Angebliche Tochter des fränkischen Hausmeiers Karl
Martell
Hlawitschka Eduard: Seite 76
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"Die Vorfahren Karls des Großen"
26 Bernarius - Theoderich - Aldana - Hiltrud - Landrada
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Aldana, die
Gemahlin eines Grafen Theoderich und Mutter Wilhelms von Gellone
(Nr. 61) wird in der Literatur immer wieder als Tochter Karl
Martells geführt; vgl. S. Abel - B. v. Simon, Jahrbücher
Karls des Großen 2, Leipzig 1883, Seite 13 auf der Basis von AA.
SS. Mai 6, Seite 894 und J. Mabillon, AA. SS. ord. s. Ben. 4, 1, Seite
68; danach J. Calmette, La familie de Saint Guilhelm (Annales du Midi 18,
1906), Seite 145ff., M. Chaume, les origines du Duche de Bourgogne, Dijon
1925, Seite 105, 547, L. Auzias, L'Aquitaine carolingienne, Toulouse -
Paris 1937, Seite 520-525, G. Tellenbach, Königtum und Stämme
in der Werdezeit des Deutschen Reiches, Weimar 1939, Seite 43, I. Weinrich,
Wala, Graf, Mönch und Rebell, Lübeck-Hamburg 1963, Seite 17 und
Tafel Seite 107, usw.
Dies beruht darauf, daß Aldana
in einem aquitanischen Necrolog als soror Hiltrudis
et Landradae bezeichnet ist und
daß diese beiden Namen wiederum von Töchtern Karl
Martells geführt worden seien. Letzte Berechtigung zur
Identifizierung der beiden Aldana-Schwestern
gab dannjeweils die Tatsache, daß in den Ann. q. d. Einhardi ad 782,
hrsg. von F. Kurze, SS. rer. Germ., 1895, Seite 61, ein Theodericus
comes propinquus regis auftritt, der seine Truppen aus dem Riquariergau
aushob und den man mit Aldanas Gemahl
Theoderich identifizierte. Außerdem konnte hinzugefügt werden,
daß
Aldanas und Theoderichs
Enkel, Herzog Bernhard von Septimanien, in Thegans Vita Hludovici c. 36,
MG. SS. 2, Seite 597, als de stirpe regali bezeichnet wird. - Nun
hat dieses System aber doch schwache Stellen. Es ist zwar einwandfrei eine
Hiltrud als Tochter
Karl Martells nachzuweisen (vgl. Nr.
46), nicht aber ebensogut eine Landrada.
Die These von Abel-Simon, der alle angeführten späteren Forscher
folgten, daß Landrada, die Mutter
des Bischofs Chrodegang von Metz, auch als Tochter
Karl Martells nachzuweisen wäre, läßt sich
nämlich nicht halten. Paulus Diaconus weiß in seiner Metzer
Bischofsgeschichte, MG. SS. 2, Seite 267, von jenem Bischof nur zu berichten:
Chrodegangus
... ex pago Hasbaniensi oriundus, patre Sigrammo, matre Landrada, Francorum
ex genrer primae nobilitatis progenitus. Auch die Urkunden König
Pippins und KARLS DES GROSSEN,
in denen Chrodegang wiederholt genannt ist, lassen neimals etwas über
eine Verwandtschaft zu jenem verlauten. Das gleiche gilt für Chrodegangs
eigene Urkunden, in denen er Pippin nur als seinen
senior, nicht
aber als seinen Onkel nennt; vgl. etwa A. D'Herbomez, Cartulaire de l'abbaye
de Gorze, Paris 1898, Nr. 1-5,9-10. (Die Nr. 11, in der Chrodegang König
Pippin als seinen avunculus bezeichnet, ist längst
als späte Fälschung bekannt, vgl. ebd. die Erläuterung auf
Seite 392).
Erst die im 10. Jahrhundert oder - wenn M. Büchner,
Die Vita Chrodegangi, eine kirchenpolitische Tendenzschrift (Zeitschrift
dfer Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 16, 1927), Seite
1-36, recht hat - bereits um die Mitte des 9. Jahrhunderts entstandene
Vita Chrodegangi, MG. SS. 10, Seite 556, macht
Landrada bei der Ausschmückung der von Paulus Diaconus
gegebenen Nachrichten zu König Pippins
Schwester und zu einer Tochter Karl Martells.
(Nach Büchner, Seite 24, geschah dies zu dem Zweck,
Erzbischof
Drogo von Metz, einen außerehelichen Sohn KARLS
DES GROSSEN und Halbbruder LUDWIGS
DES FROMMEN, um die Mitte des 9. Jahrhunderts noch stärker
als sonst als Parallele und Vorbild dienen zu können). Und erst von
hier ab wird Chrodegang in einer Reihe später Quellen (Abel-Simson
2, Seite 13 Anmerkung 2) mit den KAROLINGERN
in Konnex gebracht. Daß in Wirklichkeit Pippin
und Chrodegang der gleichen Generation angehört bzw. Chrodegang
eher älter als Pippin war, wurde
bei dieser späten Konstruktion nicht in Rechnung gesetzt, spricht
aber schon deutlich gegen sie. Landrada
dürfte somit als Glied der angegebenen Beweiskette ausfallen. Ein
Weiteres läßt sich gegen diese Kombination anführen: Wala
(Nr. 52), der Enkel Karl Martells
(durch dessen Friedelsohn Bernhard),
heiratete nachweislich eine Tochter Wilhelms von Gellone, das heißt
eine Enkelin Aldanas; vgl. Werner Seite 13, und Calmette, Seite 156f. Setzt
man Aldana aber als Tochter Karl
Martells an, so muß man eine in der karolingischen
Ehegesetzgebung
verbotene Nahehe im Verhältnis 2:3 annehmen. Doch so etwas dürfte
kaum geduldet wordens ein. Schließlich läßt sich gegen
die herrschende Meinung noch einwenden: Hätte man Aldana
in dem angegebenen Nekrolog tatsächlich mit den KAROLINGERN
in
Verbindung bringen wollen, so wäre es einfacher gewesen, sie als
soror
Pippini
regis denn als soror
Hiltrudis
et
Landradae zu kennzeichnen.
Mit Hiltrud und Landrada
können also meines Erachtens keine Töchter Karl
Martells gemeint sein. Andererseits verlangen nun aber die Kennzeichnungen
Theoderichs
als propinquus regis (= KARLS DES GROSSEN)
und Bernhards von Septimanien als de stirpe regali
eine Erklärung.
Hierbei ist davon auszugehen, daß Graf Theoderich, der propinquus
regis, seine Truppen in Riboaria congregare potuit, in
jenem Gebiet also hervortrat, in dem König
Pippin und seine Gemahlin Bertrada
die Jüngere gemeinsam und durch ihre Väter vermittelten
Besitz aus dem alten Hugobert-Irmina-Erbe innehatten (vgl. E. Hlawitschka,
Zur landschaftlichen Herkunft [wie in Nr. 4], Seite 4-15). zeigt dieses
Auftreten Theoderichs in Ripuarien einerseits eine gewisse Verankerung
in jenen Gegenden, so wird man andererseits bei der Erklärung der
propinquitas
zu
KARL
DEM GROSSEN dadurch gleichfalls darauf
hinlenkt, das verwandtschaftsvermittelnde Bindeglied auch im Umkreis der
Hugobert-Irmina-Nachkommen zu suchen. Bei solcher Betrachtung fält
auf, daß Bertrda die Ältere (Nr. 22) bei der Gründung von
Prüm im Jahre 721 viri magnifici bat, ihre Stiftungsurkunde
zu bestätigen (et viris magnifici affirmare [!] rogavimus),
und daß unter der Urkunde dann noch Handzeichen Bertradas und ihres
Sohnes Heribert (Nr 34) folgende Unterschriften erscheinen: Ego Bernarius
+, Signum + Chrodelande. Ego Theodericus subscripsi; H. Beyer, Mittelrheinisches
Urkundenbuch 1, Koblenz 1860, Nr. 8,Seite 11.
Daß diese Zeugen Verwandte
Bertradas und Heriberts waren, ist nun nicht ausdrücklich gesagt.
Beachtete man jedoch die Tatsache des affirmare und sieht man, daß
dem in anderen Urkunden die Wendung Signum + manus NN, qui ad omnia
suprascripta consensit er ad confirmandum (!) manum posuit, entspricht,
wobei sogar noch ausdrücklich hervorgehoben wird, daß eine solche
Urkunde
cum consensu propinquorum et parentum erlassen wird (vgl.
zum Beispiel E. Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in
Oberitalien, Freiburg i. Br. 1960, Seite 303) so hat man diese affirmantes
der
Bertrada-Urkunde von 721 doch als Verwandte zu betrachten. Stützen
läßt sich diese Sicht noch durch die Besonderheit, daß
hier auch eine Frau als Zeugin erscheint, während doch Frauen in solcher
Weise bei Rechtsakten gewöhnlich nicht hervortreten. Ja, diese Frau
- Chrodolanda - muß sogar, wenn sie schon um ihre affirmatio
gebeten wurde, in besonders enger Weise mit der Urkundenausstellerin -
Bertrda der Älteren - verbunden gewesen sein. Nichts liegt näher,
als Chrodelanda mit Bertradas der Älteren bekannter Schwester Chrodechild
zu identifizieren, und den, der ihr voransteht - Bernarius -, als deren
bislang unbekannten Gemahl aufzufassen. Theoderich, den folgenden Zeugen,
könnte man sodann als beider Sohn ansehen. Letzterer wäre damit
zugleich ein Neffe Bertradas der Älteren und ein Vetter ihres an der
Gründung von Prüm beteiligten Sohnes Heribert. - Hier kommt nun
weiter hinzu, daß man im Testament des Abtes Fulrad von Stz.-Denis
(hrsg. von M. Tangl [NA 32, 1906], Seite 208ff.; zu seiner Interpretation
vgl. J. Fleckenstein, Fulrad von Saint-Denis und der fränkische Ausgriff
in den süddeutschen Raum, in: G. Tellenbach, Studien und Vorarbeiten
zur Geschichte des großfränkischen und frühdeutschen Adels,
Freiburg i. Br. 1957, Seite 9ff) einen Heribert und einen Theoderichgenannt
findet, die jeweils in Bittersdorf, Auersmacher und saargemünd begütert
waren und diese Güter um die Mitte des 8. Jahrhunderts oder auch schon
kurz vorher an Fulrad abgaben, die beide also wegen des gemeinsamen Grundbesitzes
eng verwandt gewesen sein müssen. Saargemünd ist nun wieder dadurch
in Beziehung mit den KAROLINGERN
aufzuzeigen, daß Pippin der Mittlere
und Plektrud,
Bertradas der Älteren Schwester und Schwager, 706 hier schon zwei
Urkunden ausstellten: C. Wampach, Echternach 1, 2, Nr. 14 und 15, Seite
38ff. Identifiziert man - was durch die KAROLINGER-Urkunden
aus Saargemünd naheliget - diesen Heribert mit Pippins
und Plektruds
Neffen Heribert, dem Sohn Bertradas der Älteren, so kann Theoderich
freilich nicht ein Bruder dieses Mannes sein, da Bertrada die Ältere
721 bei der Gründung Prüms nur noch jenen Heribert als Sohn hatte
und andere Söhne als defuncti beklagte (ut anoxiissceleribus
nostris et filiis meis defunctis mereamur emundare). Man muß
dann Heribert und Theoderich schon als Vettern betrachten! Die Deduktion
aus den Zeugenunterschriften der prümer Stiftungsurkunde, die uns
Theoderich als Sohn der Bertrada-Schwester Chrodechild vermuten ließen
und somit auch als Vetter des Bertrada-Sohnes Heribert von Laon ergaben,
dürften hier also eine gewisse Bestätigung erfahren. Wenn man
schließlich noch bedenkt, daß die Gründung des Klosters
Weißenburg i. E. von einem an der oberen Saar bei Saargemünd
und ihrem Nebenflüßchen, der Eichel, beheimateten Familienkreis
vorgetragen wurde, zu dem auch Herzog Theotarius und sein Sohn Theodard
(Nr. 4 und 13) gehört zu haben scheinen (vgl. K. Glöckner, Die
Anfänge des Klosters Weißenburg [wie in Nr. 13], Seite 9ff),
so zeigt sich, daß sowohl Heribert als auch Theoderich in der Nachkommenschaft
Irminas von Oeren standen und daß der Komplex, in dem 706 Pippin
der Mittlere und Plektrud
auftraten, den KAROLINGERN
wie vieles andere aus der Hugobert-Irmina-Hinterlassenschaft angewachsen
ist. - Ob nun freilich der bereits 721 in Prüm auftretende Theoderich,
den wir mit dem Theoderich des Fulradteszamentes gleichsetzen, noch mit
dem 782 im Rupuariergau genannten und 793 gegen die Sachsen gefallenen
propinquus
regis Theoderich, den man doch wohl als Gemahl der Aldana
und
als Großvater Bernhards von Septimanien de stirpe regali ansprechen
darf, zu identifizieren ist, oder ob sie nicht doch eher zwei Generationen
angehörten - etwa als Vater und Sohn oder als Onkel und Neffe (durch
einen Bruder bzw. eine Schwester des schon 721 bezeugten Theoderich) -,
kann nicht entschieden werden. Daß aber eine Blutslinie dieser Art
von Chrodelind und Bernarius zu Theoderich und Aldana
und deren Nachkommen läuft, mag neben den angeführten Argumenten
noch daurch gestützt werden, daß die Namen Chrodelind, Bernar,
Theoderich und Heribert dann bei den Kindern Wilhelms von Gellone (= Rotlind,
Bernhard, Theoderich, Heribert) wieder auftreten; vgl. L. Weinrich, Wala,
Tafel Seite 107.
Nicht zuletzt darf man noch darauf
hinweisen, daß ein Urenkel Theoderichs und Aladanas,
das heißt ein Enkel Wilhelms von Gellone durch dessen Sohn Bernhard
von Septimanien, nämlich Herzog Wilhelm der Fromme von Aquitanien,
gegen Ende des 9. Jahrhunderts noch Allodialbesitz in jenem Seillegebiet
hatte (A. Bernard- A. Bruel, Recueil des chartres de l'abbaye de Cluny
1, Paris 1876, nr. 53, Seite 62), in dem schon Theotarius (Nr. 4) und Theotradus
(Nr. 13) als Grundbesitzer nachgewiesen werden können (vgl. C. Zeuss
in Nr. 4), daß Wilhelm der Fromme also jene Bereiche besitzmäßig
tangierte, in denen wir um die Mtte des 8. Jahrhunderts durch das Fulradteszament
(die beiden Vettern) Heribert und Theoderich antrafen. - Die andersartigen
Deutungsversuche der Zeugen der Bertrada-Urkunde für Prüm und
folglich auch der hier dargelegten Zusammenhänge, welche M. Chaume,
Les origines, Seite 546f., L. Levillain, La charte de Clotilde (Bibliotheque
de l'Ecole des Chartes 105, 1944), Seite 32-39, K. F. Werner, Untersuchungen
zur Frühzeit des französischen Fürstentums V (Die Welt als
Geschichte 20, 1960), Seite 103, unter anderem geben, scheinen mir - zumal
sie die genealogische Einordnung Bertradas der Älteren noch nicht
kennen wie auch die von der falschen Einreihung Aldanas
als einer Tochter Karl Martells ausgehen
- nicht stichhaltig zu sein. (Meine früher geäußerte Skepsis
gegen die genealogische Deutbarkeit der Zeugenunterschriften in der Bertrada-Urkunde
für Prüm [vgl. Hlawitschka, Zur landschaftlichen Herkunft; Seite
6 Anmerkung 24] konnte ich - nachdem sich genügend stützende
Argumente fanden - aufgeben).