Begraben: St. Denis
Illegitimer Sohn des fränkischen Hausmeiers Pippin
der Mittlere und der Chalpaida
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 954
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Karl Martell, fränkischer Hausmeier
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* ca. 688/89, + 22. Oktober 741
Quierzy
Begraben: St. Denis
Pippin II. der Mittlere,
dessen als Nachfolger vorgesehener Sohn Grimoald
II. im April 714 ermordet worden war, bestimmte kurz vor seinem
Tod (16. Dezember 714) dessen Sohn Theudoald
zum Hausmeier und schloß seinen Sohn aus einer Friedelehe mit Chalpaida,
Karl
Martell von der Nachfolge aus; seine Witwe Plektrud
setzte Karl in Köln gefangen.
Er entkam und errang in zähem Kampf gegen Plektrud
und die Neustrier unter ihrem Hausmeier Raganfrid (Siege bei Ambleve 716
und Vinchy 717) zunächst die Herrschaft in Austrasien, dem er mit
Chlothar
IV. (717-720) einen eigenen König gab. Die inwischen mit
Eudo, Herzog von Aquitanien, verbündeten Neustrier schlug er bei Soissons
718 (nicht 719; vgl. Semmler) und erlangte schließllich die Anerkennung
als gesamtfränkischer Hausmeier, zumal er nach Chlothars
IV. Tod den neustrischen König
Chilperich II. anerkannte; nach dessen Tod 721 setzte er den
nur den Namen nach bekannten Theuderich IV. (+
737) ein.
Jahr für Jahr zog er nun ins Feld, um die fränkische
Reichsgewalt zu sichern und auszuweiten: gegen die Sachsen, die Friesen
(Herrschaft über W-Friesland gesichert), die Aquitanier (720 Friede
mit Eudo), die Thüringer (Herzogtum erloschen), die Alamannen (um
740 Ende des elsässischen Herzogtums), die Bayern, nach Burgund und
in die Provence. Die schwersten und langwierigsten Kämpfe galten der
'gens perfida' der Sarazenen: ihren Vorstoß von Spanien her stoppte
er im Oktober 732 mit dem (später oft überschätzten) Sieg
bei poitiers und drängte sie in zahlreichen Kämpfen (737 Siege
bei Avignon und an der Berre südlich Narbonne) aus S-Gallien heraus;
lediglich Septimanien blieb in ihrer Hand, während Burgund und die
Provence nun in die fränkische Grafschaftsverfassung einbezogen wurden.
Zur Finanzierung der zahlreichen Feldzüge griff
Karl
Martell auf Kirchengut zurück,
das er seinen Vasallen als Leihe zuteilte: diese in der Forschung oft unzutreffend
als "Säkularisationen" bezeichneten Maßnahmen haben in den Quellen
seit Hinkmar von Reims das Bild Karls
als "Kirchenräuber" verdunkelt; daß sie nicht antiklerikaler
Haltung entsprangen, zeigt Karls Förderung
der Missionare und Klostergründer Willibrord (Utrecht, Echternach);
Pirmin (Reichenau, Murbach) und Bonifatius (Schutzbrief 723). Auf das Hilfegesuch
des von den Langobarden bedrängten Papstes Gregor III., der ihn mit
dem römischen 'Konsulat' (gemeint wohl Patriziat) auszeichnete, reagierte
er allerdings ausweichend: er war doch selbst im Sarazenenkampf von den
Langobarden militärisch unterstützut worden und hatte seinen
jüngeren Sohn Pippin von
König Liutprand adoptieren lassen.
Der erste 'KAROLINGER' Karl
urkundete
korrekt als 'maior domus' unter den merowingischen
Schattenkönigen, regierte aber praktisch das Frankenreich ("rexitque
populum Francorum ann, 27", Cont. Fredeg. 8) und ließ seit 737 sogar
den Thron unbesetzt, ohne selbst nach der Königswürde zu greifen.
Die Chronisten bezeichnen ihn als 'dux' und 'princeps', die Päpste
zuweilen als 'patricius'und 'subregulus'. Wie ein König teilte er
vor seinem Tod das Reich unter seine Söhne aus erster Ehe (mit Chrotrud),
Karlmann
(Austrasien mit Alemannien und Thüringen) und Pippin
dem Jüngeren (Neustrien mit Burgund und der Provence), während
Grifo,
der Sohn aus seiner zweiten Ehe mit der AGILOLFINGERIN
Swanahild,
im Reichsinneren ausgestattet werden sollte (was zu ständigewn Spannungen
unter den Brüdern führte).
Der 'egregius bellator' Karl
wird
seit dem 9. Jh. mit dem Beinamen 'der Hammer' ('Tudes', 'Tudites', 'Martellus')
ausgezeichnet,
lebt aber andererseits (seit Hinkmar) als der im Jenseits verdammte Kirchenräuber
fort.
Quellen:
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MGH DD Merov. - Liber hist. Fr. 51-53 (MGH SRM II) -
Cont. Fredeg. 8-24 (MGH SRM II) - Isidori cont. Hispana (MGH AA XI) - Ann.
Mettenses priores (MGH SRG 10) -
Literatur:
------------
NDB XI, 156f. - Th. Breysig, Jbb. des frk. Reiches 714-741,
1869 - H. L. Mikoletzky, K.M. und Grifo (Fschr. der arnulf. Hausmeier,
ADipl 11/12, 1965/66, 71-279 - U. Nonn, Das Bild K M.s in den lat. Q. vornehml.
des 8. und 9. Jh., FMASt 4, 1970, 70-137 - E. Hlawitschka, K. M., das Röm.
Konsulat und der Röm. Senat (Fschr. E. Ennen, 1972), 74-90 - U. Nonn,
Vom maior domus zum rex. Die Auffassun von K. M.s Stellung im Spiegel der
Titular, RhVjbll 37, 1973, 107-116 - J. Semmler, Die pippinid.-karol. Sukzessionskrise
714-723, DA 33, 1977, 1-36 - J. Jarnut, Untersuchungen zur Herkunft Swanhilds,
der Gattin K.M.s, ZBLG 40, 1977, 245-249 - U. Nonn, Die Schlacht bei Poitiers
... (Beitr. zur Gesch. des Regnum Francorum, hg. R. Schieffer, 1990), 37-56.
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31 Karl Martell
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Belege zur Filiation bei Nr. 16. In den Ann. Mett. prior.,
hrsg. von B. v. Simon, Seite 19 und 20, wird Plektrud,
Pippins
des Mittleren Gemahlin, überdies Karls
noverca
genannt.
- Zu der ihm wiederholt zugeschriebenen Tochter Aldana
vgl. bei Nr. 26. - Seine Urkunden MG. DD. Merow., Seite 97 bis 102, weiteres
BM² 301-43a.
Schnith Karl:
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"Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern"
Karl Martell war während
seiner gesamten Herrschaft ein sehr kriegerischer Fürst; lediglich
zum Jahr 740 - also kurz vor seinem Tod - berichten die Annalen davon,
dass es ausnahmsweise keinen Kriegszug gegeben habe. Die schwersten Kämpfe
hatte Karl in Aquitanien und in den
Gebieten östlich des Rheins zu bestehen; in Aquitanien mußte
er nicht nur die vorstoßenden Sarazenen zurückschlagen, sondern
auch versuchen, die seit längerer Zeit dem Zugriff der Franken sich
entziehenden Aquitanier wieder zu unterwerfen; ein endgültiger Sieg
ist hier von Karl nicht erreicht worden.
Die Beziehungen zur Kirche waren - anders als es die
kritischen Stimmen seit Ende des 9. Jahrhunderts vermuten lassen - nicht
gespannt, sondern zeitweise sogar sehr eng. Bonifatius hat sich weder beim
Papst noch bei anderen Briefpartnern darüber beklagt, dass der Hausmeier
seine Missions- und Organisationspläne behindert hätte. Es ist
wohl kaum ein hemmendes Einwirken Karl Martells
zurückzuführen, dass es Bonifatius bis 741 nicht gelungen ist,
die für Hessen und Thüringen geplanten Bistümer zu errichten.
In die Zeit Karl Martells
fallen die ersten eindeutigen Versuche des Papsttums, die Franken als Bündnispartner
gegen die im 8. Jahrhundert erneut expandierenden Langobarden zu gewinnen,
nachdem die Beziehungen zum Kaisertum in Konstantinopel seit der Unterstützung
der Bilderfeinde durch den Kaiser gespannt waren. Karl
Martell hat allerdings das Hilfsgesuch des Papstes Gregor III.
im Jahre 739 nicht zum Anlaß genommen, in Italien auf der Seite des
Papstes einzugreifen. Karl lehnte ein
Eingreifen gegen die Langobarden ab, weil sie ihn gegen die Sarazenen so
nachhaltig unterstützt hatten.
Gegen Ende seines Lebens wurde die königsgleiche
Stellung Karl Martells von den Zeitgenossen
durchaus gewürdigt; einige Annalen sprechen 741 davon, dass der König
gestorben sei. Und die unter der Aufsicht eines KAROLINGERS
redigierte Fortsetzung der Chronik des sogenannten Fredegar läßt
Karl als das Abbild des Josua erscheinen, der wie Karl
Martell zwar ebenfalls nicht den Titel, aber doch die Macht
eines Königs besessen hatte und der vor allem als kriegerischer Schöpfer
des Reiches Israel hervorgetreten war.
Als Karl Martell am
22.10.741
starb,
hatte er das Frankenreich wie ein König unter seine beiden Söhne
Karlmann
und Pippin aufgeteilt. Diese waren
beim Tode ihres Vaters ungefähr 30 (Karlmann)
und 27 (Pippin) Jahre alt. Karlmann
als der ältere erhielt Austrasien, dazu Alemannien und Thüringen;
Pippin
wurden Neustrien, Burgund und die Provence übergeben, aber auch er
hat anscheinend einen gewissen Anteil am in Austrasien gelegenen Hausgut
erhalten. Kurz vor seinem Tod hatte Karl Martell
noch sein Testament geändert, um auch seinen Sohn
Grifo
(aus einer zweiten Ehe) mit einem Reichsteil zu bedenken. Noch 741 scheint
es zu Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern gekommen zu sein,
wobei
Karlmann und Pippin
die Initiative zum Kampf gegen ihren Stiefbruder Grifo
ergriffen.
Dass Karl, der vor
714 in keiner für uns erkennbaren Weise hervorgetreten war, aus anfänglicher
Defensive heraus letztlich der Sieger wurde, erinnert an den Aufstieg seines
Vaters Pippin, der gleichfalls die
austrischen Kräfte im entscheidenden Augenblick zu bündeln verstanden
hatte, und spricht zugleich für Karls
Entschlußkraft
und Führungsstärke, die sich auch später zeigen sollten
und ihm seit den ausgehenden 9. Jahrhundert den Beinamen Martell ("der
Hammer") eingetragen haben. Der Glanz der Sieghaftigkeit, der ihn bald
umstrahlte, überstrahlte die dynastisch besser begründeten Rechte
seines Stiefneffen aus der Nachkommenschaft der vornehmen Plektrud,
die mit ihrem Erbteil einst Pippin
ganz wesentlich emporgeholfen zu haben scheint; allerdings dürfte
auch ihre Nebenbuhlerin Chalpaida,
Karls
Mutter, die mit Pippin
gemäß
germanischer Herkommen in der weniger verbindlichen Form der Friedelehe
verbunden war, von beachtlicher (freilich nicht näher bestimmbarer)
Abkunft gewesen sein, was sich allein schon daraus ergibt, dass uns ihr
Name überhaupt bekannt ist, im Unterschied zu jener Konkubine
Pippins,
deren Sohn
Childebranddenn auch nur
gedämpften politischen Ehrgeiz an den Tag legte. Trotz solcher Abstufungen
wäre der Erfolg Karl Martells
gewiß nicht ohne das persönliche Merkmal zupackender Energie
eingetreten, das ihn in den Augen der Zeitgenossen zur Herrschaft befähigte.
Dadurch erst vermochte er der Geschichte seiner Familie eine neue Richtung
zu geben, und dies drückt sich sinnfällig darin aus, dass der
zuvor nirgends belegte, also traditionslose Name zum Leitnamen unter seinen
Deszendenten wurde, die wir daher KAROLINGER
nennen.
Für den Umbruch ist bezeichnend, dass Plektrud,
die zu Lebzeiten ihres Gatten in den Quellen mit rühmenden Superlativen
geschmückt wurde, nun als Witwe sogleich die Züge der bösen
Stiefmutter annimmt, die Karl ränkevoll
um das väterliche Erbe zu bringen versuchte. Tatsächlich lagen
um die Jahreswende 714/15 die Machtmittel und die politische Initiative
zunächst bei ihr. Sie ließ den Stiefsohn in Gewahrsam nehmen
und leitete unter Berufung auf Pippinsletzten
Willen eine Herrschaftsordnung in die Wege, nach der ihr Enkel Theudeoald
als Hausmeier König Dagoberts III. vorwiegend
in Neustrien und sein Vetter Arnulf,
einer der Söhne Drogos, mit dem
Titel eines dux in Austrien fungieren sollten, ihr selbst aber von Köln
aus, wo sie sich niederließ, die höchste Autorität verblieb:
"Plektrud lenkte nun alles mit ihren
Enkeln und dem König in heimlicher Regentschaft", schreibt das "Buch
der Frankengeschichte" dieses Konzept, bei dem Plektrud
daran gedacht haben mag, dass ihr verstorbener Gatte gleichfalls viele
Jahre lang ohne förmliches Amt die Fäden in der Hand behalten
hatte. Tatsächlich brachte sie aber eben nicht dieselben Voraussetzungen
für ein solches discretum regimen mit wie der kampferprobte Pippin,
weshalb es den neustrischen Gegnern der Dynastie offenbar leicht fiel,
unter Hinweis auf die unangebrachte Zügelführung einer Frau zum
Sturm zu blasen. Die alten Gräben wurden wieder aufgerissen und schon
binnen Jahresfrist kam es am 26.9.715 bei Compiegne zu einem blutigen Zusammenstoß,
bei dem Theudoald den kürzeren
zog und die Neustrier erstmals seit Tertry (687) die Oberhand in der Francia
gewannen. Sie bemächtigten sich des Königs
Dagobert und brachten ihn dazu, einen der Ihren, den nördlich
von Paris begüterten Raganfrid, zum Hausmeier zu machen an Stelle
des geflohenen Theudoald, der bald
nach seiner Niederlage umgekommen zu sein scheint. Da Dagobert
III. im Winter 715/16 starb, kamen Raganfrid und sein Anhang
rasch in die Lage, ganz nach dem Vorbild Pippinseinen
weiteren MEROWINGER als nominellen
König bestimmen zu können. Sie entschieden sich für einen
früher in den Klerus abgeschobenen Sohn Childerichs
II., der sich fortan Chilperich II.
nannte,
und den zu neuem Selbstbewußtsein erstarkten Neustriern für
das bevorstehende Ringen um Auster den legitimierenden Rückhalt bot.
Wie schlecht die Sache der PIPPINIDEN
mittlerweile stand, wurde deutlich, als Raganfrids Leute nicht mehr zu
hindern waren, plündernd in die Ardennen und bis zur Maas vorzustoßen,
also nach der angestammten Machtbasis ihrer Gegner zu greifen. Im Zusammenspiel
mit den Friesen unter
Radbod (dem Schwiegervater
des ermordeten
Grimoald), die rheinaufwärts
heranrückten, wurde im Frühjahr 716 sogar Köln das Ziel
ihres Angriffs, wo der bedrängten Plektrud
schließlich nichts übrig blieb, als Chilperich
und seinem Hausmeier ansehnliche Schätze auszuhändigen.
Erst dieses offenkundige Scheitern der Witwe Pippinsschuf
die historische Situation, in der Karl Martells
Aufstieg möglich wurde. Der damals 25 bis 30 Jahre alte Sohn Chalpaidas
hatte sich der Haft seiner Stiefmutter entwinden können und sah nun
seine Chance darin, statt ihrer als wirksamer Retter der austrischen Suprematie
und damit als der wahre politische Erbe seiner Vorfahren aufzutreten. Den
Zustrom von Anhängern, die er zur Durchsetzung seines Machtanspruchs
brauchte, konnte er nun in Gang setzen, wenn er im bewaffneten Kampf Zutrauen
zu seiner Schlagkraft weckte. So trat er zunächst den Friesen entgegen
und ließ sich auch durch eine empfindliche Niederlage, die ihn zur
Flucht zwang, nicht entmutigen. Vielmehr setzte er kurzentschlossen den
abrückenden Neustriern nach und konnte ihnen bei Ambleve in den Ardennen
eine erste Schlappe beibringen. Der Erfolg war durchaus begrenzt und bestand
wohl nur darin, dem weiteren Zerfall der pippinidischen
Klientel Einhalt geboten und auf die eigene Entschlossenheit aufmerksam
gemacht zu haben. In der doppelten Rebellion gegen die neustrische Reichsregierung
wie auch gegen die bisher tonangebende austrische Führungsgruppe um
Plektrud
verharrend, sammelte Karl Martell indes
weitere Kräfte hinter sich und war übers Jahr imstande, Chilperich
II. und Raganfrid am 21.3.717 bei Vinchy im Cambresis siegreich
aus dem Felde zu schlagen. Erst nachdem er in dieser Weise den Austriern
insgesamt wieder Geltung verschafft hatte, wandte er sich gegen Köln
und erzwang von der Stiefmutter die förmliche Anerkennung seiner Rechte.
Plektrud
gab ihre politischen Ambitionen auf und ging in den folgenden Jahren als
Stifterin des Kölner Konvents von St. Maria im Kapitol in die Geschichte
ein, während Karls Position an
der Spitze der Austrier niemand mehr anzufechten wagte. Mit der Einsetzung
eines eigenen merowingischen Königs
namens Chlothar IV. erhob er offen
den Anspruch auf Gleichrangigkeit mit seinem Gegenspieler Raganfrid, der
sich seinerseits mit Eudo, dem dux von Aquitanien, verbündete. Die
Entscheidung fiel, als Karl - wohl
schon im Frühjahr oder Sommer 718 vor den Mauern von Soissons aus
der Defensive heraus den Durchbruch nach Paris und weiter bis zur Loire
erkämpfen konnte. Eudo unterwarf sich und lieferte den mitgeführten
neustrischen
König Chilperich II. samt dessen Schätzen dem Sieger
aus. Da Chlothar IV. rasch gestorben
war, bot sich die Lösung an, dass Karl
den
überlebenden MEROWINGER unter
seine Kuratel nahm, von ihm das Hausmeieramt empfing (ab 720 bezeugt) und
damit auch formal den Rivalen Raganfrid verdrängte, der indes eine
lokale Herrschaft im Anjou bis zu seinem Tode (731) behauptete.
Die "größte Verwirrung im Volk der Franken",
als welche die Metzer Annalen die "pippinidisch-karolingische
Sukzessionskrise"
(J. Semmler) nach 714 bezeichnen, war mehr als nur ein vorübergehender
Rückschlag im stetigen Machtzuwachs der Dynastie. Es wird in den kargen
Quellen eigens hervorgehoben, dass es die Gefolgsleute (leudes) Pippins,
Grimoaldsund
Theudoalds
gewesen waren, die zunächst bei Compiegne den Neustriern unterlagen,
dass aber Karl Martell sich dann ein
neues Heer "aus tüchtigen und vornehmen Männern" schuf, um seine
Stiefmutter auszuschalten und die Vorherrschaft der Austrier bei Ambleve,
Vinchy und vor Soissons wiederherzustellen. Die Umschichtung im überschaubaren
Kreis der Herrschaftsträger läßt sich veranschaulichen
an der Gestalt Bischof Rigoberts von Reims, der als einstiger Taufpate
Karls
ganz gewiß zu den Vertrauten
Pippins des
Mittleren gehört hatte, 718 jedoch in der entscheidenden
Phase des Machtkampfs eine zwielichtige Haltung einnahm und daher vom siegreichen
Hausmeier seines Amtes enthoben wurde; an seine Stelle trat Bischof Liutwin
von Trier, offenbar ein zuverlässiger Parteigänger Karls,
der fortan beide Kirchen und dazu vielleicht noch die von Laon verwaltete
und diese kirchenrechtlich unzulässige Personalunion auch noch auf
Jahrzehnte seinem Sohn Milo vererben durfte. Erst recht zu den Verlierern
zählt der dux Arnulf, Drogos
Sohn, der 715/15 im Bunde mit Plektruds anderem
Enkel Theudoald Karl Martellzur Seite
zu schieben versucht hatte und 723 zusammen mit einem ungenannten Bruder
in der Haft des Stiefonkels umkam, wohingegen ein weiterer Bruder namens
Hugo,
zwischen 713 und 715 zum Priester geweiht, rechtzeitig die Fronten gewechselt
hatte und nach 719 als Verwalter der Bistümer Paris, Rouen, Bayeux,
Lisieux und Avranches sowie die Abteien Saint-Denis, Saint-Wandrille und
Jumieges zu einer Hauptstütze der karolingischen
Dominanz in Neustrien wurde. In seiner Nachbarschaft fungierte dort der
dux Robert, der seinen Stammsitz im (heutigen belgischen) Henne- und Hasbengau,
also in Auster, hatte und durch wiederholte Anwesenheit bei Gerichtsverhandlungen
des Hausmeiers als dessen besonderer Vertrauensmann zu erkennen ist. Auch
die urkundwissenschaftliche Forschung hat festgestellt, dass Karl
"nach seinem Sieg über Chilperich
und Raganfrid nicht mehr an die alte Hofämtertradition anknüpfte"
(I. Heidrich) und sich allmählich eine neuartige "Kanzlei" aufbaute.
Im Besitz der seit 718/19 gesicherten Macht über
die Francia verhielt sich Karl Martell in
mancher Hinsicht anders als sein Vater Pippin
in den Jahren nach Tertry. Vor allem weist sein Regiment eine viel stärker
persönliche Prägung auf, was schon daran sichtbar wird, dass
er sich Amt und Titel eines Hausmeiers auch innerhalb seiner Familie zeitlebens
allein vorbehielt. Seine Gattin Chrodtrud
aus nicht näher bekanntem Adel tritt in keiner seiner Urkunden und
in keiner erzählenden Quelle als mithandelnd in Erscheinung und wird
überhaupt nur anläßlich ihres Todes (725) in verschiedenen
Annalen vermerkt; sie hat an Karls Seite
gewiß keine mit Plektrud vergleichbare
Rolle gespielt. Von ihren Söhnen Karlmann
und Pippin (dem Jüngeren), die
sie neben einer Tochter Hiltrud
gebar, findet sich lediglich der ältere 723 einmal mit seinem Handzeichen
in einer Urkunde des Vaters (und ist damit wohl damals als erwachsen bezeugt),
doch blieb er ebenso wie Pippin vor
dem Tode Karls ohne jede offizielle
Funktion. Während unter den Abkömmlingen der Stiefmutter Plektrud
einzig der erwähnte Hugo (+ 730)
als Inhaber bedeutender neustrischer Bistümer und Abteien zu einer
führenden Stellung kam, war Karls
illegitimer Halbbruder Childebrand,
der über Besitz in der Gegend von Melun verfügte, bloß
mit einem regionalen Kommando in Burgund und dem Grafentitel ausgestattet.
Er hat sich eher einen Namen dadurch gemacht, dass er später eine
Fortschreibung des sogenannten Fredegar zu "einer Familienchronik des karolingischen
Hauses" (W. Levison) für die Jahre 736 bis 751 veranlaßt und
darin mit seinem Sohne Nibelung auch
noch einen Nachfolger für die Zeit bis 768 fand. Erst recht im Hintergrund
standen drei weitere Söhne Karls
namens Bernhard, Hieronymus
und Remedius (Remigius),
die er von einer Nebenfrau mit dem vermutlichen Namen Ruodhaid
hatte. Alle Fäden liefen, so scheint es, mehr als 20 Jahre lang bei
dem Hausmeier zusammen, der allerdings insofern der politischen Tradition
seines Hauses treu blieb, als er die bloße Institution des Königtums
auch weiterhin nicht antastete.
Ein folgenschwerer Unterschied zu Pippin
lag ferner darin, dass sich Karl Martell
keineswegs mit dem Gewinn der Vorherrschaft in der Francia begnügte,
sondern sogleich daran ging, seine Macht nach allen Richtungen hin zu erweitern,
bis an die äußeren Grenzen des MEROWINGER-Reiches
und womöglich noch darüber hinaus. Diese Expansionspolitik ergab
sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit aus den Erfahrungen der Sukzessionskrise
nach 714, in die von der Peripherie her Friesen, Sachsen und Aquitanier
gegen Karl und seine Austrier eingegriffen
hatten. Offenkundig war zudem geworden, dass die auf Distanz zu den Hausmeiern
bedachten rechtsrheinischen Herzöge leicht versucht waren, sich mit
innerfränkischen Rivalen der KAROLINGER
zu verbünden oder ihnen zumindest Rückhalt und Zuflucht zu gewähren.
Wer sich die vielfältigen Kämpfe
Karl Martells vor Augen hält, deren Regelmäßigkeit
in damaligen Klosterannalen schon dazu führte, dass eigens vermerkt
wurde, wenn in einem Jahr kein Feldzug stattfand, wird es nicht schwer
haben, dem Urteil beizupflichten, seine Herrschaft sei eine "eiserne Zeit"
für das regnum Francorum gewesen (E. Ewig). In der Tat scheint an
ihm nichts so sehr hervorzustechen wie die unbeugsame Zähigkeit, mit
der er zunächst den eigenen Aufstieg gegen alle Widerstände ertrotzte
und dann die Vormacht seines Hauses in der Francia sicherte, um schließlich
weit über den Aktionsradius seines Vaters Pippin
hinaus bis an die Grenzen des MEROWINGER-Reiches
alle Machthaber zur Anerkennung seiner Überlegenheit zwang. Dabei
blieb er sich offenbar stets bewußt, wieviel er der austrischen Klientel
zu verdanken hatte, auf der seine Erfolge gründeten; er ließ
sie regelmäßig am Gewinn teilhaben, der in nutzbaren Rechten
und Besitzungen, in weltlichen und geistlichen Ämtern bestand, und
gab ihren Interessen - aller naiven Gottesfurcht zum Trotz - notfalls auch
den Vorrang vor kirchlichen Belangen und Reformwünschen.
In seinen Briefen von 739/40 titulierte der Papst Karl
Martell als "Vizekönig" (subregulus) und spielte damit
wohl auf das staatsrechtliche Novum an, dass der Hausmeier seit dem Tode
Theuderichs
IV. (737) ohne einen König im Hintergrund fungierte. Dabei
kann Karl selbst am allerwenigsten
zweifelhaft gewesen sein, dass er längst über sämtliche
königliche Vorrechte verfügte und an faktischer Macht alle MEROWINGER
übertraf, die es seit 200 Jahren gegeben hatte. Auch seine zunehmende
Vorliebe für die klassischen Königspfalzen im Oise-Tal und die
gewiß frühzeitig getroffene Entscheidung, die letzte Ruhe nicht
mehr im austrischen Metz oder auf dem Chevremont, sondern in der traditionsreichen
Königsabtei Saint-Denis vor Paris finden zu wollen (wo zuletzt Chlodwig
II. 657 bestattet worden war), spiegeln sein gesteigertes monarchisches
Selbstgefühl, doch bleibt uns verborgen, wie er sich die Zukunft dieses
persönlichen "Prinzipats" dachte. Die vereinzelte Nachricht, dass
er seinen zweiten Sohn Pippin um 737
zum befreundeten (und kinderlosen) Langobarden-König
Liutprand nach Italien schickte, der ihn nach der Sitte seines
Volkes durch eigenhändiges Scheren des Haupthaares adoptierte, mag
darauf hindeuten, dass er mit diesem nunmehrigen "Königssohn" Besonderes
vorhatte. Andererseits ist durch ChildebrandsFredegar-Fortsetzung
und die Metzer Annalen einhellig überliefert, dass der seit 739 kränkliche
Hausmeier "nach dem Rat der Großen", vermutlich also auf der im März
üblichen Heeresversammlung spätestens von 741, das Reich für
die Zeit nach seinem Tod derart aufteilte, dass sein ältester Sohn
Karlmann
Austrien, Alemannien und Thüringen (ohne Bayern) und der nächste
Bruder Pippin Neustrien, Burgund und
Provence (ohne Aquitanien) beherrschen sollte. Dieser Erbregelung zugunsten
der erwachsenen Söhne Chrodtruds
stehen Beobachtungen gegenüber, wonach gegen Ende von Karls
Lebenszeit in seiner Umgebung eher eine "bayerische Partei" um seine zweite
Gattin Swanahild dominierte. Ihr Verwandter,
Herzog Odilo, hielt sich, anscheinend verdrängt von bayerischen Großen,
740/41 in der Francia auf und knüpfte damals seine Beziehungen zu
Karls Tochter
Hiltrud
an, aus der ihr Sohn Tassilo III. - mit gut bezeugtem Geburtsjahr
741 - hervorging, übrigens ein Skandal, der noch zu LUDWIGS
DES FROMMEN Zeiten in peinlicher Erinnerung war. Von daher gewinnt
auch das widerwillige Eingeständnis der Metzer Annalen zusätzliches
Gewicht, dem jungen Grifo aus Karls
Ehe mit Swanahild sei nachträglich
auf Betreiben seiner Mutter, "eines ruchlosen Weibes", vom Vater ein Erbteil
in Neuster, Auster und Burgund, also inmitten des Reiches, zuerkannt worden.
Dies steht womöglich für noch weitergehende Zusagen, denn Swanahild
und ihr Sohn, nicht aber Karlmann und
Pippin wurden fünf Wochen vor
Karls Tod in dessen letzter Urkunde
als Zustimmende erwähnt, standen also bis zum Ende mit ihm in sichtlichem
Einvernehmen. Als der Hausmeier am 15. oder 22.10.741 in
der Pfalz Quierzy dahinschied, hatte er zwar seiner Familie insgesamt die
Oberhand gesichert, aber wie sein Vater keine wirklich haltbaren Verfügungen
über die künftige Machtverteilung getroffen.
1. oo Chrotrud
um 690 - 725
2. oo Swanahild
um 710- nach 741
Kinder:
Pippin III. der Kleine
714-24.9.768
Karlmann
um 707-17.8.754
Chiltrudis (Hiltrud)
um 715- 754
oo Odilo Herzog von Bayern
um 715-
748
2. Ehe
Grifo
um 726- 753
Illegitim von Nebenfrau Ruodhaid
Bernhard
vor 732- 787
Hieronymus
-
Remigius Bischof von Rouen (755-771)
-
771
Aldana
-
oo Theoderich Graf von Autun
-
Literatur:
-----------
Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten
Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft
750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 3-22,24,26,39,41,79,89,255
- Biographien zur Weltgeschichte. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften
Berlin 1989, Seite 282 -
Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens
in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke
Verlag Sigmaringen 1986, Seite 69,184 - Borgolte Michael: Geschichte
der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und
Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984, Seite
25,34,41,43-47,77,199,246 - Dahn Felix: Die Franken. Emil Vollmer
Verlag 1899 - Dahn Felix: Die Völkerwanderung. Germanisch-Romanische
Frühgeschichte Europas. Verlag Hans Kaiser Klagenfurt 1977, Seite
437,460,462,464,479 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den Anfängen
bis zur Ausbildung des Feudalismus Mitte des 11. Jahrhunderts. VEB Deutscher
Verlag der Wissenschaften Berlin 1982, Seite 282-284,286,287,290-292 -
Diwald
Helmut: Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches. Gustav
Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1987, Seite 222 - Ehlers
Joachim: Die Kapetinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln
2000, Seite 20,60 - Eickhoff Ekkehard: Theophanu und der König.
Otto III. und seine Welt. Klett-Cotta Stuttgart 1996, Seite 181,262 - Ennen,
Edith: Frauen im Mittelalter. Verlag C.H. Beck München 1994, Seite
47,56 - Epperlein Siegfried: Karl der Große. VEB Deutscher
Verlag der Wissenschaften Berlin 1974, Seite 10,20,46,85,140,151 - Erbe
Michael: Belgien, Niederlande, Luxemburg. Geschichte des niederländischen
Raumes. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1993, Seite 31,33
- Ewig Eugen: Die Merowinger und das Frankenreich. W. Kohlhammer
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