Das Jahr 858.
Am 1. Januar geschah eine große Erderschütterung
in verschiedenen Städten und Gegenden, am heftigsten jedoch in Mainz,
wo alte Mauern zerrissen und die Kirche von St. Alban so erschüttert
wurde, daß die Mauer vom Giebel stürzte, in ihrem Sturz die
zweikammerige Betkapelle des heiligen
Michael an der Abendseite der Kirche sammt dem Dache
und den Balken der Decke mitzertrümmerte und dem Erdboden gleich machte.
Im Monat Februar hatte der König mit einigen seiner Räthe eine
Unterredung in Forahheim; von dort wurde ein Tag angesagt und Grafen besonders
dazu angewiesen, in einem Flecken Alamanniens, welcher Ulma heißt;
wo er die Gesandten seines Neffen Hludowich,
den Bischof Noting und den Grafen Eberhard empfing und anhörte;
nach Mitfasten aber kam er nach Frankonofurt und feierte daselbst das Osterfest.
Inzwischen kamen die Gesandten, welche er an seinen Neffen Hlothar
geschickt hatte, mit der Botschaft, dieser werde nach der Verabredung im
Castell Coblenz mit dem Könige zusammentreffen. Der König traute
den Versprechungen, und kam vor dem Tage der Letanien an dem bestimmten
Tage und zu dem bestimmten Orte, aber Hlothar
brach sein Versprechen und kam weder selbst, noch wollte er jemand von
den Seinigen schicken; er ging nämlich mit
Karl
gegen den König ein Bündniß ein, welches beide durch einen
Eidschwur bekräftigten. Als jener sich so getäuscht sah, kehrte
er nach Frankonofurt zurück, wo er viele andere Maßregeln zum
Wohle des Reiches mit den Seinen verhandelte und anordnete, vorzüglich
aber auch beschloß, drei Heere an die verschiedenen Grenzen seines
Reiches zu schicken, eines unter seinem älteren Sohne Karlomann
in das Land der marahensischen Sclaven gegen Rastiz, ein anderes unter
seinem jüngeren Sohn Hludowich gegen
die Abodriten und Linonen, das dritte unter Thachulf gegen die aufrührerischen
Soraben, damit, wären erst außerhalb die unruhigenBewegungen
der Feinde unterdrückt, er leichter im Innern das Steuer des Reichs
lenken könne.
Im Monat Juli aber, als die Heere versammelt, geordnet
und zum Abmarsch fertig waren, kam plötzlich über den König
eine gewaltige Last Sorgen. Gesandte nämlich kamen vom Occident, Abt
Adalhart und Graf Otto, und forderten daß er dem gefährdeten
und bedrängten Volk durch seine Gegenwart Hülfe brächte;
wenn aber dies nicht schnell genug geschähe und sie der Hoffnung auf
Befreiung von seiner Seite beraubt würden, müßten sie mit
Gefahr ihres Christenthums bei den Heiden den Schutz suchen, welchen sie
bei dem gesetzmäßigen und rechtgläubigen Herren nicht finden
könnten. Denn die Tyrannei Karls,
so bezeugten sie, sei länger nicht zu ertragen, da was die Heiden
von außerhalb ihnen noch übrig gelassen, die ohne daß
Einer Widerstand leistete oder nur den Schild gegen sie erhöbe, plünderten,
wegschleppten, mordeten, verkauften, Jener im Innern durch hinterlistig
Wüthen zu Grunde richte; im ganzen Volk sei niemand, welcher den Versprechungen
oder Eidschwüren desselben Glauben schenkte, weil alle an seiner Redlichkeit
verzweifelten.Diese Nachricht machte den König
nicht wenig bestürzt, denn ihn drückte doppelte
Verlegenheit: wenn er den Wünschen des Volkes nachgäbe, müßte
er gegen seinen Bruder, was doch Frevel wäre, handeln; wenn er dagegen
den Bruder schonte, müßte er, was gleich frevelhaft wäre,
des gefährdeten Volkes Befreiung unterlassen. Zum Uebermaaß
kam noch die Sorge hinzu über die Meinung des Volkes, welches argwohnte,
daß alle Schritte in dieser Sache nicht aus Sorge für das Wohl
des Volkes, sondern einzig zur Erweiterung der Herrschaft geschähen;
obgleich sich das ganz anders verhielt, als die Meinung des Haufens annimmt,
wie alle, die um des Königs Pläne wissen, mit wahrhafter Rede
bezeugen. In solcher Last von Bedenken entschloß er sich endlich,
nach dem Rath der Einsichtigen und gestützt auf die Reinheit seines
Bewußtseins, für das Wohl Vieler zu sorgen, lieber als der Verstocktheit
Eines Mannes willfährig zu sein, erklärte sich den Bitten der
Gesandten günstig und versprach den Wünschen des Volkes, welches
seine Gegenwart verlangte, mit Gottes Beistand nachzukommen. Um die Mitte
des Monats August versammelte er bei Worms sein Gefolge, zog durch den
Elsaß und kam nach Gallien auf einen königlichen Hof in Karls
Reich, welcher Ponticona heißt; hier kamen ihm fast alle Vornehme
jener Landstriche entgegen, mit Ausnahme derer, welche damals Karl
bei sich im Lager hatte, der gegen die Nordmannen am Liger stritt. Als
dieser vernahm, daß Hludowich
innerhalb der Grenzen seines Reichs sei, giebt er die Belagerung auf und
tritt demselben mit Heeresmacht an dem Ort entgegen, welcher Briacus heißt,
doch als er die Menge der Osterleute und zugleich derjenigen gesehen hatte,
welche von den Seinigen sich gegen seine Tyrannei verschworen hatten, und
weil er sich an Macht nicht gewachsen fühlte und einsah, daß
in offener Feldschlacht mit den Truppen des Bruders zusammenzutreffen ohne
große Gefahr für die Seinigen unmöglich sei, so stellte
er zwar dennoch seine Krieger auf und ordnete sie wie zum Kampfe, er selber
aber zog heimlich mit Wenigen ab; das auf dem Wahlplatz zurückgelassene
Heer aber ging auf die Kunde von des Führers Abzug zu Hludowich
über. Dieser beruhigte den Drang des Volkes, welches
Karl zu verfolgen wünschte, und wandte, wie in unbestrittener
Machtvollkommenheit, emsige Sorgfalt auf die Ordnung der Reichsangelegenheiten.
Und zuerst in zu sorgloser Sicherheit entließ er die ganze Streitmacht,
welche er aus dem Osten mit sich geführt hatte, aus nichtigem Vertrauen
auf Ueberläufer und Verräther des eigenen Herrn. Auf ihren Rath
auch beschloß er dort zu überwintern, ganz ohne Ahnung der drohenden
Gefahr, welche ihm von Seiten Karls
bereitet wurde. Diesem war der Muth, die Beleidigungen zu rächen,
durch des Grafen Chuonrad Söhne erweckt worden, welche ihm anzeigten,
daß Hludowich unbesorgt und nur
Wenige von den Seinen bei ihm zurückgeblieben waren. Diese hatte nämlich
Hludowich wie Getreue abgeschickt, um Karls
Handlungen auszuforschen und ihm Bericht zu bringen; aber sie täuschten
sein Vertrauen, und verbunden mit Karl sannen
sie mit allem Eifer darauf, wie Hludowich
unvermuthet mit überlegener Heeresmacht überfallen werde könnte.
Inzwischen war diesem gemeldet, daß im Osten das Reich an der sorabischen
Grenze dadurch gefährdet sei, daß die Soraben, die hinterlistig
ihren ihm treugesinnten Herzog Namens Zistibor ermordet, auf Abfall sännen.
Deswegen nun, um die entstandene Empörung zu unterdrücken, zog
jener so schnell er konnte in sein Reich zurück. Karl
aber
nahm nach seinem Abzug den Sitz seiner Herrschaft, da niemand es hinderte,
ohne Schwierigkeit wieder ein.
Das Jahr 888.
König
Arnolf empfing in der Stadt Radasbona die Edlen der Bajowaren,
Ostfranken, Sachsen, Duringer, Alamannen, eine große Anzahl Sclavanen,
und feierte daselbst würdevoll den Geburtstag des Herrn und Ostern.
Während er lange verweilte, wuchsen viele kleine Könige in Europa
oder dem Reiche seines Oheims Karl
auf.
Nämlich Perangar,
Ebarhards
Sohn, machte sich zum König in Italien, Ruodolf
aber,
Chuonrads
Sohn, beschloß Ober-Burgund für sich, in Weise eines Königs,
zu behalten; daher denn setzten sich Hludowich,
Buosos
Sohn, und Wito,
Lantberts Sohn, vor, das belgische Gallien und nicht minder die Provinz
wie Könige zu haben; Odo, Rodberts
Sohn, maßte sich das Land bis zum Liger und die aquitanische Provinz
zu eigenem Nutzen an. Hernach wollte Rannolf als König gelten. Auf
diese Nachrichten zog der König nach Franken und hielt in Frankonofurt
einen Reichstag, wo er beschloß nach Worms zu kommen. Dies erfuhr
Odo,
und handelte nach vernünftigem Rathschluß, indem er versicherte,
er wolle lieber sein Reich mit des Königs Gunst friedlich haben, als
in irgend welcher Ueberhebung sich wider die Treue zu jenem etwas anmaßen;
er kommt demüthig zum König und wird huldreich empfangen. Als
die Sache von beiden Seiten zur Zufriedenheit glücklich geordnet war,
zog jeder heim. Der König rückt gegen
Rodolf nach dem Elsaß vor. Von da schickte er gegen ihn
ein alamannisches Heer und kehrte selber durch Franken nach Bajowarien
zurück. Nämlich
Rodolf kam nach einer
Berathung mit den edlen Alamannen freiwillig zum Könige nach der Stadt
Radasbona, wo sie über vieles in angemessener Weise übereinkamen;
er selber, in Frieden vom Könige entlassen, zog heim wie er gekommen
war. Italien wollte der König mit Heeresmacht angreifen, aber Perangar,
der kurz zuvor mit dem Tyrannen Wito
blutig gestritten und besorgte, es möchte das Italische Reich durch
den Einmarsch einer so starken Mannschaft übel leiden, schickte seine
Edlen voran und stellte sich selber dem König in der Tarentinischen
Stadt. Deswegen wurde er von dem Könige freundlich empfangen und ihm
nichts von der vorerworbenen Herrschaft entzogen, ausgenommen werden die
Höfe Navum und Sagum. Das Heer durfte daher ohne Verzug nach Hause
zurückgehen. Der König aber zog mit wenig Begleitung
durch Friaul und feierte auf dem Hof Corontana den Geburtstag des Herrn.
Auf diesem Wege nun fielen soviel Pferde todt nieder,
wie kaum jemals Sterblichen erinnerlich und überliefert
ist.