Begraben: Metz
3. Sohn des Kaisers
KARL I. DER GROSSE aus seiner 2. Ehe mit der Hildegard,
Tochter von Graf Gerold
Lexikon de Mittelalters: Band V Spalte 2171
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LUDWIG I. DER FROMME, Kaiser
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Juni/August 778, + 20. Juni 840
Chasseneuil bei Poitiers bei Ingelheim
Begraben: St. Arnulf in Metz
Eltern: KARL DER GROSSE und Hildegard
Kinder:
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LOTHAR I.
Pippin
Ludwig der Deutsche
KARL DER KAHLE
Gisela
Der jüngste Sohn KARLS DES GROSSEN, dessen Zwillingsbruder gleich nach der Geburt gestorben war und der zum Zeichen der Ansippung an das verdrängte Königsgeschlecht den MEROWINGER-Namen LUDWIG ('Chlodwig') erhielt, wurde bereits 781 von Papst Hadrian I. zum König gesalbt und von KARL als Unterkönig von Aquitanien eingesetzt. Er kümmerte sich seit seiner Mündigkeit (791) besonders um den Ausbau der kirchlichen Organisation des Landes und sicherte in mehreren Feldzügen seine Grenze im Südwesten. Da seine Brüder Karl (+ 811) und Pippin (+ 810) vor ihm starben, wurde er von KARL DEM GROSSEN im September 813 in Aachen zum Mit-Kaiser erhoben, und zwar in Form der Selbstkrönung, der die Akklamation der Franken als Reichsvolk folgte. So trat LUDWIG I. beim Tod KARLS DES GROSSEN (28. Januar 814) sofort in die vollen kaiserlichen Rechte ein, doch deutet sich im Wechsel seiner wichtigsten Berater an, daß er von vornherein ein neues Program anvisierte, das unter der Formel der 'Renovatio imperii Francorum' auf eine umfassende neue Ordnung hinauslief. Sie wurde bereits um 817 im Reichsgesetz der Ordinatio imperii offenbar, das die (auffallend frühe) Regelung der Nachfolge zum Anlaß nahm, die Einheit des Reiches zu sichern. LUDWIG DER FROMME folgte in dem Gesetz, das dem ältesten Sohn LOTHAR mit der Kaiserkrone eine Vorrangstellung vor seinen Brüdern Pippin und Ludwig zuwies, Bestrebungen der fränkischen Einheitspartei, die gegenüber dem alten Teilungsprinzip die unitas imperii als notwendiges Korrelat zur unitas ecclesiae verstand und sie als Forderung der göttlichen Weltordnung interpretierte. Da LUDWIG DER FROMME sich selbst die Oberherrschaft über LOTHAR ausdrücklich vorbehielt, erwuchsen daraus zunächst noch keine Konsequenzen. LUDWIG setzte vielmehr die Kirchenreform, die unter KARL zuletzt an Kraft verloren hatte, verstärkt fort. Wie die kirchliche, so intensivierte er auch die weltliche Reformgesetzgebung, deutlich ablesbar an der Zunahnme der Kapitularien, die allerdings bald wieder abflaute. Ein entsprechnder Wechsel zeichnet sich auch in LUDWIGS Verhältnis zum Papsttum ab, dessen Autorität zunächst nicht etwa eine stärkere, sondern eine geringere Rolle als unter KARL DEM GROSSEN spielte, was aber offenbar in Einklang mit dem programm der Renovatio imperii Francorum stand. Bezeichnend dafür, daß die Vereibarungen mit Stephan IV. und Paschalis I. (816/17), die das Hludowicianum als Besitz- und Autonomiegarantie der römischen Kirche verbriefte, auf eine "Angleichung der römischen an die fränkischen Kirchen" (J. Fried) hinauslief. Durch einen Wechsel der Berater wurde diese Lösung 824 im Sinne KARLS DES GROSSEN korrigiert, und zwar in der Weise, daß die Papstwahl wieder derkaiserlichen Kontrolle unterworfen wurde. Die neuen Berater, vor allem Ebo von Reims, standen auch hinter der 822 einsetzenden Dänenmission, die, durch Thronkämpfe in Dänemark ermöglicht, durch die Taufe des Prätendenten Harald 826 in Ingelheim eingeleitet, Ansgar auf den Weg nach Skandinavien wies, doch bereits 834 ihr vorläufiges Ende fand. Es ist stets das gleiche Bild: es bleibt bei stolzen Anfängen, die früher oder später erlahmen, und stets spielt dabei der Wechsel der Berater eine Rolle. Wie die Reichs- und Kirchenreform der frühen Jahre von Benedikt von Aniane und dem Kanzler Helisachar beeinflußt war, so traten seit 821 vor allem Adalhard von Corbie, Wala, Agobard von Lyon und andere an ihre Stelle. Schon den Zeitgenossen war klar, daß LUDWG DER FROMME von seiner Umgebung abhängig war. Dies wurde vollends deutlich, als der Kaiser sich in 2. Ehe mit der WELFIN Judith verband, die seit der Geburt ihres Sohnes KARLS DES KAHLEN (823) alle anderen Berater in den Schatten stellte. Als LUDWIG 829 auf ihr Drängen KARLgegen die Bestimmungen der Ordinatio von 817 einen eigenen Reichsteil zuwies, löste er mit dem Widerstand der älteren Söhne und der Anhänger der Einheitspartei eine Krise aus, die er nicht mehr beizulegen vermochte. Denn auch LOTHAR, der ihm nach der vor allem gegen Judith gerichteten Empörung von 830, die Macht entriß, vermochte sie nicht zu halten, so daß es in wechselnden Kombinationen zu immer neuen Kämpfen kam. Sie erreichten ihren Tiefpunkt 833 auf dem 'Lügenfeld' bei Colmar, auf dem das Heer LUDWIGS DES FROMMEN unter Mitwirkung des von LOTHAR getäuschten Papstes Gregor IV. zu den Söhnen überlief, worauf LUDWIG I. DER FROMME als Gefangener seiner Söhne in Soissons mit seinem erzwungenen Sündenbekenntnis die tiefste Demütigung erfuhr. Damit war der Bogen überspannt, und die allgemeine Reaktion wandte sich nunmehr gegen LOTHAR I., der sich 834 mit seinen Anhängern anch Italien verwiesen sah. Doch kehrte keine Ruhe ein, da LUDWIG DER FROMME nach wie vor darauf bedacht war,den Reichsteil des nachgeborenen KARL zu vergrößern. So hielten die Spannungen nicht nur an, sondern verstärkten sich noch durch die Bedrohung durch äußere Feinde (Normannen, Slaven, Araber). Obwohl es LUDWIG DEM FROMMEN in dieser Bedrängnis gelang, KARL DEN KAHLEN nach dem Tode Pippins 839 mit dessen Erbteil zwischen Rhone, Saone und Maas auszustatten, war die Entscheidung noch nicht gefallen, als LUDWIG I. DER FROMME starb. Die weiteren Kämpfe zeigten vielmehr an, daß die Einheit des Großreiches nicht mehr zu retten war; sie sollten unter dem Druck des Adels 843 in den Vertrag von Verdun einmünden.
Quellen:
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Böhmer-Mühlbacher, RI I, 1908² [Nachdr.
1966] - Thegan, Vita Hludowici, MGH SS II, 505-603 - Astronomus, Vita Hl.i,
ebd. 2, 607-648 - Ernoldus Nigellus, In honorem Hl. i....elegiarum carmen,
MGH PP II, 4-79; ed. E. Faral, CHF 14, 1932 -
Literatur:
-----------
B. V. Simson, JDG L. d. Fr., 2 Bde, 1874 [Neudr. 1969]
- A. Kleinclausz, L'Empire carol., 1902 - Hauck, 487-524, 578-688 u.ö.
- H. Fichtenau, Das karol. Imperium, 1949 - J. M. Wallach-Hadrill, The
Frankish Church (Oxford Hist. of the Christian Church, 1983) - J. Semmler,
L. d. Fr.(Ks.gestalten des MA, hg. H. Beumann, 1984) - F. L. Ganshof, L.
the Pious reconsidered, History 42, 1957, 171-180 - Th. Schieffer, Die
Krise des karol. Imperiums (Fschr. G. Kallen, 1957), 1-15 - J. Flecckenstein,
Die Hofkapelle der dt. Kg.e, I, 1959 - J. Semmler, Die Beschlüsse
des Aachener Konzils v. 816, ZKG 74, 1963, 15-82 - P. Classen, Karl d.
Gr. und die Thronfolge im Frankenreich (Fschr. H. Heimpel, 3, 1972), 109-143
- A. Hahn, Das Hludowicianum, ADipl 21, 1975, 15-135 - R. McKitterick,
The Frankish Church and the Carol. Reforms 789-895, 1977 - P. R. McKeon,
The Empire of L. the Pious, RevBen 90, 1980, 50-62 - H. Beumann, Unitas
ecclesiae - unitas imperii - unitas regni (Sett. cent. it. 27, 1981), 531-571
- H. Fuhrmann, Das Papsttum und das kirchl. Leben im Frankenreich, ebd.,
419-456 - R. Schieffer, L. d. Fr., Zur Entstehung des karol. Herrschernamens,
FMASt 16, 1982, 58-73 - J. Semmler, Jussit ... princeps renovare praecepta
(schr. K. Hallinger, 1982 [= StAns 85]), 97-124 - P. Godman, L. the Pious
and the Poets, Franmkish Politics and Carol. Poetry 1987, 116-130 - Charlemagne's
Heir, ed. Ders.-R. Collins, 1990 [Beitr. J. Fried, R. Schieffer, K. f.
Werner u.a.] -
II. Generation
6
---
Das Geburtsjahr der Zwillinge LUDWIG
und Lothar
ist uns nicht "zu Anfang VIII. 778" (so Brandenburg) belegt. Es fällt
lediglich in die Zeit der Abwesenheit des Vaters auf dem spanischen Feldzug
V. Hlud. c. 2 und 3.
Zum aquitanischen Königtum
Eiten 35ff. und L'Auzias, Le royaume d'Aquitaine, Toulouse 1937.
K 22
Me: 20.6. Hludouuichus imp(erator) pius filus KAROLI magnus + 940 LUDWIG DER FROMME
(Es.) Zu den Übernahmen aus
älteren Vorlagen beim Beginn des eigenständischen ottonischen
Gedenkens,
zu denen auch derEintrag LUDWIGS
DES FROMMEN gehört, siehe oben Seite
189f.
Vgl. allgemein Biographisches Wörterbuch
2, Spalte 1710ff; FW K 15.
Zum Todesdatum: BM Nr. 1014c
LUDWIG DER FROMME
----------------------------------
+ 20.6.840
Necr. A/B 21.6. "Hludouuicus imp. aug", Kaiser 813-840
Literatur:
------------
ADB 19 Seite 397ff.; Simson, Jahrbücher;
BM² 515q-1014c; Werner, Nachkommen Seite 443f Nrn. 6-6c und Tafel
II/6; Biographisches Wörterbuch 2 Spalte 1710ff; Die Klostergemeinschaft
von Fulda 2,1 Seite 314 K 15; Althoff, Adels- ud Königsfamilien K
22; Charlemagnde's Heir. Zum Todestag: Simson, ebd. 2 Seite 230 Anmerkung
2; BM² 1014c.
Aufenthalte LUDWIGS
auf der Insel sind nicht bekannt; zu seinen heute noch erhaltenene Urkunden
für Reichenau vgl. BM² 601,869,991,994 und Brandi, Urkundenfälschungen
Seite 3 Nrm. 12-17 und Seite 115 Nrn. 12-18.
In den Gedenkbüchern der Bodenseeklöster
wird LUDWIG
unter den Mitgliedern der Königsfamilie genannt. So erscheint er im
Reichenauer Verbrüderungsbuch p. 98 A 4, im St. Galler Gedenkbuch
p.3 (Libri confrat., col. 12,1) und p.6 (ebd. col. 22,5*, als Nachtrag)
und im Liber viventium fabariensis p. 24; zu den Einträgen vgl. Schmid,
Probleme einer Neuedition Seite 54ff und Ders., Zur historischen Bestimmung
Seite 503ff.
Als KARL DER GROSSE
im Januar 814 starb, war sein einziger überlebender Sohn aus einer
legitimen Ehe bereits 36 Jahre alt. LUDWIG
war
schon seit 781 Unterkönig in Aquitanien gewesen und hatte nominell
dieses wegen seiner Grenzlage und seiner eigenständigen Entwicklung
wichtige Gebiet verwaltet; allerdings hatte ihm sein Vater nur wenig Möglichkeiten
zu einer selbständigen Politik gelassen. Nur auf dem Gebiet der Klosterreform
konnte LUDWIG ein eigenes Profil entwickeln,
und dies verdankte er vor allem seinem wichtigsten Berater in kirchlichen
Fragen, dem Westgoten Witiza, der sich als Mönch den programmatischen
Namen Benedikt gegeben hatte und der seit ca. 790 die Klöster Aquitaniens
im Sinne der Benediktregel reformierte. Als weiterer Berater, der nach
814 zu einer Wirkung im Gesamtreich gelangte, ist Helisachar zu nennen,
der die aquitanische Kanzlei LUDWIGS
geleitet hatte und der 814 an die Spitze der kaiserlichen Kanzlei berufen
wurde. Als weiteren engen Vertrauten brachte LUDWIG
aus Aquitanien seinen Hofbibliothekar Ebo mit, der sein Milchbruder gewesen
war und den LUDWIG 816 mit dem hohen
und wichtigen Amt eines Erzbischofs von Reims belohnte.
Da LUDWIG neue Berater
mit an den Hof brachte, wurden die alten entlassen. Dies betraf besonders
die Vettern seines Vaters, Adalhard von Corbie
und
Wala, die in den letzten
Jahren
KARLS DES GROSSEN wichtige Stellungen
bei Hofe eingenommen hatten; sie mußten sich in abgelegene Klöster
zurückziehen. Auch der Einfluß des Bischofs Theodulf von Orleans
wurde zurückgedrängt. Dieser hatte noch versucht, als Überbringer
der Nachricht vom Tode
KARLS bei
LUDWIG seine Position zu halten.
In der Abfolge der karolingischen
Herrscher stellte die Ablösung KARLS DES
GROSSEN durch LUDWIG DEN FROMMEN
eine
Ausnehme dar, weil LUDWIG von vorneherein
die Alleinherrschaft im Reich antreten konnte. Nun waren zwar seine Brüder
vor ihrem Vater gestorben, aber immerhin einer von ihnen - Pippin
von Italien - hatte seinerseits einen Sohn hinterlassen, den
noch
KARL DER GROSSE zum König
von Italien erhoben hatte. LUDWIG bestätigte
Bernhard von Italien noch im August
814 in dieser Position und übergab zugleich seinen beiden älteren
Söhnen LOTHAR und
Pippin
Bayern
und Aquitanien.
Die Veränderungen beim Herrscherwechsel von KARL
DEM GROSSEN zu seinem Sohn beruhten auf tiefgreifenden Verschiedenheiten
im Charakter der beiden Herrscher. Die Unterschiede betrafen in erster
Linie die Stellung zur Kirche und die persönliche Frömmigkeit,
die sich in LUDWIGS Beinamen "Pius"
ausdrückt,
auch wenn dieser im 9. Jahrhundert noch nicht ganz auf LUDWIG
"DEN FROMMEN" beschränkt war (auch Ludwig
der Deutsche und Ludwig das Kind
werden zeitgenössisch als "Pius" bezeichnet.
LUDWIGS
persönliche Kirchlichkeit zeigte sich sofort bei seinem Amtsantritt,
als der den Hof in Aachen "reinigte" und seine unverheirateten Schwestern
samt ihren Kindern vertrieb. Auch seine noch unmündigen Halbbrüder
Drogo
und Hugo wurden vom
Hof entfernt und zu Geistlichen bestimmt. Im Bereich des Ehelebens hat
LUDWIG
sich
ganz anders verhalten als sein Vater, er selbst hatte zwar in seiner Jugend
eine Konkubine gehabt, aber seinen Söhnen gestatte er abweichend von
der fränkischen Tradition nicht, dass sie bereits vor ihrer legitimen
Ehe mit einer Frau zusammenlebten.
Anders als bei KARL DEM GROSSEN
wird das Bild der Regierung seines Sohnes nicht durch äußere
Erfolge und durch eine immer weitere Ausdehnung, des Reiches bestimmt,
sondern durch den Versuch der inneren Konsolidierung. Dies war nicht nur
eine Folge des unterschiedlichen Temperaments, sondern hatte auch objektive
Ursachen, denn das Frankenreich war an seine Grenzen gestoßen. Ganz
ohne kriegerische Unternehmungen ging es aber auch
in der Zeit LUDWIGS nicht; die
Reichsannalen und die Viten LUDWIGS
sind daher voll von Berichten über Feldzüge. In den ersten Jahren
nach 814 war es nötig, gegen einige Grenzvölker Krieg zu führen.
Der Kaiser wurde dabei meist nicht selbst aktiv, sondern überließ
es den Amtsträgern in den Grenzprovinzen, gegen die Dänen oder
die Sorben im Nordosten oder gegen die Basken im SW vorzugehen. Es war
eine Ausnahme, wenn LUDWIG persönlich
im Sommer 818 einen Feldzug in die Bretagne anführte.
In den Jahren 817 und 818 ist dann von schweren Attacken
der Normannen auf das Reich die Rede; diese fuhren mit ihren Schiffen in
die Elbe und die Loire aufwärts und verschwanden rasch wieder, nachdem
sie in Kirchen und Klöstern reiche Beute gemacht hatten. Um 820 wurden
die flandrischen Küstenorte überfallen, und es begannen die Plünderungszüge
auf der Seine. Die Normannen sollten dann im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts
die gefährlichsten Gegner des Frankenreichs werden.
Aber auch andere Feinde setzten zur Offensive an, so
dass dem Kaiser die Initiative entglitt und er nur noch auf Angriffe von
außen reagieren konnte. Nachdem die Franken 820 den Friedensvertrag
mit den Sarazenen aufgekündigt hatten, griffen diese einige Jahre
später die Spanische Mark an und belagerten 827 Barcelona, die wichtigste
fränkischen Stadt jenseits der Pyrenäen. 832 erschienen die Sarazenen
vor Marseille und begannen mit Plünderungsfahrten im Rhonedelta. Der
militärische Druck der Muslims wurde noch stärker, als diese
sich seit 827 auf Sizilien festsetzten; seither lag nicht nur die Küste
Unteritaliens, sondern auch Mittelitalien in der Reichweite ihrer Schiffe.
Es erwies sich dabei als größter Nachteil der Franken, dass
sie keine Flotte besaßen.
Am Ende der zwanziger Jahre, als die Sarazenen zur Rückeroberung
der Spanischen Mark ansetzten, kam es auch zu Schwierigkeiten an den anderen
Grenzen des Frankenreichs: 826 erhoben sich die Basken, in Dänemark
siegte 827 eine heidnische und antifränkische Partei, die Slawen begannen
mit Einfällen nach Istrien, und auch die Bulgaren regten sich.
Im Innern entfaltete der neue Kaiser in den ersten Jahren
seiner Regierung eine intensive Tätigkeit, um das von Benedikt von
Aniane und Helisachar formulierte Regierungsprogramm "Erneuerung des Frankenreichs"
(Renovatio regni Francorum) zu verwirklichen. Dabei wurden organisatorische
Veränderungen eingeleitet, die dem Reich eine effektivere Verwaltung
und eine bessere Heeresorganisation bringen sollten. Die Grafschaftsverfassung
wurde erst jetzt auch in Alemannien weitgehend durchgesetzt, und das Kontrollsystem
der Königsboten wurde verfeinert.
LUDWIG hatte 815
das Kloster Inden (Kornelimünster) bei Aachen gegründet, um seinen
Berater Benedikt von Aniane in seiner Nähe zu haben. Auf das Wirken
Benedikts gehen die beiden großen Reichssynoden zurück, die
816 und 817 in Aachen tagten. Hier wurden umfangreiche Gesetze beschlossen,
durch die die Angehörigen der geistlichen Gemeinschaften nach ihrer
Lebensweise und nach ihrer Funktion voneinander abgegrenzt wurden. Die
Mönche sollten alle nach der Benediktregel leben, und die nichtmonastischen
Gemeinschaften erhielten in den Institutionen für die Kanoniker und
die Kanonissen ein gültiges und alle Bereiche ihres Lebens beschreibendes
Regelwerk. Ein Kapitular des Jahres 816 regelte einige praktische Rechtsfragen,
wie die Beweisaufnahme vor Gericht und die Haftung bei Schulden; auch Bestimmungen
über die Auflösung des Lehnsverhältnisses wurden erlassen.
Die wichtigste Reichsversammlung von 817 war die Regelung
der Nachfolge, die in der sogenannten Ordinatio imperii, der "Reichsordnung",
festgeschrieben wurde. Der unmittelbare Anlaß dafür, dass schon
so kurz nach der Thronbesteigung für eine geordnete Nachfolge gesorgt
wurde, war ein Unfall, den der Kaiser zu Ostern 817 erlitten hatte, als
auf dem Weg zum Gottesdienst ein gedeckter hölzerner Gang zwischen
Pfalz und Kirche zusammenbrach. Obwohl LUDWIG
nur
leicht verletzt wurde, quälten ihn anscheinend Todesahnungen und er
soll sogar den Plan erwogen haben, wie sein Großonkel Karlmann
seine
Herrschaft niederzulegen und ins Kloster zu gehen. In der Ordinatio imperii
wurde nun festgelegt, dass das Frankenreich auch nach dem Tode LUDWIGS
DES FROMMEN als Einheit bestehen bleiben sollte; zum Nachfolger
im Kaisertum wurde der älteste Sohn LOTHAR
bestimmt. Die beiden jüngeren Söhne Pippin
und Ludwig erhielten einige Gebiete
zur Regierung, Pippin Aquitanien und
Ludwig
Bayern; sie waren aber dort keine selbständigen Herrscher, sondern
standen unter der Oberherrschaft des Kaisers. Damit waren die Prinzipien
der Unteilbarkeit des Reiches und des Vorrechts der Primogenitur, die bereits
KARLS
Nachfolgeordnung von 806 angedeutet hatte, in die fränkische Verfassung
aufgenommen worden. Beide Prinzipien haben sich zwar in der weiteren Geschichte
des
karolingischen Reiches noch nicht
durchsetzen können, vielmehr kam es zu den heftigsten inneren Kämpfen,
aber in späterer Zeit sind diese Grundsätze zur Grundlage des
Erbgangs in allen europäischen Monarchien geworden.
Weil er in der Thronfolgeordnung von 817 nicht berücksichtigt
worden war, entschloß sich König Bernhard
von Italien zur Rebellion. Er wurde unterstützt durch oppositionelle
Kreise im Frankenreich selbst, zu denen möglicherweise auch Theodulf
von Orleans, einer der wichtigsten Berater KARL
DES GROSSEN, zählte. LUDWIG DER
FROMME reagierte rasch, so dass Bernhards
Aufstand zusammenbrach, ehe er richtig begonnen hatte. Ein kaiserliches
Gericht verurteilte die Laien, die an der Rebellion teilgenommen hatten,
zum Tode; der Kaiser wandelte das Todesurteil in Blendung um. Als diese
an Bernhard
vorgenommen wurde, starb
er an ihren Folgen (17.4.818). Theodulf und weitere Bischöfe, die
dem Aufstand nahegestanden hatten, verloren ihre Ämter. Die Halbbrüder
des Kaisers, Hugo und Drogo,
wurden jetzt endgültig zu Mönchen geschoren, um sie als mögliche
Konkurrenten um die Herrschaft auszuschalten. Dieser Sieg über eine
nicht ungefährliche Verschwörung bildete den Auftakt zu einem
besonders erfolgreichen Jahr für LUDWIG DEN
FROMMEN. 818 wurde nämlich die Bretagne unterworfen, und
es erschienen Gesandte aus Benevent, aus Dalmatien und Karantanien am Hof.
Im Winter 818/19 tagte eine große Reichsversammlung in Aachen, die
ein bedeutendes Reformwerk zum Abschluß brachte, von dem eine ganze
Reihe von Kapitularien zeugen. Wichtige Probleme der Verfassung der Kirche
wurden hier für lange Zeit abschließend geregelt, so die Frage
der Eigenkirchen. Auch der rechtliche Schutz der Geistlichen, Witwen und
Waisen wurde verbessert, und bestimmte Formen des Gottesurteils wurden
verboten. Dabei ist es vielleicht bezeichnend für LUDWIGS
Geisteshaltung, dass er eine unter seinem Vater eingeführte unblutige
Form des Gottesurteils, die Kreuzprobe, verbot, weil das Kreuz allein dem
Gedächtnis an den Sühnetod Christi gelten sollte; der mit Blutvergießen
verbundene Zweikampf blieb dagegen als unentbehrliches Mittel des gerichtlichen
Beweisverfahrens erhalten, obwohl sich Agobard von Lyon dagegen ausgesprochen
hatte.
Auch in den Kapitularien von 818/19, die nicht speziell
kirchlichen Inhalt hatten, ist eine kirchenfreundliche Grundtendenz festzustellen,
so etwa, wenn allen Freien zugestanden wird, dass sie ihren Besitz zum
Heil ihrer Seele verschenken dürfen, oder wenn Büßer mit
einem besonders hohen Bußgeld geschützt werden.
Am Schluß eines anderen grundlegenden Kapitulars,
der sogenannten "Ermahnung an alle Stände des Reiches" von 825, sind
Maßnahmen vorgesehen, die eine möglichst weite Verbreitung sichern
sollen: die Erzbischöfe und Grafen sollen vom kaiserlichen Erzkanzler
Exemplare des Gesetzes erhalten; sie sollen dann ihrerseits den übrigen
Bischöfen, Äbten und anderen Getreuen Kopien übergeben,
damit der Wortlaut des Gesetzes in allen Teilen des Reiches verlesen werden
kann. Der Kanzler soll die Namen derjenigen Bischöfe in eine Liste
eintragen, denen er ein Exemplar übergeben hat, und er soll diese
Liste dem Kaiser vorlegen. Der Kaiser selbst wolle also die Kontrolle darüber
behalten, ob seine Vorschriften auch überall bekanntgegeben wurden.
Der Höhepunkt der Kapitulariengesetzgebung LUDWIGS
DES FROMMEN war Mitte der 20-er Jahre bereits überschritten,
und auch die erhaltenen Urkunden zeigen, dass in der ersten Hälfte
der Regierung LUDWIGS weit mehr Diplome
ausgestellt wurden als in der zweiten, wobei die Jahre 814-816, 819/20
und 825 die Zeiten der intensivsten Aktivität darstellen.
Für die Regierung LUDWIGS
DES FROMMEN brachte das Jahr 821 einen tiefen Einschnitt, denn
am 11.2.821 verstarb Benedikt von Aniane. Bereits in den Jahren zuvor waren
wichtige Ratgeber
LUDWIGS
verstorben
oder hatten sich - wie der Kanzler Helisachar 819 - vom Hof zurückgezogen.
Die Position eines Erzkapellans und Leiters der Hofkapelle nahm seit 819
Abt Hilduin von St. Denis ein, der diesem Amt bis zu seinem Sturz 830 die
Entscheidungen
LUDWIGS in kirchlichen
Dingen beeinflußte. Die zentrale Rolle im Beraterstab des Kaisers
nahm seit Oktober 821 aber
Adalhard von Corbie
ein, der nach siebenjähriger Verbannung wieder an den Hof geholt wurde,
wo er trotz seines hohen Alters (er war damals bereits 70 Jahre alt) sofort
eine reiche Aktivität entfaltete. Er zog auch seinen Bruder Wala
an den Hof, an dem jetzt außerdem die Grafen Matfrid von Orleans
und Hugo von Tours eine wichtige Rolle spielten. Die Position Hugos wurde
dadurch aufgewertet, dass 821 seine Tochter mit dem Thronfolger und Mitkaiser
LOTHAR
verheiratet wurde. Eine Schwächung der kaiserlichen Autorität
brachte der Reichstag von Attigny im August 822. Es war vielleicht Adalhard
von Corbie, der LUDWIG dazu
veranlaßt hatte, vor aller Öffentlichkeit ein Schuldbekenntnis
wegen des Vorgehens gegen die Verschwörung Bernhards
von Italien abzulegen. Nicht nur Blendung und Tod seines Neffen
Bernhard,
sondern auch die Tonsurierung seiner Halbbrüder
Drogo und
Hugo sowie
die Verbannung Adalhards und
Walas
wurde von
LUDWIG
mit einer freiwillig
auf sich genommenen Buße gesühnt, die durch reichliche Almosen
und Gebete der Geistlichkeit unterstützt wurde.
Seit 819 hatte sich die persönliche Umgebung
LUDWIGS auch deshalb verändert, weil er sich nach den Tod
seiner ersten Frau ein zweites Mal verheiratet hatte. Bevor er sich für
eine Braut entschied, hatte LUDWIG
nach byzantinischem Vorbild eine Art Schönheitskonkurrenz ausschreiben
lassen, aus der Judith, eine Angehörige
der Familie der WELFEN, als Siegerin
hervorging.
Judith hat schon bald auf
ihren Gemahl großen Einfluß gewonnen, und sie ist für
manche Turbulenzen verantwortlich, die in den kommenden Jahren nicht nur
den Kaiserhof, sondern das ganze Reich in große Schwierigkeiten brachten.
Nach Ablauf des ersten Ehejahres hatte sie eine Tochter geboren; und 823
ging aus der Ehe noch ein Sohn hervor, der den Namen KARL
erhielt. Ein Kind mit diesem Namen konnte nicht von der Herrschaft ausgeschlossen
werden, das heißt es deutete sich an, dass die Nachfolgeordnung von
817 umgestürzt und dieser Sohn als Haupterbe oder wenigstens als Miterbe
eingesetzt werden sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, suchte Judith
die Macht ihrer Familie zu vermehren und auch die Verbindung mit ihren
Stiefsöhnen zu vertiefen. Ihren Brüdern hatte sie schon gleich
nach der Heirat Besitz und wichtige Ämter verschafft; jetzt wurde
Judiths
jüngster Stiefsohn Ludwig (der Deutsche)mit
ihrer Schwester Hemmaverheiratet, und
auch ihr Bruder Konrad trat durch seine Ehe mit der Schwägerin des
ältesten Kaisersohnes LOTHAR in
den Kreis der Verwandten des Kaiserhauses ein. LOTHAR
war übrigens 826 Pate seines Halbbruders KARL
geworden. In dem Rahmen von Judiths Ehepolitik
gehört vielleicht auch die Verbindung Bernhards von Septimanien mit
Dhuoda; diese war möglicherweise eine nahe Verwandte Judiths,
und Bernhard wurde später für kurze Zeit der mächtigste
Mann am Kaiserhof.
Um die Macht Judiths
und ihrer Vertrauten zu stärken, sollten dann auch die bisherigen
Berater des Kaisers ausgeschaltet werden. Für dieses Vorhaben war
günstig, dass die Reichsversammlung im Februar 828 die Grafen Hugo
von Tours und Matfried von Orleans der Feigheit für schuldig erklärte,
weil sie im Feldzug gegen die Sarazenen im Vorjahr eine Schlappe erlitten
hatten. Und nach dem Einfall der Bulgaren nach Pannonien (827) wurde
der zuständige Markgraf Balderich von Friaul abgesetzt. Das Jahr 829
brachte dann geradezu einen Staatsstreich: Auf einer Reichsversammlung
in Worms ließ LUDWIG seinem jüngsten
Sohn KARL ein eigenes Teilreich (nämlich
Schwaben) zusprechen, wodurch das Erbe der älteren Söhne verkleinert
wurde. Gleichzeitig mit diesem Bruch der Ordinatio imperii von 817 fand
auch ein Revirement am Hof statt, dem Wala zum
Opfer fiel. Das wichtige Amt des Kämmerers wurde an Judiths
Günstling Bernhard von Septimanien übertragen.
Die bisherigen Berater ließen sich aber nicht widerstandslos
verdrängen. Sie warfen Judith
vor, mit ihrem Günstling Bernhard von Septimanien Ehebruch begangen
und ihren Gemahl behext zu haben, so dass der seine Schande gar nicht wahrnehmen
könne. Im ersten Anlauf erreichten die Verschwörer, dass Judith
ins Kloster verbannt wurde; ihre Brüder wurden zu Mönchen geschoren.
Die Träger der Revolte von 830 waren in erster Linie Wala
und Abt Hilduin von St. Denis sowie weitere Adlige, die sich durch Judith
und ihre Leute aus ihren einflußreichen Positionen verdrängt
sahen. Sie nahmen aber auch Kontakt zu den Söhnen LUDWIGS
auf, von denen anfangs besonders Pippin von Aquitanienund
dann auch Kaiser LOTHAR gegen ihren
Vater aktiv wurden.
LUDWIG DER FROMME
hat sich in den Kämpfen der folgenden Jahre nicht ungeschickt verhalten,
wenn man berücksichtigt, dass er die Mehrzahl seiner alten Getreuen
durch die Veränderungen am Hof vor den Kopf gestoßen hatte.
Er nützte die Unsicherheit seines ältesten Sohnes aus, der nicht
genug Entschlossenheit besaß, um eine völlige Entmachtung des
Vaters durchzuführen. Die Revolte von 830 endigte ohne Blutvergießen,
denn LUDWIG DER FROMME ließ die
Schuldigen nicht hinrichten, sondern in Klöster einweisen. Pippin
verlor sein Reich Aquitanien, das dem kleinen KARL
übergeben wurde. Judith mußte
einen Reinigungseid leisten, mit dem sie sich von den gegen sie erhobenen
Vorwürfen reinigte, ehe der Kaiser sie wieder als Gemahlin annahm.
Auch Bernhard von Septimanien erschien wieder bei Hofe und erhielt die
Erlaubnis, sich durch Eide von den Anschuldigungen zu reinigen.
Nach dem Bericht der Vita des sogenannten Astronomus
erscheint LUDWIG in diesen Jahren der
Krise recht aktiv; so eilte er etwa im Frühjahr 832 zuerst nach Bayern,
um den Aufstand seines Sohnes Ludwig
niederzuwerfen; im Herbst ist er in Orleans, wo es galt, eine Heeresversammlung
abzuhalten, um einem neuen Aufstand Pippins
entgegenzutreten. Bis in den Winter hinein blieb
LUDWIG in Aquitanien und kehrte erst im Januar 833 wieder nach
Aachen zurück.
In diesem Jahr 833 erreichte die Aufstandsbewegung gegen
LUDWIG DEN FROMMEN ihren Höhepunkt. LOTHAR
war es im Bunde mit seinen Brüdern Ludwig
und Pippin sogar gelungen, den ins
Frankenreich gereisten Papst Gregor IV. auf seine Seite zu ziehen. Als
dann auch noch das Heer des alten Kaisers in der Nähe von Colmar (auf
dem sogenannten "Lügenfeld") auf die Seite der Söhne überging,
konnten LUDWIG DER FROMME und
Judith gefangengenommen werden. Judith
wurde von LUDWIG getrennt und nach
Oberitalien gebracht, während LUDWIG nach
Compiegne geführt wurde. Dort und St. Medard bei Soissons (Oktober
und November 833) mußte LUDWIG
ein Schuldbekenntnis ablegen; danach wurde er der Insignien seiner Kaiserwürde
entkleidet. Dadurch, dass er eine öffentliche Kirchenbuße auf
sich nahm, war er als Exkommunizierter nicht mehr regierungsfähig.
Thegan berichtet, dass man LUDWIG gedrängt
habe, freiwillig ins Kloster einzutreten; dazu war er aber nicht bereit.
Diese Vorgänge waren möglich geworden, weil
die fränkischen Bischöfe 829 auf dem Konzil von Paris Leitsätze
formuliert hatten, die eine Kontrolle des Herrschers durch den Episkopat
vorsahen. Die wichtigsten Vertreter dieser Vorstellung, dass die Bischöfe
für die richtige Regierung des Reiches verantwortlich seien, waren
die Erzbischöfe Agobard von Lyon und Ebo von Reims; sie führten
bei den Vorgängen in Soissons Regie. Auf der Seite des Adels spielten
die Grafen Matfrid von Orleans und Hugo von Tours eine maßgebliche
Rolle bei der Absetzung des Kaisers.
Der Astronomus berichtet davon, dass es schon im Winter
833/34 in verschiedenen Gegenden des Reiches zu einer Mobilisierung der
Anhänger des alten Kaisers gekommen sei. Eine gewaltsame Befreiung
soll LUDWIG jedoch abgelehnt haben.
So wurde der Umschwung durch eine militärische Machtdemonstration
Pippins
von Aquitanien herbeigeführt, der durch LOTHARS
ungeschicktes Verhalten auf die Seite seines Vaters getrieben worden war.
LOTHAR
zog sich mit seinen engsten Anhängern im Februar 834 nach Burgund
zurück.
LUDWIG DER FROMME wurde
am 1.3.834 in St. Denis wieder in die Kirche aufgenommen und mit den königlichen
Gewändern und mit seinen Waffen eingekleidet. Der Kaiser lehnte es
aber ab, seinen Sohn LOTHAR gewaltsam
aus dem Reich zu vertreiben. Die Kämpfe, die sich dennoch an verschiedenen
Orten des Frankenreichs erhoben, wurden von den adeligen Parteigängern
LUDWIGS
DES FROMMEN und LOTHARS
getragen; von LUDWIG weiß sein
Biograph nur zu berichten, dass er die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten
834 sowie sie Wochen nach Pfingsten mit Jagd und Fischfang in den Ardennen
verbracht habe. Wahrlich ein merkwürdiges Verhalten für einen
eben wieder in sein Amt gelangten Kaiser, dessen Gegner noch keinesfalls
endgültig besiegt waren. Erst ein Feldzug vom Sommer 834, der im wesentlichen
von den Herren Ludwigs von Bayern undPippins
von Aquitanien getragen wurde, brachte LOTHARSUnterwerfung.
Er wurde nach Italien geschickt und dort isoliert, indem die Alpenpässe
gesperrt wurden, um eine erneute Konspiration
LOTHARS
mit den fränkischen Gegnern LUDWIGS DES FROMMEN
zu verhindern.
Am 28.2.835 wurde LUDWIG
im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes in der Stephansbasilika in Metz
rekonziliert und wieder in sein Amt eingesetzt; sieben Erzbischöfe
sangen dabei die Rekonziliationsgebete, und Ebo von Reims erklärte
von der Kanzel, dass der Kaiser zu Unrecht abgesetzt worden war. Der alte
Kaiser begann jetzt wieder zu regieren, er hielt eine Reichsversammlung
in Worms ab (Ostern 835), an der auch Pippin
und der jüngere Ludwig teilnahmen;
dort wurden auch einige Grafen zur Rechenschaft gezogen, weil sie ihr Amt
nachlässig geführt hatten.
Es war dann Kaiserin Judith,
die die Initiative zur Aussöhnung mit LOTHAR
ergriff. Denn sie war sich darüber im klaren, dass im Falle des Todes
ihres Gatten ihr Sohn KARL nur im Einvernehmen
mit LOTHAR, nicht aber gegen ihn einen
Anteil am Reich bekommen könne.
LUDWIG
plante im Jahr 836 anscheinend auch eine Reise nach Rom, um durch sein
persönliches Auftreten das Anrecht auf die Herrschaft im gesamten
Reich zu betonen. Dazu kam es zwar nicht, weil ein Zug gegen die Normannen
nötig geworden war, aber die Macht LOTHARS
wurde im Herbst 836 durch eine schwere Seuche dezimiert, der die mächtigsten
seiner Anhänger, die mit ihm nach Italien gegangen waren, erlagen.
Auch LOTHAR selbst wurde von dieser
Krankheit ergriffen und war dadurch längere Zeit in seiner Aktivität
behindert.
Als zu Ostern 837 ein Komet erschien, der den baldigen
Tod des Kaisers anzukündigen schien, bat Judith
ihren Gemahl, zugunsten ihres Sohnes KARL
eine neue Nachfolgeordnung zu erlassen. Im Oktober 837 wurden
KARL
im Rahmen einer Reichsversammlung in Aachen die Waffen überreicht,
dabei wurde er auch mit der Königskrone geschmückt und bekam
Neustrien als eigenes Reich übertragen. Damit hatte er das ganze Gebiet
zwischen Rhein und Elbe erhalten, "den besten Teil des Reiches", wie es
ein Zeitgenosse ausdrückt. In diesem Bereich lag fast das gesamte
Reichs- und Hausgut.
Wieder war es Judith,
die nach dem Tod Pippins von Aquitanien(13.12.838)
die Initiative zu einem Abkommen mit
LOTHARergriff
und es erreichte, dass am 30.5.839 LOTHARam
Hof des Vaters in Worms erschien, wo ihm nach einem Fußfall vor LUDWIG
Verzeihung
gewährt wurde. Auch seine Anhänger erhielten ihre Lehen und Besitztümer
im Frankenreich zurück. Jetzt wurde das Reich unter die beiden Söhne
LOTHAR
und KARL aufgeteilt; Ludwig
(der Deutsche) sollte auf sein kleines Unterkönigtum in
Bayern beschränkt bleiben. Die Maas sollte die Grenze zwischen den
beiden Reichen LOTHARS und KARLS
bilden, für LUDWIG DEN FROMMEN
ist es vielleicht bezeichnend, dass er diese Aufteilung erst dann selbst
vornahm, als LOTHAR sagte, wegen der
Unkenntnis des Landes könne er eine Aufteilung nicht vornehmen. Er
durfte aber als erster seinen Erbteil wählen und entschied sich für
das Reich östlich der Maas, zu dem auch Italien und das östliche
Burgund gehörten. LOTHAR versprach
feierlich, mit der Übertragung der westlichen Hälfte an KARLeinverstanden
zu sein und nach dem Tod des Vaters nur seinen Anteil in Besitz zu nehmen.
Der alte Kaiser mahnte seine beiden Söhne, sich zu lieben und gegenseitig
zu unterstützen. Zur Sicherung dieser Abmachung waren alle Vorgänge
öffentlich vor den Teilnehmern der Reichsversammlung vorgenommen worden.
Auch auf seinem Sterbelager beschäftigte
LUDWIG vor allem anderen die Furcht vor einem neuen Kampf um
sein Erbe. Für seine warmherzige und gütige Art spricht auch,
dass er am Ende seines Lebens noch seinem Sohn Ludwig,
der bis zuletzt gegen ihn gekämpft hatte, zu verzeihen bereit war.
Über die äußere Erscheinung LUDWIGS
wissen wir Bescheid, weil sich sein Biograph Thegan am Vorbild der Vita
Karoli Einhards orientiert hatte. Im Unterschied zur realistischen Beschreibung
KARLS
DES GROSSEN durch Einhard scheint aber Thegan eher ein Idealbild
zu zeichnen, wenn auch ein Teil seiner Angaben zutreffen mochte. Thegan
schildert LUDWIG als mittelgroß,
athletisch gebauten Mann mit einer starken Brust, breiten Schultern und
starken Armen, die zum Bogenschießen und Lanzenwerfen vorzüglich
geeignet waren, und er rühmt seine männliche Stimme und vor allem
seinen milden Charakter, der ganz frei von Zorn gewesen sei. Während
die an ihm gerühmte Freigebigkeit noch als typischer Zug eines idealen
Herrschers erwähnt sein mag, zeigen andere von Thegan hervorgehobene
Eigenschaften ihn als eher mönchischen Charakter. Dazu gehört,
dass er beim Gebet in der Kirche mit der Stirn den Fußboden zu berühren
pflegte und dabei zuweilen Tränen vergoß und dass er das Lachen
gänzlich vermieden haben soll. "Selbst wenn bei den höchsten
Festen Schauspieler und Possenreißer bei Tisch erschienen und das
Volk in seiner Gegenwart maßvoll lachte, zeigte er nicht einmal seine
weißen Zähne beim Lachen."
LUDWIGS persönliche
Religiosität kann wohl am besten aus sein Verhalten in Krisensituationen
abgelesen werden. Nach dem Aufstandsversuch seines Neffen Bernhard
von Italien, der mit dessen Tod geendet hatte, war LUDWIG
in tiefe Depression verfallen. Auf Rat seiner geistlichen Freunde legte
der Kaiser ein öffentliches Schuldbekenntnis ab, wie es die kirchlichen
Gesetze von einem Delinquenten verlangten. Auch das letztlich passive Verhalten
LUDWIGS
in den Jahren der Aufstände seiner Söhne (830-833) ist wohl so
zu erklären, dass er diese Vorgänge als "Heimsuchungen" Gottes
wegen seines sündhaften Lebenswandels ansah. Vielleicht ist auch in
der Tatsache, dass LUDWIG schon früh,
nämlich im 4. Jahr seiner Regierung, den ältesten Sohn LOTHAR
zum Mitkaiser erhob, eine innere Distanz zur Herrschaft zu erkennen.
Doch hatte er auch durchaus Sinn für herrscherliche
Repräsentation: So erschien er an hohen Feiertagen in königlicher
Gewandung mit einer goldenen Tunika, einem goldenen Gürtel, goldenen
Beinschienen, einem von Gold glänzenden Schwert und einem golddurchwirkten
Mantel; dabei trug er Krone und Zepter. Auch seine große Jagdbegeisterung,
die ihn jedes Jahr für viele Wochen den Geschäften fernhielt,
zeigt ihn als typischen Vertreter des hohen Adels seiner Zeit.
Im Unterschied zu seinem Vater war LUDWIG
schon als Kind literarisch gebildet. Nach Thegan soll er im Lateinischen
und Griechischen gut unterrichtet gewesen sein, so dass er Latein wie seine
Muttersprache sprechen konnte. Die heidnischen Lieder aber - so betont
Thegan -, die er in seiner Jugend gelernt hatte, habe er weder lesen noch
hören wollen. Dass LUDWIG sehr
stark von seinen Beratern abhängig war, führt Thegan darauf zurück,
dass der Kaiser viel lieber Psalmen sang und Bücher las als dass er
sich für die Regierungsgeschäfte interessiert hätte. Bei
dieser Begeisterung für Bücher ist es nicht verwunderlich, dass
die Zeit LUDWIGS DES FROMMEN eine Blütezeit
des kulturellen Lebens war; jetzt ging die Saat auf, die die von KARL
DEM GROSSEN geholten ausländischen Lehrer ausgestreut hatten.
Es waren jetzt fast ausschließlich Reichsangehörige, Franken,
Schwaben und Sachsen, die mit teilweise sehr originellen Leistungen hervortraten.
In die Zeit LUDWIGS gehört die
Wirksamkeit der Rheinfranken Einhard und Hrabanus Maurus, des Alemannen
Walahfrid Strabo, des Sachsen Gottschalk und der Westfranken Smaragd von
St. Mihiel, Agobard von Lyon, Jonas von Orleans, Amalar von Metz, Florus
von Lyon und Lupus von Ferrieres. An der Schreibschule von
LUDWIGS Günstling und späterem Gegner Ebo von Reims
entstanden bedeutende Kunstwerke wie das Ebo-Evangeliar. Die an Kathedralen
und in Klöstern tätigen Schreibschulen fertigten eine ganze Reihe
von Widmungsexemplaren für den Herrscher an, die dieser in seine Bibliothek
aufnahm.
Auch am Hof selbst wirkten Schreiber und Buchkünstler,
die Prachthandschriften der Evangelien, der Rechtsbücher und antiker
Texte herstellten. Es wurden aber auch schmucklose Manuskripte von patristischen
und antiken Texten geschrieben, die durch die textliche Qualität und
ihre disziplinierte Schrift hervorragen.
Auch die Kaiserin Judith
hat die Buchkunst gefördert und pflegte Kontakte zu wichtigen Autoren:
Bischof Frechulf von Lisieux widmete ihr den zweiten Teil seiner Weltchronik,
und Hraban sandte ihr Dedikationsexemplare seiner Kommentare der alttestamentarischen
Bücher Judith und Esther (834). Walhfrid Strabo, den Judith
zum Erzieher ihres Sohnes KARL bestimmt
hatte, wurde nach dessen Volljährigkeit als Dank für seine Tätigkeit
zum Abt von Reichenau erhoben (838).
Nie zuvor und nie wieder in karolingischer Zeit fielen
Macht und Verantwortung an der Spitze von Reich und Familie so mühelos
einem Einzelnen zu wie Anfang 814 nach dem Tode KARLS
DES GROSSEN. LUDWIG, der
bisherige Unterkönig von Aquitanien und seit wenigen Monaten auch
gekrönter Kaiser, war von KARLS
legitimen Söhnen allein übrig und eben darum der letztlich unanfechtbare
Erbe, auch wenn er bis dahin der Führung des Imperiums ziemlich ferngestanden
hatte und nicht eigens auf seine historische Rolle vorbereitet worden war,
da der Vater viele Jahre hindurch eher mit seinem älteren Sohn Karl
als Nachfolger rechnete. LUDWIG hatte
nur eingeschränkte Verantwortung im Südwesten des Reiches erhalten,
wo er von Kindheit an als Repräsentant des fränkischen Herrscherhauses
fungierte und eine Schulbildung empfing, mit der er den Vater gewiß
übertraf. Aus dem beigegebenen Regentschaftsrat war mit der Zeit ein
eigener kleiner Hof geworden, der den "König der Aquitanier" im Rahmen
der vom Vater gezogenen Grenzen bei seinen Amtshandlungen unterstützte.
An seiner Seite werden der Kanzler Helisachar sowie der
Graf Bego von Toulouse genannt, der um 806 durch Heirat mit LUDWIGS
vorehelicher Tochter Alpais
sein Schwiegersohn wurde. Eine prägende Persönlichkeit war daneben
der westgotische Grafensohn Witiza, der als Gründer und Abt des Klosters
Aniane (bei Montpellier) den programmatischen Namen Benedikt angenommen
hatte und mit Rückhalt an LUDWIG
eine umfassende Erneuerung des aquitanischen Klosterwesens gemäß
der Regel des heiligen Benedikt in Gang brachte. In diesem seit jeher vertrauten
regionalen Horizont wäre auch LUDWIGS
weiteres Leben verlaufen - noch der Reichsteilungsplan von 806 eröffnete
ihm nur die Aussicht auf begrenzten Machtzuwachs in Septimanien, der Provence
und in Burgund -, wenn nicht der unerwartete Tod der Brüder Pippin
und
Karl (810/11) bewirkt
hätte, dass "in ihm die Hoffnung auf die gesamte Herrschaft erwachte"
und der Vater ihn, wenn auch zögernd, zum Kaisertum aufrücken
ließ.
Neben den inhaltlichen Maßgaben, die wenig Spielraum
für grundsätzlich Neues ließen, beruhte die kaiserliche
Regierungsführung im übrigen auf einem Geflecht persönlicher
Bindungen, und hier waren einschneidende Veränderungen unabwendbar.
Am Aachener Hof, der jahrzehntelang ganz auf KARL
DEN GROSSEN fixiert gewesen war, rückte nun LUDWIGS
Familie
in den Mittelpunkt, nämlich seine Gemahlin Irmingard,
Tochter des Grafen Ingelram (aus dem vornehemen Geschlecht Chrodegangs
und Angilrams von Metz), mit der er seit 794 verheiratet war, samt ihren
Söhnen LOTHAR
(geb. 795), Pippin(geb.
um 797) und Ludwig (geb. um 806) sowie
den Töchtern Rotrud
und Hildegard.
Vor ihnen hatten seine bis dahin vielumworbenen, unvermählt gebliebenen
Schwestern in verschiedene Klöster zu weichen, und auch ihre jungen,
illegitimen Halbbrüder, KARLS
späte Söhne Drogo,
Hugo
und
Theuderich,
kamen am Hof unter strengere Aufsicht. Für die eigenen Nachkommen
sorgte LUDWIG vor, indem er die bereits
erwachsenen Söhne LOTHAR und Pippinals
Unterkönige in Bayern und Aquitanien einsetzte sowie seinen Schwiegersohn
Bego (+ 816) zum Grafen von Paris und seinen illegitimen Sohn Arnulf
zum Grafen von Sens machte. Ausgespart blieb Italien, wo der neue Kaiser
gemäß dem Willen des Vaters das Königtum des Neffen Bernhard
anerkannte, nachdem dieser zur Huldigung in Aachen erschienen war. Dagegen
nahm er den Stiefvettern Adalhard und
Wala
ihren zuletzt bei KARL und Bernhard
bedeutenden Einfluß; der ältere wurde nach Noirmoutier
an der Loiremümdung verbannt, der jüngere trat ins Kloster Corbie
ein. Zu den "neuen Leuten" LUDWIGS
gehörte Ebo, ein Gefährte seiner frühen Jugend, der später
als Bibliothekar gedient hatte und 816 trotz unfreier Herkunft Erzbischof
von Reims wurde. An der Spitze der Hofkapelle verblieb der alte Hildebald
von Köln (+ 818), aber neben ihn trat als Kanzler, ausgestattet mit
Abteien, der schon in Aquitanien bewährte Helisachar. Auch Benedikt
von Aniane kam zu einem wachsenden Wirkungsfeld, da ihm der Kaiser zunächst
das elsässische Kloster Maursmünster und dann die Neugründung
Inden/Kornelimünster nahe bei Aachen anvertraute, wo er seine Konzepte
für weitgreifende Reformen geistlichen Gemeinschaften entwarf.
Im Oktober 816 wurde der neue Papst Stephan IV. feierlich
in Reims empfangen und legte Wert darauf, den Kaiser und seine Gattin Irmingard
zu salben und mit einer eigens mitgebrachten, angeblichen Krone Konstantins
zu krönen.
Von der legislativen Entschlußkraft LUDWIGS
und
seiner Umgebung in diesen frühen Jahren zeugt aber vor allem, wie
man auf der Aachener Reichsversammlung vom Juli 817 das zentrale Verfassungsproblem,
den Widerstreit zwischen universalem, unteilbarem Kaisertum und traditionell
gleichem Erbrecht aller legitimen Königssöhne, aufgriff und zu
lösen suchte. Impulse durch den unitarischen Grundzug der Kirchenpolitik
sind dabei ebenso offensichtlich wie das gemehrte Selbstbewußtsein
des im Vorjahr zusammen mit Irmingard vom Papst gesalbten Kaiser, der nun
auch förmlich ihren gemeinsamen Nachkommen die exklusive Aussicht
auf künftige Herrschaft sichern wollte. Anders als KARL
DER GROSSE in seiner Divisio von 806 ging LUDWIG,
der sich von Anfang an nicht mehr rex Francorum, sondern imperator augustus
schlechthin tituliert hatte, vom Vorrang der Kaiserwürde aus, die
er allein seinem ältesten Sohn LOTHAR I.
zusprach und ihm nach Akklamation der Großen auch sogleich durch
Krönung aus eigener Hand, also wiederum ohne geistliche Vermittlung,
in aller Form verleih. Unter ihm als dem Erben der obersten Verantwortung
sollte Pippin, LUDWIGS
zweiter Sohn, auch über den Tod des Vaters hinaus nicht mehr als das
unwesentlich erweiterte Aquitanien innehaben, während dem noch heranwachsenden
Ludwig
("dem Deutschen") das zuvor LOTHAR
zugeteilte Bayern samt den slawischen Grenzgebieten in Aussicht gestellt
wurde. Die abgestuften Kompetenzen kamen auch darin zum Ausdruck, dass
die jüngeren Brüder dem Kaiser regelmäßig Bericht
zu erstatten haben würden, nur mit seiner Zustimmung heiraten durften
und sich der Reichsversammlung als ungeteiltem Forum der Zentralgewalt
beugen mußten. Um weiterer Zersplitterung vorzukommen, wurde festgelegt,
dass die beiden Unterkönigreiche ebenso wie das Kaisertum stets nur
an einen Erben fallen konnten, gegebenenfalls also unter mehreren Söhnen
oder Brüdern eine Wahl der Großen stattzufinden hätte.
Offenkundig sollte dieses Thronfolgegesetz von 817 mit der modernen Bezeichnung
Ordinatio imperii also Bestand und Struktur des fränkischen Großreiches
von den familiären Geschicken des Herrscherhauses unabhängig
machen und zwar insofern antidynastisch konzipiert.
Eine erste Regung von Widerstand trat ganz unmittelbar
auf und kann kaum überrascht haben. Sie ging von König
Bernhard von Italien, dem jungen Neffen des Kaisers aus, der
noch im Vorjahr mit dem ehrenvollen Geleit des Papstes über die Alpen
betraut worden war, sich nun aber mit seiner von KARL
DEM GROSSEN übertragenen Sonderherrschaft in der Ordinatio
imperii gar nicht erwähnt fand und dort stattdessen lesen konnte,
Italien solle künftig LOTHAR I. in
gleicher Weise unterstehen wie bisher den Kaisern
KARL und LUDWIG. Wenn er
in seiner Verärgerung offenbar nicht ganz wenige hochgestellte Anhänger
fand, so zeigt sich, dass hier über persönliche Spannungen hinaus
Weiterreichendes berührt war wie das Thronrecht illegitmer KAROLINGER,
die Gültigkeit der von LUDWIG
bei seiner Kaisererhebung akzeptierten Verfügungen KARLS
und letztlich die Divergenz zwischen der bis 814 dominierenden
Elite und den nun tonangebenden "Aquitaniern". Dennoch ist schwer auszumachen,
wie weit die Ziele reichten, die Bernhard
durchzusetzen suchte, als er sich im Herbst 817 gegen LUDWIG
DEN FROMMEN wappnete, doch steht fest, dass die offiziösen
Quellen von einer ernsthaften Rebellion sprechen und der Kaiser mit einer
umfassenden Mobilisierung von Truppen reagierte, die ihre Wirkung nicht
verfehlte. Nach Besetzung der Alpenpässe gab Bernhard
noch vor Jahresende die Sache verloren und erschien mit seinen Getreuen
in Chalon-sur-Saone, wo LUDWIG ihn
festnehmen ließ. Auf der Aachener Reichsversammlung vom Frühjahr
818 wurden mehrere Bischöfe unter dem Vorwurf des Einverständnisses
mit ihm abgesetzt und über die beteiligten Laien mit Bernhard
an der Spitze Todesurteile gefällt, die der Kaiser dann in Blendungsstrafen
umwandelte. Bernhard, gerade Vater
eines kleinen Sohnes namens Pippin geworden
(von dem sich die späteren Grafen von Vermandois herleiten), starb
an den Folgen der grausamen Prozedur (17.4.818), was sicher ungewollt war,
aber für
LUDWIGS Regiment eine
fühlbare moralische Belastung bedeutete, die bewußt macht, dass
auch für den Machtkampf innerhalb des Herrscherhauses mittlerweile
strengere sittliche Maßstäbe an Boden gewonnen hatten. Fürs
erste freilich ließ der Kaiser seinen Zorn und seinem Mißtrauen
freien Lauf, indem er nun auch seine illegitimen Halbbrüder in den
geistlichen Stand versetzte, "um die Zwietracht zu mindern" (wie es Thegan
ausdrückte):
Drogo kam nach Luxeuil,
Hugo
nach Charroux und der bald verstorbene Theuderich
an einen unbekannten Platz.
Die wiederholten Hinweise der Quellen auf "ruchlose"
Ratgeber und prominente Mitverschworene des gescheiterten Bernhard
(darunter
ein Enkel jenes Grafen Hardrad, der sich 30 Jahre zuvor gegen KARL
empört hatte) lassen erneut spüren, wie leicht Familienzwist
an der Spitze unruhiger Adelskreise auf den Plan rufen konnte und wie sehr
es daher für den jeweiligen Herrscher darauf ankommen mußte,
eine Isolierung von wesentlichen Teilen der Führungsschicht zu vermeiden.
Es scheint, dass LUDWIG DER
FROMME dafür - neben dem bewährten Mittel der Vergabe
von Ämtern und Würden - stärker als sein Vater auch Eheverbindungen
mit dem Hochadel eingesetzt hat. Er ging selbst voran, als er nach dem
Tode der Kaiserin Irmingard (818) als
zweite Gattin Judith wählte, die,
wie es heißt, ob ihrer Schönheit siegreich aus einer "Besichtigung"
der Töchter vornehmer Häuser hervorging, aber gewiß auch
dadurch empfohlen wurde, dass sie von dem Grafen Welf aus ursprünglich
fränkischer, nun vornehmlich in Alemannien und Bayern begüterter
Familie (den älteren WELFEN) und
einer edlen sächsischen Mutter abstammte. Dem Vater folgte 821 der
junge Kaiser LOTHAR durch seine Heirat
mit Irmingard, der Tochter des Grafen
Hugo von Tours aus dem alten elsässischen Herzogshaus der ETICHONEN,
während sein Bruder Pippin von Aquitanien
im nächsten Jahr Ringart heimführte,
deren Vater eine neustrische Grafschaft innehatte. Auch die kaiserlichen
Prinzessinnen Rotrud und Hildegard
wurden, anders als unter KARL, ins
dynastische Geflecht einbezogen und mit den aquitanischen Grafen Rather
von Limoges und Gerhard von Auvergne vermählt. Unter den solchermaßen
in Königsnähe gerückten Geschlechtern gewannen vorerst die
WELFEN
den größten Einfluß, was kaum zu Unrecht dem energischen
Ehrgeiz der neuen Kaiserin Judith zugeschrieben wird. Jedenfalls
muß auffallen, dass im Laufe der Zeit ihre Mutter Heilwig die Leitung
der vornehmen Königsabtei Chelles erhielt, der eine Bruder Rudolf
sich die Verfügung über die Klöster Saint-Riquier und Jumiges
sicherte und der andere, Konrad, zum wichtigen Machthaber in Alemannien
wurde, überdies verheiratet mit Adelheid, einer weiteren Tochter Hugos
von Tours und damit Schwägerin
LOTHARS I.
Wenn schließlich 827 auch noch Hemma,
Judiths
jüngere Schwester, dem Kaiser-Sohn
Ludwig, einstweiligem Unterkönig von Bayern, angetraut
wurde, so kündigten sich zugleich bereits die Gefahren für die
inneren Machtbalance an, die in allzu starkem Hervortreten einzelner Adelssippen
lag.
Zusammen mit der Familie gewann auch der Hof mit den
Jahren ein neues Profil. Die feste Bindung an die Residenz Aachen lockerte
sich in dem Maße, wie Reichsversammlungen wieder in Nimwegen, Diedenhofen,
Compiegne oder Ingelheim anberaumt wurden und Reisen bis nach Orleans und
Tours, aber auch nach Paderborn und Frankfurt den Kaiser mit einem weiteren
Kreis seiner Getreuen zusammenbrachten.
Auf der Diedenhofener Reichsversammlung vom Oktober 821
begnadigte
LUDWIG die überlebenden
Teilnehmer der Rebellion Bernhards von Italien
und hob die Verbannung Adalhards und
Walas,
der Stiefvettern
KARLS, vom Hof auf;
wenig später fiel die Entscheidung, die ins Kloster verdrängten
Halbbrüder des Kaisers ebenfalls mit angemessenen Würden zu bedenken,
und zwar Drogo mit dem Bischofsstuhl
von Metz (ab 823), Hugo mit der Leitung
des Klosters Saint-Quentin. Da in Diedenhofen zugleich die Ordinatio imperii
von allen Großen eidlich bekräftigt wurde, ist in dem personellen
Umschwung kein politischer Kurswechsel zu vermuten, sondern eher der Versuch,
für die unveränderten Ziele einen breiteren Rückhalt zu
erreichen. Gleichwohl bestand das Bedürfnis, die Überwindung
der Zerwürfnisse auch religiös zu manifestieren, und so erlebte
die Reichsversammlung von Attigny im August 822 die unter
KARL
DEM GROSSEN schwer vorstellbare Szene,
dass der Kaiser öffentlich seine Verfehlungen gegen Brüder und
Vettern sowie seine Mitschuld am Tode des Neffen
Bernhardbekannte
und sich dafür der Kirchenbuße unterwarf, während die anwesenden
Bischöfe ihrerseits unumwunden die eigene Nachlässigkeit und
Pflichtvergessenheit eingestanden und Besserung gelobten.
Ganz im Sinne der allseits beschworenen Hausordnung wurde
dem Junior-Kaiser LOTHAR ein Jahr nach
seiner Heirat Italien als Bereich eigener Zuständigkeit zugewiesen,
wo er ab 822 die Sonderherrschaft Pippins und
Bernhards
fortführen konnte.
Die äußeren Rückschläge, die im
Jahre 827 fast gleichzeitig in Pannonien, in Spanien und bei den Dänen
eintraten, waren an sich ohne ursächlichen Zusammenhang, trafen am
Hof aber auf ein Klima der Unsicherheit, das sich aus zunehmenden Spannungen
in der Umgebung des Kaisers ergab. Den Hintergrund bildete eine neue familiäre
Konstellation, denn LUDWIGS zweiten
Gattin Judith hatte nach einer Tochter
Gisela am 13.6.823 in Frankfurt einen Sohn zur Welt gebracht, der
den Namen seines Großvaters KARL
erhielt.
Gleichwohl blieb die Ordinatio imperii nicht nur abstrakt
in Geltung, sondern wurde auch fortschreitend realisiert, soweit das zu
LUDWIGS
Zeiten überhaupt möglich war: Ende 825 kehrte LOTHAR
aus
Italien zurück, um künftig als formell gleichberechtigter Mitkaiser
an den Regierungsgeschäften beteiligt und in allen Herrscherurkunden
genannt zu werden, und 826 hielt man den Kaisersohn Ludwig
für alt genug, um das ihm in der Ordinatio zugesprochene Unterkönigreich
Bayern auch persönlich zu übernehmen. Da sein Bruder Pippin
schon seit Jahren in Aquitanien residierte, verblieben am Hof allein die
beiden Kaiser sowie Judith mit ihrem
kleinen Sohn. Wie sie miteinander auskamen, wissen wir nicht, doch ist
in der zweiten Hälfte der 820er Jahre eine gewisse Stagnation in LUDWIGS
innerer Politik nicht zu übersehen. Sichtbar zutage traten die latenten
Gegensätze erst, als es galt, auf die akute Bedrohung an den Grenzen
zu reagieren. LUDWIG DER FROMME ordnete
dazu Anfang 828 nicht nur ein allgemeines Fasten an, sondern verfügte
auch auf einem Hoftag in Aachen die Absetzung des Markgrafen Balderich
von Friaul, der die Bulgaren nicht hatte abwehren können, sowie der
Grafen Hugo von Tours und Matfrid, denen Versagen in Spanien vorgeworfen
wurde. Mögen dies nach Lage der Dinge nicht unbegründete Entscheidungen
gewesen sein, so griffen sie doch rigoros in die labile Balance unter den
führenden Magnaten ein, denn jeder der Entmachteten stand in mannigfachen
Bindungen zu anderen Großen, deren Ergebenheit durch solche Sanktionen
auf eine harte Probe gestellt wurde. LOTHAR
zum Beispiel konnte es nicht gleichgültig sein, dass sein Schwiegervater
Hugo um allen Einfluß gebracht und Matfrid in der Grafschaft Orleans
ausgerechnet durch Odo, einen Vetter des vor Barcelona siegreichen Grafen
Bernhard, ersetzt wurde, der als Judiths
Schützling galt. Jedenfalls wuchs dadurch die Zahl der Unzufriedenen,
die zumal der Kaiserin nicht trauten. Wala,
der 826 seinem verstorbenen Bruder Adalhard
als Abt von Corbie nachgefolgt war und durch lange Erfahrung ebenso wie
durch karolingische Abkunft besondere
Autorität genoß, machte sich zu ihrem Sprecher, als es Ende
828 auf einer neuen Aachener Versammlung eine umfangreiche Denkschrift
über Mißstände in Reich und Kirche vorlegte. Doch über
diesen umfassenden Versuch einer Neubestimmung der Gewichte in "Abwehr
des allzu verfestigten Staatskirchentums" (H. H. Anton), der ihm in einer
kompromitierten Fassung vorgelegt wurde, ging Kaiser
LUDWIG auf der nächsten Reichsversammlung im Worms (August
829) hinweg, um seinerseits mit dem Entschluß aufzuwarten, sein nunmehr
sechsjähriger jüngster Sohn KARL
erhalte als vorweggenommenes Erbe einen neugeschaffenen Machtbereich (Dukat),
der aus Alemannien, Elsaß, Rätien und Teilen von Burgund gebildet
wurde. Da keine Erhebung zum König erfolgte, war die Ordinatio imperii
formal nicht außer Kraft gesetzt, doch mußte ihre wesentliche
Intention als bedroht, ja gescheitert gelten, eine weitere Aufsplitterung
der Macht durch Beschränkung des dynastischen Erbrechts zu unterbinden.
Brüskiert fühlte sich LOTHAR,
der seine Aussicht auf königliche Gesamtherrschaft schwinden sah,
und mit ihm seine adelige Klientel, die an seinem Aufstieg gehofft hatte
Anteil zu haben, der auch die jüngeren Brüder Pippin
und Ludwig, die weitere Schritte zugunsten
des kleinen KARL befürchten mußten,
und schließlich die kirchliche Reformpartei, die eben erst weitreichende
Konzepte zur inhaltlichen Ausfüllung des Reichseinheitsideals vorgetragen
hatte. Der Bruch wurde offenkundig, als
LOTHAR,
der am 11.9.829 die letzte gemeinsame Urkunde mit dem Vater ausstellte,
im Herbst ins Teilreich Italien abgeordnet und auch Wala
vom Hof in sein Kloster Corbie verwiesen wurde. Statt ihrer nahm nun Bernhard
von Barcelona, der Rivale Hugos und Matfrids, als Kämmerer die Stellung
eines "Zweiten in der Herrschaft" ein, getragen vom Vertrauen der Kaiserin
Judith (was zu üblen Gerüchten Anlaß gab) und
verhaßt bei den bisher tonangebenden Kreisen, die sich über
weitere personelle Veränderungen am Hof entrüsteten. Der Vorgang
zeigt deutlich die faktischen Grenzen der kaiserlichen Entscheidungsfreiheit
auf, denn die verbreitete Mißstimmung in der geistlichen und weltlichen
Führungsschicht ließ sich nur den Winter 829/30 über noch
unter Kontrolle halten. Als, angeblich auf Betreiben Bernhards, der Aufmarsch
zu einem neuen Feldzug gegen die Bretonen ausgerechnet auf den Gründonnerstag
(14.4.) angesetzt wurde, gab dies das Fanal zum Umsturz.
Zum Verständnis der weiteren Entwicklung ist wichtig,
dass die aktive Opposition nicht von dem in Italien weilenden Kaiser
LOTHAR und auch kaum von seinen königlichen Brüdern
ausging, sondern von den um ihren Einfluß gebrachten Großen,
die sich bei der Forderung nach Revision der jüngsten Maßnahmen
einig in dem Ziel waren, Bernhard und Judith
aus ihren Schlüsselpositionen zu verdrängen. Nur für einen
Teil der Aufrührer jedoch, für Männer wie Wala
von Corbie, den Erzkapellan Hilduin oder den früheren Kanzler
Helisachar, ging es darüber hinaus bewußt darum, LUDWIG
DEN FROMMEN an der Aufgabe seiner eigenen früheren Pläne
zur Wahrung der Reichseinheit zu hindern, - eine Haltung, die um einer
höheren Legitimität willen den Vorwurf des Bruchs geleisteter
Eide nicht scheute und, wenn überhaupt, nur dann auf breitere Resonanz
rechnen konnte, wenn LOTHAR selber
die Verteidigung der auf ihn zugeschnittenen Ordinatio imperii energisch
und wirksam in die Hand nahm. Er wurde daher eilend über die Alpen
herbeigeholt, nachdem sich das Heer statt gegen die Bretonen in den Pariser
Raum gewandt und Bernhard sein Heil in der Flucht nach Barcelona gesucht
hatte, während Judith in Klosterhaft
nach Poitiers verbracht wurde und auch ihre Brüder Konrad und Rudolf
in die Hände ihrer Gegner fielen, die sie bezeichnenderweise durch
Scheren des Haupthaares aus dem politischen Leben auszuschalten suchten.
LOTHARentschied
sich nach seiner Ankunft auf einer Reichsversammlung in Compiegne im Mai
830 gegen die Forderung der radikaleren seiner Anhänger,
LUDWIG
DEN FROMMEN völlig zu entthronen, und zog es in Gegenwart
seiner Brüder Pippin und Ludwig
vor,
allein auf der Rücknahme der Verfügungen aus dem Vorjahr zu bestehen,
also wieder zum formellen Doppelkaisertum zurückzukehren. Dabei war
nun freilich er der eigentliche Gebieter, hielt den Vater und den kleinen
Stiefbruder unter steter Aufsicht und ging auch weiter strafend gegen Parteigänger
der verstoßenen Kaiserin vor.
Statt konkreter politischer Entschlüsse im Sinne
der von den Reformern erhofften "Besserung" der allgemeinen Zustände
stand, wie sich zeigte, eher die gegenseitige Abrechnung unter den verfeindeten
Großen auf der Tagesordnung des folgenden Sommers und erlaubte bald
gegen LOTHARS Regiment den Vorwurf,
Ungerechtigkeit, Habgier und Gewalttat nur noch weiter gesteigert zu haben,
was ihn in den Augen vieler kompromittierte, die seinen Aufstieg herbeigeführt
hatten. Die verbreitete Enttäuschung kam dem alten Kaiser zugute,
der seine monatelange Passivität überwand und über Mittelsmänner
die Söhne Pippin und Ludwig
auf seine Seite zog, indem er ihnen eine Vergrößerung ihrer
Erbteile in Aussicht stellte. Der Umschwung zeigte sich bereits auf der
nächsten Reichsversammlung im Oktober in Nimwegen, wo LUDWIG
wieder die Oberhand gewann, seinem kaiserlichen Sohn kampflos einen neuen
Treueid abnötigte und die Rückkehr Judiths
an seine Seite durchsetzen konnte. Die Anführer der Rebellion sahen
sich isoliert, wurden festgesetzt und auf einem Aachener Hoftag im Februar
831 abgeurteilt; Hulduin, der als Erzkaplan durch den Abt Fulco ersetzt
wurde, ferner Wala und Helisachar wanderten
an verschiedene Verbannungsorte, prominente Laien wurden mit Entzug ihrer
Ämter und Güter bestraft. LOTHAR
verlor erneut die Teilhabe an der Gesamtherrschaft und wurde nach Italien
abgeschoben. Der zweimalige abrupte Wechsel der Machtverhältnisse,
der sich binnen Jahresfrist abgespielt hatte, war von noch größerer
Tragweite, als die Beteiligten ahnen mochten, den er klärte im Grunde
schon, dass die von LUDWIG anfänglich
betriebene normative Sicherung der Reichseinheit gescheitert war, weil
der Kaiser sie der dynastisch fundierten Begehrlichkeit der übrigen
Familienmitglieder geopfert hatte, aber auch weil der zu ihrer Wahrung
berufene LOTHAR I. zu entscheidender
Stunde weder Entschlußkraft noch Augenmaß bewiesen hatte.
Wenn es kein Zurück zur Ordinatio imperii mehr gab,
so waren die Modalitäten der künftigen Machtverteilung fortan
dem freien Spiel der Kräfte überlassen, was im verbleibenden
Jahrzehnt LUDWIGS DES FROMMEN zu einer
verwirrenden Folge rasch wechselnder, niemals realisierter Zukunftsprojekte
geführt und die Autorität des Herrscherhauses im ganzen schwer
erschüttert hat. Dabei war LOTHAR
als der Verlierer des Jahres 830 zunächst im Nachteil und hatte wohl
schon in Aachen eine Regelung hinzunehmen, die ihn, den Kaiser, auch dauerhaft
auf Italien beschränken wollte, während nördlich der Alpen
Pippin
mit einer Erweiterung seines aquitanischen Teilreichs nach Norden bis zur
Somme und
Ludwig mit einer Ausdehnung
seines bayerischen Anteils rechts des Rheins und in der nördlichen
Francia belohnt wurden. Dass alles übrige, von Mosel und Mittelrhein
südwärts bis zur Provence, womöglich dem jungen KARL
gehören sollte, weckte freilich den Unmut Pippins
und Ludwigsund legte dem Kaiserhof
nahe, zugunsten des Jüngsten eine vorsichtige Annäherung an LOTHAR
zu suchen. Der Junior-Kaiser wurde schon im Mai 831 in Ingelheim wieder
ehrenvoll empfangen und konnte die Begnadigung etlicher seiner Anhänger
aus dem Vorjahr (darunter Hilduin, jedoch nicht Wala)
erleben, zog sich dann aber doch nach Italien zurück. Dagegen nahmen
die Spannungen mit den beiden anderen Brüdern gewaltsame Formen an,
nachdem Pippin zu einem Hoftag im Herbst
nicht erschienen und bei einem Weihnachtsbesuch in Aachen eigenmächtig
abgereist war. Während der Kaiser deshalb einen Feldzug nach Aquitanien
vorbereitete, wurde ihm ein Aufstand Ludwigs
gemeldet, der sich von Bayern aus offenbar Teile von KARLS
Erbe aneignen wollte. Den fälligen Doppelschlag gegen beide Söhne
führte der Vater in der Weise, dass er zunächst gegen Ludwig
vorrückte und ihn nach der Unterwerfung im Mai 832 bei Augsburg glimpflich
davonkommen ließ, sich dann aber gegen Pippin
wandte, den er im Oktober in der Nähe von Limoges zur Ergebung zwang
und mit Absetzung sowie Verbannung nach Trier strafte, wodurch der Weg
frei wurde, das aquitanische Regnum an Judiths
Sohn
KARL zu verleihen.
Nach anderthalb Jahren war damit auch die Hausordnung von 831 schon wieder
hinfällig, und eine Lösung zeichnete sich ab, bei der nur noch
LOTHAR und KARLeine
wesentliche Rolle spielen würden.
Tatsächlich hatten LUDWIG
und Judith abermals den Bogen überspannt
und mit ihren sprunghaften Entschlüssen eine Koalition aller drei
älteren Kaisersöhne heraufbeschworen, die sich 833 in einem großen
Aufstand gegen sie kehrte. Anders als 830 ging es diesmal nicht mehr um
die Zukunft der Reichseinheit, sondern nur noch um die sofortige Sicherung
der beanspruchten Anteile vor anderweitiger Vergabe durch den Vater, und
nach den jüngsten Erfahrungen wurden für dieses Ziel auch bewaffnete
Auseinandersetzungen in Kauf genommen. Der neue Akt des Familiendramas
begann damit, dass der enterbte Pippin von Aquitanienschon
auf dem Transport ins Trierer Exil entweichen konnte und Fühlung mit
LOTHAR
aufnahm, der in Italien ein Heer mobilisierte, vor allem aber Papst Gregor
IV. dafür gewann, sich ihm "zur Wiederherstellung von Frieden und
Eintracht" anzuschließen. Auch Ludwig der
Deutsche, der sich zuletzt (vergeblich?) beim Vater für
eine milde Behandlung der Teilnehmer seiner kürzlich gescheiterten
Rebellion verwandt hatte, trat von Regensburg aus auf ihre Seite. Während
der Papst in einem Rundschreiben die fränkischen Bischöfe aufforderte,
ihm zur Unterstützung entgegenzueilen, beschied LUDWIG
DER FROMME ebenfalls den Episkopat zu sich nach Worms. Außer
den adligen Führern der großen Vasallenverbände war damit
auch die hohe Geistlichkeit zur persönlichen Stellungnahme herausgefordert,
und sie spaltete sich gleichermaßen. LOTHARfand
nur zögernde Unterstützung bei Wala,
der erst im Vorjahr als einfacher Mönch nach Corbie hatte zurückkehren
dürfen, und besaß daher seine hauptsächlichen Wortführer
jetzt in den Erzbischöfen Agobard von Lyon und Ebo von Reims, wohingegen
sich die kaisertreue Gruppe um Drogo von Metz,
den Halbbruder LUDWIGS, scharte. Polemische
Manifeste über die geforderte und verletzte Rechte, ja über den
Vorrang der Befehlsgewalt von Kaiser oder Papst - ein in dieser Zuspitzung
durchaus neuartiges Problem - gingen hin und her, bevor sich Ende Juni
833 auf dem Rotfeld bei Colmar die Heere LUDWIGS
und seiner drei Söhne tagelang gegenüberstanden. Gregor verhandelte
im Lager des Kaisers um einen Ausgleich, doch ließen sich inzwischen
dessen Gefolgsleute mehr und mehr "durch Geschenke, Versprechungen und
Drohungen" (wie LUDWIGS Biograph zu
wissen glaubte) dazu bewegen, von ihrem Herrn abzufallen und auf die Seite
der Söhne zu treten, so dass der alte Kaiser schließlich ohne
Machtbasis dastand und sich ergeben mußte. Der Schauplatz so vielfachen
Eidbruchs soll schon wenig später das "Lügenfeld" geheißen
haben.
LUDWIG hatte ganz
formlos aufgehört, Herrscher zu sein, indem er von den Seinen verlassen
wurde und somit nichts mehr zu gebieten hatte. Die Sieger konnten die ihnen
zugefallene Macht nicht anders sichern als dadurch, dass sie ihn in dauernder
Haft hielten, was in LOTHARS Verantwortung
gegeben wurde, und so war es, der den Vater zunächst ins Kloster
Saint-Medard in Soissons verbrachte, während der 10-jährige KARL
in die Eifelabtei Prüm kam und seine Mutter
Judith gar nach Tortona in Italien verbannt wurde. Auch bei
der politischen Neuordnung des Reiches fiel das erste Wort LOTHAR,
dem Kaiser zu, der in seinen Urkunden sogleich den vollen Imperatortitel
LUDWIGS
übernahm.
Doch falls er (wie anscheinend der Papst und andere seiner geistlichen
Parteigänger) geglaubt haben sollten, nach der Ausschaltung LUDWIGS,
Judiths und
KARLSzur
Machtverteilung der Ordinatio imperii von 817 übergehen zu können,
so zeigte sich rasch, dass die am Erfolg beteiligten Brüder eine derartige
Rückstufung nicht mehr hinzunehmen bereit waren. Vielmehr mußten
Pippin
und Ludwig, soweit zu erkennen ist,
über ihre Unterherrschaften hinaus weitere Landstriche (wohl Neustrien
und alle rechtsrheinischen Gebiete) zugestanden werden, und zwar zu sofortiger
selbständiger Regierung, wie sich am uneingeschränkten Königstitel
ihrer seitherigen Urkunden ablesen läßt. Der Sturz LUDWIGS
DES FROMMEN hatte mit innerer Logik die erste effektive Teilung
des KARLS-Reiches zur Folge, und wer
das nicht gewollt hatte, "kehrte", wie von Papst Gregor berichtet wird,
"mit großer Trauer heim". LOTHAR,
stark beraten von Agobard und Ebo, nutzte hingegen eine große Reichsversammlung
im Oktober in Compiegne, um auch noch eine kirchliche Sanktionierung des
Thronwechsels herbeizuführen. Gemäß ihrem 829 prinzipiell
reklamierten allgemeinen Aufsichtsrecht stellten die versammelten Bischöfe
förmlich fest, der ehemalige Kaiser habe "das ihm übertragene
Amt unzulänglich verwaltet", und entsandten unter Ebos Führung
eine Abordnung ins nahe Soissons, die LUDWIG ein
langes Register seiner Sünden, unter anderem die Gewalttaten gegen
seine Verwandten und die ungerechte Bestrafung der Verteidiger der Hausordnung
von 817, vortrug und ihn aufforderte, dafür öffentlich Buße
zu leisten. Nach einigem Sträuben und gewiß unter massivem Druck
wurde er bereit, sich dem Urteil der Bischöfe zu beugen und seine
mangelnde Eignung zum Herrscher einzugestehen. Bei aller ernstzunehmender
Seelenqual liegt in der Szene ein geradezu atemberaubender Substanzverlust
der monarchischen Autorität keine 20 Jahre nach dem Tode KARLS
DES GROSSEN.
Und wieder wendete sich das Blatt, wozu offenbar gerade
die erbarmungslose Härte wesentlich beitrug, mit der LOTHAR
den gefangenen Vater von Ort zu Ort mitzuschleppen schien. Der jüngere
Bruder Ludwig, der bei einem weiteren
Umsturz kaum etwas aufs Spiel zu setzten brauchte, forderte schon um die
Jahreswende 833/34 eine würdigere Behandlung des alten Kaisers, und
zu seinem Sprachrohr machte sich der gelehrte Fuldaer Abt Hrabanus Maurus,
der mit einer Schrift "Über die Ergebenheit der Söhne gegen die
Väter und der Untertanen gegen die Könige" hervortrat.
Die moralische Hypothek, die auf ihm lastete, hinderte LOTHAR
auch diesmal daran, seiner Herrschaft den notwendigen breiten Rückhalt
bei den Großen zu verschaffen, und als er dann noch Pippins
Mißtrauen durch Anstalten weckte, seinen Machtbereich auf dessen
Kosten auszuweiten, war erneut die Konstellation beisammen, die LOTHAR
schon 830 zu Fall gebracht hatte. Während er Ende Februar in Paris
Hof hielt, rückten Pippin von
W und Ludwig von Osten mit ihren Heeren
gegen ihn vor, doch keine Hand rührte sich zu seiner Verteidigung,
so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mit seinen Getreuen den
eiligen Durchbruch nach Süden zu wagen und den Vater samt dem Stiefbruder
in Saint-Denis zurückzulassen. Dort wurde LUDWIG
DER FROMME am 1.3.834 feierlich wieder in die Kirche aufgenommen
und, mit Waffen und Krone geschmückt, als Kaiser anerkannt. Auch Pippin
und Ludwig
fanden sich bald bei ihm
ein, und man hörte von der Befreiung der Kaiserin, die nach Wochen
in Aachen eintraf. Dennoch war LOTHAR nicht
bereit (und vielleicht vor seinen Anhängern auch nicht imstande),
sich ohne Gegenwehr geschlagen zu geben, so dass nun noch offene Kämpfe
ausbrachen. Unweit der bretonischen Grenze siegten in blutigem Gefecht
LOTHARS Parteigänger, die Grafen
Lambert (von Nantes) und Matfrid, wobei neben dem kaiserlichen Kanzler
Theoto, erst seit kurzem Nachfolger des Fridugis und etlichen Grafen auch
Odo, Matfrids Rivale in Orleans, den Tod fand. LOTHAR
selber erstürmte beim Vorrücken aus dem Rhonegebiet die Stadt
Chalon, was mit manchen, in den Quellen ihm angelasteten Greueltaten verbunden
war, schritt dann aber doch nicht zum Äußersten, als er etwa
im September bei Blois der überlegenen Heerresmacht des Vaters und
der Brüder gegenüberstand. Er unterwarf sich und rettete damit
immerhin seine Herrschaft über Italien, freilich nur unter der eidlichen
Zusage, das Land nicht mehr eigenmächtig zu verlassen; dorthin wurde
auch den wichtigsten seiner geistlichen und weltlichen Parteigänger,
also Wala von Corbie, Agobard und mindestens
fünf weiteren Bischöfen sowie den Grafen Hugo, Matfrid, Lambert
und ihrem Anhang freier Abzug gestattet. LUDWIG
DER FROMME, der fortan in seinem urkundlichen Kaisertitel stets
der "zurückgewährenden göttlichen Huld" Rechnung trug, war
wieder das unbestrittene Oberhaupt des Reiches. Er formierte die Hofkapelle
neu, indem er seine Halbbrüder Drogo,
den Bischof von Metz, zum Erzkapellan und Hugo,
den Abt von Saint-Quentin, zum Kanzler berief, und bestand im übrigen
auf einer förmlichen Annullierung der während des Aufruhrs gegen
ihn unternommenen Rechtsakte. Das geschah im Februar 835 auf einer Reichsversammlung
in Diedenhofen, bei der unter Zustimmung auch von seinerseits beteiligten
Bischöfen die Verurteilung LUDWIGS
in Compiegne aufgehoben und seine Kirchenbuße von Soissons für
nichtig erklärt wurde. Ebo von Reims hatte diese bei einer feierlichen
Zeremonie in Drogos Metzer Dom zu verkünden
und wurde gleich anschließend auf Antrag des Kaisers von seinem Hirtenamt
abgesetzt und mit Klosterhaft belegt.
Die jahrelange Konzentration aller fränkischer Energien
auf den inneren Zwist von Herrscherhaus und Führungsschicht schwächte
unausbleiblich die Abwehrkraft des Reiches nach außen und hat vor
allem die Gefährdung der nördlichen und westlichen Küsten
in folgenreicher Weise gesteigert. Trotzdem überwogen auch in LUDWIGS
DES FROMMEN letzten Jahren die innenpolitischen Sorgen. Die
schweren Erschütterungen der Jahre 830 und 833/34 hatten nur negativ
darüber entschieden, dass für die Reichseinheit über den
Tod dieses Kaisers hinaus keine Aussicht mehr bestand, aber sie hatten
jedes Einvernehmen über die konkrete Verteilung des Erbes in unabsehbare
Ferne gerückt. Zu weit klafften die Ansprüche der Söhne
und die Erwartungen der ihnen jeweils verbundenen Großen auseinander,
und zu sehr hatte die Autorität des kaiserlichen Vaters Schaden genommen,
als dass ein allgemeiner Konsens über künftige Reichsteilungen
noch hätte ausgehandelt oder gar verordnet werden können. LUDWIG,
in dessen Umgebung neben der Kaiserin Judith
nun der Seneschalk Adalhard zu steigendem Einfluß kam, resignierte
indes keineswegs und scheint in einzelnen seiner Maßnahmen
versucht zu haben, an die Politik der glücklicheren 820er Jahre anzuknüpfen,
etwa wenn er 836 eine neue Reformsynode in Aachen veranlaßte, die
sich weithin wörtlich die Beschlüsse des Jahres 829 zu eigen
machte, oder wenn er durch die Verheiratung seiner Tochter Gisela
mit dem Markgrafen Eberhard von Friaul (aus dem fränkischen Hause
der UNROCHINGER) ähnlich wie früher einen mächtigen Magnaten
sich als Schwiegersohn zu verpflichten suchte, doch ein durchdachtes, konsequent
verfolgtes Konzept in der Erbteilungsfrage hatte er nicht, wenn man von
dem wohl durch Judiths genährten
Wunsch absieht, den nachgeborenen Sohn KARLmöglichst
gut zu bedenken.
Dabei stand nach 834 zunächst im Wege, dass die
Anteile der mittleren Söhne Pippin
und Ludwig, die durch ihre Schwenkung
die Wiedereinsetzung des Vaters herbeigeführt hatten, nicht geschmälert
werden konnten, weshalb die Zuweisungen an KARL
(Alemannien, später Aquitanien), die den großen Aufstand
heraufbeschworen hatten, hinfällig blieben. Die Lösung schien
wie 831 in einer Verständigung mit LOTHAR
zu liegen, die auf einer Diedenhofener Reichsversammlung 836 versucht wurde,
wo Wala als dessen Abgesandter erschien; doch starb der ehemalige Abt von
Corbie bald nach seiner Rückkehr, ohne LOTHARSEinlenken
erreicht zu haben. Die fortwährend grollende Haltung des ältesten
Sohnes, der in Italien sogar gegen Anhänger des Vaters vorging, bewog
LUDWIG,
für 837 einen Romzug anzukündigen, der zu einer Begegnung mit
LOTHARhätte
führen müssen, dann aber nicht zustande kam, weil der erneute
Wikingereinbruch in Friesland den Kaiser dorthin ablenkte. Danach gab er
das Warten auf LOTHAR auf und verfügte
Ende des Jahres von sich aus eine erneute Ausstattung
KARLS,
die zentralen Bereiche der Francia von Friesland über die Gaue zwischen
Maas und Seine bis weit nach Burgund umfaßte. Damit verstimmte er
nicht nur LOTHAR, sondern auch den
jüngeren Ludwig, der sich von
Bayern aus mit dem kaiserlichen Bruder zu einer Besprechung in der Nähe
von Trient traf und dadurch sogleich das Mißtrauen des Vaters auf
sich lenkte. Nach einem vergeblichen Versuch, sich zu rechtfertigen, wurden
ihm im Sommer 838 alle rechtsrheinischen Länder bis auf Bayern wieder
entzogen. Immer höher stieg der Stern KARLS,
der im September in Quierzy nach Vollendung seines 15. Lebensjahres mit
dem Schwert umgürtet und von seinem Vater zum König gekrönt
wurde, wobei er Neustrien als Unterherrschaft erhielt, anscheinend neben
dem im Vorjahr verfügten Erbteil. Bevor es darüber zum Konflikt
mit Pippin von Aquitanien kam, dessen
Interessen hier berührt waren, traf die Nachricht von seinem offenbar
plötzlichen Tod am 13.12.838 ein. Zu Trauer scheint wenig Anlaß
gewesen zu sein, denn damit wurde endlich die Bahn frei für die von
Judith betriebene Einigung zugunsten
LOTHARS und KARLS.
LUDWIG
DER FROMME, der zunächst durch einen Zug über den
Rhein bis zum Bodensee, dem jüngeren Ludwig seine Macht demonstriert
hatte, traf Ende Mai 839 mit den beiden anderen Söhnen auf einer Reichsversammlung
in Worms zusammen und teilte das Erbe, abzüglich des für Ludwig
vorbehaltenen bayerischen "Pflichtteils", entlang von Maas, Saone, Rhone
und Westalpen. LOTHAR wählte die
östliche, Italien einschließende Hälfte,
KARLdie
westliche und damit auch den Konflikt mit den Söhnen des eben verstorbenen
Bruders Pippin, von denen der ältere, wie KARL
wohl gerade volljährige Pippin II.
mit manchem Rückhalt im Lande die Herrschaft über Aquitanien
als sein väterliches Erbe beanspruchte. Fürs erste gedachte der
alte Kaiser selbst die gewaltsame Durchsetzung der neuesten Hausordnung
in die Hand zu nehmen, und dementsprechend zog er im Herbst mit Heeresmacht
gegen den Enkel Pippin von Aquitanien,
brachte es aber in zähem Kleinkrieg nur zu Teilerfolgen. Im nächsten
Frühjahr erschien es dringender, gegen Ludwig einzuschreiten, der
sich natürlich nicht dauerhaft auf Bayern beschränken ließ,
nun aber vom Vater doch aus Thüringen verjagt wurde. Auf einem neuen
Hoftag, zu dem LOTHARaus Italien berufen
wurde, sollte das weitere Vorgehen gegen Ludwig
besprochen werden, doch dazu kam es nicht mehr, denn der Kaiser starb nach
kurzer Krankheit 62-jährig auf einer Rheininsel bei Ingelheim am 20.6.840.
Dass keiner seiner Söhne zugegen war, als er wenig
später von Drogo, seinem bischöflichen
Halbbruder und letzten Erzkapellan, in der Metzer Kirche des Familienheiligen
Arnulf an der Seite seiner Mutter Hildegard
bestattet wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bilanz seiner Regierung.
In 26 Jahren hatte LUDWIG DER FROMME
das Großreich seines Vaters nach außen einigermaßen behaupten
können und nach innen zunächst durch weitere vereinheitlichende
Reformen gefestigt, später jedoch nur noch, so gut es ging, verwaltet,
was Episkopat und Hochadel zu stärkerem politischen Eigengewicht gelangen
ließ. Völlig gescheitert war er mit dem Bemühen, die Herrschaftsordnung
nach seinem Tode festzulegen, denn sein anfängliches Konzept, auf
der Grundlage des Kaisertums dauerhaft eine oberste Zentralgewalt des ältesten
Sohnes zu etablieren, stand wegen des antidynastischen Grundzugs von vornherein
wohl auf schwachen Füßen, wurde von LUDWIG
aber auch nicht wirksam vertreten und schließlich unter dem
Druck der Umstände ganz fallen gelassen. Bis dahin war jedoch durch
den zweimaligen Zusammenbruch und die anschließende Wiederherstellung
seiner Herrschaft sein Handlungspielraum so geschmälert, dass er auch
keinen Teilungsplan mehr unwidersprochen durchsetzen konnte und sich am
Ende gar in bewaffnete Kämpfe mit seinen Söhnen verstrickte,
die dann nahtlos in den Bruderkrieg nach seinem Tode übergingen. Unmittelbar
ausgelöst wurde diese Entwicklung durch den schon in den Quellen hervorgehobenen
Ehrgeiz der zweiten Kaiserin Judith
und die Erbansprüche des Nachkömmling KARL,
doch wäre die Vorstellung naiv, ohne eine Wiederverheiratung hätte
sich die Reichseinheit auf längere Sicht bewahren lassen. Woran sie
letztlich zerbrach, war die Unfähigkiet der fränkischen Führungsschicht
(bis hin zu den rivalisierenden Kaisersöhnen), in den Dimensionen
des KARLS-Reiches zu denken und dessen
monarchisch-imperiale Führung für eine wünschenswerte, ja
notwendige Rahmenbedingung auch ihrer eigenen politischen Entfaltung zu
halten. Was sich unter KARL DEM GROSSEN
in gleichsam spontaner Selbstverständlichkeit eingespielt hatte, war
von seinem Sohn weit weniger überzeugend beansprucht und verwirklicht
worden.
793
1. oo Konkubine N.N.
-
794
2. oo Irmingard, Tochter des Grafen Ingram (Franke)
um 775/80-3.10.818
819
3. oo Judith, Tochter des Grafen Welf
um 795-19.4.843
Kinder:
1. Ehe
Alpais Äbtissin von St. Pierre-le-Bas in Reims
(816-852)
794-23.7.852
806
oo Bego Graf
755/60-28.10.816
Arnulf Graf von Sens
um 794- nach 841
2. Ehe
LOTHAR I.
795-29.9.855
Pippin
um 797-13.12.838
Ludwig II. der Deutsche
806-28.8.876
Rotrud
800-
oo Rather Graf von Limoges
-25.6.841
oder
oo Gerhard Graf von Auvergne
-25.6.841
Hildegard Äbtissin von Notre-Dame in Laon
802/04-23.8.860
oo Rather Graf von Limoges
-25.6.841
oder oo Gerhard Graf von Auvergne
-25.6.841
3. Ehe
Gisela
819- nach 1.7.874
836
oo Eberhard Markgraf von Friaul
um 810- 866
KARL II. DER KAHLE
13.6.823-6.10.877
Literatur:
-----------
Althoff Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft
ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 11,16,56,115
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Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen. Wilhelm Fink Verlag
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1990, Seite 23,179 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten
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305,315,322-324,331-
Beumann, Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer
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Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und Forschungen Sonderband
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147,156-158,160,166,180,182,189,192,198,199,202,219-222,224-229, 252-254,257
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Band III Seite 93,444,515 - Diwald Helmut: Heinrich der Erste. Die
Gründung des Deutschen Reiches. Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch
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Dümmler Ernst: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm.
Verlag der Dykschen Buchhandlung Leipzig Seite 8,9,11,12 - Dümmler
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Humblot Berlin 1865 Band I - Ehlers Joachim: Die Kapetinger. W.
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Eickhoff
Ekkehard: Theophanu und der König. Otto III. und seine Welt. Klett-Cotta
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Genealogische Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches
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Nolte OHG Saarbrücken 1969, Seite 10,66,157,162,164,166-168 - Hlawitschka
Eduard: Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen Geschichte.
Anton Hiersemann Stuttgart 1968, Seite 2, 9-11,14,17,49-51,59,69,73,167,177,183,185,193,207,219,228
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Buchdruckerei und Verlag Karl Funk, Saarbrücken 1963, Seite 9,17,19,27,36
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