Begraben: Reims St-Remi
Einziger Sohn des Königs
Karl III. der Einfältige von Frankreich aus seiner 2. Ehe
mit der Aethgivu
von Wessex, Tochter von König Eduard
I.
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 2176
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Ludwig IV. (Transmarinus, d’Outre-Mer), westfränkischer
König 936-954
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+ 10. Oktober 954
Reims
Begraben: Reims St-Remi
Sohn König Karls III. des Einfältigen
oo 939 Gerberga, Schwester OTTOS I.
Die Kämpfe mit dem Haus VERMANDOIS um die Francia ließen 936 Hugo den Großen die Restitution des karolingischen Hauses und die Rückholung Ludwigs IV. aus seinem englischen Exil betreiben. Am 19. Juni 936 in Laon gekrönt, mußte Ludwig IV. dafür Hugos Sonderstellung anerkennen, konnte aber seit 937 selbständige Politik betreiben und 939 in den ostfränkischen Aufstand gegen OTTO I. eingreifen. Der Erwerb Lotharingiens scheiterte, und 940 sah sich Ludwig IV. bei Feldzug OTTOS I. nach W einer Koalition des westfränkischen Adels gegenüber (Huldigung Hugos und Heriberts II. an OTTO I. in Attigny). Ein 942 gefundener Ausgleich stand schon 945 wieder in Frage, als Ludwig IV. in Rouen gefangengenommen und an Hugo ausgeliefert wurde, der für die Freilassung des Königs dessen Hauptort Laon erhielt. Nur durch massives Eingreifen OTTOS I. wurde das karolingische Königtum gerettet: Der Streit um das für Ludwig wichtige Erzbistum Rems konnte auf einer gemeinsamen mit OTTO I. in Ingelheim durcvhgeführten Synode (Juni 948) zugunsten des königlichen Kandidaten entschieden werden, 949 gelang doe Rückeroberung Laons. Der 950 vom lothringischen Herzog Konrad vermittelte Friede sicherte dem Reich vorübergehende Ruhe, dem karolingischen Königtum seine bescheidenen Ressourcen vor allem um Laon und Reims, erwies aber auch die machtvolle Entscheidungsgewalt OTTOS I. im Sinne einer 'Familienpolitik'. Owohl es Hinweise für eine versuchte Reichsteilung unter Ludwigs Söhnen Lothar und Karl 953 in der Tradition fränkischer Sukzession gibt (Brühl), sicherte Lothars Sohnesfolge 954 das in O-Franken schon 936 beachtete Prinzip der Unteilbarkeit des Reichs auch für W-Franken/Frankreich.
Quellen:
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Recueil des actes de L. IV roi de France, ed. P. Lauer,
1914 -
Literatur:
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P. Lauer, Le regne de L. IV d'O.-M., 1900 - W. Kienast,
Dtl. und Frankreich in der Ks.zeit (900-1270); I, 1974², 59ff.; III,
1975², 663ff. - HEG, I, 745ff. - B. Schneidmüller, Karol. Tradition
und frühes frz. Kgtm., 1979, 1476ff. - K. F. Werner, Hist. de France,
I, 1984, 463ff. [dt. 1989] - Ders. Dtl.-Frankreich. Die Geburt zweier Völker,
1990, 461ff. -
VI. Generation
47
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Die genaue Geburtszeit König
Ludwigs, zwischen 920 IX 10 und 921 IX
10, schon bei Brandenburg, nur so nicht auf der Tafel. Der Antritt der
Königs-Würde, bei Brandenburg 936, kann präzisiert werden
auf 936 VI 19, vgl. die Ausgabe von Ludwigs
Urkunden durch Ph. Lauer, Recueil des actes de Louis IV, Paris 1914, LXXXIV.
Zu
Ludwigs Gemahlin
Gerberga,
der Schwester König HEINRICHS I. (Richtig
ist: Tochter König HEINRICHS I.
und
Schwester OTTOS I.),
ist zu bemerken, daß sie 951 von ihrem Gatten die Abtei ND de Laon
erhielt, die er seiner Mutter Ogiva
anläßlich deren Ehe mit Graf Heribert weggenommen hatte, und
daß sie 959 als Äbtiassin von ND de Soissons begegnet, vgl.
Voigt 41 und HF 9,665.
Brühl Carlrichard: Seite 47-59
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"Ludwig IV. der Überseeische"
in: Ehlers/Müller/Schneidmüller: "Die französischen Könige des Mittelalters"
LUDWIG IV. ("DER ÜBERSEEISCHE") 936-954
Ludwig IV.
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* ca. 921, + 10.9.954
Reims
Begraben: Abtei St-Remi/Reims
Eltern: Karl III. "der Einfältige" von W-Franken (+ 929) und Eadgyfu, Tochter des Angelsachsen-Königs Edward I. (+ 926) und Schwester des Angelsachsen-Königs Athelstaan (+ 940)
923 flieht Eadgyfu nach der Gefangennahme Karls III.
mit dem jungen Ludwig zu ihrem Vater nach
England
Anfang Juni 936 landet Ludwig
IV. mit Zustimmung Athelstans bei Bologne-sur-Mer
und empfängt die Huldigung der dort anwesenden Großen, an der
Spitze Hugos "des Großen"
19.6.936 Krönung und Salbung
Ludwigs IV. in Laon von der Hand Erzbischof Artolds von Reims.
Im Herbst 939 heiratet Ludwig
IV. die ca. sieben Jahre ältere Gerberga, Schwester König
OTTOS von O-Franken und Witwe des Herzogs Giselbert von Lothringen
Kinder aus dieser Ehe:
1. der Thronfolger Lothar (* 941)
2. eine Tochter Gerberga (* 940 oder 942), die Graf
Albert von Vermandois heiratete (vor 954)
3. eine Tochter Mathilde (* 943), die künftige
Königin von Burgund (verheiratet seit ca. 965/66 mit König
Konrad von Burgund
4. ein Sohn Karl (* 945), der bald nach seiner Geburt
den Normannen als Geisel übergeben wurde und in normannischer Gefangenschaft
verstarb
5. ein Sohn Ludwig (* 948, +
954), der kurz vor dem Vater in Laon verstarb
6. die Zwillingen Heinrich
und Karl (* 953).
Heinrich stirbt bald, Karl
ist der künftige Herzog von Nieder-Lothringen und Rivale Hugos
Capet
Sommer 940 W-Frankenfeldzug OTTOS
I. von O-Franken im Bunde mit Herzog Hugo
Magnus. Artold von Reims war schon zuvor zur Abdankung gezwungen
worden
Sommer 941 schwere Niederlage Ludwigs
in der Schlacht in den Ardennen gegen Hugo Magnus
und Heribert II. von Vermandois
November 942 Treffen Ludwigs
IV. mit
OTTO I. in Vise-sur-Meuse
im Sommer 943 besiegt Ludwig
IV. die zum Heidentum abgefallenen Normannen unter ihren Führern
Turnold und Setrik, die in der Schlacht fallen
im Sommer 944 benmächtigt sich
Ludwig IV. der Normandie
im Juli 945 wird Ludwig IV.
in
Rouen von normannischen Großen gefangenfesetzt und später an
Hugo Magnus ausgeliefert
im Frühjahr 946 muß
Ludwig IV.
Laon an Hugo übergeben
und wird daraufhin freigelassen
im Frühherbst 946 zieht OTTO
DER GROSSE im Bunde mit Ludwig IV. vor
Reims, das ohne Kampf eingenommen wird; Artold wieder Erzbischof von Reims,
sein Gegenspieler Hugo flieht, dankt aber nicht ab
946-948 erbitterter Streit um das Erzbistum Reims:
Synoden von Verdun (Herbst 947) und Mouzon (Januar 948); Papst Agapet mit
Reimser Streit befaßt
im Juni 948 Synode in Ingelheim unter Vorsitz des
päpstlichen egaten Marinus und beider Franken-Könige: Hugo
wird
exkommuniziert und Artold ist erneut rechtmäßiger Erzbischof
im Sommer 949 bemächtigt sich Ludwig
IV. überraschend der Stadt Laon mit Ausnahme des großen
Turms, der von der Besatzung Hugos gehalten
wird
Herbst 949 Ludwig IV. in
Burgund
im Frühjahr 950 treffen sich
Ludwig IV. und Hugo Magnus unter Vermittlung
Herzog Konrads von Lothringen an der Marne; Hugo
erneuert den Lehnseid und überlaßt Ludwig
den Turm von Laon
13.3.953 Gerichtstag in Soissons: endgültige
Aussöhnung zwischen Ludwig und Hugo
Magnus
Am 10.9.954 stirbt Ludwig IV.,
nur 33 Jahre alt, in Reims an den Folgen eines Jagdunfalls; Beisetzung
in der Abtei St-Remi/Reims.
An einem unbekannten Tag in der 1. Junihälfte des
Jahres 936 warf ein angelsäschsisches Schiff vor Boulogne Anker. Es
hatte den neuen westfränkischen König an Bord,
Ludwig, den Sohn des unglücklichen Karl
III. von W-Franken, der seine letzten Lebensjahre in der Gefangenschaft
seiner Feinde hatte verbringen müssen. Karls Gemahlin Eadgyfu
war daher im Herbst 923 mit ihrem ca. 2-jährigen Sohn Ludwig
an den Hof ihres Vaters, des Angelsachsen-Königs
Edwards I. geflohen: ihre Schwester Eadhild
hatte etwa zur gleichen Zeit den princeps Hugo
Magnus, den gefährlichsten RivalenKarls III., geheiratet;
ihre jüngere Schwester Eadgyd (Edith) wird
929 den künftigen O-Franken-König OTTO
I. heiraten. Ludwig verbrachte
somit seine ganze Kindheit und Jugend in England. Als
König Rudolf von W-Franken am 14. oder 15. Januar 936 in
Auxerre starb, konnten sich die Großen des Reiches nicht auf einen
Nachfolger aus ihren Reihen einigen. So entschloß sich Hugo
Magnus, der für seine Person die Königswürde
offenbar nicht angestrebt hatte, die Krone dem in angelsäschsischem
Exil lebenden jungen Ludwig anzubieten.
König
Aethelstan stimmte erst nach förmlichen Sicherheitsgarantien
für seinen Neffen der Rückkehr ins W-Frankenreich zu, hielt seine
Schwester Eadgyfu aber zunächst
noch an seinem Hofe zurück. Die Rückkehr des jungen Herrschers
ins W-Frankenreich trug ihm wohl seinen schon von den Zeitgenossen gebrauchten
Beinamen Trans- oder Ultramarinus, der "Überseeische",
ein ("Louis d'Outremer").
Ludwig
wurde am Strand von Boulogne von Hugo Magnus
und anderen westfränkischen Großen begrüßt, die dem
neuen Herrn sogleich huldigten. Die Großen geleiteten Ludwig
nach
Laon, wo Erzbischof Artold von Reims am 19. Juni 936 Salbung und Krönung
des jungen Herrschers vollzog.
Ludwig wußte
sehr wohl, wem er die Krone zu verdanken hatte. Schon in der ältesten
von ihm überlieferten Königsurkunde bezeichnet er Hugo
als "herausragenden Herzog der Franken" (dux Francorum egregius), und in
einer am Weihnachtstag des Jahres 936 in Compiegne gegebenen Urkunde betont
Ludwig
sogar, dass Hugo Zweiter in allen Königreichen
sei (in omnibus regnis nostris a nobis). Die Bedeutung des Titels dux Francorum
ist in der Forschung seit über einem Jahrhundert umstritten; es ist
hier nicht der Ort, die Frage im einzelnen zu erörtern. Sicher erscheint
nur, dass der Rang Hugos über
den seiner Mitfürsten herausgehoben werden sollte, auch wenn ich nicht
an ein förmliches Vizekönigtum glaube, das man wohl unter dem
Eindruck des Verhaltens Hugos in der Folgezeit hat annehmen wollen. Das
Verhältnis Ludwigs zu seinem Protektor
Hugo
war zunächst reibungslos.
Ludwig
begleitete Hugo auf dessen Feldzug
gegen Hugo "den Schwarzen" (das heißt den Schwarzbärtigen),
den Bruder des verstorbenen W-Franken-Königs
Rudolf, der dem übermächtigen dux Francorum den N
Burgunds, insbesondere die wichtige Grafschaft Sens abtreten mußte,
die einst Richard "le Justicier", der Vater Hugos des Schwarzen, für
Burgund erworben hatte. Anschließend begleitete Ludwig
Hugo sogar nach Paris. Der Friede, den Hugo Magnus
mit
Hugo dem Schwarzen schloß, nutzte allein dem dux Francorum und öffnete
Ludwig die Augen über die ihm von Hugo
zugedachte Rolle. Aber auch die übrigen Großen des W-Frankenreichs
konnten sich kaum Ilusionen machen über die Machtstellung Hugos,
die mit der eines fränkischen Hausmeiers des 8. Jahrhunderts vergleichbar
schien. Sie waren daher geneigt, die Position des Königs zu stärken,
um ein Gegengewicht gegen die erdrückende Übermacht Hugos
zu
schaffen. Ludwig feierte das Weihnachtsfest
936 bereits in der königlichen Pfalz Compiegne, zog von dort nach
Laon, wo er seine Mutter traf, die aus England nach W-Franken gekommen
war. In Laon ernannte er auch einen neuen Kanzler in Gestalt des Erzbischofs
Artold von Reims, der damit zugleich zu Ludwigs
wichtigstem Berater aufstieg. Die Reaktion Hugos
ließ nicht lange auf sich warten: er schloß Frieden mit seinem
Erzfeind, dem Grafen Heribert II. von Vermandois, während
Ludwig den gerade von Hugo
gedemütigten Hugo von Burgund zum Markgrafen (marchio) erhob und zum
Bundesgenossen gewann. Die Fronten waren nun abgesteckt: die Feindschaft
zwischen Hugo Magnus und Ludwig
war fortan - von ganz kurzen Intervallen abgesehen - der einzige sichere
Faktor im politischen Ränkespiel W-Frankens während der Regierungszeit
Ludwigs
IV. Es ist nicht meine Absicht, die Kämpfe und Intrigen
der Folgejahre hier im einzelnen darzustellen; selbst der Fachmann würe
rasch die Übersicht verlieren.
Unerläßlich scheint mir dagegen eine knappe
Darstellung der an den Kämpfen um die Vorherrschaft in W-Franken beteiligten
inner- und außerfränkischen Mächte. Den Fürsten des
S (Aquitanien, Spanische Mark, Auvergne, Gascogne) kam im inneren Kräftespiel
keine hohe Bedeutung zu; weder griffen sie aktiv in das Geschehen nördlich
der Loire ein, noch hatten sie Angriffe von dort zu befürchten. Die
Fürsten des S galten allgemein als treue Anhänger der KAROLINGER,
was formal fraglos richtig ist. Ich sehe in der Anhänglichkeit an
die angestammte Dynastie jedoch weniger Treue zum Königshaus als bewußte
Distanz zu den ROBERTINERN: mit diesen
hatte man gemeinsame Grenzen, mit der Krondomäne des Königs nicht.
Immerhin bestanden 941,944 und 953 lose Kontakte zum westfränkischen
König.
Die Beziehungen Ludwigs
zu den Fürstentümern im N (Bretagne, Normandie und Flandern)
waren freundlich. Von der Normandie wird noch mehrfach zu sprechen sein;
die Bretagne erkannte - ein Novum seit den Tagen KARLS
DES KAHLEN - die formelle Oberhoheit des westfränkischen
Königs an. Der Graf und marchio von Flandern, ein natürlicher
Feind der Herren von Vermandois, gehörte zu den zuverlässigsten
Verbündeten Ludwigs. Zu den geschworenen
Feinden Ludwigs zählte Heribert
II. von Vermandois, ein direkter Nachkomme KARLS
DES GROSSEN über dessen Sohn Pippin
von Italien; er besaß unter anderem die Grafschaften Amiens,
Meaux und Vermandois mit St-Quentin, Grafschaften im Raum Soissons mit
der bedeutenden Abtei St-Medard, deren Laienabt er war. Das Verhältnis
Ludwigs
zu Hugo dem Schwarzen von Burgund war zwiespältig wie zu so vielen
großen Herren der Zeit: Er war mehrere Jahre mit ihm verbündet
(938-942), zerwarf sich mit ihm und blieb bis zu Hugos Tod (17. Dezember
952) auf Distanz zu dem Burgunder. Der mit weitem Abstand mächtigste
Fürst im W-Frankenreich war aber fraglos Hugo
"der Große", wobei "Magnus"
allerdings zunächst nur "der Ältere" meinte im Gegensatz zu Hugos
gleichnamigen Sohn (dem
"Capet").Hugo
war der unbestrittene Herr Neustriens und führte schon vor seiner
förmlichen Erhebung zum dux den Titel eines marchio; Hugos
Machtbereich (Flodoard von Reims: terra Hugonis) umfaßte rund 20
Grafschaften, von denen 10, darunter die Grafschaften Angers, Blois, Chartres,
Orleans, Paris Sens und Tours, dem ROBERTINER
direkt unterstanden; darüber hinaus war er auch noch Laienabt des
neben St-Denis reichsten fränkischen Klosters St-Martin in Tours,
weshalb er in Urkunden gelegentlich den Titel eines Abt-Grafen (abbas comes)
führte. Wie ärmlich nahm sich daneben die Krondomäne des
Königs aus! Er besaß noch einige der alten Pfalzen wie Attigny
(seit 951), Compiegne, Corbeny, Douzy, Ponthion und andere, die Grafschaft
Laon und insbesondere das feste Laon selbst, wo er sich jedoch erst 938
in den Besitz der Zitadelle setzen konnte, die Laon beherrschte und 928/31
von Heribert II. von Vermandois errichtet worden war. Die Grafschaft Reims
hatte Ludwig schon 940 dem Erzbischof
übertragen, der damit der erste der sechs Bischöfe (Reims, Chalons-sur-Marne,
Beauvais, Nyoyn und Langres) ist, die im W-Frankenreich auch Inhaber der
gräflichen Gewalt waren, wie dies in O-Franken im 10. Jahrhundert
die Regel wurde. Nicht zufällig stiegen gerade diese Bischöfe
im 13. Jahrhundert zu "Pairs de France" auf.
Das Verhältnis Ludwigs
zu den fränkischen Reichen in O-Franken und Burgund wurde früher
in Forschung und Literatur unter der Rubrik "Auswärtige Beziehungen"
abgehandelt, wovon noch ausführlich zu sprechen sein wird. "Auswärtige
Beziehungen" eigener Art unterhielt Ludwig
mit den Ungarn und den Sarazenen, die sich seit ca. 900 im Raum von La
Garde-Freinet (im heutigen Department Var) verschanzt hatten und von dort
aus die Umgebung heimsuchten; sie waren jedoch nur ein Problem für
die Fürsten des S, Ludwig IV. sah
sich niemals direkt mit ihnen konfrontiert. Sehr viel gefährlicher
waren die Raubzüge der Ungarn, die das W-Frankenreich mehrfach heimsuchten,
insbesondere in den Jahren 937 und 954; beide Male waren vor allem die
Diözese Reims und Burgund betroffen. Während diese Züge
jeweils über Lothringen geführt hatten, fiel ein ungarischer
Raubtrupp des Jahre 951 aus Italien über die Alpen in den S ein und
kehrte auf demselben Weg nach Italien zurück. In allen Fällen
konnte Ludwig es nicht wagen, den Ungarn
mit Heeresmacht entgegenzutreten: ein unglücklicher Ausgang des Kampfes
hätte mit Sicherheit das Ende seiner Regierung bedeutet und
Hugo den Weg zur Herrschaft geebnet; aus demselben Grund waren
aber auch Hugo Magnus die Hände
gebunden. Die Rivalität zwischen Ludwig
und Hugo, die den Ungarn natürlich
nicht verborgen geblieben war, verhinderte so - ganz im Gegensatz zu O-Franken
- die Verteidigung des Landes gegen den gemeinsamen Feind.
Das Verhältnis Ludwigs
- und
Hugos! - zu O-Franken, konkret:
zu
OTTO DEM GROSSEN, ist die zentrale
Frage der westfränkischen Politik in den Jahren 939-950 und bedarf
daher gesonderter Behandlung. Ich bemerkte bereits, dass die Beziehungen
zwischen den genannten Fürsten in der älteren Literatur durchgängig
als solche zwischen "Deutschland" und "Frankreich" dargestellt wurden,
was einer ganz und gar unhistorischen Betrachtungsweise entspricht, deren
Konsequenz hier an einigen instruktiven Beispielen zu erläutern sein
werden. Der Regierungsstil des neuen
ostfränkischen
Königs OTTO I. nahm stäker karolingische,
die Sonderstellung des Königtums hervorhebende Formen der Herrschaft
auf als die eher die "kollegiale" Gemeinsamkeit des Fürstenstandes
betonende Politik des Vaters. Dies hatte zu einer schweren Krise des Königtums
in O-Franken geführt, in der mehrere Fürsten, an der Spitze die
Herzöge Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen, gemeinsam
mit dem jüngeren Bruder des Königs, Heinrich,
die Absetzung OTTOS anstrebten, wobei
sie auch die Tötung des Königs in Kauf zu nehmen gewillt waren.
In dieser Situation hatte Giselbert Ludwig IV.
die
Huldigung für Lothringen angeboten, was Ludwig
zunächst abgelehnt, im Frühsommer 939 angesichts der scheinbaren
Übermacht der Koalition gegen OTTO
aber schließlich doch angenommen hatte. Daraufhin verbündete
sich OTTO mit Hugo
Magnus, Heribert II. von Vermandois, Arnulf von Flandern und
Wilhelm "Langschwert" von der Normandie, doch in O-Franken schien nach
dem Rheinübergang Giselberts und Eberhards bei Andernach OTTOS
Niederlage besiegelt. Ein gelungener Überfall zweier fränkischer,
mit OTTO verbündeter Grafen am
2. Oktober 939 änderte ohne direktes Zutun
OTTOS
mit einem Schlag die politische Großwetterlage: Eberhard von Franken
fiel im Kampf, Giselbert ertrank auf der Flucht in den Fluten des Rheins,
die Opposition gegen OTTO brach zusammen.
Ludwig
war im Augenblick von Giselberts Tod vielleicht bereits auf dem Zug nach
Lothringen gewesen, jedenfalls heiratete er dort sogleich die um etwa 7
Jahre ältere Witwe Giselberts
Gerberga,
eine Schwester König OTTOS. Noch
im selben Jahr 939 wurde sie von Erzbischof Artold in Laon gesalbt und
gekrönt. Damit war auch Ludwig
- zunächst gegen den Willen OTTOS
- zum Schwager des ostfränkischen Königs geworden, was Hugo
Magnus bereits 937 durch die Heirat mit Hathui
(Hedwig) erreicht hatte.
Die neue indirekte Verwandtschaft mit Ludwig
hinderte Hugo allerdings nicht, sich
noch 939 gemeinsam mit Heribert II. von Vermandois zu OTTO
nach Lothringen begeben, was Ludwig
mit einer Annäherung an den Normannenfürsten Wilhelm beantwortete,
der ihm huldigte und erneut mit den einst von Karl
III. von W-Franken an Rollo vergebenen Territorien belehnt wurde.
Doch diese Annäherung war nur vorübergehend: Schon im Frühsommer
940 belagerte Wilhelm im Bunde mit Hugo Magnus
und Heribert II. die Stadt Reims, wohl aus Zorn darüber, dass Ludwig
Erzbischof Artold gerade die Grafschaft Reims verliehen hatte. Artold konnte
Reims nicht verteidigen und wurde in das Kloster St-Remi verbannt, während
der schon 925 als Fünfjähriger zum Erzbischof von Reims bestellte
Hugo, ein Sohn Heriberts II., nun erneut als Erzbischof eingesetzt und
der zum Rücktritt gezwungene - von einem Verzichtseid spricht nur
Richer - Artold mit den Abteien Avenay und St-Bale abgefunden wurde. Der
Kampf um das Erzbistum Reims, der in den folgenden Jahren im Mittelpunkt
der westfränkischen Politik steht, erweist sich so als der auf die
Kirchenpolitik übertragene Kampf zwischen ROBERTINERN
und KAROLINGERN um die Macht im W-Frankenreich.
OTTO war inzwischen
von Lothringen aus nach W-Franken vorgestoßen; in Attigny huldigten
ihm Hugo Magnus und Heribert, doch
von einem Angebot der westfränkischen Krone, wie dies einst 858 in
Ponthion geschehen war, ist nicht mehr die Rede. Ludwig
zog
sich vor der Übermacht nach Burgund zurück, doch auch Hugo der
Schwarze wurde zum Nachgeben gezwungen. Hochzufrieden mit dem Erfolg des
Feldzuges kehrte OTTO im Spätsommer
nach O-Franken zurück, doch Ludwig
kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung und unternahm einen Einfall nach
Lothringen noch im Herbst 940, aber es kam nicht zur Schlacht. Ein Waffenstillstand
beendete das lothringische Abenteuer Ludwigs.
Hugo Magnus und Heribert
II. beriefen zu Ostern 941 eine Synode nach Soissons, die erwartungsgemäß
Artold für abgesetzt erklärte, der seinerseits mit der Exkommunikation
der Teilnehmer der Synode reagierte: Hugo, Heriberts Sohn, wurde zum neuen
Erzbischof gewählt und in Reims feierlich inthronisiert. Als Ludwig
die Belagerung seiner Residenz Laon durch Hugo
Magnus und Heribert mit einer eilig zusammengerafften Armee
durchbrechen wollte, kam es in den Ardennen zur offenen Feldschlacht, die
mit einer vernichtenden Niederlage für Ludwig
endete, der nur knapp dem Schlachtentod entrann. Dennoch gelang es den
Verbündeten nicht, Laon einzunehmen, wo die Königin
Gerberga gerade in diesen Tagen einem Sohn Lothar
das Leben schenkte, der dazu berufen war, die Nachfolge des Vaters
anzutreten.
Die Niederlage des Jahre 941 lastete freilich immer schwer
auf dem König. Ihm wurde unerwartet Hilfe von seiten Papst Stephans
VII. zuteil, der eigens einen Legaten nach Westfranken entsandte, um die
Großen W-Frankens und Burgunds zur Anerkennung Ludwigs
zu ermahnen. Die Intervention des Papstes blieb nicht ohne Wirkung, insbesondere
auf die Bischöfe der Reimser Kirchenprovinz, obwohl der Papst dem
neu eingesetzten Erzbischof Hugo das Pallium nicht verweigerte und damit
ihr Verhalten auf der Synode von Soissons nachträglich billigte.
Auf der Suche nach einem Verbündeten wandte sich
Ludwig zunächst an den marchio der Normandie, Wilhelm Langschwert,
der den König sogleich nach Rouen einlud. Als Ludwig
mit neuen Truppen gegen Hugo und Heribert
bis zur Oise vorstieß, wurde eine erneute Schlacht vermieden und
ein zweimonatiger Waffenstillstand geschlossen. Diese Zeit nutzte Ludwig
zu einem Treffen mit OTTO I. in Vise-sur-Meuse
im Lüttichgau, das heißt auf lothringischem Gebiet. Auf der
Seite OTTOS nahmen die Erzbischöfe
Friedrich von Mainz und Brun von Köln,
OTTOS
Bruder, teil. Die Anwesenheit Hugos,
Heriberts II. und Wilhelms Langschwert ist dagegen mehr als fraglich. Schon
die Wahl des Treffpunkts in Lothringen implizierte Ludwigs
Verzicht auf alle lothringischen Ansprüche, und wahrscheinlich hat
er damals auch auf seine Interessen im Viennois verzichtet, wo Konrad
von Burgund seit 942 anerkannt war.
OTTOS Gegenleistung
bestand in der formellen Versöhnung Ludwigs
mit Hugo und Heribert, die sich erneut
unterwarfen. Für Ludwig
war das
Treffen von Vise, das wohl nicht ohne das energische Eintreten Gerbergas
bei OTTO zustandegekommen wäre,
von entscheidender Bedeutung, denn fortan stand OTTO
eher auf seiner Seite denn auf der Hugos. Nicht weniger als siebenmal haben
sich OTTO und Ludwig
zwischen 942 und 950 getroffen, zweimal haben sie bei dieser Gelegenheit
das Osterfest in Aachen gefeiert, ein weiteres Mal besuchte Gerberga
ihren Bruder in Aachen ohne die Begleitung Ludwigs.
Ohne die Beziehungen zu Hugo Magnus
je abzubrechen, mit dem er nach Bedarf gleichfalls zusammentraf, neigte
OTTO
fortan
doch deutlich Ludwig zu, dessen Position
gegenüber Hugo gestärkt war.
Doch lag es nicht im Interesse OTTOS,
einen der beiden Kontrahenten eine eindeutige Dominanz zu verschaffen.
Nachdem so das Jahr 942 mit einem akzeptablen "modus
vivendi" zwischen
Ludwig und Hugo
Magnus zu Ende ging, war der Grundstein für künftige
schwere Auseinandersetzungen schon wieder gelegt: Noch im Dezember fiel
Wilhelm Langschwert, der marchio der Normandie und Sohn Rollos, einem von
Arnulf von Flandern vorbereiteten Mordanschlag zum Opfer. Ludwig
zog sofort nach Rouen, um dort Richard, den noch minderjährigen Sohn
Wilhelms, mit dem Territorium zu belehnen, über das einst sein Vater
geherrscht hatte. Aber das war nicht alles: Kurze Zeit später starb
Heribert II. von Vermandois, der künftigen Generationen als der Inbegriff
des Verräters erschien, da er Karl III. von
W-Franken, Ludwigs Vater,
lange Jahre gefangengehalten hatte. Eine von Hugo
Magnus vermittelte Aussöhnung zwischen den fünf Söhnen
Heriberts - darunter Erzbischof Hugo von Reims - mit dem König blieb
nicht von langer Dauer, doch galt das Interesse
Ludwigs zunächst der Normandie, wo neu aus Skandinavien
eingetroffene Krieger die heidnischen Kulte wiederbelebten und das gesamte
Christianisierungswerk der letzten Jahrzehnte in Frage stellten. Der in
offener Feldschlacht errungene Sieg
Ludwigs
über die beiden Anführer der heidnischen Partei, die in der Schlacht
fielen, setzte der Gefahr ein Ende und stärkte den Einfluß Ludwigs,
der den jungen Richard wahrscheinlich an seinem Hof behielt. Das gute Verhältnis
zwischen Hugo Magnus und Ludwig
hielt
an; neben der - vorübergehenden - Aussöhnung mit den Söhnen
Heriberts II. vermittelte Hugo auch
diejenige mit Arnulf von Flandern, die in der Normandie naturgemäß
auf wenig Gegenliebe stieß. Unter dem Eindruck dieser Beweise guten
Willens seitens Hugos entschloß
sich Ludwig, Hugo
erneut den ducatus Franciae (Flodoard) und darüber hinaus auch Burgund
zu verleihen, was den Bruch mit Hugo dem Schwarzen, seinem alten Verbündeten,
bedeutete. Gleichzeitig verschlechterten sich die Beziehungen Ludwigs
zu OTTO drastisch infolge einer unglücklich
verlaufenen Gesandtschaft an dessen Hof.
Innere Streitigkeiten in der Bretagne hatten es den Normannen
- in Abwesenheit ihres noch unmündigen marchio Richard und des Königs
- erlaubt, auf eigene Faust in der Bretagne einzugreifen, die Bretonen
in drei blutigen Schlachten zu besiegen und alle Bretonen aus der Normandie
zu vertreiebn, an deren Stelle Neuankömmlinge aus Skandinavien traten,
deren religiöse wie politsche Optionen zumindest unsicher erschienen.
Ludwig
sammelte ein Heer und begab sich nach N. Zu seiner eigenen Überraschung
zog er ohne Schwertstreich in Rouen ein, während viele ihm feindlich
gesonnene Normannen das Land ohne Kampf verließen.
Ludwig hatte Hugo aufgefordert,
das angebliche Bollwerk des Heidentums, Bayeux, zu belagern, was dieser
auch tat. Nach seinem leichten Erfolg in Rouen befahl
Ludwig jedoch, dass Hugo
die Belagerung aufgeben solle, wohl weil er diesem den Gewinn von Bayeux
nicht gönnte. Kurz darauf hielt Ludwig
selbst seinen Einzug in der Stadt, auch hier ohne Kampf und Belagerung.
Der König schien auf dem Höhepunkt seiner Macht!
Das seit 942 gute Verhältnis zu Hugo
Magnus, auf das jedoch schon im Vorjahr einige Schatten gefallen
waren, wurde hierdurch auf das Schwerste belastet. Die im Frühjahr
945 begonnene Belagerung von Reims mit dem Ziel, den seit 943 am Hofe des
KAROLINGERS
weilenden ehemaligen Erzbischof Artold wieder in seine alte Würde
einzusetzen, scheiterte letzlich an der drohenden Haltung Hugos.
Ludwig kehrte in
die Normandie zurück, wo er scheinbar allgemein anerkannt war, doch
fiel er am 13. Juli 945 zwischen Rouen und Bayeux in einen Hinterhalt,
sein Gefolge wurde niedergemetzelt. Ludwig
konnte zwar zunächst nach Rouen entkommen, wurde dort jedoch gefangengesetzt
und nach längeren Verhandlungen an Hugo Magnus
ausgeliefert. Die Normannen hatten die Gestellung des ältesten Sohnes
Ludwigs,
des damals 4-jährigen
Lothar,
als Geisel gefordert, was Königin Gerberga
strikt abgelehnt hatte. Sie mußten sich mit dem Letztgeborenen
Karl begnügen, der wahrscheinlich
in normannischer Gefangenschaft starb.
Damit schien Ludwig
dassselbe Schicksal beschieden wie seinem Vater; in wenigen Monaten war
dem Höhepunkt der Macht der tiefste Sturz gefolgt. Hugo
Magnus begab sich sogleich nach Lothringen, um die zu erwartenden
Demarchen Gerbergas bei ihrem Bruder
zu neutralisieren, doch OTTO
entzog
sich der gewünschten Unterredung und entsandte Herzog Konrad von Lothringen.
Es konnte nicht in OTTOS Interesse
liegen, Hugo als den unumstrittenen
Herrscher W-Frankens, gewissermaßen als König ohne Krone, anzuerkennen.
So zog Hugo unverrichteter Dinge in
die Francia zurück. Es scheint unwahrscheinlich, dass er ernsthaft
die Absetzung des Königs betrieben hat - er datiert seine Urkunden
unverändert nach den Regierungsjahren Ludwigs
-, doch der Preis für die Freilassung war hoch: die königliche
Residenz Laon, die festeste Stadt W-Frankens, mußte Hugo
übergeben werden.
Der freigekommene Ludwig
verbündete sich sogleich mit OTTO,
der an der Spitze eines großen Heeres nach W-Franken zog, dem sich
der KAROLINGER und Arnulf von Flandern
anschlossen. Die Einnahme von Laon erwies sich als unmöglich, eine
Belagerung als zeitraubend, so dass sich das Interesse
OTTOS
auf Reims konzentrierte. Erzbischof Hugo erkannte die Aussichtslosigkeit
des Widerstands: Die Belagerer billigten ihm freien Abzug zu, und er zog
sich nach Mouzon zurück, ohne formell als Erzbischof abgedankt zu
haben. Nach dem Einzug der Könige in Reims wurde Artold feierlich
in sein altes Amt eingesetzt.
Das Heer zog noch bis in die Nähe von Paris, doch
konnte von einer Belagerung keine Rede sein, zumal Hugo
selbst sich nach Orleans zurückgezogen hatte und von dort den Gang
der Dinge beobachtete. In der Tat sah OTTO
sich bald zun Rückzug gezwungen: Der etwa dreimonatige Feldzug hatte
als einziges greifbares Resultat die Wiedereinsetzung Artolds gebracht,
und der Kampf um das Erzbistum Reims sollte in den Folgejahren im Vordergrund
stehen.
Während Ludwig
das Osterfest 947 bei OTTO in Aachen
verbrachte, belagerte Hugo Reims. Doch
dieses Mal kapitulierte Artold nicht. Im Sommer 947 trafen OTTO
und Ludwig erneut am Chiers zusammen,
um über die Reimser Frage zu beraten. Die anwesenden Bischöfe
bestanden auf einer Synode, die schließlich unter dem Vorsitz Erzbischof
Roberts von Trier in Verdun zusammentrat; dort erschien Hugo,
obwohl geladen, jedoch nicht. Die Synode erklärte sich einstimmig
für Artold als rechtmäßigen Erzbischof, ließ Hugo
jedoch eine Einspruchsfrist bis zum 13. Januar 948. Zu diesem Datum trat
abermals eine Synode unter Vorsitz des Trierer Erzbischofs zusammen, dieses
Mal jedoch in der Peterskirche direkt vor den Mauern von Mouzon, wohin
Erzbischof Hugo sich geflüchtet hatte. Dieser begab sich zwar zu einem
Gespräch mit Erzbischof Robert vor die Peterskirche, weigerte sich
aber, vor der Synode zu erscheinen, die ihn prompt exkommunizierte und
Artold erneut als rechtmäßigen Amtsinhaber bestätigte.
Die schriftliche Mitteiling an Hugo
sandte dieser sofort an Robert zurück mit dem Bemerken, dass er sich
in keiner Weise an den Beschluß der Synode gebunden fühle. Artold
wandte sich nunmehr direkt an Papst Agapet II. (946-955), um eine endgültige
Entscheidung herbeizuführen. Der Papst entsandte in der Tat eigens
einen Legaten, den Bischof Marinus von Bomarzo, Bibliothekar der römischen
Kirche, zu OTTO. Das Konzil wurde zum
7. Juni 948 in die Pfalz Ingelheim bei Mainz einberufen, wo die heilige
und Generalsynode (sancta er generalis synodus) unter dem Vorsitz des Kardinallegaten
in der dortigen Remigius-Kirche zusammentrat. Die päpstliche Kanzlei
hatte eigene Einladungsschreiben an bestimmte Bischöfe der Gallia
und und der Germania versandt, darunter selbstverständlich auch an
Erzbischof Hugo und dessen Onkel Hugo Magnus, die jedoch beide nicht erschienen,
womit der Ausgang des Konzils weitgehend präjudiziert war.
Es verstand sich fast von selbst, dass die Bischöfe
aus dem Machtbereich
Herzog Hugos an
dem Konzil nicht teilnahmen; aber auch Arnulf von Flandern sorgte für
die Abwesenheit der Bischöfe von Arras, Therouanne und Tournai. Mit
Ausnahme des Erzbischofs Artold und des aus seinem Sitz vertriebenen Bischofs
Rudolf von Laon unterstanden alle übrigen der insgesamt 32 teilnehmenden
Bischöfe dem ostfränkischen König.
Ludwig
war persönlich in Ingelheim erschienen, um die Sache Artolds, die
ja auch die seine war, vor dem Legaten und König
OTTO zu vertreten, den somit eine Schiedsrichterrolle zufiel.
Die Verhandlungen verliefen im Sinne Ludwigs
und Artolds. Schon am 8. Juni fällt das Konzil sein Urteil: Hugo
wurde exkommuniziert; die Bischöfe, die ihn ordiniert hatten (Wido
von Soissons und Wido von Auxerre), der von Hugo
geweihte Theobald von Amiens und alle übrigen, die von Hugo
Weihen
empfangen hatten, wurden mit der Exkommunikation bedroht, falls sie nicht
bis zur nächsten in Trier angesagten Synode (8. September) Abbitte
leisteten. Damit war die "Reimser Frage" endgültig im Sinne Artolds
und Ludwigs entschieden; darüber
hinaus stellte OTTO seinem Schwager
ein lothringisches Heer unter Führung Herzog Konrads zur Verfügung.
Dieses Heer belagerte zunächst Mouzon, doch glückte es Hugo von
Vermandois - Bischof war er nun nicht mehr - zu entkommen. Das Heer belagerte
schließlich erfolgreich Montaigu und zog vor das nahe Laon, dessen
Einnahme jedoch nicht gelang.
Kurz darauf begab sich Erzbischof Artold mit drei seiner
Suffragane zu der auf den 8. September einberufenen Synode von Trier, die
sich als direkte Fortsetzung des Ingelheimer Konzils verstand. Einschließlich
des Kardinallegaten waren nur 6 Bischöfe anwesend. Nach einigen Zögern
- die Macht Hugos Magnus war ungebrochen - entschloß sich die Synode
am 10. September schließlich doch zum letzten Schritt: der Exkommunikation
Hugos. Die Synode vermied dabei sorgsam eine politische Begründung
wie etwa eine Unterstützung Hugos von Vermandois im Kampf um das Erzbistum
Reims. Die Exkommunikation Hugos wurde
allein mit den Missetaten begründet, die dieser gegen die Besitzungen
der Reimser Kirche begangen hatte.
Spätestens hier ist es an der Zeit, den chronologischen
Gang der Darstellung für einige Überlegungen grundsätzlicher
Natur zu unterbrechen. Es muß auffallen, dass die Entscheidung im
Reimser Bistumsstreit im Reiche OTTOS
und im wesentlichen von Bischöfen aus dessen Reich gefällt wurde;
auch zögerte König Ludwig
nicht, selbst in Ingelheim zu erscheinen, um dort seine Sache zu vertreten.
Nach dem Sprachgebrauch der Historiker des 19. Jahrhunders hieße
dies nichts anderes, als dass der Streit um das vornehmste "französische"
Erzbistum in "Deutschland" und von "deutschen Bischöfen" entschieden
wurde, wobei der "französische" König sich nicht scheute, nach
"Deutschland" zu reisen, um dort die Sache des "französischen" Bistums
Reims zu vertreten - und all dies ohne die leiseste Kritik einer zeitgenössischen
Quelle; insbesondere die direkten Gegenspieler Ludwigs,
Hugo
Magnus und Hugo von Vermandois, um dessen Bistum es ja schließlich
ging, kamen offenbar zu keinem Zeitpunkt auf den doch eigentlich naheliegenden
Gedanken, die Autorität des Ingelheimer Konzils mit dem Argument zu
bestreiten, dass über Angelegenheiten der "französischen" Kirche
nicht in "Deutschland" und von "deutschen" Bischöfen entschieden werden
dürfe. Hugo Magnus wäre zu
einem solchen Einwand am wenigsten berufen gewesen, war er es doch, der
940 OTTO I. in Attigny gehuldigt hatte.
Dieser Akt des "Hochverrats" hat die französische Historiographie
des vergangenen Jahrhunderts stark beschäftigt und zu gewundenen Erklärungen
geführt, obwohl der historische Sachverhalt doch eigentlich sehr einfach
und eindeutig ist: Alle diese Vorgänge bezeugen lediglich die Tatsache,
dass "Deutschland" und "Frankreich" im 10. Jahrhundert noch keine historische
Realität sind, sondern das fränkische Großreich, wenn auch
geteilt in ein ost- und westfränkisches Reich, noch immer das Denken
der Zeit beherrscht. Von "Deutschland" und "Frankreich" wird man erst viel
später sprechen können.
Die Jahre 949-953 standen für Hugo
Magnus unter dem Motto "Schadensbegrenzung". Die Exkommunikation
verfehlte ihre Wirkung nicht, zumal sie im Beisein und unter dem Vorsitz
des päpstlichen Legaten ausgesprochen worden war. Eine Exkommunikation
durch den Papst selbst mußte daher unter allen Umstännden verhindert
werden. Ein Wiederaufrollen der Reimser Frage stand nicht zur Diskussion.
Die Entscheidung Roms war unwiderruflich, doch Hugos
Machtposition hatte sich darum nicht entscheidend verschlechtert, auch
wenn Laon Anfang 949 bis auf seinen großen Turm überraschend
in die Hände Ludwigs fiel. Alle Versuche Hugos,
Laon zurückgewinnen, blieben ergebnislos.
Zu allem Überfluß bestätigte eine römische
Synode unter Vorsitz von Papst Agapet II. die Entscheidungen von Ingelheim
und Trier: Hugo Magnus und Hugo von
Vermandois blieben somit förmlich exkommuniziert, was seinen Eindruck
auf den westfränkischen Episkopat nicht verfehlte. Nachdem Gerberga
schon das Osterfest 949 bei OTTO in
Aachen verbracht hatte, suchte Ludwig OTTO nun
seinerseits Anfang 950 in Lothringen auf, um Friedensverhandlungen mit
Hugo vorzuschlagen. Unter Vermittlung Herzog Konrads von Lothringen kam
es im Frühjahr 950 zu einem Grenztreffen
Ludwigs mit Hugo an der
Marne, an dem auch die Herzöge Konrad von Lothringen und Hugo der
Schwarze von Burgund teilnahmen. Hugo
erneuerte seinen Lehnseid und gab dem König den Turm von Laon zurück.
Als jedoch Ludwig im Frühsommer
950 in Laon krank darniederlag, nutzte Hugo
dies sofort zu seinen Gunsten, um sich Aminens' zu bemächtigen, was
den gerade erst geschlossenen Frieden sogleich wieder brüchig machte.
951 verbrachte Hugo schließlich
das Osterfest bei OTTO in Aachen; damit
signalisierte OTTO, dass ihm die Position
Ludwigs
hinreichend gefestigt, die Hugos verbesserungswürdig
erschien, um das Gleichgewicht der Kräfte im Westen zu sichern. Die
Beziehungen zu Ludwig litten darunter
nicht.
Es war kein geringer Schock für Ludwig,
als seine Mutter Eadgyfu, die in den
Jahren ihres Aufenthalts in W-Franken stets im Schatten der
Gerberga
gestanden und keinen erkennbaren Einfluß auf die Politik ihres Sohnes
gewonnen hatte, ausgerechnet den gleichnamigen Sohn des einstigen Kerkermeisters
Karls
III. von W-Franken heiratete, der erheblich jünger gewesen
sein muß als sie. Eadgyfu floh
aus Laon und brach mit ihrem Sohn, der ihr sofort das Wittum Attigny und
die Abtei Notre-Dame in Laon entzog und letztere sogleich seiner Gemahlin
Gerberga
übertrug. Es war dann auch Gerberga,
die nach einer persönlichen Zusammenkunft mit Hugo
die erneute Aussöhnung zwischen diesem und ihrem Gemahl einleitete.
Am 13. März 953 wurde der Friede in Soissons besiegelt, der zu Lebzeiten
Ludwigs nicht mehr gebrochen wurde.
Im Sommer oder Herbst des Jahres gebar Gerberga
Zwillinge, die auf die Namen ihrer Großväter Heinrich
und Karl getauft wurden. Während
Heinrich kurz nach der Taufe starb,
war Karl dazu
berufen, den Endkampf der karolingischen
Dynastie
gegen die ROBERTINER zu führen.
Noch im Jahre 953 hatte ihm der Vater Burgund mit dem Königstitel
als Ausstattung zugedacht. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Während
im Osten OTTO mit der Niederwerfung
des Aufstandes Herzog Konrads von Lothringen beschäftigt war und in
diesem Zusammenhang seinen Bruder Brun
zunächst zum Erzbischof von Köln, bald darauf auch zum Herzog
von Lothringen machte, ergossen sich von Konrad herbeigerufene Scharen
der Ungarn im Frühjahr nach Lothringen und W-Franken. Ludwig
scheint das Risiko einer Schlacht gescheut zu haben, jedenfalls ist von
kriegerischen Aktivitäten gegen die Ungarn nichts bekannt. Im Sommer
verlor Ludwig seinen gleichnamigen,
erst fünf Jahre alten Sohn, der offenbar in Laon beigesetzt wurde.
Auf dem Weg von Laon nach Reims verfolgte Ludwig
einen
Wolf; er stürzte vom Pferd und zog sich innere Verletzungen zu. Am
10.
September 954 starb er in Reims, wo er im Remigiuskloster (St-Remi)
bestattet wurde. Die Beisetzungsfeierlichkeit wird wohl sein alter Kampfgefährte
Artold geleitet haben.
Es ist schwer, ein Urteil über einen Herrscher zu
fällen, der in der Blüte des Lebens, nur 33 Jahre alt, gestorben
ist. Ludwigs
persönlicher Mut
und Tatkraft stehen außer Zweifel. Große politische Konzeptionen
sind von einem Herrscher, der praktisch sein Leben lang nur um das politische
Überleben kämpfte, kaum zu erwarten: Das Ringen mit Hugo Magnus
hatte 18 Jahre hindurch seine ganze Kraft in Anspruch genommen. Unter dynastischen
Aspekt war es fraglos eine große Tat Ludwigs,
die westfränkische Linie des karolingischen
Hauses politisch überhaupt wieder zu einem mitbestimmenden Faktor
westfränkischer Politik gemacht zu haben, was 923 schon endgültig
ad acta gelegt schien. Einen entscheidenden Sieg über die viel mächtigeren
ROBERTINER
konnte er nicht erringen, und so hat man ihm denn auch eher vorgeworfen,
ihnen auf dem Weg zur Königsherrschaft nur im Wege gestanden und den
inneren Machtkampf in Westfranken verlängert zu haben. Eine solche
Sicht der Dinge verkennt allerdings, dass sich Hugo
Magnus und später
Hugo Capet
gar nicht ernsthaft um den Erwerb der Königswürde bemühten.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob sich Ludwig
bei längerer Herrschaft vielleicht doch gegen Hugo
Magnus durchgesetzt haben würde. Wahrscheinlich ist das
nicht; sicher ist nur, dass er bis zum letzten Atemzug um seine Königswürde
gekämpft hätte.
Jedenfalls erschien der am Hofe von Wessex aufgewachsene,
deshalb der
"Überseeische" genannte, Sohn Karls
des Einfältigen kaum aus eigenem Antrieb am Strand von
Boulougne, wo ihn Hugo "und die übrigen
Großen der Franken" huldigend in Empfang nahmen, sondern begann in
der fremden Umwelt sein Königtum, zu dem er am 19.6.936 von Artold
von Reims in Laon gekrönt wurde, eher wie eine Schachfigur in den
Händen Mächtiger und hatte zeitlebens mit dieser mißlichen
Rolle zu kämpfen. Zunächst und vor allem war es Hugo,
der sich die königliche Autorität lieh, um mit dem Titel eines
dux Francorum seinen angestammten Vorrang im nördlichen Kerngebiet
des Reiches, in "Franzien", aber auch vor den anderen Großvasallen
des gesamten W-Franken formalisieren zu lassen, und der zudem den Versuch
machte, Ludwig ständig an seine
Umgebung zu binden. Als sich der junge König 937 dieser "Vormundschaft"
entwand, fiel es dem ROBERTINER offenbar
nicht schwer, ihn zu isolieren, indem er sich rasch mit seinem bisherigen
Gegner Heribert von Vermandois verständigte und noch vor
Ludwig IV. Verbindung zu König
OTTO I. aufnahm, dem Sohn und Nachfolger HEINRICHS
I. jenseits der Maas, der sich im Vorjahr demonstrativ in Aachen
hatte krönen lassen und dessen Schwester Hadwig
Hugo der Große nun ehelichte.
Vor diesem Hintergrund mußte es
Ludwig als verlockender Wink des Schicksals erscheinen, dass
sich Herzog Giselbert von Lothringen 939 im Aufstand gegen OTTO
zusammen mit anderen Großen des regnum Lotharii ihm als König
unterstellte. Um für den Fall des Erfolgs der verbreiteten Erhebung
seine Ansprüche auf das noch vom Vater innegehabte karolingische
Stammland
zu sichern, nahm Ludwig alle Kräfte
zusammen und rückte über Verdun bis in das Elsaß vor, doch
fiel die Entscheidung weiter nördlich bei Andernach, wo Giselbert
am 2.10.939 auf der Flucht im Rhein ertrank, nachdem der ihm verbündete
Herzog Eberhard von Franken im Kampf gefallen war. Die Aussicht auf eine
Rückgewinnung Lothringens hatte sich so schnell zerschlagen wie sie
aufgetaucht war, aber da Ludwig
Giselberts
Witwe Gerberga, die Tochter König
HEINRICHS I., beim Rückzug mit sich nahm und bald darauf
heiratete, scheint er doch nicht jede Hoffnung aufgegeben zu haben und
tat es im übrigen Hugo dem Großen
gleich, der sich ja vorher schon mit OTTO I. verschwägert
hatte. Vorerst freilich gab der Fehlschlag seinen inneren Gegnern neuen
Auftrieb: Hugo von Franzien und Heribert
von Vermandois nahmen 940 gemeinsam die Stadt Reims ein, wo sie Erzbischof
Artold, Ludwigs Coronator, wieder zugunsten
von Heriberts Sohn Hugo verdrängten, und gegen Jahresende trafen sie
in der einstigen KAROLINGER-Pfalz Attigny
OTTO
I., der mit einem Heereszug nach W-Franken auf das vorjährige
Verhalten Ludwigs IV. reagierte und
nun die Huldigung von dessen wichtigsten Vasallen entgegennahm. Da es der
liudolfingische König indes bei einer Demonstration seiner
Überlegenheit beließ, konnte er zwei Jahre später nach
erneutem Aufflammen der inneren Fehden von beiden Lagern in W-Franken als
schlichtender Vermittler angerufen werden. In Vise an der Maas, also nicht
an der Grenze, sondern auf lothringischem Boden, empfing er im November
942 seine beiden Schwäger, König Ludwig
und Herzog Hugo, samt deren gewichtigsten
Parteigängern zu einer allgemeinen Versöhnung, die für den
bedrängten
KAROLINGER eine Stabilisierung
seines Königtums bei abermaligem Verzicht auf Lothringen bedeutete.
Die ersten Jahre lehrten Ludwig
IV., dass er nicht daran denken konnte, von seiner begrenzten
Krondomäne um Reims und Laon sowie den Oise-Pfalzen aus der großen
Lehnsfürsten insgesamt Herr zu werden; vielmehr mußte er bemüht
sein, durch Bündnisse und Konzessionen zwischen ihnen zu lavieren,
um sich in den wechselvollen Positionskämpfen zu behaupten, und dabei
stets die Möglichkeit ottonischen Eingreifens in Betracht ziehen,
das meist darauf abzielte, keinen Machthaber in W-Franken allzu dominant
werden zu lassen. In diesem Sinne wandte sich
Ludwig bereits 937 auf der Suche nach einem Gegengewicht zu
Hugo
von Franzien dem burgundischen marchio Hugo dem Schwarzen zu,
dem Bruder des verstorbenen
Königs Rudolf,
bis dieser 940 durch einen Vorstoß OTTOS
I. nach Burgund gezwungen wurde, von der Feindschaft gegen dieROBERTINER
abzulassen. 942 verschaffte sich Ludwig neuen
Rückhalt bei Wilhelm III. Werghaupt von Poitou (+ 963), den er als
marchio von Aquitanien anerkannte, und überdies in Rouen bei Wilhelm
I. Langschwert von der Normandie sowie den dort erschienenen Fürsten
der Bretonen, bevor sich gegen Jahresende in Vise durch
OTTO I. wieder ein Modus vivendi mit Hugo
dem Großen und dessen Anhang einstellte. Das karolingische
Königtum stand damals schon nicht mehr auf zwei Augen dank der Geburt
eines Stammhalters Lothar, den Gerberga
Ende 941 zur Welt gebracht hatte, und gewann sogar unerwarteten Spielraum,
als Wilhelm von der Normandie Ende 942 durch Leute des Grafen von Flandern
ermordet wurde und Anfang 943 auch Heribert II. von Vermandois starb. Während
Heriberts erwachsene Söhne im Erbstreit unter sich blieben und als
Machtfaktor vorerst ausfielen, rief die Situation bei den Normannen, wo
der Nachfolger Richard I. noch unmündig und keineswegs überall
anerkannt war, den königlichen Oberlehnsherrn auf den Plan. Ludwig
IV. schlug sich von Rouen aus energisch gegen normannische Teilfürsten
und wiedererstehendes Heidentum, geriet aber 945 in einen Hinterhalt seiner
Gegner, die ihn festsetzten und an Hugo von Franzien
auslieferten. Der dux Francorum überließ seinem Grafen Tedbald
von Blois und Chartres die Bewachung und verlangte die Abtretung von Laon
als Bedingung der Freilassung.
Dem Los seines Vaters Karl
entging
Ludwig IV. nicht aus eigener
Kraft oder durch den Mut seiner Getreuen, sondern dank auswärtiger
Intervention gegen eine derartige Demütigung des gesalbten Königs.
Zwar mußte
Gerberga Laon preisgeben,
aber sie rief König Edmund von Wessex,
Ludwigs Oheim, ferner ihren eigenen
Bruder König OTTO I. sowie den
Papst zu Hilfe und erreichte, dass ihr Gatte im Sommer 946 wieder freikam
und OTTO - genau umgekehrt wie 940
- zugunsten seines karolingischen Schwagers
und gegen den robertinischen einen
Feldzug nach W-Franken anführte. Sein Heer richtete im Verein mit
demjenigen Ludwigs vor Laon, Senlis,
Paris und Rouen wenig aus, errang jedoch einen wichtigen Erfolg durch die
Erstürmung von Reims, wo daraufhin Artold wieder den erzbischöflichen
Platz seines Rivalen Hugo von Vermandois einnehmen konnte. Ludwigs
Lage blieb gleichwohl prekär und legte ihm weiter enges Zusammenwirken
mit OTTO nahe, das dann am 7.6.948
in der gemeinsamen Synode von 32 Bischöfen beider Reiche unter dem
Vorsitz eines päpstlichen Abgesandten in Ingelheim gipfelte. Die Versammlung
im Beisein sowohl OTTOS wie Ludwigs
(in formeller Gleichrangigkeit) war in ihrer Art einmalig im 10. Jahrhundert;
sie gemahnte nicht bloß äußerlich an die vergangenen Zeiten
des großfränkischen Reiches, sondern griff auch sachlich die
karolingische Tradition auf, indem sie ihr ganzes moralisches
Gewicht für die Königsgewalt in die Waagschale warf und demgemäß
Hugo den Großen als "Angreifer und Räuber von
Ludwigs Königtum" ebenso strikt verurteilte wie den "Schein-Bischof"
Hugo, der in Reims Artold von seinem rechtmäßigen Sitz vertrieben
habe. Dem synodalen Bannfluch folgte alsbald ein neuer, vom lothringischen
Herzog Konrad dem Roten befehligter Feldzug nach W-Franken, der "sich nicht
als Krieg, sondern als Exekution... gab" (H.Fuhrmann), aber kaum etwas
bewirkte.
Die Rückgewinnung von Laon, längst die wichtigste
Bastion für die KAROLINGER, glückte
Ludwig
erst 949 durch nächtliche Überrumpelung, bei der freilich die
Zitadelle der Stadt unbezwungen blieb. Zu den Folgen gehörte eine
neue Verständigung mit dem Hause VERMANDOIS:
Albert, der sich unter den Söhnen Heriberts II. als Erbe der eigentlichen
Grafschaft durchgesetzt hatte, huldigte dem König und bekam bald darauf
Gerbergas gleichnamige Tochter aus
deren erster Ehe mit Giselbert von Lothringen zur Frau, während sein
Bruder Heribert III., Laienabt von Saint-Medard in Soissons, 951 die Königin-Mutter
Eadgifu heiratete. Endgültig fallengelassen wurde dabei
der weitere Bruder Hugo, der in Ingelheim verurteilte Erzbischof, der jahrelang
Reims den KAROLINGERN vorenthalten
hatte. Auch der ROBERTINER Hugo,
dessen Kirchenbann 949 sogar Papst Agapit II. (946-955) in Rom bestätigte,
fand sich Ende 950 bei einem von Herzog Konrad dem Roten vermittelten Treffen
an der Marne zum Ausgleich mit König Ludwigbereit
und überließ ihm nun auch wieder die Laoner Zitadelle; nach
neuen Verwicklungen wurde der Friede zwischen dem rex Francorum und dem
dux Francorum am 20.3.953 in Soissons feierlich bekräftigt.
Ludwig
kam in die Lage, sich auch wieder dem S seines Reiches zu widmen, sah sich
951 und 954 durch Ungarneinfälle bis nach Aquitanien herausgefordert
und hielt vor allem weiter ständig Fühlung mit Adelskreisen beiderseits
der östlichen Grenze zu Lothringen. Anders als 939 hütete er
sich, in den neuen Aufstand gegen
OTTO I. einzugreifen,
bei dem Herzog Konrad der Rote, sein bisheriger Beschützer, 953 auf
die Seite der Gegner des Königs trat, und er erlebte, dass OTTO
das
regnum Lothariense - und damit die Wahrung seiner politischen Interessen
nach W hin - nicht dem gegen Konrad aufgetretenen Neffen Giselberts, dem
Grafen Reginar III. von Hennegau, sondern seinem eigenen Bruder Brun
übertrug, der seit 953 als Erzbischof von Köln geistliche und
weltliche Vollmachten miteinander zu verbinden hatte.
In seiner Familie war Ludwig
IV. seit der Geburt Lothars,
seines Ältesten, von manchem Unglück betroffen worden. Sein zweiter
Sohn namens Karl, der 945 nach und
vor je einer Schwester zur Welt gekommen war, mußte während
der Gefangenschaft des Vaters (946) den Normannen als Geisel gestellt werden
und kam in deren Gewahrsanm zu Tode. Auch ein dritter Sohn
Ludwig,
den Gerberga 948 gebar, starb im Kindesalter noch vor dem Vater.
Als die Königin 953 in Laon mit Zwillingen niederkam, erhielten sie
die Namen ihrer königlichen Großväter, Karls
des Einfältigen und HEINRICHS
I., doch nur der Erstgenannte überlebte. Er scheint, wenn
zwei vereinzelte Urkunden nicht täuschen, beim Vater sogar Erwägungen
über eine künftige Reichsteilung ausgelöst zu haben, bei
der ihm insbesondere Burgund zugefallen wäre, wo 952 mit dem marchio
Hugo dem Schwarzen die bosonidische
Linie ausgestorben war. Doch lange bevor derartige Pläne ausreifen
konnten, traf das
KAROLINGER-Haus wiederum
die Ungunst des Schicksals: Ludwig IV.,
der nach schwierigem Beginn und argen Rückschlägen eben erst
seine königliche Stellung einigermaßen gefestigt zu haben schien,
verunglückte durch einen Sturz vom Pferd und starb an den Folgen im
Alter von 33 Jahren am 10.9.954 in Reims, wo er in Saint-Remi begraben
liegt.
939
oo 2. Gerberga von Sachsen, Tochter des Königs
HEINRICH I.
913-5.5.969
Kinder:
Lothar III.
Ende 941-2.3.986
Gerberga
940 oder 942-
954
oo Albert I. Graf von Vermandois
um 915-9.8.987
Karl
945- 953
Mathilde
Ende 943-26.11. nach 981
964
oo 2. Konrad König von Burgund
um 923-19.10.993
Ludwig
948-10.11.954
Laon
Karl Herzog von Nieder-Lothringen
Sommer 953- nach 991
Laon
Heinrich
Sommer 953- 953
Laon
Literatur:
-----------
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ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 89-92
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Winfrid: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik.
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Genealogische Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches
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Eine Familie formt Europa. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co.
KG, München 1991, Seite 294, 299-302,306-309,311,320,344,407 - Schieffer
Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992,
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in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz
Wien Köln 1990, Seite 95,122,127-130,135 - Schwager, Helmut:
Graf Heribert II. von Soissons. Verlag Michael Lassleben Kallmünz/Opf.
1994, Seite 5-405 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs
bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
1995, Seite 489,492-495, 497,512,515 - Widukind von Corvey: Die
Sachsengeschichte. Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stutggart 1981,
Seite 101,141,155,157, 165,167 - Wies Ernst W.: Otto der Große.
Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 71,104,112,114,123,126,193,238
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