Wenn Gregor von Tours die Anteile eines jeden grob skizziert
und davon spricht, daß das Los Charibert
das Reich Childeberts
mit der Hauptstadt Paris, Guntram
Chlodomers
Reich von Orleans, Chilperich
des Vaters Chlothar
Reich von Soissons und schließlich Sigibert
das Reich Theuderichs
mit der sedes Reims zuteilte, so ist nicht an "Verlosen" im üblichen
Sinne zu denken, sondern mit sors der jeweilige Anteil bei der Erbfolgeregelung
gemeint.
Als nämlich Sigibert
durch Kämpfe mit den Awaren gebunden
war, fiel Chilperich in dessen Reich
ein und riß Reims und einige andere Städte an sich. Sobald jedoch
Sigibert freie Hand hatte, revanchierte er sich mit der Eroberung
von Soissons, wo auch
Chilperichs Sohn
Theudebert in Gefangenschaft geriet.
Erst die offene kriegerische Auseinandersetzung mit einem für Sigibert
günstigen
Ausgang beendete vorerst den Bruderstreit, der keiner Seite Gewinn eingebracht
hatte.
Chariberts Reich
wurde nach dessen Tod unter die überlebenden Brüder aufgeteilt
und das Ergebnis in einem förmlichen Vertragstext festgehalten. Nur
Chilperich
war mit den vertraglichen Regelung nicht einverstanden und riß von
Sigiberts
Anteil an Chariberts Reich die Städte
Tours und Poitiers an sich, auf die Dauer jedoch vergebens, weil die verbündeten
Sigibert und Guntram ihm
das Gebiet wieder abjagten. Im Rahmen unserer Fragestellung hätte
der Vorfall kaum erwähnt zu werden brauchen, wenn sich nicht aus Gregors
Bericht ergäbe, daß der gegen Chilperich
erfolgreiche Feldherr seiner Brüder von der Bevölkerung beider
wiedereroberter Städte den Treueid auf König
Sigibert
als Mittel der Herrschaftssicherung verlangt hatte. Einen Treueid
auf sich selbst als den König hatte Sigibert
auch von der Bevölkerung von Arles durch seinen
Feldherrn Adovar
fordern lassen, als Sigibert seines
Bruders Guntram Anteil an Chariberts
Erbe
zu schmälern suchte. Den Attacken Chilperichs
auf Tours und Poitiers und Sigiberts auf
Arles, die beide letztlich ganz erfolglos blieben, läßt sich
doch wohl entnehmen, daß Theudechildes,
der Witwe König Chariberts,
Einheiratsangebot und ihre Auslieferung der Schätze an Guntram
diesem einen entscheidenden Vorteil bei dem Erbteilungsvertrag eingebracht
haben.
Als Sigibert in Paris
weilte, erhielt er von den Franken, die einst zu Childebert
als ihrem Herrn aufgeblickt hatten, eine förmliche Einladung: Käme
er zu ihnen, so würden sie Chilperich
verlassen und ihn zum König über sich erheben. Sigibert
beeilte sich, der Einladung nachzukommen. Inzwischen werden die Franken,
die Chilperich verlassen wollten, diesen
Schritt, der einer Herrscherabsetzung gleichkam, vollzogen haben, denn
als Sigibert zum Hofe Vitry kam, wurde
er vor versammeltem Heere auf den Schild erhoben und zum König eingesetzt.
Die Schilderhebung erfolgte durch das Heer, das sich zu Sigibert
nach
Vitry begeben hatte - also durch jene Franken, die ihn eingeladen
und den bisherigen König verlassen hatten. Aus Gregors von Tours Worten
geht der eindeutig konstitutive Charakter der Schilderhebung hervor: "Sie
hoben ihn auf den Schild und machten ihn damit zu ihrem König". So
deutlich der Erhebungsakt und die konstitutive Funktion der Heeresversammlung
hier zu erkennen sind, für Sigibert folgte
unmittelbar auf die Erhebung zum König in einem neuen Reichsgebiet
der allertiefste Sturz. Im Gedrängel der Versammlung gelang es zwei
angeblich von Chilperichs Frau gedungenen
Männern, König
Sigibert zu ermorden [Gregor IV, 51 Seite 188. Nicht
auszuschließen ist ein größerer Putsch, dem Sigibert
zum
Opfer fiel. Gregor von Tours berichtet nämlich, daß in Vitry
auch Sigiberts
Kämmerer Charegisel
ermordet und der Gote Sigivald schwer verletzt wurden. Nach
dem Liber historiae Francorum c. 32 (SS rer. Mer. 2 Seite 296) schickte
Königin
Fredegunde
zwei gedungene Mörder.].
Mit Sigiberts Tod
(575, nach September 1) hatte sich die politische Bedrängnis
Chilperichs
grundlegend verändert.
In diesem Sinne ist Chilperichs
Verhalten nach dem Mordtag von Vitry fast typisch: Er sorgte
für die Bestattung des Bruders, zog nach Paris, wo er die Witwe des
Verstorbenen mit ihren Töchtern - der Sohn Childebert
war ja bereits in Sicherheit - gefangennahm und in Rouen festsetzen ließ.
Den Hort, den Brunhilde mit nach Paris
gebracht hatte, eignete sich Chilperich selbstverständlich
an.