Schneider Reinhard: Seite 92,104,108,124-132
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"Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter"

Im Jahre 567 starb König Charibert. Trotz mehrerer Eheschließungen hinterließ er keinen Sohn, so daß eine Verteilung seines Erbes an die Brüder nahe lag. Aber als König Guntram die Chance eines zusätzlichen Erbanspruchs sah, griff er sofort zu. Chariberts Witwe übermittelte ihm nämlich ein Heiratsangebot, das Guntram bereitwillig anzunehmen versprach, wenn Königin Theudechilde "ihre Schätze" mitbrächte. Sie tat es zu des Königs Wohlgefallen, doch an ihr selbst war er nicht mehr interessiert, und Theudechilde verschwand gegen ihren Willen in einem Kloster. Wenn Guntram die Eheschließung unterließ, so wird der Grund in einer veränderten politischen Situation zu finden sein, in der die Chance auf Einheirat in Chariberts Reich bereits nicht mehr gegeben war. In der Tat wurde dieses dann unter die überlebenden Brüder aufgeteilt und das Ergebnis in einem förmlichen Vertragstext festgehalten. Den Attacken Chilperichs auf Tours und Poitiers und Sigiberts auf Arles, die beide letztlich ganz erfolglos blieben, läßt sich doch wohl entnehmen, daß Theudechildes, der Witwe König Chariberts, Einheiratsangebot und ihre Auslieferung der Schätze an Guntram diesen einen entscheidenden Vorteil gebracht haben.
Mit Marseille hatte der Prätendent Gundowald aber auch König Guntrams Interessen verletzt, dem die Hälfte der Stadt nach Sigiberts Tode 575 abgetreten worden war. Da Guntram mit dem Marsch auf Avignon eine gefährliche Stoßrichtung auf seine eigenes burgundisches Kernland befürchtet haben wird, war Gundowalds Unternehmen letztlich an König Guntrams erfolgreichen Gegenfeldzug gescheitert.
Und doch hat Gundowald zweifellos eine Ehe mit der zweimaligen Witwe Brunhilde erstrebt, vergebens indes, da der überaus wachsame König von Burgund sie zu verhindern wußte und Brunhildes eigenen Sohn, König Childebert II., veranlassen konnte, sogar jegliche briefliche Kontaktnahme nach beiden Seiten wirksam zu unterbinden. Noch vier Jahre nach Gundowalds Katastrophe glaubte der mißtrauische - und gewiß durch Erfahrung gewitzte - Guntram, Brunhilde schicke wertvolle Geschenke den Söhnen Gundowalds und lade einen von ihnen ein, wiederum nach Gallien zu kommen, ihn (Guntram) zu töten, um selbst König zu werden.
Die endgültige Regelung aller strittigen Fragen sollte der Vertrag von Andelot bringen, der am 28. oder 29. November 586 zwischen Guntram einerseits und Childebert sowie der Königin Brunhilde andererseits abgeschlossen wurde. Der schriftlich aufgesetzte Pakt enthält außer sofort wirksam werdenden Bestimmungen beiderseitige Verfügungen für den Todesfall. Falls einer der beiden Könige stürbe, ohne Söhne zu hinterlassen, sollte sein Reich "unverkürzt und zu ewigen Recht" an den Vertragspartner fallen. Hinzu trat eine Klausel, nach welcher sich Guntram verpflichtete, für den Fall, daß Childebert vor ihm sterbe, "dessen Söhne, die Könige Theudebert und Theuderich, oder welche Söhne ihm sonst noch etwa Gott schenken sollte, wie ein liebender Vater unter seinen Schutz und Schirm (zu) nehmen, so daß sie das Reich ihres Vaters in voller Sicherheit besitzen sollten". Diese Klausel trug besonders der angestrebten Erbanspruchsregelung zugunsten Childeberts Rechnung, der das Reich Guntrams erben sollte.