequenz vermissen. Das wechselnde Kriegsglück begünstigte
zwar Odo, ließ ihn aber nicht
zum strahlenden Sieger werden. Die politische Ausweglosigkeit war jedenfalls
nicht durch ostfränkische Parteinahmen zu überwinden, die allenfalls
als zusätzliche Festigung der Ansprüche auf das Königtum
seitens des KAROLINGERS oder des ROBERTINERS
ins Feld geführt wurden. Deutlich tritt darum die zunehmende Autonomie
des westfränkischen Reiches, seine endgültige Lösung aus
dem fränkischen Großreichsverband zutage.
Immerhin fand Karl in
politisch auswegloser Lage Rückhalt im ehemaligen lotharingischen
Mittelreich als der karolingischen Stammlandschaft schlechthin, dem ARNULF
im Unterkönigtum seines Sohnes
Zwentibold
die Eigenständigkeit bewahrt hatte. Damals kamen erste
persönliche Bindungen zu Adelsverbänden zustande, die später
für Karls Königtum bedeutsam
werden sollten. Aus der Memorialüberlieferung des Klosters Remiremont
wissen wir, dass sich dort im Februar 896 Karl
III. und Fulco von Reims mit führende Herren anderer fränkischer
Reiche trafen, darunter der italienische Kaiser
LAMBERT VON SPOLETO und König
Rudolf I. von Hochburgund.
Doch solche Kontakte vermochten nicht zu vertuschen,
dass Karl
im westfränkischen Reich
nicht über den nötigen Rückhalt verfügte, gegen
Odo zunehmend in die Defensive geriet und seine letzten Anhänger
mehr und mehr verlor. Um so erstaunlicher mutet ein Abkommen der beiden
Rivalen über das Königtum von 897 an, in dem Odos
Vorherrschaft
zwar akzeptiert, Karl
aber ein Landgebiet
um Laon und vor allem die Aussicht auf die alleinige Königswürde
nach Odos Tod zugewiesen wurde. Zu
dieser Zeit besaß Odo keinen
männlichen Nachkommen mehr, und sein Bruder, der marchio
Robert von Neustrien, durfte sich anscheinend keine Hoffnung
auf die Nachfolge im Königtum, wohl aber auf die Erbschaft der reichen
robertinischen
Güter und Rechte machen.
Odo hielt sich an
diese Abmachung und empfahl seinen Anhängern vor seinem Tod im Januar
898 Karl als König, der seinerseits
die bestehende robertinische Macht
im Reich akzeptierte. Der 5-jährige Streit um den westfränkischen
Thron war damit zugunsten des Schwächeren entschieden, der den Erfolg
sogleich zur Erweiterung der traditionsbezogenen Legitimität seiner
Herrschaft nutzte.
Legitimation der "Unordnung"
Die Durchsetzung eines allgemein akzeptierten karolingischen
Königtums
in W-Franken konnte nicht über den tiefgreifenden Wandel königlicher
Herrschaft hinwegtäuschen. Immer deutlicher trat im Laufe des 9. Jahrhunderts
der adlige Anspruch auf Teilhabe an den Regierungsgeschäften hervor,
immer klarer wurden die Möglichkeiten der Monarchie, auf alle Regionen
des Reiches zuzugreifen, eingeschränkt. Karl
III. hatte seine Königswahl einer Adelsgruppierung in N-Frankreich
verdankt, und er erkaufte seine unangefochtene Herrschaft seit 898 schließlich
mit der Anerkennung der Machtpositionen seines ärgsten Rivalen Robert
vor
allem in Neustrien, im Gebiet zwischen Seine und Loire. Schon König
Odo hatte Roberts Stellung
durch einen neuen Titel, den eines marchio (Markgrafen), zum Ausdruck gebracht,
und Karl
griff diese Würde in
seinen Urkunden auf.
Damit kam zum Ausdruck, dass in den einzelnen Landschaften
des westfränkischen Reiches, in Neustrien zuerst, dann in Aquitanien
und in Burgund, schließlich seit 911 in Lotharingien, Adlige über
ihre gräfliche Standesgruppe hinaus - und in ein besonderes Verhältnis
zum König eintraten. Der Herrscher wurde zwar im ganzen Reich von
Flandern bis in den Pyrenäenraum formal als oberster Herr anerkannt,
blieb aber in seiner wirklichen Herrschaft ganz auf sein Königsgut
in der Francia, in N-Frankreich zwischen Loire oder Seine und der Reichsgrenze
nach Osten, beschränkt. Den direkten Bezug sowohl zum größeren
Teil seines Reiches als auch zur Masse des Adels in den verschiedenen regna
des westfränkischen Reiches hatte der König verloren. Er herrschte
nur noch in der Francia, nicht mehr in den anderen regna Burgund, Aquitanien,
Gothien und Gascogne, zu denen noch die Bretagne, die Normandie und Flandern
traten. Diese regna - der Begriff ist nur unvollkommen mit "Königreiche"
zu übersetzen - bildeten bis ins hohe Mittelalter die Bausteine des
westfränkischen Reiches und führten für Jahrzehnte, bisweilen
für Jahrhunderte ein Eigenleben fern monarchischer Einflußnahme.
Eine solche politische Realität an der Wende vom
9. zum 10. Jahrhundert verleitete die ältere Geschichtsschreibung,
die mit der Idee vom organisierten Lehnswesen mit festen Hierarchien und
königlicher Spitze auf die staatliche Ordnung schaute, zur Feststellung
einer "feudalen Anarchie", einer "Unordnung" im Staat auf Grund adliger
Eigenexistenz. Wir wissen heute besser, dass gerade die Vielfalt adliger
Herrschaft und ihre Akzeptanz durch den König wie auch die Schichtung
der adligen Gesellschaft in marchiones (Markgrafen) und deren gräfliche
Vasallen die öffentliche Ordnung bewahrten und stabilisierten. Freilich
wurde diese Ordnung nicht von einer zentralen Königsgewalt, sondern
nur vom Mit- und gelegentlich Gegeneinander königlicher und adliger
Herrschaft gewährleistet.
Karl akzeptierte
die ohnehin eingetretene Über- und Unterordnung in der Adelsgesellschaft
und brachte das in der Bezeichnung einzelner mächtiger Herrschaftsträger
in den regna seines Reiches als marchiones zum Ausdruck, wobei der "Markgrafen"-
noch lange mit dem Grafentitel(comes) konkurrierte (Robert
von Neustrien, Wilhelm I. von Aquitanien, Richard von Burgund,
nach 911 Reginar [Lotharingien]). Doch wird man sich hüten, hier sogleich
ein grundlegend neues Verfassungssystem im Sinne eines Dualismus von König
und marchiones zu erblicken; dafür sind unsere Quellen zu dürftig.
Feststellen können wir allerdings das Bemühen von Königtum
und Adel, dem eingetretenen Wandel der politischen Verhältnisse durch
neue "Namen" und Verhaltensmuster Rechnung zu tragen.
Der König hatte den größten Teil des
älteren reichen
karolingischen
Krongutes eingebüßt und blieb auf bescheidene Ländereien
in der Francia wie auch seine Herrschaftsrechte über Teile der Kirche
beschänkt. Besonders häufig hielt sich Karl
in
Laon, Compiegne, Attigny, Verberie und Ponthion auf. Aber ihm verblieb
sein monarchischer Anspruch als oberster Herr im Reich mit seinen regna
und zunächst auch noch die Kraft, die vermeintliche "Unordnung" im
Verfassungswandel mitzugestalten und damit zu legitimieren.
Legitimation der Herrschaft
Anfang 898 konnte Karl III. auf
seinem Reimser Hoftag die allgemeine Anerkennung seines Königtums
feiern. Von Odo hatte er dessen Kanzler
Heriveus übernommen und damit die Kontinuität der Reichsverwaltung
gewährleistet. In der Urkundenausstellung spiegelte sich in besonderem
Maß das traditionsbezogene Selbstverständnis des
karolingischen Herrschers, der sich in seinen Diplomen wiederholt
auf berühmte karolingische Vorfahren
wie Pippin,
KARL
DEM GROSSEN und LUDWIG DEN FROMMEN
bezog. Sein Monogramm näherte sich dem KARLS
DES GROSSEN und KARLS DES KAHLEN
an, seine Regierungsjahre wurden seit 898 nicht nur von der Wahl von 893
an, sondern auch von der Wiedererlangung des allgemeinen Königtums
im Januar 898 gezählt.
Zur Durchsetzung im westfränkischen Reich trat sogleich
der Versuch äußerer Expansion. Von seinem Verwandten, dem lotharingischen
Grafen Reginar Langhals, gerufen, zog Karl 898
gegen König Zwentibold nach Aachen
und Nimwegen, vermochte aber Lotharingien noch nicht unter seine Gewalt
zu bringen. Dafür sicherte er seinen Einfluß auf den wichtigsten
erzbischöflichen Sitz im westfränkischen Reich, als er nach der
Ermordung Fulcos von Reims den Kanzler Heriveus als Nachfolger durchsetzen
konnte, der ihm bis zum Tod (922) ergeben bieb. Die unter Heriveus' Vorsitz
tagende Provinzialsynode in Trosly formulierte 909 nicht nur Reformideen
in der Tradition der westfränkischen Synoden des 9. Jahrhundert, sondern
forderte auch den Gehorsam gegenüber dem König, der wiederholt
Herrschaftsrechte über Bischofskirchen geltend machte (zum Beispiel
beim Streit um die Besetzung des Bistums Lüttich 920/21).
Über Karls Herrschaft
bis 911 ist wenig bekannt. Erst 907 heiratete der letzte westfränkische
KAROLINGER-Sproß Frederun,
eine Dame aus vornehmen sächsischen Adel (gestorben 10. Februar 916/17;
verwandt mit der späteren ostfränkischen
Königin Mathilde), die ihrem Mann 6 Töchter zur Welt
brachte. Wie die Ereignisse im ostfränkischen Reich beim Tod des letzten
KAROLINGERS
Ludwig (dem Kind) 911 gezeigt hatten, bedeutete das Fehlen eines
Thronfolgers eine ernste Bedrohung für Königtum und Familie;
seit 911 war
Karl schließlich
der einzige verbliebene karolingische Herrscher.
Sprößlinge aus einer Verbindung mit einer Konkubine vermochten
die Nachfolge im Königsamt nicht zu gewährleisten, und so mußte
das königliche Haus alle Hoffnung auf die zwischen 917 und 919 geschlossene
zweite Ehe des etwa 40-jährigen Königs mit der Angelsächsin
Eadgifu/Otgiva
setzen, der Tochter König Edwards I. von
Wessex. Sie brachte 910/21 endlich den ersehnten Thronfolger
Ludwig
(IV). zur Welt, der seiner Familie nach allerlei Turbulenzen
wenigstens noch für drei Generationen den westfränkischen Königsthron
sicherte.
In doppelter Hinsicht bildete das Jahr 911 den Höhepunkt
von Karls Herrschaft, auch wenn sowohl
die Chronologie als auch die Handlungsmotive der Beteiligten auf Grund
der dürftigen Quellenüberlieferung vielfach im dunkeln blieben.
Zum einen gelang Robert von Neustrien
und Richard von Burgund im Bund mit dem Bischof von Chartres am 20. Juli
911 ein entscheidender Normannensieg, der von der späteren normannischen
Tradition zum Wendepunkt der eigenen Volksgeschichte stilisiert wurde.
Offenkundig überließ man damals einem normannischen Verband
unter seinem Führer Rollo das Gebiet um Rouen und einige Gaue am rechten
unteren Lauf der Seine in einem Vertrag auf Dauer, Basis für
die Konsolidierung normannischer Siedlung, Christianisierung und Einbindung
in den fränkischen Herrschaftsverband. Wie das Bündnis im einzelnen
aussah, ob sich Karl mit Rollo traf,
wo dies geschah (in St-Clair-sur-Epte?), ob Rollo vom ROBERTINER
aus der Taufe gehoben wurde und dafür eine Königstochter als
Belohnung erhielt, kann nicht der zeitgenössischen Überlieferung,
sondern nur normannischen Traditionen des 11. Jahrhunderts entnommen werden
und erfordern darum kritische Zurückhaltung. Unstrittig ist jedenfalls,
dass die Abmachungen von 911 Aussichten auf die allmähliche Lösung
der drückendsten Bedrohung des westfränkischen Reiches verhießen
und dass der zunächst unbeteilgte König die Früchte dauerhafter
Bemühungen vor allem seines robertinischen Lehnsmannes erntete.
Wenig später fiel dem KAROLINGER
ein zweites Geschenk zu, als sich ihm - wie schon 898 - Teile des lotharingischen
Adels unter Graf Reginar Langhals zuwandten, um ihn als König ins
Land zu rufen. Für die Beurteilung der Vorgänge wäre die
genaue Kenntnis der Chronologie nötig, doch ist der Ablauf der Ereignisse
leider nicht exakt zu rekonstruieren. Zu vermuten bleibe, dass die Adelsaktion
zwar in Verbindung mit dem Tod des letzten ostfränkischen KAROLINGER-Königs
Ludwig am 24. September 911 stehen
könnte, jedoch schon vor der Königswahl des ersten Nicht-KAROLINGERS,
KONRADS
I., im November 911 in Forchheim stattfand. Der Entschluß
wäre darum eher als "Königsverlassung"
Ludwigs
(des Kindes) denn als starre Orientierung an karolingischer
Legitimität
in der Opposition zu KONRAD I. zu bewerten,
wie er in der älteren Forschung vielfach gesehen wurde; sie bescheinigte
dem lotharingischen Adel unbedingte Treue zum karolingischen
Haus.
Karl jedenfalls trat
seine lothringische Herrschaft dem Ausweis seiner eigenen Urkunden zufolge
zwischen dem 10. Oktober und dem 27. November 911 an und begriff diese
Erweiterung als Sieg des karolingischen
Erbrechts. Schon in seiner ersten Urkunde für einen lotharingischen
Empfänger vom 20. Dezember 911 äußerte sich das neuherrscherliche
Selbstbewußtsein eindrucksvoll, wenn fortan zusätzlich zu den
Herrschaftsjahren von der Wahl 893 und der Wiedererlangung 898 auch vom
Antritt einer vergrößerten Erbschaft (larrgiore vero hereditate
indepta) datiert wurde. Wie schon die ersten karolingischen
Könige Pippin und KARL DER GROSSE
führte Karl III. 911/12
zeitweise den altertümlichen Rangtitel vir inluster oder vir illustris.
Traditionsbildend wurde der ebenfalls auf früh-karolingische
Vorbilder zurückgehende Entschluß des Königs, sich den
offiziellen Titel eines Königs der Franken, rex Francorum, zuzulegen.
Obwohl in der Folge bisweilen noch der einfache Königstitel rex begegnet,
bildet rex Francorum fortan den offiziellen Titel der westfränkisch-französischen
Könige bis in die Neuzeit hinein, seit dem 13. Jahrhundert auch mit
roi de France übersetzt. Damit sicherten sich der Westen des ehemaligen
Großreichs und seine Herrscher den Anspruch auf die Fortführung
und Bewahrung fränkischer Traditionen.
Es ist umstritten, ob Karl seit
Dezember 911 in seiner Intitulatio den Anspruch auf Herrschaft über
alle Franken erhob oder ob der Titel Indiz für eine "Regionalisierung"
der fränkischen Trdition auf den Raum zwischen Rhein und Loire ist.
Für 911 scheint die erste Vermutung wahrscheinlicher, geschichtsmächtig
wurde freilich später die Konzentration auf die Francia, jenes Landes
zwischen Maas und Loire. Kaum in Lothringen angekommen (1. Januar 912 in
Metz), suchte der KAROLINGER auch die
Franken im Reich KONRADS I. unter seine
Herrschaft zu bringen und in den Bahnen seiner karolingischen
Vorfahren zu regieren. Damit hatte er freilich seine Kräfte überspannt
und konnte die seit Jahrzehnten eingetretene Sonderung der fränkischen
Reiche nicht ünberwinden. Immerhin gelang die Verteidigung der lotharingischen
"Erbschaft" 912/13 gegen Feldzüge KONRADS
I.
Dem KAROLINGER war
mit Lotharingien eine Landschaft zugefallen, die mit reichem Königsgut
(vor allem die Pfalzen in Aachen, Diedenhofen und Herstal) ausgestattet
war und fortan gleichberechtigt neben den Aktionsraum der Monarchie in
der Francia trat. Die innere Konsolidierung gelang zunächst durch
die Anerkennung einer Sonderrolle Reginars als marchio. Zudem griff Karl
seit 913 auf die Tradition einer Sonderkanzlei unter Erzbischof Ratbod
von Trier als Erzkanzler und Erzkaplan zurück, die zeitweise neben
die westfränkische Kanzlei unter Erzbischof Heriveus von Reims trat.
Als Reginar und Ratbod 915 starben, wurden Karls
Pläne
zur Integration seiner Herrschaftsgebiete in Franzien und Lotharingien
deutlicher, indem die lotharingische mit der westfränkischen Kanzlei
verschmolzen wurde. Beständigen Konfliktstoff gab fortan die Zurücksetzung
von Reginars Sohn Giselbert, da dem König an einer Machtkonzentration
in der Hand eines lotharingischen Adligen nicht gelegen sein konnte. 919
kam es zum offenen Bruch. Lotharingische Adlige wählten Giselbert
zu ihrem Herrscher, ohne dass das regnum allerdings einen eigenständigen
Weg zwischen O- und W-Franken gehen konnte. Später, nach Karls
Sturz,
sollte Giselbert den Anschluß Lotharingiens ans ostfränkische
Reich HEINRICHS I. beteiben und dort
endlich die Anerkennung als Herzog finden.
Legitimation in der Krise
Immerhin gelang bis 919/20 die Konsolidierung, vor allem
durch die Abhaltung von Hoftagen, zu denen Karl die bedeutenden Adelsverbände
zusammenrufen konnte. 920 machte sich die wachsenden Unzufriedenheit aber
auf einem Hoftag in Soissons Luft, als man vom König die Trennung
von seinem Vertrauten Hagano forderte. An Rang war er den Fürsten
unterlegen, erfuhr aber gleichwohl die besondere Aufmerksamkeit und Förderung
des KAROLINGERS. Dieses für die
mittelalterliche Standesgesellschaft nicht untypische Ringen um Königsnähe,
Einfluß bei Hof und Beachtung von Ritualen des öffentlichen
Verkehrs sollte zum Anlaß von Karls
Untergang werden. Freilich darf man diesen nicht aus dem bloßen Umgang
mit einem "Günstling" deuten, sondern aus Verschiebungen im Miteinander
von Königtum und Adel, aus der Behauptung adliger teilhabe an der
Königsherrschaft einerseits und andererseits aus den offensiven Versuchen
zur Schaffung einer autonomen monarchischen Sphäre bei Hof und im
Reich, basierend auf den politischen Erfolgen Karls
im zweiten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts.
Äußere Ereignisse hielten die Entscheidung
noch auf. Das Ende von KONRADS I. Königtum
in O-Franken 918 und die Wahl des ersten nichtfränkischen Königs,
des LIUDOLFINGERS HEINRICH I., 919
suchte Karl erneut für sein Konzept
einer Herrschaft über alle Franken zu nutzen. Der Feldzug in den Wormsgau
920 mißlang allerdings vollkommen, eine bis zum 11. November 921
geschlossene Waffenruhe zwang zum Ausgleich mit dem neuen ostfränkischen
König. Anfang November kamen die Könige mit illustrem Gefolge
bei Bonn am Rhein zusammen, musterten sich von den Flußufern ausgiebig
und trafen sich schließlich unter strenger Beachtung protokollarischer
Gleichrangigkeit aam 7. November 921 auf einem Boot in der Flußmitte.
Der dort ausgehandelte Freundschaftsbund, in einer westfränkischen
Kanzleiausfertigung eher schlecht überliefert, gewährt uns wichtige
Kunde von den Spielregeln politischer Öffentlichkeit, darüber
hinaus aber auch, dass Karl III. das
Königtum seines Amtskollegen als (fast?) gleichwertig anerkennen mußte.
Dem Vertrag schlossen nämlich die Könige der W- und der O-Franken
(rex Francorum orientalium und rex Francorum occidentalium), ein einmaliges
Zeugnis dafür, dass der legitimationsbewußte
KAROLINGER
einen Sachsen an fränkischen Traditionen teilhaben lassen mußte.
Immerhin hatte Karl
im Bonner Vertrag seine O-Grenze gesichert und konnte nun ohne äußere
Bedrohung den Kampf mit dem führenden Adel der Francia aufnehmen.
Bis zum Sommer 921 hatte sich Robert von Neustrien
als getreuer Gefolgsmann des Königs erwiesen, der den ROBERTINER
wiederum förderte und schon 914 die geplante Erbfolge von Roberts
Sohn Hugo (Magnus) im väterlichen
Herrschaftsbereich sanktioniert hatte. Karls
Entschluß von 922, seiner eigenen Tante Rothild,
einer Tochter Kaiser KARLS DES
KAHLEN, die ehrwürdige karolingische
Abtei Chelles wegzunehmen, um sie Hagano zu übertragen, kann nicht
allein aus der bloßen Absicht zur Förderung des Vertrauten erklärt
werden. Rothilds Tochter Judith war
nämlich mit Hugo Magnus
verheiratet,
so dass Rothilds Verlust zum Verlust
gegen die ROBERTINER wurde.
Hugo Magnus nahm
im April 922 den Kampf auf und brachte zusammen mit seinem Vater Robert
in der Folge einen ansehnlichen Adelsbund gegen den König zusammen,
dem neben Roberts Schwiegersohn Rudolf
von Burgund auch Graf Heribert II. von Vermandois beitrat. Am
29. Juni 922 erhob die robertinische
Partei Robert in Reims zum König.
Anfang 923 sicherte sich der neue Herrscher bei einer Zusammenkunft mit
dem ostfränkischen König durch einen Freundschaftsbund nach außen,
doch wahrte der LIUDOLFINGER in den
folgenden Auseinandersetzungen zunächst strikte Neutralität.
Mehrfach wich Karl der
direkten Konfrontation nach Lotharingien aus, suchte schließlich
aber am 15. Juni 923 bei Soissons die militärische Entscheidung. In
dieser verlustreichen Schlacht kam Robert I.
ums Leben, jedoch wurde Karl III. von
Hugo Magnus und Heribert II. von Vermandois besiegt und flüchtete
sich nach Lotharingien. Der westfränkische Adel wählte schon
am 13. Juli 923 in Rudolf von Burgund,
dem Schwiegersohn des gefallenen Herrschers, einen neuen König.
Karls Schicksal war
besiegelt, als er einer Einladung Heriberts II. von Vermandois nach St-Quentin
zu vermeintlichen Bündnisverhandlungen folgte und, von seinem früheren
Lehnsmann verräterisch in Haft genommen, in Chateau-Thierry eingekerkert
wurde. Dass Heribert perfide handelte, betonen alle Quellen, doch nützt
solche Sympathie dem gefangenen KAROLINGER
ebenso wenig wie jene Urkunde fern seiner eigentlichen Stammlande in S-Frankreich,
die die Gefangenschaft des Königs und den Verrat des Adels in den
Datumszeilen erwähnen. Wenigstens konnte sich Karls
Gemahlin Eadgifu
mit dem kleinen Thronfolger
Ludwig in den Wirren zu ihrer Familie nach Wessex retten, wo
sie am Hof des Bruders, König Aethelstan
(924-939), verblieb. Zunächst spielte der verbliebene junge
KAROLINGER Ludwig bei den Verhandlungen
über den Königsthron ebenso wie sein Vater Jahrzehnte zuvor keine
Rolle.
Wie tief Karl durch
die Einkerkerung gesunken war, erwies sich in einer Episode 927/ 28, als
Graf Heribert II. bei Auseinandersetzungen mit König
Rudolf von Burgund den KAROLINGER
kurzzeitig in Freiheit ließ, ihm huldigte, ein Bündnis mit den
Normannen zustande brachte und den "König" nach Reims führte.
Nachdem Heribert aber den karolingischen Hauptort
Laon von Rudolf erlangt und sich mit
dem König wieder ausgesöhnt hatte, wurde Karl
III. ein zweites Mal in Peronne eingekerkert, dieses Mal endgültig.
Am 7. Oktober 929 ist er gestorben und wurde dort in St-Fursy/Peronne
bestattet.
Nachgeborene bezeichneten Karl
als
"einfältig"
(simplex), was sowohl positiv im Sinne der Lauterkeit (Richer von Reims)
als auch negativ als Dummheit (Thietmar von Merseburg) gewertet werden
konnte. Sein Herrschaft wird man freilich nicht allein aus dem Scheitern
beurteilen dürfen. Sie offenbart den Versuch, bei gewandelten Verfassungsverhältnissen
die Idee des karolingischen Königtums
zu bewahren und sich die Exklusivität fränkischer Tradition zu
sichern. Zumindest die Kontinuität des fränkisch-französischen
Reichs- und Herrschaftsbewußtseins ist zu einem guten Teil der Herrschaft
Karls
III. zu danken, der seinen Amtsnachfolgern den offiziellen Königstitel
rex Francorum, König der Franken und später der Franzosen, weitergab.
Nach dem Tode König Karlmanns
griffen die Großen des W-Reiches nicht auf den kleinen
Karl, Ludwigs des Stammlers
Sohn von Adelheid zurück, der
sich mit seiner Mutter damals oder wenig später in der Obhut des Grafen
Ramnulf II. von Poitiers befand; gegen ihn sprach wohl nicht nur, dass
man ihn nach der Anerkennung seiner verstorbenen Stiefbrüder als illegitim
betrachten mußte, sondern auch, dass die Entscheidung für ein
5-jähriges Kind eine vormundschaftliche Regierung von solcher Dauer
erfordert hätte, wie sie in der karolingischen
Geschichte bis dahin stets vermieden worden war.
Karl mit dem späteren,
an sich positiv gemeinten Beinamen "der Einfältige" wurde auf
Betreiben des Erzbischofs Fulco von Reims und des Grafen Heribert von Soissons
und Meaux am 28.1.893, also am Jahrestag von KARLS
DES GROSSEN Tod, in Reims feierlich gekrönt und fand als
(Gegen-)König auf Anhieb starke Resonanz, die bis ins westfränkische
Burgund und nach Aquitanien reichte, aber nicht von Dauer war. Er traf
im Mai 894 in Worms mit König ARNULF
zusammen, wo dieser den Vetter (zweiten Grades) als Lehnsmann annahm und
seine politischen Ziele zu unterstützen versprach. Doch ließ
er bald davon ab, als Karl nach seiner
Rückkehr gegen den wieder erstarkenden Odo
weiter
rapide an Boden verlor und aus der Francia ins westliche Burgund ausweichen
mußte. Darauf erneuerte ARNULF
im Mai 895 in Worms das Bündnis mit Odo.
Im Sommer 895 griff Zwentibold
von Lothringenzu seinen Gunsten in W-Franken ein, so dass es
897 durch die tätige Vermittlung Fulcos von Reims zu einem Ausgleich
zwischen
Odo und Karl
dem Einfältigen kam: Der siegreiche ROBERTINER,
der ohne legitime Erben geblieben war, einigte sich mit dem unterlegenen
KAROLINGER
auf gegenseitige Anerkennung ihres Königtums, gestand ihm ein beschränktes
Hoheitsgebiet (wohl um Laon) und nach seinem Tode die Anwartschaft auf
das ganze W-Reich (vor dem eigenen Bruder Robert)
zu, ließ sich dafür aber die beträchtlichen Machtpositionen
seiner Familie von dem bisherigen Rivalen garantieren. Nach dem Tode König
Odos am 1.1.898 folgte ihm Karl
reibungslos.
Im Unterschied zu Ludwig dem
Kind war Karl der Einfältige,
als er im Januar 898 nach Odos Tod
auf einer Reichsversammlung in Reims sein unangefochtenes Königtum
in W-Franken antrat, immerhin ein 18-jähriger und die folgenden zweieinhalb
Jahrzehnte hindurch Herr seiner politischen Entschlüsse, aber auch
er hatte sich von vornherein schweren Hypotheken zu beugen, die seine Entfaltung
hemmten und an denen er trotz zeitweiliger Erfolge schließlich gescheitert
ist. Robert, der Bruder des verstorbenen
Königs, ließ ihm ja nur deshalb den Vortritt, weil er gemäß
früherer Absprache darauf bauen durften, nicht bloß den Hausbesitz
seiner Vorfahren, sondern auch die Gesamtheit der von Odo
übertragenen Hoheitsrechte in Neustrien und im Pariser Becken und
sogar die dortigen Pfalzen, Fiskalgüter und Reichsabteien zu behalten.
Diese Mediatisierung aller königlichen Rechte in Neustrien, die
Karl sogar Saint-Denis entzog, verschob die Gewichte zwischen
KAROLINGERN
und ROBERTINERN entscheidend. Sie fand
ihren förmlichen Ausdruck in Roberts
Bezeichnung als marchio und ging in der Sache weiter als die Machtkonzentration
in den Händen des zeitgleichen duces in O-Franken, weil sie in etwa
flächendeckenden Charakter annahm und neben den Grafschaften auch
die Bischofssitze dem König entwand. Sie war zudem durchaus nichts
Einmaliges, sondern holte nun auf fränkischem Boden nach, was sich
schon länger im aquitanischen Süden abgezeichnet hatte.
Selbst im engeren Bereich der östlichen Francia
zwischen Seine und Maas, der dem wiederbelebten karolingischen
Königtum allein noch verblieb, gab es fühlbare Konkurrenz durch
die aufsteigende Macht des Grafen Balduin II. von Flandern (+ 918), der
900 ungestraft die Ermordung des Erzbischofs Fulco von Reims, Karls
Erzkanzler, ins Werk setzte, und durch den Grafen Heribert I. von Vermandois,
der in der Champagne seine Herrschaft ausbreitete, bis er vor 907 ebenfalls
Balduins Nachstellungen zum Opfer fiel. Inmitten dieser regionalen Gebieter,
die ihm alle durch formellen Lehnseid unterstellt, tatsächlich aber
mit ihren Vasallenaufgeboten überlegen waren, blieb Karl
nichts anderes übrig, als die großen Lehnsfürstentümer
(Prinzipate) zu respektieren, behutsam ihre Rivalitäten zu steuern
und sich selber wenigstens einen Kernbereich unmittelbarer Autorität
im Raum um Reims und Laon zu erhalten, wobei die Erzbischöfe von Reims
seine wichtigsten Partner wurden. An ein aktives Bemühen um Lotharingien,
wo er gleich 898 auf Reginars Seite eingegriffen hatte, konnte
Karl jahrelang nicht denken, doch dürfte seine 907 geschlossene
Ehe mit der vornehmen Sächsin Frederun,
vielleicht aus der Familie der späteren Königin
Mathilde, ein fortwährendes Interesse am O-Reich und eine
Aversion gegen die in Lotharingien damals waltenden KONRADINER
anzeigen. Da Frederun bis 917 nacheinander
sechs Töchter zur Welt brachte, war sie indes nicht imstande, Karls
Getreuen neue Zuversicht in die herrschaftliche Zukunft der alten stirps
regia zu vermitteln.
Erst 911 kam Karls
Politik in ein neues Fahrwasser. Im Verhältnis zu den Normannen, die
in W-Franken nicht mehr mit der Wucht früherer Jahrzehnte, aber doch
weiterhin Raubzüge unternahmen und dabei nun von den marchiones und
sonstigen Magnaten, so gut es ging, in die Schranken gewiesen wurden, trat
eine Wende zum besseren ein, als nach dem Scheitern ihrer Belagerung von
Chartres eine starke Gruppe unter Führung Rollos dazu gebracht werden
konnte, das Christentum anzunehmen und eine Niederlassung an der unteren
Seine als Grafschaft Rouen zum Schutz des reiches legalisieren zu lassen.
Karl
der Einfältige, an den vorherigen, von Robert
von Neustrien und Richard von Burgund angeführten Kämpfen
offenbar unbeteiligt, trat in Erscheinung, als es etwa im September 911,
vielleicht in Saint-Clair-sur-Epte, darum ging, diese Vereinbarung förmlich
abzuschließen und Rollo mit dem Gebiet zu belehnen, aus dem die spätere
Normandie hervorgegangen ist. Damals dürften bereits die Umwälzungen
absehbar gewesen sein, die sich kurz darauf ergaben, denn noch vor dem
Tod des ostfränkischen Königs Ludwig
am 24.9., dem die Bestattung in Regensburg folgte, hatten sich
"die Führer der Lotharingier", einer einzelnen, vielerörterten
Annalennotiz zufolge, von dem glücklosen jungen Herrscher "getrennt".
Ob diese Entscheidung, hinter der fraglos der 911 wieder in den Vordergrund
getretene Reginar stand, unmittelbar die Hinwendung zum einzigen anderen
KAROLINGER,
dem
westfränkischen König Karl,
einschloß, weiß man nicht, aber jedenfalls bot sich ein solcher
Schritt an, als nach dem Hinscheiden des erbenlosen, nur 18 Jahre alt gewordenen
Ludwigfeststand,
dass die ostfränkische Linie Ludwigs des
Deutschen erloschen war, und die führenden Männer
seiner Umgebung sich daran machten, ihr Regiment auch ohne einen KAROLINGER
fortzuführen, indem sie den Mächtigsten der Ihren zum Nachfolger
erkoren. Wenige Tage bevor in Forchheim KONRAD
DER JÜNGERE, das Haupt der KONRADINER,
von "Franken, Sachsen, Alemannen und Bayern" zum 1. nicht-karolingischen
König O-Frankens gewählt und anschließend gesalbt worden
ist, trat Karl der Einfältige am
1.11.911 die Herrschaft über die Heimat seiner frühesten Vorfahren
an.
Karl der Einfältige
fühlte sich bereits am 20.12.911 in der ersten nach KONRADS
Wahl ausgestellten Urkunde veranlaßt, neben der zusätzlichen
Jahreszählung "seit dem Erwerb des vergrößerten Erbes"
auch die Selbstbezeichnung rex Francorum anstelle des bis dahin gebräuchlichen
Königstitels ohne Bereichsangabe einzuführen. Die betonte "Gleichsetzung
von fränkisch und karolingisch"
(J. Ehlers) sollte nach außen wie nach innen wirken und dem fortan
alleinigen Herrscher aus KARLS Geblüt
einiges wettzumachen helfen, was ihm an realen Machtmitteln abging. In
der Tat gelang es ihm 912 und 913, dreimalige Vorstöße
KONRADS
I. zur Rückgewinnung des regnum Lotharii abzuweisen, ohne
dass sich im Lande eine "konradinische Partei" geregt hätte.
Karl nahm nun sogar bevorzugt in Metz und Diedenhofen, in Herstal
und Aachen Aufenthalt, ließ seinen Verbündeten Reginar, reich
mit Kirchenbesitz ausgestattet, wie die Gebieter über Neustrien, Aquitanien
und Burgund als marchio gelten, faßte aber doch bald immer deutlicher
ins Auge, Lotharingien zur Erweiterung seiner schmalen Machtbasis in W-Franken
zu nutzen. So erlosch nach dem Tod Erzbischofs Radbods von Trier (915)
allmählich die gesonderte lotharingische Königskanzlei, die auf
Zwentibolds
Zeit zurückging, und als im selben Jahr auch Reginar starb, verweigerte
Karl
dessen
Sohn Giselbert die Vorrangstellung des Vaters. Exponent dieser neuen, selbstbewußten
Politik scheint der seit 916 in der Umgebung des Königs zunehmend
genannte Hagano gewesen zu sein, ein lotharingischer Getreuer von angeblich
geringer Herkunft, dessen Aufstieg zum Grafen und zum maßgeblichen
Berater Karls den Ärger der bis
dahin führenden Kreise vornehmlich in W-Franken weckte.
Karl der Einfältige
mag sich 918/19 bereits auf dem Wege zu einer Hegemonie über die nicht-karolingischen
Könige gesehen haben, zumal angesichts der schweren Krise, in die
die ostfränkische Monarchie durch den fehlgeschlagenen Versuch KONRADS
I. (+ 918) geraten war, sich in karolingischer
Manier die Mittelgewalten botmäßig zu machen und zu halten.
Gleichwohl agierte auch Karl jederzeit
auf schwankendem Grund, nicht bloß weil er immer noch ohne Sohn war
und darum Freund und Feind als der letzte KAROLINGER
erscheinen mußte, nach dessen Ende auch im Westen über das Königtum
neu zu verfügen sein würde. Er beeilte sich, nach dem Tod seiner
sächsischen Gemahlin Frederun
(917) eine neue Ehe einzugehen, wobei sich seine Wahl wiederum nicht am
westfränkischen Hochadel orientierte, sondern erstmals in der karolingischen
Familiengeschichte auf eine Ausländerin fiel: Eadgifu,
die Tochter des angelsächsischen Königs
Eduards des Älteren von Wessex.
Im Verhältnis zu den eigenen marchiones und sonstigen Großvasallen,
unter denen um 920 eine neue Generation nach vorne drängte, hatte
Karl
ohnehin
die für sein politisches Überleben entscheidende Balance früherer
Jahre verloren, wie schlagartig zutage trat, als 919 sein Aufruf zur Heerfolge
gegen die bis nach W-Franken vorgedrungenen Ungarn nahezu ungehört
verhallte. In Lotharingien wurde seine Lage dadurch erschwert, dass östlich
des Rheins durch die Wahl des liudolfingischen
Sachsen-Herzogs Heinrich, des Sohnes Ottos des Erlauchten, zum
König der "Franken und Sachsen" im Mai 919 eine ganz neue Konstellation
eingetreten war, die auf die Großen an Maas und Mosel einladender
wirkte als das konradinische Regiment der Vergangenheit. Während sich
Giselbert nun völlig mit Karl dem Einfältigen
überwarf, traten, wie berichtet wird, "fast alle" Großen W-Frankens
mit
Robert von Neustrien an der Spitze
Anfang 920 in Soissons ihrem König gegenüber, seinen Günstling
Hagano zu entlassen, das heißt seine resolute Politik der letzten
Jahre aufzugeben, und als er dies verweigerte, sagten sie ihm die Treue
auf. Der drohenden Beugehaft seiner Magnaten entging Karl
nur, indem er sich für 7 Monate in den Schutz des ihm noch ergebenen
Erzbischofs Heriveus von Reims begab. Diese Zeit nutzte Giselbert, um sich
von seinem lotharingischen Anhang "unter Abkehr von König
Karl" zum princeps, also wohl einem Herrscher aus eigenem Recht,
proklamieren zu lassen.
Gegen die kaum verhüllte Absetzung hat sich Karl
der Einfältige noch einmal energisch aufgebäumt. Als
ihm die Unterhandlungen des Erzbischofs Heriveus zu erneuter Anerkennung
oder besser Duldung verholfen hatte, wandte er sich zunächst gegen
Giselbert, beendete dessen Sezession und setzte auch in der Machtprobe
um die Neubesetzung des Lütticher Bischofsstuhls den eigenen Kandidaten
gegen den von Giselbert bestimmten und bereits vom Kölner Erzbischof
Hermann auf Druck König HEINRICHS I.
geweihten Rivalen durch, wobei er sogar den Papst zu seinen Gunsten einschaltete.
Um sich auch bei dem sächsischen König, dem augenscheinlichen
Schutzherrn Giselberts, Geltung zu verschaffen, drang Karl
im September 920 mit Heeresmacht in die Gegend von Worms vor, mußte
aber vor der dortigen Gegenwehr zurückweichen. Mit HEINRICH
I. konnte er 921 einen befristeten Waffenstillstand vereinbaren,
und kurz vor dessen Ende traf er ihn am 7.11. bei Bonn, um auf einem mitten
im Rhein verankerten Schiff einen Freundschaftsvertrag abzuschließen.
Schon durch die Wahl des Ortes kam zum Ausdruck, dass Karl
die
Anerkennung der Rheingrenze, also der Zugehörigkeit Lotharingiens
zu seiner Machtsphäre, erreichte, während HEINRICHS
Erfolg in der expliziten Gleichrangigkeit der Partner bestand, also in
der Respektierung seines erst zwei Jahre alten, noch keineswegs überalls
im Reiche KONRADS I. durchgesetzten
"fränkischen Königtums" durch den Erben des
KAROLINGER-Geschlechts.
Nach dieser vermeintlichen Sicherung des regnum Lotharii
gedachte Karl der Einfältige,
überdies gestärkt durch die Geburt des langersehnten Stammhalters
(vor September 921), der nach dem Großvater Ludwig benannt wurde,
922 unbeirrt auch in W-Franken wieder die Zügel in die Hand zu bekommen.
Über den Versuch, die Königsabtei Chelles seiner Tante
Rothild zu entziehen, um sie Hagano geben zu können,
kam es endgültig zum Eklat: Hugo, der Sohn Roberts
von Neustrien, soll es gewesen sein, der die Truppen der erbosten
Großvasallen, darunter nun auch des Erzbischofs von Reims, sammelte
und Karl
nach Lothringen abdrängte,
so dass am 30.6.922 Robert, der Bruder
Odos,
in Reims zum (Gegen-)König erhoben werden konnte. Anders als 888
erfolgte der zweite Griff der
ROBERTINERnach
der Krone W-Frankens in offener Konfrontation mit einem
KAROLINGER
und ging unmittelbar in eine bewaffnete Auseinandersetzung von einjähriger
Dauer über, bei der sich Karl der Einfältige
hauptsächlich auf lotharingische Gefolgsleute stützte. Robert
I. sicherte sich durch einen Freundschaftspakt, den
HEINRICH I. Anfang 923 nahe der Ruhrmündung unbedenklich
auch mit ihm nach dem Muster des Bonner Vertrages schloß. In der
Schlacht der beiden westfränkischen Könige am 15.6.923 fand Robert
den
Tod, doch sein Sohn Hugo erstritt zusammen mit Graf Heribert II. von Vermandois
den Sieg, indem er Karl und sein Heer
in die Flucht schlug. Dennoch fiel das Königtum nicht ihm zu, dem
Erben der ausgedehnten ROBERTINER-Macht
(deren Übernahme ihm übrigens schon vor 914 von
Karl zugesichert worden war), sondern in bewußter Abkehr
vom Geblütsgedanken Rudolf, dem
Sohn und Nachfolger Richards (+ 921) als marchio in Burgund, der zugleich
Schwiegersohn des gefallenen Robert
war. Er wurde in einem abermaligen Dynastiewechsel (zu den BOSONIDEN)
am 13.7. in Soissons zum König gewählt und gesalbt. Zu neuen
Kämpfen kam es nicht mehr, denn der geschlagene Karl
der Einfältige ließ sich schon wenige Wochen später
durch ein Täuschungsmanöver Heriberts von Vermandois überlisten
und wurde dessen Gefangener, während die Königin
Eadgifu mit ihrem kleinen Sohn zum Bruder
Athelstan von Wessex in die englische Heimat floh.
Heribert lieferte seine Beute nicht an den neuen König
Rudolf aus, sondern hielt den gestürzten KAROLINGER,
für den sich in den Quellen der Zeit kaum Mitleid regt, zunächst
in Chateau-Thierry, dann in Peronne in eigenem Gewahrsam, um ihn als politisches
Faustpfand zu gebrauchen. 925 erzwang er die Wahl seines 5-jährigen
Sohnes Hugo zum Erzbischof von Reims und seine eigene Einsetzung zum Verwalter
des Reimser Kirchenbesitzes, und als ihm 927 Rudolf
die
wertvolle Grafschaft Laon zu verweigern wagte, holte Heribert
Karl
den Einfältigen aus der Haft hervor und erkannte ihn im
Bunde mit den Normannen unter Rollos Sohn Wilhelm I. als rechtmäßigen
König an, ohne ihm indes seine Bewegungsfreiheit zurückzugeben.
Es soll sogar zu einer Begegnung beider Könige in Reims gekommen sein,
bei der Karl die Pfalz Arttigny als
eine Art Abfindung zugestanden wurde, doch nachdem Heribert 929 seinen
Willen auch in Laon bekommen hatte, scheint davon keine Rede mehr gewesen
zu sein. Jedenfalls ist klar bezeugt, dass Karl
am
7.10. 919
in Peronne, am Ort seiner Gefangenschaft, gestorben und
dort auch bestattet ist. Das triste Ende markiert bis zur äußersten
Konsequenz die Vergeblichkeit des Versuchs, allein mit dem karolingischen
Namen noch einmal eine wirksame Zentralgewalt gegen die Großen zu
etablieren, darf aber nicht darüber täuschen, dass Karl
der Einfältige gerade im Wechselspiel mit den Gegenkräften,
deren er nicht mehr Herr wurde, den geschichtlichen Weg des werdenden Frankreich
wesentlich bestimmt hat.
Schwager Helmut: Seite 67-96
***************
„Graf Heribert II. von Soissons.“
a) Der Karolinger König Karl III. der Einfältige
(893/98-923)
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Die Beziehungen Heriberts II. zu dem westfränkischen
König, der in der ersten Hälfte der heribertinischen Herrschaft,
das heißt den mindestens 15 Jahren von 900/06 bis 921, das Reich
regierte, nämlich dem KAROLINGER Karl III.
dem Einfältigen, sind für diese Zeit bis heute weitgehend
im Dunkel der Geschichte geschrieben! Der schon mehrfach beklagte bedauerliche
Mangel an erzählenden Quellen sowie Urkunden aus dieser Zeit läßt
uns praktisch nur Raum für Spekulationen! Als frühestes Zeugnis
sowohl der Existenz Graf Heriberts II. als auch seiner Erwähnung im
Zusammenhang mit dem westfränkischen König kann erst die Urkunde
Karls
III. vom 6. November 907 angesehen werden, in der der
KAROLINGER die Schenkung eines gewissen Odilo aus Brugny in
der Grafschaft Omois für das Kloster Saint-Medard bei Soissons bestätigte.
Dabei wurde ein "comes Heribertus" als Abt von Saint-Medard genannt, wobei
es sich hier - betrachtet man die Jahreszahl - meines Erachtens eindeutig
um Graf Heribert II. handeln muß, der die Abtei von seinem ermordeten
Vater Graf Heribert I. geerbt hatte. Jedoch dürfte dies kaum etwas
konkret über die heribertinisch-karolingischen
Beziehungen aussagen, da der HERIBERTINER in dieser Urkunde anscheinend
lediglich als zuständiger Graf von Omois und Laien-Abt von Saint-Medard
erwähnt wurde. Viel wichtiger erscheint mir, dass um diese Zeit, ca.
907/10, Graf Heribert II. die ROBERTINERIN
NN (+ nach 931), eine Tochter Markgraf Roberts
von Neustrien, heiratete. Diese Ehe des HERIBERTINERS
bedeutete aber eine politische Option für die ROBERTINER,
die schon damals wiederholt mit dem karolingischen
König zerstritten waren. Daher erstaunt es nicht, wenn von freundschaftlichen
Kontakten zwischen dem König und dem HERIBERTINER in den folgenden
Jahren nicht die Rede ist. Zwar erschien Graf Heribert II. in einer Urkunde
König
Karls III. vom 14. März 918 für die Abtei Saint-Germain-des-Pres,
die auf Veranlassung Markgraf Roberts von Neustrien
ausgestellt wurde. Doch figurierten Roberts
heribertinischer
Schwiegersohn und Bischof Abbo von Soissons (+ 937) hierbei als Zeugen
in der Grafschaft des ROBERTINERS!
Als schließlich Anfang des Jahres 920 der langerwartete
Krieg zwischen König Karl III.
und der westfränkischen Aristokratie, die sich an der überragenden
Stellung des lothringischen Emporkömmlings Hagano ( + nach 922) bei
Hofe stieß, losbrach, befand sich Graf Heribert II. natürlich
im Lager des westfränkischen Hochadels an der Seite Markgraf
Roberts! Der bedrängte westfränkische König geriet
kurzfristig sogar in Gefangenschaft seiner Großen, aus der ihn nur
der Einsatz des Erzbischofs Heriveus von Reims (+ 922) rettete, der ihn
7 Monate lang in seiner Bischofsstadt Reims beherbergte. Währenddessen
tobten in der engeren Francia die Kämpfe beider Parteien, wobei angeblich
Graf Heribert II. das Kloster Corbie geplündert haben soll; erst nach
langen Verhandlungen führte der Reimser Erzbischof ein "Versöhnung"
beider Gruppen herbei, die jedoch brüchig blieb.
Dies zeigte sich bereits im Jahr 922, als der westfränkische
Adel, nachdem König Karl III.
am 17. März 922 den königlichen Kanzler Gauzlin (+ 962) zum Bischof
von Tours gemacht und das vakante Kanzleramt an den lothringischen Kleriker
Hagano, wahrscheinlich einen Verwandten seines Günstlings Hagano,
gegeben hatte, erneut unruhig wurde.
Die Konfiskation des karolingischen
Hausklosters Chelles bei Paris durch den westfränkischen König
nach dem 21. April 922 ( = Ostern), der die Abtei seiner Tante Rothilde
(+ 928) [Rothilde war die
Tochter Kaiser KARLS II. DES KAHLEN und
der Kaiserin Richilde (+ 910/14) sowie
Gattin Graf Rotgers I. von Maine (+ vor 900), von dem sie die Tochter NN
(+ vor 926) hatte, welche Graf Hugo der Große
ehelichte.], der Schwiegermutter des ROBERTINERS
Graf Hugo, nahm und sie an Graf Hagano übergab, löste
erneut einen verheerenden Aufstand aus!
Die Großen Franziens verschworen sich mit den ROBERTINERN
an der Spitze, wobei sie den Sturz Graf Haganos verlangten. An diesem gefährlichen
Aufstand beteiligten sich neben den ROBERTINERN
auch Roberts Schwiegersohn Herzog
Rudolf von Burgund und dessen Bruder Graf Hugo der Schwarze
von Varais (+ 952), ja offensichtlich selbst der bereits damals todkranke
Erzbischof Herveus von Reims, wie später die feindselige Reaktion
des KAROLINGERS gegen Reimser Kirchengut
zeigen sollte. Eigenartigerweise ist hierbei von Roberts
zweitem Schwiegersohn Graf Heribert II. nirgends die Rede. Stattdessen
meldet der Reimser Geschichtsschreiber Flodoard (+ 966) überraschenderweise,
dass sich der HERIBERTINER mit König Karl
III. und dessen Günstling Hagano in Laon an der Aisne befunden
hätte, von wo aus aus sie im April 922 beim Anmarsch der aufständischen
Großen gemeinsam über die Maas nach Lothringen geflohen wären,
um dort neue Truppen auszuheben. Dieses Verhalten Graf Heriberts II. widerspricht
nun aber meines Erachtens vollständig seiner Politik sowohl vor dem
Jahre 922 als auch danach, und so könnte man Zweifel an dieser Nachricht
hegen, noch dazu, nachdem Flodoard die einzige Quelle hierfür ist!
Andererseits ist der Reimser Kleriker die zuverlässigste Quelle für
die Geschichte des W-Fränkischen Reiches im 10. Jahrhundert, und zudem
spricht das Verhalten König Karls III.
im Jahre 923, als sich der KAROLINGER
bedenkenlos zu einer Unterredung mit Graf Heribert II., der ihm einen Seitenwechsel
angedeutet hatte, bereitfand, dafür, dass vorher zumindest zeitweise
schon bessere Beziehungen zwischen beiden Fürsten bestanden haben
müssen! So ist anzunehmen, dass der HERIBERTINER die Auseinandersetzung
nach dem Osterfest 922 entweder für eine rein karolingisch-robertinische
"Familien"-Angelegenheit gehalten hat, in die er sich zunächst nicht
einmischte, oder wahrscheinlicher, dass ein heribertinisch-robertinischer
Zwist aus Rivalitätsgründen den Grafen kurzfristig an die Seite
des Königs gebracht hat. Jedenfalls fielen der KAROLINGER
und seine Anhänger - darunter Graf Heribert II. und Graf Theoderich
I. von Holland (+ ca. 940) - mit einem neuen lothringischen Heer in die
Güter der Reimser Kirche ein und brannten sie nieder; schließlich
eroberten sie die Burg Omont südlich von Mezieres. Plünderungen
und Brandschatzungen beider Seiten verwüsteten nun das Remois, Laonnais
und Soissonnais. Kurz nach dem 31. Mai 922 tauchten die Lothringer schließlich
an der Marne auf, wobei Epernay von den Leuten Graf Haganos geplündert
wurde. Das königliche Heer lagerte nahe der Stadt Tours-sur-Marne,
oberhalb von Epernay, während die aufständischen Großen
unter Führung Markgraf Roberts von Neustrien
und
Herzog
Rudolfs von Burgund drei Meilen vom königlichen Lager entfernt
unterhalb von Epernay ihr Lager augschlugen. Eine Woche lang wurde dann
in Abwesenheit des Königs und Graf Hagano verhandelt. Auf Seiten des
KAROLINGERS
standen damals noch sein gewesener Schwager Bischof Bovo II. von Chalons-sur-Marne
(+ 947), der Erzkanzler Erzbischof Rotger von Trier, Bischof Stephan
von Cambrai (+ 934), Bischof Balderich von Utrecht (+ 977); unter den weltlichen
Großen dürften sich noch Graf Heribert II., Graf Theoderich
I. von Holland, Graf Erchanger von Boulogne, Graf Walcher von Friesland,
Graf Isaak von Cambrai (+ 947), Graf Adalhelm von Artois (+ 932) und der
brabantische Graf Rudolf von Gouy (+ 926) befunden haben.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen griff König
Karl III. am 9. Juni 922, einem Pfingstsonntag, die Stadt Reims
an, wurde aber zurückgeschlagen.
Da traf die Nachricht vom Verlust der wichtigen karolingischen
Feste
Laon ein - Graf Hagano verlor dabei seinen Bruder und seine Schätze
-, worauf beide Parteien ihre Heere dorthin verlagerten. Hier begann aber
ein Teil der Lothringer den KAROLINGER
zu verlassen, so dass sich König Karl III.
immer weiter vor den nachstoßenden westfränkischen Großen
zurückziehen mußte. Beim Flüßchen Ailette in der
Grafschaft Laon wechselten Mitte Juni 922 erneut viele Große, darunter
anscheinend auch Graf Heribert II., ins Lager Markgraf
Roberts. So blieb dem westfränkischen König zuletzt
nichts anderes übrig, als mit seinem getreuen Grafen Hagano zum zweitenmal
über die Maas zu ziehen, wahrscheinlich zu seinem Anhänger, dem
MATFRIDINGER Bischof Richer von Lüttich (920-945); jedenfalls hielt
er sich am 15. Juni im holländischen Bladel auf. Diese Abwesenheit
des KAROLINGERS in Lothringen benutzten
nun die westfränkischen Aristokraten zum entscheidenden Schlag gegen
ihn: Am 29./30. Juni 922 wählten die Großen der Francia und
der Burgundia, darunter auch Graf Heribert II., den ROBERTINER
Markgraf Robert von Neustrien im Kloster Saint-Remi bei Reims
zum westfränkischen König, was eine Herrscherverlassung gegenüber
dem KAROLINGER bedeutete. Drei Tage
später, am 2. Juli 922, starb der schwerkranke Erzbischof Heriveus
von Reims, dessen Nachfolger Seulf (+ 925) durch König
Robert I. (922/23) bestimmt wurde, wodurch nun auch das Erzbistum
Reims dem KAROLINGER endgültig
verlorenging. Ende des 922 zeichnete sich somit bereits ein deutliches
Übergewicht der aufständischen westfränkischen Adligen ab,
zu denne der skrupellose Pragmatiker Graf Heribert II. noch rechtzeitig
gefunden hatte.
Doch Anfang des Jahres 923 stellte der abgesetzte KAROLINGER
in Lothringen ein neues Heer auf, worunter sich erneut Graf Theoderich
I. von Holland befand. Unter Bruch eines bestehenden Waffenstillstandes
fiel
König Karl III., von Lüttich
durch den Haspengau eilend und die Maas überschreitend, in die Francia
ein und marschierte über Attigny gegen Soissons, wo sich Graf Heribert
II. und König Robert I. aufhielten.
Am 15. Juni 923, einen Sonntag, überschritten die Lothringer die Aisne
und griffen die W-Franken überraschend an, woraus sich in der Nähe
des heribertinischen Klosters Saint-Medard bei Soissons die Entscheidungsschlacht
entwickelte. Nach schweren Verlusten auf beiden Seiten fiel König
Robert I., angeblich durch den Standardenträger des KAROLINGERS
Graf Fulbert getötet. Ein Sieg König
Karls III. schien damit erstmalig möglich, als ein Entsatzheer
der westfränkischen Aufrührer unter dem Kommando Graf Heriberts
II. und Graf Hugos des Großen, Sohn des getöteten Königs
Robert I., auftauchte und die Lothringer in die Flucht schlug!
Damit war der KAROLINGER von seinen
westfränkischen Vasallen besiegt worden; trotz des Todes König
Roberts I. blieben sie nämlich im Aufstand, und Versuche
des nun truppenlosen Karls III., sie
wiederzugewinnen, so vor allem Graf Heribert II. und Erzbischof Seulf von
Reims, schlugen fehl. Daraufhin rief der verzweifelte
KAROLINGER die Normannen zu Hilfe; doch blieben Graf Rollo von
Rouen und seine Seine-Normannen neutral, lediglich die Loire-Normannen
unter ihrem Seekönig Rögnwald/Ragnold (+ 925/30) waren sofort
bereit zu kämpfen. Als jedoch die westfränkischen Kronvasallen
die Oise blockierten, mußte sich der total isolierte König
Karl III. zum drittenmal hinter die Maas nach Lothringen zurückziehen.
Diese Abwesenheit benützten aber wiederum die westfränkischen
Großen, um sich unter Mitwirkung Graf Heriberts II. und Markgraf
Hugos von Neustrien am 13. Juli 923 in Saint-Medard zu Soissons in dem
BOSONIDEN
Herzog Rudolf von Burgund (923-936) einen neuen König zu
geben. Allerdings war seine Wahl offensichtlich das Werk einer Minderheit,
was an der Tatsache erkennbar ist, daß in der Francia die Herzogtümer
Normandie und Bretagne, in der Aquitania das Herzogtum Aquitanien, die
Grafschaft Poitou und die Spanische Mark
König
Karl III. treu blieben, doch ohne ihn tatsächlich mit Waffengewalt
zu unterstützen. Überhaupt führte diese politische Situation
des Jahres 923 zu einer wachsenden Autonomie der westfränkischen Aristokraten,
die sich ihre Parteinahme von beiden Königen teuer bezahen ließen.
Dennoch war es von beiden der truppenlose König
Karl III., der im August 923 praktisch am Ende war, vor allem
nachdem sein verzweifelter Versuch, vom ostfränkisch-deutschen
König HEINRICH I. (919-936) Hilfe zu erhalten, nur mit
nichtssagenden Freundlichkeiten beantwortet worden war. Der KAROLINGER
war im Innern wie nach außen total isoliert, als, wie aus heiterem
Himmel, sich sein heribertinischer Blutsverwandter Graf Heribert II. mit
einem Verhandlungsangebot an ihn wandte - nach K. F. Werner ein abgesprochenes
Täuschungsmanöver zwischen König
Rudolf und dem HERIBERTINER [Diese Theorie äußert
Werner, Westfranken, 741, ohne dafür konkrete Belege oder einen zwingenden
Gedankengang vorweisen zu können! Die Gefangennahme des KAROLINGERS
sollte nämlich die Lage König Rudolfs
keineswegs
entscheidend verbessern, befand er sich doch von nun an im erpresserischen
Griff seines Schwagers Graf Heribert II.] -, und König
Karl III. "der Einfältige"
begierig nach dem trügerischen
Strohhalm griff. Denn Graf Heribert II. hielt selbst nach der totalen Entmachtung
des KAROLINGERS sein politisches Ziel,
nämlich den Aufstieg seines Hauses zu einer der Mittelgewalten/regna
des W-Fränkischen Reiches zu bewerkstelligen, zwar für nähergerückt,
aber noch lange nicht erreicht, weswegen er sich neuen Ufern zuwandte -
unter anderem den Reimser Kirchengütern - wobei er glaubte, den für
ihn nun ungefährlichen Karl III.
als politisches Faustpfand gegen seine Schwäger König
Rudolf und Markgraf Hugo von Neustrien benützen zu können.
Jedenfalls sandte Graf Heribert II. seinen nichtsahnenden Vetter Graf Bernhard
von Senlis (+ nach 945) mit einer Verhandlungsdelegation zu König
Karl III. und deutete seine Bereitschaft zum Parteiwechsel an.
Der KAROLINGER, völlig am Ende
mit seinen politischen Möglichkeiten, kam nach einem Sicherheitseide
Graf Bernhards ohne große Eskorte, weswegen man ihn dennoch nicht
pauschal "den Einfältigen" nennen sollte. Denn erstens war
Graf Heribert II. ein früherer Verbündeter, dazu karolingischer
Abkunft
und mit anderen Interessen als König Rudolf
versehen.
So betrachtete war ein Absprung des HERIBERTINERS durchaus möglich,
und, wie schon gesagt, die Handlungsweise
Karls
III. keineswegs a priori töricht. Jedenfalls traf sich
der KAROLINGER Anfang August 923, zusammen
mit Graf Bernhard von Senlis und der Gesandtschaft reisend, in Saint-Quentin
mit Graf Heribert II., der ihn sofort von seiner Leibgarde trennte, ihn
gefangennehmen und unter Bewachung im Turm seiner Festung Chateau-Thierry
inhaftieren ließ. Die Begleitung wurde anschließend einfach
weggeschickt. Karls III. Gattin
Eadgyfu
(+ nach 951) dagegen gelang mit ihrem Sohn Ludwig
IV. (+ 954) gerade noch die Flucht nach England zu ihrem Vater,
dem angelsächsischen König Edward dem
Älteren (+ 924). Dieses hinterhältige Verhalten Graf
Heriberts II. gegen seinen legitimen Oberlehnsherrn hinterließ ein
starkes Echo in zahlreichen abendländischen Quellen. Zwar übten
viele Chronisten Kritik an diesem Akt treuloser Hinterlist, doch keiner
der westfränkischen Adligen war wirklich bereit, für den KAROLINGER
einzustehen, den viele von ihnen ja schließlich selbst abgesetzt
hatten! Schon die Zeitgenossen verglichen das Schicksal König
Karls III. mit dem seines Ahnen KaiserLUDWIGS
I. DES FROMMEN, der ähnliche Demütigungen erdulden
mußte.
Jedenfalls war der abgesetzte König
Karl III. seit 923 in der Festung Chateau-Thierry inhaftiert
und zwar nicht im Kerker, wie mancherorts übertreibend berichtet wird,
sondern sicherlich in akzeptabler Umgebung, denn Garf Heribert wollte den
KAROLINGERja
nicht umbringen oder verschwinden lassen; der HERIBERTINER brauchte stattdessen
einen lebenden
Karl III., um mit dessen
bloßer Existenz politischen Druck ausüben zu können.
Der vorerst zufriedene HERIBERTINER behielt daher
Karl III. weiter in Gefangenschaft, verlegte ihn aber nach einem
Brand der Festung Chateau-Thierry im Sommer des jahres 924 in die neue
heribertinische Hauptfestung Peronne, wo der KAROLINGER
die
nächsten Jahre verbrachte.
Wichtiger wurde für Karl
III. dagegen der sich abzeichnende Bruch zwischen Graf Heribert
II. und König Rudolf infolge des
Streitfalles um die Grafschaft Laon. Ende des Jahres 926 war nämlich
Graf Rotger I. von Laon, ein getreuer Anhänger des BOSONIDEN,
gestorben. Als König Rudolf Rotger
II. (926-942), den königstreuen Sohn Rotgers I., zum Grafen einsetzte,
brach Graf Heribert II. mit ihm und griff zu den Waffen. Zum äußersten
entschlossen, griff Graf Heribert II. in dieser Situation auf den seit
4 Jahren inhaftierten KAROLINGER zurück.
Er ließ Karl III. von der Burg
Peronne nach Saint-Quentin bringen und dort erneut zum westfränkischen
König proklamieren. Während König
Rudolf vorerst im Herzogtum Burgund und in der Aquitania seine
Positionen festigte, warb Graf Heribert II. in der Francia für den
wiedereingesetzten KAROLINGER und griff
erneut Laon an, wurde aber von den Söhnen des verstorbenen Grafen
Rotger im Verein mit der energischen Königin
Emma (+ 934) zurückgeschlagen. In dieser Situation wandte
sich Graf Heribert II. an die letzten Verbündeten
Karls
III. in der Francia, die Normannen. Diese sahen sofort ihre
Chance, kündigten ihren Frieden mit König
Rudolf und eroberten das 925 verlorengegangene Eu zurück.
Dort trafen sich schließlich Ende des Jaheres 927 Graf Rollo von
Rouen (+ 928/31) und sein Sohn Wilhelm I. Langschwert (+ 942) mit Graf
Heribert II. und dem KAROLINGER-König Karl
III., wobei die Normannen dem KAROLINGER
den Lehnseid leisteten und ein Bündnis mit Graf Heribert II. schlossen.
Anfang des Jahres 928 kam es unter Vermittlung Markgraf
Hugos zwischen Graf Heribert II. und König
Rudolf an der Oise zu einer Unterredung, bei der ein Arrangement
ausgehandelt wurde. Danach stellte der HERIBERTINER Geiseln und versprach
auf einem königlichen Hoftag vor Ostern 928 zu erscheinen. Der BOSONIDE
brachte dagegen bereits damals die Möglichkeit ins Spiel, Graf Heribert
II. den Besitz von Laon für ein Fallenlassen Karls
III. zu konzidieren. Doch wurde eine Entscheidung vorerst vertagt.
Jedenfalls begab sich der HERIBERTINER mit Karl
III. nach Reims, von wo aus er einen Brief an Papst Johannes
X. (+ 928) richtete, der ihn schon seit Jahren bedrängte, den rechtmäßigen
westfränkischen König freizuassen Graf Heribert II. stellte
sich in diesem Schriftstück zynisch als den alleinigen Verteidiger
des wahren westfränkischen Königs hin, den er nun wieder eingesetzt
habe. Doch kam es in der Fastenzeit, das heißt im März/April
des jahres 928, dann tatsächlich zu der verabredeten Begegnung zwischen
Graf Heribert II. und König Rudolf.
Der HERIBERTINER durfte anschließend Laon in Besitz nehmen, einen
Erfolg, den er wiederum nur der städigen Drohung mit Karl
III. verdankte. Doch Graf Heribert pokerte noch viel höher,
indem er mit Markgraf Hugo von Neustrien zu Graf Rollo nach Rouen zog,
wo es zu einem großen Fürsten-Treffen mit anderen westfränkischen
Grafen und Bischöfen kam, deren Namen aber unbekannt geblieben sind.
Die versammelten Großen der Francia erkannten den mitgeführten
KAROLINGER
Karl III. erneut als ihren legitimen westfränkischen König
an und schlossen ein Bündnis. Der Normannen-Fürst Wilhelm I.,
Rollos Sohn, leistete dabei dem KAROLINGER
wiederum
als erster westfränkischer Aristokrat den Lehnseid. Damit stand Graf
Heribert II. auf dem Höhepunkt seiner Macht; er übte die eindeutige
Hegemonie über die Francia aus! Doch bald schon sollte sich dei Lage
ändern. Noch im Jahre 928 kam es nämlich im Herzogtum Lothringen
zu einem bedrohlichen Aufstand Graf Bosos (+ 935), eines Bruders
König
Rudolfs, und anderer Unzufriedener gegen die ostfränkisch-deutsche
Herrschaft. Verhandlungen König HEINRICHS
I. mit Graf Boso bewirkten schließlich eine Beruhigung
der Situation und eine allgemeine Versöhnung, die aber für Graf
Heribert II. negative Konsequenzen haben sollte. Denn als der HERIBERTINER
mit seinem robertinischen Schwager
Markgraf Hugo nach Maastricht kam, um bei König
HEINRICH I. zugunsten
König Karls
III. zu intervenieren, lehnte dieser überraschenderweise
ab.
Daher nahm Graf Heribert II. als Pragmatiker einen politischen
Kurswechsel vor, der ihn noch Ende des Jahres 928 wieder an König
Rudolf heranbrachte. Gegen eine erneute Treueidleistung des
HERIBERTINERS bestätigte ihm der BOSONIDE
den Besitz von Laon und machte ihm Aussichten auf Apanagen für seine
Söhne. Das Opfer dieses Friedens war natürlich der KAROLINGER
Karl III., der nun in Reims tatsächlich erneut inhaftiert
wurde. Nach einem Provence-Feldzug noch im Jahre 928 begaben sich sodann
Graf Heribert II. und König Rudolf
ebenfalls nach Reims, wo sich der BOSONIDE
mit seinem ehemaligen obersten Lehsnherrn traf und dem KAROLINGER
dabei für dessen Lebensunterhalt die königlichen Fisci Attigny
und vielleicht auch Ponthion-sur-l'Ornain zuwies. Karl
III. akzeptierte die "Geschenke" des nunmehrigen westfränkischen
Königs, womit er faktisch stillschweigend und ohne Formalitäten
abdankte. Für König Rudolf
erbrachte dieser Akt politischer Klugheit die Anerkennung auch durch weitere
aktive Anhänger des KAROLINGERS!
König
Karl III. allerdings hatte von diesem allgemeinen Friedensschluß
persönlich wenig; es ist zwar unbekannt, welchen Status der KAROLINGER
im Jahre 929 bei Graf Heribert II. genoß, doch dürfte der HERIBERTINER
König
Rudolfs Tat ignoriert und den KAROLINGER
wieder in Peronne inhaftiert haben. Jedenfalls starb Karl
III. "der Einfältige" nach 6-jähriger Gefangenschaft
am 7. Oktober 929 auf der Burg Peronne in der Gewalt Graf
Heriberts II. und wurde in der Kirche Saint-Fursy zu Peronne begraben.
Konecny Silvia: Seite 145
*************
"Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die
politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen
Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert."
Deutlicher noch als bei ARNULF,
hinter dessen Ehen eine heftig umstrittene Bündnispolitik des Adels
stand, trat die Annäherung des königlichen Eheverhaltens an das
des Adels im westfränkischen Reich zutage. Die Ehen Karls
des Einfältigen unterschieden sich
von denen ARNULFS
allerdings insofern, als der westfränkische
KAROLINGER
auf eine Gesamtherrschaft in seinem Reich faktisch völlig verzichtete
und eine feste Position in Lothringen anstrebte. Damit war eine Annäherung
an die übrigen westfränkischen Principes gegeben. Karl
der Einfältige wurde bei der Wahl
seiner Ehepartnerinnen zumindest teilweise von dieser Politik bestimmt.
Karl wurde als Vierzehnjähriger
zum König gekrönt. Eine erste Verbindung ging er wohl unter der
Ägide der FULCONEN ein, die seinen Herrschaftsanspruch vor allem unterstützt
hatten. Auf Grund der politischen Entwicklung verlor jedoch die erste nicht
näher bekannte Verbindung Karls des Einfältigen
an Bedeutung, und jene Söhne, die ihr entstammten, blieben als Konkubinsöhne
von einem Herrschaftsanspruch ausgeschaltet. Auch die FULCONEN förderten
sie nicht, sondern unterstützten Ludwig den
Überseeischen. Dieser hatte im Frankenreich keine mütterliche
Verwandtschaft und eignete sich deshalb wohl besser zu einem Schattenkönig
als selbst ein Kandidat aus den eigenen Reihen. Die Verbindung Karls
des Einfältigen mit Friderun,
die einem elsässischen Geschlecht entstammte (Richtig wohl eher
sächsisches
Geschlecht [IMMEDINGER]), sollte Karls
Versuche
unterstützen, sich im lothringischen Gebiet einen eigenen Herrschaftsbereich
aufzubauen. Wie wichtig die Ehe mit Friderun
war, wird an deren zahlreichen Anniversarien deutlich, die bezeugen, daß
Karl
die
Bindungen zur Sippe seiner Gemahlin auch nach deren Tod pflegte. Friderun
aber gebar keinen Sohn, und daher hatte Karl
keine Möglichkeit, eine Fortsetzung seiner elsässischen Politik
anzubahnen.
Nach Frideruns Tod
heiratete Karl die
angelsächsische
Prinzessin Eadgivu. Es handelt sich um eine der wenigen Ausländerehen
in karolingischer Zeit. Die Verbindung
sollte wohl ein Bündnis gegen die Normannen darstellen. Nach dem Tod
ihres Gatten kehrte Eadgivu gemeinsam
mit ihrem Sohn, Ludwig dem Überseeischen,
nach England zurück. Ludwig
wurde
schließlich von den ROBERTINERN
zurückberufen und zum König erhoben. Die Legitimitätsfrage
stand bei seiner Herrschaftsübernahme nicht im Vordergrund. Zwar wird
eine Krönung Eadgivus nicht erwähnt,
der Krönungsbrauch ist jedoch bei den letzten
westfränkischen
KAROLINGERN
so häufig bezeugt, daß diese durchaus anzunehmen ist. Überdies
wurde Eadgivu auch Königin genannt.
Möglicherweise dotierte Karl der Einfältige
seine angelsächsische Gemahlin noch zusätzlich, wie
dies im Falle Frideruns deutlich bezeugt
ist. Von einer Sonderform der Ausländerehe, die sich rechtlich von
der Vollehe unterschied, kann hier jedenfalls nicht mehr die Rede sein.
13.4.907
1. oo Frederuna von Hamaland, Tochter des Grafen
Dietrich
um 887 -10.2.917
919
2. oo 1. Aethgiva (Eadgifu) von Wessex, Tochter
des Königs Eduard I.
905-26.12.956
951
2. oo Heribert
III. der Alte Graf von Soissons
910/15-29.1.993
Kinder:
1. Ehe
Irmintrud
908/09-
oo Gottfried Pfalzgraf von Lothringen
- 950
Frederuna
-
Adelheid
-
Gisela
-
919
912
oo Robert I. Herzog von der Normandie
- 931
Rotrud
-
Hildegard
-
2. Ehe
Ludwig IV. der Überseeische
10.9.920/21-10.9.954
Illegitim
Arnulf
-
Drogo
-
Roriko Bischof von Laon (948-976)
-20.12.976
Alpais
-
Literatur:
-----------
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ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite15,47-51,90
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1, 40,43,48,49,51,54 Anm. 61, 56,57 Anm.78,61,63,69,72,74 Anm.170,82,86,93,96,
118,169,170 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/ Kasten
Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft
750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 175,283 - Beumann,
Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln, Seite
11,20,27,35-39,42,49,54 - Black-Veldtrup Mechthild: Kaiserin
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- Ehlers Joachim: Die Kapetinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin
Köln 2000, Seite 16,19-24,45, - Ehlers Joachim/Müller
Heribert/Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige
des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München
1996, Seite 8,13,19, 22-35,36-43,45,48,52,54,58 - Eickhoff, Ekkehard,
Theophanu und der König, Klett-Cotta Stuttgart 1996, Seite 289,292,315
- Glocker Winfrid: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung
in der Politik. Böhlau Verlag Köln Wien 1989, Seite 20,24,29,35,187,259,
271,273 - Hlawitschka, Eduard: Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen.
Genealogische Studien zur Geschichte Lothringens und des Reiches im 9.,10.
und 11. Jahrhundert, Saarbrücken 1969, Seite 68-70,75-102,145,155,
166 - Hlawitschka, Eduard: Herzog Giselbert von Lothringen und das
Kloster Remiremont, in Stirps Regia von Eduard Hlawitschka, Verlag Peter
Lang Frankfurt am Main - Bern - New York - Paris, Seite 377- 421 - Hlawitschka
Eduard: Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen Geschichte.
Anton Hiersemann Stuttgart 1968, Seite 22,28,48,66,82,103-105,115-122,124,127-142,146-155,161-163,169,171-181,183,189,194-205,
212,214,216,218,227,231,235,240,247 - Hlawitschka, Eduard: Nachfolgeprojekte
aus der Spätzeit Kaiser Karls III., in Stirps Regia von Eduard Hlawitschka,
Verlag Peter Lang Frankfurt am Main - Bern - New York - Paris, Seite 123-155
- Holtzmann Robert: Geschichte der sächsischen Kaiserzeit.
Deutscher Taschenbuch Verlag München 1971, Seite16,19,43,48-51,59,74-77,96,108,110
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