Da Chlodwig
II. bei seinem Tod drei Söhne hinterließ, stellte
sich für das neustroburgundische Reich zum ersten Mal seit seinem
Bestehen die Frage der Teilung. Der früh verstorbene König hatte
keine Regelung hinterlassen. Die unmündigen Söhne im Alter von
sieben, vier bis fünf und zwei Jahren konnten nicht mitreden. Die
Großen entschieden unter Führung der Königin-Mutter
Balthild
und des Hausmeiers Erchinoald
gegen eine Teilung. Zum König erhoben wurde der älteste Sohn
Chlothar III., um unter der Leitung
seiner Mutter zu regieren.
Die "liebreizende, freundliche, aber auch würdebewußte
Königin aus dem Volk der Sachsen" hatte ihren Einfluß schon
in den letzten Jahren Chlodwigs II. zur
Geltung gebracht, wenn anders es zutrifft, dass sie die Nachfolge der
ostanglischen
Königs-Töchter Saethryd
und Aedilberga nach dem Tod Fara (spätestens
655) in Faremoutiers durchsetzte. Burgundofaro von Meaux mag für
den Verlust der Doppelabtei für seine Sippe mit der Privilegierung
seines Heiligenklosters durch Chlothar III. entschädigt
worden sein. Gewiß hatte die Regentin ihre Hand im Spiel, als die
Franken nach dem Tod Erchinoalds (vor 660, vielleicht 657/58) nach
langem Schwanken nicht dessen Sohn Leudesisus,
sondern Ebroin,
einen Franken aus dem Soissons zum Hausmeier erhoben. Stimmen aus der Opposition
nannten Ebroin einen Emporkömmling. Das traf nicht zu, da Ebroin
schon
in der Umgebung Chlodwigs II. begegnet.
Aber der neue Mann gehörte nicht wie Erchinoald der höchsten
Optimatenschicht an. Ein Hausmeier aus dieser Schicht wäre für
die einstige Sklavin auch gewiß ein schwieriger Regierungspartner
gewesen. Im Rat Balthilds werden namentlich
die Bischöfe Audoin von Rouen und Chrodobert von Paris
genannt. Chrodobert bleibt bis auf weiteres für uns ein bloßer
Name. Audoin unterhielt in der Folge mit Ebroin freundliche
Beziehungen, vielleicht war
Ebroin von Anfang an auch sein Kandidat.
Hinter Audoin stand gewiß eine mächtige Adelsgruppe,
der auch die Sippe von Jouarre angehörte. Die Königin setzte
ein deutliches Zeichen, als sie bei ihrer eigenen Gründung Chelles
nicht auf Faremoutiers, sondern auf Jouarre zurückgriff, von wo sie
Berthila als erste Äbtissin nach Chelles berief. Ebroin
folgte ihrem Beispiel, als er um 667 seine eigene Hausabtei, das Marienkloster
von Soissons gründete: Aetheria, die erste Äbtissin des
Frauenklosters von Soissons, kam gleichfalls aus Jouarre.
Zu den frankoburgundischen Großen, die 657 Chlothar
III. erhoben, gehörten gewiß auch der Metropolit
Aunemund/Dalfinus von Lyon, der den jungen König aus der Taufe
gehoben hatte, und sein Bruder, der "Präfekt", das heißt dux
oder comes von Lyon. Die Brüder gehörten einer vornehmen romanischen
Familie an, die wohl, wie der Name Aunemund und der des Vaters Sigo
andeuten, burgundisch versippt war. Aunemund war in der Hofschule
Dagoberts und Chlodwigs
II. groß geworden und als Nachfolger des Metropoliten
Viventius/Viventiolus schon zu dessen Lebezeiten geweiht worden.
Aus Gründen, die sich nur erahnen lassen, kam es
um 661 zum Bruch zwischen den Regenten und den Lyoner Brüdern, "Präfekt"
und Metropolit wurden der Verschwörung angeklagt und auf eine Reichsversammlung
zitiert, die der König nach "Maroialo" bei Orleans einberief. Aunemund
entschuldigte sich wegen Krankheit. Der "Präfekt" stellte sich,
wurde der Untreue beschuldigt und enthauptet. Als Bischof hätte sich
Aunemund vor einer Synode verantworten müssen.
Für die Geschichte des MEROWINGER-Reichs
wäre die Klärung der Tragweite des offenbar schweren Zusammenstoßes
zwischen den Regenten und den Brüdern von Lyon und seiner außenpolitischen
Implikationen bedeutsam. Der Biograph Wilfrids gibt die ganze Schuld der
Königin
Balthild, die "wie Gezabel, die die Propheten Gottes umbrachte,
neun Bischöfe - ungerechnet die Priester und Diakone - zu töten
befahl". Die Neunzahl ist nicht allein auf den Konflikt von Aunemund,
sondern auf die ganze Zeit der Regentschaft Balthilds
bezogen, aber auch so noch weit überzogen. Wahrscheinlich hat Wilfrid
oder sein Biograph alle Bischofsmorde oder -exekutionen bis zum Tod des
Hausmeiers
Ebroin der Königin angelastet. Auch eine dem Hausmeier eher freundlich
gesinnte Quelle bezeichnet Ebroin als einen "ansonsten tüchtigen
Mann, aber mit dem Hinrichten von Bischöfen allzu schnell bei der
Hand". Es ist fraglich, ob weitere Bischöfe in den Sturz Aunemunds
hineingezogen wurden.
Im Gegensatz zur Willebagkrise von 641/42 weitete sich
der Konflikt von 660/63 nicht zu einer bürgerkriegsartigen Fehde aus.
Mit der Hinrichtung des "Präfekten" war die "Verschwörung" im
Keim erstickt. Selbst ein so machtbewußter Bischof wie Aunemund
stand doch zu sehr in der römisch-christlichen Tradition der Lyoner
Metropoliten, als dass er die Führung in einer kriegerischen Auseinandersetzung
übernommen hätte. Andererseits hatte er vom Königsgericht
vielleicht Entmachtung und Vermögensentzug, aber kaum die Todesstrafe
zu erwarten.
Dunkel wie der Hintergrund des Vorgehens gegen die Brüder
von Lyon sind auch die Vorgänge, die um die gleiche Zeit zum Sturz
der
PIPPINIDEN
im regnum Austrasiorum führten. Es scheint, dass sich der Hausmeier
Grimoald
nach dem Tod seines Sohnes
Childebert
662 zu Verhandlungen nach Paris begab, dort aber verhaftet und schließlich
hingerichtet wurde. Die neustroburgundischen Regenten hätten dies
allerdings kaum gewagt, wenn sie nicht im Einvernehmen mit einer starken
austrasischen Opposition gegen Grimoald gestanden hätten. Balthilds
jüngster Sohn Childerich, damals
noch ein Knabe von sieben Jahren, wurde zum König der austrasischen
Franken erhoben und mit Sigiberts
III. Tochter
Bilichild
verlobt. Die Regentschaft für das unmündige Königspaar übernahm
Sigiberts
Witwe
Chimnechild.
Dies alles geschah, wie ausdrücklich bezeugt, auf friedliche Weise.
Die Königin
Balthild befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht als
Regentin. Sie war es offenbar auch, die Genesius, den abbas palatini
oratorii zum Nachfolger Aunemunds in Lyon bestimmte. Das palatinum
oratorium - in karolingischer Zeit
als Hofkapelle bezeichnet - tritt hier zum ersten Mal deutlicher ins Licht.
Es umfaßte den königlichen Klerus, dessen Aufgabe primär
die Feier des Gottesdienstes am Hof war. Genesius erscheint auch
in der Funktion eines grand aumonier: durch ihn, so wird berichtet,
ließ die Königin die Bedürftigen speisen und kleiden und
den Männern- und Frauenklöstern ihre Geschenke in Gold und Silber
übermitteln, die sowohl in gemünzten Geld - als Entwicklungshilfe
- wie in liturgischen Geräten und Weihegaben bestanden.
Die ersten wirklichen Königsklöster Luxeuiler
Observanz - Chelles (Diözese Meaux) und Corbie (Diözese Amiens)
- waren das Werk Balthilds. Die Maßnahmen
zur Gründung der Frauenabtei Chelles liefen wohl gleich nach der Übernahme
der Regentschaft an. Das Kloster stand 660, da die Königin die Leiche
des am 1. Dezember dieses Jahres verstorbenen Bischofs Eligius von Noyon
dorthin überführen wollte. Die Gründung von Corbie erfolgte
in den Jahren 663/84. Vom 6. September 664 datiert das Privileg, das der
Bischof von Amiens der Königsabtei ausstellte.
Chlothar
III. hatte die Abtei gemeinsam mit seiner Mutter gegründet
und gewiß auch die sancta regula vorgeschrieben. Das Kloster erhielt
die volle vermögensrechtliche Autonomie und wurde von allen bischöflichen
Steuern und Abgaben befreit.
Aus dem Leben ihrer Heldin hebt die Vita Balthildis nicht
nur die Gründung von Chelles und Corbie, sondern auch die Einführung
des sanctus regularis ordo, der benediktinisch-columbanischen Mischregel,
bei den Basiliken der Heiligen Dionysios (St. Denis), Germanus (St. Germain
von Paris oder Auxerre), Medardus (St. Medard von Soissons), Petrus (St.
Pierre-le-Vif von Sens), Anianus (St. Aignan von Orleans) und Martinus
(St. Martin von Tours) hervor. Den Abschluß bildete wohl St. Martin
von Tours, wo die Königin kaum vor dem Sturz Grimoalds und
der Erhebung ihres Sohnes Childerich
zum König des austrasischen Teilreiches im Jahre 662 Einfluß
nehmen konnte.
Mit dem Eintritt Chlothars III.
in die Mündigkeit um 665 ging die Zeit der Regentschaft der Königin-Mutter
zu Ende. Dass Balthild sich damals
oder bald darauf in ihr Hauskloster Chelles zurückzog, hatte jedoch
andere Gründe. Der Pariser Bischof Sigobrand war in Konflikt
mit den "Franken", das heißt den neustrischen Großen in der
Umgebung des Königs geraten, und wurde von seinen Gegnern umgebracht.
Die Königin hatte, wie es scheint, auch Anstoß an der superbia
des Bischofs genommen, aber sie mißbilligte aufs schärfste
den Totschlag ohne Anhörung des Beschuldigten und ohne Einhaltung
des Rechtsweges und hatte die Absicht, gegen die Täter vorzugehen.
Das führte zu ihrem nicht ganz so freiwilligen Rückzug nach Chelles,
wo sie erst um 680 ihr Leben beschloß.
Königliche Frauen des 6. Jahrhunderts nahmen, wie
die Gräber von Köln und St. Denis zeigen, ihre Kostbarkeiten
mit ins Grab. Balthild hat sie, wenn
man der Vita Eligii trauen darf, bis auf ihre goldenen Armringe für
Almosen und ein Kreuz auf dem Eligiusgrab hingegeben. Erhalten hat sich
jedoch ihr Totenhemd oder Leichentuch mit Stickereien, die ihren Schmuck
- einen Schmuck von der Art kaiserlicher Damen - abbilden, den sie einst
als Königin trug.
Wie Dagoberts Söhne
Sigibert
III. und Chlodwig II. erscheint
auch Chlodwigs Sohn Chlothar
III. als ein König ohne Profil. Die spärlichen
Quellen üben nicht einmal Kritik an seinen Sitten, sondern stellen
lediglich fest, dass er 673 jung starb. Er stand damals immerhin
in einem Alter, in dem sein Großvater
Dagobert
sich vom Einfluß der Mentoren seiner Jugend befreit hatte und selbständig
regierte.
Die Vorgänge, die schließlich zum Rückzug
der Königin-Mutter
Balthild nach Chelles führten, lassen erkennen, dass der
Hausmeier
Ebroin, obwohl längst der mächtigste Mann in der Regierung,
bis 665 noch mit der Regentin als Partnerin zu rechnen hatte. De iure
war Ebroin ohnehin nur Hausmeier für den neustrischen Reichsteil.
Die frankoburgundischen Großen unterstanden unmittelbar der Regentin,
die wohl bei der Besetzung der Bischofsstühle im frankoburgundischen
Reichsteil das entscheidende Wort sprach.
Wenn man vom Sturz der beiden Lyoner Brüder absieht,
an dem Balthild wohl beteiligt war,
gibt es vor 665 keinen Anhaltspunkt für ein unmittelbares Eingreifen
Ebroins in Frankoburgund. Auch nach dem Ausscheiden der Regentin machten
dem Hausmeier zunächst eine neustrische Adelsgruppe zu schaffen, die
ihm wirklich oder vorgeblich nach dem Leben trachtete.
Wie zu Erchinoald und Flaochad
unterhielten die Juraherzöge offenbar auch zu Ebroin gute Beziehungen.
Das galt jedoch nicht für alle Großen der Lande an Rhone und
Saone. Der direkte Verkehr zwischen ihnen und dem zweifellos beeinflußbaren
jungen König war gewiß eine Quelle von Unzuträglichkeiten.
So erwirkte Ebroin von Chlothar III.
ein Mandat, "dass aus dem burgundischen Reichsteil niemand mehr ohne seine
- Ebroins - Genehmigung Zutritt zum Hofe habe". Man könnte
von einem "Staatsstreich Ebroins" sprechen: Der Hausmeier für
Neustrien war mit einem Federstrich zum Regenten des ganzen neustroburgundischen
Teilreichs geworden.
Das Mandat scheint nicht gleich nach dem Rücktritt
Balthilds
ergangen zu sein. Leodegar von Autun, der zum Wortführer der
Opposition wurde, unterzeichnete noch das Privileg des Bischofs Drauscius
von Soissons vom Juni 667 für Ebroins Hauskloster. Man
kann daraus zwar nicht auf freundschaftliche, wohl aber auf normale Beziehungen
zwischen den beiden späteren Kontrahenten schließen. Leodgar
wurde anscheinend erst kurz vor dem Tod Chlothars
III. im Frühjahr 673 der Machenschaften gegen Ebroin
angeklagt. Die Sache lief noch, als der König starb.
Der Tod Chlothars III. war
für Ebroin ein schwerer Schlag, da damit das Mandat hinfällig
wurde. Der Hausmeier proklamierte mit seinen Anhängern den zweiten
Bruder Theuderich zum König, unterließ
es aber, die Optimaten zur feierlichen Erhebung zu berufen und schickte
die zur Huldigung angereisten Großen nach Hause. Die Mehrheit von
ihnen leistete dem Gebot nicht Folge, sondern entschied sich für den
dritten Bruder, den austrasischen König
Childerich II., der bald allgemeine Anerkennung fand. Im Anschluß
an seine feierliche Erhebung versprach der neue Herrscher, eines jeden
Landes Recht und Gewohnheit zu wahren, den Indigenat der rectores provinciae
(wie
im Edikt Chlothars II.) zu beachten
und das Hausmeieramt jeweils im Turnus zu besetzen, damit keiner sich mehr
wie Ebroin zum Tyrannen aufschwingen könne. Dem Bruder
Theuderich,
dem die Großen zum Zeichen der Abdankung - um ihn vor einer Hinrichtung
zu bewahren - die Haare abgeschnitten hatten, wies Childerich
St. Denis als Aufenthalt an. Ebroin kam auf Intervention einiger
Bischöfe, unter denen sich gewiß Audoin von Rouen, aber
auch Leodagar von Autun befand, mit dem Leben davon, erhielt aber
die Tonsur und wurde als Mönch nach Luxeuil geschickt.