Offenbar standen die vier überlebenden Söhne
im Dezember 560 an Chlothars
Totenbett in Compiegne. So wird berichtet, sie hätten den Leichnam
gemeinsam, unter großem Ehrenerweis nach Soissons gebracht und in
der Kirche des heiligen Medard bestattet. Doch die brüderliche Eintracht
hielt nicht vor, wenngleich erwähnenswert ist, daß die ersten
gewaltsamen Versuche einer Herrschaftsregelung erst nach der Bestattung
erfolgten.
Chilperich
als jüngster
von ihnen brachte des Vaters Schätze in seinen Besitz, wandte sich
an die Francos utiliores, gewann sie durch Geschenke und unterwarf
sie sich bzw. ließ sie huldigen. Sein nächster Schritt führte
ihn in König
Childeberts
Hauptstadt Paris, die er besetzte. Aus Gregors weiterem Bericht
geht hervor, daß die Besetzung von Paris als förmliche Inbesitznahme
gedacht war, obwohl
Chilperichs
Vorhaben
am gemeinsamen Widerstand der drei Brüder scheiterte, die ihn aus
Paris vertrieben und erst dann - zu viert - eine rechtmäßige
Teilung durchführten.
Trotz aller oder vielleicht gerade wegen der Komplikationen,
die Chilperichs eigenmächtiges
Handeln hervorrufen mußte, scheint die Reichsteilung relativ schnell
nach Chlothars Tod erfolgt zu sein.
Nach diesem Exkurs soll der Blick auf die Entwicklung
der politischen Beziehungen zwischen den Brüdern gelenkt werden, deren
hervorstechendes Merkmal Chilperichs Unzufriedenheit
mit seinem Erbanteil und die daraus resultierenden Verwicklungen zu sein
scheinen. Als nämlich Sigibert
durch Kämpfe mit den Awaren gebunden
war, fiel Chilperich in dessen Reich
ein und riß Reims und einige andere Städte an sich. Sobald jedoch
Sigibert freie Hand hatte, revanchierte
er sich mit der Eroberung von Soissons, wo auch
Chilperichs
Sohn
Theudebert
in Gefangenschaft geriet. Erst die offene kriegerische Auseinandersetzung
mit einem für
Sigibert günstigen
Ausgang beendete vorerst den Bruderstreit, der keiner Seite Gewinn eingebracht
hatte.
Von den Usurpatoren soll der Blick wieder auf die nächsten
Herrscherwechsel von 584, 595 und 596 gelenkt werden. Nach Charibert
(†
567) starb
Chilperich (584),
der König von Neustrien, als dritter der im Jahre 561 zur Herrschaft
gelangten Söhne Chlothars I. Doch
ehe die Nachfolgegfrage des Jahres 584 betrachtet wird, lohnt es zu prüfen,
wie Chilperich selbst sich die Regelung
seiner Herrschaftsnachfolge vorgestellt hat. Dabei ergibt sich, daß
der neustrische König wie selbstverständlich von einer
Sohnesfolge ausging. Problematische wurde allerdings die Situation durch
den frühzeitigen Tod dreier Söhne, die ihm Fredegunde
geschenkt hatte. Aus seiner ersten Ehe mit Audovera
stammten Merowech
und
Chlodowech
[252 Gregor IV, 28 Seite 161. Eigentlich waren es drei Söhne,
von denen der älteste,
Theudebert,
bereits 575 im Kampf gegen ein Heer König
Sigiberts gefallen war (IV, 50 Seite 187).]. Der ältere
hatte sich bekanntlich gegen den Vater empört, nach seiner eigenen
Königsherrschaft gestrebt und war im Zuige dieser Empörung umgekommen.
Chlodowech
dagegen scheint Chilperich
und der
mißtrauischen
Fredegunde lange
Zeit keine Sorgen bereitet zu haben, doch als der jüngste und letzte
Stiefbruder 580 starb, veränderte sich jäh das offenbar gute
Einvernehmen [Auf Fredegundes Betreiben
schickte Chilperich seinen Sohn von
Compiegne aus in das von einer schweren Seuche heimgesuchte Berny-Riviere,
ut
scilicet et ipse ab hoc interitu deperiret ...- sed nihil ibidem incommodi
pertulit]. Nach der Darstellung Gregor von Tours beging Chlodowech
die Unvorsichtigkeit, sich am Hofe des Vaters zu früh zu brüsten:
"Siehe, meine Brüder sind tot, mir bleibt das ganze Königreich;
mir wird ganz Gallien untertan sein, alle Gewalt hat das Schicksal mir
geschenkt! Dann werden meine Feinde in meiner Hand sein, und ich werde
ihnen antun, was mir beliebt". Es braucht kaum erwähnt zu werden,
daß es zusätzlicher ungeziemender Reden über die Stiefmutter
fast nicht mehr bedurfte, Chlodowech
verstrickte sich in Fredegundes Ränken
und kam darin um. Den zitierten Worten, die der ungewöhnlich gut informierte
Gregor dem Sohn Chilperichs in den
Mund legt, ist ein indirektes Zeugnis für das Teilungsrecht aller
Brüder zu entnehmen: Sind die Brüder tot, fällt dem Überlebenden
rechtlich omne regnum zu. Seine Anwartschaft hebt ihn schon zu Lebzeiten
des Vaters aus dem bloßen Sohn-Verhältnis heraus.
Durch den Tod Chlodowechs
hatte Chilperich keinen Sohn mehr,
dem er das Reich vererben konnte. Vielleicht gab dies den Ausschlag, daß
er sich auf Verhandlungen mit Gesandten seines Neffen Childebert
einließ. Sie mündeten in ein Bündnis zwischen Oheim und
Neffen, das politisch durch eine Expansionspolitik gegenüber Guntram
und einen gegenseitigen Frieden zwischen Childebert
und Chilperich motiviert war. Die Adoption
Childeberts
durch seinen kinderlosen Oheim Chilperich
tritt zu dem Vertragsschluß hinzu, scheint aber etwas sekundärer
Natur zu sein. Immerhin durfte Chilperich
damit rechnen, daß ein adoptierter Neffe ihn bei Lebzeiten
nicht behelligen werde: "Deshalb soll dieser einst alles erben, was ich
dann erarbeitet habe; nur solange ich lebe, lasse man es mich ohne Anfechtung
und Ärgernis behalten"! Offen bleibt vielleicht, ob die bei der vertraglichen
Friedensregelung gegebene Erbzusage Chilperichs
ganzes
Reich betraf oder - wohl weniger - nach dem strengen Wortlaut bei Gregor
nur den zukünftigen Anteil Chilperichs
am
Reiche Guntrams, was diesem ja genommen
werden sollte. Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, daß die
"Adoption" von Nogent-sur-Marne keinesfalls perönlich erfolgte, sondern
gegenüber Childeberts Gesandten
ausgesprochen wurde, die ihrerseits die pactiones unterschriftlich
und durch Eid bekräftigten.
Daß Chilperich
in Childebert II. keinesfalls gern
seinen Nachfolger gesehen haben wird, ergibt sich aus seinem Verhalten,
als ihm doch noch ein Sohn (Theuderich)
geboren wurde. Sorgfältig traf er die verschiedensten Vorkehrungen,
um diesem ein behütetes Heranwachsen zu sichern. Einer allgemeinen
Amnestie und dem Erlaß rückständiger Strafgelder folgte
eine feierliche Taufe zu Ostern 583 in Paris, das er eigens dazu ohne Absprache
mit seinen Brüdern betreten hatte, obwohl es vertraglich streng verboten
war und Chilperich nur unter dem Schutz
vieler vorangetragener Reliquien hoffen konnte, dem Fluch der verbotenen
Tat zu entgehen. Chilperichs Umsicht
konnte indes nicht verhindern, daß Theuderich
noch im Säuglingsalter verstarb.
Im Herbst 584 (September Ende/Oktober Anfang)
wurde Chilperich selbst auf seinem
Hofe Chelles von Mörderhand tödlich getroffen. Den Leichnam
des Königs, den Gregor von Tours einen Nero
und Herodes seiner Zeit nannte, bestattete
man in Paris. Dorthin hatte sich die Königin-Witwe
Fredegunde
mit einem Großteil von Chilperichs
Schatz geflüchtet und in der Hauptkirche beim Pariser Bischof Ragemod
Zuflucht gefunden.
Chilperichs verlassenes
Reich empörte sich teils (Orleans, Blois), teils liefen einige Große
zu Childebert über, während
andere zu Fredegunde zu halten schienen.
Überraschenderweise hört man, daß die Königin einen
kaum erst geborenen Sohn Chilperichs
bei sich hatte. Die Überraschung löst sich allerdings etwas,
wenn man beachtet, daß Gregor bereits früher von der Geburt
eines Sohnes berichtete, bei dem es sich um Chlothar
II. handeln kann. Chilperich
ließ ihn auf dem Hof Vitry aufziehen, "damit", wie er sagte, "dem
Kind kein Unheil zustoße, wenn man es öffentlich sieht, und
es nicht dadurch stirbt".