Anders verlief die Herrschaftsnachfolge im Westreich,
als Chlodwig
II. ein Jahr nach seinem Bruder Sigibert
(zwischen dem 11. September und 16. November 657) verstarb. Er hinterließ
drei unmündige Söhne: Chlothar
III., Theuderich
III. und Childerich II.,
die sich in der Obhut ihrer Mutter, der Königin
Balthild,
befanden. Nach dem Bericht des Liber historiae Francorum setzten die Franci
den ältesten von den drei Söhnen sich als König, der gemeinsam
mit seiner Mutter herrschen sollte.
Nach Chlothars III.
Tod bestanden im Westreich unterschiedliche Auffassungen, ob von
Chlothars
Brüdern
Childerich II. oder Theuderich
III. künftig allein hier herrschen sollte. Da diese "Gesinnungsgenossen"
den übermächtigen und "tyrannischen" Hausmeier Ebroin
fürchteten, der zu einem Königtum Theuderichs
tendierte, richteten sich ihre Pläne auf Chlothars
anderen Bruder Childerich, der inzwischen
zum König von Austrasien erhoben worden war und unter Berücksichtigung
seines jugendlichen Alters jenes Königreich bestens geleitet hatte.
Aufgrund des consilium wurde Childerich
dann eingeladen, nach Neustrien und
Burgund zu kommen. Er folgte dem Rufe,
kam und wurde zum König im Westreich erhoben, ein Vorgang,
der sich im üblichen Rahmen bewegte.
Im Interesse aller drei Reiche lag die Herstellung einer
pacis concordia zwischen ihnen, das heißt also der Erfolg jener
von Balthilde eingeleiteten gesamtfränkischen
Friedenspolitik, die in Childerichs II. Erhebung
ihre Krönung und weitgehende Sicherung erfahren sollte. Aus der Vita
Balthildis geht somit eine neustrische Initiative zur Klärung der
austrasischen Herrschaftsnachfolge hervor. Zu erkennen war die politisch
relevanteste Entscheidung durch eine Vorwahl des seniores des Ostreiches
und die darauf folgende Erhebung Childerichs II.
durch
die Austrasier, die dem consilium ihrer seniores folgten.
Verschwiegen wird von dem Biographen der Königin des Westreiches,
welche Rolle Austrasiens ebenfalls verwitwete Königin bei der Königsbestellung
gespielt hat [547 Es handelt sich um Himnechilde,
die Witwe Sigiberts III., die
also eine Tante Childerichs II.
war]. Gemeinsam mit Childerich hat
sie später Urkunden ausgestellt, die weniger auf eine Vormundschsft
als vielmehr auf eine Mitregentschaft der Witwe Sigiberts
III. und Tante Childerichs
zwingend weisen. Die in der Geschichte der merowingischen
Herrschaftsnachfolge so bewährte Form der Einheirat war wohl angesichts
von Childerichs Jugend und wegen denkbarer
rechtlicher Schranken nicht in Frage gekommen. Um eine modofozierte Form
der Einheirat aber handelte es sich, als König
Childerich später seiner Tante Himnechildes
Tochter Bilichilde,
seine eigene Kusine und die Schwester Dagoberts
II., heiratete. Unterstellt man, daß diese Heirat
schon 661/62 anvisiert worden ist, dann verliert die neustrische Einflußnahme
auf Austrasiens Herrscherbestellung doch einiges von der hohen Bedeutung,
die ihr aufgrund der Angaben aus der Vita Balthildis zugemessen worden
ist.
Der König von Austrasien, der dann nach seiner Erhebung
im Westreich seit 673 das gesamte Franken-Reich
unter seiner Herrschaft vereinigt hatte, wurde im Herbst 675 zusammen
mit seiner Frau Bilichildeermordet [555
LHF 45 Seite 318; das Todesdatum schwankt zwischen dem 10. August
und 14. November 675; vgl. Vita Lantberti 5 (SS rer. Mer. 5, 612).].
Childerich II. war Opfer einer weit
angelegten Verschwörung unter Führung eines
Odilo geworden,
der Teile der neustrisch-burgundischen Adelspartei Leodegards gegen
den ihm verhaßten König mobilisiert hatte. Sofort brach im Franken-Reich
das politische Chaos aus, so daß ein Zeitgenosse glaubte, die Ankunft
des Antichrist stünde unmittelbar bevor.